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P. J. Proudhon
Da keine Theorie vollkommen ist, müßte nach dem Gesetz
der Wahr-
scheinlichkeit auch in der Geld- und Zinslehre Gesells ein Fehler
stecken.
In der Tat weist sie immerhin eine Unvollständigkeit auf,
auf die John
Maynard Keynes in seiner 'Allgemeinen Theorie' hingewiesen hat.
(80) Dort
bescheinigt er Gesell zwar, daß dieser - wie er selbst und
anders als die
Klassiker einschließlich Marx - "deutlich zwischen
dem Zinsfuß und der
Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals", also zwischen
Geldzins und Kapi-
talzins, unterscheide, und daß er erkannt habe, "daß
es der Zinsfuß (des
Geldes; K. S.) ist, welcher der Wachstumsrate des Realkapitals
(und da-
mit auch einem Absinken des Kapitzinses; K. S.) eine Grenze setzt",
und
"daß der Zinsfuß eine reine geldliche Erscheinung
ist". Das beweise Ge-
sell mit der Beobachtung, daß der reale Zinsfuß des
Geldes (Nominalzins
minus Inflations- bzw. plus Deflationsrate) - anders als die Grenzlei-
stungsfähigkeit des Produktivkapitals (der Kapitalzins) -
durch alle
Zeitalter hindurch (relativ) beständig geblieben ist. (81)
Gesell "zeigt, daß es
nur das Bestehen eines Geldzinsfußes ist, der es möglich
macht, aus dem
Ausleihen von Warenvorräten ein Erträgnis (den Kapitalzins;
K. S.) zu er-
zielen" - eine außerordentlich wichtige Einsicht! Gesells
Robinsonade
in der Natürlichen Wirtschaftsordnung (18) sei "eine
ganz ausgezeichnete
wirtschaftliche Parabel - so gut wie nur irgend etwas dieser Art,
was ge-
schrieben wurde -, um diesen Punkt darzulegen" (s. Text 3).
Gesells Zinstheorie habe jedoch "einen großen Fehler",
meint Keynes.
Gesell erkläre zwar, "warum der Geldzinsfuß im
Gegensatz zu den mei-
sten Warenzinssätzen nicht negativ sein kann, übersehe
aber vollständig
die Notwendigkeit einer Erklärung, warum der Geldzinsfuß
positiv ist,
und er unterläßt es, zu erklären, warum der Geldzinsfuß
nicht durch den
Standard beherrscht wird (wie dies von der klassischen Schule
behauptet
wird), der vom Erträgnis produktiven Kapitals gesetzt wird."
Gesell erklärt den Zins und seine Positivität durchaus,
und zwar damit,
daß das Geld - anders als die übrigen Waren - wegen
seiner fehlenden
Durchhaltekosten eine Vormachtstellung besitzt, die ihm einen
"Bonus"
(Keynes) auf dem Markt verschafft. Da das eine Vorzug vor den
anderen
Waren ist, muß der daraus resultierende "Urzins"
positiv sein.
Gesell hat allerdings nicht eingehend erklärt, warum "gehortet"
und
warum lieber das Tauschmittel Geld verschatzt wird, als z. B.
Edelmetalle
und Edelsteine. Keynes kritisiert daher, daß ihm ein anderer,
besonders
wichtiger Faktor zur Erklärung des Zinses, "daß
ihm die Vorstellung der
Vorliebe für Liquidität entgangen" sei und er daher
- trotz "Einfälle tie-
fer Einsicht" - "nur gerade eben verfehlte, bis zum
Kern der Sache vor-
zudringen".
Nach Keynes haben die Menschen eine "natürliche"
Sparneigung und
eine "Liquiditätsvorliebe", ein Interesse daran,
ihre Ersparnisse jederzeit
und an jedem Ort verfügbar zu haben (z. B., um preisgünstige
Angebote
wahrnehmen zu können, zu Spekulationszwecken auf dem Waren-,
Devi-
sen-, Wertpapier- und Grundstücksmarkt usw. ). Die liquideste
("flüssig-
ste") Sparform ist 1. die Bargeldhortung (Kassenhaltung)
und 2. die Giral-
geldhortung. Den Verzicht auf diese Liquiditätsformen läßt
sich der Geld-
besitzer durch eine Prämie vom Geldleiher - von jenem, dem
er diese
Liquidität überträgt - bezahlen: mit der "Liquiditäts(verzichts)prä-
mie". Die untere Grenze - das, was der Sparer für die
Aufgabe der Li-
quidität mindestens verlangt - entspricht der unteren Grenze
des Gesell-
schen "Urzinses": 3% Netto- oder Realzins. Die obere
Grenze entspricht
dem Kreditzins, dem Zins, den der Kreditnehmer seiner Bank zahlt.
