[ Inhaltsübersicht ] | [ Zur Homepage ] | [ Zum Gästebuch ] |
Wie Marx, begreift auch Gesell die kapitalistische Gesellschaft
als eine
Klassengesellschaft, und auch er hält den Klassenkampf für
unerläßlich.
Dieser Klassenkampf muß jedoch an der richtigen Front ausgetragen
wer-
den.
Gesells Sympathien galten, obwohl selbst Unternehmer und kein
Freund der Gewerkschaften, dem Proletariat seiner Zeit; das beweisen
seine enge Freundschaft mit dem Tischlergesellen Georg Blumenthal
und seine Mitgliedschaft im "Fysiokratischen Kampfbund",
dem radika-
len proletarischen Flügel der damaligen Freiwirtschaftsbewegung
(s. Text
1). Gesell propagiert jedoch nicht den Kampf der Arbeiter gegen
die Un-
ternehmer, sondern den Kampf aller Produzenten gegen die (nicht
produ-
zierenden) Kapitalisten. Das ist ein wichtiger Unterschied zur
Position vie-
ler Marxisten, Sozialisten und Gewerkschaftler, die ihren Hauptfeind
im
Unternehmer sehen bzw. diesen mit dem Kapitalisten gleichsetzen.
Ge-
sells Differenzierung in Arbeiter und Unternehmer ("Schaffer")
einer-
seits und Kapitalisten ("Raffer") andererseits ist von
außerordentlich gro-
ßer sozialer und politischer Bedeutung (s. dazu auch Kap.
13). Sie läßt sich
sowohl mit der "bürgerlichen" als auch mit der
marxistischen Definition
von Kapital, Arbeit und Unternehmer begründen.
"Bürgerliche" Definition
In der allgemeinen, liberalistischen Volkswirtschaftslehre (Makro-Öko-
nomie) ist "Unternehmer (..), wer für eine Unternehmung
die unterneh-
merischen Funktionen erfüllt, nämlich die letztgültigen
Entscheidungen
über den Wirtschaftsplan und seine Durchführung trifft
(...)". (137) "Ein
selbständiger Unternehmer ist Inhaber eines Unternehmens",
was nicht
Eigentümer heißt! Daher kann auch ein Nicht-Eigentümer,
ein eigentums-
loser, "lohnabhängiger" Angestellter, Unternehmer
sein, z. B. ein Be-
triebsleiter, ein Direktor. "Ein angestellter Unternehmer
wird als Manager
bezeichnet." (138) A. Paulsen betont ausdrücklich: "Die
Bereitstellung von
Geld- und Sachkapital ist nicht spezifische Unternehmerleistung;
diese ist
also auch nicht mit dem Eigentum an Produktionsmitteln verbunden."
(139)
Eine betriebswirtschaftliche (mikro-ökonomische) Definition
von K.
Mellerowicz stellt diesen Tatbestand noch besonders heraus: "Als
Unter-
nehmer bezeichnen wir diejenigen Leiter von Betrieben, die unter
Ein-
satz privaten Kapitals - und damit unter Eingehen von Risiken
und
Wahrnehmung von Chancen - diejenige Kombination der Produktions-
faktoren (nach Paulsen Arbeit, Boden und Kapital; K. S.) und deren
Ver-
wertung im Absatzmarkt planmäßig erstreben, die ihnen
auf kürzere oder
längere Sicht eine möglichst große Rentabilität
des im Betriebe arbeiten-
den Eigenkapitals (das nicht ihr Kapital zu sein braucht) gewährt.
(...)
Wenn von dem Einsatz privaten Kapitals gesprochen wird, so ist
damit
nicht gesagt, daß es sich um Eigenkapital handeln muß.
Selbst der Unter-
nehmer einer Einzelfirma, der mit seinem Eigenkapital und darüber
hin-
aus mit seinem Privatvermögen haftet, verwendet in größerem
Maße
Fremdkapital. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft besitzt häufig
keine
oder nur wenig Aktien des Unternehmens, die Aktionäre sind
dagegen
meist reine Geldgeber." (140)
Unternehmer ist also ein Betriebsleiter. Und wer ist nun der
Ka-
pitalist? Könnte es der genannte Eigentümer jener Kapitalien
sein, mit de-
nen der Unternehmer (zusammen mit seinen Angestellten) arbeitet?
