Auszug aus: Klaus Schmitt: Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten?;
Karin Kramer Verlag; Berlin; 1989; ISBN 3-87956-165-6

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III. Teil: Anarcho-physiokratische Antworten auf einige wichtige Fragen

10. Wer ist Kapitalist?

"Die Gesellschaft ist in zwei Kasten geschieden, von
denen die eine fortwährend Kredit gibt und die andere
fortwährend Kredit erhält."
P. J. Proudhon

Wie Marx, begreift auch Gesell die kapitalistische Gesellschaft als eine
Klassengesellschaft, und auch er hält den Klassenkampf für unerläßlich.
Dieser Klassenkampf muß jedoch an der richtigen Front ausgetragen wer-
den.

Gesells Sympathien galten, obwohl selbst Unternehmer und kein
Freund der Gewerkschaften, dem Proletariat seiner Zeit; das beweisen
seine enge Freundschaft mit dem Tischlergesellen Georg Blumenthal
und seine Mitgliedschaft im "Fysiokratischen Kampfbund", dem radika-
len proletarischen Flügel der damaligen Freiwirtschaftsbewegung (s. Text
1). Gesell propagiert jedoch nicht den Kampf der Arbeiter gegen die Un-
ternehmer, sondern den Kampf aller Produzenten gegen die (nicht produ-
zierenden) Kapitalisten. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Position vie-
ler Marxisten, Sozialisten und Gewerkschaftler, die ihren Hauptfeind im
Unternehmer sehen bzw. diesen mit dem Kapitalisten gleichsetzen. Ge-
sells Differenzierung in Arbeiter und Unternehmer ("Schaffer") einer-
seits und Kapitalisten ("Raffer") andererseits ist von außerordentlich gro-
ßer sozialer und politischer Bedeutung (s. dazu auch Kap. 13). Sie läßt sich
sowohl mit der "bürgerlichen" als auch mit der marxistischen Definition
von Kapital, Arbeit und Unternehmer begründen.

"Bürgerliche" Definition

In der allgemeinen, liberalistischen Volkswirtschaftslehre (Makro-Öko-
nomie) ist "Unternehmer (..), wer für eine Unternehmung die unterneh-
merischen Funktionen erfüllt, nämlich die letztgültigen Entscheidungen
über den Wirtschaftsplan und seine Durchführung trifft (...)". (137) "Ein
selbständiger Unternehmer ist Inhaber eines Unternehmens", was nicht
Eigentümer heißt! Daher kann auch ein Nicht-Eigentümer, ein eigentums-
loser, "lohnabhängiger" Angestellter, Unternehmer sein, z. B. ein Be-
triebsleiter, ein Direktor. "Ein angestellter Unternehmer wird als Manager
bezeichnet." (138) A. Paulsen betont ausdrücklich: "Die Bereitstellung von
Geld- und Sachkapital ist nicht spezifische Unternehmerleistung; diese ist
also auch nicht mit dem Eigentum an Produktionsmitteln verbunden." (139)

Eine betriebswirtschaftliche (mikro-ökonomische) Definition von K.
Mellerowicz stellt diesen Tatbestand noch besonders heraus: "Als Unter-
nehmer bezeichnen wir diejenigen Leiter von Betrieben, die unter Ein-
satz privaten Kapitals - und damit unter Eingehen von Risiken und
Wahrnehmung von Chancen - diejenige Kombination der Produktions-
faktoren (nach Paulsen Arbeit, Boden und Kapital; K. S.) und deren Ver-
wertung im Absatzmarkt planmäßig erstreben, die ihnen auf kürzere oder
längere Sicht eine möglichst große Rentabilität des im Betriebe arbeiten-
den Eigenkapitals (das nicht ihr Kapital zu sein braucht) gewährt. (...)
Wenn von dem Einsatz privaten Kapitals gesprochen wird, so ist damit
nicht gesagt, daß es sich um Eigenkapital handeln muß. Selbst der Unter-
nehmer einer Einzelfirma, der mit seinem Eigenkapital und darüber hin-
aus mit seinem Privatvermögen haftet, verwendet in größerem Maße
Fremdkapital. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft besitzt häufig keine
oder nur wenig Aktien des Unternehmens, die Aktionäre sind dagegen
meist reine Geldgeber." (140)

