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"Den Tauschverkehr organisieren, heißt die Herabset-
zung des Kapitalzinses bis ins Unendliche, bis zur Ver-
nichtung organisieren, es heißt den Sieg der Arbeit
über das Kapital sichern...
P. J. Proudhon
Obwohl sich Gesell gegen das Wachstum des Finanzkapitals wendete,
be-
grüßte er seiner Zeit das Wachstum des Realkapitals.
Das können wir so
heute nicht mehr akzeptieren; wir dürfen aber auch nicht
übersehen, daß
materieller Reichtum ein hohes Maß an Produktionsmitteln
voraussetzt.
Von besonderer Bedeutung ist jedoch, daß ein hohes Angebot
an Sachka-
pital auf den Kapitalzins drückt und ihn schließlich
zum verschwinden
bringt! Voraussetzung ist allerdings, daß ein Zustand der
"Vollinvestition"
(Keynes) erreicht wird, womit dann auch das Wirtschaftswachstum
im We-
sentlichen abgeschlossen wäre. Vollinvestition markiert die
Grenze des
"natürlichen" Wachstums einer Volkswirtschaft.
Vollinvestition ist das Gegenstück zur Unter- und Überinvestition.
(55) Sie
verkörpert die für die Befriedigung der Nachfrage der
Konsumenten nach
Gütern und Dienstleistung ausreichende Bereitstellung von
Produktions-
mitteln in der Wirtschaft: das makroökonomische Gleichgewicht
zwi-
schen der Nachfrage nach Produkten und dem Angebot an Produktions-
mitteln. Vollinvestition bedeutet, daß weder das Realkapital
durch den
Geldzins künstlich verknappt wird (was Unterinvestition bedeutet),
noch
daß über den Verbraucherbedarf hinausgehende Investitionen
zum
Zweck der Zinseszinsakkumulation getätigt werden (Überinvestition).
Vollinvestition ist der Zustand des wirtschaftlichen Gleichgewichts
bei
Vollbeschäftigung und Null-Zins. Über Produktion und
Neuinvestitionen
(was Wirtschaftswachstum bedeutet) entscheiden dann die Besitzer
ihres
"vollen Arbeitsertrages" (56) und nicht die Besitzer
akkumulierter Zinsen.
Genauer gesagt: Die Produzenten (???) entscheiden entsprechend
ihren Bedürf-
nissen "basisdemokratisch" durch ihre individuelle Nachfrage
nach Gütern
und Dienstleistungen auf dem Markt, ob zusätzlich investiert
wird und die
Wirtschaft wachsen soll, und nicht die Finanzkapitalisten entsprechend
ih-
ren Zinsinteressen mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen und politischen
Macht.
Mit Vollinvestition ist jener Zustand erreicht, den, wie Keynes,
auch
Proudhon und Gesell anstrebten und den Keynes so beschreibt: "Ich
bin
überzeugt, daß die Nachfrage nach Kapital streng begrenzt
ist, in dem Sin-
ne, daß es nicht schwierig wäre, den Bestand an Kapital
(außer Boden,
wie Keynes wohl wußte) bis auf einen Punkt zu vermehren,
auf dem seine
Grenzleistungsfähigkeit auf einem sehr niedrigen Stand gefallen
wäre.
Dies würde nicht bedeuten, daß die Benützung von
Kapitalgütern sozusa-
gen nichts kosten würde, sondern nur, daß der Ertrag
aus ihnen nicht viel
mehr als ihre Erschöpfung durch Wertverminderung und Veraltung,
zu-
sammen mit einer gewissen Spanne für das Risiko und die Ausübung
von
Geschicklichkeit und Urteilsvermögen, zu decken haben würde.
Kurz ge-
sagt, der Gesamtertrag von dauerhaften Gütern während
ihrer Lebens-
dauer würde, wie im Falle von Gütern von kurzer Dauer,
gerade ihre Ar-
beitskosten der Erzeugung plus einer Entschädigung für
Risiko und die
Kosten der Geschicklichkeit und Aufsicht decken.
