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Auszug aus:

Werner Onken:
Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und Geld
Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie, 1997
ISBN 3-87998-440-9


3.4 ... auf Frankreich
 
In Frankreich besaßen die wirtschaftlichen Selbsthilfe-Aktionen bereits einen
berühmten Vorläufer. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Pierre Joseph
Proudhon in Paris eine Tauschbank gegründet. Sie sollte die Arbeiter in die Lage
versetzen, sich von Kapital und Staatsgewalt unabhängig zu machen und sich mit
zinslosen Krediten gegenseitig zu helfen. Nach wenigen Wochen zählte die
Tauschbank schon rund 20.000 Mitglieder, sie mußte jedoch bald darauf wieder
geschlossen werden, weil Proudhon wegen journalistischer Angriffe auf den
damaligen Präsidenten Louis Bonaparte zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe
verurteilt wurde. (28)


In Anbetracht der geistigen Verwandschaft Gesells mit Proudhon ist es nicht
verwunderlich, daß Gesells Theorien in Frankreich Fuß fassen konnten. Ihre
Verbreitung wurde gefördert durch Jean Barral, der in Nizza drei Zeitschriften
herausgab. (29) Sie dienten hauptsächlich dem Bau gedanklicher Brücken zwischen
Proudhon und Gesell. Barral war es auch, der nach dem Vorbild der deutschen
Wära-Tauschgesellschaft die Vorarbeiten für den Aufbau einer privaten
Tauschgesellschaft in Frankreich leistete. Diese Bestrebungen erhielten einen
erheblichen Auftrieb, als die große Pariser Zeitschrift "Illustration " im September
1933 ausführlich über das Experiment von Wörgl berichtete. (30) Daraufhin
veröffentlichte die Zeitschrift "L'action Nouvelle" eine Artikelserie über die
Wörgler Nothilfe-Aktion und befürwortete ein praktisches Experiment mit einem
umlaufgesicherten Geld auch in Frankreich.


Noch im gleichen Jahr wurde in Paris eine private Tauschgesellschaft "Mutuelle
national d' échange" gegründet. Sie war die Dachorganisation aller Mitglieder. Da
die meisten von ihnen im Seine-Department sowie in den Städten Cannes, Antibes,
Nizza, Menton und in Monte Carlo im Fürstentum Monaco ansässig waren, wurden
hier mit der "Mutuelle d' echange de Nice et de Alpes-Maritimes" und der "Mutuelle
d' échange de Paris et de la Seine" organisatorische Untergliederungen geschaffen.
Ihren Statuten zufolge hatte diese Tauschgesellschaft den Zweck, den Geschäfts-
verkehr innerhalb ihrer Mitgliederschaft mit Hilfe eines eigenen Zahlungsmittels zu
erleichtern. Es trug die Bezeichnung 'Valor'; die einzelnen Scheine mußten ebenso
wie die Wära- und Arbeitsbestätigungsscheine in jedem Monat mit gebühren-
pflichtigen Marken beklebt werden, so daß ihre jeweiligen Besitzer einen Anreiz
hatten, sie zügig wieder in den Wirtschaftskreislauf weiterzugeben. (31)


Noch ehe die ganze Aktion breitere Kreise ziehen konnte, wurde sie - mög-
licherweise auf Wunsch der französischen Nationalbank - bereits am 31.7.1935 vom
Minister des Inneren verboten. Auf seine Anordnung wurden mehrere Mitglieder der
Tauschgesellschaft vom Direktor der Staatspolizei in Nizza vorgeladen und erhielten
die Aufforderung, sämtliche Aktionen einzustellen und die Valor-Scheine aus dem
Verkehr zu ziehen. (32)


Barral hatte sich außerdem noch mit Unterstützung von M. Vaillant, dem
Präsidenten der Union der Geschäftsleute des Fürstentums Monaco, und M. Soriano,
Mitglied der Chambre Consultative des Fürstentums, darum bemüht, in Monaco ein
kommunales Freigeldexperiment nach dem Vorbild von Wörgl durchzuführen und
dieses in die private "Mutuelle national d' echange" zu integrieren. Die
Vorbereitungsgespräche mit dem Bürgermeister von Monte Carlo und Vertretern der
dortigen Finanzverwaltung waren aber nach über einjähriger Dauer im Juni 1935
ergebnislos abgebrochen worden. Am 27. August 1935 verboten die Behörden des
Fürstentums schließlich auch die Verwendung der Valors beim Warenaustausch
zwischen privaten Geschäftsleuten. (33)
 
 


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Dieser Text wurde im Januar 1998 ins Netz gebracht von Wolfgang Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.