Unternehmer ist also ein Betriebsleiter. Und wer ist nun der Ka-
pitalist? Könnte es der genannte Eigentümer jener Kapitalien sein, mit de-
nen der Unternehmer (zusammen mit seinen Angestellten) arbeitet? Dar-
auf gibt die sogenannten bürgerliche Wirtschaftswissenschaft (verständ-
licherweise) keine klare Antwort; der Kapitalist taucht dort lediglich in
der verschämten Verkleidung des freundlichen (fast selbstlosen) Geldge-
bers, als Aktionär usw, auf - aber klar erkennbar als Kapitalist, wie wir
gesehen haben, weil deutlich getrennt vom produktiv arbeitenden Unter-
nehmer. (140a)

Marxistische Definition

Wie definiert nun Karl Marx den Kapitalisten?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas weiter ausholen. Be-
ginnen wir mit Marxens Antipoden des Kapitalisten, dem "Lohnabeiter".
Wie Quesnays Physiokraten und die Gesellschen Neophysiokraten, geht
auch Marx von der menschlichen Arbeitskraft als dem einzigen (Arbeits-)
"Werte" schaffenden Faktor in der Volkswirtschaft aus. Doch dazu sind
naturgegebene (Boden, Wasserkraft etc.) und kulturhistorisch geschaffe-
ne (Maschinen etc.) Hilfsmittel notwendig. Wer lediglich Eigentümer sei-
ner Arbeitskraft ist, ist gezwungen, sie an den Besitzer oder Eigentümer
dieser Produktionsmitteln gegen einen Lohn zu verkaufen. Das macht ihn
zum abhängigen Lohnarbeiter. In der Lohnhöhe drückt sich der Preis der
Ware Arbeitskraft aus. Er kommt nach Marx entsprechend den Gesetzen
der Mehrwert-Theorie zustande (s. Kap.11). Jederzeit durch Einstellun-
gen und Entlassungen mengenmäßig veränderbar, erscheinen die Ware
Arbeitskraft bzw. die Lohnkosten als "variables Kapital" im Produktions-
prozeß.

Im Gegensatz dazu nennt Marx die ("fixen") Produktionsmittel, wie
Maschinen, Boden etc., und die ("zirkulierenden") Rohstoffe, "konstan-
tes Kapital". (Das "Handels-" oder "Kaufmannskapital" ist heute "Teil
des im Zirkulationsprozeß fungierenden industriellen Kapitals". (141)) Ihr
Besitzer, jener also, der über dieses Produktivkapital und die menschliche
Arbeitsskraft verfügt, verwendet dieses, um "Profit" zu machen. Ist er Ei-
gentümer des Kapitals und gleichzeitig "Nichtarbeiter", (142) dann ist er Ka-
pitalist. Er erhält dann den gesamten Profits ("Gewinn" plus "Zinsen"),
aber nicht den "Unternehmerlohn". Legt er selbst Hand an im Arbeits-
prozeß - als selbständiger Unternehmer, als "kleiner Meister" - dann
ist er "ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter". (143) Genauer ge-
sagt: er ist beides. Folglich sackt er dann, neben dem gesamten Profit (Ge-
winn plus Zinsen), auch den Unternehmerlohn ein. Ist er außerdem auch
Eigentümer des Bodens, dann ist er auch Grundrentner und kassiert auch
noch die ."Grundrente", also den Unternehmerlohn plus den gesamten
Mehrwert" (Gewinn, Zins und Rente).

Den Unternehmer nennt Marx den "fungierenden Kapitalisten", weil er
die Aufgabe hat, "Mehrwert, d. h. unbezahlte Arbeit, zu produzieren".
Als "Nichteigentümer" ist er "Arbeiter", wie Marx ausdrücklich (kursiv)
hervorhebt. Für seine Tätigkeit als Organisator des Produktions- und Zir-
kulationspsrozesses und der "Profitmaximierung" erhält er einen Unter-
nehmer-"Lohn". Das gilt für den selbständigen Unternehmer ebenso, wie
für den angestellten Unternehmer den Manager. Als "Arbeitslohn" exi-
stiert er nach Marx allerdings nur im "Hirnkasten" des Unternehmers (144)
wenn der Unternehmer primär als Handlanger des Kapitalisten (und
Grundrentner) fungiert. "Vom Kapital getrennt, ist aber der Produktions-
prozeß Arbeitsprozeß überhaupt. Der industrielle Kapitalist, als unter-
schieden vom Kapitaleigentümer, erscheint daher nicht als fungierendes
Kapital, sondern als Funktionär auch abgesehen vom Kapital, als einfa-
cher Träger des Arbeitsprozeses überhaupt, als Arbeiter, und zwar als
Lohnarbeiter." (145)

