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Benjamin Franksen aus der Newmoney-Mailingliste nahm im Mai 2000 Stellung zu 
"Die gesellige Läuterung  des Kapitalismus - 20 Thesen 
zur Freiwirtschaft" des Autorenkollektivs "isis-Projektgruppe". 
Dabei handelt es sich um einen Artikel der
 
  trend - Onlinezeitung für die alltägliche Wut. 

Im Netz urspruenglich unter folgender URL zu finden: 
http://trend.partisan.net/trd1298/t291298.html


  
> 1. Die freiwirtschaftliche Bewegung - begruendet durch den
> deutsch-argentinischen Kaufmann Silvio GESELL (1862 - 1930) -
> treibt ein paradoxes Ansinnen um: Angetreten, den Kapitalismus
> aus der Welt zu schaffen, will sie doch nicht an seinen
> Grundlagen ruetteln. Stattdessen reisst sie den inneren
> Zusammenhang kapitalistischer Marktwirtschaft auseinander und
> betreibt ihre Gegnerschaft zum Kapitalismus grade im Namen der
> Marktwirtschaft.


Man sollte als erstes klarstellen, was die Freiwirtschaft unter
Kapitalismus versteht: Sie versteht darunter eine marktwirtschaftliche,
also u.a. Eigentum respektierende Wirtschaftsordnung, in der sich aus
dem Eigentum an Vermögensgütern ein (arbeitsfreies) Einkommen, genannt
Zins oder Rendite, erzielen lässt, im Gegensatz zu einer, in der
Einkommen ausschliesslich durch Arbeit (und freiwilligem Transfer)
entsteht.

Der Marxismus sieht den Ursprung arbeitsfreier Einkommen in der
Produktionssphäre, die Freiwirtschaft hingegen in der Zirkulationssphäre
(um es einmal in Marx'scher Terminologie auszudrücken). Jede der beiden
Theorien muss daher zwangsläufig zum Schluss kommen, die
Kapitalismus-Kritik der jeweils anderen würde in Wahrheit "nicht an den
Grundlagen des Kapitalismus rütteln". Ohne eine sachliche
Gegenüberstellung der beiden Theorien kommt man also nicht weiter.

Leider sucht man eine solche sachliche Kritik in den ganzen 20 Thesen
vergeblich.

> 2. Das Geschaeft, die Marktwirtschaft von ihren
> "kapitalistischen Verzerrungen" zu befreien, verwechselt
> konsequent Oekonomie mit Moral: Freiwirtschaftler sehen im
> Kapitalismus den Missbrauch einer an sich guten Sache am Werk,
> deren Gutheit sie auch gleich schon fuer so unwidersprechlich
> halten, dass sie der vom kapitalistischen Zugriff befreiten
> Marktwirtschaft glatt das Praedikat "natuerlich" zusprechen:
> "Natuerliche Wirtschaftsordnung" (NWO) hat Gesell sein Konzept
> einer freiwirtschaftlich kastrierten Marktwirtschaft genannt -
> und dabei ueberhaupt nicht gemerkt, wie paradox es ist, eine
> Ordnung als "natuerlich" zu bezeichnen, die man doch erst
> SCHAFFEN will. 


Wenn man von der Kritik an der irreführenden und nicht sehr glücklichen
Namensgebung ("natürliche Wirtschaftsordnung") einmal absieht, dann
bleibt auf der inhaltlichen Ebene der Vorwurf, die Freiwirtschaft
verwechsle Oekonomie mit Moral, da sie die Marktwirtschaft als eine im
Grunde gute Sache, den Kapitalismus (also die arbeitsfreien Einkommen
aus Vermögen) hingegen als etwas schlechtes ansieht.

In der moralische Bewertung des Kapitalismus unterscheiden sich
Marxisten und Freiwirtschaftler wohl kaum. Anders bei der
Marktwirtschaft, denn da die Marxisten davon überzeugt sind, dass
Markwirtschaft und Kapitalismus letztlich ein und dasselbe sind,
verlangen sie natürlich, dass man die Marktwirtschaft ebenfalls als eine
üble Sache ansieht.

Nun kommt aber die freiwirtschaftliche Theorie zum Schluss, dass die
Marktwirtschaft *nicht* notwendig identisch mit dem Kapitalismus sein
muss, sondern - unter geeigneten Umständen - diesen sogar zu beseitigen
vermag, was zu einer etwas anderen Bewertung der Marktwirtschaft führt.

Vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Frage, ob die
Marktwirtschaft etwas gutes oder schlechtes ist, von untergeordneter
Bedeutung, solange man sich noch über die zentrale Frage streitet: Was
ist die Ursache der arbeitsfreien Einkommen in der marktwirschaftlichen
Ökonomie?

> 3. Entsprechend ihrem praktischen Zweck, mit der
> marktwirtschaftlichen Form der kapitalistischen Oekonomie
> gegen deren Inhalt zu Felde zu ziehen, betaetigen sich
> Freiwirte in ihrer Theorie als schlechtes Gewissen der
> buergerlichen Volkswirtschaftslehre (VWL), deren ideologischen
> Boden sie in keinem Moment verlassen: Wie die VWL behaupten
> sie oekonomische Bestimmungen des in der buergerlichen
> Gesellschaft hervorgebrachten Reichtums wie Ware, Geld und
> Kapital als seine natuerlichen Eigenschaften und den im
> Privateigentum per staatlicher Gewalt hergestellten Ausschluss
> andrer vom gesellschaftlichen Reichtum als der "menschlichen
> Natur" gemaess. (Seltsam, dass die menschliche Natur bzw. das
> ihr Gemaesse immer erst der staatlichen Gewalt bedarf, um
> Gueltigkeit zu erhalten ...)


