Startseite www.geldreform.de

 

Gästebuch www.geldreform.de

 


 

 

 

Der Zins in Recht, Wirtschaft und Ethik

Drei Vorträge

 

Atzelsberger Gespräche 1988

 

Herausgegeben von Max Vollkommer

Erlangen 1989

ISBN 3-922135-60-9

ISSN 0423-3433

Seite 7 - 25

 

 

 

 

 

 

Zinsfreiheit und rechtliche Kontrolle der Zinshöhe

 

MAX VOLLKOMMER

 

 

 

Zinsfreiheit,

 

- das ist rechtliches Erlaubtsein des Zinsnehmens; Zinsnehmen ist rechtlich nichts Anstößiges.

 

Zinsfreiheit,

 

- das ist Freiheit der Vereinbarung der Zinshöhe; der Zins als Preis unterliegt der freien Vereinbarung der Vertragspartner. (l)

 

Zinsfreiheit bedeutet damit Fehlen von zwingenden Zinsschranken und Zinshöchstgrenzen. (2)

 

Zinsfreiheit ist damit Ausprägung der Preisfreiheit und letztlich auch der Vertragsfreiheit.

 

Die Zinsfreiheit gilt freilich - gerade wie auch die Vertragsfreiheit - nicht schrankenlos. Mißbrauch der wirtschaftlichen Übermacht in der Durchsetzung übermäßiger Zinsen und daraus resultierende unbillige Belastung des Schuldners kann eine dem Sozialstaatsprinzip verpflichtete Rechtsordnung nicht hinnehmen. Eine Ausprägung des Sozialstaatsprinzips ist der Gedanke des Schuldnerschutzes. (3)

 

Der Schutz des Zinsschuldners ist seit jeher ein wichtiges Anliegen der Rechtsordnung. Zins-Wucher ist nicht nur eine strafbare Handlung (§ 302 a I Nr. 2 StGB), sondern auch bürgerlichrechtlich ein selbständiger Nichtigkeitsgrund (§ 138 II BGB). Das Verbot von Zinseszinsen 248 BGB) soll eine übermäßige, schwer durchschaubare Zinskumulation gerade auch im Verzugsfall (289 S. 1 BGB) verhindern. (4) Der frühere Ausnahmebehelf des unabdingbaren Kündigungsrechts bei hohem Zins (§ 247 I BGB aF) ist seit 1.1.1987 zu einer neuen darlehensrechtlichen Verbraucherschutzvorschrift (§ 609 a I Nr. 2 BGB) umgestaltet und ausgebaut worden. (5) Wie die gegenwärtige, unter dem Schlagwort "moderner Schuldturm" geführte heftige Diskussion, die verwirrende und kaum noch überschaubare Rechtsprechung zu den rechtlichen Schranken überhöhter Zinsen und verschiedene rechtspolitische Initiativen zeigen, (6) bestehen auf dem Gebiet des Verbraucherkredits erhebliche Mißstände. Dies soll mit einigen Zahlen belegt werden. Nach der Begründung eines in der 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags eingebrachten, aber nicht mehr behandelten "Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Kreditwuchers und zur Vertragshilfe bei notleidenden Krediten (Kreditwuchergesetz)" soll bei 86 % aller Teilzahlungskredite der effektive Jahreszins oberhalb von 14 v.H. liegen; bei 14 % aller direkten Ratenkredite und 83 % aller vermittelten Ratenkredite soll ein Effektivzins von 20 v.H. überschritten werden. (7) Einer kürzlichen Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher zufolge seien von 20.000 statistisch ausgewerteten Ratenkreditverträgen 40 % mit Zinsüberhöhungen von 85 % und darüber sittenwidrig gewesen (NN Nr. 149 vom 1.7.88 S. 4).

 

Welche Möglichkeiten der rechtlichen Kontrolle der Zinshöhe bietet das geltende Recht? Allein dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden. Bevor das vorhandene Instrumentarium der Zinshöhekontrolle überprüft wird, ist zunächst der Begriff des Zinses im Rechtssinne zu klären und ist ein kurzer Blick auf die gesetzliche Regelung von Zinsschuld und Zinshöhe zu werfen.

 

 

 

I. Zinsbegriff

 

Im BGB findet sich keine Legaldefinition des Zinses, der Begriff wird vielmehr in den einzelnen einschlägigen Vorschriften bereits vorausgesetzt. (8)

 

Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, der zunächst auch der Bundesgerichtshof gefolgt ist, war unter "Zins" die fortlaufend zu entrichtende Vergütung für den Gebrauch eines in Geld oder anderen vertretbaren Sachen bestehenden Kapitals zu verstehen, die nach Bruchteilen des Kapitals berechnet wird und im voraus dem Betrag nach bestimmt ist. (9)

 

Diese Definition hat der BGH in den letzten Jahren in zwei wesentlichen Punkten modifiziert.

 

So ist es nicht mehr notwendig, daß die Zinsschuld in zeitlich nacheinanderfolgenden Teilbeträgen entrichtet wird. Vielmehr kann die betreffende Summe auch auf einmal entrichtet werden, ja es ist sogar möglich, den Gesamtbetrag von vornherein von der auszuzahlenden Kreditsumme einzubehalten. (10)

 

Schließlich ist auch genügend, wenn der geschuldete Zins zum Zeitpunkt seiner Entstehung der Höhe nach - nur - bestimmbar ist. Damit ist es bei Gelddarlehen möglich, die Zinshöhe an einen beweglichen Marktfaktor, wie z.B. den Lombard- oder Diskontsatz, zu binden. (11) Darlehen können sowohl mit "festem" als auch "veränderlichem Zinssatz" vereinbart werden; daran knüpft die neue Kündigungsregelung in § 609 a I, II BGB an.

