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Benjamin Franksen aus der Newmoney-Mailingliste nahm im Mai 2000 Stellung zu "Die gesellige Läuterung des Kapitalismus - 20 Thesen zur Freiwirtschaft" des Autorenkollektivs "isis-Projektgruppe". Dabei handelt es sich um einen Artikel der trend - Onlinezeitung für die alltägliche Wut. Im Netz urspruenglich unter folgender URL zu finden: http://trend.partisan.net/trd1298/t291298.html > 1. Die freiwirtschaftliche Bewegung - begruendet durch den > deutsch-argentinischen Kaufmann Silvio GESELL (1862 - 1930) - > treibt ein paradoxes Ansinnen um: Angetreten, den Kapitalismus > aus der Welt zu schaffen, will sie doch nicht an seinen > Grundlagen ruetteln. Stattdessen reisst sie den inneren > Zusammenhang kapitalistischer Marktwirtschaft auseinander und > betreibt ihre Gegnerschaft zum Kapitalismus grade im Namen der > Marktwirtschaft. Man sollte als erstes klarstellen, was die Freiwirtschaft unter Kapitalismus versteht: Sie versteht darunter eine marktwirtschaftliche, also u.a. Eigentum respektierende Wirtschaftsordnung, in der sich aus dem Eigentum an Vermögensgütern ein (arbeitsfreies) Einkommen, genannt Zins oder Rendite, erzielen lässt, im Gegensatz zu einer, in der Einkommen ausschliesslich durch Arbeit (und freiwilligem Transfer) entsteht. Der Marxismus sieht den Ursprung arbeitsfreier Einkommen in der Produktionssphäre, die Freiwirtschaft hingegen in der Zirkulationssphäre (um es einmal in Marx'scher Terminologie auszudrücken). Jede der beiden Theorien muss daher zwangsläufig zum Schluss kommen, die Kapitalismus-Kritik der jeweils anderen würde in Wahrheit "nicht an den Grundlagen des Kapitalismus rütteln". Ohne eine sachliche Gegenüberstellung der beiden Theorien kommt man also nicht weiter. Leider sucht man eine solche sachliche Kritik in den ganzen 20 Thesen vergeblich. > 2. Das Geschaeft, die Marktwirtschaft von ihren > "kapitalistischen Verzerrungen" zu befreien, verwechselt > konsequent Oekonomie mit Moral: Freiwirtschaftler sehen im > Kapitalismus den Missbrauch einer an sich guten Sache am Werk, > deren Gutheit sie auch gleich schon fuer so unwidersprechlich > halten, dass sie der vom kapitalistischen Zugriff befreiten > Marktwirtschaft glatt das Praedikat "natuerlich" zusprechen: > "Natuerliche Wirtschaftsordnung" (NWO) hat Gesell sein Konzept > einer freiwirtschaftlich kastrierten Marktwirtschaft genannt - > und dabei ueberhaupt nicht gemerkt, wie paradox es ist, eine > Ordnung als "natuerlich" zu bezeichnen, die man doch erst > SCHAFFEN will. Wenn man von der Kritik an der irreführenden und nicht sehr glücklichen Namensgebung ("natürliche Wirtschaftsordnung") einmal absieht, dann bleibt auf der inhaltlichen Ebene der Vorwurf, die Freiwirtschaft verwechsle Oekonomie mit Moral, da sie die Marktwirtschaft als eine im Grunde gute Sache, den Kapitalismus (also die arbeitsfreien Einkommen aus Vermögen) hingegen als etwas schlechtes ansieht. In der moralische Bewertung des Kapitalismus unterscheiden sich Marxisten und Freiwirtschaftler wohl kaum. Anders bei der Marktwirtschaft, denn da die Marxisten davon überzeugt sind, dass Markwirtschaft und Kapitalismus letztlich ein und dasselbe sind, verlangen sie natürlich, dass man die Marktwirtschaft ebenfalls als eine üble Sache ansieht. Nun kommt aber die freiwirtschaftliche Theorie zum Schluss, dass die Marktwirtschaft *nicht* notwendig identisch mit dem Kapitalismus sein muss, sondern - unter geeigneten Umständen - diesen sogar zu beseitigen vermag, was zu einer etwas anderen Bewertung der Marktwirtschaft führt. Vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Frage, ob die Marktwirtschaft etwas gutes oder schlechtes ist, von untergeordneter Bedeutung, solange man sich noch über die zentrale Frage streitet: Was ist die Ursache der arbeitsfreien Einkommen in der marktwirschaftlichen Ökonomie? > 3. Entsprechend ihrem praktischen Zweck, mit der > marktwirtschaftlichen Form der kapitalistischen Oekonomie > gegen deren Inhalt zu Felde zu ziehen, betaetigen sich > Freiwirte in ihrer Theorie als schlechtes Gewissen der > buergerlichen Volkswirtschaftslehre (VWL), deren ideologischen > Boden sie in keinem Moment verlassen: Wie die VWL behaupten > sie oekonomische Bestimmungen des in der buergerlichen > Gesellschaft hervorgebrachten Reichtums wie Ware, Geld und > Kapital als seine natuerlichen Eigenschaften und den im > Privateigentum per staatlicher Gewalt hergestellten Ausschluss > andrer vom gesellschaftlichen Reichtum als der "menschlichen > Natur" gemaess. (Seltsam, dass die menschliche Natur bzw. das > ihr Gemaesse immer erst der staatlichen Gewalt bedarf, um > Gueltigkeit zu erhalten ...) Noch seltsamer sollte es dem Marxisten vorkommen, dass das von ihm propagierte kollektive Eigentum - wie die jüngere Geschichte ja recht deutlich gezeigt hat - noch erheblich viel stärkere staatliche Kontrolle und Gewaltausübung benötigt, um sich überhaupt zu etablieren und danach zumindest eine Weile über Wasser halten zu können. Abgesehen davon, behauptet etwa S. Gesell nirgendwo, dass "Ware, Geld und Kapital" "natürliche Eigenschaften" des gesellschaftlichen Reichtums seien. Genau wie Herrn Gesell, muss es doch jedem klar denkenden Menschen ganz offensichtlich erscheinen, dass jede Form von Privateigentum ein Anrecht ist, welches auf die Dauer nicht ohne einen gesellschaftlichen Schutz (insbesondere vor gewaltsamer Aneignung) überleben kann. Dass es hierzu unbedingt eines staatlichen