Dar-
auf gibt die sogenannten bürgerliche Wirtschaftswissenschaft
(verständ-
licherweise) keine klare Antwort; der Kapitalist taucht dort lediglich
in
der verschämten Verkleidung des freundlichen (fast selbstlosen)
Geldge-
bers, als Aktionär usw, auf - aber klar erkennbar als Kapitalist,
wie wir
gesehen haben, weil deutlich getrennt vom produktiv arbeitenden
Unter-
nehmer. (140a)
Marxistische Definition
Wie definiert nun Karl Marx den Kapitalisten?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas weiter ausholen.
Be-
ginnen wir mit Marxens Antipoden des Kapitalisten, dem "Lohnabeiter".
Wie Quesnays Physiokraten und die Gesellschen Neophysiokraten,
geht
auch Marx von der menschlichen Arbeitskraft als dem einzigen (Arbeits-)
"Werte" schaffenden Faktor in der Volkswirtschaft aus.
Doch dazu sind
naturgegebene (Boden, Wasserkraft etc.) und kulturhistorisch geschaffe-
ne (Maschinen etc.) Hilfsmittel notwendig. Wer lediglich Eigentümer
sei-
ner Arbeitskraft ist, ist gezwungen, sie an den Besitzer oder
Eigentümer
dieser Produktionsmitteln gegen einen Lohn zu verkaufen. Das macht
ihn
zum abhängigen Lohnarbeiter. In der Lohnhöhe drückt
sich der Preis der
Ware Arbeitskraft aus. Er kommt nach Marx entsprechend den Gesetzen
der Mehrwert-Theorie zustande (s. Kap.11). Jederzeit durch Einstellun-
gen und Entlassungen mengenmäßig veränderbar,
erscheinen die Ware
Arbeitskraft bzw. die Lohnkosten als "variables Kapital"
im Produktions-
prozeß.
Im Gegensatz dazu nennt Marx die ("fixen") Produktionsmittel,
wie
Maschinen, Boden etc., und die ("zirkulierenden") Rohstoffe,
"konstan-
tes Kapital". (Das "Handels-" oder "Kaufmannskapital"
ist heute "Teil
des im Zirkulationsprozeß fungierenden industriellen Kapitals".
(141)) Ihr
Besitzer, jener also, der über dieses Produktivkapital und
die menschliche
Arbeitsskraft verfügt, verwendet dieses, um "Profit"
zu machen. Ist er Ei-
gentümer des Kapitals und gleichzeitig "Nichtarbeiter",
(142) dann ist er Ka-
pitalist. Er erhält dann den gesamten Profits ("Gewinn"
plus "Zinsen"),
aber nicht den "Unternehmerlohn". Legt er selbst Hand
an im Arbeits-
prozeß - als selbständiger Unternehmer, als "kleiner
Meister" - dann
ist er "ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter".
(143) Genauer ge-
sagt: er ist beides. Folglich sackt er dann, neben dem gesamten
Profit (Ge-
winn plus Zinsen), auch den Unternehmerlohn ein. Ist er außerdem
auch
Eigentümer des Bodens, dann ist er auch Grundrentner und
kassiert auch
noch die ."Grundrente", also den Unternehmerlohn plus
den gesamten
Mehrwert" (Gewinn, Zins und Rente).
Den Unternehmer nennt Marx den "fungierenden Kapitalisten",
weil er
die Aufgabe hat, "Mehrwert, d. h. unbezahlte Arbeit, zu produzieren".
Als "Nichteigentümer" ist er "Arbeiter",
wie Marx ausdrücklich (kursiv)
hervorhebt. Für seine Tätigkeit als Organisator des
Produktions- und Zir-
kulationspsrozesses und der "Profitmaximierung" erhält
er einen Unter-
nehmer-"Lohn". Das gilt für den selbständigen
Unternehmer ebenso, wie
für den angestellten Unternehmer den Manager. Als "Arbeitslohn"
exi-
stiert er nach Marx allerdings nur im "Hirnkasten" des
Unternehmers (144)
wenn der Unternehmer primär als Handlanger des Kapitalisten
(und
Grundrentner) fungiert. "Vom Kapital getrennt, ist aber der
Produktions-
prozeß Arbeitsprozeß überhaupt. Der industrielle
Kapitalist, als unter-
schieden vom Kapitaleigentümer, erscheint daher nicht als
fungierendes
Kapital, sondern als Funktionär auch abgesehen vom Kapital,
als einfa-
cher Träger des Arbeitsprozeses überhaupt, als Arbeiter,
und zwar als
Lohnarbeiter." (145)
Aha! In einer nicht-kapitalistischen Wirtschaft würde der
Unternehmer
also einen wohlverdienten Lohn für produktive und gesellschaftlich
nütz-
liche Arbeit erhalten. - Auch in einer vom Kapitalismus freien
Markt-
wirtschaft?