 

Somit wird heute der Zins allgemein als laufzeitabhängige, jedoch gewinn- und umsatzunabhängige, in Geld zu entrichtende Vergütung für die Möglichkeit des Kapitalgebrauchs definiert, die in einem Bruchteil des Kapitals ausgedrückt wird. (12)

 

 

 

II. Zinsschuld und Zinshöhe

 

1. Vertragliche und gesetzliche Zinsen

 

Zinsen können auf rechtsgeschäftlicher Vereinbarung beruhen - "vertragliche Zinsen" - ; ein Beispiel ist die Vereinbarung eines verzinslichen Darlehens. Eine Zinsschuld kann aber auch aufgrund Gesetzes entstehen - "gesetzliche Zinsen" -; ein Beispiel bildet der ab Eintritt des Zahlungsverzuges geschuldete Verzugszins.

 

Die Unterscheidung zwischen gesetzlichen und vertraglichen Zinsen ist von Bedeutung für die Zinshöhe.

 

 

 

2. Zinshöhe beim gesetzlichen Zins

 

Der gesetzliche Zinssatz beträgt im bürgerlichrechtlichen Verkehr 4 %, im kaufmännischen Verkehr 5 %, für den engbegrenzten Teilbereich des Wechsel- und Scheckrechts mindestens 6 %.

 

Gemäß § 246 BGB sind gesetzliche und rechtsgeschäftliche Geldschulden, "sofern nicht ein anderes bestimmt ist", mit "vier vom Hundert für das Jahr" zu verzinsen. Für Verzugszinsen wird dies in § 288 I 1 BGB ausdrücklich wiederholt:

 

"Eine Geldschuld ist während des Verzugs mit vier vom Hundert für das Jahr zu verzinsen".

 

Ebenfalls beigefügt ist der Vorbehalt: "Kann der Gläubiger aus einem anderen Rechtsgrunde höhere Zinsen verlangen, so sind diese fortzuentrichten" (§ 288 I 2 BGB).

 

Auch bei Prozeßzinsen ist die Geltung des gesetzlichen Zinssatzes ausdrücklich klargestellt (§ 291 in Verb. mit § 288 I 1 BGB). Außerhalb des BGB begegnet der Zinssatz von 4 % auch in der ZPO; gem. § 104 I 2 ZPO sind festgesetzte Prozeßkosten auf Antrag in Höhe von 4 % zu verzinsen.

 

Abweichungen gelten im Handels- und Wertpapierrecht. § 352 HGB erhöht den Zinssatz für beiderseitige Handelsgeschäfte "mit Einschluß der Verzugszinsen" auf 5 %. Beim Rückgriff aus einem inländischen Wechsel beträgt der Zinssatz 2 vom Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, mindestens 6 vom Hundert (Art. 48 I Nr. 2, 49 Nr. 2 WG); der gleiche Zinssatz gilt beim Rückgriff aus einem inländischen Scheck (Art. 46 Nr. 2 ScheckG).

 

 

 

3. Zinshöhe beim vertraglichen Zins

 

Das BGB enthält keine Vorschrift über die (zulässige) Höhe des vereinbarten Zinses, also etwa des Vertragszinses beim Darlehen; die Zinshöhe unterliegt damit im Rahmen der allgemeinen Vorschriften über wucherische, wucherähnliche und sittenwidrige Rechtsgeschäfte der freien Vereinbarung. (l3)

 

Das geltende bürgerliche Recht kennt - im Gegensatz zu dem Rechtszustand bis zum 1.1.1987 - auch keine Vorschrift mehr, die an die Höhe des vereinbarten Zinses anknüpft. Ein unabdingbares Kündigungsrecht bei hohem Zinssatz gewährte § 247 BGB, der in seinem Abs.I Satz 1 folgendes bestimmte:

 

"Ist ein höherer Zinssatz als sechs vom Hundert für das Jahr vereinbart, so kann der Schuldner nach dem Ablauf von sechs Monaten das Kapital unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten kündigen".

 

Die Vorschrift ist seit dem 1.1.1987 außer Kraft. Der an ihre Stelle getretene § 609 a BGB n.F. knüpft nicht mehr an die Zinshöhe an, sondern macht das unabdingbare (§ 609 a III 1 BGB) Kündigungsrecht des Darlehensnehmers von der Art des gewährten Kredits und der Person des Darlehensnehmers - Verbraucherdarlehen - abhängig.

 

Auch außerhalb des BGB gibt es seit 1967, also seit über 20 Jahren, so gut wie keine festen Zinsobergrenzen mehr. Für den bankmäßigen Kredit und insbes. den Teilzahlungsfinanzierungskredit waren die Zinsen allerdings lange Zeit nicht freigegeben. Erst am 1.4.1967 wurden die Zinsverordnung und die Bestimmungen über die Kosten für Teilzahlungsfinanzierungskredite und Kleinkredite aufgehoben (14) und damit die Zinsfreiheit im Bereich der Kreditwirtschaft wieder hergestellt.

 

Die - soweit ersichtlich (15) - letzte feste Zinsobergrenze von 1 % p.m. findet sich heute in § 10 I Nr. 1 der Pfandleiherverordnung. (16)

 

Bevor auf das rechtliche Instrumentarium zur Kontrolle der Zinshöhe im geltenden Recht eingegangen wird, soll vorab ein kurzer Rückblick auf die Zinshöhe im Laufe der geschichtlichen Entwicklung geworfen werden.

 

 

 

4. Zinshöhe in der geschichtlichen Entwicklung

 

a) Die ältere Rechtsentwicklung

 

Bereits in altrömischer Zeit waren Zinsen (fenus, usurae) als Entgelt für die Nutzung von Fremdkapital gebräuchlich. (17)

 

Daneben kannte man auch schon Verzugszinsen als pauschalierten Schadensersatz, der bei Geldschulden an die Stelle des Anspruches auf die gezogenen Sachfrüchte trat. (18)

 

In den Zwölftafelgesetzen (ca. 450 v.Chr.) wurde für Darlehensverträge ein Zinshöchstsatz von 8 1/3 % p.a. festgelegt. Diese Grenze wurde im vierten vorchristlichen Jahrhundert sogar noch auf die Hälfte herabgesetzt. Später (ca. 342 v.Chr.) soll zeitweilig ein generelles Zinsverbot gegolten haben. (19)

 

Allgemein bürgerte sich am Ende der römischen Republik (ca. 51 v.Chr.) ein Höchstsatz für vertragliche und gesetzliche Zinsen von 12 % p.a. ein. (20)

