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P. J. Proudhon
Mit einem Tauschmittel unter Umlaufzwang allein lassen sich die
geldbe-
dingten Probleme, wie ich sie in den Kapiteln 2 und 3 geschildert
habe, al-
lerdings nicht lösen. Es muß noch das hinzukommen,
was es - eher zufäl-
lig - im Mittelalter gab und die Ming-Dynastie bewußt herbeizuführen
versuchte: ein stabiles Preisniveau. Um die dazu notwendige und
von Gesell geforderte "absolute Währung" der Kaufkraftstabilität
der
"rostenden Banknoten herzustellen, sind zwei Voraussetzungen
erfor-
derlich: 1. Die von der Notenbank (Zentralbank) oder einem Währungs-
amt ausgegebene Geldmenge muß der angebotenen Warenmenge
ent-
sprechen (Geldmenge = Handelsvolumen). 2. Es muß sichergesellt
wer-
den, daß die in den Verkehr gebrachten Tauschmittel auch
kontinuierlich
umlaufen (also präzisiert: umlaufende Geldmenge = Handelsvolumen).
Die Umlaufsicherung garantiert der "Rost" des Schwundgeldes;
die An-
passung der Geldmenge besorgt die Technik der "Indexwährung".
Der Zusammenhang von Geldmenge, Geldumlauf und Preisniveau
läßt sich durch die Quantitätssformel des Geldes
verdeutlichen:
P = (GM x GU) : H
"P" steht für Preisniveau. Mit Preisniveau ist
nicht die Stabilität der ein-
zelnen Warenpreise, sondern die Stabilität des Durchschnittspreises
aller
produzierten und angebotenen Waren gemeint. Zur Regulierung der
Menge und der Art der Produkte müssen die Einzelpreise elastisch,
zur
Vermeidung von Konjunkturschwankungen muß des Preisniveau
stabil
sein.
"GM" steht für die Geldmenge, die durch die Aktivitäten
der zentralen
Notenbank in den Verkehr gebracht wird. Hierbei orientiert sie
sich -
ganz im Sinne Gesells und anderer Anarchisten - nicht mehr an
einem
Goldstandard und an ihren Goldhorten ("Goldreserven")
in ihren Noten-
bankkellern (eine archaische Methode der Geldmengenregulierung!),
sondern an den Bedürfnissen der Volkswirtschaft. Wichtigster
Maßstab
für die richtige Geldmenge ist das in der Volkswirtschaft
gegebene Han-
delsvolumen. Das heißt, das ausgegebene Geld wird durch
die produzier-
ten und angebotenen Waren gedeckt.
"GU" bezeichnet die Umlaufsgeschwindigkeit der ausgegebenen
Geld-
menge. Streng genommen handelt es sich hierbei um die zeitlich
und men-
genmäßig schwankende Hortung (Kassenhaltung) eines
Teils der ausgege-
benen Geldmenge. Im Ergebnis ist es jedoch gleichgültig,
ob wir Geld-
menge minus Kassenhaltung oder Geldmenge mal Umlaufgeschwindig-
keit rechnen, übrig bleibt immer die "wirksame Nachfrage"
(Keynes).
"H" bedeutet Handelsvolumen. Das ist die gesamte Warenmenge,
beste-
hend aus Produkten wie Dienstleistungen, die in einem bestimmten
Zeit-
raum auf dem Markt angeboten wird. Interessanterweise fehlt in
der
Quantitätsformel der Faktor Umlaufsgeschwindigkeit der Warenmenge.
Er erübrigt sich jedoch, und zwar nicht deswegen, weil Waren
nicht "um-
laufen" (zirkulieren) wie das Geld (sie gehen nur einmal
ihren Weg vom
Produzenten zum Verbraucher), sondern weil sie - anders als das
Geld
- wegen ihrer natürlichen Durchhaltekosten einem Angebotsdruck
un-
terworfen sind (s. Kap.1). Außerdem produzieren und lagern
die Waren-
besitzer Waren nicht, um sie zu horten, sondern weil sie sie verkaufen,
ge-
gen Geld eintauschen wollen. Denn sie haben, wie Keynes sagt,
ein Vor-
liebe für liquide Mittel, und das ist Geld! Von speziellen
Situationen abge-
sehen (Krieg, Katastrophen, schlechte Ernten etc.), ist Warenhortung
al-
so kein Problem; die Durchhaltekosten der Waren und der Wunsch
nach
Liquidität sichern ihr kontinuierliches Angebot auf dem Markt,
von ihnen
gehen keine Störungen der Zirkulation aus. Im Unterschied
zur geschöpf-
ten (GM) und zur nachfragenden (GU) Geldmenge, kann die produzierte
und die angebotene Warenmenge also unter dem Begriff Handelsvolumen
zusammengefaßt werden. - In dieser unterschiedlichen Behandlung
von
Ware und Geld in der Quantitätsformel drückt sie deutlich
die qualitative
Differenz von Ware und Geld aus! (72)
Die Geldmenge (GM) reguliert die Notenbank heute durch den An-
und Verkauf von Wertpapieren, Gold und Devisen. Bei ihrem Ankauf
fließt notwendiges Geld in die Volkswirtschaft hinein, bei
ihrem Verkauf
wird überschüssiges Geld aus der Zirkulation herausgezogen.
