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Bertrand Russell
Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen
Entwicklung
1950 Europa Verlag AG Zürich
1978; 13.-15. Tausend
ISBN 3-203-50539-8
Aristoteles sagt:
»Ihm (dem Handel) zur Seite tritt noch das Wuchergewerbe,
das aus guten Gründen verhaßt ist, da es seinen Erwerb aus dem Gelde selbst
zieht und nicht aus den Dingen, zu deren Vertrieb das Geld eingeführt wurde.
Denn dieses sollte nur zur Erleichterung des Austauschs dienen; der Zins
aber bewirkt, daß es sich selbst vermehrt... deshalb ist diese Art des Erwerbs
die allernaturwidrigste« (1258).
Wohin dieser Ausspruch geführt hat, kann man in Tawneys Religion and the Rise of Capitalism nachlesen.
Aber wenn auch Tawneys geschichtliche Darstellung zuverlässig ist, so wirkt
sein Kommentar doch etwas gefärbt zugunsten der vorkapitalistischen Zeit.
Mit „Wucher“ wird jegliches Verleihen gegen Zinsen
bezeichnet, nicht nur, wie heute, das Ausleihen zu übermäßig hohem Zinsfuß. Von
der Zeit der Griechen an bis zum heutigen Tage war die Menschheit oder doch
zumindest der wirtschaftlich fortgeschrittene Teil der Menschheit in Schuldner
und Gläubiger aufgeteilt; die Schuldner sind gegen und die Gläubiger für Zinsen
gewesen. Fast zu allen Zeiten waren Grundbesitzer Schuldner, Geschäftsleute
dagegen Gläubiger. Die Philosophen haben in ihren Ansichten, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, mit den finanziellen Interessen ihrer Klasse übereingestimmt.
Griechische Philosophen gehörten zur Klasse der Grundbesitzer oder standen in
ihren Diensten; deshalb lehnten sie das Zinswesen ab. Die mittelalterlichen
Philosophen waren Männer der Kirche; das Vermögen der Kirche bestand
hauptsächlich aus Grundbesitz; sie sahen sich daher nicht veranlasst, die
aristotelische Anschauung einer Revision zu unterziehen. Ihre Abneigung gegen
den Wucher wurde noch durch den Antisemitismus vertieft, denn das flüssige
Kapital war größtenteils in jüdischem Besitz. Geistliche und Barone lagen sich
zwar, oftmals recht erbittert, in den Haaren, verstanden es aber, einträchtig
gegen den bösen Juden vorzugehen, der ihnen mit einem Darlehen über eine
schlechte Ernte hinweggeholfen hatte und nun der Meinung war, er habe für seine
Wirtschaftlichkeit eine Belohnung verdient.
Mit der Reformation änderte sich die Lage. Viele der
überzeugtesten Protestanten waren Geschäftsleute, für die das Geldverleihen auf
Zinsen sehr wichtig war. Infolgedessen wurden die Zinsen zuerst von Calvin,
dann von anderen frommen Protestanten sanktioniert. Schließlich sah sich die
katholische Kirche genötigt, ihrem Beispiel zu folgen, weil die alten Verbote
nicht mehr in die moderne Welt paßten. Seit die Philosophen nicht mehr
Geistliche waren und daher nicht mehr mit dem Grundbesitz in Verbindung
standen, ihre Einkünfte vielmehr aus den Kapitalanlagen der Universitäten
bezogen, unterstützten sie stets das Zinswesen. In keinem Stadium hat es an
überreichlichen theoretischen Argumenten zugunsten der jeweiligen
wirtschaftlich zweckmäßigen Auffassung gefehlt.