Aha! In einer nicht-kapitalistischen Wirtschaft würde der Unternehmer
also einen wohlverdienten Lohn für produktive und gesellschaftlich nütz-
liche Arbeit erhalten. - Auch in einer vom Kapitalismus freien Markt-
wirtschaft?

Als letzter Darsteller in Marxens Drama 'Das Kapital' betritt nun eine
Figur die Bühne, die jene Krankheit verkörpert, die mit ihrem Virus Zins
die gesamte Marktwirtschaft vergiftet: der "Geldkapitalist". Doch die
Rolle, die Marx diesem eigentlichen Hauptdarsteller in diesem Drama zu-
gedacht hat, ist schwach und unbestimmt. Als Kreditgeber liefert er zwar
mit der in seien Geldschätzen "geronnenen" Arbeitskraft die notwendige
Voraussetzung für die Entwicklung des Industriekapitalismus; Marx
meint jedoch, er würde als "Wucherkapitalist" nur so ganz nebenbei "ei-
nen Teil des Profits in Zins verwandeln" (146) (immerhin die "naturwidrig-
ste" Einkommensquelle, wie Marx Aristoteles zitiert (147). Denn ganz im
Sinne seiner klassischen Lehrmeister glaubt Marx, daß der Zins keine ei-
genständige Kategorie ist, sondern erst durch den Profit konstituiert wird:
daß erst "die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten und indu-
striellen Kapitalisten (...) überhaupt die Kategorie des Zinses schafft:
und es (..) nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden Sorten Kapitali-
sten (ist), die den Zinsfuß schafft". (148) Und ganz dicke kommts, wenn er
behauptet, die Entwicklung des heutigen Kreditwesens sei nichts anderes
als eine "Reaktion gegen den Wucher" und "bedeutet nichts mehr und
nichts weniger als die Unterordnung des zinstragenden Kapitals unter die
Bedingungen und Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise". (149)

Die heutigen Finanziers sind also den Produzenten in Brasilien Me-
xiko, Polen etc. untergeordnet! Eine fatale Unterschätzung der Rolle, die
das (heutige) Geld, der Zins und das Finanzkapital auf den Bühnen aller
Volkswirtschaften spielen!

Daß hier ein kapitaler Irrtum in der marxistischen Wirtschaftstheorie
vorliegt, beweist die marxistische Verschuldungspraxis im "real existie-
renden Sozialismus". Dort hat sich aus Unkenntnis der wahren monetä-
ren Zusammenhänge und nach Marxens eigener Definition z. B. die "Av-
antgarde des Proletariats", die "revolutionäre" kommunistische "Arbei-
ter"-Partei der "Volks"-Republik Polen mit ihrer Verschuldungspraxis
zum "fungierenden Kapitalisten" für die Zinsinteressen des westlichen Fi-
nanzkapitals gemacht. Diese Tatsache entlarvt die marxistische Wirt-
schaftstheorie als zahnlosen Papiertiger und machr ihre Verfechter objek-
tive zu Bundesgenossen des Kapitals.

Nun gab und gibt es allerdings Banken, die die Produzenten vom "Zins-
wucher" zu befreien suchten und suchen (s. Kap.1). Doch das sind Pro-
jekte, die mit der geplanten Tauschbank von Marxens Erzfeind Proudhon
verwandt sind und die durchaus nicht beabsichtigen, der "kapitalistischen
Produktionsweise" zu dienen. Statt dessen versuchen sie, den Kern des
Kapitalismus: den Zins, zu überwinden und die Zirkulation sicherzustel-
len.