Vom Devi-
senankauf und -verkauf abgesehen, eine akzeptable Methode der
Geld-
mengenregulierung.
Außerdem versucht die Zentralbank die Geldmenge (GM) durch
die
Manipulation der Rediskontsätze zu regulieren. Das sind jene
Zinsen, die
die Geschäftsbanken an die Notenbank für Gelder zu zahlen
haben, die
sie dort ausleihen, um ihre Liquidität (zusätzlich zu
den Kundeneinlagen)
auszuweiten. Da die Geschäftsbanken diese Gelder an ihre
Kunden wei-
terverleihen und die Diskontzinsen auf diese abwälzen, sind
in der Regel
auch die Kreditzinsen hoch (bzw. niedrig), wenn die Diskontzinsen
hoch
(bzw. niedrig) sind. Das wirkt sich im oben (Kap. 2) beschriebenen
Zu-
sammenhang mit der Grenzleistungsfähigkeit des Realkapitals
bremsend
(bzw. stimulierend) auf die Kreditnachfrage aus und bewirkt dadurch
eine
Verminderung (bzw. Vermehrung) des Buch- und Bargeldumlaufs und
ei-
ne Einschränkung (bzw. Belebung) der Wirtschaftsaktivitäten.
Das Fatale ist nur, daß die Diskontpolitik der Notenbank
nur mangel-
haft funktioniert und außerdem das allgemeine Zinsniveau
noch über den
Urzins- und Haussezinssatz hinaus in die Höhe treibt. Die
durch Leitzins-
Erhöhungen steigenden Kreditzinsen belasten vor allem das
Klein-
gewerbe, den Kleinhandel, die mittelständische Industrie,
die Landwirt-
schaft und die verschuldeten Eigenheimbesitzer und treffen diese
oft am
Lebensnerv. Denn anders als die Großindustrie, die großen
Kapitalgesell-
schaften, die Konzerne und Multis, sind die kleinen und mittleren
Unter-
nehmer besonders stark auf Fremdfinanzierung durch Banken und
Spar-
kassen angewiesen. Da in der Regel auch die Zinsen für einmal
in der Ver-
gangenheit gewährte Kredite mit Diskonterhöhungen steigen
und da
gleichzeitig die Konjunktur zurückgeht, führt das zu
unvorhergesehenen
Ertragsminderungen und treibt viele kleine Kreditnehmer in den
Ruin (s.
Grafik 9). (73) Das sind Situationen, von denen auch die Alternativbetriebe
nicht verschont bleiben!
Neben dem Diskont ist der "wunde Punkt" (Ortlieb (74))
der Währungs-
politik die von Gesell, Johannsen einigen anderen Außenseitern
der Na-
tionalökonomie hervorgehobene Schwierigkeit, den Umlauf des
ausgege-
benen Geldes (GU) zu garantieren und zu regulieren, ein Problem,
das
Keynes unter dem Begriff "Liquiditätsfalle" behandelt.
(75) Hier klafft, von
Keynes und wenigen anderen abgesehen, ein großes schwarzes
Loch in
den Theorien der etablierten Ökonomen.
Wie könnte eine alternative Geld- und Währungspolitik nun aussehen?
Etwa so: Die Geldmenge (GM) wird von einem von Staat, Wirtschaft,
Parlamenten etc. unabhängigen Währungsamt, das allein
der "absoluten
Währung" verpflichtet ist, das aber auch kein Geldemissionsmonopol
be-
sitzt, durch An- und Verkauf von Wertpapieren, Gold etc. (ausgenommen
Devisen, da sie selbst Geld sind) am Preisindex eines ausgewählten,
re-
präsentativen Warenkorbes reguliert. Das Geld - Bargeld und/oder
Buchgeld - wird mit Durchhaltekosten belastet, so daß ihr
konstanter
Umlauf (GU) gesichert ist. Die Durchhaltekosten des Geldes sollten
et-
was größer sein, als die durchschnittlichen Durchhaltekosten
aller rele-
vanten Waren. Da diese 5% im Jahr ausmachen, sollte die Geldsteuer
vielleicht 6 bis 7% betragen (das richtige Maß müßte
sich aus der Praxis
ergeben). Das könnte bewirken, daß die privaten Ersparnisse
nur gegen
eine "Aufbewahrungsgebühr", einen negativen Zins
von vielleicht 1 bis
2% bei privaten Kreditnehmern oder Banken und Sparkassen unterzu-
bringen wären. Im Zustand der Vollinvestition würden
sie dann dieses
Geld mit einem Aufschlag, der ihren Kreditverwaltungskosten und
der
Risikoprämie von zusammen vielleicht 1 bis 2 % entspricht,
für etwa 0%
im Durchschnitt verleihen. Dann wäre der Kredit, wie es Proudhon
gefor-
dert hat, für den Kreditnehmer kostenlos!