Die-
ser Bruttozins setzt sich zusammen aus dem Urzins, der Hausseprämie
(bzw. der Inflationsausgleichsrate), der Risikoprämie, den
Kreditverwal-
tungskosten und aus einem Teil des Diskontzinses. (82) Die Höhe
dieser Liquiditätsprämie ergibt sich aus der Art des
Kredits und aus
dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Liquidität
auf dem
Geld- und Kreditmarkt. Sie kann jedoch nicht wesentlich unter
den unte-
ren Urzinsfuß von 3% fallen - solange keine Durchhaltekosten
das Li-
quiditätsangebot auf dem Kreditmarkt verstärken.
Dieter Suhr belegt, daß Gesell diesen Liquiditätsvorteil
des Geldes
durchaus nicht völlig übersehen hat. Gesell zeigt am
Beispiel des Wech-
sels, daß dieser eine geringere Liquidität besitzt,
als das bare Geld, und
zwar, weil er weniger beweglich ist als Geld, da er "nur
von einer Vertrau-
enshand in die andere" kommt, "nicht teilbar genug"
und "an bestimmte
Gesetze" und "bestimmte Zeiten und Orte gebunden"
ist. (83) Nicht von
Geld gedeckt, würde er einen geringeren Zinsfuß haben
als Bargeld, was
Proudhon offenbar auf die Idee brachte, den Warenaustausch mit
durch
Waren gedeckten Wechseln und eine Tauschzentrale zu organisieren.
Suhr hat außerdem darauf hingewiesen, daß Gesell
einen anderen wich-
tigen Vorzug des Geldes behandelt hat, den wiederum Keynes vernachläs-
sigt hat: daß im Tauschverkehr Ware - Geld - Ware Kosten
gespart wer-
den. Denn es ist billiger, Geld als Tauschvermitter zu nutzen,
als Ware ge-
gen Ware direkt oder über eine Tauschbank auszutauschen.
Diesen Vor-
teil lassen sich diejenigen mit Zinsen bezahlen, die den Fabrikanten,
Händlern, Lohnempfängern und Verbrauchern ihr angesammeltes
Geld
als Tauschmittel zur Verfügung stellen. (84)
Das Geld hat also drei Vorzüge, die zum positiven Zins führen:
1. Es
eignet sich vorzüglich als Sparmittel, da es keine Durchhaltekosten
verur-
sacht (Gesell); 2. es besitzt einen höheren Liquiditätswert
als andere Spar-
mittel (Gesell/Keynes); 3. es hat einen erheblichen Transaktionskosten-
vorteil vor anderen Tauschmitteln und -verfahren (Gesell/Suhr).
Diese
Vorzüge machen das Geld zum "König des Tausches"
(Proudhon), verlei-
hen ihm seine "Joker"-Stellung auf dem Markt (Suhr).
Durchhaltekosten für Geld
Obwohl Gesells Theorie unvollständig ist, schreibt Keynes,
habe er sie
"weit genug entwickelt, um zu einem praktischen Schluß
zu kommen, der
den Kern dessen in sich tragen mag, was notwendig ist", um
diesen Be-
herrscher der Volkswirtschaft vom Thron zu stoßen. Mit diesem
"praktischen Schluß" meint Keynes die von Gesell
vorgeschlagene Bela-
stung des Geldes mit "Durchhaltekosten". Die vorgeschlagene
"Form",
mit der Keynes offenbar das von Gesell entwickelte Klebemarken-Verfah-
ren bzw. das von seinem Fachkollegen Irving Fisher in USA propagierte
"Stempelgeld"-Verfahren (85) meint, hielt er allerdings
für "nicht durchführ-
bar". Die Praxis hat diese Einschätzung jedoch widerlegt.