 

Kaiser Justinian legte im sechsten nachchristlichen Jahrhundert - beeinflußt durch die christliche Lehre - die Sätze wieder wesentlich niedriger fest - für den Regelfall auf 6 % p.a. (21)

 

Ab ca. 300 n.Chr. begann sich das kanonische Zinsverbot zu entwickeln, das im frühen Mittelalter die europäische Gesetzgebung prägte. (22) Eine Ausnahme galt lediglich für den jüdischen Teil der Bevölkerung. (23)

 

Doch bereits im 13. und 14. Jahrhundert n.Chr. wurde das generelle Zinsverbot von Kirche und Staat immer mehr zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zurückgedrängt, (24) so daß sich schließlich im 16. Jahrhundert n.Chr. ein allgemeiner Zinssatz von 5 und 6 % p.a. einbürgerte. (25) Im ALR von 1794 findet das System der Zinshöchstgrenzen wie folgt Ausdruck:

 

"Bey Darlehnen können, der Regel nach, nur Fünf vom Hundert an jährlichen Zinsen vorbedungen werden".

 

"Kaufleuten ist erlaubt, Sechs, und Juden Acht vom Hundert, an Zinsen sich verschreiben zu lassen". (26)

 

 

 

b) Die neuere Rechtsentwicklung'

 

Die anbrechende Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihrer Notwendigkeit der kurzfristigen Aufbringung großer Kapitalmengen drängte die negative Einstellung gegen Zins und Kredit zunehmend zurück und führte zu einer weitgehend liberalen Rechts- und Wirtschaftsordnung. (27) Dem entspricht es auch, daß sich die Haltung der katholischen Kirche im Laufe der Zeit vom Zinsverbot zur Tolerierung des Zinses unter bestimmten Voraussetzungen hin entwickelte. (28)

 

Die weitere Entwicklung zur völligen Zinsfreiheit führt über das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch zu dem Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 14.11.1867, das schließlich Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch fand. Das AD HGB von 1861, das bekanntlich nicht unmittelbar galt, sondern im Weg der Partikulargesetzgebung von den deutschen Einzelstaaten 1861-1865 in Kraft gesetzt wurde, führte die Zinsfreiheit für Kaufleute als Darlehensnehmer und Schuldner ein. In der Zinsfreigabenorm des Art. 292 schwingt die alte Zinsobergrenze von 6 % noch deutlich mit. Die Vorschrift lautet:

 

"Bei Handelsgeschäften können Zinsen zu sechs vom Hundert jährlich bedungen werden; ...

 

Bei Darlehen, welche ein Kaufmann empfängt, und bei Schulden eines Kaufmanns aus seinen Handelsgeschäften können auch höhere Zinsen als Sechs vom Hundert jährlich bedungen werden".

 

Die allgemeine Zinsfreiheit brachte - zunächst beschränkt für den Norddeutschen Bund und seit 1871 für das Gebiet des Deutschen Reichs - erst das Bundesgesetz vom 19. Nov. 1867. Im Wortlaut seines § 1 kommt der neue Grundsatz klar zum Ausdruck:

 

"Die Höhe der Zinsen, sowie die Höhe und die Art der Vergütung für Darlehen und andere kreditierte Forderungen, ferner Konventionalstrafen, welche für die unterlassene Zahlung eines Darlehens oder einer sonst kreditierten Forderung zu leisten sind, unterliegen der freien Vereinbarung".

 

Allerdings hat der Gesetzgeber als Ersatz für die weggefallenen Zinshöchstgrenzen gleichzeitig ein Kündigungsrecht bei hohem Zins als zwingende Schuldnerschutzvorschrift eingeführt. In der Vorläufernorm des späteren § 247 BGB, dem § 2 des Gesetzes vom 24.11.1867, kehrt die alte Zinsobergrenze in veränderter Funktion wieder:

 

"Derjenige, welcher für eine Schuld dem Gläubiger einen höheren Zinssatz als jährlich sechs vom Hundert gewährt oder zusagt, ist zu einer halbjährigen Kündigung des Vertrages befugt. Jedoch kann er von dieser Befugnis nicht unmittelbar bei Eingehung des Vertrages, sondern erst nach Ablauf eines halben Jahres Gebrauch machen".

 

Bei der Schaffung des BGB bestand an der Beibehaltung der Zinsfreiheit kein Zweifel. In den Motiven zum BGB wird die "Zinsfreiheit" als fortschrittliches "Prinzip" gefeiert und dem alten, überholten System der "Zinstaxe" gegenübergestellt:

 

"Das Recht, Zinsen zu nehmen, unterlag bekanntlich bis in die neuere Zeit verschiedenen Verboten und Beschränkungen. Die Entwicklung, welche die Gesetzgebung diesfalls in Deutschland und in den übrigen europäischen Staaten genommen hat, zeigt neben vielfachen Schwankungen ein Fortschreiten von den alten Verboten und Beschränkungen bis zur prinzipiellen Freigebung des Rechts, Zinsen zu nehmen. (Fast) in allen europäischen Staaten ... ist heutzutage das Prinzip der Zinstaxe mit dem Prinzipe der Zinsfreiheit vertauscht ... Kein Anlaß liegt vor, dieses Prinzip zu ändern ..." (29)

 

Umstritten und im I. Entwurf nicht enthalten war das Kündigungsrecht bei hohem Zins gem. § 2 des Bundesgesetzes von 1867. Für die Übernahme durch die II. Kommission waren Gründe des Schuldnerschutzes maßgebend, die erstaunlich modern anmuten: Das "Kündigungsrecht des Schuldners bei hohen Zinsen sei, jedenfalls seiner Wirkung nach, ein Mittel gegen den Mißbrauch der wirtschaftlichen Übermacht des Gläubigers gegenüber dem Schuldner. Bei der herrschenden starken Strömung, welche auf eine Verstärkung des Schutzes des wirtschaftlich Schwächeren gehe und die auch in der Kritik des Entwurfs zum Ausdruck gelangt sei, empfehle es sich nicht, dieses bestehende Schutzmittel für den Schuldner fallen zu lassen". (30)