Als letzter Darsteller in Marxens Drama 'Das Kapital' betritt
nun eine
Figur die Bühne, die jene Krankheit verkörpert, die
mit ihrem Virus Zins
die gesamte Marktwirtschaft vergiftet: der "Geldkapitalist".
Doch die
Rolle, die Marx diesem eigentlichen Hauptdarsteller in diesem
Drama zu-
gedacht hat, ist schwach und unbestimmt. Als Kreditgeber liefert
er zwar
mit der in seien Geldschätzen "geronnenen" Arbeitskraft
die notwendige
Voraussetzung für die Entwicklung des Industriekapitalismus;
Marx
meint jedoch, er würde als "Wucherkapitalist" nur
so ganz nebenbei "ei-
nen Teil des Profits in Zins verwandeln" (146) (immerhin
die "naturwidrig-
ste" Einkommensquelle, wie Marx Aristoteles zitiert (147).
Denn ganz im
Sinne seiner klassischen Lehrmeister glaubt Marx, daß der
Zins keine ei-
genständige Kategorie ist, sondern erst durch den Profit
konstituiert wird:
daß erst "die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten
und indu-
striellen Kapitalisten (...) überhaupt die Kategorie des
Zinses schafft:
und es (..) nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden Sorten Kapitali-
sten (ist), die den Zinsfuß schafft". (148) Und ganz
dicke kommts, wenn er
behauptet, die Entwicklung des heutigen Kreditwesens sei nichts
anderes
als eine "Reaktion gegen den Wucher" und "bedeutet
nichts mehr und
nichts weniger als die Unterordnung des zinstragenden Kapitals
unter die
Bedingungen und Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise".
(149)
Die heutigen Finanziers sind also den Produzenten in Brasilien
Me-
xiko, Polen etc. untergeordnet! Eine fatale Unterschätzung
der Rolle, die
das (heutige) Geld, der Zins und das Finanzkapital auf den Bühnen
aller
Volkswirtschaften spielen!
Daß hier ein kapitaler Irrtum in der marxistischen Wirtschaftstheorie
vorliegt, beweist die marxistische Verschuldungspraxis im "real
existie-
renden Sozialismus". Dort hat sich aus Unkenntnis der wahren
monetä-
ren Zusammenhänge und nach Marxens eigener Definition z.
B. die "Av-
antgarde des Proletariats", die "revolutionäre"
kommunistische "Arbei-
ter"-Partei der "Volks"-Republik Polen mit ihrer
Verschuldungspraxis
zum "fungierenden Kapitalisten" für die Zinsinteressen
des westlichen Fi-
nanzkapitals gemacht. Diese Tatsache entlarvt die marxistische
Wirt-
schaftstheorie als zahnlosen Papiertiger und machr ihre Verfechter
objek-
tive zu Bundesgenossen des Kapitals.
Nun gab und gibt es allerdings Banken, die die Produzenten vom
"Zins-
wucher" zu befreien suchten und suchen (s. Kap.1). Doch das
sind Pro-
jekte, die mit der geplanten Tauschbank von Marxens Erzfeind Proudhon
verwandt sind und die durchaus nicht beabsichtigen, der "kapitalistischen
Produktionsweise" zu dienen. Statt dessen versuchen sie,
den Kern des
Kapitalismus: den Zins, zu überwinden und die Zirkulation
sicherzustel-
len.
