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Die Giralkartoffeln

Eine Erzählung von Menschen und ihrem Gelde von F. E. Ricardo.

Auf der Insel Potatos im utopinischen Ozean lebte ein gesundes und tüchtiges Volk in Glück und Frieden. Die Potatosier waren erfahrene Bauern und geschickte Handwerker. Aber sie hatten auch Sinn für die Schönheiten des Lebens. Ihre Wohnungen waren praktisch und gemütlich, ihre Gärten gepflegt, ihre Straßen blitzsauber. Ihre Arbeit liebten sie ebenso sehr wie ihre Mußestunden. Sie faulenzten nicht, aber sie überhasteten sich auch nicht. Alles was sie machten, taten sie mit Sorgfalt und Gründlichkeit. Sie nahmen sich die Zeit, aus der kleinsten Sache ein Kunstwerk zu machen. Darum hatte jeder seine Freude an dem was er schuf und die Arbeit war ihnen ein Fest.

Potatos war ein fruchtbares und reiches Land. Es hatte fette Wiesen, fruchtbares Ackerland, herrliche Wälder mit uralten Laub- und Nadelbäumen, mächtige Braunkohlelager und sogar einige Steinkohlenfelder. Ein Berg, der fast nur aus Eisenerz bestand lieferte ihnen den Rohstoff für Ihre Hochöfen, Petroleumquellen waren in reichlichem Maße vorhanden, und auch eine Kupfermine war vor einiger Zeit entdeckt worden. Nur eins gab es auf Potatos nicht: So sehr man auch gesucht, man hatte niemals irgendwelche Spuren von Gold, Silber, Platin oder Nickel gefunden.

Von der übrigen Welt waren die Potatosier durch die unermeßliche Weite des Ozeans getrennt. Nur wenige Abenteurer hätten ihnen erstaunliche Kunde von Leben in fernen Erdteilen gebracht. Einen regelmäßigen Verkehr mit anderen Ländern aber kannten sie nicht.

So kam es, daß die Potatosier überhaupt keine Edelmetalle besaßen und niemals auf den Gedanken gekommen waren, aus Metall Geld zu machen. Als Tauschmittel verwendeten sie die Knolle einer Pflanze, die in armen Länder als Nahrungsmittel benutzt wurde, den Potatosiern, die durch wundervolles Getreide und köstliche Früchte verwöhnt waren, aber nicht schmeckte.

Kein Potatosier durfte diese Pflanze auf seinem Privatgrundstück ziehen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot galt so viel wie bei uns die Falschmünzerei, und da Pflanzen auch nun einmal nur im Licht der Sonne gedeihen, war ein solches Verbrechen immer sehr schnell entdeckt worden. Es kam auch kaum noch vor, denn die Potatosier hatten es nicht nötig, sich durch Unredlichkeit einen Erwerb zu verschaffen.

Diese Tauschmittelplanze war unsere gewöhnliche Kartoffel. Sie wurde in besonderen staatlichen Gärten gezogen und zwar nur in solcher Menge, wie sie die Potatosier brauchten, um ihre Produkte und Leistungen miteinander auszutauschen. Der oberste Gärtner wußte ziemlich genau, wieviel Kartoffeln dazu nötig waren. Es wurden in jedem Jahre etwas mehr, weil die Gütererzeugung der Potatosier sich ständig etwas vergrößerte. Wehe, hätte der Kartoffelmeister nicht soviel Kartoffeln ausgegeben, daß die Potatosier ungestört arbeiten und ungestört die Früchte der Arbeit absetzen konnten. Er wäre sofort gehenkt worden; denn Währungspfuscherei galt bei den Potatosiern als das schimmste Verbrechen. Er mußte peinlich darauf achten, daß die Menge seiner Tauschkartoffeln mit den auf den Märkten angebotenen Waren im richtigen Verhältnis blieb.

Zu diesem Zwecke ließ er sich täglich mitteilen, wieviel die Butter, die Eier, das Brot, die Ziegelsteine, die Kohlen, das Leder, das Tuch, die Pfirsiche und die Radieschen kosteten. Alle diese Zahlen trug er sorgfältig in eine Tabelle ein und zog den Durchschnitt. Diesen Durchschnitt verglich er dann mit dem Durchschnitt an dem Vortage. War er niedriger als dieser, dann wußte er, es waren zu wenig Kartoffeln im Umlauf. Es drohte ein allgemeiner Preissturz, eine Deflation. Das konnte Absatzstockung, Arbeitslosigkeit, Anwachsen der Schulden, Bankerotte und Selbstmorde geben. Das Schicksal von vielen Menschen lag in seiner Hand.

Er mußte sofort den Kartoffelumlauf erweitern. Er gab den Gemeinden zusätzliche Kartoffeln, die ihre Armen damit unterstützten, Schulen bauten oder sonstige Gemeindearbteiten machen ließen. Auf die Weise kamen die Kartoffeln auf den Markt, um dort Waren zu kaufen. Die Nachfrage nach Waren wurde größer und die Preise stiegen auf ihre alte Höhe.

Manchmal stiegen sie sogar darüber hinaus. Aber das durfte ebenfalls nicht sein, denn dann wurden die Arbeiter um ihren Lohn, die Sparer um ihre Ersparnisse betrogen. Darum stoppte der Kartoffelmeister die Ausgabe von Kartoffeln sofort ab, und wenn das nicht half, kündigte er sogar Kredite, die er den Gemeinden gegeben hatte, und zog auf diese Weise Kartoffeln aus dem Umlauf zurück.

So saß der Kartoffelmeister am Steuer des Kartoffelumlaufs und lenkte wie ein erfahrener und vorsichtiger Hochseekapitän das Schiff der potatosischen Wirtschaft durch alle Fährnisse hindurch. Durch ein kleines Mehr oder Weniger an umlaufenden Kartoffeln hielt er es auf dem geraden Kurs des festen Preisstandes. In seiner Amtsstube hing ein großer Zeichenbogen mit Millimeterteilung, auf dem der täglich berechnete Preisindex fortlaufend aufgetragen wurde. Diese Eintragungen mußten eine schnurgerade Linie ergeben, so wie sie der Druckschreiber an einem gutgesteuerten Dampfkessel anzeigt. Sie durfte nicht hin- und herspringen wie die Fieberkurve eines Todkranken.

Der Kartoffelmeister war sich seiner Verantwortung sehr wohl bewußt. Sobald er nicht aufpaßte, geriet alles durcheinander. Nichts stimmte mehr. Die Gläubiger wurden zugunsten der Schuldner betrogen oder umgekehrt. Die Arbeiter wurden um Ihren Lohn gebracht oder sie wurden aus der Arbeit entlassen. Die Ehrlichkeit wich dem Verbrechen, der Wohlstand dem Elend, Lohnarbeiter wüteten gegen die Unternehmer, Geldsparer gegen Warenhamsteter, Unruhe und Aufruhr bedrohten den Frieden ganz Potatosiens.

Darum war ein Kartoffelmeister, der sein Amt ordentlich verwaltete, ein hochgeehrter Mann. Er genoß das Ansehen eines Königs und ging nach seinem Tode in die Geschichte der Großen des Volkes ein.

Schon seit vielen Generationen hatte es keinen Kartoffelmeister gegeben, der sein Amt unredlich oder liederlich verwaltet hätte. In einer langen Reihe von Jahren einer friedlichen und ungestörten Aufwärtsentwicklung waren die Potatosier deshalb wohlhabend und glücklich geworden. Wirtschaftskrisen und Konjunkturschwankungen, Verschwinden der Sparguthaben, Inflation und Deflation, Massenarbeitslosigkeit, Revolten und Krieg - das alles waren unbekannte Begriffe geworden. Sie arbeiteten ungestört und alles, was sie schafften, kam ihrer eigenen Wohlfahrt zugute.

Darum ist es durchaus erklärlich, daß die Potatosier ein reiches und anspruchsvolles Leben führen konnten, obwohl sie im Allgemeinen nur 4 Tage in der Woche arbeiteten und an diesen Tagen auch nicht mehr als 5 Stunden. Die übrige Zeit verbrachten sie mit fröhlicher Geselligkeit, mit sportlichen Wettkämpfen, mit der Übung in allerlei Kunstfertigkeiten, mit Malen, Dichten, Singen, Musizieren und dergleichen mehr.

Bei all dem aber waren die Potatosier nicht etwa ausschweifend oder liederlich. Geachtet war bei ihnen nur, wer selbst seinen Mann im Lebenskampf stehen konnte. Wer durch eigene Nachlässigkeit oder Trägheit in Not und Elend geriet, dem half kein Wohlfahrtsamt und kein Fürsorgeverband, sondern der fiel der allgemeinen Verachtung anheim, und es blieb ihm nichts als das schmachvolle Dasein des Bettlers oder der freiwillige Tod.

Darum war den Potatosiern das Gefühl der Verantwortung für ihr eigenes Schicksal sozusagen angeboren. Durch sorgfältiges und vorausschauendes Wirtschaften trachteten sie sich gegen die Wechselfälle des Lebens zu sichern und begannen als Kinder bereits, sich einen Notfond für Tage des Unglücks, der Krankheit und des Alters anzulegen. Um die Sicherheit ihrer Ersparnisse brauchten sie nicht besorgt zu sein. Sie wußten ja, wie der Geldpreis zustandekam. Darüber zu wachen, daß an ihm nicht herumgepfuscht wurde, war das erste und wichtigste ihrer demokratischen Staatsbürgerrechte. Und darum war der Gedanke, daß ihnen ihre Ersparnisse jemals durch eine Inflation verlorengehen konnten, für sie einfach unfaßbar. Derartiges war auch seit vielen Jahrhunderten auf Potatos nicht mehr vorgekommen.

Natürlich konnten die Potatosier nicht ihre Kartoffeln sparen, denn davon wäre bald nichts mehr übrig geblieben. Schon wenn einer sein Kartoffelgeld nur kurze Zeit im Beutel aufbewahrte, verlor er daran, denn beim Bezahlen wurden die Kartoffeln nicht gezählt, sondern gewogen; und da sie ständig durch das Eintrocknen an Gewicht verlieren, so hatte jeder an den Kartoffeln, die er mit sich herumtrug, einen kleinen Verlust. Darum trug man immer nur so viel Kartoffeln bei sich, wie man zur Bestreitung seiner täglichen Ausgaben unbedingt brauchte. Hatte einer seinen Wochen- oder Monatslohn erhalten oder eine größere Geldsumme für irgendeine Arbeit eingenommen, so kaufte er zunächst alles ein, was er für die nächste Zeit nötig hatte. Den Rest brachte er zur Kartoffelbank, die ihm das Gewicht der eingelieferten Kartoffeln auf einem Bankkonto gutschrieb. Hob er davon wieder etwas ab, so wurde das ausgehändigte Gewicht abgebucht. Das Guthaben gab ihm einen Anspruch auf das ganze Gewicht der bei der Bank eingelieferten Kartoffeln. Darum war die Einzahlung bei der Bank das einfachste und gebräuchlichste Mittel, um sich gegen den Verlust durch das ständige Schrumpfen der Kartoffeln zu schützen.

Selbstverständlich kam es auch vor, daß einer die Kartoffeln, die er selbst gerade nicht brauchte, einem Bekannten, dem es daran mangelte, als direktes Darlehen überließ. Auch in diesem Falle mußte ihm der Darlehensnehmer natürlich das volle Gewicht der geliehenen Kartoffeln zurückgeben.

In jedem Falle sicherte sich der Sparer dadurch, daß er seine Ersparnisse als Kredit hergab, gegen den Verlust, den er durch das Schrumpfen der Kartoffeln erlitten hätte, wenn er sie im Beutel oder daheim im Kartoffelschrank aufbewahrt haben würde. Es konnte ihm niemand einen größeren Gefallen tun als den, daß er ihm seine Ersparnisse abnahm mit der Versicherung, sie zu gegebener Zeit im vollen Gewicht zurückzugeben.

Darum aber fiel es niemandem ein, für die Hergabe eines Darlehens irgend eine Sondervergütung, einen Zins zu verlangen. Man würde den, der eine solche Forderung gestellt hatte, einfach ausgelacht haben. "Was, Zins? Dann behalte Du Deine Kartoffeln nur und laß sie Dir vertrocknen. Wenn Du sie uns gibst, hast Du genau so Deinen Vorteil davon, wie wir. Warum sollten wir Dir also zinspflichtig sein?"

Auch die Banken bezahlten keinen Zins. Aber, sie erhoben auch keinen. Sie bewahrten die bei ihnen aufgelieferten Kartoffeln natürlich nicht in ihren Tresors auf, sondern sie liehen sie so schnell wie möglich wieder aus. Es gab ja immer Menschen, die ein Haus bauen oder eine Fabrik einrichten oder irgendein Geschäft gründen wollten. Ehe sie Einnahmen daraus hatten, mußten sie natürlich viele Kartoffeln ausgeben, um Bau- und Rohstoffe oder Waren zu kaufen, Arbeiter und Angestellte zu bezahlen und was man noch alles aufwenden muß, bevor ein Unternehmen etwas einbringt.

Allen diesen Kreditsuchern gab die Bank ihren Kartoffelvorrat zu der einzigen Bedingung, daß sie das volle erhaltene Gewicht zurückgeben mußten. Einen Zins zu verlangen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, denn dann hätten die Kreditsucher wahrscheinlich auf das Darlehen verzichtet und.die Bank hätte die Kartoffeln im Keller vertrocknen lassen müssen. Dann wäre sie natürlich nie in der Lage gewesen, ihren Kreditgebern das volle Gewicht der eingelieferten Kartoffeln zurückzuerstatten.

Für ihre Arbeit des Einsammelns, Weiterleitens und Rückerstattens der gesparten Kartoffeln berechnete die Kartoffelbank eine kleine Provision, die jährlich 0,5% der eingelieferten und ausgeliehenen Mengen betrug und von den Kreditnehmern und Kreditgebern gleichmäßig getragen wurde. In diese Provision war auch der Verlust mit einkalkuliert, den die Bank an den Kartoffeln hatte, die sie täglich vorrätig halten mußte, um die gewünschten Abhebungen leisten zu können.

Weil nun aber niemand für die Kredite, die er bei den Banken oder von Privatpersonen aufnahm, Zinsen zahlen mußte, so brauchten auch die Häuser, die man damit baute, oder die Geschäfte, die man damit finanzierte, keine Zinsen abzuwerfen. Auch wenn jemand seine Ersparnisse nicht auslieh, sondern sie im eigenen Geschäft investierte, fragte er nicht danach, ob dieses Geschäft sich wohl rentierte, d. h. ob es auch Zins für das hineingesteckte Geld abwarf, sondern es genügte vollständig, daß das Geschäft lohnend war, d. h. daß es die Arbeitslöhne für alle, die daran in irgendeiner Weise mitarbeiteten, einbrachte. Mehr war nicht nötig und mehr wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn wenn irgendein Geschäft mehr abgeworfen hätte, so würde es sofort die Konkurrenz vieler Mitbewerber angelockt haben, die sich alle so lange unterboten haben würden, bis von dem "Mehrwert" nichts mehr übrig geblieben wäre. Da die Kartoffeln dazu ja zinslos gegeben wurden, waren der Konkurrenz keine Schranken gesetzt. Es gab keine "Rentabilitätsgrenze".

Einigen Potatoisern, die aus Büchern oder durch die Erzählungen von weltreisenden Abenteurern schon einmal etwas über das Geldwesen anderer Erdteile erfahren hatten, erschien das Kartoffelgeld doch recht primitiv und rückständig, und sie hätten es gern durch ein besseres ersetzt. Vor allem schien es ihnen unpraktisch daß man die Kartoffeln gar nicht auch nur für kurze Zeit aufspeichern konnte, ohne empfindlichen Schaden dabei zu erleiden.

Andere aber, die die Vorteile ihres eigenen Geldwesens etwas sorgfältiger studiert hatten, wollten von einem dauerhaften Geld nichts wissen. Sie führten den Wohlstand und den sozialen Frieden, der auf ganz Potatos herrschte, gerade auf die scheinbare Unvollkommenheit ihres Geldes zurück. Weil niemand die Kartoffeln ungestraft horten konnte, darum liefen sie schnell von Hand zu Hand, ohne jemals zu ruhen. Es war ein völlig gleichmäßiger, ungestörter Kreislauf. Das aber war wieder die Vorbedingung dafür, daß der Kartoffelmeister die umlaufende Kartoffelmenge allzeit so bemessen konnte, daß der Preisstand stabil blieb. Hätte die Möglichkeit bestanden, daß jeder die Kartoffeln ausgeben oder festhalten konnte, so wie es ihm beliebte, so wären einmal viel und das andere Mal wenig Kartoffeln im Umlauf gewesen. Der Umlauf wäre für den Kartoffelmeister völlig unkontrollierbar geworden. Alle seine Maßnahmen zur Stabilisierung des Preisniveaus wären durchkreuzt worden von dem Verhalten der Kartoffelhorter. Man hätte ihn daher auch für nichts verantwortlich machen können.

Die Vergänglichkeit der Kartoffeln verbürgte also erst den störungslosen Kartoffelumlauf und dieser erst machte den stabilen Preisstand möglich. Weil aber keine allgemeinen Preisschwankungen gab, so gab es auf Potatos auch keine Spekulanten, die einmal auf das Steigen, das andere Mal auf das Fallen der Preise warteten und je nachdem, entweder die Sachwerte und Wertpapiere oder das Geld festhielten, und aus jedem Auf und Nieder der Preiskurve Milliarden an Differenzgewinn einheimsten. Diese Sorte von Schmarotzern kannte man auf Potatos nicht.

Die Tatsache, daß man die Kartoffeln wegen Ihrer Vergänglichkeit nicht horten konnte, bedeutete zugleich aber auch, daß alle Kartoffeln, die verdient worden waren, auch prompt wieder auf den Markt zurückkehrten, um Waren und Leistungen zu kaufen. Es gab niemals eine Differenz zwischen der Erzeugung und den Absatzmöglichkeiten. Der Zustand der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit war den Potatosiern völlig unbekannt. Der Arbeiter geriet niemals in eine Lage, in der die Arbeitsmöglichkeit von der Bedingung abhängig gewesen wäre, daß der Arbeitslohn genügend Spielraum für den Zins der Geldgeber ließ. Es war ganz selbstverständlich, daß die Arbeiter den ganzen Preis, den ihre Erzeugnisse auf dem Markte erzielten, als Lohn erhielten. Wie dieser Gesamtertrag zwischen den einzelnen Arbeitern - einschließlich der Angestellten und Betriebsleiter - aufgeteilt wurde, das hing davon ab, wie die Arbeit der einzelnen Berufsgruppen im freien Wettbewerb bewertet wurde.

Eine Möglichkeit, aber anders als durch Arbeit Geld zu verdienen, gab es auf Potatos nicht. Es gab weder Zinsen noch Dividenden, Renten oder Spekulationsgewinne. Es gab auch keine Grundrente, denn die Insel Potatos gehörte allen Potatosiern gemeinsam. Der Gedanke, daß die Insel, auf der sie lebten, stückweise das Privateigentum einzelner Menschen sein könnte, wäre ihnen als eine Ungeheuerlichkeit erschienen. Wer ein Stück Grund und Boden in Bearbeitung nahm, bebaute oder ausbeutete, mußte dafür eine Pacht in die allgemeine Kasse zahlen und zwar so viel, wie auch ein anderer zu zahlen bereit gewesen wäre.