 

Die Festsetzung des gesetzlichen Zinssatzes war ohne legislatorische Vorentscheidung durch das - damals - geltende Recht zu treffen. Die Entscheidung fiel erst 1896 in der Reichstagskommission zugunsten eines Zinssatzes von 4 %, nachdem die Entwürfe noch von 5 % ausgegangen waren; (31) der Grund lag in dem niedrigen damaligen Zinsniveau: Von 1867 bis 1900 hielt sich das Zinsniveau auf der Höhe von 3 bis 4 %; (32) es lag damit - deutlich unter dem als ungewöhnlich hoch angesehenen Grenzzinssatz von 6 %. (33) Diese Niedrigzinsphase hielt in den ersten zwei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts zunächst noch an. Seitdem hat sich das Zinsniveau grundlegend verändert. Während der Inflationszeit stiegen die Zinsen so stark an, daß § 247 BGB von 1923 -1931 vorübergehend außer Kraft gesetzt werden mußte. (34)

 

 

Auch nach der Währungsreform 1948 bewegte sich der allgemeine Kapitalzins fast stets über dem Grenzzinssatz von 6 %, der damit heute nicht mehr als "hoch" bezeichnet werden kann. (35)

 

Seit der Währungsreform unterliegt der Kapitalmarkt mehr oder weniger starken Schwankungen, Hochzins- (1973/74; 1981/82) und Niedrigzinsphasen (1959;1976/77; 1983 ff) lösen sich ab. Einen Überblick über die Zinsentwicklung (Ratenkredit, Diskontsatz, Lombardsatz) für die letzten Jahrzehnte geben die folgenden Graphiken (35a ).

 

 

 

 

III. Das rechtliche Instrumentarium zur Kontrolle der Zinshöhe

 

Die einzelnen Kontrollinstrumente gegenüber hohem Zins sind bisher bereits wiederholt genannt worden; nunmehr gilt es, sie einzeln auf ihre Tauglichkeit zur Zinskontrolle näher zu untersuchen.

 

 

 

1. Kündigungsrecht des Schuldners bei hohem Zinssatz

 

§ 247 I BGB a.F. gewährt dem Schuldner einer mit mehr als 6 % jährlich verzinslichen Kapitalschuld das unabdingbare Recht, das Kapital nach Ablauf von 6 Monaten mit einer Kündigungsfrist von weiteren 6 Monaten zu kündigen. Durch dieses Kündigungsrecht wird der Grundsatz der Zinsfreiheit im Interesse des Schuldnerschutzes durchbrochen: Die Bindungsfrist an eine den Grenzzins von 6 % überschreitende Zinsvereinbarung ist zeitlich beschränkt; die rechtliche Höchstbindungsfrist setzt sich aus der Mindestlaufzeit des Vertrages (6 Monate) und der Kündigungsfrist (6 Monate) zusammen und beträgt damit insgesamt ein Jahr. Die Bedeutung der Höhe des Grenzzinses wird vor dem Hintergrund der Zinsverhältnisse bei Inkrafttreten des BGB deutlich. (37) Ein Zinssatz von 6 % betrug das 1 ½ -fache des Marktzinses von 4 % und war damit hoher Zins; er lag andererseits deutlich unter der Wucherzinsgrenze; verlangt man hierfür Zinsen mindestens in Höhe des Zweifachen des Marktzinses (sog. 100 %-Regel), so dürfte die kritische Grenze zum Wucher- bzw. wucherähnlichen Zins bei 8 % begonnen haben. Das gesetzliche Kündigungsrecht war daher in Fällen marktunüblich hoher Zinsen ein einfacher Rechtsbehelf für den Schuldner, ohne den Nachweis eines Wuchertatbestands - innerhalb der genannten Fristen - eine Umschuldung zum niedrigeren Marktzins und damit letztlich eine Zinsanpassung auf das niedrigere Niveau des Marktzinses herbeizuführen. Die grundlegende Veränderung der Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt hat freilich in der Folge zu einem Funktionswandel des § 247 I BGB geführt. (38) Lag der Marktzins bereits über der 6 %-Grenze, so unterlagen alle zu den üblichen Konditionen abgeschlossenen Darlehensverträge der unabdingbaren Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch die Darlehensschuldner wurde immer bei fallendem Marktzins wirtschaftlich sinnvoll, selbst wenn sich die Zinsschwankungen oberhalb der 6 %-Grenze bewegten. Aus dem Ausnahmebehelf zugunsten eines durch die Zinskonditionen benachteiligten Darlehensschuldners war ein - abgesehen von den Fristen - prinzipiell voraussetzungsloses allgemeines Kündigungsrecht geworden. (39) Die einseitige Verlagerung des Zinsänderungsrisikos auf den Darlehensgeber bei zu Normalbedingungen abgeschlossenen Darlehensverträgen war nicht vom ursprünglichen Gesetzeszweck gedeckt. Mit Recht ist daher § 247 BGB aF mit Wirkung vom 1.1.1987 beseitigt worden. Ein Instrument zur Herabsetzung des Zinsniveaus auf 6 % war § 247 BGB aF ohnehin nie. (40)

 

 

 

2. Hoher Zins und wucherisches Rechtsgeschäft

 

Wucher ist die traditionelle Schranke der Zinsfreiheit. So enthielt der Entwurf zum BGB die später als selbstverständlich gestrichene Vorschrift: (41)

 

"Die Höhe der Zinsen unterliegt der freien Vereinbarung, soweit nicht reichsgesetzliche Vorschriften über den Wucher entgegenstehen."

 

Die - heute bundesrechtlichen - Vorschriften über den (Individual-) Wucher finden sich in § 138 II BGB und § 302 a StGB; sie werden ergänzt durch die Ordnungswidrigkeit der "Preisüberhöhung in einem Beruf oder Gewerbe" gem. § 4 des Wirtschaftsstrafgesetzes, der einen Fall des Sozialwuchers erfasst. (42)

 

Die Tatbestände des Wuchers im bürgerlichen und Strafrecht decken sich im wesentlichen. (43) Danach setzt Wucher beim Darlehen als objektives Moment ein "auffälliges Mißverhältnis" der Leistungen von Kreditgeber und -nehmer voraus; davon kann bei einer Zinsüberhöhung um das Doppelte des Marktzinses und mehr gesprochen werden; (44) weiter ist als subjektives Moment erforderlich, daß das Rechtsgeschäft "unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche" des Darlehensnehmers zustandegekommen ist (§ 138 II BGB; § 302 a I StGB).