Obschon dieser Zustand nun sehr wohl mit einem gewissen Maß
von In-
dividualismus vereinbar wäre, würde er doch den sanften
Tod des Rent-
ners bedeuten, und folglich den sanften Tod der sich steigernden
Unter-
drückungsmacht des Kapitalisten, den Knappheitswert des Kapitals
aus-
zubeuten.
Hier entpuppt sich Keynes als Antikapitalist (was von Sozialdemokra-
ten, die ihn lediglich als Staatsinterventionisten schätzen,
ignoriert wird).
Denn: Vollinvestition ist ein Zustand, in dem Produktionsmittel
und Waren
des Zinses entledigt und somit kein Kapital mehr sind! (58) Um
diese Entkapi-
talisierung zu erreichen, ist die Gleichstellung der Ware mit
dem Geld
(Proudhon) bzw. des Geldes mit der Ware (Gesell) unumgänglich.
Die Idee der "rostenden Banknoten"
Anders als durch Tauschbanken, wie sie Proudhon und andere vor
ihm ge-
plant hatten, wollten Gesell und zur gleichen Zeit und unabhängig
von
ihm Nicolas A. L. J. Johannsen die Gleichstellung von Ware und
Geld
durch die Schaffung eines Tauschmittels erreichen, das sich, wie
es Rudolf
Steiner formuliert, ebenso "abnutzt" wie die übrigen
Waren. Sie wollen
das durch die Belastung des Geldes mit einer "Geldsteuer"
(Johann-
sen (59)), mit einer Nutzungs- oder Rückhaltegebühr
erreichen, ähnlich, wie
es Bibliotheken machen, die jene Leser mit Säumnisgebühren
belasten,
die ausgeliehene Bücher nicht termingerecht zurückbringen
und sie da-
durch anderen vorenthalten, oder die Bundesbahn, die für
nicht entlade-
ne Güterwagen Standgebühren von ihren Kunden verlangt.
Ein Geld mit
"Standgebühren", das auch der US-amerikanische
Ökonom und Fürspre-
cher Gesells, Irving Fisher, die Anarchisten Gustav Landauer und
Erich
Mühsam (s. Text 4 u. 8) und der Anthroposoph Steiner für
"sehr wertvoll"
und "außerordentlich wichtig" halten. (60)
Diese Idee von einem Geld, das sich wegen seiner ganz konkreten
Abnutzung nicht kostenlos horten läßt, ist 2.300 Jahren
alt! Bereits der
grichische Aussteiger und Anarchophysiokrat Diogenes, Sohn eines
rei-
chen Bankiers, forderte, daß das Geld mit metallischem Eigenwert
abge-
schafft und durch Münzen aus wertlosem Stoff ersetzt wird.
Seine Mün-
zen sollten aus Knochen bestehen. Aus diesem Stoff hergestellt,
würden
sie durch Gebrauch verschleißen und auf diese Weise vergänglich
werden.
Ihr Tauschwert würde allein von ihrer merklich schwindenden
Kaufkraft
und nicht von einem unvergänglichen stofflichen Eigenwert
bestimmt
werden. Bei Verschatzung würden sie sich zwar nicht abnutzen,
jedoch
verwesen und unangenehm stinken. Das alles würde ihre Besitzer
zwin-
gen, dieses Geld in den Umlauf zu bringen. Die Knochenmünzen
würden
ausschließlich und alleiniges Tauschmittel sein, während
das unvergängli-
che und geruchlose Gold und Silber allein als Sparmittel verwendet
wer
den würde. (61)
Lykurg ließ in Sparta, wie Cristel Neusüß und
Marlene Kück berichten,
die Goldmünzen gegen Eisenmünzen austauschen. Bei Eisenmünzen
mit
ihrem geringen metallischen Eigenwert "müsse der Schatzbildner
ganze
Wagenladungen in sein Haus transportieren und lagern, und so was
würde
auffallen". Auf diese Weise könne die Geldhortung, die
auch Lykurg für
schädlich hielt, leicht kontrolliert und unterbunden werden.