Diese Pachten verteilten die Potatosier an alle Frauen, die Kinder hatten, denn, so sagten sie, das Aufziehen der Kinder macht Arbeit und Kosten. Diese Arbeit muß in erster Linie von der Mutter geleistet werden. Wir wollen aber nicht, daß irgend jemand auf Potatos eine Arbeit leistet für die er nichts bekommt, denn das würde bedeuten, daß andere etwas bekommen, wofür sie keine Arbeit leisten. Wir wollen auch nicht, daß die Frau vom Manne wirtschaftlich abhängig ist. Sie soll nicht nach dem Geldbeutel des Mannes schielen, sondern die persönlichen, die vererbungfähigen Eigenschaften sollen dafür ausschlaggebend sein, wem sie ihre Liebe schenken will.

Die Früchte derartiger Grundsätze konnten niemandem entgehen, der die potatosischen Kinder betrachtete. Lauter gesunde, glückliche, lebensfrohe und schöne Gestalten mit glänzenden Augen und fröhlichem Sinn: Kinder der Liebe.

Stolz trugen auf Potatos die Frauen ihr Haupt. Sie liebten den Mann ihrer Wahl, aber sie hatten ihn nicht nötig. Da es keine Arbeitslosigkeit und keinen Kampf um die Arbeitsplätze gab, so stand ihnen jeder Beruf offen, genau wie den Männern. Und wenn sie Mutter wurden, so kamen sie dadurch nicht ins Hintertreffen, sondern sie fanden einen Ausgleich im Anteil an der Grundrente, der ihnen zufiel.

Das Verhältnis der Geschlechter zueinander war daher äußerst zart und innig. Wenn zwei eine Ehe eingingen, so taten sie es aus reiner Zuneigung, und sie behandelten einander mit größter Hochachtung und Rücksicht. Da keiner an den anderen wirtschaftlich gebunden war, so kam nie jemand auf den Gedanken, daß er auf den anderen ein gesetzliches Anrecht besitzen könnte, sondern er wußte, daß er sich die Liebe seines Partners nur durch Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, durch die Entfaltung aller sympatischen Seiten seines ganzen Wesens täglich aufs neue erobern konnte.

So war auf Potatos alles aufs beste geregelt und zwar ohne einen großen Beamtenaprarat, ohne eine anmaßende Bürokratie, die ständig im Privatleben der Potatosier herumschnüffelte. Sie hätten sich das wohl auch niemals gefallen lassen, denn sie waren stolz und freiheitsliebend.

Die Steuern, die sie für öffentliche Leistungen entrichten mußten, waren nicht der Rede wert Die Kartoffelverwaltung finanzierte sich selbst, da sie ja ständig neue Kartoffeln in Umlauf setzten mußte, einmal, um mit der Produktionssteigerung Schritt zu halten, zum anderen aber, um den stetigen Gewichtsverlust infolge des Eintrocknens der Kartoffeln auszugleichen. Die zusätzlichen Kartoffeln konnte sie natürlich dadurch in den Umlauf bringen, daß sie ihre Beamtengehälter und ihre sonstigen Verbindlichkeiten damit bezahlte. Sie konnte darüber hinaus sogar Kredite für Geschenke oder gemeinnützige oder wohltätige Zwecke geben.

Die Bodenverwaltung finanzierte sich ebenfalls selbst. Für den Bau und die Unterhaltung von Straßen und Brücken wurde von den Fahrzeughaltern eine Umlage auf alle Fahrzeuge je nach ihrer Fahrleistung in Kilometertonnen erhoben. Für Justiz und Polizei aber brauchten die Potatosier nicht viel auszugeben. Verbrecher kamen bei ihnen - abgesehen von gelegentlichen Eifersuchtstragödien - kaum vor. Eigentumsdelikte waren nahezu unbekannt, denn da jeder Potatosier seinen Wohlstand einzig und allein seiner eigenen Arbeit verdankte, so achtete er auch das Eigentum der anderen, das auf die gleiche Weise erworben war. Diebe und Betrüger fielen der allgemeinen, gesellschaftlichen Ächtung anheim, und sie fürchteten die Potatosier mehr als eine gerichtliche Strafe.

Auch private Klagen wegen irgendwelcher Eigentumsstreitigkeiten waren sehr selten. Sie kamen eigentlich nur vor, wenn jemand sich durch Nachlässigkeit oder eine mutwillige Tat einem anderen gegenüber schadenersatzpflichtig gemacht hatte.

Aber diese Fälle wurden meist durch Versicherungen bereinigt. In allen anderen Fällen lagen bei der Einfachheit und Übersichtlichkeit der potatosischen Verhältnisse, Recht und Unrecht so klar auf der Hand, daß jeder davor zurückschreckte, in einer nicht ganz einwandfreien Sache einen Prozeß anzustrengen, der ihm, selbst wenn er ihn juristisch gewann, sehr leicht der Schande und dem gesellschaftlichen Boykott preisgeben konnte.

Die Potatosier hatten so etwas auch gar nicht nötig. Sie lebten alle in gesicherten Verhältnissen. Jeder konnte sich jederzeit durch ehrliche Arbeit einen ausreichenden Verdienst schaffen. Zwar waren nicht alle gleich reich. Wer begabt, lebendig und energisch war, verdiente natürlich mehr als der Untüchtige, Müde und Schwache. Aber es fand sich für jeden eine Beschäftigung und ein Plätzchen an der Sonne, je nach seiner Veranlagung und Befähigung. Den Unterschied im Wohlstand, der genau so groß war, wie die Leistungen der Einzelnen verschieden waren, empfand niemand als unrecht. Im Gegenteil, man würde es als Unrecht empfunden haben, wenn der Träge und Unbegabte genau so viel gehabt hätte wie der Tüchtige und Fleißige.

So lebten die Potatosier in einer durchaus natürlichen und stabilen sozialen Rangordnung. Einen übermäßigen Reichtum neben bitterster Armut, der niemals durch persönliche Leistungen, sondern nur durch wirtschaftliche Vorrechte, durch Einkünfte ohne Arbeit hervorgebracht werden kann, gab es bei ihnen nicht. Die wenigen Unglücklichen aber, die als Krüppel oder Schwachsinnige auf die Welt gekommen waren oder die durch einen Schicksalsschlag die Fähigkeit eingebüßt hatten, für sich selbst zu sorgen, pochten niemals vergeblich bei anderen um Hilfe an, denn der Potatosier ließ sich nicht gern den Genuß seines Wohlstandes durch den Anblick von Elend und Not beeinträchtigen.

Die Potatosier lebten die Jahrhunderte hindurch in Harmonie und Behaglichkeit, ohne daß jemals ein Aufruhr ihren Frieden zerstört oder ein Krieg ihren Wohlstand vernichtet hätte. Zwar blieben auch sie nicht vom Unglück verschont. Erdbeben verwüsteten ihre Landschaften, Hagelschlag ihre Ernten, Überschwemmungen und Feuersbrünste richteten manchen Schaden an. Verkehr und Arbeit forderten ihre unvermeidlichen Opfer. Aber alle diese Unglücksfälle hatten ihren Ursprung eben außerhalb der menschlichen Berechnung und des menschlichen Willens. Die Potatosier wandten all ihr Können auf, um sie abzuwenden und ihre Folgen zu vermindern. Katastrophen jedoch, die mit Wissen und Willen durch Menschen herbeigeführt wurden, kannten sie nicht. Eine Vernichtung von Menschenleben und menschlichen Schöpfungen mit eigens dazu erfundenen Mitteln wäre ihnen als unfaßbarer Wahnsinn erschienen.

Da wurde eines Tages ein Boot mit zwei völlig erschöpften Männern an das Ufer von Potatosien getrieben. Sie waren Schiffbrüchige eines großen Passagierdampfers, der - weit von den Gestaden Potatosiens entfernt - von dem Unterseeboot einer seinem Heimatstaate feindlichen Macht torpediert worden war.

Die beiden Schiffbrüchigen wurden von potatosischen Fischern aufgefunden und in das Krankenhaus der nächsten Stadt gebracht. Der eine von ihnen starb bald nach der Einlieferung an den Folgen der ausgestandenen Strapazen und Entbehrungen. Der andere erholte sich langsam und wurde unter sachkundiger Pflege und kräftiger Ernährung wieder völlig gesund. Allen Schwierigkeiten zum Trotz erlernte er in kurzer Zeit die potatosische Landessprache. Da ihm auf der Insel alles viel besser gefiel als in seiner Heimat und er vorab auch keine Möglichkeit sah, dorthin zurückzukehren, so beschloß er, für immer auf Potatos zu bleiben.

Die Potatosier hatten nichts dagegen einzuwenden. Für einen tüchtigen, gesunden jungen Menschen - so meinten sie - sei es doch leicht, eine auskömmliche Existenz zu finden und einen behaglichen Hausstand zu schaffen. Welche nützlichen Fertigkeiten er denn erlernt habe?

In seinem Heimatlande sei er Bankier, erwiderte der Fremde.

Hm, Bankier, meinten die Potatosier,das sei zwar kein besonders begehrter und einträglicher Beruf. Das Bankgeschäft brächte bei weitem nicht so viel ein, wie etwa die Landwirtschaft, das Handwerk oder die Technik, aber schließlich ließe sich auch davon leben.

"Wie", staunte der Fremde, "ein Bankier verdient bei Euch weniger als ein Bauer? Warum denn das?"

"Weil es die einfachste Arbeit ist, die wir kennen", sagten die Potatosier. "Kartoffeln annehmen, abwiegen, die erhaltene Menge in ein Buch eintragen und eine Quittung ausstellen, und wieder Kartoffeln abwiegen, ausgeben, in ein Buch eintragen, die Quittung entgegennehmen und sorgfältig aufbewahren. Das ist alles; das kann doch jedes mittelmäßig begabte Schulmädchen machen. Für eine solche Tätigkeit kann man doch nicht viel beanspruchen."

"Und die Verantwortung, die der Bankier zu tragen hat?", brauste der Fremde auf. "Wie sorgfältig muß er darauf achten, daß er nur solchen Personen Kredit gibt, die ihn auch zürückzahlen können und zurückzahlen wollen. Mit welchem Weitblick muß er darüber wachen, daß die Unternehmungen, in denen er die ihm anvertrauten Ersparnisse investiert, sich nicht hinterher als Fehlinvestitionen erweisen. Welcher Scharfsinn, welche Geschicklichkeit und welche unbarmherzige Festigkeit gehören dazu, um bei nachlassender Konjunktur aus faul werdenden Geschäften rechtzeitig sein Geld herauszuziehen, welcher Spürsinn und welcher Wagemut, um am Ende der Krise rechtzeitig wieder hineinzusteigen! Wieviel Umsicht, Sachkenntnis und Glück erfordert allein schon das Spiel an der Börse mit seinem ewigen Auf und Ab der Kurse. Eine einzige falsche Disposition - und die ganze Existenz und mit ihr diejenige von hunderten, ja tausenden sparsamen und ordentlichen Leuten kann mit einem Schlage vernichtet sein. Mit welcher unerträglichen Spannung hat er selbst schon in sorgenvollen, schlaflosen Nächten die Ereignisse des nächsten Tages erwartet. Wird es noch einmal gut gehen oder wird alles verloren sein? Und wenn dann Ereignisse eintreten, die man mit aller Sorgfalt, aller Redlichkeit und aller Vorsicht nicht verhindern kann? Wenn ein Krieg ausbricht, wenn die für die sicherste Kapitalanlage gehaltenen Staatspapiere faul werden, wenn eine Inflation die Währung verdirbt? Steht nicht immer der Bankier im Brennpunkte des Streites? Wie oft haben schon betrogene Sparer vor ihm gestanden, alte, verhärmte, ausgehungerte Männlein und Weiblein und haben ihn angeschrien: Was hast Du mit unseren Ersparnissen gemacht, Du Schwindler? Gib uns unsere Notgroschen wieder, Du Halsabschneider, damit wir nicht Hungers sterben müssen! Das alles sollte eine Aufgabe für Schulmädel sein? Lachhaft! Einfach lachhaft!"

Die Potatosier hatten dieser zornigen Rede mit wachsendem Erstaunen zugehört. Das meiste von dem, was der Fremde da erzählte, war ihnen völlig unverständlich. Warum sollte einer, der einen Kredit aufnahm, ihn denn nicht zurückzahlen? Das wäre doch sein eigener sicherer Ruin. Wenn er es aber nicht konnte? Warum sollte er es nicht können? Gibt es denn einen Menschen, der einen Kredit aufnimmt, um Waren zu kaufen, wenn er nicht weiß, daß er sie mit Gewinn wieder verkaufen kann? Wer leiht sich denn Geld zum Bau eines Hauses, wenn die zu erwartende Miete nicht ausreicht, um die Unterhaltungskosten zu decken und die Baukosten zu tilgen. Wenn das aber h e u t e der Fall ist, dann muß es in 10, 20 oder 30 Jahren doch auch noch so sein.

Preissturz, Kurssturz, Konjunktur, Krise, Fehlinvestition, Spekulation, Inflation, Deflation, Krieg, Bankrott, Krawall - was sind das alles für Dinge? Sonderbare Zustände mußten in der Heimat des Fremdlings herrschen. Er solle nur ruhig einmal in ein potatosisches Bankgeschäft eintreten, und er wurde bald sehen, wie einfach und klar das alles sei.

Der Fremde befolgte diesen Rat und begab sich zu dem angesehensten Bankier der Stadt. Ohne besondere Prüfung und ohne daß man ihn lange nach Zeugnissen und Diplomen gefragt hätte, wurde er nach kurzer Unterredung eingestellt, so ähnlich wie man es bei uns mit Handwerksgesellen macht.

Gleich am nächtsen Morgen trat er bereits seine Arbeit an. Es verhielt sich tatsächlich alles so, wie man ihm gesagt hatte. In der Bank herrschte ein reger Betrieb. Ständig, kamen Leute, die ihre ersparten Kartoffeln brachten und gutschreiben ließen. Ebenso aber kamen auch Leute, die Kartoffeln abholten und die sie von ihrem Guthaben abschreiben ließen.

Es kamen jedoch auch Leute, die mehr Kartoffeln brauchten, als sie bei der Bank gut hatten. Diese erhielten dann aus den bei der Bank sich ansammelnden Kartoffelvorräten Kredit. Die ständigen Kunden der Bank und alle Personen, die dem Bankier persönlich bekannt waren, erhielten gewünschte Kredite ohne viele Umstände und ohne eine andere Bedingung als die, sie innerhalb einer bestimmten Frist wieder zurückzuzahlen. Personen, die dem Bankier nicht bekannt waren, brauchten nur die Bürgschaft eines ihm als kreditwürdig bekannten Geschäftsmannes vorzulegen, um ebenfalls ohne weitere Umstände Kredite erhalten zu können.

Auf diese einfache Weise wurden selbst große und langfristige Kreditgeschäfte getätigt. Brauchte z. B. einer die Kartoffeln zum Bau eines Hauses, so brauchte er nur den mit der Bodenverwaltung abgeschlossenen Pachtvertrag für das Grundstück, sowie den Bauplan und den Kostenvoranschlag des Architekten oder des Bauunternehmers vorzulegen. Dann erhielt er in der Regel zuerst die Kartoffeln für den Bau des Kellers ausgehändigt. Waren sie verbraucht, ging ein Beauftragter der Bank hin, um sich zu überzeugen, daß das Kellergeschoß tatsächlich ausgeführt war. Dann wurden die Kartoffeln für das Erdgeschoß ausgezahlt und so fort, bis das Haus fertig war. Die einzige Bedingung, die an die Hergabe des Bankkredits geknüpft wurde, war die, daß bei einem Verkauf des Hauses die Bank verständigt werden mußte. Der Käufer mußte dann entweder die auf dem Hause noch ruhende Schuld übernehmen oder er mußte sie an die Bank auf einmal bezahlen. In der gleichen unkomplizierten Weise wurde auch die Kredithergabe für Verkehrsbauten, Maschinenanlagen, Warenbeschaffungen usw. abgewickelt. Es kam selten vor, daß ein Schuldner die vereinbarten Rückzahlungstermine nicht pünktlich eingehalten hätte.

Was den Fremdling aber am meisten verblüffte, das war, daß die Zuflüsse und Abflüsse der Bank immer miteinander übereinstimmten. Es sammelten sich weder jemals größere Barbestände an Kartoffeln in der Bank an noch überstiegen die Kreditanforderungen jemals die Spareinlagen, über welche die Bank verfügen konnte. Sie war niemals "illiquide" und litt auch niemals an "Überliquidität". Obwohl ihre "Liquiditätsreserve", d. h. der Bestand an Kartoffeln, den sie stets vorrätig hatte, äußerst gering war, kam sie niemals in Verlegenheit.

Wenn wirklich einmal die Zahlungsanforderungen zu groß wurden und der Barbestand bedenklich zusammenschrumpfte, so ergab eine Anfrage bei den anderen Banken der Stadt stets, daß dort die Einzahlungen überwogen, so daß sie gern bereit waren, auszuhelfen. Und umgekehrt häuften sich bei der Bank die Barbestände einmal unnormal an, so konnte man gewiß sein, daß noch am gleichen Tage eine andere Bank anrief, die um Aushilfe bat, weil bei Ihr die Anforderungen die Eingänge überwogen. Im ganzen betrachtet glichen sich die Einzahlungen und die Abhebungen bei den Banken stets haarscharf miteinander aus.

Als der Fremdling seinen Chef eines Tages nach der Ursache dieser seltsamen Erscheinung fragte, blickte dieser verwundert auf und meinte: "Aber, das ist doch nicht sonderbar. Es wäre seltsam, wenn es anders wäre. Die Menschen, die uns Ihre Ersparnisse bringen, haben mehr eingenommen, als sie im Augenblick verbrauchen wollen. Sie haben also mehr Leistungen und Güter auf den Markt gebracht, als sie selbst dem Markt entnommen haben. Diese Güter und Leistungen aber würden unbeschäftigt bleiben, sie würden unabsetzbar sein, wenn die gemachten Ersparnisse nicht in der Form des Kredits auf den Markt zurückkehren würden, so daß jene Güter gekauft und dem Verbrauch zugeführt werden können. Da das eigennützige Streben nach Reichtum und Gewinn die Menschen dazu treibt, alle sich ihnen bietenden Geschäftsmöglichkeiten auch auszunutzen, so werden sie den sich ihnen bietenden Kredit solange in Anspruch nehmen, wie sich noch irgendeine unausgenützte Leistung oder unabgesetzte Ware zeigt. Es kann also niemals ein Zuviel geben, weder auf der Seite der Arbeit, der Waren, noch auf der des Geldes, des Kredits. Beide Seiten werden immer miteinander in Einklang stehen, solange die Währung in Ordnung bleibt, d. h. solange das gesamte Geldangebot zum gesamten Warenangebot im gleichen Verhältnis bleibt, was wir ja an der Unveränderlichkeit des Preisstandes erkennen können.

Der Fremde dachte über diese Zusammenhänge eifrig nach. Sollte das alles wirklich so einfach sein? Sollte dieser Friede, diese Sauberkeit, Ehrlichkeit und Wohlhabenheit auf Potatos nur eine Folge dieses einfachen, ja primitiven Geldwesens sein? Oder sollten nicht doch vielleicht die Potatosier eben ein ganz anderer Menschenschlag sein als seine Landsleute? Gutmütiger, bedächtiger, einfältiger und doch auch wieder anspruchsvoller und kultivierter?