Gewaltmonopols bedarf, kann bezweifelt werden, aber das ist eine vollkommen andere Fragestellung. Selbst wenn man davon absieht, dass die Menschen das Privateigentum dem kollektiven Eigentum offensichtlich vorziehen (und es gibt eine ganze Reihe von sehr rationalen Gründen für diese Präferenz), dann muss es doch wohl unabhängig davon erlaubt sein, dieses als gesellschaftliche Übereinkunft zunächst einmal vorauszusetzen. Marx selber geht in seiner Analyse ("Das Kapital") ja ähnlich vor, indem er nämlich zunächst den stark abstrahierten und idealtypischen Fall einer Gesellschaft von freien und unabhängigen Produzenten betrachtet, die ihre Produktionsmittel, wie auch die Produkte ihrer Arbeit, selber besitzen. Noch kein Marxist hat dieses Vorgehen als einen "auf dem ideologischen Boden der buergerlichen Volkswirtschaftslehre" gewachsenen und daher zu verwerfenden Ansatz bewertet, ganz zu schweigen von der Marx'schen Arbeitswertlehre, bei der er ja ganz offensichtlich dieselbe Ansicht vertritt, wie seinerzeit die Klassiker der bürgerlichen politischen Ökonomie wie Adam Smith und nach diesem Ricardo. > 4. An Ware, Geld und Kapital selbst wollen die Freiwirte den > Kapitalismus nie und nimmer entdecken (- eine Blindheit > uebrigens, mit der heutzutage auch der groesste Teil der > Linken geschlagen ist). Ganz ehrlich von der Schlechtigkeit > des Kapitalismus ueberzeugt, koennen sie dessen Gruende und > Zwecke wie auch seine Struktur unmoeglich in denjenigen > Verhaeltnissen auffinden, die sie ja grad' als natuerliche und > der Menschennatur gemaesse behauptet haben. So kann das > Kapitalistische nur noch von aussen in die Welt der > Marktwirtschaft gelangt sein. Die Freiwirte entdecken es dort, > wo auf dem Markt Transaktionen stattfinden, die ganz > offenkundig dem Grundsatz des Aequivalententausches (an dem > selbst sie ja nichts auszusetzen finden) zu widersprechen > scheinen: Am zinstragenden Kapital (Geldkapital/Kredit) > bemerken sie das Paradoxon, dass Geld, d.h. der MASSSTAB aller > Preise, hier selbst einen Preis HAT - den ZINS eben: > Geliehenes Geld ist nicht etwa damit bezahlt, dass man es > einfach wieder zurueckzahlt, sondern man muss immer mehr > zurueckzahlen, als man sich ausgeliehen hat. Das finden > Freiwirte hoechst ungerecht. Dass sie es ungerecht finden, ist eine Sache. Dass die marxistische *Erklärung* dieser Tatsache als falsch und irreführend ertlarvt wird, und stattdessen eine sehr viel überzeugendere Erklärung angeboten wird, ist eine andere. Ansonsten offenbart der obige Abschnitt entweder erschreckendes Ausmass an Unwissen über die Freiwirtschaft oder aber es handelt sich um eine absichtliche Verdrehung, um eine unliebsame Idee zu diskreditieren. Der Freiwirtschaft wird unterstellt, sie könne an "Ware, Geld und Kapital nicht den Kapitalismus entdecken". Wer immer das Buch von Gesell gelesen hat, kann über eine solche Behauptung nur ungläubig den Kopf schütteln. Wo doch die *zentrale These* Gesell's, nämlich dass die Überlegenheit des Geldes über die Waren das Kapital (im Sinne von Vermögen) erst zum Kapital (im Sinne von arbeitsfreien Einkommen) werden lässt, genau die drei Elemente "Ware, Geld und Kapital" zum Kern hat und zueinander in Beziehung setzt. Weiter wird unterstellt, die Freiwirtschaft betrachte das Kapitalistische als irgendwie "von aussen kommend", da sie "dessen Gruende und Zwecke wie auch seine Struktur unmoeglich in denjenigen Verhaeltnissen auffinden, die sie ja grad' als natuerliche und der Menschennatur gemaesse behauptet haben." Fröhlich werden hier Ursache und Wirkung miteinander vertauscht: Weil die Freiwirtschaft die Ursache der Renditen nicht dort sieht, wo der Marxist sie gerne sehen möchte, nämlich nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln an sich, sondern in der durch die Funktionsweise des Geldes bedingten Knappheit derselben, und weil sich hiergegen so schlecht inhaltlich argumentieren lässt, dreht man einfach den Spiess um und behauptet, die Freiwirtschaftler würden die Marx'sche Einsichten aus ideologischen Gründen ablehnen, um bloss ja die Mrktwirtschaft retten zu können. Das entspricht aber nicht den Tatsachen: Gesell beschäftigt sich sehr wohl inhaltlich mit der Marx'schen Erklärung des Zinses und widerlegt ganz klar die Stichhaltigkeit seiner Argumentation, siehe etwa das Kapitel 5.6 über alternative Zinstheorien. Doch damit nicht genug: obendrein unterstellt der Marxist noch die nicht im geringsten vorhandene Übereinstimmung mit dem "Grundsatz des Aequivalententausches", eine Vorstellung der S. Gesell mehrfach ganz massiv widerspricht. Denn dieser sogenannte "Äquivalententausch" beruht auf einer Werttheorie, die meint, den Wert (also den durchschnittlichen Verkaufspreis) der Waren auf ein allgemeines Prinzip (wie etwa der durchschnittlichen gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit) zurückführen zu können. Gesell hingegen lehnt Werttheorien jeder Art grundsätzlich ab, da sie seiner Ansicht nach zur Klärung wirtschaftlicher Fragen nicht nur nicht benötigt werden, sondern im Gegenteil den klaren Blick auf die Zusammenhänge verschleiern. Zu guter Letzt und um das Mass voll zu machen, wird auch noch unterstellt, die Freiwirtschaft würde dem gleichen Irrtum anhängen wie die bürgerliche VWL, nämlich den Zins als "Preis des Geldes" ansehen. Dieser Ansicht widerspricht Gesell in dem oben genannten Kapitel mehrfach explizit. Fazit: Noch mal nachlesen, bitte! (Diesmal vielleicht etwas weniger