Noch seltsamer sollte es dem Marxisten vorkommen, dass das von ihm
propagierte kollektive Eigentum - wie die jüngere Geschichte ja recht
deutlich gezeigt hat - noch erheblich viel stärkere staatliche Kontrolle
und Gewaltausübung benötigt, um sich überhaupt zu etablieren und danach
zumindest eine Weile über Wasser halten zu können.

Abgesehen davon, behauptet etwa S. Gesell nirgendwo, dass "Ware, Geld
und Kapital" "natürliche Eigenschaften" des gesellschaftlichen Reichtums
seien. Genau wie Herrn Gesell, muss es doch jedem klar denkenden
Menschen ganz offensichtlich erscheinen, dass jede Form von
Privateigentum ein Anrecht ist, welches auf die Dauer nicht ohne einen
gesellschaftlichen Schutz (insbesondere vor gewaltsamer Aneignung)
überleben kann. Dass es hierzu unbedingt eines staatlichen
Gewaltmonopols bedarf, kann bezweifelt werden, aber das ist eine
vollkommen andere Fragestellung.

Selbst wenn man davon absieht, dass die Menschen das Privateigentum dem
kollektiven Eigentum offensichtlich vorziehen (und es gibt eine ganze
Reihe von sehr rationalen Gründen für diese Präferenz), dann muss es
doch wohl unabhängig davon erlaubt sein, dieses als gesellschaftliche
Übereinkunft zunächst einmal vorauszusetzen. Marx selber geht in seiner
Analyse ("Das Kapital") ja ähnlich vor, indem er nämlich zunächst den
stark abstrahierten und idealtypischen Fall einer Gesellschaft von
freien und unabhängigen Produzenten betrachtet, die ihre
Produktionsmittel, wie auch die Produkte ihrer Arbeit, selber besitzen.
Noch kein Marxist hat dieses Vorgehen als einen "auf dem ideologischen
Boden der buergerlichen Volkswirtschaftslehre" gewachsenen und daher zu
verwerfenden Ansatz bewertet, ganz zu schweigen von der Marx'schen
Arbeitswertlehre, bei der er ja ganz offensichtlich dieselbe Ansicht
vertritt, wie seinerzeit die Klassiker der bürgerlichen politischen
Ökonomie wie Adam Smith und nach diesem Ricardo.

> 4. An Ware, Geld und Kapital selbst wollen die Freiwirte den
> Kapitalismus nie und nimmer entdecken (- eine Blindheit
> uebrigens, mit der heutzutage auch der groesste Teil der
> Linken geschlagen ist). Ganz ehrlich von der Schlechtigkeit
> des Kapitalismus ueberzeugt, koennen sie dessen Gruende und
> Zwecke wie auch seine Struktur unmoeglich in denjenigen
> Verhaeltnissen auffinden, die sie ja grad' als natuerliche und
> der Menschennatur gemaesse behauptet haben. So kann das
> Kapitalistische nur noch von aussen in die Welt der
> Marktwirtschaft gelangt sein. Die Freiwirte entdecken es dort,
> wo auf dem Markt Transaktionen stattfinden, die ganz
> offenkundig dem Grundsatz des Aequivalententausches (an dem
> selbst sie ja nichts auszusetzen finden) zu widersprechen
> scheinen: Am zinstragenden Kapital (Geldkapital/Kredit)
> bemerken sie das Paradoxon, dass Geld, d.h. der MASSSTAB aller
> Preise, hier selbst einen Preis HAT - den ZINS eben:
> Geliehenes Geld ist nicht etwa damit bezahlt, dass man es
> einfach wieder zurueckzahlt, sondern man muss immer mehr
> zurueckzahlen, als man sich ausgeliehen hat. Das finden
> Freiwirte hoechst ungerecht.


Dass sie es ungerecht finden, ist eine Sache. Dass die marxistische
*Erklärung* dieser Tatsache als falsch und irreführend ertlarvt wird,
und stattdessen eine sehr viel überzeugendere Erklärung angeboten wird,
ist eine andere.

Ansonsten offenbart der obige Abschnitt entweder erschreckendes Ausmass
an Unwissen über die Freiwirtschaft oder aber es handelt sich um eine
absichtliche Verdrehung, um eine unliebsame Idee zu diskreditieren.

Der Freiwirtschaft wird unterstellt, sie könne an "Ware, Geld und
Kapital nicht den Kapitalismus entdecken". Wer immer das Buch von Gesell
gelesen hat, kann über eine solche Behauptung nur ungläubig den Kopf
schütteln. Wo doch die *zentrale These* Gesell's, nämlich dass die
Überlegenheit des Geldes über die Waren das Kapital (im Sinne von
Vermögen) erst zum Kapital (im Sinne von arbeitsfreien Einkommen) werden
lässt, genau die drei Elemente "Ware, Geld und Kapital" zum Kern hat und
zueinander in Beziehung setzt.