Aber mochte das nun sein wie es will, dachte der Fremde; das Geld und der ganze Geld- und Kreditverkehr der Potatosier war doch zu primitiv. Stets mit einem Kartoffelsack herumzuschleppen, bei jedem Einkauf nicht nur die Ware, sondern auch das Geld wiegen zu müssen, das war ja schlimmer als der Verkehr mit den Kauri-Muscheln bei den Negern auf Sansibar. Das Kartoffelgeld war fast so unbeholfen und ungeschlacht wie das Mühlsteingeld auf den Karolinen.

Nein! Die Potatosier mochten nette, geistreiche und herzensgute Leute sein; auf diesem Gebiete waren sie ganz gewiß rückständig. Sie lebten noch auf der gleichen Kulturstufe wie die Neger Ostafrikas und hatten sicher noch niemals etwas von modernem Geld-, Finanz- und Kreditwesen gehört. Hier tat sich ein gewaltiges Betätigungsfeld für ihn auf. Hier zeigte sich eine Aufgabe, die seiner würdig war. Er würde sich ein unsterbliches Verdienst um den Fortschritt der potatosischen Zivilisation erwerben. Er würde den Insulanern die Möglichkeit eines modernen Geld- und Kreditverkehrs erschließen. Gewiß, es herrschte Schönheit und Wohlstand auf Potatosien, aber welch ein Reichtum würde sich erst mit modernen Grundsätzen und Einrichtungen auf dem Gebiete des Geldverkehrs erreichen lassen. Mit diesen Menschen würde man wirklich den Himmel auf Erden schaffen können. Oh, man würde ihm noch ein Denkmal setzen, als dem großen Wirtschaftsreformator Potatosiens. Sein Name würde in die Geschichte eingehen, unvergänglich und unvergeßlich.

So machte er sich ans Werk. Als erstes sollten die Potatosier einmal die Annehmlichkeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs kennenlernen. Eine Gelegenheit, damit zu beginnen, würde sich schon finden. Und sie fand sich.

Als am nächsten Morgen der Bauer Hidalgo zu ihm kam, um 75 Pfund Kartoffeln von seinem Konto abzuheben, fragte er ihn: "Wozu brauchst Du sie?"

"Was geht dich das an?", brummte Hidalgo betreten; denn solche Fragen galten auf Potatos als taktlos und aufdringlich.

"Ich frage nicht, um mich in Deine Anlegenheiten einzumischen", beschwichtigte ihn der Fremde, "sondern weil ich Dir eine überflüssige Arbeit ersparen will."

"Nun, ich brauche sie, um die Rechnung des Schreiners Kioki zu bezahlen, der mir meinen Schweinestall repariert hat. Aber wieso kannst Du mir nun Arbeit ersparen, dadurch, daß Du das weißt ?"

"Sehr einfach", sagte der Fremde. "Sieh mal: Was wird Kioki mit den Kartoffeln machen, die Du hier abholst und dann zu ihm bringst? Vielleicht wird er das eine oder andere davon bezahlen, aber den größten Teil wird er wahrscheinlich wieder zu uns bringen, denn er ist ein sparsamer Mann und hat ja auch ein Konto bei unserer Bank. Ich wette, daß die Kartoffeln, die Du jetzt hier abholst, innerhalb von 24 Stunden wieder bei uns sind."

"Das mag sein", gab Hidalgo zu. "aber wie willst Du das ändern?"

"Hier ist ein weißes Blatt Papier", antwortete der Fremde, "darauf schreibe ich jetzt: "An die Potatos-Bank in Viluja: Ich bitte von meinem Guthaben 75 Pfund Kartoffeln auf das Konto des Schreinermeisters Kioki zu überweisen." Darunter schreibst Du jetzt Deinen Namen, und damit ist alles erledigt. Wir ziehen Dir 75 Pfund ab, schreiben Kioki 75 Pfund dazu und teilen ihm mit, daß Du seine Rechnung auf diese Weise bezahlt hättest. Ist das nicht einfach?"

"Allerdings", meinte Hidalgo. "Wenn aber Kioki nicht zufällig auch bei Euch ein Konto hätte?"

"Dann hätte er vielleicht eins bei der Korona-Bank. Das wäre auch weiter keine Schwierigkeit. Dann würden wir der Korona-Bank einfach mitteilen, daß sie dem Konto des Herrn Kioki für unsere Rechnung 75 Pfund Kartoffeln gutschreiben solle. Die Korona-Bank hat sicherlich Kunden, die gerne Überweisungen an unsere Kunden vornehmen möchten. Diese Beträge schuldet sie uns dann, während wir ihr die Beträge schulden, die unsere Kunden an die ihrigen überwiesen haben. Alle diese Summen können wir einfach gegeneinander aufrechnen. Alle Vierteljahre stellen wir dann einmal fest, ob noch ein Differenzbetrag - ein Saldo zu unseren oder zu ihren Gunsten verbleibt und den können wir dann - wenn nötig - durch Barzahlung ausgleichen."

"Wie einfach, wie genial!" rief Hidalgo aus. "Ja, das spart uns wirklich Zeit und Mühe. Das ist ein gewaltiger Fortschritt im Zahlungswesen. Das werde ich allen meinen Freunden erzählen. Daß wir nicht längst auf diesen geistreichen Einfall gekommen sind! Wie rückständig waren wir doch bisher!"

Wie ein Lauffeuer lief die Kunde von der neuen Zahlungsmethode durch das Land. Der Fremde geriet in den Ruf eines Finanzgenies. Sein Chef machte ihn zum Direktor und Teilhaber der Bank und ließ ihm völlig freie Hand in der Einrichtung des neuen Zahlungsverkehrs.

Nun entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit. Er ließ Formulare drucken für Überweisungsaufträge und für Barabhebungen und händigte sie - zu je 50 Stück in einem schönen, sauberen Scheckheft zusammengebunden - seinen Kunden aus, die eifrigen Gebrauch davon machten. Die anderen Banken folgten seinem Beispiel und so entstand neben dem alten Tauschmittel, der Kartoffel, eine Abart von Zahlungsmittel, das die Potatosier Buch-, Scheck- Schreib- oder Bankkartoffeln, meist aber einfach Giralkartoffeln nannten, während sie die wirklichen Kartoffeln in der Folgezeit nur noch als Bar- oder Zahlkartoffeln zu bezeichnen pflegten.

So stolz sie aber auf ihre neue Zahlungseinrichtung waren und so sehr sie sich auch bemühten, allenthalben von ihr Gebrauch zu machen, so gelang es ihnen doch nicht, die unbequemen Barkartoffeln abzuschaffen. Man machte einen Versuch, auch den Arbeitern und Angestellten ihre Löhne mit Schecks zu bezahlen. Sie nahmen die Papiere mit gemischten Gefühlen in Empfang und fragten sich zweifelnd: "Ob man uns dafür wohl etwas verkaufen wird?"

Als ihre Frauen aber am nächsten morgen damit in die Läden kamen, riefen die Kaufleute verzweifelt: "Großer Toioka! Was sollen wir mit all den Schecks? Wir haben nicht eine einzige Kartoffel Wechselgeld mehr in der Kasse. Was sollen wir nur machen? Gewiß, wir könnten Euch allen für die Restbeträge wieder Schecks ausstellen. Aber was ist das für ein Umstand ! Wir verlieren ja vollständig die Übersicht und wissen nicht mehr, was wir eigentlich noch in der Kasse haben. Anstatt abends einfach die Kasse nachzählen zu können, müssen wir eine lange Aufstellung der eingenommenen und der ausgestellten Schecks anfertigen. Und wissen wir denn, ob die Schecks auch alle gut sind? Viele der Firmen, von denen sie stammen, kennen wir ja gar nicht, und die Unterschriften, die darunterstehen erst recht nicht. Nein, nein! Geht lieber zu Euren Firmen oder deren Banken und laßt Euch für ihre Schecks bare Kartoffeln geben. Das dünkt uns doch einfacher und sicherer."

Es zeigte sich also, daß man allenfalls den Arbeitern und Angestellten ihren Lohn auf deren Bankkonto überweisen konnte, aber weiter ging es dann nicht mehr mit dem barkartoffellosen Zahlungsverkehr. Beim Absatz der Waren an den Endverbraucher, beim täglichen Verkauf über die Ladentheke und den Marktstand mußte das echte Tauschmittel, die Kartoffel her. Anders ging's nicht. Auf der Eisen- und Straßenbahn, in der Autotaxe und auf dem Fluß- oder Küstendampfer, bei der Post und im Restaurant war's erst recht nicht anders zu machen. Wenn aber gar ein Vilujaner in eine fremde Stadt reiste und seine Rechnung im Gasthof mit einem Scheck begleichen wollte, dann schaute man ihn kritisch an, und wenn er an einen besonders mißtrauischen Gastwirt geriet, so konnte er erleben, daß man zur Sicherheit sein Gepäck zurückhielt, solange bis der Scheck bezahlt war.

Immerhin wurden eine ganze Reihe von Zahlungen, die man früher mit baren Kartoffeln leistete, nun mit dem Scheck oder der Überweisung bewerkstelligt. Die Kartoffeln liefen in einem viel engeren Kreise um. Neben ihr waren die sogenannten Giralkartoffeln als Konkurrenz aufgetreten. Für die gleiche umzusetzende Warenmenge stand jetzt eine um den ganzen Betrag der barkartoffellosen Überweisungen vergrößerte Zahlungsmittelmenge gegenüber. Während das Angebot an Waren gleich geblieben war, hatte sich die Nachfrage nach Waren beträchtlich vergrößert. Die Preise stiegen auf der ganzen Linie. Das Volk wurde unruhig. Das war auf Potatos seit Jahrzehnten nicht vorgekommen; offenbar hatte der Kartoffelmeister seine Pflicht verletzt. Man erhob öffentliche Anklage gegen ihn, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen.

Aber der Kartoffelmeister hatte schon seine Gegenmaßnahmen getroffen. Er hatte das allgemeine Anziehen der Preise als erster bemerkt. Er wußte auch den Grund und rechnete damit, daß es recht erhebliche Ausmaße annehmen würde. Darum teilte er dem Finanzminister mit, daß der Kartoffelumlauf eingeschränkt werden müsse und er daher mit Zuwendungen aus dem Zentralkartoffelamt vorderhand nicht mehr rechnen könne. Der Finanzminister sah das ein und machte sofort eine Steuer-Vorlage, um das Defizit seines Staatshaushaltes zu decken. Den Gemeinden wurden die Anleihen, die sie aus dem Kartoffel-Währungsfonds erhalten hatten, gekündigt und ihre Rückzahlung in kürzester Zeit verlangt. Um die dazu erforderlichen Mittel aufzubringen, mußten auch sie zusätzlich Steuern von den Bürgern erheben. Da das alles aber dem Kartoffelmeister für die Wiederherstellung der stabilen Währung noch nicht ausreichend erschien, schrieb er zur Vorsicht noch eine Währungssteuer aus, um auf diese Weise das überflüssig gewordene Geld aus dem Verkehr zu ziehen.

Diese radikalen Maßnahmen brachten das Volk erst recht gegen ihn auf. "Er hat nicht aufgepaßt", hieß es, "und nun will er die Sache durch solche Gewaltakte wieder in die Reihe bringen."

Aber der Kartoffelmeister behielt kaltes Blut. "Ein jedes Ding hat seinen.Preis", sagte er. "Ihr habt neue Methoden des Zahlungsverkehrs eingeführt. Dadurch ist ein Teil der umlaufenden Kartoffeln überflüssig geworden. Die müssen wir nun durch Steuern aus dem Verkehr ziehen oder Ihr müßt eine allgemeine Preissteigerung, eine Inflation in Kauf nehmen. Zwischen beidem habt Ihr die Wahl."

Der Logik seiner Beweisführung konnten sich die Potatosier nicht verschließen und ihr Unmut wandte sich von dem Kartoffelmeister ab und dem Fremden zu. "Das also ist des Pudels Kern! Das hättest Du uns vorher sagen müssen, was Deine geniale Kreditreform kostet. Dann würden wir es uns noch überlegt haben, ob wir Deinen Vorschlägen folgen sollten."

Der Fremde sann auf eine gute Ausrede. Wenn er zugegeben hätte, daß er die Folgen seiner Verbesserungsvorschläge nicht voraussehen konnte, dann wäre sein Ruf als Finanzgenie ein für allemal dahin gewesen. Darum sagte er: "Jeder Fortschritt kostet nun einmal etwas. Umsonst ist der Tod. Eine Änderung in den Methoden des Zahlungsverkehrs bringt natürlich eine gewisse Unruhe in der Preisentwicklung mit sich, aber das geht vorüber. Die Preise werden sich wieder auspendeln. Darum das ganze Volk in solch rigoroser Weise mit Steuern zu belasten, ist völlig unnötig und unsozial.

"Laßt Euch nicht betören", sagte darauf der Kartoffelmeister, "Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, auf diese Weise eine Ausgabe vermeiden zu können. Bezahlen müßt Ihr, so oder so. Wenn Ihr die Währungssteuer verweigert, dann werdet Ihr den entsprechenden Betrag an der Kaufkraft Eurer Kartoffeln verlieren, und das ist viel ungerechter, denn der Kaufkraftschwund, die Preissenkung des Geldes oder - was dasselbe ist - die Preissteigerung aller Waren fällt nur den Gläubigern zur Last, vor allem den Lohn- und Gehaltsempfängern, den Sparern, den Lieferanten, kurz allen, die irgendeinen Geldbetrag zu bekommen haben, während die Schuldner, die zu zahlen haben, vor allem also die Sachwertbesitzer, die mit geliehenem Gelde Häuser und Fabriken gebaut und Warenlager angeschafft haben, noch dabei verdienen, indem ihre Schulden sich vermindern."

Als das die Schuldner hörten, spitzten sie die Ohren. Wie, da war sogar noch etwas zu verdienen ! Und das wollte der Kartoffelmeister, dieser verkalkte Trottel mit seiner dämlichen Währungssteuer verhindern? Welch ein Unsinn. Sie gründeten einen Schutzverband der Haus-und Fabrikbesitzer, sprachen von einer untragbaren Belastung der Wirtschaft, vom Eingriff in die Substanz, von bolschewistischen Steuermethoden, sie schmähten den Eigennutz der Menschen, die niemals bereit seien, dem Fortschritt ein Opfer zu bringen, die immer ihr egoistisches Selbstinteresse über das der Allgemeinheit stellten - und was man bei solchen Gelegenheiten sonst noch alles zu sagen pflegt.

So behielten der Fremde und die Schuldner recht. Die Währungssteuern unterblieben. Alle Kartoffeln blieben im Umlauf. Die Preise stiegen um rund 300%. In einem unablässigen Streit mit ihren Arbeitgebern suchten die Arbeiter und Angestellten ihre Löhne den gestiegenen Preisen wieder anzupassen. Die Sparer hatten drei Viertel Ihres Vermögens verloren, während alle Schulden sich in ihrem realen Gehalt auf ein Viertel vermindert hatten. Zum ersten Male seit vielen Jahrhunderten geschah es auf Potatos, daß Zank und Streit, politische Hetze, Erbitterung und Schadenfreude die Menschen in feindlichen Parteien gegeneinander trieben.

Doch nach und nach glätteten die erregten Wogen des öffentlichen Lebens auf Potatos sich wieder. Der Kartoffelmeister war wieder Herr der Lage geworden. Wenn auch jetzt ein großer Teil der Waren barkartoffellos bezahlt wurden, so genügte der verbliebene Kartoffelumlauf doch vollständig, die Waren-Nachfrage so entscheidend zu beeinflussen, daß das Preisniveau stabil gehalten werden konnte. Das alte, harmonische Leben war auf Potatos zurückgekehrt. Die Inflation geriet allmählich in Vergessenheit.

Da hielt der Fremde seine Zeit zum nächsten Schlage für gekommen.

Eines Tages fragte er ganz beiläufig scheinbar ohne irgendeinen Hintergedanken oder eine bestimmte Absicht seinen früheren Chef, jetzigen Freund und Teilhaber: "Sag einmal, warum behandeln wir eigentlich unser Geld so verschiedenartig?"

"Verschiedenartig? Wieso? Wie meinst Du das?" fragte der erstaunt.

"Nun", sagte der Fremde, "die Barkartoffeln werden bei jedem Umsatz auf's Neue gewogen. Und da sie dauernd etwas am Gewicht einbüßen, so hat man ständig einen kleinen Verlust daran. Die Giralkartoffeln dagegen sind abstrakte Zahlen. Sie bleiben sich immer gleich. Man erhält stets das volle Gewicht an Barkartoffeln dafür und verliert niemals etwas dabei."

"Aber das ist doch ganz selbstverständlich", meinte der Bankier. "Die Giralkartoffeln sind doch Ersparnisse, die die Sparer uns, beziehungsweise durch uns unseren Schuldner, geliehen haben. Und was man sich von anderen geliehen hat, das muß man doch in vollem Gewicht zurückgeben. Wenn ich Dir heute einen Zentner Kartoffeln leihe, dann habe ich doch nach einem Jahre immer noch einen Zentner zurückzufordern und nicht etwa nur einen halben Zentner."

"Das finde ich gar nicht so selbstverständlich", entgegnete der Fremde. "Die Giralkartoffeln sind doch auch Geld. Man kann Käufe damit tätigen. Rechnungen bezahlen, Umsätze bewerkstelligen, alles, was man mit den Barkartoffeln auch kann. Also sind sie regelrechtes Geld. Genau so wie die Barkartoffen. Warum sollen sie also anders beschaffen sein und anders behandelt werden als diese?"

"Du hast den Sinn und das Wesen des Tauschmittels noch nicht begriffen!", belehrte ihn der Bankier. "Unsere Kartoffeln sind das allgemein anerkannte, allerorts vertretbare und von jedermann ohne weiteres angenommene, gesellschaftliche Tauschmittel und gesetzliche Zahlungsmittel. Es ist kraft seiner eigenen Funktion gültig. Man nimmt es in Zahlung, ohne die Identität, die Legitimation und die Vertrauenswürdigkeit des Zahlers prüfen zu müssen. Wenn einer mit Kartoffeln bezahlt, dann brauche ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob er auch in der Lage sei zu zahlen. Denn dadurch, daß er tatsächlich bezahlt, hat er auch seine Zahlungsfähigkeit bewiesen.

Das alles ist bei diesen Giralkartoffeln nicht der Fall. Ihre Funktion ist ganz und gar abhängig von dem Vertrauen, das der Aussteller genießt. Um zu einem Scheck vertrauen haben zu können, muß ich nicht nur den Aussteller kennen, sondern ich muß auch überzeugt sein, daß er selbst den Scheck unterschrieben hat, daß er über ein Guthaben in der Höhe der Summe, auf die der Scheck lautet, verfügt und daß er berechtigt war, über dieses Guthaben zu verfügen. Einer durch Scheck, durch Überweisung, Gutschrift oder Wechsel bewirkten Zahlung bin ich erst dann sicher, wenn ich die entsprechenden baren Kartoffeln in meinen Händen halte. Diese baren Kartoffeln sind also etwas ganz anderes als deine Giralkartoffeln, niemals können diese sie ersetzen."