voreingenommen.) > 5. Im zinstragenden Kapital, in dem direkten, scheinbar durch > keine Zwischenglieder mehr vermittelten Austausch von Geld > gegen mehr Geld, wird eine fundamentale Wahrheit offenbar: > Kapital ist eine leistungslose Aneignung von Reichtum, den > andre schaffen. Freiwirte haben diese Wahrheit durchaus > erkannt, wollen sie jedoch nur fuer das zinstragende, das > Finanzkapital gelten lassen; das produktive (und weitgehend > auch das kommerzielle) Kapital wie auch dessen Funktionaere, > die Unternehmer (die fungierenden Kapitalisten), zaehlen sie > in ihrer Kapitalismustheorie mit zu den OPFERN des > Kapitalismus. Wieder werden der Freiwirtschaft Ansichten unterstellt, die ihr fremder nicht sein könnten. Es drängt sich langsam der Verdacht auf, dass der Autor dieser Zeilen nicht einen einzigen Grundgedanken Gesell's verstanden hat oder vielleicht auch nicht verstehen wollte. Erstens basiert die Gesell'sche Zinstheorie nicht im geringsten auf dem "scheinbar durch keine Zwischenglieder mehr vermittelten Austausch von Geld gegen mehr Geld", sondern erklärt den Zins aus dem Tausch von *Waren* gegen Geld. Davon mag man nun halten, was man will, man sollte es in jedem Fall erst mal zur Kenntnis nehmen. Zweitens offenbart sich die "fundamentale Wahrheit", dass *jede Form* von Rendite eine "leistungslose Aneignung von Reichtum" darstellt, für Herrn Gesell keineswegs erst durch den Darlehenszins; Sie liegt für Gesell vielmehr von vorneherein auf der Hand, unabhängig davon, ob dieses sich nun aus dem Eigentum an Unternehmensanteilen, Häusern, Grundstücken, Wertpapieren, Geld oder welchen Formen von Vermögen auch immer herleitet. Dem Marxisten muss es freilich zunächst unklar sein, ob hier eine Aneignung ohne Gegenleistung vorliegt, da er ja im Gegensatz zum Freiwirtschaftler, von der Werttheorie irregeleitet, an den Tausch von "Äquivalenten" glaubt. Dass die Freiwirtschaft diese Bewertung "nur fuer das zinstragende, das Finanzkapital gelten" lässt, ist eine pure Erfindung. Richtig ist, dass die Freiwirtschaft im Geld, oder besser gesagt in den besonderen Eigenschaften des üblichen Geldes, die Ursache für den Geldzins sieht und daher mittelbar die Ursache für jede Form von Renditen (ausser der Grundrente). Drittens wird der Unternehmer von der Freiwirtschaft nur insofern als Opfer des Kapitalismus angesehen, als er selber Arbeiter ist, also gesellschaftlich nützliche Arbeiten (organisatorischer und planender Natur) erledigt, keinesfalls jedoch in seiner Funktion als Kapitaleigentümer und Bezieher von Renditen jedweder Art. Es erfordert sicher ein gewisses Mass an Abstraktionsvermögen, diese beiden Funktionen sauber voneinander zu unterscheiden, auch wenn sie sich in einer Person vereinigen, aber gerade einem Marxisten sollte dies nicht gar so schwer fallen. > 6. Auf diese Weise geraet den Freiwirten der Gegensatz > zwischen zwei FUNKTIONSBESTIMMUNGEN des Kapitals: einerseits > fungierendes, andrerseits zinstragendes Kapital zu sein - zu > einem MORALISCHEN Gegensatz: Bei ihnen steht "gutes", weil > produktives, fungierendes, also direkt in die Wirtschaft > investiertes Kapital gegen "schlechtes", weil zinstragendes, > also bloss akkumulierendes Kapital. Der kapitalistische > Grundantagonismus zwischen (Lohn-)Arbeit und Kapital > verwandelt sich bei den Freiwirten so in einen Gegensatz > zwischen schaffendem" und "raffendem" Kapital (auch wenn sie > diese Ausdrucksweise zumeist nicht verwenden) - und > Lohnarbeiter und Unternehmer finden sich ploetzlich sozusagen > auf derselben Seite der Barrikaden wieder. Der vielbeschworene "kapitalistische Grundantagonismus zwischen (Lohn-)Arbeit und Kapital" (Kapital hier im Sinne von privat besessenen Produktionsmitteln) existiert ja gar nicht mehr, sobald man erkannt hat, dass das *Eigentum* an den Produktionsmitteln nicht notwendigerweise zu einem *Einkommen* führen muss, jedenfalls dann nicht mehr, wenn es in genügender Menge vorhanden ist. Was der Marxist hier kritisiert, ist die oberflächlich gesehen ähnliche aber im Kern der Freiwirtschaft und den Ideen Gesell's diametral widersprechende Nazi-Ideologie: Die wendete sich in der Tat vor allem an Kleinbürger und Kleinunternehmer, die sich durch die Wirtschaftskrise und die Konkurrenz der Grossunternehmen und auch durch das Finanzkapital in ihrer Existenz bedroht fühlten. Denen wurde suggeriert, es gäbe gutes und schlechtes Kapital, etc. Nichts von alledem findet man bei Gesell. So wird etwa der "Krämer", Lieblingsziel und Hätschelkind der Nazipropaganda (siehe Parteiprogramm der NSDAP 1932), in der von Gesell ersehnten Wirtschaftsordnung auf Grund der Erleichterung des Handels in grossem Masse überflüssig (vgl. Kapitel 4.7.1 "Die nat. Wirtschaftsordnung"). Ausserdem haben die Nazis ja bekanntlich von ihren grossspurigen Versprechungen von wegen "Brechung der Zinsknechtschaft" nichts, aber auch gar nichts gehalten, so dass sich auch hier jede Gleichsetzerei verbietet. Um es noch mal ganz deutlich herauszustellen: KEINE Form von arbeitsfreiem Einkommen aus Vermögen wird von der Freiwirtschaft in IRGENDWELCHER Weise legitimiert. Stattdessen geht es um die theoretische Erkenntnis, dass Produktionsmittel erst durch ihre Knappheit zu Kapital werden, die Knappheit aber wiederum eine Folge des Geldzinses ist. > 7. So schaffen es Freiwirte, eine Kapitalismuskritik zu > verfertigen, ohne das Kapital selbst zu kritisieren. Die > kapitalistische Ausbeutung besteht fuer sie darin, dass eine > Horde