 

Rechtsfolge des Wuchers ist die Nichtigkeit des Darlehensvertrages. (45) Der Darlehensnehmer kann sich jederzeit auf die Nichtigkeit berufen und braucht für die Zeit der Kapitalnutzung keinen Zins zu entrichten, insbesondere auch keinen Zins in angemessener Höhe; das empfangene Kapital ist zurückzuerstatten, jedoch nur im Rahmen der vertraglichen Rückzahlungsfristen. (47)

 

Aus dem Wuchertatbestand folgt, daß allein die Zinsüberhöhung als solche nicht ausreicht, da zum objektiven "auffälligen Leistungsmißverhältnis" noch ein - subjektiver - Ausbeutungstatbestand hinzutreten muß. Versuche, den Wuchertatbestand beim Darlehen in der Weise zu objektivieren, daß bei besonders krasser Zinsüberhöhung auf die übrigen Merkmale (Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit usw.) verzichtet werden kann, hat der BGH in einem Grundsatzurteil vom 12.3.1981 abgelehnt. Abweichend davon hatte das OLG Stuttgart in der aufgehobenen Entscheidung (49) die Auffassung vertreten, daß der Wuchertatbestand des § 138 II BGB auch dann gegeben sei, wenn das Tatbestandsmerkmal des "auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung" "übererfüllt", das weiter erforderliche Merkmal der Ausbeutung der Unerfahrenheit des Vertragspartners des Kreditgebers "untererfüllt" oder "in geringem Maße" erfüllt sei. Demgegenüber hält der BGH beim Wucher streng an den zusätzlichen subjektiven Merkmalen fest. "Ein wucherisches Rechtsgeschäft im Sinne des § 138 II BGB liegt nur vor, wenn alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind". (50) Liegt ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, so erfordert der Tatbestand des Wuchers nach § 138 II BGB daneben die Ausbeutung besonderer persönlicher Schwächen des Vertragsgegners". (51) Zwar kann "ein grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ... die Annahme zwingend nahelegen, daß der Vertragspartner, der aus diesem objektiven Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung Vorteil zieht, bewußt oder grob fahrlässig irgendeinen den Vertragspartner beeinträchtigenden Tatumstand sittenwidrig ausgenutzt hat"; (52) jedoch ist unerläßlich, daß die "besondere persönliche Schwäche des Vertragsgegners" als beeinträchtigender Tatumstand im Prozeß festgestellt wird. Auf der Grundlage dieser Interpretation scheidet der Wuchertatbestand als Instrument der Kontrolle von überhöhtem Zins bei Bankkrediten aus. Die entscheidenden subjektiven Voraussetzungen sind auf die Fälle des "Individualwuchers" zugeschnitten; beim Massengeschäft des bankmäßigen Kredits zu überhöhten Zinsen - "Sozialwucher" - ist ein dahingehender Nachweis vom Darlehensnehmer praktisch nicht erbringbar. In der Rechtspraxis spielt daher der Kreditwucher als Instrument der Zinskontrolle so gut wie keine Rolle. (53)

 

 

 

3. Hoher Zins und wucherähnliches Rechtsgeschäft

 

In neuerer Zeit hat als Schranke der Zinsfreiheit zunehmend die Sittenwidrigkeit an Bedeutung gewonnen. (54) Gemäß § 138 I BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Wucher ist nur ein besonders schwerer Sonderfall von Sittenwidrigkeit, (55) die Verneinung von Wucher schließt daher das Vorliegen von Sittenwidrigkeit nicht aus. Sittenwidrig ist bereits das sog. wucherähnliche Geschäft, also auch der wucherähnliche Darlehensvertrag. Die Konkretisierung der Generalklausel der guten Sitten ermöglicht einen Rückgriff auf die Wertung des Grundgesetzes und damit auf die Sozialstaatsklausel; (56) auf verbraucherrelevanten Rechtsgebieten ist bei der Konkretisierung der Generalklausel dem Gedanken des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen. Nach der Schaffung einer besonderen Darlehensnehmerschutzvorschrift beim Verbraucherkredit (§ 609 a I Nr. 2 BGB) sind im Rahmen der Prüfung von Ratenkrediten am Maßstab der "guten Sitten" die Gebote des Verbraucherschutzes angemessen zu berücksichtigen. Die Schranke der "Sittenwidrigkeit" erweist sich damit als das richtige Instrument zur Kontrolle der Zinshöhe.

 

Wie kann aber ein derart unpräziser Maßstab wie der der Sittenwidrigkeit diese Aufgabe erfüllen?

 

Dieser Frage ist nunmehr im folgenden letzten Abschnitt näher nachzugehen.

 

 

 

 

IV. Kontrolle überhöhter Vertragszinsen durch die Rechtsprechung

 

1. Festsetzung von Höchstzinssätzen durch die Rechtsprechung?

 

Scheinbar am einfachsten wäre es, mit Hilfe der Generalklausel richterrechtlich Höchstzinssätze festzulegen, bei deren Überschreitung die Zinsvereinbarung sittenwidrig und damit nichtig ist. Als sittenwidrig überhöhter Zins käme in Anlehnung an historische Vorbilder - laesio enormis, (57) justum pretium (58) - ein Zinssatz in Frage, der den Marktzins um das Doppelte übersteigt; diese sog. "relative" oder 100 %-Grenze hat das OLG Stuttgart für ein Darlehen der Niedrigzinsphase (1975 -1979) näher begründet. (59) In einer Niedrigzinsphase - Marktzins liegt bei 9 % oder niedriger - läge damit die kritische Zinshöhe bei 18 %, in einer Hochzinsphase dagegen - bei einem Marktzins von etwa 14 % - erst ab 28 %. Zur Korrektur der 100 %-Grenze nach unten ist für Hochzinsphasen in der neuesten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ein absoluter Zinsunterschied von 12 Prozentpunkten als Maßstab entwickelt worden; (60) danach liegt eine sittenwidrige Zinsüberhöhung bereits dann vor, wenn der Vertragszins 12 % über dem Marktzins liegt, bei einem Marktzins von 14 % also bereits ab 26 %, nicht erst ab 28 %.