"Warum denn nicht", fragte der Fremde. "Der weitaus größte Teil aller Umsätze wird doch schon jetzt auf bargeldlosem Wege getätigt. Ich schätze, daß etwa vier Fünftel aller Zahlungen durch Giralkartoffeln und nur ein Fünftel durch Barkartoffeln geleistet wird. Warum sollte also dieses letzte Fünftel nicht auch noch bargeldlos abgewickelt werden können ?"

"Das geht eben nicht", erwiderte der Bankier. "Du hast es bei der Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs doch erlebt, daß man im Laden oder auf dem Marktstand, wo jeder beliebige Mensch kommen und kaufen kann, oder auf der Reise in der Fremde, wo man unbekannt ist, ein allgemein anerkanntes Tauschmittel braucht, das von dem Vertrauen zu der Person, die damit zahlt, gänzlich unabhängig ist."

"Zugegeben", meinte der Fremde, "aber das ändert doch nichts daran, daß mit den Giralkartoffeln ebenso Käufe getätigt werden wie mit den Barkartoffeln. Sie sind also ebensogut Geld wie diese, warum sollen sie also ganz andere Eigenschaften haben und ganz anders behandelt werden?"

"Warum? Weil das "Giralgeld" trotzdem grundsätzlich anderes ist. Es ist und bleibt eine Forderung, ein Anspruch auf Geld und kann darum nicht selbst Geld sein. Wenn Du eine Forderung auf die Lieferung von 1 Zentner Kirschen an mich hast, dann kannst du diese Forderung auch an B abtreten. Dieser kann sie an C übertragen, C alt D, D an E und E an F. Wenn ich den Zentner Kirschen dann an F aushändige, sind Euer aller Forderungen erfüllt. Es ist genau dasselbe, als wenn jeder die Kirschen von seinem Gläubiger tatsächlich bekommen hätte. Aber dadurch sind doch aus den abgetretenen Forderungen noch keine Kirschen geworden. Ohne den Zentner wirklich vorhandenen Kirschen, den ich an F aushändige, wären all diese Übertragungen doch sinnlos. Auf ihm allein beruht der fünfmal so große Betrag der abgetretenen Forderungen. Mit dem Verhältnis zwischen Barkartoffeln und Giralkartoffeln aber ist es gar nichts anderes."

"Dein Beispiel ist schlecht gewählt", wandte der Fremde ein. Die Kirschen sind ein Verbrauchsgut. Sie sind unmittelbar nützlich, denn ich kann sie aufessen. Das Tauschmittel nützt mir durch seine körperlichen Eigenschaften gar nichts. Es wird mir nur dadurch nützlich, daß ich es weitergebe. In diesem Punkte unterscheidet sich die Barkartoffel eben in keiner Weise von der Giralkartoffel."

"Die Kirsche nützt mir dadurch, daß ich sie aufesse, der Kleiderschrank dadurch, daß er meine Sachen bewahrt, die Sonntagspredigt dadurch, daß sie mein Herz erhebt und das Tauschmittel dadurch, daß ich damit kaufe. Ich sehe da keinen grundsätzlichen Unterschied. Was heißt hier "unmittelbarer Nutzen", was "körperliche Eigenschaft". Die Funktion des Tauschmittels ist von seinem körperlichen Dasein ebensowenig zu trennen, wie die Stimme der Geige von dem ihrigen. Denkst Du Dir am Ende all der mit Schecks, Bankgutschriften, Wechseln und dergl. gegebenen Zahlungsversprechungen die Erfüllung in tatsächlichem körperlichem Gelde fort, so bricht dein ganzer Giralverkehr genau so zusammen, wie wir es beim Beispiel mit den Kirschen gesehen haben."

"Ich könnte mir denken", versetzte der Fremde, "daß diese tatsächliche Erfüllung wiederum durch eine Zahlungsversprechung, meinetwegen durch einen überall vertretbaren und ohne Legitimationsprüfung anerkannten Scheck der Notenbank erfolgt."

"Damit wäre dieser Scheck dann zum echten Tauschmittel geworden. Es wäre kein Zahlungsversprechen mehr, sondern die Zahlung. Alle Zahlungsanweisungen, Schecks, Überweisungen, Wechsel usw. würden nichts anderes bedeuten, als die Verpflichtung, Inhaberpapiere der Notenbank an dem angegebenen Betrage zu liefern. Auf etwas müssen diese Zahlungsversprechen ja schließlich lauten und Zahlungsversprechen und Zahlungsmittel kann doch unmöglich dasselbe sein, Zahlungsversprechen kann jeder ausstellen. Sie sind reine Privatsache. Zahlungsmittel aber können nur von einer durch das ganze Volk autorisierten Zentralstelle hergestellt und ausgegeben werden. Das ist und bleibt der Unterschied zwischen Deinen Giralkartoffeln und den Barkartoffeln."

"Das mag alles richtig sein", gab der Fremde zu. "Bestehen bleibt dennoch die Tatsache, daß die Giralkartoffeln ebenso als Geld wirksam sind wie die Barkartoffeln. Sie halten auch Nachfrage nach Waren. Ihr Anwachsen kann - wie wir gesehen haben - ganz erhebliche Preissteigerungen hervorrufen. Darum müssen sie genauso einer Mengenregulierung unterworfen werden wie die Barkartoffeln und zu diesem Zweck müssen sie mit den gleichen Eigenschaften ausgestattet sein wie diese."

"Wie soll denn das geschehen?", fragte der Bankier.

"Ganz einfach. Genau so wie die Barkartoffeln ständig schrumpfen, müssen es die Giralkartoffeln auch. Man muß also von allen Bank- und Sparguthaben täglich einen kleinen Abzug machen, der dem Gewichtsverlust der Kartoffeln entspricht."

"Und Du glaubst, daß dann noch ein Mensch seine Ersparnisse in unsere Bank bringen würde?"

"Nein, allerdings nicht. Darum können wir die Sache eben nicht allein machen, sondern das muß gesetzlich geregelt werden."

"Versuch's! Ich wünsche Dir guten Erfolg."

Mit diesen Worten verabschiedete sich der Bankier von seinem neuerungssüchtigen Kompagnon.

Dieser aber machte sich auf's Neue an die Arbeit. Er verfaßte Denkschriften und verschickte sie an alle Bankiers, Industrielle und Großkaufleute, besuchte führende Männer verschiedener Wirtschafts- und Berufsvereinigungen, Parlamentarier, Minister und Professoren, und brachte es schließlich dahin, daß eine allgemeine Wirtschaftskonferenz einberufen wurde, der er seine Sache vortragen konnte.

Die Potatosier hörten ihm aufmerksam zu und machten ein verblüfftes Gesicht, als sie seine Forderungen vernahmen. Viele fühlten, daß daran etwas nicht stimmen konnte. Nur konnten sie nicht genau sagen, was. Und da sie den großen Ruf des Fremden als Finanzgenie kannten, und seine geschliffene Dialektik fürchteten, so zogen sie es vor, ihre Bedenken für sich zu behalten. Nur der alte Kartoffelmeister stand auf und sagte:

"Liebe Landsleute !

Die Schlußfolgerungen des Fremden beruhen auf einer vollständigen Verkennung des Unterschiedes zwischen Tauschmittel und Sparmittel. Die Übertragung von Guthaben durch Schecks oder Überweisungen ist ja nur möglich, wenn vorher Ersparnisse gemacht und in Bankkonten angelegt worden sind. Solche Ersparnisse aber werden und wurden gemacht, um sie später einmal wieder in Barkartoffeln umwandeln zu können. Sie stellen ein Vorratsgut dar, das die, welche es zurückgelegt haben, vorab gar nicht angreifen wollen. Die Ersparnisse wollen also ruhen, ganz im Gegensatz zum Geld, zum Tauschmittel, das bewegt sein will und bewegt werden muß, wenn der Güteraustausch funktionieren und die Wirtschaft gedeihen soll.

Nun können allerdings auch die Sparguthaben bewegt werden, indem sie durch Überweisungen oder Schecks von einem auf den anderen übertragen werden. Sie können durch diese Bewegung sogar das Tauschmittel in einem gewissen Umfange ersetzen. Aber sie müssen nicht bewegt werden. Es kann jederzeit auf jegliche Überweisung von Bankguthaben und jeden Scheckverkehr verzichtet werden, ohne daß dadurch in der Wirtschaft irgendwelcher Schaden geschieht. An die Stelle jeder aus irgendeinem Grunde unterlassenen Bewegung von Sparguthaben tritt sofort der Umlauf von baren Kartoffeln. Denn da wir den Kartoffelumlauf so verwalten, daß der Durchschnittspreisstand immer stabil bleibt, so ist dafür gesorgt, daß alle Umsätze, die getätigt sein wollen, auch getätigt werden können, gleichgültig, ob die Barkartoffeln nun diese Arbeit allein bewerkstelligen oder ob die sogenannten Giralkartoffeln ihnen die Arbeit des Güterumsatzes in größerem oder kleinerem Umfange abnehmen. Wo der Herr und Meister zur Stelle ist, da kann der Knecht und Stellvertreter ruhig schlafen. Dafür aber, daß der Herr und Meister - will sagen die baren Kartoffeln - immer zur Stelle ist, wo er benötigt wird, daß niemals die Gefahr einer Absatzstörung, eines Preissturzes und Arbeitslosigkeit eintreten wird, dafür sorge ich, meine Landsleute, ich, dem ihr die Betreuung eures Tauschmittels anvertraut habt.

Nun will der Fremde Euch einreden, Ihr müßtet den Verkehr mit Euren Ersparnissen den gleichen Bedingungen unterwerfen, denen der Geldverkehr unterworfen ist. Zu diesem Zwecke will er auch die bargeldlosen Überweisungen einer Mengenregulierung unterwerfen. Ich gestehe, daß ich mir keine praktische Vorstellung davon machen kann, wie das geschehen soll. Er will von allen Sparguthaben täglich einen kleinen Abzug machen, der dem Gewichtsschwund unserer Kartoffeln entsprechen soll, um auf diese Weise die Giralkartoffeln den Barkartoffeln gleichzustellen. Ich frage Euch, wer dann wohl seine Ersparnisse noch zur Bank bringt und in der Wirtschaft anlegt? Ihr würdet dem ganzen Kreditwesen und damit sogar auch dem Giroverkehr den Boden entziehen. Ihr würdet das Fundament Eures Wohlstandes vernichten. Ich warne!"

Die Potatosier spendeten ihrem Kartoffelmeister reichen Beifall. Nun war ihnen die Sache klar geworden. Doch der Vorstand des Schutzverbandes der Haus- und Fabrikbesitzer spitzte wiederum die Ohren. Wie - durch die von dem Fremden vorgeschlagene Reform würde das Investieren der Ersparnisse beeinträchtigt werden? Aber das wäre doch gut. Wurde denn nicht viel zu viel investiert? Man konnte kein Haus bauen, das gute Mieten abwarf, ohne daß ein anderer kam, der sofort eins daneben setzte und die Mieten wieder herunterdrückte. Gewiß, man konnte sorgenlos leben auf Potatos. Aber einen wirklichen Reichtum, so daß man aus dem Vollen wirtschaften und über ungezählte Millionen an Geld und Arbeitskräften verfügen konnte, wie es der Fremde aus seiner Heimat erzählt hatte, den kannte man nicht. Das verhinderte die immer wieder neu aufkommende Konkurrenz - und die brauchte natürlich Geld. Sie mußte über Ersparnisse verfügen können, wenn sie etwas anfangen wollte. Es wäre also ganz gut, wenn hier mal etwas gebremst würde.

Daher beschlossen die Haus- und Fabrikbesitzer, für die Vorschläge des Fremden einzutreten. Die Einwände des Kartoffelmeisters seien zwar richtig, schrieben sie in ihrer Zeitung. Sie hätten sogar den Fehler, daß sie zu richtig seien. Sie seien der typische Ausdruck rein rationalistischen Denkens. Damit allein aber könne man die Wirtschaft eines Volkes nicht lenken. Es müsse auch Spielraum bleiben für die sittlichen Werte, für die Bedürfnisse des Herzens und der Seele . . . und was man bei solchen Gelegenheiten sonst noch alles zu sagen pflegt.

Nun waren die Potatosier aber recht religiöse Leute. Sie fürchteten nichts so sehr wie den Zorn der Götter und den Vorwurf einer materialistischeren Denkungsweise. Mit all seiner Logik kam der Kartoffelmeister daher nicht gegen die schlaue Spekulation der Haus- und Fabrikbesitzer auf. Der Vorschlag des Fremden wurde angenommen und in die Tat umgesetzt.

Von nun ab wurde der gesamte Bestand an Bankkonten wöchentlich ermittelt und registriert. In den wöchentlichen Berichten des Kartoffelmeisters wurde nicht nur der Groß- und Kleinhandelsindex und die Menge der umlaufenden Kartoffeln, sondern auch die Summe aller vorhandenen Bankkonten aufgeführt. Was von dem Guthaben unverändert stehen geblieben, was durch Überweisung von einem Konto auf das andere bewegt worden, was durch Einzahlung von Barkartoffeln neu entstanden und was durch Abhebungen vermindert oder getilgt worden war, das konnte natürlich kein Mensch wissen, aber das hinderte die Statistiker nicht, die Guthaben und die Barkartoffeln unter der Rubrik "Gesamtgeldumlauf" in einer einzigen Summe zusammenzurechnen.

Die Potatosier wußten zwar nicht, was sie mit dieser Summe eigentlich anfangen sollten und wozu sie wohl gut sein könnte. Die ganze Sache war reichlich kompliziert, verworren und undurchsichtig geworden. Aber sie machte doch einen recht wissenschaftlichen und fortschrittlichen Eindruck.

Da nun aber die Giralkartoffeln und die Barkartoffeln unbedingt gleich behandelt werden sollten, so wurde von jedem Bankkonto am Schluß jeder Woche genau soviel abgebucht, wie eine gleiche Menge Kartoffeln in einer Woche an Gewicht verloren hätte. Dadurch war es für die Potatosier völlig gleichgültig geworden, ob sie die ersparten Kartoffeln zur Bank brachten oder ob sie sie im Hause behielten; denn sie verloren ja in beiden Fällen daran. Darum fiel es niemandem mehr ein, mit seinen Ersparnissen den Weg zur Bank anzutreten. Man behielt sie einfach im Hause. Da aber auch dort der Schatz durch Eintrocknen und Schrumpfen täglich kleiner wurde, so beeilte man sich, zu kaufen, was man nur gerade kriegen konnte.

Größere Anschaffungen konnte man mit den Ersparnissen von wenigen Tagen allerdings nicht machen. Man konnte keine Häuser damit bauen, keine Maschinen kaufen, eine Aussteuer anschaffen und nicht damit studieren. Der ganze Konsum der Potatoster begann sich in lauter kleinen Dingen zu erschöpfen: in gutem Essen und Trinken, in modischen Kleidungsstücken, in Schmuckstücken und Luxusgegenständen, in kostspieligen Reisen und dergl. mehr. Die Potatosier waren plötzlich verschwenderisch geworden. Aber das solide Fundament ihres Wohlstandes schwand dahin. Es wurde nicht mehr studiert. Neue Geschäfte wurden nicht mehr ergänzt, weil eben das Sparen unmöglich gemacht und damit jede volkswirtschaftliche Vorratsbildung unterbunden worden war.

Bei allem äußeren Glanze begann die große Masse der Potatosier mehr und mehr zu verarmen. Die Haus- und Fabrikbesitzer jubelten: Endlich war der Druck einer stetig sich erneuernden Konkurrenz von ihnen genommen. Es würde nicht lange dauern, bis sich der allgemeine Kreditmangel auch in einem Mangel an Realvermögen, an Häusern, Maschinen, Fabriken, Warenlagern usw. auswirken mußte. Dann waren sie die Herren der Lage. Ihr Eigentum würde eine schöne Monopolstellung gewinnen. Sie würden Preise und Mieten fordern können, wie sie wollten. Keine Macht der Welt würde sie daran hindern können, besonders, wenn sie schön zusammenhielten und sich gegenseitig nicht unterboten. Und sie beschlossen, ein entprechendes Statut für den Haus- und Fabrikbesitzerverband einzuführen.

Aber sie hatten die Rechnung ohne die strebsamen, jungen Potatosier gemacht. Es gab viele unter ihnen, deren offenen Augen der zunehmende Verfall nicht verborgen blieb. Und sie fanden auch die Mittel, ihm zu begegnen. Da war z. B. ein junger Schmied: der hatte die Meisterprüfung gemacht, ein Technikum besucht und eifrig gespart, um nach einigen Jahren ein kleines Stahlwerk zur Herstellung hochwertiger Geschenkschmiedestücke aufmachen zu können.

Als er nun sein kleines Spargut langsam aber sicher dahinschwinden sah, sagte er sich: Ehe ich meine Ersparnisse in sinnlosem Luxus vergeude, fange ich lieber mein Unternehmen mit Schulden an. Und er ging zu seiner Bank, um sich das, was ihm an Betriebsgut noch fehlte, hinzuzuleihen. Aber der Bankier lachte ihn aus: "Kredit wollen Sie haben? ja woher denn? Es spart doch kein Mensch mehr. Alle heben ihre Ersparnisse ab, um sich irgendeinen Firlefanz zu kaufen. Dieses liederliche Volk!"

"Macht nichts", dachte der Schmiedemeister. "Wenn die Banken mir keinen Kredit verschaffen können, denn werde ich eben selbst Bankier spielen. Er machte eine Wirtschaftlichkeitsberechnung auf, nahm seinen letzten Bankauszug und ging damit zu seinen Onkeln, Freunden und Vettern. "Ihr habt alle Ersparnisse, die Ihr sinnlos vergeudet und verpraßt, nur weil sie Euch sonst unter der Hand zerschmilzen würden. Bei jedem einzelnen ist es so wenig, daß er nichts Rechtes damit anfangen kann. Wenn wir aber alle zusammenlegen, dann gibt es ein ganz hübsches Vorratsgut, (Der bei uns gebräuchliche Ausdruck "Kapital" war auf Potatos damals noch gänzlich unbekannt.) mit dem ich bequem meine Fabrik aufbauen und betreiben könnte. Einen wesentlichen Anteil habe ich ja selbst bereits gespart. Die Absatzmöglichkeiten sind sehr günstig, weil ja die vorhandenen Anlagen dieser Art veraltet und neue in der letzten Zeit nicht entstanden sind. Überlaßt mir Eure Ersparnisse ! Ich verspreche Euch, sie, wenn meine Fabrik läuft, in vollem Gewichte, ohne irgendeinen Abzug zurückzugeben. So ist uns allen geholfen. Ihr erhaltet Euch Eure Ersparnisse und bekommt sie in voller Höhe dann zurück, wenn Ihr sie vielleicht selbst gut gebrauchen könnt, und ich kann mir eine selbständige Existenz aufbauen. Ein besseres Geschäft können wir doch alle zusammen nicht machen.

Die Freunde und Verwandten sahen das ein. Die Verträge wurden abgeschlossen, und der Schmied baute seine Fabrik. So wie er handelten aber viele junge Handwerker und Unternehmer: Schreiner, Schlosser, Schuhmacher, Bauunternehmer, Bootsbauer, Automobilfabrikanten, Gießer, Dreher, Buchdrucker usw. usw. Sie alle brachten das nötige Betriebs- und Baugut auch ohne die Vermittlung der Banken zusammem.