Will die Gesellschaft nicht alles dem Gesetzt von Angebot und
Nachfra-
ge auf dem Waren- und Kreditmarkt überlassen, dann kann sie
die Um-
laufgeschwindigkeit des Geldes (GU) und damit die Konjunktur durch
Veränderung der Höhe der Geldsteuer stimulieren oder
bremsen. Wenn
im Zustand der Vollinvestition (wie Keynes lehrt; s. entspr. Zit.,
Kap. 4)
auch der Kapitalzins auf durchschnittlich 0% gesunken sein wird,
würden
nur dann Kredite für Investitionen verlangt werden, die noch
eine Rendi-
te erwarten lassen oder die die Lust an bestimmten Projekten befriedigen.
Im Zustand der Vollinvestition, d. h., wenn bei gegebener Produktions-
mittelkapazität in der Volkswirtschaft die Nachfrage nach
Produkten
nicht steigt, entsteht im volkswirtschaftlichen Durchschnitt auch
keine
Kapitalrendite. Unter diesen Umständen wird kaum zusätzlich
investiert,
was bedeutet, daß dann auch die Wirtschaft nicht mehr wächst.
Wenn des-
weiteren Arbeitszeit und Arbeitslöhne wirklich frei vereinbart
werden
können, dann herrscht wirtschaftliches Gleichgewicht und
Vollbeschäfti-
gung: die Produzenten produzieren nicht mehr, als sie konsumieren
und
gegebenenfalls investieren, die Sparrate ist so gering wie die
niedrige In-
vestitionsrate. Da der Geld- und Kapitalzins aus den Warenpreisen
ver-
schwunden sein wird, wird das Realeinkommen aller Produzenten
- das
der Lohnarbeiter wie der Unternehmer - dementssprechend höher
sein;
das der Kapitalisten, der Geldbesitzer und Kapitaleigentümer,
wird auf
durchschnittlich Null zurückgegangen sein. Mit Gesells "Freigeld"
(Schwundgeld plus "absolute Währung") wäre
also - entsprechend den
Zielsetzungen Proudhons, Gesells und Keynes - der Rentner sanft
ver-
schieden. Was bleibt, ist die Bodenrente, die umverteilt werden
muß, als
Rente an die Kinder bzw. als Mutterlohn an die Betreuer der Kinder,
wie
Gesell fordert (s. Kap. 9).
Selbstverständlich ist dieser Zustand der "Freiwirtschaft,
das heißt:
der vom Kapitalismus befreiten Marktwirtschaft, nicht schlagartig
mit der
Einführung des Freigeldes hergestellt, doch die ungestörte
Entwicklung
zur Vollinvestition und damit zur Überwindung des Kapitalismus
wäre
eingeleitet.
Allerdings muß auch das Problem des bereits akkumulierten
Geldes
und der nun einmal vorhandenen Kapitalkonzentration gelöst
werden.
Zwar sind diese Vermögen entkapitalisiert und wachsen nicht
mehr durch
Zinseszinsakkumulation, doch sie "vermögen" noch
einiges in Wirtschaft
und Politik. Ihre monopolistische und oligopolistische Macht kann
m. E.
nur durch Enteignung, Dezentralisierung und Umverteilung gebrochen
werden
Während Keynes die Notwendigkeit zentraler und staatlicher
Interventio-
nen in die Wirtschaft nicht auszuschließen vermochte, wollte
Gesell den
Staat vollkommen aus der Wirtschaft heraushalten - mit einer Ausnah-
me: er forderte als unverzichtbares Relikt staatlichen Zentralismus
ein
zentrales Währungsamt. Dieses Konzept haben Anarchisten seiner
Zeit
heftig kritisiert.