 

Der Bundesgerichtshof hat es abgelehnt, sich durch die Entwicklung fester Zinsobergrenzen die Rolle eines staatlichen Preiskommmissars aufdrängen zu lassen. Gegenüber der relativen Zinsobergrenze des OLG Stuttgart hat er leitsatzmäßig ausgesprochen: "Ein Teilzahlung- oder Ratenkredit ist nicht schon allein deshalb sittenwidrig, weil der von der Bank verlangte effektive Jahreszins den marktüblichen Zins um 100 % überschreitet.“ (61) In dem zugrundeliegenden Fall entsprach der Vertragszins einem effektiven Jahreszins von 31 % und überschritt damit den Marktzins um 180 %. Zur Begründung führt der BGH - m.E. überzeugend - aus: "§ 138 BGB setzt der Vertragsfreiheit, insbesondere der Vertragsgestaltungsfreiheit, zwar Schranken gegen einen Mißbrauch dieser Freiheit. Diese Regelung hat aber nicht den Sinn, die von den Vertragspartnern vorgenommene subjektive Bewertung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung durch die richterliche Festlegung objektiver „Preisnormen“, also beim Konsumentenkredit durch die Festsetzung bestimmter fester Höchstzinssätze, zu begrenzen ..." (62) "Mit der Einführung einer Kreditzinsbegrenzung (Preisgrenze), die auch unabhängig von individuell ausgehandelten Umständen (z.B. Sicherheiten) und ohne Rücksicht auf die sonstige Ausgestaltung des Vertrages und auf seine Rahmenbedingungen gelten soll, würde der Richter nicht die ihm obliegende Aufgabe der Konkretisierung des § 138 BGB erfüllen, sondern die ihm im gewaltenteilenden Rechtsstaat gesetzten Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschreiten."

 

Für eine Zinsobergrenze mit Hilfe der "absoluten" Differenzregel kann im Ergebnis nichts anderes gelten. (64)

 

Der Weg zur Kontrolle überhöhter Zinssätze führt daher über die Ausformung des wucherähnlichen Darlehens, zu dessen objektivem Tatbestand der Zinsüberhöhung noch weitere Umstände hinzutreten müssen, die dem Vertrag insgesamt ein sittenwidriges Gepräge verleihen.

 

 

 

 

2. Zinshöhe und wucherähnliches Kreditgeschäft

 

Für ein wucherähnliches Kreditgeschäft ist nach der gefestigten Rechtsprechung erforderlich, daß die Gesamtwürdigung des Darlehensvertrages ein sittenwidriges Ausbeutungsgeschäft ergibt. Im einzelnen müssen objektive und subjektive Voraussetzungen erfüllt sein:

 

- Es muß ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Gesamtleistung des Kreditgebers und der Gesamtbelastung des Kreditnehmers bestehen (objektives Merkmal);

 

- Die Vertragsgestaltung muß zumindest abstrakt dazu geeignet sein, den Kreditnehmer einseitig in besonderer Weise zu belasten; das gilt insbesondere für die durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditgebers auferlegten Kreditkonditionen (weiteres objektives Merkmal);

 

- Subjektive Voraussetzung ist, daß sich der Kreditnehmer nur wegen seiner wirtschaftlich schwächeren Lage, Rechtsunkundigkeit und Geschäftsungewandtheit auf den ihn übermäßig belastenden Vertrag einläßt und der Kreditgeber dieses erkennt oder sich dieser Kenntnis leichtfertig verschließt.

 

Nun zu den genannten Merkmalen im einzelnen:

 

a) Objektives Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung

 

Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung als objektive Voraussetzung (65) von § 138 I BGB wird vom BGH in st.Rspr. bejaht, wenn der Vertragszins relativ rund doppelt so hoch ist wie der Marktzins. (66) Da es sich hierbei jedoch nicht um eine starre Grenze handelt, ist eine Anwendung von § 138 I BGB auch dann zu rechtfertigen, wenn die relative Zinsdifferenz zwischen 90 % und 100 % des Marktzinses liegt und der Kreditnehmer durch AGB und/oder sonstige Umstände unbillig belastet wird. (67) Übersteigt dagegen der Vertragszins den Marktzins um weniger als 90 %, so hat der BGH ein auffälliges Mißverhältnis regelmäßig verneint. (68) Ob und unter welchen Umständen in Hochzinsphasen bereits eine bestimmte absolute Zinsdifferenz ein auffälliges Mißverhältnis anzeigt, auch wenn die relative Zinsdifferenz weniger als 90 % beträgt, hat der BGH bisher noch nicht abschließend entschieden; in einem Umschuldungsfall, in dem die Bank die Gewährung des gewünschten Barkredits davon abhängig gemacht hatte, daß der Kreditnehmer erheblich zinsgünstigere Vorkredite bei anderen Banken ablöste, hat der BGH erstmals eine kombinierte Methode von absoluter und relativer Zinsüberhöhung angewendet; dem für die Amtliche Sammlung bestimmten Urteil vom 24.3.1988 hat der BGH folgenden Leitsatz beigegeben.

 

"Ein objektives Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann auch dann vorliegen, wenn bei einem Ratenkreditvertrag der vereinbarte Zins den Marktzins zwar relativ nur um erheblich weniger als 100 % übersteigt (hier: 83,72 %), der absolute Zinsunterschied aber außergewöhnlich hoch ist (hier: 13,58 %) und der Kredit zu wesentlichen Teilen der Ablösung zinsgünstigerer anderer Darlehen diente." (69)

 

Im entschiedenen Fall betrug der Bar-Anteil des Kredits DM 5.000,--, der Ablösungsbetrag DM 25.000,--, der Zins der abgelösten Kredite war absolut 10 % niedriger als der Vertragszins (19,75 % gegenüber 29,8 %). Die Entscheidung zeigt, wie für die Sittenwidrigkeit neben der - relativen und absoluten - Zinshöhe sonstige Umstände - wirtschaftlich nicht vertretbare Umschuldung - entscheidende Bedeutung gewinnen können.