Als das die Bankiers erfuhren, liefen sie vor Wut blau an. Sie beriefen eine Konferenz, in der ein Entrüstungsschrei den anderen überbot. Sie sprachen von unerlaubten Eingriffen in ihre Berufsrechte, von völliger Entartung des Kreditgeschäfts, von unzulässiger Einmischung Fachunkundiger und unzuverlässiger Elemente, von Pfuschertum und schwarzem Geldmarkt und nahmen eine Entschließung an, die sofortige gesetzliche Maßnahmen gegen alle "illegalen Kreditgeschäfte" verlangte.

Der Schutzverband der Haus- und Fabrikbesitzer fühlte sich ebenfalls in seinen Rechten verletzt und schloß sich dem Vorgehen der Bankiers an. Doch die Parlamentarier machten bedenkliche Gesichter. "Nein", sagten sie, "so etwas können wir nicht machen. Ein derartiger Eingriff in die Gewerbefreiheit würde bei dem bekannten Freiheitsbedürfnis der Potatosier den schärfsten Widerstand unserer Wähler herausfordern. Wir könnten damit unsere eigene Stellung gefährden und unter Umständen sogar einen Aufruhr verursachen. Das Volk murrt ohnehin schon genug über die neumodischen Reformen des Fremden. Obwohl, so sagt es, der Zahlungsverkehr bequemer geworden und technisch verbessert ist, sei doch der Wohlstand auf Potatos unaufhaltsam zurückgegangen.

Nun war es an dem Fremden, Rede und Antwort zu stehen. Sein Stand war nicht leicht. Er wußte genau, daß es auch unter den Bankiers und unter den Haus- und Fabrikbesitzern eine Menge Leute gab, die ihm die Schuld an allem Zank und Streit zuschrieben.

"Liebe Gastfreunde!"

so begann er seine Rede. "Ich weiß, daß viele von Euch einen Argwohn gegen mich in ihrer Brust verschließen, weil die Neuerungen, die ich einführte, andere Folgen zu zeitigen scheinen, als ich vorausgesagt habe. Aber der Grund dafür ist nicht in meinen Reformen zu suchen, sondern vielmehr in der Tatsache, daß wir einen modernen Zahlungs- und Kreditverkehr auf einem völlig veralteten, primitiven Geldwesen aufgebaut haben. Daß die Giralkartoffeln Geld sind, ebenso wie die Barkartoffeln, und daß beide Geldarten daher nicht unterschiedlich beschaffen sein dürfen - das steht nun einmal einwandfrei fest." (Zwischenruf: Keineswegs!) "Ich sage: es ist wissenschaftlich erwiesen. Aber wir hätten besser das Bargeld dem Giralgeld angeglichen, statt es umgekehrt zu machen. Und wir müssen es heute noch tun, wenn wir aus der gegenwärtigen Kalamität herauskommen wollen. Dieses ewige Eintrocknen unseres Tauschmittels, dieser ständige Gewichtsverlust der Barkartoffeln und der entsprechende Abzug bei den Giralkartoffeln ist der Kern des ganzen Übels. Ein in seiner Zahlkraft beständiges Zahlungsmittel brauchen wir. Sowohl das Bargeld wie auch das Giralgeld muß unveränderlich sein. Dann wird auch wieder gespart und das Gesparte wird wieder den Banken zufließen, um in der Wirtschaft angelegt zu werden."

Hier meldete sich der Kartoffelmeister zu Wort und sagte:

"Daß wieder gespart werden wird, glaube ich. Aber daß die Ersparnisse auch ohne Weiteres zur Bank gebracht oder in der Wirtschaft angelegt werden, das glaube ich nicht. Warum sollten sie es denn auch? Wenn ich mein erspartes Geld zu Hause halten und mich jeden Tag an seinem Anblick erfreuen kann, ohne einen Schaden dabei zu erleiden, warum soll ich es dann zur Bank bringen oder in ein Geschäft stecken? Wenn aber das eingenommene Geld nicht restlos wieder auf den Markt zurückkehrt, kann auch die erzeugte Ware nicht restlos abgesetzt worden. Der Wirtschaftskreislauf ist unterbrochen. Es muß Absatzstörungen und Arbeitslosigkeit geben. Darum darf das bare Geld, das eigentliche Tauschmittel nicht beständig sein. Es muß einem dauernden Gewichtsverlust, einem Schwund unterliegen, der es in ständiger Bewegung erhält und das ersparte Geld in die Bankkonten, in die Anlage hineintreibt. Damit das aber auch wirklich geschieht, muß die Gutschrift natürlich besser sein, als bares Geld. Sie darf also nicht schwinden. Sie muß beständig, muß unveränderlich sein, denn erspartes Geld wird nur dann in ein Guthaben verwandelt, wenn der Sparer einen Nutzen davon hat.

Zwischen dem baren Gelde und der Geldgutschrift (und das ganze Giralgeld besteht ja lediglich aus lauter Gutschriften) besteht genau der gleiche Unterschied, wie zwischen einem wirklich vorhandenen Zentner Weizen und dem Zentner Weizen als abstrakte Größe, als Gattungsbegriff. Der einzelne Zentner schrumpft zusammen, er fault, wird muffig, von Würmern und Mäusen angefressen, kurz er schwindet. Aber der Zentner Weizen als allgemeiner Begriff ist eine unveränderliche Größe. Wenn ich einen Zentner Weizen ausgeliehen habe und ihn nach Jahr und Tag zurückverlange, dann erwarte ich natürlich nicht denselben, inzwischen wahrscheinlich längst nicht mehr vorhandenen Sack Weizen zurück, sondern einen vollgewogenen Zentner frischen Weizens.

Das ist die Natur aller Dinge, mit denen wir uns in der Wirtschaft zu beschäftigen haben. Solange unser Geld keine Ausnahme davon machte, klappte alles vorzüglich. Erst seitdem wir uns durch den unglücklichen Ausdruck "Giralkartoffeln" dazu verleiten ließen, zwei gänzlich verschiedene Wesen zu einem einzigen zu verkuppeln, seitdem wir versuchen, den Gattungsbegriff genau so sterblich zu machen wie das Einzelwesen oder umgekehrt: daß das Einzelwesen genau so unsterblich wie der Gattungsbegriff ist, seitdem funktioniert nichts mehr. Unsere Wirtschaft torkelt aus einer Krise in die andere. Aber Ihr habt ja gesehen, daß die lebendigen Kräfte der Wirtschaft ganz von selbst danach streben, das natürliche Verhältnis der Dinge im Wege der Selbsthilfe wieder herzustellen. Das wollt Ihr nun mit Gewalt unterbinden oder dadurch verhindern, daß Ihr noch größeren Unfug anrichtet. Es würde mich interessieren, wie das unvergängliche Geld, das der Fremde schaffen will, denn nun in Wirklichkeit aussehen soll."

"Sehr einfach", nahm der Fremde das Wort. "An die Stelle des Kartoffelamtes tritt einfach ein zentrales Kreditinstitut. Dieses Institut gibt auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen in einheitlichen Stückelungen zu 1, 2, 5, 10, 20, 50, 100 und 1000 Pfund heraus. Die Aufschrift auf einem solchen Inhaberpapier würde z. B. lauten:

"50 Pfund zahlt die Zentralnotenbank von Potatos dem Einlieferer dieser Note ohne Legitimationsprüfung."

Da die Zentralnotenbank im ganzen Lande als kreditwürdig bekannt ist, wird jeder Ihre Schecks ohne weiteres annehmen, und dadurch, daß diese Schecks in einer zweckmäßigen Stückelung herausgegeben werden, sind gleichzeitig all die Schwierigkeiten überwunden, die sich bei dem Versuch, den Warenabsatz mit privaten Schecks zu bewerkstelligen, gezeigt haben."

"Und womit - wenn ich fragen darf - würde die Notenbank Ihre Schecks denn einlösen?" wollte der Kartoffelmeister wissen.

"Womit?" fragte der Frende verblüfft zurück. "Womit? - Nun, mit Banknoten."

"Mit ihren eigenen Noten? Da könnte es also geschehen, daß ich in Einlösung des auf der Note gegebenen Zahlungsversprechens die gleiche Note zurückerhalte."

"Allerdings", räumte der Fremde ein, "die gleiche oder andere, mehrere kleinere zum Beispiel."

"Das wäre keine Einlösung, sondern lediglich ein Wechseln."

"Das ist doch gleichgültig. Wenn Du Dich daran stößt, kann das Zahlungsversprechen ja auch fortbleiben, und wir schreiben auf die Noten einfach: X Y Pfund."

"Das ist nicht gleichgültig", ereiferte sich jetzt der Kartoffelmeister, "sondern hier stoßen wir auf den Kern des ganzen Problems. Es kann doch nicht ein und derselbe Zettel ein Schuldschein und gleichzeitig das Mittel zu der Einlösung sein. Die Inhaberpapiere der zentralen Notenbank wären - wenn sie eingeführt würden - etwas ganz anderes als Schuldverschreibungen oder Zahlungsversprechen. Sie sind Geld, regelrechtes Geld, sie sind das gesellschaftlich gültige Tauschmittel, das einzige Tauschmittel. Alle anderen Schecks, Überweisungen, Gutschriften, Wertpapiere, Wechsel usw. sind nur Versprechungen, eine bestimmte Menge dieses Tauschmittels zu liefern. Sie können nur mit diesem Tauschmittel eingelöst werden und verlören ohne diese Einlösungsmöglichkeit jeden Sinn."

"Das ist Wortklauberei", wehrte sich der Fremde. Derselben Meinung war auch die Mehrheit der Versammlung, die diesen Exkurs als eine gar zu strapaziöse Zumutung an ihr geistiges Fassungsvermögen empfand.

An diesem kritischen Punkte der Auseinandersetzung hielt der Vorsitzende des Schutzverbandes der Haus- und Fabrikbesitzer den Augenblick für gekommen, seinerseits das Wort zu ergreifen.

"Ihr Männer von Potatos!", begann er. "Was streiten wir uns um Worte und Begriffe, und vergessen darüber ganz, um was es hier eigentlich geht, nämlich um den potatosischen Menschen. Der Kartoffelmeister ist ein kluger und ehrenwerter Mann. Aber er setzt sein Vertrauen zu sehr in die reine Vernunft und zu wenig in die sittlichen Kräfte des Menschen. Der Mensch ist nun einmal kein Rechenexempel, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut, mit Schwächen und Fehlern - gewiß - aber auch mit einem hohen, ethischen Streben. Darum soll man ihn nicht in einen ausgeklügelten Mechanismus einspannen, in dem sich alles von selbst regelt. Der Gedanke, alle Probleme vom Gelde her lösen zu können, ist doch ein Traum und nicht mal ein schöner; denn er würde den moralischen Fundus in uns erstarren und versiegen lassen. Darum laßt uns nicht an des Gedankens Blässe scheitern, sondern rüstig vorwärtsschreiten, auf der Bahn des menschlichen Fortschritts."

Und er redete noch vieles, was man bei solchen Gelegenheiten eben zu sagen pflegt. Den von der Diskussion zwischen dem Fremden und dem Kartoffelmeister ermüdeten Potatosiern aber gefiel die Rede ausgezeichnet und sie beschlossen - um nicht in den Verdacht einer materialistischen Weltanschauung zu geraten - bei der künftigen Erörterung dieser Angelegenheit der Logik soweit als möglich aus dem Wege zu gehen.

So konnte es geschehen, daß bei der Abstimmung im Parlament die Vorschläge des Fremden mit großer Stimmenmehrheit angenommen wurden. Alle Bestimmungen, die den Anbau und den Umlauf der Kartoffeln regelten, wurden aufgehoben. An die Stelle des Kartoffelgeldes trat die Banknote. Der Kartoffelmeister wurde Präsident der Notenbank von Potatos. Er nahm dieses Amt allerdings nur nach heftigem Sträuben an und erst, nachdem er erklärt hatte, daß mit einem Tauschmittel, dessen Umlauf nicht zwangsläufig, sondern allen möglichen Störungen unterworfen sei, unmöglich eine feste Währung aufrechterhalten werden könne. Er wolle zwar sein Bestes tun, aber er könne nicht dafür garantieren, daß der Preisstand in Zukunft nicht erheblichen Schwankungen ausgesetzt sein werde.

Da unter den Bankiers keiner war, der gewillt gewesen wäre, eine solche Garantie zu übernehmen, so mußte man sich mit dieser Erklärung wohl oder übel zufrieden geben und noch froh sein, daß die Umstellung auf das neue Geld unter der Leitung eines so erfahrenen und umsichtigen Mannes vor sich ging.

Die Potatosier waren über das neue Geld beglückt und erfreut. Sie trugen jetzt lediglich einige saubere, hübsch bedruckte Zettel aus zerreißfestem Papier bei sich. Sie mußten nicht mehr ständig die Kartoffelsäcke herumschleppen, sie brauchten ihr Geld nicht mehr zu wiegen, sondern nur noch zu zählen. Sie konnten es auch sparen. Sie waren nicht mehr genötigt, immer gleich eine Anlage dafür zu suchen oder es auszuleihen. Die Scheine konnte man schön im Kassenschrank aufstapeln, soviel man wollte und solange man wollte. Denn sie vertrockneten ja nicht, verfaulten nicht und wurden nicht weniger. Man konnte jeden Tag seinen Reichtum nachzählen, konnte ihn mit eigenen Augen wachsen sehen und sich an seinem Anblick erfreuen.

Wenn jetzt ein Neffe zu seinem Onkel kam, um ihm eine Beteiligung an seinem Geschäft vorzuschlagen, so konnte er die Antwort hören: "Aber lieber Junge! Mein Geld verschimmelt mir doch nicht. Es läuft mir auch nicht davon. Es ist mir in meinem Kasten so sicher wie der liebe Gott im Himmel. Warum soll ich mich mit Sorgen belasten und es in zweifelhafte Geschäfte stecken? Nein! Wenn Du Kredit brauchst, dann gehe zur Bank. Dazu sind die Banken doch da."

Doch die Banken waren selbst in Verlegenheit, denn da die Sparer das Geld in der Tasche oder im Hause behielten, weil sie keinen Anlaß sahen, den Weg zur Bank damit anzutreten, so fehlte es allgemein in den Banken an Geldmitteln, die für Kredite Verwendung hätten finden können. Aber nicht nur die Banken und die Anleihesuchenden waren in Verlegenheit, sondern vor allem auch die Warenerzeuger und Händler. Denn das Geld, das die Sparer eingesperrt hatten, fehlte jetzt natürlich auf dem Markte. Der Absatz der Waren ging beängstigend zurück. Man sprach bereits von notwendigen Arbeiterentlassungen und Betriebseinschränkungen.

Jetzt wäre ohne Zweifel der Augenblick gekommen gewesen, wo nach der Auffassung des Fremden das "Giralgeld die Lücke hätte ausfüllen müssen, die in den Bargeldumlauf gerissen worden war. Es zeigte sich aber, daß auch die bargeldlosen Zahlungen bedenklich zurückgingen, denn ein Scheck- und Überweisungsverkehr ist ja nur möglich aufgrund vorhandener Bankguthaben. Wenn jedoch gar keine Guthaben gebildet werden, weil die Sparer ihr Geld bei sich behalten, so ist auch keine Überweisung und keine Zahlung mittels Scheck möglich. Je flüssiger und störungsloser das bare Geld umläuft, um so besser kann sich auch der bargeldlose Zahlungsverkehr entwickeln. Zieht das bare Geld sich aus der Wirtschaft zurück, so muß auch er zusammenbrechen.

Diese wichtige Lehre konnten die Potatosier nun aus eigener Erfahrung gewinnen. Weil ein großer Teil des baren Geldes in den Hamster-Verstecken der Sparer verschwand, gab es überall Schwierigkeiten, und kein "Giralgeld" war in der Lage, sie zu überwinden. Ein schwerer Preissturz mit allen seinen Folgen wäre unvermeidlich gewesen, wenn der Notenbankpräsident nicht nach wie vor seine Aufgabe darin gesehen hätte, den Preisstand aufrecht zu erhalten. Er ersetzte das in den Taschen und Geldschränken der Sparer aufgestapelte Geld einfach durch den Neudruck und die Neuausgabe von Noten. Diese Noten stellte er den Banken zur Verfügung, die damit nun die Kreditbedürfnisse der Unternehmer und Kaufleute befriedigen konnten. Nun gab es also wieder Kredit. Dieser Kredit kam jedoch nicht aus den Händen der Sparer, sondern er kam scheinbar aus der Notenpresse. Man sprach allgemein von einer Kreditschöpfung durch die Notenbank.

Doch der Notenbankpräsident lachte über diesen neuen terminus technicus und sagte: "Mit der Notenpresse kann ich wohl Geldzettel, aber keinen Kredit herstellen. Den Kredit haben - trotz allem - die Sparer erzeugt. Er besteht nämlich in nichts anderem als in all den Waren und Arbeitsleistungen, welche die Sparer nicht gekauft haben. Weil die Sparer das Geld, das nötig wäre, um diese Waren und Leistungen zu kaufen, eingesperrt haben, darum muß ich nun wohl oder übel neues Geld drucken und es Leuten als Kredit geben, damit sie die Waren kaufen können, welche die Sparer übriggelassen haben. Ich ersetze damit gewissermaßen nur den Kredit, den eigentlich die Sparer hätten geben müssen und faktisch auch gegeben haben; denn er ist nur durch ihre Sparsamkeit und nicht etwa durch die Tätigkeit meiner Gelddruckerei entstanden.

Wenn nun die Sparer auf den Gedanken kommen sollten, mit dem zurückgehaltenen Gelde ebenfalls zu kaufen, dann gibt es natürlich ein Malheur; denn dann stürzt sich eine verdoppelte Geldmenge auf die gleichen Waren. Und je länger die Katastrophe auf sich warten läßt, um so schlimmer wird sie werden, denn von dem Gelde, das ich jetzt neu herausgebe, wird ja wieder ein wesentlicher Teil gespart werden und wieder muß ich ihn durch neues Geld ersetzen, wenn ich den Preisstand stabil halten will.

Es kann durchaus sein, daß schließlich die ruhenden Geldbeträge vielfach so hoch sind, wie die umlaufenden. Sobald das Tauschmittel gleichzeitig Sparmittel sein kann, wie es jetzt der Fall ist, tanzt unsere ganze Wirtschaft auf einem Vulkan, der jederzeit losbrechen kann."

Und er brach los. Es war ein besonders heißer und trockener Sommer auf Potatos gewesen. Die Felder brachten nur den halben Ernteertrag wie in den Vorjahren. Indessen zogen natürlich die Getreidepreise an. Es bestand absolut kein Grund zur Unruhe; denn gute und schlechte Ernten hat es auf Potatos von jeher gegeben. Aber die Sorge um ihr Geld machte die Menschen nervös. Wenn alles teurer würde, wäre es doch eine Torheit, das Geld im Kasten liegen zu lassen. Dann war es doch richtiger, zu kaufen. Je schneller, um so besser. Die gewaltigen, gehorteten Geldbeträge brachen plötzlich hervor und stürzten sich auf den Markt. Die Preise schnellten in die Höhe, wie man es auf Potatos noch nicht erlebt ehatte. Jeder suchte sich aus dem Geldbesitz in den Warenbesitz zu retten. Lohnkämpfe brachen aus. Endlose Prozesse, um die Gültigkeit von Lieferungsverpflichtungen, um die Rechtmäßigkeit geleisteter Zahlungen, um die Frage, ob Pfund noch gleich Pfund sei, beschäftigten die Gerichte. Ganz Potatos war außer Rand und Band.

