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Auszug aus:

Werner Onken:
Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und Geld
Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie, 1997
ISBN 3-87998-440-9


3.6 ... und auf die Vereinigten Staaten von Amerika
 
Zuguterletzt haben die Erfolge von Schwanenkirchen und Wörgl auch in den USA
Aufsehen erregt. Hier fanden sie auch die gewünschte Beachtung durch einen
namhaften Exponenten der akademischen Volkswirtschaftslehre. Der international
angesehene Geldtheoretiker Professor Irving Fisher, dessen wissernschaftliches Werk
ganz der Lösung der Probleme der Kaufkraftstabilisienmg galt, würdigte Gesells
Konzeption eines umlaufgesicherten Geldes als "genialen Gedanken ... Der Plan
würde als ein Mittel dienen, die Depression zu brechen, das Hamstern zu beenden
und die Re-Deflation in Gang zu setzen." (35)


Fisher hat zahlreiche Anstrengungen unternommen, um diesem 'genialen Ge-
danken' in Amerika Anerkennung zu verschaffen. In einem in mehreren hundert
amerikanischen Zeitungen veröffentlichten Artikel beispielsweise empfahl er die
Sicherung des Geldumlaufs als eine "Maßnahme, die ... dazu angetan ist, uns bei
richtiger Anwendung in wenigen Wochen aus der Depression herauszuhelfen." (36)
Diese Anstrengungen zeigten auch baldige Wirkungen. Schon am 20.1.1933 konnte
Fishers Assistent Hans Cohrssen in einer Rundfunksendung (die am 17.2.1933 unter
dem Titel "Worüber man in Amerika spricht" auch von mehreren deutschen
Sendern ausgestrahlt wurde) berichten, daß zahlreiche amerikanische Städte und
Gemeinden mit der Ausgabe von sogenanntem Markennotgeld begonnen hätten.


Diese Städte und Gemeinden stellten Arbeitslose für die Durchführung öffentlicher
Investitionen ein und bezahlten die Arbeiter mit Markennotgeld. Sie versicherten,
daß die Arbeiter ihre Steuern damit entrichten könnten, ebenso erklärten
ortsansässige Geschäftsleute und Banken ihre Bereitschaft, dieses neue Geld
anzunehmen. Cohrssen berichtete, daß weitere Orte sich des Notgeldes bedienen
wollten; auch wurde eine Einführung in größeren Bezirken erwogen. (37)


In Amerika wurde das Freigeld jedoch nicht richtig angewendet. Ein entscheidender
Fehler wurde mit der viel zu hohen Festsetzung der Strafgebühr für gehortetes Geld
begangen. Während die Wära- und Arbeitsbestätigungsscheine in den Gemeinden
Schwanenkirchen und Wörgl nur monatlich einmal mit einer Marke im Werte von
einem Prozent ihres jeweiligen Nennwertes zu bekleben waren, mußte das
amerikanische Markennotgeld jede Woche mit Marken im Wert von 2 % des
Nennwerts der betreffenden Scheine beklebt werden. Die Hortung eines Betrags von
beispielsweise 1.000 Dollar für die Dauer eines halben Jahres wurde also mit einer
Gebühr in der absurden Höhe von 520 Dollar bestraft.


Damit war der ursprüngliche Sinn dieser Strafgebühr verloren gegangen, der in
einer Gleichstellung des Geldes mit den Waren bestanden hatte. Da die Lager-
haltung von Waren durchweg Kosten verursacht, wollte Gesell die 'Lagerhaltung'
von Geld mit etwa gleich hohen Kosten belasten, um die Geldhortung wirtschaftlich
uninteressant zu machen und auf diese indirekte Weise die vom Geld ausgehenden
Störungen des Wirtschaftskreislaufs zu vermeiden.


In den amerikanischen Markennotgeldexperimenten trat an die Stelle des alten
Übergewichts des Geldes über die Waren ein neues Übergewicht der Waren über das
Geld. Der Umlaufantrieb des Markennotgeldes war so stark, daß die Scheine
eigentlich hätten schneller umlaufen müssen, als die abzusetzenden Waren
produziert werden konnten. Da bei der Festlegung der Strafgebühr das richtige Maß
weit überschritten wurde, konnten keine krisenfesten Notgeld-Inseln mit stetigen
lokalen Wirtschaftskreisläufen entstehen. Die betreffenden Städte und Gemeinden
erhielten durch den Verkauf der Klebemarken vielmehr nur eine zusätzliche Quelle
von Geldeinnahmen, was überhaupt nicht im Sinne des Erfinders gelegen hatte.


Entsprechend ihrer vorherigen Konzipierung als kurzfristig anzuwendendes Mittel
zur Krisenüberwindung wurden die Experimente mit dem Markennotgeld nach
einem Jahr eingestellt. Nach Ablauf dieses Jahres waren alle Scheine mit der
vorgesehenen Anzahl von Marken beklebt und wurden - wie geplant - gegen
offizielle amerikanische Dollars eingetauscht. Aufgrund der fehlerhaften
Handhabung des Markennotgeldes konnten die betreffenden amerikanischen Städte
und Gemeinden keine Erfolge erzielen, die denen von Schwanenkirchen und Wörgl
vergleichbar gewesen wären. Infolgedessen verlor auch der Gedanke an derartige
wirtschaftliche Selbsthilfe-Aktionen an Anziehungskraft. Die Zeit für sie war
endgültig vorbei, als es dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt gelang, im
Rahmen des New Deal mit umfangreichen Eingriffen des Staates in die Wirtschaft
einen vorläufigen Konjunkturaufschwung einzuleiten. Unter diesen Umständen
konnten auch Fishers Bemühungen um eine Einführung eines richtig angewendeten
Freigeldes keine Erfolgsaussichten mehr haben. (38)


Als zweiter namhafter Vertreter der akademischen Volkswirtschaftslehre hat wenige
Jahre nach Fisher der englische Professor John Maynard Keynes die geldpolitischen
Vorschläge Gesells zur Überwindung der Deflationskrise gewürdigt. Nach seiner
Auffassung ist ". . der hinter dem gestempelten Geld liegende Gedanke ... gesund."
(39) Trotz seiner Anerkennung durch Keynes wurde dieser Gedanke in England aber
nicht weiter beachtet. Es sind dort auch keine praktischen Freigeldexperimente wie
in anderen Ländern unternommen worden.
 


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Dieser Text wurde im Januar 1998 ins Netz gebracht von Wolfgang Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.