Schmarotzer (Geldkapitalisten, Banken sowie Unternehmer, > die ihrer wirtschaftlichen "Investitionspflicht" nicht > nachkommen und einen Teil ihres Kapitals als Geldkapital > anlegen) die marktwirtschaftliche Ordnung dazu missbrauchen > wuerde, aus ihr Geld rauszuziehen, es zu horten und das > gehortete Geld dann, bei groesser werdender Kapitalknappheit > auf seiten der "produktiven" Unternehmer, gegen Zins dosiert > wieder in die Wirtschaft zurueckfliessen zu lassen. Indem > diese verantwortungslosen Raffgeier "kuenstlich" > Kapitalknappheit erzeugen und auf dieser Basis dann das > produktive Kapital dazu erpressen, ihnen von seinem sauer > verdienten Profit permanent was abgeben zu muessen, bringen > sie die ganze schoene Marktwirtschaft durcheinnder und aus > ihrem Gleichgewicht: Ein immer groesser werdender Anteil der > wirtschaftlichen Leistungen muss fuer die Zinszahlung > aufgebracht werden, waehrend auf seiten des Geldkapitals ein > staendig wachsender Anspruch auf Reichtum akkumuliert. Die > Folgen: verschaerfte Konkurrenz, Arbeitslosigkeit, Verarmung > breiter Bevoelkerungskreise, wachsende Staatsverschuldung, > unsichere Renten, Krisen usw., ja sogar gewalttaetige Unruhen > und Kriege. Eine solcherart polemische und diffamierende Ausdrucksweise ("Horde von Schmarotzern", "Raffgeier", etc..) findet sich nirgends bei Gesell, allerhöchstens bei einer gewissen Sorte von Freiwirten, die ich hier mal als "Orthodoxe" bezeichnen möchte, und die es wohl noch eines Tages schaffen werden, aus den Ideen Gesell's eine ähnlich dogmatische Glaubenslehre zu machen wie weiland die Marxisten aus denen von Marx. Ansonsten auch hier wieder: Durcheinandergewürfelte Mischung aus Halbwahrheiten und böser Polemik. "Das Kapital" werde von der Freiwirtschaft nicht kritisiert, sagt der Marxist. Dann sollte er mal etwas genauer definieren, was er eigentlich unter "dem Kapital", ganz allgemein, versteht. Wenn das Eigentum an was-auch-immer keine Rendite (meinetwegen auch: keinen "Mehrwert") mehr erbringt, warum sollte man dann dagegen sein? Im Gegensatz zur Marx'schen Lehre befindet sich die freiwirtschaftliche wenigstens nicht im eklatanten Widerspruch zu den gesellschaftlichen Realitäten. Die weltweit anzutreffende immerfort zunehmende Konzentration der Vermögen gegenüber einer immer mehr Zinsen und Renditen bezahlenden Arbeitswelt ist für jeden Interessierten leicht nachprüfbar. So manche Folgerung aus der Marx'schen Theorie ("Pauperisierung", also zunehmende Verarmung des Proletariats) jedoch auffälligerweise nicht. Weiterhin ist es vom Standpunkt der Freiwirtschaft vollkommen gleichgültig, in welcher Form die Rendite aus einem Unternehmen an die Eigentümer fliesst: Ob in Form von Zinszahlungen an Kreditgeber oder in Form von Aktiengewinnen (ob durch Kursgewinn oder Dividende), all dies spielt *nicht die geringste Rolle*, auch wenn man dies der Freiwirtschaftslehre noch so gern unterschieben möchte. Dass als eine Folge der zunehmenden Verschuldung und der Konzentration von Vermögen ausgerechnet "verschaerfte Konkurrenz" genannt wird, das kann wiederum nur einem Marxisten logisch erscheinen. Auch die Wirtschaftskrisen haben nach Gesell eine erheblich differenziertere Erklärung, als uns der Marxist hier glauben machen möchte. Ich kann nur jedem Leser dieser Zeilen empfehlen die entsprechenden Kapitel aus dem Buch von Gesell selber mal zu lesen, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen. Das geht im übrigen auch online unter http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/gesell/nwo/ > 8. Der Befund, zu dem die Freiwirte hinsichtlich der real > existierenden Marktwirtschaft kommen, ist schon seltsam: Eine > Wirtschaftsordnung, die an und fuer sich natuerlich und > menschengemaess ist, hat bislang noch nie anders als der > Missbrauch, den man mit ihr anstellt, existiert. Statt bei der > Konstatierung eines solchen Sachverhaltes den Schluss zu > ziehen, dass mit dieser Wirtschaftsordnung dann vielleicht > doch etwas nicht so ganz stimmt, dass also Marktwirtschaft > vielleicht doch nicht so das Ideale ist, halten sie unbeirrt > an ihrem Dogma fest, dass die Marktwirtschaft an sich edel, > huelfreich und gut waere, und beteuern, dass, wenn man die > Moeglichkeit der Geldhortung konsequent unterbinden wuerde, > die guten und natuerlichen Potenzen der Marktwirtschaft sich > endlich frei entfalten koennten und so endlich eine wirklich > "Natuerliche Wirtschaftsordnung" entstuende. Die bestehende Wirtschaftsordnung wird durchaus sehr unmissverständlich kritisiert von Seiten der Freiwirtschaft. Nur dass es sich hierbei aus marxistischer Sicht nicht um "echte Systemkritik" handelt. Das liegt aber nicht daran, dass sie weniger radikal wäre, sondern daran, dass ihr der hau-drauf-Charakter, das revolutionäre fehlt, und wahrscheinlich auch das unerbittliche, unmenschliche und grausige, welches gerade die kollektivistischen Ideen für manchen besonders anziehend zu machen scheint. Inwiefern das Kollektiveigentum im Gegensatz zum privaten "menschengemaesser" ist, nun, dazu hat gerade die jüngere Geschichte der Menschheit ja auch einige interessante Fakten beigesteuert (ich denke etwa an die zig Millionen Todesopfer, die die Zwangskollektivierungen in China und Russland erforderten, die meisten davon waren Hungertote). > 9. Bei jenem Personenkreis, der sein Einkommen leistungslos > ueber Zinseinkuenfte bezieht, muss es sich, der > freiwirtschaftlichen Logik zufolge, um eine BESONDRE SORTE > MENSCH handeln; eine Sorte, die sich bestaendig gegen das > eigentlich Menschengemaesse, gegen die Menschennatur verhaelt. > (Natuerlich meinen Freiwirte damit nicht die Kleinsparer, > kleinen Rentner usw., sondern diejenigen, die das > Zinsscheffeln im grossen Massstab und professionell betreiben: > eben die Geldkapitalisten, die Banken, Unternehmer, die Teile > ihres Kapitals lieber gegen attraktive Zinsen als Geldkapital > anlegen, als es in die Wirtschaft zu investieren usw.). > Freiwirte vermoegen also der logischen Struktur > kapitalistischer Marktwirtschaft nicht mehr die Gruende dafuer > zu entnehmen, dass ein Teil des durch sie hervorgebrachten > Reichtums NOTWENDIGERWEISE die Form des zinstragenden Kapitals > bzw. des Zinses annimmt; vielmehr erklaeren sie umgekehrt die > kapitalistische Formbestimmtheit der Marktwirtschaft aus der > Raffgier irgendwelcher Geldsaecke, Profitgeier und > Muessiggaenger. (Von Linken kennt man solche Verkehrungen > ebenfalls zur Genuege: Statt den Profit und das > Profitinteresse aus dem Kapitalverhaeltnis herzuleiten, > betrachten sie letzteres vielmehr als Ausfluss einer > ProfitGIER der Kapitalisten.) Hier gleitet die Polemik langsam auf ein Niveau ab, bei dem es schwer fällt, noch eine sachliche Korrektur anzubringen. Ich würde den Autor gerne bitten, diese komplett haltlosen Unterstellungen mit Zitaten zu belegen. Ich denke allerdings, das dürfte ihm schwer fallen. Liest man das Buch von Gesell, so bekommt man genau den umgekehrten Eindruck: Gesell betont mehrfach, dass das Zinsnehmen im Rahmen der existierenden Wirtschaftsordnung eine völlig logische Sache ist, die ganz klar dem Eigeninteresse des Vermögenden entspricht. An keiner einzigen Stelle ist von einer "besonderen Sorte Mensch" die Rede, die sich gegen das "menschengemässe" verhält, etc.. Im Gegenteil: Er legt ganz deutlich klar, dass die Vorteile, die das Geld als Sparmittel gegenüber den Waren bietet, nämlich seine Wertbeständigkeit und seine Liquidität, es sind, die es den Waren so überlegen machen, dass es nicht ohne eine Sonderabgabe freiwillig hergegeben wird. Dass die Freiwirtschaft "die kapitalistische Formbestimmtheit der Marktwirtschaft aus der Raffgier irgendwelcher Geldsaecke, Profitgeier und Muessiggaenger" erkläre, entstammt der offenbar sehr ausgeprägten Phantasie des Autors. > 10. Die freiwirtschaftliche Erklaerung des Kapitalismus > entpuppt sich damit als eine Erklaerung nur der FORM nach; vom > eigentlichen Gehalt her besteht sie hingegen vielmehr im > Waelzen der SCHULDFRAGE: Wer sind die Saeu', die die schoene > Marktwirtschaft so schaendlich zu ausbeuterischen Zwecken > missbrauchen, und wie machen die das? Wie schon bei der > falschen Entgegensetzung, die die Freiwirte zwischen > produktivem und zinstragendem Kapital machen, sehn wir also > auch hier MORAL anstelle des Bemuehens um rationelle Theorie > am Werke. Klar: Wer auf die Marktwirtschaft nichts kommen > lassen will, muss kapitalistische Ausbeutung entweder leugnen > oder sie, wie die Freiwirte es tun, in dem VERHAELTNIS > verorten, das irgendwelche Gierschluende aufgrund ihres > UEBLEN, AUSBEUTERISCHEN CHARAKTERS oekonomisch ZUR > Marktwirtschaft einnehmen. Wer es schafft, in die freiwirtschaftlichen Gedanken eine solche Masse an total blödsinnigem Schwachsinn hineinzuphantasieren; dem es dabei obendrein auch noch grossen Spass zu machen scheint, Andersdenkenden in dieser ekelhaften Weise sowohl einen Sprachgebrauch als auch Inhalte unterzuschieben, die nichts aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, was diese Leute in Wirklichkeit sagen oder gesagt haben; sojemand hätte bei einem der Herren Stalin, Mao oder Hitler sicher eine gutbezahlte Anstellung im Propagandaministerium bekommen. > 11. Latent enthaelt eine solche Versubjektivierung des > Kapitalismus einen STRUKTURELLEN RASSISMUS: Der > freiwirtschaftliche Befund: System (Marktwirtschaft) an sich > gut und natuerlich, aber gewisse Kreise (Geldkapital) > missbrauchen es unnatuerlicherweise zu ausbeuterischen Zwecken > - will von objektiven Gruenden und Zwecken des Kapitalismus > nichts wissen und betrachtet ihn als Ausfluss der > Ausbeutermentalitaet, der Raffgier eines besondren > Menschenschlages. Von hier aus ist es dann zwar kein > zwangslaeufiger, aber auch kein sonderlich weiter Schritt, um > die moralische Entgegensetzung von "schaffendem" und > "raffendem" Kapital nun endlich VOLLENDS von irgendwelchen > Erinnerungen an oekonomische Formbestimmungen des Kapitals > abzukoppeln und sich diesbezueglich auf den Standpunkt jener > Ideologie zu stellen, die jene moralische Entgegensetzung erst > so richtig publik und populaer gemacht hat: auf den Standpunkt > des Faschismus. Ja, ja, das kennen wir bereits zur Genüge. Damit sind sie immer schnell bei der Hand, mit dem Rassismus-Faschismus-Vorwurf; fehlt bloss noch der Sexismus, dann wären wir bei der üblichen Antifa-Litanei angelangt. Manchmal drängt sich einem beim Lesen solchen Geschreibes die Frage auf, welche pschologischen Mechanismen hier eigentlich am Werke sind. Ist das die Hinausprojektion des eigenen verdrängten Schuldbewusstseins? Weil man noch immer schweigt zu den greulichen Verbrechen, den Massakern, die die Genossen im Namen der Menschheit begangen haben? Oder ist es bloss verzweifeltes um-sich-Schlagen angesichts einer weitgehend sachlichen aber stichhaltigen und ziemlich vernichtenden Kritik an der eigenen längst zur Weltanschauung ausgebauten Lieblingstheorie? > 