Anarcho-physiokratische Definition
Unabhängig von seinem mangelhaften Geld- und Zinsverständnis,
unter
scheidet Marx, wie auch Gesell und wie die wert-orientierten klassischen
und - weniger konsequent - die preis-orientierten modernen Ökono-
men, zwischen dem unselbständigen Lohnarbeiter, dem selbständi-
gen "Arbeiter" Unternehmer, dem lohnabhängigen
Unternehmer Ma-
nager, dem Grundrentner als Eigentümer des unvermehrbaren
Natur-
produkts Boden und den Kapitalisten, unterteilt in den Eigentümer
von vermehrbarem Realkapital und den Eigentümer von Finanzkapi-
tal. Der Aktionär nimmt eine Zwitterstellung ein: er ist
sowohl Geld-
geber wie auch Eigentümer von Sachkapital. Als Großaktionär
eignet
sich der Finanzkapitalist Produktionsstätten, Vertriebsmittel
und Kredit-
institute in marktbeherrschender Menge an (s. Kap. 3).
Diesen Begriffen entsprechend, von dieser Gliederung jedoch abwei-
chend und das Kapitalverhältnis verschleiernd, unterscheidet
die liberali-
stische Theorie die Einkommen dieser Klassen in den Lohn der "Arbeit-
nehmer" einschließlich Manager, in den Gewinn des Unternehmens
und
in den Zins für das eingesetzte Fremdkapital. Der Gewinn
setzt sich zu-
sammen aus dem Unternehmerlohn des "selbständigen"
Unternehmers,
dem Kapitalzins des Eigenkapitals (Rendite für Eigentümer
und Unter-
nehmensteilhaber, Dividenden für Aktionäre etc.) und
aus eventuellen
Monopolgewinnen (Spekulationsgewinne werden als gesonderte Katego-
rie geführt). Der Zins an das Fremdkapital wird unterteilt
in Geldzins
(Zins an unternehmensfremde Geldgeber) und Bodenzins (Rente an
un-
ternehmensfremde Grundeigentümer). (150)
Marx unterscheidet in klarer Abgrenzung zum Kapital den Lohn des
Lohnarbeiters und Unternehmers vom Profit des Unternehmers und
von
der Grundrente des Grundeigentümers. Der Profit setzt sich
zusammen
aus dem Gewinn des Unternehmers und dem Zins des Geldkapitalisten,
wobei zum Gewinn Monopol- wie Spekulationsgewinne, aber auch be-
stimmte Entgelte für spezifisch kapitalistische Unternehmerleistungen
gehören. Profit und Rente ergeben zusammen den Mehrwert.
Marx:
"Profit (Unternehmergewinn plus Zins) und Rente sind nichts
als eigen-
tümliche Formen, welche besondere Teile des Mehrwerts der
Ware anneh-
men. (...) Durchschnittsprofit plus Rente sind (..) gleich dem
Mehr-
wert." (151)
Bei dem "Klassiker" Marx fällt allerdings auch
der Geldzins unter den
Oberbegriff Profit. Der Begriff Rendite, der Zins des vermehrbaren
Real-
kapitals, taucht jedoch bezeichnenderweise bei ihm nicht auf,
obwohl der
Kapitalzins ein Teil des Profits ist. Er ist ein Begriff der Zinstheorie
und
dort gewissermaßen das "Äquivalent" des Geldzinses.
Da jedoch in Mar-
xens Ausbeutungstheorie (verkürzt gesagt) der Profit den
Zins und nicht
der Zins den Profit bewirkt und der Profit entsprechend der Mehrwert-
theorie entsteht (s. Kap.11), hat der Begriff Kapitalzins dort
keine Funk-
tion.
Trotz gewisser Gemeinsamkeiten liegt der Unterschied zwischen
marxi-
stischer und liberalistischer Klassen- und Einkommensanalyse darin,
daß
die bürgerlichen Ökonomen neben dem privaten Unternehmer
und dem
Unternehmerlohn auch den Zins, die Rendite und die Rente nicht
in Fra-
ge stellen, während Marx den "Mehrwert" durch die
Beseitigung des pri-
vaten Unternehmers überwinden will. Den Mehrwert haben seine
Apolo-
geten jedoch in den Zinstributen an das Finanzkapital und in den
Privile-
gien und Gehältern einer aufgeblasenen Bürokratie von
Staatsbeamten
und -managern im "realen Sozialismus" mit Hilfe der
Staatsgewalt fest
verankert.