(61) Bemer-
kenswert erscheint mir, daß gehortetes Eisengeld rostet,
dadurch an me-
tallischem Eigenwert und somit auch an Kaufkraft verlieren könnte
("Schwundgeld" bei unveränderlichem Preisniveau!).
Voraussetzung ist
allerdings, daß (wie Marx angenommen hat) der Metallwert
tatsächlich
den Tauschwert der Münzen bestimmt, was bekanntlich - siehe
Papier-
geld (189) - nicht der Fall sein muß.
Gesell entwickelte die Technik "rostender Banknoten".
Es sollten
Geldscheine unterschiedlicher Stückelung ausgegeben werden,
die wö-
chentlich oder monatlich mit einer Marke im Wert von 0,1 bzw.
1/2 Pro-
zent ihres Nennwertes beklebt werden und nur mit diesen Marken
ihren
aufgedruckten Nennwert behalten. Das entspricht einer Gebührenbela-
stung des einzelnen Geldscheins von 5,2 bzw. 6% im Jahr, etwa
soviel, wie
nach Gesells Meinung auch der jährliche "Schwund"
aller Waren im
Durchschnitt beträgt. Ohne Gebührenmarken würde
sich die Kaufkraft
der Geldscheine also exponentiell entwerten und der Angebotsdruck
um
so spürbarer werden, je länger sie der Zirkulation entzogen
blieben. Die
Klebemarken könnten bei Banken, Sparkassen, Postämtern
und ähnli-
chen Institutionen gekauft werden. Sind die Geldscheine vollgeklebt,
können sie bei diesen Institutionen zu ihrem Nennwert gegen
neue einge-
tauscht werden. (62)
Da die Geldbesitzer sich vor dieser "Steuer" drücken
wollen, werden
sie ihr Geld so schnell wie möglich wieder ausgeben, es also
nicht horten.
Damit wäre die Doppelfunktion des Geldes als Tausch- und
Sparmittel be-
seitigt: es hat mit der Sparfunktion auch seine "Riegel"-Funktion
in der
Zirkulation verloren und ist nur noch "Schlüssel"
zum Markt. Dieses
"Schwundgeld" (Gesell) kann dann von seinem Besitzer
auf zwei Wegen
ausgegeben werden: Er kann dafür Produkte kaufen, oder -
wenn er ge-
leistete Arbeit sparen will - seine in Geld "geronnene"
Arbeitsleistung
an andere Käufer verleihen; in beiden Fällen bleibt
die Kauf- und Tausch-
funktion des Geldes erhalten. Will er beides nicht, dann kann
er sein Ar-
beitseinkommen entsprechend seiner Ersparnis durch Arbeitszeitverkür-
zung einschränken! Schließlich ist Freizeit auch ein
wertvolles, der Be-
dürfnisbefriedigung dienendes Gut.
Wer jetzt sparen will, muß es in Sachgütern tun, auf
Sparkonten oder er
muß sein Geld als Kredit anlegen: Darlehen geben, Wertpapiere
kaufen
etc. Das führt zu einem Angebotsdruck von Geld auch auf dem
Kredit-
markt und damit zum Sinken des Kreditzinses. Ist der Angebotsdruck
des
Geldes in der Volkswirtschaft quantitativ gleich dem aller relevanten
Wa-
ren und der Kreditnachfrage, dann erhält der Geldverleiher
nicht mehr
die qualitative Überlegenheit des hortbaren Geldes vor den
nicht-hortba-
ren Waren in Form des "Urzinses" (Gesell). Der Schwundgeld-Geber
wird sich im Durchschnitt und im allgemeinen - wie bei einem Warenkre-
dit in einer geldlosen Wirtschaft (s. Gesells Robinsonade, Text
3) - mit
der Vereinbarung zufrieden geben müssen, nach Ablauf der
Kredit-
frist die Kaufkraft in Form von Geld zurückzuerhalten, die
er selbst erar-
beitet und verliehen hat. Er bekommt also nach Ablauf dieser Frist
keinen
größeren Anteil am Sozialprodukt zu Lasten des Kreditnehmers,
als er
selbst produziert hat.