Außerdem sind
heute längst praktikablere Techniken entwickelt worden, die
sich auch im
nationalen und Weltmaßstab praktizieren ließen. (65)
Desweiteren war Keynes nicht mit der Höhe der Durchhaltekosten
ein-
verstanden. Seiner Meinung nach würden die von Gesell anvisierten
5,2% p. a. "unter den bestehenden Verhältnissen zu hoch
sein, aber die
richtige Zahl, die von Zeit zu Zeit geändert werden müßte,
könnte nur
durch Versuch und Irrtum erreicht werden". Nach Keynes Meinung
sollte
der Preis der Marken "ungefähr gleich dem Überschuß
des Geldzinsfußes
(...) über diejenige Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals
sein, die einer
Rate der Neuinvestitionen entspricht, die mit Vollbeschäftigung
verein-
bar ist".
Schließlich bestünde eine besondere Schwierigkeit,
auf die Gesell nicht
gefaßt gewesen sei: "daß das Geld nicht einzigartig
darin ist, daß ihm eine
Liquititätsprämie anhaftet, sondern in dieser Beziehung
nur im Grad von
vielen anderen Waren abweicht". Ersatzmittel für Liquidität
wären z. B.
"Bankgeld, täglich abrufbare Darlehen, ausländisches
Geld, Juwelen und
die Edelmetalle im allgemeinen" und der Boden.
Ganz abgesehen davon, daß Gesell durchaus die unterschiedlichen
Li-
quiditätswerte einzelner Güter bewußt waren (s.
Wechsel-Beispiel,
oben), ist dazu folgendes zu sagen: "Bankgeld" (Buchgeld)
kann oder
soll ebenfalls mit Liquiditätsgebühren belastet werden;
sie können direkt
vom Bankkonto abgebucht werden.
"Ausländisches Geld" (Devisen) - vorausgesetzt,
es unterliegt keinen
Durchhaltekosten·, z. B. inflationistischen - würde
nach dem Gresham-
schen Gesetz (66) als "gutes" (wertbeständiges)
Geld vom "schlechten" (mit
Durchhaltekosten versehenem und nur als Tauschmittel fungierendem)
Schwundgeld aus der Zirkulation weitgehend verschwinden und dort
kein
Störfaktor mehr sein. Es fungiert nur noch als harmloses
Sparmittel.
Juwelen, Edelmetalle etc. unterliegen ebenfalls dem Greshamschen
Gesetz. Auf Grund ihrer geringen Durchhaltekosten werden gerade
sie
bei Einführung von Durchhaltekosten für Geld als Sparmittel
Verwen-
dung finden und somit nicht im Wirtschaftskreislauf zirkulieren.
Benötigt
der Besitzer seine "gesparten" Wertgegenstände
als Investitions- und
Kaufmittel, dann wird er kaum mit diesen Edelsteinen, Goldbarren
oder
Bildern von Picasso einen Espresso, eine Hose, eine Fahrkarte,
eine Nek-
kermann-Reise, eine Drehbank oder seine Miete bezahlen können.
Wer
kann und will jedesmal das Gewicht und den Feingehalt des Goldes,
den
Wert der Juwelen und Gemälde feststellen? Er wird seine Wertsachen
ge-
gen das liquidere Geld eintauschen müssen. Das aber ist mit
Kosten ver-
bunden: entweder muß er sich als Händler betätigen,
was einen Ar-
beitsaufwand erfordert, oder er muß seine Wertsachen einem
Händler
verkaufen, der von ihrem Marktpreis eine Handelsspanne abzieht.
Außerdem unterliegen sie z. T erheblichen Preisschwankungen.
Das min-
dert ihren Liquiditätswert, damit auch ihren Wert als Kreditmittel
und
folglich auch ihre Liquidiätsprämie: den Zins.
Juwelen und ungeprägte Edelmetalle eignen sich unter Umständen
als Sparmittel, schon weniger gut als Kreditmittel, kaum als Tauschmittel.
Daran ändert auch die Belastung des Bar- und Giralgeldes
mit Durchhal-
tekosten nichts. Erst wenn auch Sparkonten mit höheren Durchhalteko-
sten belastet werden würden, als ihr Liquiditätsvorteil
vor den Sachwer-
ten ausmacht, würden die Wirtschaftssubjekte es vorziehen,
in Form von
Gold und Juwelen zu sparen. In jedem Falle wäre jedoch die
Trennung der
Tauschfunktion (die dann ausschließlich dem Geld vorbehalten
bliebe)
und der Sparfunktion des Geldes (die dann Sparguthaben und/oder
Sach-
werte übernehmen würden) vollzogen und damit "der
Zweck der Geldre-
form erreicht" (Winkler (86)).