12. Die faschistische Kritik am Kapitalismus - sozusagen der > "Antikapitalismus des dummen Kerls" (Juergen Elsaesser - frei > nach Engels) - macht aus dem in der freiwirtschaftlichen > Theorie vorhandenen strukturellen Rassismus das, wozu dieser > Rassismus als Rassismus einzig taugt: eine NATIONALISTISCHE > Kritik am "raffenden" Kapital. Die moralische Entgegensetzung > von "schaffendem" und "raffendem" Kapital schreitet so zur > Entgegensetzung von "gutem", weil deutschem und damit > "schaffendem" Kapital einerseits und "schlechtem", weil > internationalem, also volksfremdem und mithin bloss > "raffendem" Kapital andrerseits. > 13. Statt "international" kann man im letzten Satz auch > "juedisch- international" einsetzen: Zum einen wurden die > Juden im Mittelalter von der christlichen Kirche in die > Sphaere der Geldgeschaefterei gedraengt, zum andern hatten die > Juden zur Zeit der Entstehung und Reifung der ideologischen > Entgegensetzung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital > keinen "eigenen" Staat, sondern lebten in vieler Herren > Laender. Diese zwei Umstaende in Tateinheit miteinander > "MUSSTEN" ja jeden aufrechten deutschen Volksgenossen gegen > die Juden einnehmen. Als Kritik der Nazi-Ideologie mag das alles ja irgendwie brauchbar sein. Als Kritik der Freiwirtschaft leider nicht. Gegen die Freiwirtschaft gewandt ist das billige Polemik, auf die allenfalls Leute hereinfallen können, die von freiwirtschaftlichen Ideen bislang noch überhaupt nichts gehört haben, und sich nach Lektüre dieser "Thesen" natürlich auch niemals mehr ernsthaft damit befassen werden. Es ist im übrigen unnötig, diese Thematik hier weiter zu vertiefen, das hat schon jemand anders besser gemacht, als ich es je könnte. Daher hier nur ein Verweis: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/schmitt/entditfurth/ In diesem Artikel wird der ganze Komplex der Rassismus-Faschismus-Sexismus Vorwürfe gegen Gesell eindrucksvoll widerlegt. > 14. Da die Freiwirte bislang keine rationelle Kritik am > Nationalismus zustande bekommen haben, vielmehr meist selbst > Anhaenger des gewoehnlichen buergerlichen Nationalismus sind, > ist klar, dass freiwirtschaftliche Sympathien fuer den > Nationalsozialismus, die in den 30er Jahren durchaus keine > Seltenheit waren, absolut keinen "Ausrutscher" darstellen: > Wenn auch von den meisten Vertretern der Freiwirtschaft nicht > vollzogen, ist der Uebergang zu einer faschistischen Kritik am > Kapitalismus doch durchaus eine LOGISCHE Konsequenz aus Silvio > Gesells falscher, weil moralischer Entgegensetzung zwischen > produktivem und zinstragendem Kapital. Um es noch einmal ganz klarzustellen: Diese angebliche "falsche, weil moralische Entgegensetzung zwischen produktivem und zinstragendem Kapital" ist eine freie Erfindung des marxistischen Autors und hat nichts aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Herr Gesell geschrieben oder gesagt hat. Es erübrigt sich aus diesem Grund auch, auf die folgenden zwei Absätze einzugehen. > 15. Ist die Losloesung des Gegensatzes von produktivem und > zinstragendem Kapital von jedweder oekonomischen Bestimmung > erstmal so weit fortgeschritten, dass sich jeder Antisemit > darin heimisch fuehlen kann, lassen sich auch schnell weitere > Schmarotzer am oekonomischen Volkskoerper ausmachen: die > Asylanten, die Auslaender, die Sozialhilfeempfaenger, > irgendwelche Gewerkschafts-"Bonzen" etc. > 16. Die Verabsolutierung des Gegensatzes zwischen produktivem > und zinstragendem Kapital KANN zu faschistischen Ejakulationen > des freiwirtschaftlichen Geistes fuehren, MUSS es aber > keineswegs. So gibt es unter den Freiwirten auch eine ganze > Reihe Leute, die den (im Original latent vorhandenen) > strukturellen Rassismus der Gesellschen Lehre nicht mitmachen > (aber auch nicht wahrhaben) wollen. Diese Leut' haben sich > wenigstens eine Erinnerung daran bewahrt, dass der Begriff > 'Kapitalismus' keine moralische Kategorie darstellt, sondern > ein objektiv-reales System kennzeichnet, das entsprechend > struktural- logisch erklaert gehoert. Zum Kreis solcher > kritischen Vertreter der Freiwirtschaft - die wir hier mal als > linken Fluegel der freiwirtschaftlichen Bewegung oder kurz als > freiwirtschaftliche Linke zusammenfassen wollen - zaehlen > beispielsweise Leute wie Wilhelm Schmuelling und Bernd > Hercksen (beides Redakteure der "ueberkonfessionellen" > Freiwirte-Zeitung "Der dritte Weg"), Johannes Heinrichs (Autor > des Buches "Der Sprung aus dem Teufelskreis"; versucht, eine > Bruecke zwischen Freiwirtschaft und Sozialismus zu schlagen), > Klaus Schmitt (Anarcho-Freiwirt; Herausgeber und Hauptautor > des Buches "Silvio Gesell - 'Marx' der Anarchisten?"; hat vor > kurzem das alte Anarchoblatt "883" wieder zum Leben erweckt) > und Bernd Senf (der eigentlich kein richtiger Freiwirt ist, > der Gesellschen Lehre aber viel Sympathie entgegenbringt; > Autor des Buches "Der Nebel um das Geld"). Das > linksgesellianische Spektrum reicht bis tief in die libertaere > Scene hinein und sollte daher in den innerlibertaeren > Diskussionsprozess mit einbezogen werden. Unser marxistischer Autor scheint am Ende aber doch noch etwas sachlichere Kritik loswerden zu wollen: > 17. Den Kapitalismus kann man auch durch noch so viel > Herumdoktern an Geldkapital und Grundeigentum nicht > ueberwinden - ihn treffen koennte man damit aber > moeglicherweise schon: Wuerde der Zins, wie die Freiwirte > eswollen, gegen Null