Außerdem kann er nicht ohne eigenen materiellen Schaden
Tauschmit-
tel periodisch aus dem Wirtschaftskreislauf herausziehen und dadurch
Ab-
satzstockungen hervorrufen. Auf Grund der Gebührenlast für
Geldhor-
tung kann er diesen gesellschaftlichen "Schlüssel"
zum Markt nicht mehr
ungestraft durch Hortung in ein privates Sparmittel und damit
in einen
"Riegel" des Marktes (Proudhon) verwandelt. Dadurch
werden auch
Währungsspekulationen erschwert, die, wie wir in Kap. 3 gesehen
haben,
auf Geldhortung basieren.
Auch Keynes ist der Ansicht, daß "Durchhaltekosten"
für Geld ein Mit-
tel sein könnte, um Konjunkturkrisen und Arbeitslosigkeit
zu überwin-
den. "Jene Reformatoren", schreibt er, "die in
der Erzeugung künstlicher
Durchhaltekosten des Geldes ein Heilmittel gesucht haben, zum
Beispiel
durch das Erfordernis periodischer Abstempelungen der gesetzlichen
Zahlungsmittel zu vorgeschriebenen Gebühren, sind somit auf
der richti-
gen Spur gewesen; und der praktische Wert ihrer Vorschläge
verdient, er-
wogen zu werden." (63)
Schwundgeld-Experimente
Diese Tauschmittel-Umlaufsicherung ist keine blasse Theorie; sie
ist nicht
nur erwogen, sie ist auch praktiziert worden. Und selbst in beschränktem
Rahmen kleiner, autonomer Selbsthilfe-Initiativen von Bürgern
und Ge-
meinden und in Form des primitiven Klebegeld-Verfahrens hat es
sich be-
währt: das Geschäftsleben kam wieder in Gang und die
Arbeitslosigkeit
wurde erheblich reduziert. Diese Schwundgeld-Experimente hat es,
wie
Werner Onken berichtet, u. a. in Deutschland, Österreich,
in der
Schweiz, in Frankreich, Spanien, in den USA und in Brasilien gegeben.
(64)
Der erste "Freigeld"-Versuch wurde 1926 von Hans Timm
und Helmut
Rödiger vorbereitet. 1929 gründeten sie die Wära-Tauschgesellschaft.
"Nach zwei Jahren gehörten der Tauschgesellschaft bereits
mehr als ein-
tausend Firmen aus allen Teilen des damaligen Deutschen Reiches
als
Mitglieder an. Unter ihnen waren Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien,
Molkereien, Restaurants, Reformhäuser, Schlachtereien, Blumenläden,
Friseursalons, Handarbeitsläden, Möbelgeschäfte,
Elektrohändler, Fahr-
radgeschäfte, verschiedene Handwerksbetriebe, Druckereien,
Buch-
handlungen und Kohlenhandlungen."
Im Herbst 1930, mitten in der großen Weltwirtschaftskrise,
wurde mit
Hilfe eines Wära-Kredits ein 1927 in Konkurs gegangenes Braunkohle-
bergwerk in Schwanenkirchen im Bayrischen Wald wieder in Betrieb
ge-
nommen. "Während die Massen von Arbeitslosen anderenorts
große Not
zu leiden hatten, kam die lokale Wirtschaft in Schwanenkirchen,
Hengers-
berg und Schöllnach wieder in Gang. Alsbald war die Rede
von der 'Wä-
ra-Insel im Bayrischen Wald', wo die Arbeitslosigkeit gebannt
war und wo
die umlaufenden Wära-Scheine einen steigenden Absatz der
Waren ver-
mittelten", schildert Onken dieses "Wunder von Schwanenkirchen".
Im Oktober 1931 verbot Finanzminister H. Dietrich im Zuge der
Not-
verordnungen (!) diese sich netzartig ausbreitende Bürgerinitiative.