Der mögliche Einwand, unregelmäßiges Anlegen
und Auflösen von
Gold- und Juwelenschätzen könnte dann zu Konjunkturschwankungen
führen, ist unbegründet. Denn mit entsprechenden Veränderungen
der
Geldmenge und eventuell auch des Gelddurchhaltekosten-Satzes ließe
sich dem, falls dieses Problem überhaupt auftaucht, leicht
entgegenwir-
ken.
Für die Höhe des Zinsfußes eines Edelmetall-
oder Juwelenhortes ist
gewiß nicht ohne Bedeutung, daß - wie Keynes sagt
- das Geld "eine
größere Liquiditätsprämie als irgend eine
andere Ware hat" (Hervorhe-
bung von Keynes!) und daß dieses für Geld "fundamental"
ist. (87) Die Li-
quiditätsprämie von Edelsteinen und -metallen muß
demnach also niedri-
ger sein, als zumindest jene des heutigen Geldes.
Gilt das auch für den Zinsfuß von Juwelen und Edelmetallen,
wenn die-
se mit dem Schwundgeld konkurrieren müssen? Diese Frage beantwortet
die Keynessche Zinsformel. (88) Da sie für die Erklärung
der Ursprünge der
unterschiedlichen Zinsarten und auch für die Zinstheorien
Gesells und
Proudhons außerordentlich aufschlußreich ist, will
ich sie näher erläu-
tern.
Keynes' Zinsformel
Nach Keynes kommt der Zins durch die Summe von drei einem Wirt-
schaftsgut anhaftende Faktoren zustande: den "Ertrag"
aus der Nutzung
des Gutes minus den "Durchhaltekosten" dieses Gutes
plus seinen "Li-
quiditätswert". Diese drei Faktoren q, c und l, bezogen
auf 100 Wertein-
heiten und auf eine Nutzungsdauer von einem Jahr, ergeben z, den
Zins-
satz oder Zinsfuß eines Gutes:
z = q - c + l
Der Ertrag (q) ist der Gewinn aus der wirtschaftlichen Nutzung
eines
Gutes, ein Ergebnis seiner besonderen Produktivitätssteigerung
der
menschlichen Arbeitskraft und/oder seiner günstigen Marktlage.
Produk-
tiv im Sinne Keynes' ist z. B. Werkzeug, also Kapital (k), ebenso
Boden
(b), nicht aber Geld (g). Das Geld hat jedoch einen außerordentlich
ho-
hen Liquiditätswert (l); bei Kapital und Boden ist er etwa
gleich Null. Ka-
pitalien - Produktionsmittel, Gebrauchsgüter (z. B. Wohnhäuser)
und
Waren - verursachen jedoch unterschiedlich hohe Durchhaltekosten
(c).
Geld unterliegt Durchhaltekosten nur bei Inflation; bei Deflation
sind sie
sogar negativ: bei Hortung eines Geldschatzes steigt seine Kaufkraft
im
Laufe der Zeit! Bei Festwährung - von ihr gehen wir aus -
sind sie
gleich Null. Auch der Boden verursacht keine Durchhaltekosten;
bei Bo-
denwertsteigerung sind auch sie negativ.
Die Werte von q (yield/output), c (wastage/carrying cost) und
l (liquidi-
ty-premium) beziehen sich, wie gesagt, immer auf den einjährigen
Ein-
satz eines Gutes im Wert von 100 einer Währungseinheit. Wenn
wir in die
folgenden Formeln für den Geldzinsfuß (gz), den Kapitalzinsfuß
(kz) und
den Bodenzinsfuß (bz) die der Realität in etwa entsprechenden
Werte des
Ertrags (q), der Durchhaltekosten (c) und der Liquidität
(l) einsetzen, die
sich bei den drei Güter-(Kapital-)arten Geld, Kapital (im
engeren Sinne)
und Boden in Prozenten und in einem Jahr ergeben, und sie miteinander
vergleichen, dann erkennen wir die Eigentümlichkeiten und
qualitativen
Unterschiede dieser drei Kapitalarten und das jeweils spezifische
Zustan-
dekommen ihrer Zinsarten: des Geldzinses, der Kapitalrendite und
der
Bodenrente:
gz = 0 - 0 + 5 = 5
kz = 10 - 5 + 0 = 5
bz = 3 + 2 + 0 = 5
Wir sehen: Geld ist Liquidität schlechthin (in unserem Zahlenbeispiel
l= 5; wir sollten hier jedoch seinen Transaktionswert als mit
einbezogen
betrachten (88a)). Kapital bedeutet Kosten (c = 5) und Ertrag
(q = 10), Bo-
den Ertrag (q = 3) plus Wertzuwachs (c = - 2).