 

Liegt der objektive Tatbestand des wucherähnlichen Konsumentenkredits vor, so werden die persönlichen, subjektiven Voraussetzungen des § 138 I BGB vermutet. (70) Darin liegt eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Verbrauchers. (71) Der Darlehensnehmer braucht daher die Kenntnis der Bank von den subjektiven Merkmalen oder ihr leichtfertiges Sichverschließen nicht zu beweisen.

 

Ich komme zum Schluß und fasse zusammen:

 

Die Rechtsprechung hat zunehmend die Intensität der rechtlichen Kontrolle der Zinshöhe verschärft und den Umfang der Zinsfreiheit entsprechend eingeschränkt.

 

Die Umschreibung der Zinsfreiheit im I. Entwurf zum BGB

 

- "Zinsen können in jeder Höhe durch Vertrag bedungen werden, soweit nicht reichsgesetzliche Vorschriften über den Wucher entgegenstehen" - trifft für den heutigen Rechtszustand nicht mehr zu. Mit dem Übergang vom Wucherzins zum sittenwidrig überhöhten Zins als Kontrollmaßstab hat die Rechtsprechung auf einem sozial empfindlichen Gebiet ein Stück Verbraucherschutzgesetzgebung vorweggenommen. Der im vergangenen Monat veröffentlichte Entwurf eines "Verbraucherkreditgesetzes" sieht mit Rücksicht auf die BGH-Rechtsprechung bewußt von einer Normierung der Zinshöhe für Verbraucherkredite ab. Den "besonderen Vorteil" des gegenwärtigen Rechtszustands gegenüber festliegenden objektiven Größen sieht der Entwurf - wohl zurecht - gerade darin, daß die Gerichte "dem Konsumentenschutz durch eine flexible Handhabung einzelfallbezogen gerecht werden können." (72)

 

 

 

 

 

1) Palandt-Putzo, BGB, 47. Aufl. 1988, § 608 Anm. 2.

2) Motive zu dem Entw. eines BGB, Bd. II (1888), S. 195; Staudinger - K. Schmidt, BGB, 12. Aufl.1983, § 246 Rdnr. 61.

3) Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 1 b cc; Einf. 3 a und c vor § 145; Jauernig‑Vollkommer, BGB, 4. Aufl. 1987, Anm. 1 a vor § 241; BGHZ 80,153 [157].

4) Staudinger-K. Schmidt, § 248 Rdnr. 3.

5) Die Begründung des Gesetzes bezeichnet es ausdrücklich als das Ziel der Ablösung von § 247 BGB aF durch § 609 a BGB nF, "den Schuldnerschutz nur dort auf ein angemessenes Maß zurückzuführen, wo er sich in der Vergangenheit als besonders störend erwiesen hat" (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften vom 29.1.1986, BT-Drucksache 10/4741, S. 21).

6) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches, BT-Drucks. 10/307, dazu Beschlußempfehlung und Bericht, BT-Drucks. 10/3781; Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Kreditwuchers und zur Vertragshilfe bei notleidenden Krediten (Kreditwuchergesetz), BT-Drucks. 10/4595.

7) BT-Drucks. 10/4595, S. 6.

8) Münchener Rechtslexikon, Band 3 (1987), S.1258 ("Zinsen (Schuldrecht)").

9) Staudinger-K Schmidt, § 246 Rdnr. 7 m.w.N.

10 ) Canaris, NJW 1978, S. 1891.

11)       Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 12 VIII, S.180.

12)     Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdnr. 1323.

13) Vgl. bereits oben Fußn. 1 und 2.

14) Verordnung über die Aufhebung der Zinsverordnung und von Bestimmungen über die Kosten für Teilzahlungsfinanzierungskrediten und Kleinkrediten vom 21.3.1967, BGBl I, S. 1334. Bei der Novellierung des KWG im Jahr 1984 wurde die bis dahin in § 23 KWG enthaltene Ermächtigung zum Erlaß von Zinsverordnungen gestrichen (vgl. dazu Koziol, AcP 188 [1988], 183, 195).

15) Vgl. Staudinger-K Schmidt, § 246 Rdnr. 61.

16) Verordnung über den Geschäftsbetrieb der Pfandleiher i.d.F. der Bek. vom 1.7.1976 (BGBl I,

S. 1334), geändert durch VO vom 5.12.1979 (BGBl I, S. 1989).

17) Kaser, Römisches Privatrecht, 12. Aufl. 1981, S.143 f.

18) Kaser, aaO, S. 155.

19) Kaser, aaO, S. 143.

20) v. Heymann, BB Beilage 8/1983, S. 3.

21) v. Heymann, BB Beilage 8/1983, S. 3.

22) Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Band I (1960), S. 270, 438; Band II (1962), S. 449.

23) Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 1984, S. 27; Plöchl. aaO, II, S. 449 f; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band II (1966), S. 225. Vgl. auch ALR 111, § 805.

24) Plöchl, aaO II, S. 450 und v. Heymaan, Die Kündigung von Darlehen nach § 247 BGB, 1984, S. 22.

25) v. Heymann, BB Beilage 8/1983, S. 4.

26) ALR 111, §§ 804, 805.

27) v. Heymann, BB Beilage 8/1983, S. 4.

28) Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, II. Band (1967), S. 535; Hörmann, Lexikon der christlichen Moral, 1969, Sp.165 ff, 1385 ff.

29) Motive zu dem Entw. eines BGB, Band II (1888), S. 195.

30) Protokolle II, S. 951 = Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, Band II (1899), S. 628.

31) KommBer II, S. 56 f = Mugdan II, S.1271.

32) Vgl. Mugdan II, S. 8 f, 508 ff, 1234 f,1271 f.