Gesell wie Proudhon bezeichnen, ähnlich wie Marx, den Unternehmer
als Produzenten, akzeptieren aber nicht nur den Unternehmerlohn
eben-
so als Arbeitseinkommen wie den Lohn des Lohnarbeiters, sondern
auch
den privaten Unternehmer. Anders als Marx und ähnlich wie
Keynes un-
terscheiden sie klar zwischen Arbeiter und Unternehmerlohn einerseits
und Zins aus vermehrbarem und unvermehrbarem Realkapital und aus
Geldkapital andererseits. Sie wenden sich primär gegen den
Kapitali-
sten . (151a)
Trotz dieser Differenzen zwischen liberalistischer, marxistischer
und li-
bertärerer Kapitalismusanalyse läßt sich der Kapitalist
jedoch leicht aus
diesen Analysen ableiten: Kapitalist ist jeder, der als Eigentümer
von Geld-
und/oder Realkapital aus diesem Zinsen bezieht. Der Eigentümer
des un-
vermehrbaren Realkapitals, des Bodens, wird auch Grundrentner
ge-
nannt. Dann nennen wir nur den Eigentümer von vermehrbarem
Realka-
pital und von Geldkapital Kapitalist, letzteren auch Finanzkapitalist.
Monopolisten und Spekulanten sind eine besondere Spezies von
Parasi-
ten, werden jedoch von Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten
in der
Regel ebenfalls der Kapitalistenklasse zugeordnet. Das ist in
soweit rich-
tig, als die Zinseszinsakkumulation ganz wesentlich zur Kapitalkonzen-
tration beiträgt (s. Kap. 2) und damit gerade den großen
Finanzkapitali-
sten und Realkapitaleigentümern die Mittel zur Oligopol-
und Monopolbil-
dung und für Spekulationen in die Hand gibt (s. Kap. 3).
Es gibt aber auch
Monopole und Spekulationsmöglichkeiten, die sich z. B. aus
bestimmten
Gesetzen des Staates ergeben. Dazu gehören Handelsbeschränkungen
für ausländische Unternehmen durch Zollschranken, Bevorzugungen
durch Steuervergünstigungen und Subventionen, gewerbliche
Zulas-
sungsbeschränkungen, Bodenrechtsbestimmungen, öffentliche
Stadtsa-
nierungsprogramme usw. So können z. B. Gutverdienende (Ärzte,
Rechtsanwälte usw.) durch die Vergünstigungen durch
Abschreibungsge-
setze ohne einen einzigen Pfennig Eigenkapital und allein auf
Kosten an-
derer Steuerzahler Mietshäuser erwerben, für die die
minderbemittelten
Steuerzahler als Mieter auch noch Zinsen zahlen müssen und
die in Berlin
zur Stadtzerstörung beigetragen haben. (108) Jene, die derartige
Staatsinter-
ventionen in die Marktkwirtschaft ausnutzen können, müssen
also nicht
notwendigerweise Eigentümer von Kapitalien sein. Auch Bezieher
von
Arbeitseinkommen, eigentumslose und/oder verschuldeter Unterneh-
mer und oft auch ihre Lohnarbeiter können von staatlichen
Eingriffen in
den Wettbewerb profitieren; sie gehen jedoch immer zu Lasten anderer
Wirtschaftssubjekte. So geht der Protektionismus in der westeuropäi-
schen Landwirtschaft zu Gunsten europäischer Bauern (in der
BRD zu
Gunsten kapitalkräftiger Großbauern) und zu Lasten
der Bauern der
Dritten Welt und der europäischen Steuerzahler und Verbraucher,
die
Subventionierung der französischen Stahlindustrie zu Gunsten
der fran-
zösischen Stahlaktionäre und Stahlarbeiter und zu Lasten
der französi-
schen Steuerzahler und der dadurch arbeitslos werdenden bundesrepubli-
kanischen Stahlarbeiter, ist aber gleichzeitig ein Geschenk der
französi-
schen Steuerzahler an die deutschen Stahlverbraucher (z. B. Autokäu-
fer), wenn dadurch die Stahlpreise gedrückt werden. Das alles
geschieht
aus wahltaktischen Überlegungen und Klasseninteressen der
Politiker
und zerstört die Regulative der Marktwirtschaft. Das sind
zwar wichtige,
aber Randprobleme der staatskapitalistisch-monopolistischen Marktwirt-
schaft, der Kern der kapitalistischen Wirtschaft ist jedoch der
Zins. Seine
Quelle ist das Kapital, sein Nutznießer, der Eigentümer,
ist der Kapitalist.