Weiter wird unterstellt, die Freiwirtschaft betrachte das
Kapitalistische als irgendwie "von aussen kommend", da sie "dessen
Gruende und Zwecke wie auch seine Struktur unmoeglich in denjenigen
Verhaeltnissen auffinden, die sie ja grad' als natuerliche und der
Menschennatur gemaesse behauptet haben." Fröhlich werden hier Ursache
und Wirkung miteinander vertauscht: Weil die Freiwirtschaft die Ursache
der Renditen nicht dort sieht, wo der Marxist sie gerne sehen möchte,
nämlich nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln an sich, sondern
in der durch die Funktionsweise des Geldes bedingten Knappheit
derselben, und weil sich hiergegen so schlecht inhaltlich argumentieren
lässt, dreht man einfach den Spiess um und behauptet, die
Freiwirtschaftler würden die Marx'sche Einsichten aus ideologischen
Gründen ablehnen, um bloss ja die Mrktwirtschaft retten zu können. Das
entspricht aber nicht den Tatsachen: Gesell beschäftigt sich sehr wohl
inhaltlich mit der Marx'schen Erklärung des Zinses und widerlegt ganz
klar die Stichhaltigkeit seiner Argumentation, siehe etwa das Kapitel
5.6 über alternative Zinstheorien.

Doch damit nicht genug: obendrein unterstellt der Marxist noch die nicht
im geringsten vorhandene Übereinstimmung mit dem "Grundsatz des
Aequivalententausches", eine Vorstellung der S. Gesell mehrfach ganz
massiv widerspricht. Denn dieser sogenannte "Äquivalententausch" beruht
auf einer Werttheorie, die meint, den Wert (also den durchschnittlichen
Verkaufspreis) der Waren auf ein allgemeines Prinzip (wie etwa der
durchschnittlichen gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit) zurückführen zu
können. Gesell hingegen lehnt Werttheorien jeder Art grundsätzlich ab,
da sie seiner Ansicht nach zur Klärung wirtschaftlicher Fragen nicht nur
nicht benötigt werden, sondern im Gegenteil den klaren Blick auf die
Zusammenhänge verschleiern.

Zu guter Letzt und um das Mass voll zu machen, wird auch noch
unterstellt, die Freiwirtschaft würde dem gleichen Irrtum anhängen wie
die bürgerliche VWL, nämlich den Zins als "Preis des Geldes" ansehen.
Dieser Ansicht widerspricht Gesell in dem oben genannten Kapitel
mehrfach explizit.

Fazit: Noch mal nachlesen, bitte! (Diesmal vielleicht etwas weniger
voreingenommen.)

> 5. Im zinstragenden Kapital, in dem direkten, scheinbar durch
> keine Zwischenglieder mehr vermittelten Austausch von Geld
> gegen mehr Geld, wird eine fundamentale Wahrheit offenbar:
> Kapital ist eine leistungslose Aneignung von Reichtum, den
> andre schaffen. Freiwirte haben diese Wahrheit durchaus
> erkannt, wollen sie jedoch nur fuer das zinstragende, das
> Finanzkapital gelten lassen; das produktive (und weitgehend
> auch das kommerzielle) Kapital wie auch dessen Funktionaere,
> die Unternehmer (die fungierenden Kapitalisten), zaehlen sie
> in ihrer Kapitalismustheorie mit zu den OPFERN des
> Kapitalismus.

Wieder werden der Freiwirtschaft Ansichten unterstellt, die ihr fremder
nicht sein könnten. Es drängt sich langsam der Verdacht auf, dass der
Autor dieser Zeilen nicht einen einzigen Grundgedanken Gesell's
verstanden hat oder vielleicht auch nicht verstehen wollte.

Erstens basiert die Gesell'sche Zinstheorie nicht im geringsten auf dem
"scheinbar durch keine Zwischenglieder mehr vermittelten Austausch von
Geld gegen mehr Geld", sondern erklärt den Zins aus dem Tausch von
*Waren* gegen Geld. Davon mag man nun halten, was man will, man sollte
es in jedem Fall erst mal zur Kenntnis nehmen.

Zweitens offenbart sich die "fundamentale Wahrheit", dass *jede Form*
von Rendite eine "leistungslose Aneignung von Reichtum" darstellt, für
Herrn Gesell keineswegs erst durch den Darlehenszins; Sie liegt für
Gesell vielmehr von vorneherein auf der Hand, unabhängig davon, ob
dieses sich nun aus dem Eigentum an Unternehmensanteilen, Häusern,
Grundstücken, Wertpapieren, Geld oder welchen Formen von Vermögen auch
immer herleitet. Dem Marxisten muss es freilich zunächst unklar sein, ob
hier eine Aneignung ohne Gegenleistung vorliegt, da er ja im Gegensatz
zum Freiwirtschaftler, von der Werttheorie irregeleitet, an den Tausch
von "Äquivalenten" glaubt. Dass die Freiwirtschaft diese Bewertung "nur
fuer das zinstragende, das Finanzkapital gelten" lässt, ist eine pure
Erfindung. Richtig ist, dass die Freiwirtschaft im Geld, oder besser
gesagt in den besonderen Eigenschaften des üblichen Geldes, die Ursache
für den Geldzins sieht und daher mittelbar die Ursache für jede Form von
Renditen (ausser der Grundrente).