33) v. Heymann, aaO (Fußn. 24), S. 27.

34) v. Heymann aaO (Fußn. 24), S. 31

35) v. Heymann, aaO (Fußn. 24), S. 32; Begründung zum Entw. § 609 a BGB nF, BT-Drucks. 10/4741, S. 20.

35a) Vgl. unten Seite 26, 27.

36) In den Entwürfen zum BGB war das Kündigungsrecht bei hohem Zins als Ausnahme zum Grundsatz der Zinsfreiheit formuliert; vgl. § 211 II (§ 240 II) Entw. II und dazu Mugdan II, S. 628,1234; vgl. auch oben zu Fußn. 30.

37) Vgl. die Ausführungen in den Mot., Prot., der Denkschrift und den Kommissionsvorlagen in Mugdan II, S. 628,1234; vgl. auch oben zu Fußn. 30.

38) Vgl. i.e. v. Heymann, aaO (Fußn. 24), S. 39 ff sowie eingehend Canaris, WM 1978, S 686 ff und

WM 1982, S. 254 ff; ferner die Begründung des Entw. der Aufhebung des § 247 BGB in BT-Drucks.10/4741, S. 20 f.

39) BT-Drucks. 10/4741, S.1, 20.

40) Vgl. v. Heymann, aaO (Fußn. 24), S. 31.

41) § 211 Entw. II, ähnlich bereits § 358 Entw. I. Die Streichung durch die Reichstagskommission sollte im Hinblick auf § 134 BGB nur "redaktionelle Bedeutung" haben; vgl. Mugdan II, S. 1272.

42) Vgl. Erbs-Kohlaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. III (42. Erg. Lfg.), Wirtschaftsstrafgesetz 1954, W 98, § 4 Anm. 10 a.

43) Jauernig, BGB, 4. Aufl. 1987, § 138 Anm. 4 a hält § 138 II BGB deshalb für "gegenstandslos".

44) Vgl. Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 4 a; insoweit besteht kein Unterschied zum "wucherähnlichen Geschäft"; vgl. dazu sogleich unten 3.

45) Diese folgt aus § 138 BGB, vgl. Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 4 a; aA Jauernig, § 138 Anm. 4a: § 134; in diesem Sinne auch die RT-Kommission, vgl. Mugdan II, S.1272.

46) Vgl. Palandt-Heinrichg § 138 Anm. 4 b; Palandt-Thomas, § 817 Anm. 3 c bb; je m.w.N.

47) Palandt-Heinrichs, Palandt-Thomas; je aaO.

48) BGHZ 80, 153.

49) OLG Stuttgart NJW 1979, 2409.

50) BGHZ 80, 153 [159].

51) BGH NJW-RR 1988, 763 [764].

52) BGHZ 80, 153 [159 f].

53) Schwark Rechtsfragen des Konsumentenkredits, 1986, S.17 f; Halstenberg Die neuere Rechtsprechung des BGH zum Darlehensrecht, WM Sonderbeilage Nr. 4/1988, S. 5, 10 ff. Auf dem Gebiet des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts liegt anscheinend neuere höchstrichterliche Rspr. zum Kreditwucher nicht vor, vgl. Schönke-Schröder, StGB, 23. Aufl. 1988, § 302 a Rn 16; Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. III, W 98 § 4 Anm. 1.

54) Vgl. Schwark, aaO (Fußn. 53); Emmerich-Kessler, Probleme der Konsumentenkredite, 1986, S. 10.

55) Allg. Meinung, vgl. Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 4 a; Jauernig, § 138 Anm. 4.

56) So auch BGHZ 80, 153 [157]; einschränkend Schwark, aaO (Fußn. 53), S. 28 ff, 153; krit, zur BGH-Rspr. Kouiol, AcP 188,183,191 f.

57) Vgl. dazu (ablehnend) Motive II, S. 321; eingehend zur "Renaissance der laesio enormis?" Mayer-Maly, Festschrift für Larenz, 1983, S. 395 ff; vgl. auch Koziol, AcP 188,183, 208.

58) Vgl. dazu Koziol, AcP 188, 183, 194; zur "Diskussion um das 'pretium iustum'" vgl. auch die Beiträge von Johannes Herrmann, Werner Goez, Helmut Winterstein und Wolfgang Blomeyer in: "Der 'Gerechte Preis'", Erlangen 1982 (Band 29 dieser Schriftenreihe).

59) OLG Stuttgart NJW 1979, 2409.

60) OLG Köln NJW-RR 1987,1136; OLG Frankfurt NJW-RR 1987, 998; weitere Nachw. in BGH NJW 1988,1659 [660] und bei Palandt-Heinrichs, § 138 Anm. 2 b aa.

61) BGHZ 80,153.

62) BGHZ 80,153 [156].

63) BGHZ 80,153 [159].

64) Im Ergebnis ebenso Bülow zu BGH EWiR § 138 BGB 13/88, 543.

65) BGHZ 80,153 [160]; 98,174 [178].

66) BGHZ 104,102 [105].

67) BGHZ 104, 102 [105 mwN]; Halstenberg aaO.

68) BGHZ 99, 333 [336]; 104,102 [105 mwN].

69) BGHZ 104,102.

70) BGHZ 98,174 [178]; 104,102 [107].

71) Zutr. Bülow zu BGH EWiR § 138 BGB 13/88, 543.

72) Entwurf eines Verbraucherkreditgesetzes (VerbrKrG) - Stand 10. Juni 1988 -, S. 14 f. (abgedruckt in ZIP 1988, 1215 ff - nunmehr BR-Drs. 427/89; vgl. dazu die Kurzwiedergabe in ZRP 1989, 357 f.); krit. zur Nichtberücksichtigung der "Sittenwidrigkeit von Konsumkrediten" Reifner, VuR 1988,183 [187]; Gilles, ZRP 1989, 299 [300, 304]. Auch in der durch das Verbraucherkreditgesetz umzusetzenden EG-Richtlinie "Verbraucherkredit" vom 22.12.1986 (abgedruckt in NJW 1988,1959) ist eine Zinsobergrenze als Regelungsgegenstand nicht genannt.