Können wir auch für den vierten Wirtschaftsfaktor,
die menschliche
Arbeit, einen Zinsfuß errechnen? Für den "freien"
Arbeiter nicht. Zwar
hat auch er einen hohen Produktivitätswert und hohe Durchhaltekosten
in Form seiner Reproduktionskosten, er hat jedoch nicht nur keinen
Li-
quiditätswert, sondern auch keinen Preis, der auf ihn als
Träger der Ar-
beitskraft selbst bezogen wäre: nicht der ganze Mensch, sondern
nur sei-
ne Leistung ist käuflich. Statt eines Zinses bezieht er aus
dieser Leistung
einen Arbeitsertrag.
Anders beim Sklaven. Er ist, wie eine Maschine, käuflich.
In ihn kann
also Zins forderndes Geld investiert werden, und wie bei einer
Maschine,
muß der Ertrag des Sklaven mindestens seine Durchhaltekosten
und die-
sen Zinsfuß abdecken. Der Sklave erhält für seinen
Lebensunterhalt nur
diese Durchhaltekosten. Der Überschuß fällt seinem
Besitzer als Rendite
zu. Hier wird der Unterschied zwischen jeder Form eines freien
Arbei-
ters - auch eines Lohnarbeiters - gegenüber der eines Sklaven
deut-
lich.
Wenn wir festzustellen versuchen, welchen Zinsfuß die spezifische
Li-
quiditätsform Juwelen (j) hat, dann können wir bei ihr
(ähnlich wie bei
der Edelmetall-Liquidität) mit etwa den folgenden Werten
rechnen:
jz = 0 - 0 + 2 = 2
Stellen wir nun dieser Liquidität die spezifische Liquidität
von
Schwundgeld in Form von Bar- und Giralgeld (s) mit Durchhaltekosten
(c) in Form einer Geldsteuer in Höhe von 5%:
sz = 0 - 5 + 5 = 0
und die etwas weniger liquide Ersparnis (e) in Form eines Schwundgeld-
Sparguthabens (es) mit Durchhaltekosten von 3% :
sez = 0 - 3 + 4 = 1
gegenüber. Wie ein Vergleich der Formeln nahelegt, wird die
Neigung, Er-
sparnisse in Form von Juwelen anzulegen (Preisstabilität
vorausgesetzt),
geringfügig größer sein als die, Sparkonten anzulegen
- vorausgesetzt,
es besteht die Absicht, langfristig zu sparen. Wer mittelfristig
sparen will,
wird es vorziehen, ein leicht auflösbares und 1:1 gegen Bar-
oder Giral-
geld eintauschbares Sparkonto anzulegen, dessen Guthaben die Bank
als
Kredit in die Zirkulation bringt. Bei obigem Geldsteuersatz können
die
Kreditgeber jedoch allenfalls eine Liquiditätsverzichtsprämie
von 1%
(plus Kreditverwaltungskosten) im Jahr fordern. Juwelenbesitzer
werden
für ihre Darlehn auf 1% Nettozins heruntergehen müssen,
um mit den
Schwundgeld-Sparkonten konkurrieren zu können. Da auch Schwundgel-
der aus Kassenhaltungen und Girokonten auf dem kurzfristigen Kredit-
markt angeboten werden, deren Liquiditätsverzichtsprämien
um (netto)
0% herum osziellieren, werden die kurzfristigen Kredite für
die Kredit-
verwaltungskosten, die langfristigen für vielleicht 1% (Netto-)Zins
zu ha-
ben. Damit sind jene Anlagen zu finanzieren, die einen Netto-Kapitaler-
trag (Kapitalzins) ab plus 1 bis 2% abwerfen.