Der Notenbankpräsident war längst nicht mehr Herr der Lage. Er tat zwar sein Möglichstes, um die Geldflut einzudämmen. Aber es war natürlich unmöglich, auf dem Wege der Kreditbeschränkung so schnell wieder Geld aus dem Verkehr herauszuziehen, wie sich die aufgescheuchten Geldmassen der erschrockenen Sparer auf den Markt stürzten. Ehe die Kreditrestriktion der Notenbank überhaupt zur Wirkung kommen konnte, war die ganze Masse des ruhenden Bargeldes bereits in Bewegung geraten. Über die Summe aller Bankguthaben wurde täglich fast restlos verfügt, so daß also auch der bargeldlose Zahlungsverkehr ungeahnte Dimensionen annahm.

Als die Geldwoge anfing abzuebben und alle überhaupt nur verfügbaren Tausch- und Zahlungsmittel auf dem Markte zirkulierten, waren alle Preise auf das zehnfache, die Löhne auf das siebenfache und die Gehälter der Festbesoldeten auf das vierfache gestiegen. Alle Vermögensverhältnisse auf Potatos hatten sich grundlegend verändert. Wer fix bei der Hand war und die allgemeine Umwälzung der Preise geschickt auszunutzen verstand, war über Nacht reich geworden, andere, die sich im Vertrauen auf die gute potatosische Geldordnung in Sicherheit wähnten, waren zu Bettlern geworden. Fleiß und Leistung galten überhaupt nichts in dieser Zeit, sondern nur die Kunst, vorteilhaft zu kaufen und die Zahlung möglichst lange hinausschieben.

Die Leute aber, die ihr Hab und Gut verloren hatten bei dieser Seisachteia, klagten den Notenbankpräsidenten an, daß er seine Pflicht versäumt und durch eine unverantwortliche Geldpolitik die Inflation verursacht habe. Der Präsident wies auf seine Warnungen hin, und auf die Erklärung, die er bei seinem Amtsantritt abgegeben habe. Man fragte ihn, was er denn nun zu tun gedenke, wie er den Schaden wieder korrigieren wolle.

"Ich kann nichts anderes tun, als ich bisher auch getan habe", sagte er. "Mit einem hortbaren Gelde ist es unmöglich, vernünftige Währungspolitik zu machen. Solange wir unser Geld nicht wieder ändern, werden wir immer wieder die gleichen Katastrophen erleben oder noch schlimmere."

"Willst Du denn nicht wenigstens das Preisniveau wieder zurückschrauben auf seinen früheren Stand ?", fragte man ihn.

"Was soll das für einen Sinn haben?", wollte er wissen. "Um soviel Geld aus dem Verkehr zu ziehen, wie dazu nötig ist, müßte ich viele tausend Existenzen vernichten, denn das Geld ist nun einmal in der Wirtschaft angelegt, und es jetzt in einem ohnehin kritischen Moment zurückfordern, hieße: die Schuldner in den Konkurs treiben. Wir müssen sogar, um eine allgemeine Pleite zu verhindern, schon wieder neues Geld ausgeben.

"Noch mehr Geld?" schrien die Potatosier. "Er ist verrückt geworden "

"Jawohl, noch mehr Geld !", wiederholte der Präsident in aller Ruhe." Denn schon hat die Preiskurve ihren höchsten Stand überschritten. Überall beginnen die Preise zu fallen und selbstverständlich sucht nun jeder so schnell wie möglich seine Waren zu verkaufen. Aber niemand will sie haben; denn wer jetzt in den Besitz von Geld kommen kann, der hält es fest und wartet ab, bis alles wieder billiger geworden ist, und er doppelt oder dreimal so viel damit kaufen kann wie heute. Wenn ich jetzt nicht eingreife und nicht die überall in den Kassen und Geldschränken sich ansammelnden Geldbeträge durch neues Geld ersetze, um so den Preissturz zu verhindern, dann werden wir eine Massenarbeitslosigkeit erleben, wie wir sie noch nie gekannt haben. Schon jetzt gehen in den Betrieben keine neuen Bestellungen mehr ein, und man muß Kurzarbeit einführen. Bald wird man Feierschichten einlegen, Arbeiter entlassen und Betriebe schließen. Jeder, der überhaupt noch Arbeit und Einkommen hat, wird seinen Konsum bis auf den allerdringlichsten Augenblicksbedarf einschränken. Die Arbeitslosen können ohnehin nichts kaufen. Unsere ganze Wirtschaft wird zum Erliegen kommen. Das wird die Folge des Versuches sein, die Geldausgabe weiterhin zu drosseln und das Preisniveau wieder zurückzuschrauben."

"Aber sollen wir denn dasselbe noch einmal erleben?" fragten die Potatosier.

"Das steht jetzt nicht zur Debatte", sagte der Präsident. "Dieses Unglück ist nun einmal geschehen. Man kann einem Menschen, der überfahren worden ist, doch nicht dadurch helfen, daß man mit dem gleichen Wagen nochmal rückwärts über ihn hinwegfährt. Die Folgen einer Deflationskrise sind noch weit schwerer, als die einer Inflation. Und selbst wenn wir uns entschlössen, sie auf uns zu nehmen, würden wir damit die nächste Inflation gar nicht verhindern können. Solange wir ein Geld haben, das beliebig zurückgehalten werden kann, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder den ewigen Wechsel zwischen Inflation und Deflation, zwischen Hochkonjunktur und Krise oder den gleichbleibenden Preisstand, unterbrochen von gelegentlichen Katastrophenhaussen, wie wir soeben eine erlebt haben, also
zeichnete er mit dem Finger in die Luft. Die zweite Art ist nur das kleinere Übel".

"Auf diese Weise könnten unsere Preise und die Zahlen auf unseren Geldnoten im Laufe der Zeit wohl bis in den Himmel steigen", meinte ein Potatosier.

"Gewiß, bis in den Himmel", bestätigte der Präsident trocken, "bis in die Trillionen und Quadrillionen. Wenn Euch das zu unheimlich werden sollte, dann könnt Ihr ja von Zeit zu Zeit einige Nullen hinten abstreichen."

"Welch ein skrupelloser Cyniker !", entrüstete sich der Vorsitzende des Schutzverbandes der Haus- und Fabrikbesitzer. "Aber wir haben nicht die Absicht, noch länger Schindluder mit uns treiben zu lassen. Was gedenkst Du also zu tun?"

"Wenn Euch das kleinere Übel auch noch zu groß ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als unser Geld wieder so zu gestalten, daß es von niemanden ohne Nachteil zückgehalten werden kann", antwortete der Präsident ruhig.

"Das haben wir doch gehabt", entgegnete der Vorsitzende des H. u. F.-Verbandes.

"Jawohl, das haben wir gehabt. Aber wir haben den Fehler gemacht, auch unsere Bankguthaben dem allmählichen Schwinden zu unterwerfen. Damit haben wir alle Vorzüge eines zwangsweise umlaufenden Geldes wieder wettgemacht."

"Aber mit unseren Guthaben können wir doch auch bezahlen, indem wir sie überweisen oder Schecks darauf ziehen, also sind sie auch Geld - Giralgeld - und können nicht anders behandelt werden, als anderes Geld; das steht nun einmal wissenschaftlich fest", mischte sich hier der Fremde ein.

"Nichts steht fest, als die Tatsache, daß seit den Experimenten mit dem verdammten Giralgeld auf Potatos alles drunter und drüber geht", erwiderte der Präsident. "Hier steckt die Wurzel des Übels, und wir kommen nicht wieder zur Ruhe, solange wir der Klärung dieser Frage ausweichen."

"Mein Gott, nun fängt dieser doktrinäre Fanatiker mit seiner Haarspalterei wieder an", jammerte der Vorsitzende des H. u. F.-Verbandes. "Höre, lieber Freund, wenn Du uns sonst nichts mehr zu sagen hast, dann verlange nicht, daß wir Dir noch weiter zuhören."

"Weiter habe ich nichts mehr zu sagen", sagte der Präsident mit großem Ernst. "Niemals werde ich eine Politik der Restriktion betreiben. Wenn Ihr das Volk in das Elend einer Deflationskrise stürzen wollt, dann tut es bitte ohne mich. Ich lege mein Amt hiermit nieder. "

"Gott sei Dank, daß wir diesen verbohrten Querkopf endlich los sind." Mit diesen Worten wandte sich der Vorsitzende des H. und F.-Verbandes an den Fremden und fragte ihn, ob er wohl bereit sein würde, die Leitung der Notenbank zu übernehmen.

Der Fremde bedachte sich nicht lange. Endlich schien Potatos reif zu sein für ein modernes und wohlorganisiertes Geldwesen, wie es sich für ein zivilisiertes Kulturvolk gehört. "Wenn ich dem Wohle des potatosischen Volkes damit dienen kann, gewiß, gerne", sagte er. Der H. u. F.-Verband entfaltete in seiner Presse eine unauffällige aber wirksame Propaganda für die Kandidatur des Fremden, und so kam es, daß er in der nächsten Parlamentssitzung mit großer Stimmenmehrheit zum Präsidenten der Notenbank von Potatos gewählt wurde.

Der Fremde war in seinem Element. Nun hatte er das ganze Wirtschaftsleben der Insel in der Hand und konnte es steuern, wie er wollte. Er würde jetzt den Potatosiern einmal zeigen, wie man eine verfahrene Situation rettet und eine verpfuschte Währung in Ordnung bringt ohne solche Albernheiten, wie sein Vorgänger verlangte. Mit eiserner Strenge werde er jede neue Inflationsgefahr beseitigen. Nicht um einen Penny würde er den Notenumlauf mehr ausweiten, und wenn ganz Potatos arbeitslos wurde. Es war genug Geld im Umlauf.

Wenn die dummen Potatosier es einsperrten, anstatt Geschäfte damit zu machen, was konnte er dazu? Mochten sie doch sehen, wie sie es aus seinen Schlupfwinkeln wieder hervorholten. Zinsen sollten sie den Sparern bieten - wie sich das gehört - dann würden sie das gehortete Geld schon wieder herausrücken. Außerdem - was brauchten sie Geld? Sie konnten ja durch Überweisungen bezahlen, bargeldlos.

Aber sonderbar: mit dem baren Gelde waren auch die Bankguthaben wieder verschwunden. In dieser Zeit der allgemeinen Unsicherheit war es doch besser, sein Geld im Hause zu haben als auf der Bank. Es war doch schon vorgekommen, daß Banken ihre Schalter schließen mußten, weil sie nicht über genügend Bargeld verfügten, um die angeforderten Auszahlungen zu leisten. Das hatte die Leute dann erst recht mißtrauisch gemacht und sie veranlaßt, ihre ganzen Konten abzuheben. Wo aber keine Konten mehr bestanden, konnte man auch keine Überweisungen mehr machen.

Verzweifelte Unternehmer kamen zu den Banken und baten, ihnen doch einen Buchkredit einzuräumen. Sie wollten ja gar kein Geld, nur eine Gutschrift, über die sie dann bargeldlos verfügen könnten. Das konnte doch keine Schwierigkeiten bereiten. Auf diese Weise konnte doch wenigstens der Giralgeldumlauf wieder in Gang kommen und der notleidenden Wirtschaft geholfen werden.

Doch die Bankiers schüttelten die Köpfe. "Ihr seid Schlauberger", sagten sie zu den Unternehmern. "Wenn nun die Leute, denen ihr ein geliehenes Guthaben überweist, kommen und ihr Geld haben wollen, aber nichts da ist, was dann?"

"Das darf nicht sein", meinten die Unternehmer, "abheben dürfen sie es nicht." Sie müssen es auch wieder auf dem Konto stehen lassen."

"So? Und Ihr meint, damit sei den Leuten geholfen, daß sie sich bis in alle Ewigkeit an den Zahlen im Bankausweis ergötzen können? So einfach ist das denn doch nicht. Wenn wir so einfach Kredit aus dem Nichts schöpfen könnten, das wäre wohl schön, da gäbe es überhaupt keine Probleme mehr. Nein, da ist nichts zu machen. Seitdem das Bargeld nicht mehr umläuft, ist es auch mit dem "Giralgeld" Essig."

Die Krise nahm ihren Fortgang. Der Konsum verringerte sich mehr und mehr. Betriebe schlossen ihre Tore und gingen in den Konkurs. Sie wurden dann meist für einen schandbar geringen Preis von denen aufgekauft, die noch im rechten Moment ihre Warenbestände abgestoßen hatten und nun über reichliche Geldmittel verfügten. Die Zahl der Arbeitslosen stieg höher und höher. Schließlich war mehr als ein Drittel aller arbeitsfähigen Männer auf Potatos arbeitslos.

Die Lage der Arbeitslosen war verzweifelt. Nach und nach hatten sie ihre Ersparnisse aufgezehrt und alles verkauft, was sie nur irgendwie entbehren konnten. Nun grinste sie das grausame Gespenst des Hungers an.

Sie, die früher gewohnt waren, daß man sie und ihre Arbeit suchte, daß man ihnen verlockende Angebote machte, gingen nun von einer Werkstatt zur anderen und flehten, ihnen doch Arbeit zu geben, damit sie nicht Hungers sterben müßten.

"Womit sollen wir Euch denn beschäftigen?" fragten die Unternehmer. "Wir haben ja kaum für die wenigen Leute zu tun, die wir noch haben. Es kauft auch niemand etwas, außer den Wenigen, die noch Arbeit haben und denen, die durch die Inflation reich geworden sind. Aber auch sie kaufen nur das Allernotwendigste; denn sie werden jetzt durch den Preissturz ja noch reicher, wenn sie das Geld festhalten. Es ist schon ein Jammer. Aber wir können doch keine Waren anfertigen lassen, für die wir keinen Absatz haben."

"Aber wenn man uns Arbeit und Lohn gäbe, dann könnten wir doch auch wieder kaufen und dann wäre doch wieder Absatz da", meinten die Arbeitslosen.

"Das ist schon richtig", gaben die Unternehmer zu, "aber dazu müßte doch erst mal das Geld da sein, sonst können wie Euch doch gar keinen Lohn auszahlen. Und ohne den könnt Ihr doch auch nichts kaufen."

Dann laßt uns doch arbeiten, anstelle der anderen, die noch nicht arbeitslos gewesen sind", baten die Arbeitslosen. Es müssen doch nicht immer dieselben sein. Wir sind auch viel bescheidener als sie. Wir arbeiten um jeden Lohn, wenn wir nur nicht hungern müssen."

Da horchten die Unternehmer auf. "Hört", sagten sie zu ihren Arbeitern, "die Geschäfte gehen schlecht und die Preise sind allgemein gefallen. Da muß jeder sehen, wie er zurechtkommt. Wir können weit billigere Arbeitskräfte bekommenen als Ihr seid. Entweder gebt Ihr Euch mit dem gleichen Lohn zufrieden, den die Arbeitslosen verlangen, oder wir werden sie an Eurer statt einstellen. Wir sind ja schließlich Geschäftsleute und kein Wohltätigkeitsverein."

"Diese Schweinehunde, diese Lohndrücker !" fluchten die Arbeiter, "Haben diese Lumpen denn gar kein Gefühl für Solidarität?" Aber was sollten sie machen? Wenn sie nicht selbst hinausgestoßen werden wollten in die Armee der Hoffnungslosen, dann blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich den Wünschen der Unternehmer zu fügen.

Die Abwärtsbewegung der Preise war inzwischen zum Stillstand gekommen. Infolge von Ausverkäufen, Betriebseinschränkungen und Stillegungen hatte sich das Warenangebot sehr schnell dem verringerten Geldumlauf angepaßt. Aber die Arbeitslöhne sanken immer noch tiefer und tiefer, weil jeder Arbeitslose Arbeit suchte um jeden Preis, wollte er nicht mit Weib und Kind zugrunde gehen.

Da griff der eine und der andere von denen, die das Geld eingesperrt hatten, zum Rechenstift und fing an, zu kalkulieren. Dieser und jeder Artikel brachte heute so und soviel ein. Wenn man die Arbeitslöhne, die Rohstoffkosten, Mieten, Werkzeuge, Bürounkosten und alles, was sonst noch zu seiner Herstellung nötig war, addierte und noch einen angemessenen Betrag für die eigene Arbeit dazu, dann blieb immer noch ein hübscher Prozentsatz als Reingewinn übrig. Für diesen Gewinn brauchte man nichts zu tun, als nur das Geld aus dem Schrank zu holen und in's Geschäft zu stecken. Er war kein Entgelt für irgendeine eigene Leistung, sondern gewissermaßen der Lohn für die Arbeit des Geldes. Wenn aber das Geld seinen mühelosen Gewinn abwarf, sobald man es wieder in den Verkehr brachte, warum sollte man es länger einsperren?

Und so kam das Geld wieder ins Rollen. Der eine füllte sein Warenlager auf, der andere richtete ein Ladengeschäft ein, der Dritte baute eine Werkstatt, der Vierte ein Haus und alle kauften Material, Werkzeuge, Maschinen, beschäftigten Arbeiter und Angestellte.

Wer aber zu bequem oder unbegabt war, um mit seinem Gelde selbst etwas anzufangen, der sagte zu seinen Freunden oder Neffen: "Hört, Ihr sagtet doch, daß ihr Kredit nötig hättet. Ihr könnt ihn bekommen. Euer Geschäft wirft so und soviel Prozent Reingewinn ab. Ich weiß es. Wenn Ihr mir meinen Anteil gebt für das Geld, das ich Euch leihe, dann könnt Ihr den Kredit haben." Die Freunde und Neffen waren froh, daß sie aus den Zahlungsschwierigkeiten herauskamen und gingen gern auf die Bedingung ein, jährlich 5 oder 6 Prozent des geliehenen Betrages als Zins zu zahlen.

Das können wir auch, sagten die Bankiers und versprachen jedem, der ihnen sein erspartes Geld brächte, 3-5 Prozent jährlich. 3 Prozent bei täglicher, 4 Prozent bei monatlicher und 5 Prozent bei jährlicher Kündigung. So sammelte sich vor allem das Geld der kleinen Leute in den Banken. Und die Banken verliehen es weiter an die Bauunternehmer, Großhändler und Fabrikanten zu 5 Prozent für täglich, 6 Prozent für monatlich und 7 Prozent für jährlich kündbares Geld.

Ein jeder aber, der Geld geliehen haben wollte, mußte nachweisen, daß das Geschäft, in dem er es anlegen wollte, auch 5, 6 oder 7 Prozent Reingewinn abwarf. Und so geschah nichts mehr auf Potatos, was nicht rentabel war. Keine Arbeit wurde mehr ausgeführt, kein Warenlager und keine Maschine gekauft, kein Haus und keine Fabrik gebaut, die nicht den Zins abwarf, den das dafür aufgewendete Geld beanspruchte.

