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Auszug aus:
Werner Onken:
Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und Geld
Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie, 1997
ISBN 3-87998-440-9
3.1 Die Wära-Tauschgesellschaft und der lokale Wirtschaftsaufschwung in
Schwanenkirchen
In dieser Absicht begannen Hans Timm und Helmut Rödiger 1926 mit den
Vorbereitungen fiir die praktische Erprobung eines umlaufgesicherten Geldes. Sie
führten im Oktober 1929 - etwa zur selben Zeit, als mit dem Schwarzen Freitag an
der New Yorker Börse die große Weltwirtschaftskrise begann - in Erfurt zur
Gründung einer Wära-Tauschgesellschaft. Ihrer Satzung zufolge verstand sie sich
als eine private ". . . Vereinigung zur Bekämpfung von Absatzstockung und
Arbeitslosigkeit. Ihr Ziel ist die Erleichterung des Waren- und Leistungsaustausches
unter ihren Mitgliedern durch die Ausgabe von Tauschbons." (7) Nach zwei Jahren
gehörten der Tauschgesellschaft bereits mehr als eintausend Firmen aus allen Teilen
des damaligen Deutschen Reiches als Mitglieder an. Unter ihnen waren Lebens-
mittelgeschäfte, Bäckereien, Molkereien, Restaurants, Reformhäuser, Schlachtereien,
Blumenläden, Friseursalons, Handarbeitsläden, Möbelgeschäfte, Elektrohändler,
Fahrradgeschäfte, verschiedene Handwerksbetriebe, Druckereien, Buchhandlungen
und Kohlenhandlungen. Alle diese Firmen führten das Hinweisschild "Hier wird
Wära angenommen". Wära war die Bezeichnung für die Tauschbons. Sie drückte die
Hoffnung aus, daß die Währung nach den Jahren der Inflation und Defiation
wirklich währen sollte. Die Geschäftsstelle der Tauschgesellschaft gab die Wära auf
Anforderung und nach Bedarf gegen Reichsmark oder sonstige Devisen oder gegen
Quittung und Sicherheitsleistung an örtliche Wechselstellen aus. Solche Wechsel-
stellen gab es unter anderen in Berlin, Bielefeld, Bonn, Chemnitz, Dortmund,
Düsseldorf, Eisenach, Erfurt, Freiburg, Halle/S., Hamburg, Köln, Leipzig und
Nürnberg. Sie händigten die Wära-Scheine - wiederum gegen Reichsmark, sonstige
Devisen oder hinreichende Sicherheiten - in der gewünschten Höhe an Firmen und
Einzelpersonen in Nennwerten von 1/2, 1, 2 und 5 Wära aus. (8)
Zwischen diesen Firmen und Einzelpersonen lief nunmehr die Wära anstelle der
Reichsmark als Tauschmittel um. Die Firmen bezahlten (zumindest teilweise) die
Löhne und Gehälter in Wära aus und mit derselben Wära kauften sich die
Einzelpersonen die gewünschten Güter. So entstand innerhalb der deutschen
Wirtschaft allmählich ein kleiner separater Kreislauf von Ersatzzahlungsmitteln
neben dem von krisenhaften Stockungen gestörten Kreislauf der Reichsmark.
Gemäß den Vorstellungen Gesells waren diese Wära-Scheine mit einem Umlauf-
antrieb ausgestattet, der ihre krisenauslösende Hortung verhindern sollte. Die
Scheine waren nämlich auf ihrer Rückseite mit zwölf Feldern bedruckt, auf die in
jedem Monat jeweils eine Marke von einem Prozent des Nennwerts aufgeklebt
werden mußte. Die Mitglieder der Tauschgesellschaft mußten also in Höhe von
einem Prozent des in ihren Händen befindlichen Wärabetrags am Monatsende
Marken bei den örtlichen Wechselstellen erwerben, wenn sie sicher gehen wollten,
daß ihre Zahlungsmittel auch im nächsten Monat noch ihren vollen Nennwert
behielten.