Wie sich aus Keynes' monetärer Zinsformel ableiten läßt,
kann eine Er-
höhung der Geldsteuer (c), z. B. auf 7%, den Zinsfuß
sogar ins Minus
bringen ! :
sz = 0 - 7 + 5 = -2
In diesem Falle wird auch der Kontensparer eine Gebühr von
vielleicht
2% für die "Aufbewahrung" seines Geldes bezahlen
müssen! (Wer seine
Kartoffeln oder Möbel einlagert oder sein Auto in einer Garage
unter-
stellt, muß schließlich auch dafür bezahlen,
daß sein Eigentum nicht zu
schnell verrottet, warum nicht auch derjenige, der seine in Geld
umge-
wandelten Produkte und Dienstleistungen gut aufbewahren lassen
will?)
Durch diese "Lagergebühr" für Geld wird sich
zwar die Neigung, in Juwe-
len etc. statt auf Schwundgeld-Sparkonten zu sparen, erhöhen,
die Tren-
nung der Tausch- und Sparfunktion und die Negativzinsen bleiben
jedoch
erhalten.
Was geschieht nun unter den Bedingungen eines zinsfreien Kreditsy-
stems?
Langfristig verschwindet ein großer Teil des aus der Kapitalknappheit
resultierenden Ertrages (q) aus dem Produktiv-, Gebrauchs- und
Waren-
kapital. Wenn Vollinvestition erreicht ist, sehen die volkswirtschaftlichen
Durchschnittswerte in der Kapital-Zinsformel dann so aus:
kz = 5 - 5 + 0 = 0
Mit der Überwindung des Geldzinses und dem Absterben der
Kapital-
rendite ist auch der Kapitalist dahingeschieden - nicht aber der
Boden-
rentner! Da Boden nicht vermehrbar ist, wird er auch ohne Geldzins
eine
Rente abwerfen: für ihn gibt es keine Vollinvestition. Da
die Bodenpreise
langfristig steigen, sind seine Durchhaltekosten negativ (s. Boden-Zins-
formel). Folglich ist der Boden ein vorzügliches Sparmittel!
Keynes sagt,
es habe Zeiten gegeben, wo "ohne Rücksicht auf sein
Erträgnis" die "Be-
gierde nach dem Besitz von Land" so groß war, daß
sie "dazu beigetragen
hat, den Zinsfuß (des Geldes wegen der hohen Geldnachfrage
zwecks Bo-
denkaufs; K. S.) hoch zu halten". "Freilich", meint
Keynes, "wäre nach
Gesells System diese Möglichkeit durch Verstaatlichung des
Landes (muß
heißen: Vergesellschaftung in den Händen der Mütter;
s. Kap. 9) ausge-
schaltet worden". Bodenrente und Bodenwertzuwachs würden
zwar wei-
terbestehen, jedoch abgeschöpft und an die Produzenten der
folgenden
Generationen - an die Mütter - und an ihre Kinder umverteilt
werden.
Kauf und Spekulation mit Boden wären dadurch unmöglich
gemacht. Zu-
gang zum Boden ist nur noch möglich über Pachtverträge
mit dem "Müt-
terbund".
Keynes' IWF Konzept
Den "hinter dem gestempelten Geld liegenden Gedanken"
hält Keynes
für "gesund". Er meint, es sei "in der Tat
möglich, daß Mittel gefunden
werden könnten, um ihn in bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeit
an-
zuwenden".