Drittens wird der Unternehmer von der Freiwirtschaft nur insofern als
Opfer des Kapitalismus angesehen, als er selber Arbeiter ist, also
gesellschaftlich nützliche Arbeiten (organisatorischer und planender
Natur) erledigt, keinesfalls jedoch in seiner Funktion als
Kapitaleigentümer und Bezieher von Renditen jedweder Art. Es erfordert
sicher ein gewisses Mass an Abstraktionsvermögen, diese beiden Funktionen
sauber voneinander zu unterscheiden, auch wenn sie sich in einer Person
vereinigen, aber gerade einem Marxisten sollte dies nicht gar so schwer
fallen.

> 6. Auf diese Weise geraet den Freiwirten der Gegensatz
> zwischen zwei FUNKTIONSBESTIMMUNGEN des Kapitals: einerseits
> fungierendes, andrerseits zinstragendes Kapital zu sein - zu
> einem MORALISCHEN Gegensatz: Bei ihnen steht "gutes", weil
> produktives, fungierendes, also direkt in die Wirtschaft
> investiertes Kapital gegen "schlechtes", weil zinstragendes,
> also bloss akkumulierendes Kapital. Der kapitalistische
> Grundantagonismus zwischen (Lohn-)Arbeit und Kapital
> verwandelt sich bei den Freiwirten so in einen Gegensatz
> zwischen schaffendem" und "raffendem" Kapital (auch wenn sie
> diese Ausdrucksweise zumeist nicht verwenden) - und
> Lohnarbeiter und Unternehmer finden sich ploetzlich sozusagen
> auf derselben Seite der Barrikaden wieder.


Der vielbeschworene "kapitalistische Grundantagonismus zwischen
(Lohn-)Arbeit und Kapital" (Kapital hier im Sinne von privat besessenen
Produktionsmitteln) existiert ja gar nicht mehr, sobald man erkannt hat,
dass das *Eigentum* an den Produktionsmitteln nicht notwendigerweise zu
einem *Einkommen* führen muss, jedenfalls dann nicht mehr, wenn es in
genügender Menge vorhanden ist.

Was der Marxist hier kritisiert, ist die oberflächlich gesehen ähnliche
aber im Kern der Freiwirtschaft und den Ideen Gesell's diametral
widersprechende Nazi-Ideologie: Die wendete sich in der Tat vor allem an
Kleinbürger und Kleinunternehmer, die sich durch die Wirtschaftskrise
und die Konkurrenz der Grossunternehmen und auch durch das Finanzkapital
in ihrer Existenz bedroht fühlten. Denen wurde suggeriert, es gäbe gutes
und schlechtes Kapital, etc. Nichts von alledem findet man bei Gesell.
So wird etwa der "Krämer", Lieblingsziel und Hätschelkind der
Nazipropaganda (siehe Parteiprogramm der NSDAP 1932), in der von Gesell
ersehnten Wirtschaftsordnung auf Grund der Erleichterung des Handels in
grossem Masse überflüssig (vgl. Kapitel 4.7.1 "Die nat.
Wirtschaftsordnung"). Ausserdem haben die Nazis ja bekanntlich von ihren
grossspurigen Versprechungen von wegen "Brechung der Zinsknechtschaft"
nichts, aber auch gar nichts gehalten, so dass sich auch hier jede
Gleichsetzerei verbietet.

Um es noch mal ganz deutlich herauszustellen: KEINE Form von
arbeitsfreiem Einkommen aus Vermögen wird von der Freiwirtschaft in
IRGENDWELCHER Weise legitimiert. Stattdessen geht es um die theoretische
Erkenntnis, dass Produktionsmittel erst durch ihre Knappheit zu Kapital
werden, die Knappheit aber wiederum eine Folge des Geldzinses ist.

> 7. So schaffen es Freiwirte, eine Kapitalismuskritik zu
> verfertigen, ohne das Kapital selbst zu kritisieren. Die
> kapitalistische Ausbeutung besteht fuer sie darin, dass eine
> Horde Schmarotzer (Geldkapitalisten, Banken sowie Unternehmer,
> die ihrer wirtschaftlichen "Investitionspflicht" nicht
> nachkommen und einen Teil ihres Kapitals als Geldkapital
> anlegen) die marktwirtschaftliche Ordnung dazu missbrauchen
> wuerde, aus ihr Geld rauszuziehen, es zu horten und das
> gehortete Geld dann, bei groesser werdender Kapitalknappheit
> auf seiten der "produktiven" Unternehmer, gegen Zins dosiert
> wieder in die Wirtschaft zurueckfliessen zu lassen. Indem
> diese verantwortungslosen Raffgeier "kuenstlich"
> Kapitalknappheit erzeugen und auf dieser Basis dann das
> produktive Kapital dazu erpressen, ihnen von seinem sauer
> verdienten Profit permanent was abgeben zu muessen, bringen
> sie die ganze schoene Marktwirtschaft durcheinnder und aus
> ihrem Gleichgewicht: Ein immer groesser werdender Anteil der
> wirtschaftlichen Leistungen muss fuer die Zinszahlung
> aufgebracht werden, waehrend auf seiten des Geldkapitals ein
> staendig wachsender Anspruch auf Reichtum akkumuliert. Die
> Folgen: verschaerfte Konkurrenz, Arbeitslosigkeit, Verarmung
> breiter Bevoelkerungskreise, wachsende Staatsverschuldung,
> unsichere Renten, Krisen usw., ja sogar gewalttaetige Unruhen
> und Kriege.