Doch es wurde wenigstens wieder gearbeitet, und alle waren zufrieden, vor allem natürlich die Besitzer größerer Vermögen, die nun auf einmal ein Einkommen hatten, für das sie keine Hand zu rühren brauchten. Den Arbeitern ging es allerdings weniger gut, denn der Zinssegen regnete schließlich nicht vom Himmel herab. Er mußte vom Ertrag der Arbeit von vornherein abgezogen werden. Das spürten die Arbeiter sehr wohl an ihrem Lohn.

Es wäre keinem mehr möglich gewesen, von seinem Arbeitsverdienst soviel zu sparen, daß er im Alter davon hätte leben können. Doch trösteten sie sich mit dem Gedanken, daß sie nun für ihre Ersparnisse ja auch Zinsen bekämen. Also würden sie schon leben können, wenn das ersparte Vermögen auch kleiner war.

Einige Jahre waren vergangen. Auf Potatos hatte man sich daran gewöhnt, daß das Geld nicht mehr aus eigenem Antrieb umlief, sondern daß es nur durch den Zins in Umlauf gehalten werden konnte. Die Folgen der Krise waren überwunden. Fast alle Potatosier hatten wieder Arbeit gefunden. Die Läger, Läden und Märkte hatten sich wieder mit Waren gefüllt. Häuser und Wohnsiedlungen schossen wie Pilze aus der Erde. Auf Potatos war der Wohlstand wieder zurückgekehrt. Auch die Arbeitslöhne begannen wieder zu steigen. Tüchtige Handwerker waren gesucht und konnten auch wieder Forderungen stellen. Denn jetzt gab es keine Arbeitslosigkeit mehr, mit der man sie hätte schrecken können.

Doch die Unternehmer machten besorgte Gesichter. Wenn das so weiterging, dann konnte ein neuer Krach doch nicht ausbleiben. Die zunehmende Konkurrenz machte sich bemerkbar. Immer schärfer mußte man rechnen. Zwar waren die Preise im allgemeinen auf ihrer alten Höhe stehengeblieben, denn der neue Notenbankpräsident war, nachdem der Zins erst einmal wirksam geworden war und die Ersparnisse aus ihren Verstecken herausgelockt hatte, streng darauf bedacht, den Markt immer mit genügenden Geldmitteln zu versorgen. Sowie der Preisindex die Tendenz zeigte, sich zu senken, setzte er neues Geld in Umlauf und hielt dadurch das Preisniveau auf der gleichen Höhe.

Was den Unternehmern Sorge machte, waren vielmehr die Löhne. Wenn die Löhne weiter und weiter stiegen, wie sollten sie dann noch zurechtkommen? Die Arbeiter meinten zwar, das sei doch gut. Je höher ihre Löhne stiegen, um so mehr könnten sie kaufen und um so besser müsse es der ganzen Wirtschaft gehen. Diese Auffasung war zweifellos einmal richtig gewesen in der Zeit, als das Geld noch zwangsweise umlief und Ersparnisse bedingungslos angelegt wurden. Jetzt, nachdem die Anlage der Ersparnisse vom Zins abhängig war, hatte die Sache jedoch einen Haken. Denn aus den Betrieben mußte vor allem der Zins herausgewirtschaftet werden. Sie mußten rentabel bleiben. Wurde durch die steigenden Löhne die Rentabilität in Frage gestellt, dann zog sich das Geld aus den Betrieben zurück. Sie wurden kreditunfähig, und dann mußten sie schließen und konnten überhaupt keine Löhne mehr zahlen.

Die Unternehmen trugen schwer an der Last der Verbindlichkeiten, die sie vor Jahren während der Wirtschaftskrise zu verhältnismäßig hohen Zinssätzen eingegangen waren. Inzwischen war der Zinsfuß infolge des ständig reichlicher werdenden Angebots an Ersparnissen stetig gefallen. Heute zahlten die Banken nur noch 1 Prozent für täglich, 2 1/2 Prozent für monatlich und 4 Prozent für jährlich kündbares Geld. Die Zinssätze für direkte Anleihen waren nicht viel höher. Unter diesen Umständen beeilte sich niemand allzusehr, sein Geld zur Bank zu bringen. Es trug auch niemand allzugroßes Verlangen, es in Geschäften anzulegen, zumal man ja damit rechnen mußte, daß die Gewinnspanne, die sogenannte Rendite der Betriebe noch mehr zurückging. Außerdem konnte man nicht wissen, was kommen würde. Es war also auf alle Fälle besser, einen Notfonds in barem Gelde jederzeit zur Verfügung zu haben.

Auf diese Weise verzögerte sich der Geldumlauf mehr und mehr. Er wurde von Tag zu Tag schleppender. Die Notenbank tat ihr Mögliches, die nachlassende Umlaufgeschwindigkeit des Geldes durch Vergrößerung der umlaufenden Geldmenge auszugleichen. Aber sie merkte sehr wohl, daß etwas nicht in Ordnung war. Täglich wurde die Menge der ausgegebenen Noten größer und trotzdem zeigte der Preisindex ständig die Neigung zu sinken. Es war kein Zweifel: Man steuerte der gleichen Katastrophe zu, wie vor Jahren.

Da berief der neue Notenbank-Präsident eine Konferenz der Parlamentarier, der Wirtschaftsführer und der Arbeiterführer ein und erklärte, das Preisniveau sei nicht mehr zu halten. Viel zu viel Geld sei schon ausgegeben worden. Es bedrohe die Wirtschaft mit der akuten Gefahr einer neuen Inflation. Es habe sich in alle möglichen Winkel verkrochen und komme nicht heraus, weil die Rendite der Wirtschaft nicht mehr genüge, um es herauszulocken.

"Jawohl", sagte der Vorsitzende des "Schutzverbandes der Haus- und Fabrikbesitzer", "es ist viel zu viel gebaut, gearbeitet und investiert worden. Direkt unvernünftig ist mit dem Volksvermögen gewirtschaftet worden. Jetzt stehen wir da und wissen nicht mehr weiter. Vieles von dem, was in den letzten Jahren angelegt worden ist, erweist sich jetzt als Fehlinvestition. Wir brauchen dringend eine Reinigungskrise, in der alle die unzulänglichen Elemente, die in die Wirtschaft eingedrungen sind, wieder ausgeschieden werden, eine Gesundungskrise, durch welche die Rentabilität der Wirtschaft wiederhergestellt wird. Und dann müssen die einzelnen Erwerbszweige gegen unlautere Konkurrenz geschützt werden. Es geht doch nicht an, daß jeder, der will, einfach einen Betrieb aufmachen und den anderen das Geschäft verderben kann. Die Gewerbefreiheit in allen Ehren, aber es muß doch eine gewisse Auslese getroffen werden, damit jeder Beruf seinen Standard wahrt und von unerwünschten Elementen frei bleibt.

Den Arbeitervertretern klang diese Rede reichlich verdächtig. Doch verstanden sie von dem, was der Notenbank-Präsident gesagt hatte, nicht mehr, als daß eine neue Inflation drohe. Die mußte natürlich verhindert werden. Darum schimpften sie lediglich auf die unersättliche Profitgier der Haus- und Fabrikbesitzer. Im übrigen aber trauten sie der großen Sachkenntnis des Präsidenten schon zu, daß er die Sache wieder in Ordnung bringen würde.

So erhielt der Fremde völlige Handlungsfreiheit, von der er unverzüglich Gebrauch machte. Er gab nicht ein einziges Pfund neues Geld mehr heraus, sondern schlug sowohl dem Staate und den Gemeinden, wie auch den Privatbanken alle weiteren Kredite ab. Sofort setzte der allgemeine Preissturz ein. Der Kurs der Wertpapiere fiel rapide. An der Börse entstand eine Panik. Jeder versuchte sein Geld zu retten und verkaufte Waren, Papiere und Geschäftsanteile um jeden Preis. Das Geld verschwand wieder in den Schlupfwinkeln. Dadurch wurde die Schwere der Katastrophe natürlich noch vervielfältigt. Im Nu war die Produktion wieder auf den zur Aufrechterhaltung des nackten Daseins nötigen Umfang geschrumpft. Die Betriebe legten Feierschichten ein, gingen zur Kurzarbeit über, entließen Arbeitskräfte oder schlossen ihre Tore ganz. Schnell war die Zahl der Arbeitslosen auf Potatos wieder auf einige Millionen angestiegen.

Aber die Arbeiter waren diesesmal nicht mehr so friedlich wie bei der ersten Krise.

Sie hatten sich zu einem Schutzverband der Arbeitnehmer zusammengeschlossen. Dieser Schutzverband wachte eifrig darüber, daß sich niemand mit geringerem Lohn zufriedengab. Dadurch wurde natürlich eine erneute Steigerung der Rentabilität der Betriebe und die Rückkehr des gehorteten Geldes in die Wirtschaft verhindert.

Doch das sahen die Arbeitervertreter nicht, sondern sie schimpften nur unentwegt über die maßlose Habgier der Unternehmer, die ihnen das Werkzeug aus der Hand geschlagen habe und ihnen sogar das Recht auf Arbeit vorenthalte. Die Arbeitslosen rotteten sich zusammen, veranstalteten Umzüge, warfen Steine in die Fenster der Reichen, brachen die stillgelegten Fabriken auf und setzten die Maschinen wieder in Gang.

Doch wenn sie dann einige Tage gearbeitet hatten und niemand ihnen ihre Erzeugnisse abkaufte und niemand ihnen ihren Lohn auszahlte, ließen sie die Arbeit wieder liegen und gingen fluchend auf die Straße.

Allmählich bekamen die Haus- und Fabrikbesitzer es mit der Angst zu tun. Der Vorsitzende ihres Schutzverbandes machte sich auf den Weg zu dem Notenbankpräsidenten und hatte eine lange Unterredung unter vier Augen mit ihm.

"So geht es nicht weiter", sagte er. "Das Volk wird unruhig. Es hungert. Es friert. Es hat keine ganzen Kleider, keine Wäsche, keine Schuhe mehr. Es haust in elenden Löchern. Es hat kein Geld für die Erziehung der Kinder, für Unterhaltung, Erholung und Fortbildung. Es will nicht einsehen, warum es nicht arbeiten darf, um alles das zu schaffen, was ihm fehlt. Was ist da zu tun? Wir können einem darbenden Volke doch nicht einreden, daß die Arbeit ausgegangen wäre, weil von allem zu viel da sei. Was macht man denn in Deiner Heimat in solchen Fällen?"

"Bei uns macht man ein staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm. Man schachtet Kanäle aus, begradigt Flußläufe, legt Talsperren an, baut Autobahnen, Krankenhäuser, Konzerthallen, Hebewerke. Man kann auch Berge abtragen und sie an anderer Stelle wieder aufschütten. Das sind alles Dinge, die eigentlich nicht nötig sind, denn sonst wären sie ja in guten Zeiten bestimmt gemacht worden. Aber auf diese Weise werden wenigstens die Leute beschäftigt und vor dummen Gedanken bewahrt."

"Ganz schön! Aber wie sollen diese Arbeiten denn finanziert werden? Wenn für notwendige Dinge kein Geld da ist, dann wird für solche überflüssigen doch erst recht keins da sein."

"Sage das nicht! Denn sieh einmal - unter uns können wir ja ganz offen reden - Im Grunde genommen kommen die Absatzstörungen doch daher, daß die Arbeiter, die um den ganzen Zinsbetrag weniger verdienen, als sie schaffen, nicht in der Lage sind, ihre eigenen Produkte zu kaufen. Die Bezieher des Zinses aber denken zum überwiegenden Teile gar nicht daran, ihn zu verbrauchen, sondern sie schlagen Zins und Zinseszins immer wieder zum Vermögen und suchen wiederum zinsbringende Anlage dafür.

Das kann natürlich nicht in alle Ewigkeit so fortgehen. Denn indem sie für das durch Zins und Zinseszins ständig wachsende Vermögen immer wieder Häuser bauen, Geschäfte einrichten und Werkstätten anlegen, schaffen sie sich doch ständig neue Konkurrenz. Sie drücken die Rendite der Sachgüter ständig herunter, bis die Zinsgrenze unterschritten ist. Dann wird das Geld nicht mehr angelegt und die Absatzkrise ist unvermeidlich. Wie wir es ja erlebt haben."

"Das ist mir alles ganz klar. Aber was kann daran denn nun Dein Arbeitsbeschaffungsprogramm ändern?"

"Viel! Wenn man die Sparer veranlassen könnte, ihr Geld in Anlagen hineinzustecken, die für die bestehenden Produktionsmittel keine Konkurrenz bedeuten, dann ging's doch wieder weiter, dann wäre doch wieder Arbeit da."

"Ausgezeichnet! Und wie macht man das?"

"Ganz einfach: Man schreibt eine Arbeitsbeschaffungsanleihe aus."

"So einfach scheint mir das gar nicht. Die Anleihe müßte doch auch vezinst werden, sonst rücken die Menschen ihr Geld doch ebensowenig dafür heraus wie für die private Wirtschaft."

"Selbstverständlich muß die Anleihe verzinst werden."

"Aber wovon denn? Das Buddeln von Kanälen und das Versetzen von Bergen bringt doch nichts ein."

"Allerdings nicht. Diese Anleihen sind eben Staatsanleihen. Die Zinsen dafür werden durch Steuern aufgebracht. Da es sich um gemeinnützige Arbeiten handelt, kann man natürlich auch den Zinsendienst und die Tilgung der Allgemeinheit auferlegen. Sie hat ja schließlich auch den Nutzen davon."

"Einen sehr fragwürdigen Nutzen! Auf diese Weise würde die Arbeit tatsächlich zum Selbstzweck. Die Leute müßten arbeiten, nur um zu arbeiten, und sie müßten obendrein noch selbst dafür zahlen."

"Aber auf diese Weise blieb das Geld im Umlauf, das Volk an der Arbeit, und das Land wäre gegen die Gefahr einer Revolution geschützt. Ist das etwa kein Nutzen? Das kann man sich doch schon etwas kosten lassen."

"Hm -", machte der H. u. F.-Vorsitzende, "die Sache kommt mir doch zu widersinnig vor. Und außerdem scheint mir der Erfolg für die Dauer nicht einmal sicher. Weißt Du nichts Besseres?"

Da rückte der Fremde ganz nahe an den Potatosier heran und flüsterte:

"Das Beste wäre natürlich ein Krieg."

"Ein Krieg?" fragte der andere erschrocken. "Ein Krieg? Wieso denn ein Krieg?"

"Na, überleg doch mal, wieviel sinnlose Arbeit für einen Krieg geleistet werden kann. Zunächst die Waffen, die Uniformen, die Kasernen, die Aushebungsbehörden, die Verteidigungsanlagen, die Flugzeuge, die Schiffe, die Luftschutzanlagen, die Luft- und Seehäfen, die Mannschaftsausbildung usw. Was ist dazu alles erforderlich! Die ganze Wirtschaft wird befruchtet: Die Zechen, die Hütten, die Walzwerke, die Maschinenfabriken, die Werften, die Fahrzeugwerke, die Tuchfabriken, das Baugewerbe, das Handwerk, die Ärzte, alle bekommen Arbeit. Und das ist keine Arbeit, mit der sie sich gegenseitig tot konkurrieren. Denn der Staat vergibt die Aufträge. Er setzt auch die Preise fest, gute Preise, bei denen alle leben können und die Rentabilität der Betriebe gewahrt bleibt. Die Kriegsrüstung ist ja an keine Wirtschaftlichkeit gebunden. Was sie kostet, muß eben durch Steuern aufgebracht werden."

"Aber das kann doch nicht in alle Ewigkeit so weitergehen," wendete der Vorsitzende ein. "Auch die Rüstung wird einmal fertig sein."

"Dann muß es eben wirklich einen Krieg geben, in dem alles wieder vernichtet wird. Und dann fängt es wieder von vorn an, in verstärkter Form, mit neuen Waffen, neuen Methoden und wirksameren Mitteln. Der Krieg ist die einzige Möglichkeit, der menschlichen Arbeit ein unerschöpfliches Betätigungsfeld von nie versiegender Rentabilität zu verschaffen. Denke doch nur, was außer den Waffen und Kriegsgeräten in solch einem Kriege alles zerstört wird und nachher wieder aufgebaut werden muß: Wohnhäuser, Schulen, Kirchen, Fabriken, Brücken, Bahnhöfe, Geschäftshäuser, Bürohäuser, Gasthöfe, Schiffe, Häfen und was weiß ich. In dem letzten großen Kriege, in dem mein Schiff von einem feindlichen Unterseeboot versenkt wurde, haben wir einen ganzen Erdteil von der zwanzigfachen Größe Eurer Insel durch Bombenabwurf aus Flugzeugen dem Erdboden gleich gemacht. Das hat Luft gegeben. Um das alles wieder aufzubauen, können meine Landsleute viele Jahrzehnte arbeiten, ohne jemals mit der Zinsgrenze in Konflikt zu geraten."

Der Vorsitzende des H. -und F. Verbandes hatte sich von seinem Stuhl erhoben und starrte seinen Gesprächspartner aus einigen Metern Entfernung entgeistert an. "Entsetzlich!" rief er schließlich. "Ist das die Konsequenz Deiner Zinswirtschaft?"

"Allerdings!" erwiderte der Präsident. "Solange Euch der Krieg als Sicherheitsventil fehlt, werdet Ihr mit unausweichlicher Notwendigkeit in den Bürgerkrieg hineinsteuern."

"Das darf nicht sein!" rief der Vorsitzende. "Aber mit wem sollen wir denn Krieg führen? Wir können doch unsere Insel nicht in verschiedene Nationen aufteilen, nur, um einen Grund zu haben, zu rüsten, und uns gegenseitig abzumurksen."

"Dann bin ich auch am Ende meines Lateins", bemerkte der Fremde kleinlaut.

"Ich will Dir etwas sagen", nahm der Vorsitzende seine Rede wieder auf: "Wir Haus- und Fabrikbesitzer sind nüchterne Geschäftsleute. Wir nehmen unseren Vorteil wahr, so gut es immer geht. Und wenn wir einen Gewinn einstreichen können, ohne uns allzusehr dafür anstrengen zu müssen, so nehmen wir auch diese Gelegenheit gern wahr. Anders kann man sich im Geschäftsleben nicht verhalten, wenn man nicht unter die Räder kommen will! Aber wir sind darum noch keine blutdürstigen Ungeheuer. Wir sind gottesfürchtige Leute und haben manches für die Armen und für die öffentliche Wohlfahrt getan. Wenn Dein Kurs uns in solche Konflikte bringt, wie Du sie eben angedeutet hast, dann machen wir ihn nicht mehr mit.

Ich schlage Dir vor, jetzt zu Deinem Vorgänger, unserem alten Notenbankpräsidenten zu gehen und ihn um Rat zu fragen. Ich habe das Gefühl, daß wir ihm Unrecht getan haben. Vielleicht war er mit seiner Haarspalterei doch auf dem richtigeren Wege."

Der alte Präsident empfing seine Besucher mit liebenswürdiger Höflichkeit und nahm von ihren Sorgen mit verständnisvollem Schmunzeln Kenntnis.

"Genau so habe ich es kommen sehen", sagte er, als sein Nachfolger seinen Vortrag beendet hatte.

"Wirklich?" zweifelte der H. u. F.-Vorsitzende. "Aber so rate uns doch, was wir jetzt tun können, um aus dem Hexensabbat wieder herauszukommen."