Anarcho-physiokratische Definition

Unabhängig von seinem mangelhaften Geld- und Zinsverständnis, unter
scheidet Marx, wie auch Gesell und wie die wert-orientierten klassischen
und - weniger konsequent - die preis-orientierten modernen Ökono-
men, zwischen dem unselbständigen Lohnarbeiter, dem selbständi-
gen "Arbeiter" Unternehmer, dem lohnabhängigen Unternehmer Ma-
nager, dem Grundrentner als Eigentümer des unvermehrbaren Natur-
produkts Boden und den Kapitalisten, unterteilt in den Eigentümer
von vermehrbarem Realkapital und den Eigentümer von Finanzkapi-
tal. Der Aktionär nimmt eine Zwitterstellung ein: er ist sowohl Geld-
geber wie auch Eigentümer von Sachkapital. Als Großaktionär eignet
sich der Finanzkapitalist Produktionsstätten, Vertriebsmittel und Kredit-
institute in marktbeherrschender Menge an (s. Kap. 3).

Diesen Begriffen entsprechend, von dieser Gliederung jedoch abwei-
chend und das Kapitalverhältnis verschleiernd, unterscheidet die liberali-
stische Theorie die Einkommen dieser Klassen in den Lohn der "Arbeit-
nehmer" einschließlich Manager, in den Gewinn des Unternehmens und
in den Zins für das eingesetzte Fremdkapital. Der Gewinn setzt sich zu-
sammen aus dem Unternehmerlohn des "selbständigen" Unternehmers,
dem Kapitalzins des Eigenkapitals (Rendite für Eigentümer und Unter-
nehmensteilhaber, Dividenden für Aktionäre etc.) und aus eventuellen
Monopolgewinnen (Spekulationsgewinne werden als gesonderte Katego-
rie geführt). Der Zins an das Fremdkapital wird unterteilt in Geldzins
(Zins an unternehmensfremde Geldgeber) und Bodenzins (Rente an un-
ternehmensfremde Grundeigentümer). (150)

Marx unterscheidet in klarer Abgrenzung zum Kapital den Lohn des
Lohnarbeiters und Unternehmers vom Profit des Unternehmers und von
der Grundrente des Grundeigentümers. Der Profit setzt sich zusammen
aus dem Gewinn des Unternehmers und dem Zins des Geldkapitalisten,
wobei zum Gewinn Monopol- wie Spekulationsgewinne, aber auch be-
stimmte Entgelte für spezifisch kapitalistische Unternehmerleistungen
gehören. Profit und Rente ergeben zusammen den Mehrwert. Marx:
"Profit (Unternehmergewinn plus Zins) und Rente sind nichts als eigen-
tümliche Formen, welche besondere Teile des Mehrwerts der Ware anneh-
men. (...) Durchschnittsprofit plus Rente sind (..) gleich dem Mehr-
wert." (151)

Bei dem "Klassiker" Marx fällt allerdings auch der Geldzins unter den
Oberbegriff Profit. Der Begriff Rendite, der Zins des vermehrbaren Real-
kapitals, taucht jedoch bezeichnenderweise bei ihm nicht auf, obwohl der
Kapitalzins ein Teil des Profits ist. Er ist ein Begriff der Zinstheorie und
dort gewissermaßen das "Äquivalent" des Geldzinses. Da jedoch in Mar-
xens Ausbeutungstheorie (verkürzt gesagt) der Profit den Zins und nicht
der Zins den Profit bewirkt und der Profit entsprechend der Mehrwert-
theorie entsteht (s. Kap.11), hat der Begriff Kapitalzins dort keine Funk-
tion.

Trotz gewisser Gemeinsamkeiten liegt der Unterschied zwischen marxi-
stischer und liberalistischer Klassen- und Einkommensanalyse darin, daß
die bürgerlichen Ökonomen neben dem privaten Unternehmer und dem
Unternehmerlohn auch den Zins, die Rendite und die Rente nicht in Fra-
ge stellen, während Marx den "Mehrwert" durch die Beseitigung des pri-
vaten Unternehmers überwinden will. Den Mehrwert haben seine Apolo-
geten jedoch in den Zinstributen an das Finanzkapital und in den Privile-
gien und Gehältern einer aufgeblasenen Bürokratie von Staatsbeamten
und -managern im "realen Sozialismus" mit Hilfe der Staatsgewalt fest
verankert.