gehn, waere zum einen die Macht des > Geldkapitals stark eingeschraenkt oder sogar gebrochen, zum > andern waere u.a. eine nicht unbetraechtliche > Reallohnerhoehung die Folge. Daher wuerden wir jeden Erfolg > der freiwirtschaftlichen Linken in dieser Richtung begruessen > - allerdings ohne uns davon in irgendeiner Weise abhaengig zu > machen; denn die ganzen von den Freiwirten ersonnenen > "antikapitalistischen" Massnahmen sind durch die Bank weg > solche, die vom STAAT und seinen Institutionen umgesetzt > werden muessen (- das ist bei Marktwirtschaftfans auch nicht > anders zu erwarten -), und ebendieser Staat ist die politische > Gewalt der kapitalistischen Oekonomie und verliert diese > Bestimmung nicht schon dadurch, dass er freiwirtschaftliche > Reformen durchzieht (die ja grade NICHT auf die Ueberwindung > des KAPITALISMUS SELBST, sondern guenstigstenfalls auf die > Einschraenkung oder Brechung der Macht des GELDkapitals > hinauslaufen wuerden). = Interessanterweise wird offen zugegeben, dass die von der Freiwirtschaft beabsichtigte Abschaffung des Zinses (besser: seine Fortexistenz auf dem Durschnittsniveau Null) nicht nur die Macht der Geldvermögen brechen würde, sondern auch noch die Reallöhne stark anheben würde. Was ist aber am Kapitalismus, möchte man fragen, bitte noch kapitalistisch, wenn die Reallöhne schliesslich soweit steigen, dass die Nettokapitalrendite gleich den Geldzinsen im Durchschnitt zu Null wird? Wie soll es andererseits möglich sein, dass die Geldzinsen gegen Null gehen, wenn die (Real-)Kapitalrendite nicht ebenfalls zu Null wird? Und wenn der Kritiker schon einsieht, dass ein Sinken des Geldzinses auch die Renditen aus Produktionsunternehmen verringert (denn nichts anderes bedeutet ja eine Reallohnerhöhung), wieso glaubt er dann immer noch daran, dass der Mehrwert ausschliesslich in der Produktionssphäre seinen Ursprung hat? Wie soll bei sinkenden Zinsen die Macht, das arbeitsfreie Einkommen der Eigentümer des Realkapitals sich auf die Dauer erhalten können, wenn alles Geld was nicht für den Konsum verbraucht wird, in die realwirtschaftlichen Investitionen drängt, solange dort noch irgendwelche noch so niedrigen Renditen zu holen sind? Und wenn diese ganzen Investitionen die Nachfrage nach Arbeit so weit erhöhen, dass die Renditen noch weiter sinken, etc...? Und wie kann man schlussendlich behaupten, dass ein Staat, der solches, nämlich das Sinken der Kapitalzinsen auf Null, per gesetzlicher Änderung des Geldwesens bewirken würde, also genau das täte, was im Interesse der arbeitenden Bevölkerung läge, nach wie vor im Interesse des Kapitals handelt? Oder soll "im Interesse des Kapitals" heissen "im Interesse der Wirtschaft"? > 18. Ausgerechnet den STAAT zum Subjekt eines > antikapitalistischen Prozesses machen zu wollen, ist ein > paradoxes Unterfangen, und zwar eines, das sich die Freiwirte > sowohl mit sozialbewegten Faschisten wie auch mit der > klassischen Linken und der traditionellen Arbeiterbewegung > teilen. Fuer die Befreiung der Individuen vom Kapitalismus auf > eine Macht zu setzen, die nicht ihre eigene ist, kann zu allem > moeglichen fuehren, nur eben zu jener Befreiung nicht; im > guenstigsten Falle resultiert aus dem Setzen auf die > Staatsmacht ein voruebergehend gemaessigter Kapitalismus > (freiwirtschaftliche Ordnung) oder ein "Kapitalismus ohne > Kapital" (Staatskapitalismus bzw. Staatssozialismus), im > unguenstigsten Fall faschistische Barbarei. Eine solche Fixierung auf den Staat als Garant einer freiwirtschaftlichen Ordnung ist - ebenso wie die Vorwürfe in Richtung Moralismus, Faschismus, etc... - wiederum nirgendwo bei Gesell tatsächlich nachzulesen. Er geht vielmehr ganz schlicht von den gegebenen Umständen aus, und die waren zu seiner Zeit, und sind es auch heute noch, dergestalt, dass gesellschaftliche =DCbereinkünfte im Rahmen von Gesetzen und auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden. Das muss keineswegs für immer so bleiben und ist auch in keiner Weise Voraussetzung, um die Ideen Gesell's umzusetzen. Eher scheint es mir, als würde sich die Umsetzung dieser Ideen noch mindestens bis zu dem Tag hinziehen, an dem es endlich so etwas wie eine weltweite einheitliche Währung gibt. Wenn man Gesell's Vorschläge zur Neuordnung des Bodenrechts liest, dann ergibt sich der Eindruck, dass der Herr Gesell ein ausgesprochener Gegner vielleicht nicht des Staates an sich, aber ganz bestimmt jeder Form von Nationalismus und Nationalstaat war. Und was die "Befreiung der Individuen vom Kapitalismus" angeht, so müssen sich auch befreite Individuen auf irgendwelche Standards und Normen des Zusammenlebens einigen. Dazu gehört sicher auch irgendeine Form von Rechtswesen, denn nicht immer sind die Menschen - schon gar nicht befreite - ein Herz und eine Seele. Wollen die befreiten Individuen lieber beim Privateigentum an den Produkten ihrer Arbeit bleiben, dann wäre es auch ratsam, ein allen dienendes Geldsystem zu haben, um diese ihre Produkte leichter austauschen zu können. > 19. Sofern die freiwirtschaftlichen Massnahmen zur Einfuehrung > der "Natuerlichen Wirtschaftsordnung" ueberhaupt irgendeine > Chance auf Verwirklichung haben - was wir, ehrlich gesagt, zu > bestreiten wagen - , koennen sie, wie schon erwaehnt, > allenfalls zur Einschraenkung oder Brechung der Macht von > Geldkapital und Grundeigentum fuehren. Fuer die Arbeiter > wuerde das zwar eine betraechtliche Reallohnerhoehung mit sich > bringen, aber weder Kapital