Eine solcherart polemische und diffamierende Ausdrucksweise ("Horde von
Schmarotzern", "Raffgeier", etc..) findet sich nirgends bei Gesell,
allerhöchstens bei einer gewissen Sorte von Freiwirten, die ich hier mal
als "Orthodoxe" bezeichnen möchte, und die es wohl noch eines Tages
schaffen werden, aus den Ideen Gesell's eine ähnlich dogmatische
Glaubenslehre zu machen wie weiland die Marxisten aus denen von Marx.

Ansonsten auch hier wieder: Durcheinandergewürfelte Mischung aus
Halbwahrheiten und böser Polemik. "Das Kapital" werde von der
Freiwirtschaft nicht kritisiert, sagt der Marxist. Dann sollte er mal
etwas genauer definieren, was er eigentlich unter "dem Kapital", ganz
allgemein, versteht. Wenn das Eigentum an was-auch-immer keine Rendite
(meinetwegen auch: keinen "Mehrwert") mehr erbringt, warum sollte man
dann dagegen sein?

Im Gegensatz zur Marx'schen Lehre befindet sich die freiwirtschaftliche
wenigstens nicht im eklatanten Widerspruch zu den gesellschaftlichen
Realitäten. Die weltweit anzutreffende immerfort zunehmende
Konzentration der Vermögen gegenüber einer immer mehr Zinsen und
Renditen bezahlenden Arbeitswelt ist für jeden Interessierten leicht
nachprüfbar. So manche Folgerung aus der Marx'schen Theorie
("Pauperisierung", also zunehmende Verarmung des Proletariats) jedoch
auffälligerweise nicht.

Weiterhin ist es vom Standpunkt der Freiwirtschaft vollkommen
gleichgültig, in welcher Form die Rendite aus einem Unternehmen an die
Eigentümer fliesst: Ob in Form von Zinszahlungen an Kreditgeber oder in
Form von Aktiengewinnen (ob durch Kursgewinn oder Dividende), all dies
spielt *nicht die geringste Rolle*, auch wenn man dies der
Freiwirtschaftslehre noch so gern unterschieben möchte.

Dass als eine Folge der zunehmenden Verschuldung und der Konzentration
von Vermögen ausgerechnet "verschaerfte Konkurrenz" genannt wird, das
kann wiederum nur einem Marxisten logisch erscheinen. Auch die
Wirtschaftskrisen haben nach Gesell eine erheblich differenziertere
Erklärung, als uns der Marxist hier glauben machen möchte. Ich kann nur
jedem Leser dieser Zeilen empfehlen die entsprechenden Kapitel aus dem
Buch von Gesell selber mal zu lesen, um sich ein eigenes Bild von der
Lage zu machen. Das geht im übrigen auch online unter


http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/gesell/nwo/ 

> 8. Der Befund, zu dem die Freiwirte hinsichtlich der real
> existierenden Marktwirtschaft kommen, ist schon seltsam: Eine
> Wirtschaftsordnung, die an und fuer sich natuerlich und
> menschengemaess ist, hat bislang noch nie anders als der
> Missbrauch, den man mit ihr anstellt, existiert. Statt bei der
> Konstatierung eines solchen Sachverhaltes den Schluss zu
> ziehen, dass mit dieser Wirtschaftsordnung dann vielleicht
> doch etwas nicht so ganz stimmt, dass also Marktwirtschaft
> vielleicht doch nicht so das Ideale ist, halten sie unbeirrt
> an ihrem Dogma fest, dass die Marktwirtschaft an sich edel,
> huelfreich und gut waere, und beteuern, dass, wenn man die
> Moeglichkeit der Geldhortung konsequent unterbinden wuerde,
> die guten und natuerlichen Potenzen der Marktwirtschaft sich
> endlich frei entfalten koennten und so endlich eine wirklich
> "Natuerliche Wirtschaftsordnung" entstuende.

Die bestehende Wirtschaftsordnung wird durchaus sehr unmissverständlich
kritisiert von Seiten der Freiwirtschaft. Nur dass es sich hierbei aus
marxistischer Sicht nicht um "echte Systemkritik" handelt. Das liegt
aber nicht daran, dass sie weniger radikal wäre, sondern daran, dass ihr
der hau-drauf-Charakter, das revolutionäre fehlt, und wahrscheinlich
auch das unerbittliche, unmenschliche und grausige, welches gerade die
kollektivistischen Ideen für manchen besonders anziehend zu machen
scheint.

Inwiefern das Kollektiveigentum im Gegensatz zum privaten
"menschengemaesser" ist, nun, dazu hat gerade die jüngere Geschichte der
Menschheit ja auch einige interessante Fakten beigesteuert (ich denke
etwa an die zig Millionen Todesopfer, die die Zwangskollektivierungen in
China und Russland erforderten, die meisten davon waren Hungertote).