Diet-
rich war Minister jener Regierung, die durch die berüchtigte
Brünning-
sche Deflationspoilitik Hitler den Weg zur Macht ebnete.
Ein weitere Schwundgeld-Initiative wurde weltberühmt: die
der Tiroler
Landgemeinde Wörgl (s. Bericht, Text 6). Dort beschloß
der Wohlfahrts-
ausschuß der 4.200-Seelen-Gemeinde auf Vorschlag ihres sozialdemokra-
tischen Bürgermeisters Michael Unterguggenberger am 5. Juli
1932 mit
den Stimmen aller Parteien die Durchführung seines Schwundgeld-Not-
programms. Auch hier wurde der Umlauf der kurz darauf ausgegebenen
"Arbeitsbestätigungen" mit einer allmonatlich fälligen
einprozentigen
Strafgebühr für Hortung gesichert. Auch hier kam das
Geschäftsleben
wieder in Gang, und während die Arbeitslosigkeit im übrigen
Österreich
um 10% anstieg, ging sie in Wörgl im selben Zeitraum um 25%
zurück.
Auch hier begann das Experiment Kreise zu ziehen: "Die Tiroler
Ge-
meinden Hopfengarten, Brixen und Westendorf mit insgesamt 16.000
Einwohnern beschlossen (ebenfalls) die Ausgabe von Arbeitsbestäti-
gungsscheinen."
Doch auch hier wurde die Entwicklung gestoppt. Auch hier schaltete
sich die Staatsgewalt ein und ließ diese erfolgreiche Bürgerinitiative
ge-
gen Absatz- und Beschäftigungskrise durch ein Gerichtsurteil
verbieten.
"Am 15. 9.1933 mußten die Arbeitsbestätigungsscheine
wieder aus dem
Verkehr gezogen werden", mit den entsprechenden wirtschaftlichen
und
letztendlich auch politischen Folgen (s. Kap.13). - Auch hier
bestätigte
sich Tuckers wie Gesells Kritik an der kapitalverbundenen, destruktiven
Gewalt des Staates (s. Kap.1).
Obwohl die gesamte Weltwirtschaft in Agonie lag, trotz des umständli-
chen Klebemarken-Verfahrens und trotz Einführung des "Freigeldes"
in
kleinen, von der Gesamtwirtschaft abhängigen Gemeinden, war
dieses
anarchistische Geld, wo immer es im Sinne Gesells praktiziert
worden ist,
erfolgreich. Neuerdings versucht Margrit Kennedy in einer norwegischen
Gemeinde ein weiteres Schwundgeldexperiment anzutörnen.
Heute sind praktikablere Methoden der Umlaufsicherung entwickelt
wor-
den. Zur Bargeldbesteuerung könnten z. B. drei verschieden
gekenn-
zeichnete Serien aller Banknoten-Stückelungen herauszugeben
werden.
An einem vorher nicht bekannten Tage X wird eine der drei Serien,
die
vorher ebenfalls unbekannt ist, zum Umtausch aufgerufen. Innerhalb
ei-
ner ausreichenden Frist können die Noten dieser Serie bei
Banken, Spar-
kassen, Postämtern usw. gegen neue eingetauscht werden, anderenfalls
werden sie ungültig. In gleicher Weise kann auch mit den
Münzen verfah-
ren werden, wenn es notwendig sein sollte. Beim Umtausch wird
eine Ge-
bühr erhoben, die in einem Jahr insgesamt etwa 5% des gesamten
Bar-
geldumlaufs ausmacht. Von dieser Gebühr werden die Kosten
des Um-
tauschverfahrens finanziert, Überschüsse wie Steuermittel
verwendet. (65)
Wenn einmal im Jahr eine Serie aufgerufen wird und der einzelne
Bür-
ger mit 200 DM betroffen ist, weil er so viele aufgerufene Scheine
zufällig
in der Tasche hat, dann erhält er beim Umtausch dieser Summe
170 DM
zurück. Für 200 DM Kassenhaltung zahlt er also maximal
30 DM Geld-
steuer im Jahr, im Durchschnitt jedoch lediglich 10 DM - keine
große
Summen für kleine Geldbesitzer.
