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Auszug aus:

Werner Onken:
Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und Geld
Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie, 1997
ISBN 3-87998-440-9



3.3 ... auf die Schweiz
 
Ein weiteres Glied in der Kette der praktischen Freigeldexperimente bildete die
Ortschaft Triesen im Fürstentum Liechtenstein. Hier befand sich im Jahre 1932
ebenfalls ein Ersatzgeld im Umlauf, das den Schwanenkirchener Wära-Scheinen und
den Wörgler Arbeitsbestätigungsscheinen nachgebildet war. Es wurde jedoch
ebenfalls verboten. (23)


Auch in der Schweiz, wo die Theorien Gesells relativ viele Anhänger gefunden
hatten, entstand bereits 1929 auf privater Basis ein mit der deutschen Wära-
Tauschgesellschaft vergleichbarer Wära-Interessen-Verband (WIV). Seine
maßgeblichen Initiatoren waren Fritz Engelhardt, Hans Forrer und Heinrich
Nidecker. Dem Wära-Interessen-Verband schlossen sich im Laufe der Zeit rund 230
Klein- und Mittelbetriebe in insgesamt rund 50 Städten und Ortschaften an.
Darunter waren Anwalts- und Architektenbüros, Bäckereien, Buchbinder und
Buchhändler, Elektrohändler, Fahrradgeschäfte, Friseure, Graphiker, Lebens-
mittelgeschäfte, Photogeschäfte, Reformhäuser, Schlossereien, Schuhwerkstätten,
Schreibwaren- und Uhrengeschäfte. Als Zahlungsmittel kamen 1- und 5-Wära
Scheine in Gebrauch. Die Hauptgeschäftsstelle befand sich in Zürich - ein oder
mehrere örtliche Wechselstellen gab es in den Kantonen Aargau, Basel und
Baselland, Bern, Graubünden, St. Gallen, Solothurn, Schaffhausen, Thurgau und
Zürich. (24)


Abgesehen von dieser privaten Wära-Aktion gab es in der Schweiz während des
Jahres 1932 auch Bestrebungen, dem Beispiel von Wörgl zu folgen und
Freigeldexperimente auf kommunaler Ebene durchzuführen. Die Stadt Biel, die
Ortschaft Brienz (nordöstlich von Interlaken) und der Einzelhandelsverband des
Kantons Luzern hatten die Absicht, sich mit einem umlaufgesicherten Geld aus der
Krise herauszuhelfen.


Da aber die Wära in Deutschland bereits verboten und auch das Experiment von
Wörgl fast ständig vom Verbot bedroht war, mußte damit gerechnet werden, daß
derartige Selbsthilfe-Aktionen auch in der Schweiz verboten würden. Nach Artikel 1
der Notenbankgesetzgebung hatte nämlich auch die Schweizerische Nationalbank
das ausschließliche Recht zur Ausgabe von Banknoten. Um also einem späteren
Verbot zuvorzukommen, bemühten sich die Stadtverwaltung von Biel, die
Gemeindeverwaltung von Brienz und der Einzelhandelsverband des Kantons Luzern
darum, die Vorbereitungen ihrer Selbsthilfe-Aktionen in Abstimmung mit den
offiziellen Währungsbehörden zu treffen. In dieser Absicht machten sie in den
Monaten November und Dezember 1932 Eingaben an die Schweizerische
Nationalbank sowie an das eidgenössische Finanzdepartment.


Aus der Antwort des Finanzdepartments ließ sich zunächst eine vorsichtig
formulierte Bereitschaft zur Kooperation entnehmen: "Nach einer vorläufigen Rück-
sprache mit dem Präsidenten des Direktoriums der Nationalbank wäre es nicht
ausgeschlossen, daß sich unser Noteninstitut bereit erklärte, unter bestimmten
Bedingungen einen Versuch mit dem geplanten Gelde zu gestatten." (25) Nachdem
sie von der Österreichischen Nationalbank Erkundigungen über Wörgl eingezogen
hatte (26), revidierte die Schweizerische Nationalbank jedoch ihre Einstellung zur
Durchführung von Freigeldexperimenten in der Schweiz. Ein nochmaliges Gesuch
aus Biel, Brienz und Luzern wies sie nunmehr ab und erinnerte mit einem kurzen
Hinweis daran, daß die Mißachtung ihres Banknotenprivilegs mit Geldbußen nicht
unter 5000 Franken oder Gefängnis bestraft würde. Damit war das Schicksal des
Wära-Interessen-Verbandes und der kommunalen Freigeldexperimente in der
Schweiz besiegelt.


Nach dieser Nachricht der Schweizerischen Nationalbank wurden die Vorbe-
reitungen für die Ausgabe von Ersatzzahlungsmitteln eingestellt. Und um ein
etwaiges Wiederaufleben des Gedankens an eine lokal begrenzte Einführung von
Freigeld zu unterbinden, verhinderte die Schweizerischen Bundesanwaltschaft eine
für Anfang September 1933 geplante Vortragsreise des Wörgler Bürgermeisters
Unterguggenberger durch die Kantone Zürich, Schaffhausen und Thurgau, indem
sie ihm nicht nur Redeverbot erteilte, sondern seine Einreise in die Schweiz
überhaupt untersagte. (27)
 
 


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Dieser Text wurde im Januar 1998 ins Netz gebracht von Wolfgang Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.