> 9. Bei jenem Personenkreis, der sein Einkommen leistungslos
> ueber Zinseinkuenfte bezieht, muss es sich, der
> freiwirtschaftlichen Logik zufolge, um eine BESONDRE SORTE
> MENSCH handeln; eine Sorte, die sich bestaendig gegen das
> eigentlich Menschengemaesse, gegen die Menschennatur verhaelt.
> (Natuerlich meinen Freiwirte damit nicht die Kleinsparer,
> kleinen Rentner usw., sondern diejenigen, die das
> Zinsscheffeln im grossen Massstab und professionell betreiben:
> eben die Geldkapitalisten, die Banken, Unternehmer, die Teile
> ihres Kapitals lieber gegen attraktive Zinsen als Geldkapital
> anlegen, als es in die Wirtschaft zu investieren usw.).
> Freiwirte vermoegen also der logischen Struktur
> kapitalistischer Marktwirtschaft nicht mehr die Gruende dafuer
> zu entnehmen, dass ein Teil des durch sie hervorgebrachten
> Reichtums NOTWENDIGERWEISE die Form des zinstragenden Kapitals
> bzw. des Zinses annimmt; vielmehr erklaeren sie umgekehrt die
> kapitalistische Formbestimmtheit der Marktwirtschaft aus der
> Raffgier irgendwelcher Geldsaecke, Profitgeier und
> Muessiggaenger. (Von Linken kennt man solche Verkehrungen
> ebenfalls zur Genuege: Statt den Profit und das
> Profitinteresse aus dem Kapitalverhaeltnis herzuleiten,
> betrachten sie letzteres vielmehr als Ausfluss einer
> ProfitGIER der Kapitalisten.)

Hier gleitet die Polemik langsam auf ein Niveau ab, bei dem es schwer
fällt, noch eine sachliche Korrektur anzubringen. Ich würde den Autor
gerne bitten, diese komplett haltlosen Unterstellungen mit Zitaten zu
belegen. Ich denke allerdings, das dürfte ihm schwer fallen.

Liest man das Buch von Gesell, so bekommt man genau den umgekehrten
Eindruck: Gesell betont mehrfach, dass das Zinsnehmen im Rahmen der
existierenden Wirtschaftsordnung eine völlig logische Sache ist, die
ganz klar dem Eigeninteresse des Vermögenden entspricht. An keiner
einzigen Stelle ist von einer "besonderen Sorte Mensch" die Rede, die
sich gegen das "menschengemässe" verhält, etc..

Im Gegenteil: Er legt ganz deutlich klar, dass die Vorteile, die das
Geld als Sparmittel gegenüber den Waren bietet, nämlich seine
Wertbeständigkeit und seine Liquidität, es sind, die es den Waren so
überlegen machen, dass es nicht ohne eine Sonderabgabe freiwillig
hergegeben wird.

Dass die Freiwirtschaft "die kapitalistische Formbestimmtheit der
Marktwirtschaft aus der Raffgier irgendwelcher Geldsaecke, Profitgeier
und Muessiggaenger" erkläre, entstammt der offenbar sehr ausgeprägten
Phantasie des Autors.

> 10. Die freiwirtschaftliche Erklaerung des Kapitalismus
> entpuppt sich damit als eine Erklaerung nur der FORM nach; vom
> eigentlichen Gehalt her besteht sie hingegen vielmehr im
> Waelzen der SCHULDFRAGE: Wer sind die Saeu', die die schoene
> Marktwirtschaft so schaendlich zu ausbeuterischen Zwecken
> missbrauchen, und wie machen die das? Wie schon bei der
> falschen Entgegensetzung, die die Freiwirte zwischen
> produktivem und zinstragendem Kapital machen, sehn wir also
> auch hier MORAL anstelle des Bemuehens um rationelle Theorie
> am Werke. Klar: Wer auf die Marktwirtschaft nichts kommen
> lassen will, muss kapitalistische Ausbeutung entweder leugnen
> oder sie, wie die Freiwirte es tun, in dem VERHAELTNIS
> verorten, das irgendwelche Gierschluende aufgrund ihres
> UEBLEN, AUSBEUTERISCHEN CHARAKTERS oekonomisch ZUR
> Marktwirtschaft einnehmen.


Wer es schafft, in die freiwirtschaftlichen Gedanken eine solche Masse
an total blödsinnigem Schwachsinn hineinzuphantasieren; dem es dabei
obendrein auch noch grossen Spass zu machen scheint, Andersdenkenden in
dieser ekelhaften Weise sowohl einen Sprachgebrauch als auch Inhalte
unterzuschieben, die nichts aber auch gar nichts mit dem zu tun haben,
was diese Leute in Wirklichkeit sagen oder gesagt haben; sojemand hätte
bei einem der Herren Stalin, Mao oder Hitler sicher eine gutbezahlte
Anstellung im Propagandaministerium bekommen.

> 11. Latent enthaelt eine solche Versubjektivierung des
> Kapitalismus einen STRUKTURELLEN RASSISMUS: Der
> freiwirtschaftliche Befund: System (Marktwirtschaft) an sich
> gut und natuerlich, aber gewisse Kreise (Geldkapital)
> missbrauchen es unnatuerlicherweise zu ausbeuterischen Zwecken
> - will von objektiven Gruenden und Zwecken des Kapitalismus
> nichts wissen und betrachtet ihn als Ausfluss der
> Ausbeutermentalitaet, der Raffgier eines besondren
> Menschenschlages. Von hier aus ist es dann zwar kein
> zwangslaeufiger, aber auch kein sonderlich weiter Schritt, um
> die moralische Entgegensetzung von "schaffendem" und
> "raffendem" Kapital  nun endlich VOLLENDS von irgendwelchen
> Erinnerungen an oekonomische Formbestimmungen des Kapitals
> abzukoppeln und sich diesbezueglich auf den Standpunkt jener
> Ideologie zu stellen, die jene moralische Entgegensetzung erst
> so richtig publik und populaer gemacht hat: auf den Standpunkt
> des Faschismus.