Die Marken stellten gleichsam eine "Strafgebühr" für die Nichtnutzung der
Wära als
Tauschmittel dar. Dieser allmonatlich fälligen Strafgebühr konnten die Mitglieder
entgehen oder sie zumindestens auf ein Minimum begrenzen, wenn sie die Wära für
Warenkäufe verwendeten oder als Ersparnisse bei der Geschäftsstelle hinterlegten,
die sie ihrerseits wieder in Form von Krediten verleihen konnte. Aus dem Bestreben,
die Entrichtung der "Strafgebühr" möglichst zu vermeiden, resultierte im
Endeffekt
der für alle Beteiligten vorteilhafte stetige Umlauf der Wära. Die einzelnen Scheine
wurden übrigens nach Ablauf eines Jahres, wenn alle Felder beklebt waren,
innerhalb einer Frist gegen neue Scheine umgetauscht.
Internationales Aufsehen erregte dieses erste praktische Freigeldexperiment, als der
bis dahin noch kleine überregionale Wärakreislauf sich gegen Ende des Jahres 1930
in der 500 Einwohner zählenden niederbayerischen Ortschaft Schwanenkirchen bei
Deggendorf zu einem lokalen Knotenpunkt verdichtete. In Schwanenkirchen gab es
damals ein Braunkohlenbergwerk, das die Stadt Deggendorf und nach ihr eine
private Aktiengesellschaft betrieben hatten. Als das Unternehmen wie so viele
deutsche Kohlegruben in Absatzschwierigkeiten geriet und die Halden immer größer
wurden, weil der englische Kohlebergbau seit Mitte der zwanziger Jahre Wettbe-
werbsvorteile auf dem Weltmarkt errungen hatte, war es 1927 wegen mangelnder
Rentabilität stillgelegt worden. Da es der mit Abstand größte Arbeitgeber in dieser
Gegend gewesen war, kam das gesamte Wirtschaftsleben hier rasch zum Erliegen.
Im Herbst 1930, als die Weltwirtschaft sich bereits mitten in ihrer großen
Deflationskrise befand, konnten Schwanenkirchen und seine Nachbargemeinden
Hengersberg und Schöllnach jedoch einen spektakulären Ausweg aus der Krise
finden. In der Zwischenzeit hatte der Bergbauingenieur Max Hebecker das
Schwanenkirchener Bergwerk bei einer Versteigerung erworben. Zunächst fehlte
ihm zwar das nötige Betriebskapital für eine Wiederaufnahme der Produktion, da
ihm die Banken keinen Kredit geben wollten. Aber nachdem er sich an die Wära-
Tauschgesellschaft gewandt hatte, bildete diese ein Wära-Finanzierungs-Konsortium
und beschaffte durch Ausgabe von Anteilscheinen die nötigen 50.000 Reichsmark,
die zum größeren Teil als Wära- und zum kleineren Teil als RM-Kredit ausgeliehen
wurden. Mit diesem Geld konnte Hebecker das Bergwerk wieder in Betrieb
nehmen; er beschäftigte zunächst etwa 45 Bergleute und stellte bald darauf weitere
ein. 60 bis 75 Prozent ihres Lohnes wurden in Wära und die restlichen zehn Prozent
in Reichsmark ausbezahlt.
Anfangs waren die örtlichen Geschäftsleute skeptisch gegenüber diesem unge-
wöhnlichen Geld und weigerten sich, es als Zahlungsmittel anzunehmen. Als
Hebecker aber begann, sich von mitteldeutschen Mitgliedsfirmen der Tausch-
gesellschaft mit Waren beliefern zu lassen, erkannten sie, daß ihnen hier durch ihre
eigene Zaghaftigkeit ein gutes Geschäft entging, und erklärten sich zur Annahme
der Wära bereit. Während die Massen von Arbeitslosen andernorts große Not zu
leiden hatten, kam die lokale Wirtschaft in Schwanenkirchen, Hengersberg und
Schöllnach wieder in Gang. Alsbald war die Rede von der " Wära Insel im
Bayerischen Wald" (9), wo die Arbeitslosigkeit gebannt war und wo die
umlaufgesicherten Wära-Scheine einen stetigen Absatz der Waren vermittelten.