Diesen ganz und gar nicht bescheidenen Rahmen glaubte Keynes
mit
seinem Plan einer internationalen Clearing-Union gefunden zu haben,
die
in weltweitem Rahmen ähnlich funktionieren würde, wie
in kleinem Rah-
men die freiwirtschaftliche Wirtschaftsring-Genossenschaft (WIR)
in Ba-
sel oder Suhrs Idee seiner "Oeconomia Augustana" (88b),
mehr oder weni-
ger Synthesen von Proudhons Tauschbank- und Gesells Schwundgeld-
Konzept. Der notwendige Fonds sollte aus Regierungsmitteln aufgefüllt
werden und die Besitzer von Bancor-Guthaben sollten ebenso "Strafzin-
sen" zahlen, wie die Schuldner Kreditzinsen! Dadurch würden
die Besit-
zer von Guthaben ein Interesse daran haben, ihre Zahlungsbilanz-Über-
schüsse durch Importe abzubauen, was den Export der Schuldnerländer
ankurbeln, zum schnellen Abbau auflaufender Schulden und zu ausgegli-
chenen Handelsbilanzen führen würde. (89)
Dieser als amtliches Dokument von der britischen Regierung auf
der
Weltwährungskonferenz in Bretton Woods 1944 vorgelegte "revolutionä-
re" (Hankel) Vorschlag von Keynes wurde auf Betreiben der
US-Groß-
banken torpediert. Statt dessen sind aus der Konferenz die heute
beste-
henden Organisationsformen der Weltbank und des Internationalen
Wäh-
rungsfonds (IWF) hervorgegangen, offensichtlich kapitalfreundliche
In-
stitutionen, die den Menschen in der Dritten Welt mehr schaden
als nüt-
zen. (89a)
Auch wenn Gesell seine Analyse nicht bis in die letzten Winkel
vorgetrie-
ben hat, dürfen wir Keynes sicherlich zustimmen, wenn er
Gesells theore-
tische Leistung auf ökonomischem Gebiet höher einschätzt
als die von
Marx. In der Tat hat Gesell, der die Geld- und Zinstheorie Proudhons
we-
sentlich weiterentwickelt hat, (6) mit seiner zins- und zirkulationsorientier-
ten Kapitalismusanalyse mehr für die Erklärung und die
Überwindungs-
möglichkeiten von Ausbeutung, Konjunkturkrisen und Arbeitslosigkeit
geleistet, als der Proudhon-Verächter Marx mit seiner, die
Funktionen des
Geldes und des Zinses ignorierenden und auf die historische Entwicklung
der Produktivkräfte fixierten, Kapitalanalyse.
Für Marx ist zwar auch "klar, daß der Besitz
(von) 100 Pfd. St. ihrem
Eigner die Macht gibt, den Zins, einen gewissen Teil des durch
sein Kapi-
tal produzierten Profits, an sich zu ziehen". (90) Wieso
das aber "klar" ist,
hat er nirgens klargestellt. Denn der Besitz allein garantiert
noch keinen
Zins! Statt dessen polemisiert Marx gegen die Vorstellung, nach
der dem
Geld eine "eingeborene geheime Qualität" (90a)
innewohnen soll, die
den "Zinsfetischisten" zur Rechtfertigung der Zinseszinsakkumulation
diene. Er hat diese "eingeborene geheime Qualität"
des Geldes bedauer-
licherweise nicht erkannt. So konnte er sie noch nicht einmal
mit der Vor-
machtstellung des Geldes auf Grund seiner Schlüsselstellung
auf dem
Markt (wie Proudhon) und auf Grund seiner fehlenden Durchhaltekosten
(wie Gesell), geschwiege denn mit seiner hervorragenden Liquidität
und
der Liquiditätsvorliebe der Menschen (wie Keynes) erklären.
Damit be-
gab er sich der Möglichkeit, die schwachen Argumente der
"Zinsfetischi-
sten" zur Rechtfertigung des Zinses und der Zinseszinsakkumulation
zu
entkräften, jener Zinsanbeter, die so tun, als würden
die Zinsen am Geld
wachsen, wie die Äpfel am Baum. Statt dessen behauptet Marx
-
ganz in der Tradition der klassischen Wirtschaftstheorie - das
Geld sei
ein neutrales, allen Waren gleichgestelltes "Äquivalent"
(90b) und "die Min-
destgrenze des Zinses (sei) ganz und gar unbestimmbar. Er kann
zu jeder
beliebigen Tiefe fallen". (90c) Das jedoch kann der Zins
eben wegen der Vor-
zugsstellung des Geldes gerade nicht. Proudhons Geld- und Zinstheorie,
vor allem aber Gesells Geld- und Warenanalyse und ein Vergleich
der aus der Keynesschen Zinsformel abgeleiteten Geld-, Kapital-
und Bo-
denzinsformel belegen eindeutig die Überlegenheit des Geldes
über alle
anderen wichtigen Wirtschaftsfaktoren (außer Boden), und
sie zeigen,
worin diese Vormachtstellung besteht: in der hervorragenden Liquidität
des Geldes, in seinem Transaktionskostenvorteil und im Fehlen
von Durch-
haltekosten.
An dieser Stelle wird der entscheidende Gegensatz von Proudhon,
Ge-
sell und Keynes zu Marx und Engels und der fatale Grundirrtum
der aus
der klassischen Zinstheorie abgeleiteten marxistischen Wirtschaftstheo-
rie deutlich. Die Folgen können wir an der Praxis des "real
existierenden
Sozialismus" ablesen.
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