Eine Gesellschaft, die wesentlich auf der ökonomischen Basis
des zinser-
pressenden Kapitals existiert, nennen wir Kapitalismus.
Da der Zins ein arbeitsfreies Einkommen für die Kapitalisten
ein-
schließlich Grundeigentümer ist, den die lohnabhängigen
Arbeiter und
selbständigen Unternehmer als Produzenten ("Arbeiter")
gemeinsam er-
arbeiten müssen, und da er einen ganz wesentlichen Anteil
am Volksein-
kommen bzw. Sozialprodukt ausmacht (s. Kap. 2), sind vor allem
die Ka-
pitalisten und weniger die Unternehmer (als solche) die Parasiten
der
Marktwirtschaft. Das schließt selbstredend nicht aus, daß
ein Unterneh-
mer gleichzeitig Kapitalist (und/oder Spekulant) sein kann, wie
auch ein
Arbeiter mit einer popeligen Volksaktie (ohne Einflußmöglichkeiten
auf
die Geschäftsführung und die ihm nur einen winzigen
Teil seiner Mehrar-
beit zurückgibt und lediglich die Funktion hat, ihm sein
renitentes antika-
pitalististisches Maul zu stopfen (151b)), neben seiner Eigenschaft
als Arbei-
ter, auch ein ganz winziges Kapitalistchen ist. In diesem Sinne
ist selbst-
verständlich auch der Genossenschaftler und Wirtschaftskommunard
ein
Unternehmer, wenn er in seinem Kollektiv Unternehmerfunktionen
aus-
übt, und - wenn er Miteigentümer des genossenschaftlichen
Kapitals ist
(des schuldenfreien, versteht sich) - auch ein Kapitalist. (Letzteres
kann
von politischer Bedeutung sein, wenn dieses "Sein" bei
ihm zu pro-kapita-
listischem "Bewußtsein" führt!). Und auch
ein Manager ist nicht nur
Lohnarbeiter und Unternehmer, sondern als unternehmerischer Lohnar-
beiter einer Kapitalgesellschaft auch ein Funktionär und
damit "Handlan-
ger" des (Finanz-)Kapitals. Aber ein Handlanger des Kapitals
ist im Kapi-
talismus und in seiner Weise schließlich auch der Bauarbeiter
an der Start-
bahn West oder an der WAA Wackersdorf...
Wie wir gesehen haben, trifft jedoch Marx - ebenso wie die bürgerli-
chen Ökonomen und die Anarchophysiokraten - eine klare Unter-
scheidung zwischen Arbeiter (Lohnarbeiter im weitesten Sinne),
Unter-
nehmer (leitende Arbeiter), Kapitalisten (Eigentümer des
"künstlichen"
Kapitals: Maschinen, Gebäude, Waren etc.) und Grundrentner
(Eigentü-
mer des "natürlichen" Kapitals: Boden, Bodenschätze,
Naturkräfte).
Wenn er allerdings die Auffassung vertritt, daß "der
Unternehmergewinn
kein Gegensatz zur Lohnarbeit (bildet), sondern nur zum Zins",
(152) dann
bestätigt er damit zwar den von Gesell postulierten Gegensatz
von Unter-
nehmer und Kapitalisten ; wenn er jedoch behauptet, "der
Zins ist ein Ver-
hältnis zwischen zwei Kapitalisten (Marx meint Unternehmer
und Eigen-
tümer), nicht zwischen Kapitalist und Arbeiter", (153)
dann leugnet er damit
den Gegensatz von "Kapital und Arbeit"! Wer beutet dann
aber die Ar-
beitskraft des Lohnarbeiters aus und wie kommt diese Ausbeutung
zu-
stand, wenn nicht durch die Zinsen? Diese Fragen versucht Marx
mit sei-
ner Mehrwert-Theorie zu beantworten.
[ Inhaltsübersicht ] | [ Zur Homepage ] | [ Zum Gästebuch ] |