Ganz anders sieht es jedoch für jene aus, die große
Summen zu Speku-
lationszwecken liquide halten. Jede Million würde seinem
Besitzer im
Durchschnitt 50.000, maximal 150.000 DM im Jahr kosten. Und wenn
das
nicht reichen sollte, diese Geldvermögen zinslos in den Verkehr
zu brin-
gen, könnte die Geldsteuer noch ganz erheblich heraufgesetzt
werden.
Die Einnahmen könnten für gemeinnützige Zwecke
verwendet werden
und würden so allen Bürgern zugute kommen. - Warum den
Hund der
Oma besteuern, aber nicht den Geldsack des schmarotzenden, superrei-
chen Finanzkapitalisten?
Dieter Suhr hat den Vorschlag gemacht, das Giralgeld zum gesetzlichen
Zahlungsmittel zu erheben und eine Liquiditätsgebühr
als Durchhalteko-
sten von den Guthaben der Girokonten abzubuchen. Nach dem Gresham-
schen Gesetz (66) würde dieses "schlechte" Buchgeld
das "gute" Bargeld
weitgehend aus der Zirkulation verdrängen und sich so als
allgemeines
Tauschmittel ausbreiten. (67)
Schwundgeld in der Geschichte
Nicht nur die Theorie der "stinkenden" und sich "abnutzenden"
Münzen,
auch die Praxis des umtausch- und gebührenpflichtigen Papiergeldes
ist
nichts neues. Wie Hans Weitkamp berichtet, brachte die Ming-Dynastie
in China 1375 Geldscheine in den Verkehr, die nur zwei Jahre gültig
waren und dann gegen einen Abzug von 2 bzw 3% ihres Nennwertes
um-
getauscht werden mußten. Auch diese geringe Besteuerung,
die bis ins 15.
Jahrhundert praktiziert wurde, verhinderte laut Pirenne die Geld-"Hor-
tung". (68)
Aber auch im europäischen Mittelalter ist eine ähnlich
Technik der
Geld-"Verrufung" praktiziert worden, und zwar in Deutschland,
Polen
und Österreich. Es war die Zeit der Brakteaten, jener Münzen,
die eben-
falls regelmäßig umgetauscht werden mußten, zunächst
beim Regierungs-
antritt eines Fürsten, später nach Jahresfrist und schließlich
zwei
bis vier Mal im Jahr. Für ihre Neuprägung wurde ein
erheblicher "Ab-
schlag" (20 - 25%) für den "Schlagschatz"
des Prägemeisters und des
Fürsten erhoben. Wie das Schwundgeld Gesells und der Mings,
konnte
auch der Brakteat nicht ungestraft dem Wirtschaftskreislauf entzogen
und
verschatzt werden: die "Riegel"-Funktion des Geldes
war gebrochen,
und trotz der zu hohen Abgaben und des lästigen, weil zu
häufigen Um-
tausches entfaltete sich eine erstaunliche Wirtschaftsblüte.
Initiator war der Magdeburger Erzbischof Wichmann. (Er war von
Bar-
barossa eingesetzt worden, jenem Kaiser, dem die Deutschen in
der Kyff-
häuser-Sage nachtrauerten.) Um sich Einnahmen zu verschaffen
und
ohne zu ahnen was er damit bewirkt, hat er die damalige Münzverru-
fung ab 1152 zur vollen Entfaltung gebracht. Erst 200 Jahre später
wurde
sie wieder eingeschränkt, und Mitte des 15. Jahrhunderts
wurde der lä-
stige "Dünnpfennig" endgültig durch den "ewigen
Pfennig" ersetzt.