noch Lohnarbeit haetten zu > existieren aufgehoert. Die Konkurrenz der Kapitale wuerde sich > zunaechst mal auf deutlich reduzierter Stufenleiter bewegen, > der eine oder andre Unternehmer wuerde seinen durch die > deutliche Minderung oder gar Abschaffung des Zinses > gestiegenen Gewinn womoeglich sogar zur Schaffung neuer > Arbeitsplaetze nutzen. Aber es widerspraeche sowohl dem > Begriff der Konkurrenz wie auch dem des Kapitals, einen > bestimmten Status einfach beizubehalten. "Die Konkurrenz > schlaeft nicht", weiss noch jeder Unternehmer zu berichten, > und das ist nichts andres als die alltagssprachliche > Uebersetzung der im Begriff des Kapitals gegebenen > quantitativen Masslosigkeit desselben. Weder im Begriff des > Kapitals noch in dem der Konkurrenz findet sich irgendein > Anhaltspunkt fuer ein im Endlichen liegendes Ziel. Die > Einfuehrung der NWO wuerde also nur zu einer voruebergehenden > sozialen Abmilderung des Kapitalismus fuehren; nach einiger > Zeit waer' alles wieder so wie vorher: die Realloehne waeren > wieder auf den alten Stand gesunken, die Arbeitslosenzahlen > haetten sich wieder auf's Ansteigen verlegt, die Renten waeren > womoeglich noch unsicherer und mickriger geworden, als sie > vorher schon gewesen waren, etc. etc. Das waere dann der > PRAKTISCHE Beweis dafuer, dass es eben NICHT die > Zinsherrschaft ist, was das Wesen des Kapitalismus ausmacht > ... Vertreter der Freiwirtschaft würden sicher gerne die Probe aufs Exempel machen. Noch ist der praktische Beweis ja nicht erbracht, wenngleich einige Freiwirte meinen, dass die sporadischen und z.T. unfreiwilligen Freigeld-Experimente in der Geschichte (Wörgl, Baktreaten) eher für den Erfolg der Freiwirtschaft sprechen als dagegen. Weiterhin: Es mag Anhänger der Freiwirtschaft geben, die ein wie immer geartetes Endstadium anstreben oder glauben, dass dieses durch Freigeld erreichbar wäre, wie es auch Freiwirtschaftler gibt, die sich vom Freigeld einen Vorteil für die Umwelt erhoffen. Bei Gesell wird man all dies vergeblich suchen. Im Gegenteil: Nach Gesell ist es gerade die enorme Dynamik der marktwirtschaftlichen Konkurrenz, die dazu führen muss, dass bei sinkenden Geldmarktzinsen (endlich) soviel Geld in *reale* Güter (Fabriken, Häuser, etc..) investiert wird, dass deren Knappheitsrendite automatisch im gleichen Masse fällt, wie die Zinsen. Welcher Vermögende würde sein Portfolio nicht sofort in Richtung Produktion und Direktinvestition umschichten, wenn die Zinsen genügend fallen? Und der Reallohn der Arbeitenden steigt dann genau deswegen, weil die Nachfrage nach Arbeit bei gleichem Anbegot steigt, was die Arbeitslosigkeit auf ein absolutes Minimum reduzieren würde, etc.. Das kann natürlich nur nachvollziehen, wer nicht mehr an die Bestimmung der Lohnhöhe durch das Existenzminimum glaubt. Zur Instabilität: Wenn in einer etablierten Freiwirtschaft, in der die Renditen insgesamt auf Null gefallen sind, die Dynamik der Konkurrenz und der technischen Entwicklung wieder einmal dazu führt, dass ein Unternehmen menschliche Arbeitskraft einsparen kann, dann wird sich hierdurch sicherlich zunächst ein gewisser Pioniergewinn für dieses Unternehmen ergeben. Aber genau die Konkurrenz führt dann logischerweise dazu, diesen Extragewinn bald wieder zunichte zu machen. Dauerhaft könnte sich höchstens dann ein positiver (Netto-) Kapitalzins einpendeln, wenn die Dynamik der technischen Entwicklung permanent dem Ausgleich der Renditen durch die Konkurrenz voraneilt. > 20. Zum Schluss ein dringender Rat an alle Linksgesellianer: > Ihr muesst Euch schon entscheiden: Entweder Ihr wollt nicht > von dem paradoxen Unterfangen Eures Meisters lassen, den > Kapitalismus abschaffen zu wollen, ohne das Kapital selbst > anzugreifen - dann solltet Ihr aber so konsequent sein und > Eurem Ansinnen ehrlicherweise den Titel "Befreiung des > Kapitalismus von der Zinsknechtschaft" geben; oder aber Ihr > nehmt es mit der Kritik des Kapitalismus ernst - dann nehmt > aber auch den Kapitalismus als SYSTEM ernst und hoert damit > auf, ihn letztlich doch immer nur als Verzerrung oder > Entartung eines Systems zu betrachten, dem Ihr lauter > unwidersprechlich gute Zwecke unterstellt! Wir jedenfalls > halten auch eine GESELLige Marktwirtschaft fuer eine ganz und > gar nicht gesellige, sondern ausgesprochen ungemuetliche > Angelegenheit. Wenn durch Einführung des Freigeldes die Kapitalrenditen *allesamt* tatsächlich zu Null werden, so wie es sich Herr gesell vorgestellt hat, dann ist der Fehler im SYSTEM auch tatsächlich behoben. Dann erhält die arbeitende Bevölkerung den vollen Arbeitsertrag ohne irgendwelche Abzüge. Man kann das Ergebnis, wenn man denn unbedingt will, immer noch als Kapitalismus bezeichnen, aber der Name passt dann eigentlich nicht mehr richtig, da es ja keine Kapitalisten mehr gibt. Auch wird ein solche Bezeichnung nichts daran ändern, dass die Marktwirtschaft dann genau den Zweck erfüllen kann, zu dem sie von den Menschen *erfunden* wurde: dem effizienten und gerechten Austausch des Reichtums der durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung hervorgebracht wird. Ob eine solche Welt weniger "gemütlich" wäre als eine - wahrscheinlich deutlich ärmere - Welt, in der es kein Privateigentum gibt, ist zumindest fraglich. Konkurrenz hat sicher einen ungemütlichen Aspekt. Aber unGESELLig muss sie deswegen nicht sein, und ausserdem hindert sie einen auch daran, allzu träge und selbstgenügsam zu werden. Benjamin Franksen