Ja, ja, das kennen wir bereits zur Genüge. Damit sind sie immer schnell
bei der Hand, mit dem Rassismus-Faschismus-Vorwurf; fehlt bloss noch der
Sexismus, dann wären wir bei der üblichen Antifa-Litanei angelangt.


Manchmal drängt sich einem beim Lesen solchen Geschreibes die Frage auf,
welche pschologischen Mechanismen hier eigentlich am Werke sind. Ist das
die Hinausprojektion des eigenen verdrängten Schuldbewusstseins? Weil
man noch immer schweigt zu den greulichen Verbrechen, den Massakern, die
die Genossen im Namen der Menschheit begangen haben? Oder ist es bloss
verzweifeltes um-sich-Schlagen angesichts einer weitgehend sachlichen
aber stichhaltigen und ziemlich vernichtenden Kritik an der eigenen
längst zur Weltanschauung ausgebauten Lieblingstheorie?

> 12. Die faschistische Kritik am Kapitalismus - sozusagen der
> "Antikapitalismus des dummen Kerls" (Juergen Elsaesser - frei
> nach Engels) - macht aus dem in der freiwirtschaftlichen
> Theorie vorhandenen strukturellen Rassismus das, wozu dieser
> Rassismus als Rassismus einzig taugt: eine NATIONALISTISCHE
> Kritik am "raffenden" Kapital. Die moralische Entgegensetzung
> von "schaffendem" und "raffendem" Kapital schreitet so zur
> Entgegensetzung von "gutem", weil deutschem und damit
> "schaffendem" Kapital einerseits und "schlechtem", weil
> internationalem, also volksfremdem und mithin bloss
> "raffendem" Kapital andrerseits.



> 13. Statt "international" kann man im letzten Satz auch
> "juedisch- international" einsetzen: Zum einen wurden die
> Juden im Mittelalter von der christlichen Kirche in die
> Sphaere der Geldgeschaefterei gedraengt, zum andern hatten die
> Juden zur Zeit der Entstehung und Reifung der ideologischen
> Entgegensetzung von "schaffendem" und "raffendem" Kapital
> keinen "eigenen" Staat, sondern lebten in vieler Herren
> Laender. Diese zwei Umstaende in Tateinheit miteinander
> "MUSSTEN" ja jeden aufrechten deutschen Volksgenossen gegen
> die Juden einnehmen.

Als Kritik der Nazi-Ideologie mag das alles ja irgendwie brauchbar sein.
Als Kritik der Freiwirtschaft leider nicht. Gegen die Freiwirtschaft
gewandt ist das billige Polemik, auf die allenfalls Leute hereinfallen
können, die von freiwirtschaftlichen Ideen bislang noch überhaupt nichts
gehört haben, und sich nach Lektüre dieser "Thesen" natürlich auch
niemals mehr ernsthaft damit befassen werden.

Es ist im übrigen unnötig, diese Thematik hier weiter zu vertiefen, das
hat schon jemand anders besser gemacht, als ich es je könnte. Daher hier
nur ein Verweis:


http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/schmitt/entditfurth/ 

In diesem Artikel wird der ganze Komplex der
Rassismus-Faschismus-Sexismus Vorwürfe gegen Gesell eindrucksvoll
widerlegt.

> 14. Da die Freiwirte bislang keine rationelle Kritik am
> Nationalismus zustande bekommen haben, vielmehr meist selbst
> Anhaenger des gewoehnlichen buergerlichen Nationalismus sind,
> ist klar, dass freiwirtschaftliche Sympathien fuer den
> Nationalsozialismus, die in den 30er Jahren durchaus keine
> Seltenheit waren, absolut keinen "Ausrutscher" darstellen:
> Wenn auch von den meisten Vertretern der Freiwirtschaft nicht
> vollzogen, ist der Uebergang zu einer faschistischen Kritik am
> Kapitalismus doch durchaus eine LOGISCHE Konsequenz aus Silvio
> Gesells falscher, weil moralischer Entgegensetzung zwischen
> produktivem und zinstragendem Kapital.


Um es noch einmal ganz klarzustellen: Diese angebliche "falsche, weil
moralische Entgegensetzung zwischen produktivem und zinstragendem
Kapital" ist eine freie Erfindung des marxistischen Autors und hat
nichts aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Herr Gesell geschrieben
oder gesagt hat.

Es erübrigt sich aus diesem Grund auch, auf die folgenden zwei Absätze
einzugehen.

> 15. Ist die Losloesung des Gegensatzes von produktivem und
> zinstragendem Kapital von jedweder oekonomischen Bestimmung
> erstmal so weit fortgeschritten, dass sich jeder Antisemit
> darin heimisch fuehlen kann, lassen sich auch schnell weitere
> Schmarotzer am oekonomischen Volkskoerper ausmachen: die
> Asylanten, die Auslaender, die Sozialhilfeempfaenger,
> irgendwelche Gewerkschafts-"Bonzen" etc.