Über genau diesen Zeitraum schreibt Adolf Damaschke: "Die
Zeit
etwa vom Jahre 1150 bis zum Jahre 1450 ist eine Zeit außerordentlichen
Aufschwungs, eine Zeit der Blüte der Volkswirtschaft, wie
wir sie uns
heute kaum mehr vorzustellen vermögen." In der Tat war
das die Zeit, in
der in Städten, die, wie Köln, noch nicht einmal 30.000
Einwohner zähl-
ten, die gewaltigen gotischen Dome gebaut wurden, mit primitiven
tech-
nischen Mitteln und nicht finanziert von reichen Mäzenen,
sondern vom
Volke selbst. Zu dieser Periode gehört die Zeit von Ende
des 13. bis Ende
des 15. Jahrhunderts, als in Nord-, Mittel- und Osteuropa mit
der Deut-
schen Hanse der Handel aufblühte und Lübeck und Wisby,
Hamburg und
Nürnberg, Bremen und Reval, Danzig und Augsburg große,
reiche und
politisch selbständige Städte wurden. Ein Zeitalter,
in der die "Stadtluft
frei machte" und "die Bauern silberne Knöpfe trugen",
wie es in Chroni-
ken heißt. Wo, wie der Anarchist Rocker schreibt, der Staat
noch unent-
wickelt war und das autonome Leben der Gemeinden und Gemeinschaf-
ten in voller Blüte stand. - Und es war "die lange Epoche
des Mittelal-
ters, (die) von Geldkrisen verschont geblieben" ist, wie
der Ökonom
Geattens feststellt! (69)
Sinnlich eindrucksvoll vermittelt uns Damaschke das damalige Leben
und Treiben in dieser für das heutige Verständnis "unterentwickelten"
Agrargesellschaft:
"Die Arbeitszeit war günstig. Die Schicht für Bergbauer
und Schmelzer
betrug bis Mitte des 15. Jahrhunderts allgemein sechs Stunden."
"Viel-
fach wurde von den Handwerksgesellen mit Erfolg auch noch die
Freiga-
be des Montags ("blauer Montag"; K. S.) mit der Begründung
gefordert,
die Gesellen brauchten den freien Tag, um Zeit für Beratung
ihrer Angele-
genheiten, für Übungen in Waffen und zum Baden zu haben!"
"Da die
Zahl der streng innegehaltenen Sonn- und Feiertage mindestens
90 (im
Jahr; K. S.) betrug, so brauchten die Handwerksgesellen, wenn
sie auch
noch die Freiheit des Montags erkämpft hatten, in der Woche
durch-
schnittlich nur vier volle Tage zu arbeiten, und auch an diesen
Tagen war
für geregelte Arbeitszeit gesorgt." "In Bremen
verdiente ein Maurer um
1400 täglich 3 Groot, während ein fettes Schwein mit
24 Groot bezahlt
wurde." "Mehrfach durchbrachen die Handwerksknechte
sogar das einfa-
che Lohnsystem und arbeiteten mit dem Meister 'auf den dritten
oder hal-
ben Pfennig', d. h. sie erhielten vom Ertrag der gemeinsamen Arbeit
ein
Drittel oder die Hälfte als ihren Anteil."
Die Frauen standen gleichberechtigt mit den Männern im Berufs-
und
Zunftleben: "Mehr als der vierte Teil aller Steuerpflichtigen
wurde (..)
zeitweise von selbständigen Frauen gebildet, wobei natürlich
alle Frauen,
die in Klöstern, Spitälern, Anstalten lebten, nicht
mitgerechnet sind."
Auch die wissenschaftlichen Berufe waren den Frauen nicht verschlos-
sen. Hier kam in erster Reihe die Heilkunde in Betracht."