Gesell wie Proudhon bezeichnen, ähnlich wie Marx, den Unternehmer
als Produzenten, akzeptieren aber nicht nur den Unternehmerlohn eben-
so als Arbeitseinkommen wie den Lohn des Lohnarbeiters, sondern auch
den privaten Unternehmer. Anders als Marx und ähnlich wie Keynes un-
terscheiden sie klar zwischen Arbeiter und Unternehmerlohn einerseits
und Zins aus vermehrbarem und unvermehrbarem Realkapital und aus
Geldkapital andererseits. Sie wenden sich primär gegen den Kapitali-
sten . (151a)

Trotz dieser Differenzen zwischen liberalistischer, marxistischer und li-
bertärerer Kapitalismusanalyse läßt sich der Kapitalist jedoch leicht aus
diesen Analysen ableiten: Kapitalist ist jeder, der als Eigentümer von Geld-
und/oder Realkapital aus diesem Zinsen bezieht. Der Eigentümer des un-
vermehrbaren Realkapitals, des Bodens, wird auch Grundrentner ge-
nannt. Dann nennen wir nur den Eigentümer von vermehrbarem Realka-
pital und von Geldkapital Kapitalist, letzteren auch Finanzkapitalist.

Monopolisten und Spekulanten sind eine besondere Spezies von Parasi-
ten, werden jedoch von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten in der
Regel ebenfalls der Kapitalistenklasse zugeordnet. Das ist in soweit rich-
tig, als die Zinseszinsakkumulation ganz wesentlich zur Kapitalkonzen-
tration beiträgt (s. Kap. 2) und damit gerade den großen Finanzkapitali-
sten und Realkapitaleigentümern die Mittel zur Oligopol- und Monopolbil-
dung und für Spekulationen in die Hand gibt (s. Kap. 3). Es gibt aber auch
Monopole und Spekulationsmöglichkeiten, die sich z. B. aus bestimmten
Gesetzen des Staates ergeben. Dazu gehören Handelsbeschränkungen
für ausländische Unternehmen durch Zollschranken, Bevorzugungen
durch Steuervergünstigungen und Subventionen, gewerbliche Zulas-
sungsbeschränkungen, Bodenrechtsbestimmungen, öffentliche Stadtsa-
nierungsprogramme usw. So können z. B. Gutverdienende (Ärzte,
Rechtsanwälte usw.) durch die Vergünstigungen durch Abschreibungsge-
setze ohne einen einzigen Pfennig Eigenkapital und allein auf Kosten an-
derer Steuerzahler Mietshäuser erwerben, für die die minderbemittelten
Steuerzahler als Mieter auch noch Zinsen zahlen müssen und die in Berlin
zur Stadtzerstörung beigetragen haben. (108) Jene, die derartige Staatsinter-
ventionen in die Marktkwirtschaft ausnutzen können, müssen also nicht
notwendigerweise Eigentümer von Kapitalien sein. Auch Bezieher von
Arbeitseinkommen, eigentumslose und/oder verschuldeter Unterneh-
mer und oft auch ihre Lohnarbeiter können von staatlichen Eingriffen in
den Wettbewerb profitieren; sie gehen jedoch immer zu Lasten anderer
Wirtschaftssubjekte. So geht der Protektionismus in der westeuropäi-
schen Landwirtschaft zu Gunsten europäischer Bauern (in der BRD zu
Gunsten kapitalkräftiger Großbauern) und zu Lasten der Bauern der
Dritten Welt und der europäischen Steuerzahler und Verbraucher, die
Subventionierung der französischen Stahlindustrie zu Gunsten der fran-
zösischen Stahlaktionäre und Stahlarbeiter und zu Lasten der französi-
schen Steuerzahler und der dadurch arbeitslos werdenden bundesrepubli-
kanischen Stahlarbeiter, ist aber gleichzeitig ein Geschenk der französi-
schen Steuerzahler an die deutschen Stahlverbraucher (z. B. Autokäu-
fer), wenn dadurch die Stahlpreise gedrückt werden. Das alles geschieht
aus wahltaktischen Überlegungen und Klasseninteressen der Politiker
und zerstört die Regulative der Marktwirtschaft. Das sind zwar wichtige,
aber Randprobleme der staatskapitalistisch-monopolistischen Marktwirt-
schaft, der Kern der kapitalistischen Wirtschaft ist jedoch der Zins. Seine
Quelle ist das Kapital, sein Nutznießer, der Eigentümer, ist der Kapitalist.
Eine Gesellschaft, die wesentlich auf der ökonomischen Basis des zinser-
pressenden Kapitals existiert, nennen wir Kapitalismus.