Die von den Initiatoren der Tauschgesellschaft in die Wära gesetzten Erwartungen
schienen sich in Schwanenkirchen trotz mancherlei Komplikationen (ein Sturm
richtete beträchtliche finanzielle Schäden in Hebeckers Bergwerk an) zu erfüllen.
Die Idee eines umlaufgesicherten Geldes hatte bei ihrer ersten praktischen
Erprobung in kleinem Rahmen ihre Brauchbarkeit erwiesen und das Schwanen-
kirchener Beispiel wurde in der deutschen Öffentlichkeit beachtet. Der Erfolg der
Wära weckte jedoch auch den Argwohn der Deutschen Reichsbank. Sie mußte
befürchten, daß sich durch eine weitere Verbreitung der Wära ein konkurrierendes
Zahlungsmittel neben der offiziellen Reichsmark etablieren könnte. Dem Interesse
der Deutschen Reichsbank an der Wahrung ihres Ansehens kam es deshalb sehr
gelegen, daß der Reichsfinanzminister H. Dietrich im Zuge der Brüningschen
Notverordnungen die Herstellung, Ausgabe und Benutzung jeglichen Notgeldes im
Oktober 1931 durch eine Verordnung verbot. Der § 1, Abs. 3 dieser Verordnung
bestimmte, daß auch die Wära-Scheine als Notgeld anzusehen seien; damit waren
auch sie von diesem Verbot betroffen.
Trotz seines verheißungsvollen Beginns mußte das Freigeldexperiment Ende 1931
abgebrochen werden. Die Wära-Tauschgesellschaft sah sich gezwungen, die
ausgegebenen Wära-Scheine wieder gegen Reichsmark einzulösen und ihre Tätig-
keit einzustellen. Hebecker mußte das Schwanenkirchener Bergwerk wieder
schließen und seine Beschäftigten entlassen. Die Wära-Insel mit ihren drei Dörfern
Schwanenkirchen, Hengersberg und Schöllnach wurde von Krisenwellen überflutet.
In Anbetracht dieser Auswirkungen der Verbotsverordnung ist es geradezu makaber,
daß sie ausgerechnet die Bezeichnung "Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft
und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" trug. (10) Nach-
dem dieser in kleinem Rahmen bewährte und durchaus erfolgversprechende Weg aus
der Krise versperrt und die damalige Regierung Brüning mit ihren berüchtigten
Notverordnungen der Wirtschaft eine noch größere Not verordnete, nahm die
Arbeitslosigkeit unaufhaltsam zu. Sie trieb die verzweifelten Massen in die Arme der
Nationalsozialisten, die sie dann mit leeren Versprechungen in die Irre führen
konnten.
Die Reichsregierung konnte zwar die Wära in Deutschland verbieten; sie vermochte
aber damit nicht die Ausstrahlungskraft auszulöschen, die das Schwanenkirchener
Beispiel schon weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus bekommen hatte. Wie
ein glühender Funke sprang der Gedanke der Schaffung eines ununterbrochenen
Geldkreislaufs zunächst auf die nahegelegene Tschechoslowakei, dann auf Öster-
reich und von dort auf andere Länder über. Im tschechischen Neudeck bei Karlsbad
bereitete ein Fabrikant Lothar Meinl eine Freigeldaktion nach dem Vorbild von
Schwanenkirchen vor. Sie wurde jedoch von der tschechoslowakischen Nationalbank
verboten. (11)
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Dieser Text wurde im Januar 1998 ins Netz gebracht von Wolfgang Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.