"Von 1389 -
1497 sind aus Frankfurt a. M. 15 Ärztinnen bekannt geworden,
darunter
3 Augenärztinnen und 4 Judenärztinnen."
Der Lebensstandard des "gemeinen" Volkes war auffällig
hoch. Um
das üppige Leben der Lohnabhängigen zu zügeln,
verordneten die Herzö-
ge Ernst und Albrecht von Sachsen: "Den Werkleuten sollten
zu ihrem
Mittag- und Abendmahle nur vier Essen, an einem Fleischtage eine
Sup-
pe, zwei Fleisch und ein Gemüse, auf einen Freitag und einen
anderen
Tag, da man nicht Fleisch isset, eine Suppe, ein Essen grün
und dörre Fi-
sche, zwei Zugemüse; so man fasten müsse, fünf
Essen, eine Suppe, zwei-
erlei Fisch und zwei Zugemüse und hierüber 18 Groschen,
den gemeinen
Werkleuten aber 14 Groschen wöchentlicher Lohn gegeben werden
(...)." (70)
Damaschke führt diese dreihundertjährige Wohlstandsperiode
allerdings
nicht auf die fehlenden Geldkrisen, sondern auf das in vielen
Gemeinden
vorherrschende Gemeineigentum am Grund und Boden, auf die Möglich-
keit der Landbevölkerung, in die aufblühenden Städte
abwandern zu kön-
nen, und vor allem auf die Besiedlung des nord- und ostelbischen
Raums
seit 1230 durch deutsche und niederländische Bauern mit Hilfe
des
Deutschritterordens zurück. Vor allem dadurch, aber auch
durch die gro-
ße Teile der Bevölkerung dahinraffenden Pestepidemien,
sei der Boden,
das wichtigste Produktionsmittel der damaligen Agrargesellschaft
und
gleichzeitig auch der Feudalherren, entvölkert worden. Auf
Grund dieser
günstigen ökonomischen Situation für die Leibeigenen,
Hörigen und
Zinsbauern gegenüber dem aufkommenden Feudaladel konnten
die Bau-
ern Teile ihres alten germanischen Bodenrechts erhalten oder gar
zurück-
gewinnen und bessere Pacht-, Lohn- und Arbeitsbedingungen aushan-
deln. Das hätte zu dem für damalige Verhältnisse
hohen Lebensstandard
breiter Bevölkerungsschichten geführt.
Diese Bodensituation bleibt von den Freiland-Freigeld-Anhängern
Fritz Schwarz und Karl Walker, die diese Zeit als Schwundgeld-Epoche
beschreiben, (71) erstaunlicherweise unbeachtet, während
der Bodenrefor-
mer Damaschke die Eigenartigkeit des damaligen Geldsystems über-
sieht. Es dürfte wohl kein Zweifel sein, daß sowohl
das "Freigeld des Mit-
telalters" (Schwarz), wie auch die fallende Grundrente durch
das "Frei-
land"-Angebot des Ostens zur Blüte der Gotik und zum
Volkswohlstand
geführt haben. Diese positive historische Geld- und Bodenerfahrung
ver-
leiht der Forderung Gesells und anderer Anarchisten nach einer
Reform
sowohl des Geldwesens wie des Bodenrechts ihre besondere Legitimität.
Als die Ostlandbesiedlung nach 1410 zu Ende ging und der letzte
Brakteat
Mitte des 15. Jahrhunderts wieder abgeschafft und durch den "ewigen
Pfennig", der jetzt im Strumpf und in der Schatztruhe verschwand,
ersetzt
worden war, ging auch der Volkswohlstand zurück und die sozialen
Kon-
flikte nahmen erheblich zu. 1489, kaum 40 Jahre nach der Abschaffung
des mittelalterlichen Schwundgeldes, wurde das Buch "Der
Hexenham-
mer", die berüchtigte Anleitung zur Folter, von der
katholischen Kirche in
Rom herausgegeben, und mit ihm nahmen die Hexenverfolgungen un-
glaubliche Ausmaße an. Zur gleichen Zeit begann der Aufstieg
der mäch-
tigen Finanzkapitalisten Fugger und Welser, die ihre Geldschätze
gegen
hohe Zinsen den Fürsten und Kaisern für ihre blutigen
Machtkämpfe lie-
hen. 1525 entbrannte die Bauernrevolution, 1533 scheiterte die
Kommu-
ne der Wiedertäufer in Münster mit ihrer militanten
Frauenbewegung (71a)
und so fort. - Auf das "finstere" Mittelalter folgte
die Zeit der Renais-
sance: die Zeit der Wiederbelebung des antiken Geistes des römischen
pa-
triarchalischen Sklavenhalterstaates.
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