"Ich kann nichts anderes raten, als ich vor Jahren schon gesagt habe", entgegnete der Expräsident. "Ihr müßt das Tauschmittel wieder so einrichten, daß es von niemandem ohne Schaden aufgespeichert werden kann. Dann wird jeder wieder seine Ersparnisse ohne die Bedingung eines Sondervorteils in der Wirtschaft anlegen müssen. Der Kreislauf des Geldes ist wieder geschlossen. Niemand kann die Währungspolitik der Notenbank durch Zurückhalten oder Hinauswerfen von Geld durchkreuzen. Sie kann durch die Regulierung der Geldmenge den Preisstand stabil halten. Es gibt keine Absatzstörung mehr. Der Zins verschwindet, die Löhne steigen wieder bis zum vollen Ertrag der Arbeit und alles, was erzeugt wird, kann auch gekauft werden. Das ist das ganze Geheimnis."

"Sollen wir denn tatsächlich zu unserem alten, schwerfälligen Kartoffelgeld zurückkehren?", fragte der Vorsitzende verzweifelt. "Das wäre doch ohne Zweifel ein beschämender Rückschritt."

"Nein, wir brauchen es nicht", verkündete der Expräsident mit feinem Lächeln. "Ich habe ja jahrelang Zeit gehabt, über die Sache nachzudenken und - die Lösung gefunden. Ich habe mir allerdings vorgenommen, sie nicht eher bekanntzugeben, als bis Ihr von selbst zu mir kämet. Denn sonst würdet Ihr mich ausgelacht und einen alten Narren genannt haben."

"Spanne uns doch nicht auf die Folter!" rief der Vorsitzende ungeduldig.

"Also, paßt auf: Hier ist eine schöne, frische, runde und pralle Kartoffel -, und hier ist eine nicht weniger schöne, neue, bunte Banknote. Wenn ich beide ein Jahr lang liegen lasse - und sei es im schönsten, trockenen und absolut dunklen Raume - dann ist die Kartoffel auf einen Teil ihres Gewichtes zusammengeschrumpft. Die Banknote aber ist noch da, so wie ich sie soeben hingelegt habe.

So wie die Kartoffel aber sind die meisten unserer Waren beschaffen. Sie müssen angeboten werden, wenn man nicht daran verlieren will. Das Notengeld braucht es nicht. Es ist also der Ware überlegen. Darum tauscht es die Ware nur unter einer sehr bedenklichen Bedingung aus, nämlich der des Zinses.

Ich kann aber die Banknote genau so den Waren gleichstellen, wie die Kartoffel ihnen ebenbürtig war."

"Wie denn das?" riefen beide Zuhörer, wie aus einem Munde.

"Nun, ich brauche doch nur zu verordnen, daß die Zahlkraft jeder Banknote ständig etwas abnimmt. Um die Hälfte im Jahr, wie es bei den Kartoffeln war, ist nicht gerade nötig. Ich denke 6 bis 12 Prozent im Jahr genügen vollauf. Nehmen wir der Einfachheit halber mal ein Prozent im Monat. Dann gilt der 1-Pfund-Schein, der im Dezember neu ausgegeben wird, im Januar 99, im Februar 98, im März 97 Penny und so fort, im nächsten Dezember schließlich noch 88 Penny. Dann wird er unter Hinzuzahlung von 12 Penny gegen einen neuen 1-Pfund-Schein eingetauscht. So wie mit dem 1-Pfund-Schein ist es nun mit allen Banknoten."

"Und wie geschieht das Hinzuzahlen in der Praxis?" wollte der Notenbank-Präsident wissen.

"Man kann es in sehr sinnfälliger Weise so machen, daß man jede Note durch Aufkleben einer Kleingeldmarke immer wieder auf ihren vollen Nennwert ergänzt. Das macht die Sache sehr schön deutlich. Aber in der Praxis wird man's vielleicht noch einfacher machen. Man kann den aufzuklebenden Betrag ja auch einfach danebenlegen. Dann ändert sich an der äußeren Form des Geldes überhaupt nichts. Da die Zahlkraft aller Geldscheine und Münzen stets um den gleichen Betrag abnimmt, braucht man sich beim Bezahlen um das einzelne Stück überhaupt nicht zu kümmern, sondern rechnet bei jeder zu zahlenden Summe einfach aus, wieviel man dazu zu legen hat. Im Januar 1 Prozent, im Februar 2 Prozent, im März 3, im April 4, im November 11 und im Dezember 12 Prozent. Ein jeder hat dann in seinem Portemonnaie oder in seiner Kasse immer den rechnungsmäßigen Geldbestand, der sich aus seinen Büchern, seinen Kassenzetteln oder seinen Rechnungen ergibt und den Betrag der Geldsteuer, die bis zu dem betreffenden Tage fällig geworden ist. Sie gehört nicht ihm, sondern dem staatlichen Geldinstitut, und wird am Ende des Jahres beim Umtausch des Geldes an die Geldzentrale abgeliefert."

"Das Ganze ist aber doch ein recht umständliches Verfahren", meinte der H. u. F.-Vorsitzende.

"Umständlich?" fragte der Expräsident zurück. "Es ist im Prinzip nichts anderes als das, was wir mit dem Kartoffelgeld bereits hatten. Oder möchtest Du lieber, daß wir die Kartoffeln wieder als Geld einführen?"

"Um Gottes Willen!" wehrte der Vorsitzende ab.

"Aber Du kennst doch eine Zinsstaffel", fuhr der Expräsident fort. "Ist es vielleicht nicht umständlich, wenn man jeden Tag auf jedem Kontoblatt für die sich ständig ändernden Beträge den Zins errechnen muß? Und darf ich Dich daran erinnern, welche törichten Gedanken Ihr heute nachmittag erwogen habt? Arbeit wolltet Ihr beschaffen, sinn- und zwecklose Arbeit. Als ob die Sorge um unser eigenes Wohl nicht Arbeit genug wäre! Sogar einen Krieg wolltet Ihr führen, um mit den Sinnlosigkeiten der Zinswirtschaft fertig zu werden. Ist das vielleicht nicht umständlich? Und das kostet nicht nur ein bißchen Zeit und Rechnen, sondern es kostet Blut. Es zersetzt und spaltet unser Volk und stürzt uns in Elend und Tod."

"Alles zugegeben!" mischte sich jetzt der Notenbank-Präsident ein. "Aber wie verhält es sich nun mit dem Giralgeld?"

"Das Wort "Giralgeld" möchte ich nun nicht mehr hören", sagte der Expräsident mit großem Nachdruck. "Das, was Du "Giralgeld" nennst, besteht nur in der Abtretung von Forderungen auf Geld. Eine Forderung auf Geld aber kann niemals selbst Geld sein. Wenn im Zuge der Übertragungen nicht an irgendeiner Stelle das Geld verlangt und auch tatsächlich ausgezahlt würde, so wäre der ganze Vorgang sinnlos und das ganze Gebäude des bargeldlosen Zahlungsverkehrs würde in sich zusammenstürzen, wie ein Turmbau, unter dem man das Fundament fortsprengt.

Wenn ich die Erfahrungen, die wir in den Jahren seit der Einführung des Überweisungsverkehrs gesammelt haben, einmal kurz zuammenfassen darf, dann können wir wohl Folgendes festhalten:

Durch die Übertragung von Forderungen können Zahlungen geleistet werden.

Die bargeldlos getätigten Umsätze beeinflussen das Preisniveau ebenso wie die mit Bargeld bewerkstelligten.

Jede Veränderung des Anteils der bargeldlosen Zahlungen am Gesamtzahlungsverkehr muß daher durch eine entsprechende Mehr- oder Wenigerausgabe, von Bargeld ausgeglichen werden, wenn der Preisstand stabil gehalten werden soll. Der bargeldlose Zahlungsverkehr nimmt zu, wenn der Bargeldumlauf anwächst, er nimmt ab, wenn der Bargeldumlauf schrumpft.

Die Bargeldzahlung kann den Überweisungs- und Scheckverkehr jederzeit und überall ersetzen. Das Umgekehrte ist nicht möglich.

Daher kann durch die Regulierung des Bargeldumlaufs allein das Preisniveau stabil gehalten werden.

"Stimmt das?" fragte der Expräsident.

"Ich wüßte im Moment nichts dagegen zu sagen", räumte den Präsident ein.

"Schön, fuhr der Expräsident fort, "dann wollen wir weiter festhalten: Der bargeldlose Zahlungsverkehr ist nur auf der Grundage von Guthaben möglich. Guthaben werden nur gebildet, wenn das Guthaben gegenüber dem Besitz von Bargeld einen Vorteil bietet. Das Guthaben muß also dem Bargeld überlegen sein. Beim Dauergeld ist das der Fall durch den Zins, beim Naturgeld durch die Beständigkeit des Guthabens. Es ist also noch niemals so gewesen, daß das Guthaben dem Bargelde gleichgestellt gewesen wäre. Darum ist die Forderung, daß der bargeldlose Verkehr denselben Bedingungen unterworfen sein müsse, wie das Bargeld, völlig unsinnig. Jeder Versuch dazu würde die Guthabenbildung unterbinden und den bargeldlosen Verkehr unmöglich machen.

"Es scheint mir, daß seine Argumente doch nicht reine Haarspalterei sind", murmelte der  H.- u. F.-Vorsitzende.

"Seht, und darum können wir ohne Bedenken und ohne Sorge um den bargeldlosen Zahlungsverkehr an unsere Geldneuordnung herangehen", schloß der Expräsident.

"In welchem Umfange wir auch immer unsere Käufe bargeldlos bezahlen: immer bleibt das gesellschaftliche Tauschmittel, das bare Geld, die Grundlage, und immer können wir durch die Regulierung des Bargeldumlaufs die Wirtschaft steuern, genau so wie der Steuermann mit dem Steuerruder das Schiff auf geraden Kurs halten kann, gleichgültig ob der Wind aus Ost oder aus West bläst. Die Hauptsache ist, daß das Schiff Fahrt behält, das heißt auf unsere Sache übertragen, daß das Geld ununterbrochen umlaufen muß."

Der Fremde dachte angestrengt nach. Sollten seine Fachkollegen in der Heimat, alle die mächtigen und berühmten Bankleute und alle die Koryphäen der nationalökonomischen Wissenschaft denn solche Esel sein, daß sie nicht hinter diese einfachen und logischen Zusammenhänge kommen konnten? Nein, in der Schlußfolgerung des Expräsidenten mußte ein Fehler stecken. Aber wo? Welcher Fehler?

Soviel er auch nachdachte, er kam nicht dahinter. Plötzlich dämmerte ihm eine Erkenntnis. Vielleicht wollten die daheim gar nicht. Was stand denn auf dem Spiele? Milliarden und aber Milliarden an jährlichem Einkommen ohne Mühe und Arbeit. - Und Macht, unerhörte Macht! Dafür opferte man gern das Leben und die Gesundheit von vielen Millionen, den Wohlstand und den Frieden ganzer Völker und - wenn es sein mußte - sogar das Blut der eigenen Söhne. Dafür konnte man sich zur Not auch einen ganzen, wichtigen und großen Zweig der Wissenschaft hörig machen.

Wen aber das menschliche Wissen und Forschen an die Schranken starker Interessen stieß, dem mußte Furchtbares geschehen. Das Schlimmste war vielleicht, daß die Betroffenen es selbst nicht mehr merkten, daß sie garnicht mehr darüber nachdachten sondern bedenken- und skrupellos im allgemeinen Trott mitliefen. War es ihm selbst nicht auch so ergangen? Hätte er jemals geglaubt, daß sein eigenes Wirken nur im Dienste des menschlichen Unglücks und Elends stand?

So sehr er sich gegen diese Einsicht auch sträubte, er kam nicht mehr davon los. Es war so. Es konnte garnicht anders sein. Die furchtbaren Nöte und Schrecken, in denen die Völker seiner Heimat lebten, die nie abreißenden Krisen und Kriege bewiesen es ja. Und wenn der alte Expräsident, dieser klare Kopf und unbestechliche Charakter nicht gewesen wäre, vielleicht hätte er dann das gesunde, tüchtige und harmlose Volk der Potatosier auch noch in diese Hölle gestürzt. Es überlief ihn eiskalt, wenn er sich die möglichen Folgen seines Handelns überlegte. Allein das, was er bisher angerichtet hatte, genügte vollauf, um ihm den Prozeß zu machen, dessen Ende nicht zweifelhaft sein konnte.

Er blickte zu seinen Gesprächspartnern auf, die ihn wortlos betrachtet hatten und wohl ahnen mochten, was in ihm vorging. Dann sagte er:

"Ich glaube, daß ich sehend geworden bin. Wir Bewohner der sogenannten abendländischen Welt leben in dem grauenvollsten Irrtum, der jemals die menschlichen Gehirne überschattet hat. Ich glaubte mich hoch erhaben über euch, als ich hierher kam. Über Euer primitives Kartoffelgeld habe ich gelacht wie über einen schlechten Witz. Doch jetzt sehe ich, daß mehr Weisheit darin steckte, als in allen dicken Büchern und geheimnisvollen Reden unserer Hochschulprofessoren.

Ich habe mich in meiner Unwissenheit schwer versündigt am Wohl und Frieden Eures Volkes. Ich stehe dafür ein. Denn ich habe das Beste gewollt. Meine Schuld heißt: Irrtum. Mein Amt stelle ich selbstredend hiermit zur Verfügung, wenn mein Vorgänger es wieder übernehmen würde, um alles wieder einzurenken, was durch meine unglückseligen Neuerungen aus dem Lot gekommen ist, würde ich darüber sehr beruhigt sein."

"Das ist nicht nötig", erwiderte der Expräsident. "Bleibe ruhig auf Deinem Posten und vollende Dein Werk. Es ist wahr: es ist noch zur rechten Zeit ein großes Unglück verhindert worden. Wahrscheinlich ist es so, daß ohne Irrwege und Gefahren überhaupt kein Fortschritt möglich ist, und ein Fortschritt war der Übergang von unserem schwerfälligen und unbequemen Kartoffelgelde zum sauberen und bequemen Papiergelde ja schließlich auf jeden Fall. Es kommt immer nur darauf an, daß man auf dem Wege des Irrtums nicht beharrt, sondern das als richtig Erkannte dann auch tut.

Ich zweifle nicht daran, daß Du es nun, nachdem Du es weißt, auch tun wirst. Mit meinem Rate will ich Dir gern zur Seite stehen, und ich werde schon wachen und rechtzeitig warnen, wenn neue Fehler gemacht werden sollten. Aber selbst wieder ein Amt zu übernehmen, dazu bin ich allmählich zu alt geworden. Warum sollen wir auch die Unruhe im Volke noch dadurch vergrößern, daß wir es durch einen neuen Personalwechsel erst recht mißtrauisch machen?"

Als die Potatosier hörten, daß ihr Geld wieder geändert werden sollte, dachten sie zunächst: "Aha: wieder solch ein Danaergeschenk des Fremden." Doch als es sich herumsprach, daß der Vorschlag von ihrem alten immer noch hochangesehenen Kartoffelmeister stammte, atmeten sie erleichtert auf. Die Arbeiter erinnerten sich der alten Zeit, in der man zwar in recht beschwerlicher Weise immer mit dem Kartoffelbeutel herumschleppen mußte, in der es aber keine Wirtschaftskrise, keine Arbeitslosigkeit gab, in der jeder soviel verdiente, wie er schaffte, sodaß jeder, der fleißig und ordentlich war, ein glückliches und sorgenloses Leben führen konnte.

Nur eine kleine Gruppe sah die Sache anders an. Sollte es also wirklich schon wieder zu Ende sein mit der Herrlichkeit des Zinses, des Einkommens, für das man nicht zu arbeiten brauchte, das wirklichen Reichtum und wirkliche Macht hervorgebracht hatte - und mit der Möglichkeit, durch schlaue Spekulation in wenigen Tagen reich zu werden - oder auch arm?

Wenn man's richtig überlegte: Was hatte die ganze Geschichte schon eingebracht? Vermögen und Wohlleben, gewiß, aber dahinter lauerte Gefahr. Aufruhr, Chaos. Es war schon so: von einer gewissen Größe ab brachte der Reichtum genau so viel Aufregung und Sorgen mit sich, wie für die anderen ihre Armut. Vom Standpunkt der persönlichen Befriedigung und des persönlichen Wohlergehens kam nicht viel dabei heraus. Und war die Sicherheit, die ein geordnetes und störungsloses Wirtschaftsleben gab, in der jeder zu jeder Zeit seine Fähigkeiten mit dem besten Nutzen verwerten konnte, denn nicht größer, als die, welche ein zinstragendes Vermögen mit sich brachte, das doch über kurz oder lang wieder zerrinnen und zusammenbrechen mußte? Denn irgendwie war die ganze Sache ja faul. Es war unrechtes Gut, und unrecht Gut gedeihet nicht. Mochte also ruhig der alte Zustand wieder hergestellt werden. Gemessen an den Unruhen und Aufregungen der letzten Jahre, war es ja doch ein paradiesischer Zustand gewesen. Selbst wenn man das alte Kartoffelgeld wieder hätte einführen wollen, würde man sich nicht dagegen wehren. Aber man behielt ja das schöne, saubere und leichte Kunstgeld, das der Expräsident zum Unterschied zu dem alten Naturgeld und zu der ersten, von dem Fremden eingeführten Form des zinstragenden Papiergeldes mit "Freigeld" bezeichnete, und den bequemen und modernen Überweisungsverkehr behielt man obendrein.

Nach wenigen Wochen war der Zustand der Krise auf Potatos überwunden. Die letzten Arbeitslosen waren in ihre Werkstätten zurückgekehrt. Obwohl der Zinsfuß ständig weiter sank, blieben die Ersparnisse nicht in Truhen und Geldschränken liegen, sondern sie suchten immerfort Anlage in der Wirtschaft. Die Arbeitslöhne stiegen unausgesetzt. Die Arbeiter waren wieder in der Lage, das, was sie erzeugt hatten, auch zu kaufen. Die Wirtschaft lief störungslos. Die Arbeit der Bankiers war noch viel einfacher geworden als früher. Denn sie brauchten das Geld nicht einmal mehr zu wiegen. Sie brauchten es nur zu zählen und zu verbuchen.

Die Arbeit des Noteninstituts war noch einfacher. Man trug in jeder Woche den Warenindex an die alte, ehrwürdige Preiskurve an, die das gefährliche Fieber der letzten Jahre durch eine groteske Zickzack-Bewegung anzeigte, nun aber wieder schön gerade verlief, wie die Temperaturkurve eines gesunden Menschen. Sobald die Kurve auch nur ein bißchen abwärts neigte, druckte das Geldinstitut Noten und gab sie dem Staate und den Gemeinden, die dafür die Steuer ermäßigen konnten. Begann die Kurve zu steigen, so wurde die Notenpresse sofort angehalten oder es wurde - wenn nötig - Geld eingezogen und verbrannt. Das war alles. Der Notenbank-Präsident meinte, er sähe es ein, daß es viel leichter sei, die Wirtschaft in Ordnung zu halten, als sie in Unordnung zu bringen.

Die Potatosier aber beschlossen, zum Andenken an die glücklich überwundene kritische Zeit ihrem alten Notenbank-Präsidenten ein Denkmal zu setzen und dem jungen eines daneben.


Dieser Text wurde im Juli 1999 gefunden bei: http://www.systemfehler.de/ Dank!

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