Da der Zins ein arbeitsfreies Einkommen für die Kapitalisten ein-
schließlich Grundeigentümer ist, den die lohnabhängigen Arbeiter und
selbständigen Unternehmer als Produzenten ("Arbeiter") gemeinsam er-
arbeiten müssen, und da er einen ganz wesentlichen Anteil am Volksein-
kommen bzw. Sozialprodukt ausmacht (s. Kap. 2), sind vor allem die Ka-
pitalisten und weniger die Unternehmer (als solche) die Parasiten der
Marktwirtschaft. Das schließt selbstredend nicht aus, daß ein Unterneh-
mer gleichzeitig Kapitalist (und/oder Spekulant) sein kann, wie auch ein
Arbeiter mit einer popeligen Volksaktie (ohne Einflußmöglichkeiten auf
die Geschäftsführung und die ihm nur einen winzigen Teil seiner Mehrar-
beit zurückgibt und lediglich die Funktion hat, ihm sein renitentes antika-
pitalististisches Maul zu stopfen (151b)), neben seiner Eigenschaft als Arbei-
ter, auch ein ganz winziges Kapitalistchen ist. In diesem Sinne ist selbst-
verständlich auch der Genossenschaftler und Wirtschaftskommunard ein
Unternehmer, wenn er in seinem Kollektiv Unternehmerfunktionen aus-
übt, und - wenn er Miteigentümer des genossenschaftlichen Kapitals ist
(des schuldenfreien, versteht sich) - auch ein Kapitalist. (Letzteres kann
von politischer Bedeutung sein, wenn dieses "Sein" bei ihm zu pro-kapita-
listischem "Bewußtsein" führt!). Und auch ein Manager ist nicht nur
Lohnarbeiter und Unternehmer, sondern als unternehmerischer Lohnar-
beiter einer Kapitalgesellschaft auch ein Funktionär und damit "Handlan-
ger" des (Finanz-)Kapitals. Aber ein Handlanger des Kapitals ist im Kapi-
talismus und in seiner Weise schließlich auch der Bauarbeiter an der Start-
bahn West oder an der WAA Wackersdorf...

Wie wir gesehen haben, trifft jedoch Marx - ebenso wie die bürgerli-
chen Ökonomen und die Anarchophysiokraten - eine klare Unter-
scheidung zwischen Arbeiter (Lohnarbeiter im weitesten Sinne), Unter-
nehmer (leitende Arbeiter), Kapitalisten (Eigentümer des "künstlichen"
Kapitals: Maschinen, Gebäude, Waren etc.) und Grundrentner (Eigentü-
mer des "natürlichen" Kapitals: Boden, Bodenschätze, Naturkräfte).
Wenn er allerdings die Auffassung vertritt, daß "der Unternehmergewinn
kein Gegensatz zur Lohnarbeit (bildet), sondern nur zum Zins", (152) dann
bestätigt er damit zwar den von Gesell postulierten Gegensatz von Unter-
nehmer und Kapitalisten ; wenn er jedoch behauptet, "der Zins ist ein Ver-
hältnis zwischen zwei Kapitalisten (Marx meint Unternehmer und Eigen-
tümer), nicht zwischen Kapitalist und Arbeiter", (153) dann leugnet er damit
den Gegensatz von "Kapital und Arbeit"! Wer beutet dann aber die Ar-
beitskraft des Lohnarbeiters aus und wie kommt diese Ausbeutung zu-
stand, wenn nicht durch die Zinsen? Diese Fragen versucht Marx mit sei-
ner Mehrwert-Theorie zu beantworten.


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