Während Gesell unter "Freigeld" Schwundgeld im
Rahmen einer natio-
nalen bzw. internationalen Festwährung versteht, begreifen
seine anarchi-
stischen Kritiker unter Freigeld im allgemeinen die freie und
autonome
Geld- und Kreditschöpfung durch jedermann, unabhängig
von Großban-
ken und von jeder Reglementierung durch den Staat oder eine zentrale
Notenbank. Von der Gegenseite wird die autonome und private Gelde-
mission und staatlich unkontrollierte Kreditschöpfung mit
dem Argument
kritisiert, sie würde zur Inflation und außerdem zu
einer lästigen Umrech-
nerei beim Umlauf verschiedener Geldsorten führen. Doch in
jüngerer
Zeit hat der liberale Nobelpreisträger für Ökonomie,
Friedrich A. von
Hayek, fundiert und überzeugend dargelegt, daß die
anarchistische For-
derung nach (wortwörtlich:) "Freigeld" im Sinne
autonomer Geldschöp-
fung und "konkurrierender Umlaufmittel" nicht so absurd,
antiquiert und
für die Preisstabilität gefährlich ist, wie es
zunächst erscheinen mag (76) (er
verweist in diesem Zusammenhang auf Gesell, C. H. Douglas, H.
Meulen
und H. Rittershausen (77)).
Der Anarchist Urjo Rey hat darauf hingewiesen, daß Gesell
im Laufe
seines Lebens sein Konzept eines staatlichen Währungsamts
aufgegeben
hat, sein früher Tod habe ihn jedoch daran gehinderte, seine
neuen Über-
legungen in sein Hauptwerk, "Die natürliche Wirtschaftsordnung"
aufzuneh-
men. (78) Tatsächlich heißt es an einer Stelle in Gesells
1927 erschienenem
Spätwerk "Der abgebaute Staat": "In meinem
ersten Versuch (der Akratie
wenigstens theoretisch die Bahn freizugeben; K. S.) ('Der Abbau
des
Staates', Berlin 1919) mußte ich noch einen·Rest oder
Schatten eines Staa-
tes bestehen lassen, weil ich für die akratische Lösung
des Geldproblems
noch keine befriedigende Form gefunden hatte", was ihm "manchen
Ta-
del aus den Kreisen der Anarchisten" eingebracht habe. Jetzt
glaubte Ge-
sell die Lösung darin gefunden zu haben, daß er die
Herausgabe und Ver-
waltung des Freigeldes ("Muwa") einer vom "Bund
der Mütter" kontrol-
lierten "Mutterrentenkasse" überträgt. Da
dieser "Mütterbund" die Bo-
denrente zwecks Finanzierung des Kindergeldes verwaltet, würde
er
"kein Interesse daran haben können, daß durch
Inflation die für die Mut-
terrente bestimmten Pachtgelder verwässert werden oder daß
durch De-
flation die Pachtgelder gedrückt werden". Er wäre
vielmehr an einem sta-
bilen Preisniveau interessiert und daher der beste Garant einer
festen
Währung. (79)
Mit diesem, vielleicht räteartig organisierten Bund wäre
eine staats-
freie und auf die Mütter beschränkte demokratische Kontrolle
der Wäh-
rung denkbar, allerdings noch nicht das Problem des Zentralismus
gelöst.
In der Praxis sind die vielen in aller Welt praktizierten Gesellschen
Schwundgeld-Experimente jedoch immer dezentrale und autonome Un-
ternehmungen von privaten Bürgerinitiativen und/oder von
Gemeinden
gewesen. Es läßt sich die Existenz vieler und unterschiedlichster
Freigeld-
und Tauschbanken-Projekte neben einer allgemein gültigen,
von einer
Zentralbank oder einer Zentrale des Mütterbundes kontrollierten
Wäh-
rung vorstellen. Das freie Geld könnte zum Zentralbankgeld
in Konkur-
renz stehen und durch diesen Wettbewerb, wie Hayek meint, die
Noten-
bank bezüglich der Versorgung des Marktes mit einem zinsbilligen
und
wertbeständigen Geld zu größerer Verantwortung
und höherer Leistung
zwingen. Das wäre ganz im Sinne Gesells, und die Gesellschen
Schwund-
geld-Experimente empfanden die Herren der staatlichen Notenbanken
durchaus als Konkurrenz. Mit einer (vielleicht weltweiten) Zentralbank-
währung stände den autonomen Freigeldinitiativen ein
allgemeiner und
stabiler Wertmaßstab als Bemessungsgrundlage für ihre
eigenen Geld-
emissionen, den Produzenten eine gemeinsame Berechnungsgrundlage
für
ihre Kalkulationen und den Händlern und Konsumenten für
Preisverglei-
che zur Verfügung. Diese Funktion als unveränderlicher
Wertmaßstab
und somit als zuverlässige Verrechnungseinheit im Tauschverkehr
ist, ne-
ben der Tauschvermittlungsfunktion, die andere wichtige Geldfunktion.
Nicht jeder Zentralismus muß nur von Übel sein!
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