> 16. Die Verabsolutierung des Gegensatzes zwischen produktivem
> und zinstragendem Kapital KANN zu faschistischen Ejakulationen
> des freiwirtschaftlichen Geistes fuehren, MUSS es aber
> keineswegs. So gibt es unter den Freiwirten auch eine ganze
> Reihe Leute, die den (im Original latent vorhandenen)
> strukturellen Rassismus der Gesellschen Lehre nicht mitmachen
> (aber auch nicht wahrhaben) wollen. Diese Leut' haben sich
> wenigstens eine Erinnerung daran bewahrt, dass der Begriff
> 'Kapitalismus' keine moralische Kategorie darstellt, sondern
> ein objektiv-reales System kennzeichnet, das entsprechend
> struktural- logisch erklaert gehoert. Zum Kreis solcher
> kritischen Vertreter der Freiwirtschaft - die wir hier mal als
> linken Fluegel der freiwirtschaftlichen Bewegung oder kurz als
> freiwirtschaftliche Linke zusammenfassen wollen - zaehlen
> beispielsweise Leute wie Wilhelm Schmuelling und Bernd
> Hercksen (beides Redakteure der "ueberkonfessionellen"
> Freiwirte-Zeitung "Der dritte Weg"), Johannes Heinrichs (Autor
> des Buches "Der Sprung aus dem Teufelskreis"; versucht, eine
> Bruecke zwischen Freiwirtschaft und Sozialismus zu schlagen),
> Klaus Schmitt (Anarcho-Freiwirt; Herausgeber und Hauptautor
> des Buches "Silvio Gesell - 'Marx' der Anarchisten?"; hat vor
> kurzem das alte Anarchoblatt "883" wieder zum Leben erweckt)
> und Bernd Senf (der eigentlich kein richtiger Freiwirt ist,
> der Gesellschen Lehre aber viel Sympathie entgegenbringt;
> Autor des Buches "Der Nebel um das Geld"). Das
> linksgesellianische Spektrum reicht bis tief in die libertaere
> Scene hinein und sollte daher in den innerlibertaeren
> Diskussionsprozess mit einbezogen werden.


Unser marxistischer Autor scheint am Ende aber doch noch etwas
sachlichere Kritik loswerden zu wollen:

> 17. Den Kapitalismus kann man auch durch noch so viel
> Herumdoktern an Geldkapital und Grundeigentum nicht
> ueberwinden - ihn treffen koennte man damit aber
> moeglicherweise schon: Wuerde der Zins, wie die Freiwirte
> eswollen, gegen Null gehn, waere zum einen die Macht des
> Geldkapitals stark eingeschraenkt oder sogar gebrochen, zum
> andern waere u.a. eine nicht unbetraechtliche
> Reallohnerhoehung die Folge. Daher wuerden wir jeden Erfolg
> der freiwirtschaftlichen Linken in dieser Richtung begruessen
> - allerdings ohne uns davon in irgendeiner Weise abhaengig zu
> machen; denn die ganzen von den Freiwirten ersonnenen
> "antikapitalistischen" Massnahmen sind durch die Bank weg
> solche, die vom STAAT und seinen Institutionen umgesetzt
> werden muessen (- das ist bei Marktwirtschaftfans auch nicht
> anders zu erwarten -), und ebendieser Staat ist die politische
> Gewalt der kapitalistischen Oekonomie und verliert diese
> Bestimmung nicht schon dadurch, dass er freiwirtschaftliche
> Reformen durchzieht (die ja grade NICHT auf die Ueberwindung
> des KAPITALISMUS SELBST, sondern guenstigstenfalls auf die
> Einschraenkung oder Brechung der Macht des GELDkapitals
> hinauslaufen wuerden). =


Interessanterweise wird offen zugegeben, dass die von der Freiwirtschaft
beabsichtigte Abschaffung des Zinses (besser: seine Fortexistenz auf dem
Durschnittsniveau Null) nicht nur die Macht der Geldvermögen brechen
würde, sondern auch noch die Reallöhne stark anheben würde.

Was ist aber am Kapitalismus, möchte man fragen, bitte noch
kapitalistisch, wenn die Reallöhne schliesslich soweit steigen, dass die
Nettokapitalrendite gleich den Geldzinsen im Durchschnitt zu Null wird?

Wie soll es andererseits möglich sein, dass die Geldzinsen gegen Null
gehen, wenn die (Real-)Kapitalrendite nicht ebenfalls zu Null wird?

Und wenn der Kritiker schon einsieht, dass ein Sinken des Geldzinses
auch die Renditen aus Produktionsunternehmen verringert (denn nichts
anderes bedeutet ja eine Reallohnerhöhung), wieso glaubt er dann immer
noch daran, dass der Mehrwert ausschliesslich in der Produktionssphäre
seinen Ursprung hat?

Wie soll bei sinkenden Zinsen die Macht, das arbeitsfreie Einkommen der
Eigentümer des Realkapitals sich auf die Dauer erhalten können, wenn
alles Geld was nicht für den Konsum verbraucht wird, in die
realwirtschaftlichen Investitionen drängt, solange dort noch
irgendwelche noch so niedrigen Renditen zu holen sind? Und wenn diese
ganzen Investitionen die Nachfrage nach Arbeit so weit erhöhen, dass die
Renditen noch weiter sinken, etc...?

Und wie kann man schlussendlich behaupten, dass ein Staat, der solches,
nämlich das Sinken der Kapitalzinsen auf Null, per gesetzlicher Änderung
des Geldwesens bewirken würde, also genau das täte, was im Interesse der
arbeitenden Bevölkerung läge, nach wie vor im Interesse des Kapitals
handelt? Oder soll "im Interesse des Kapitals" heissen "im Interesse der
Wirtschaft"?

> 18. Ausgerechnet den STAAT zum Subjekt eines
> antikapitalistischen Prozesses machen zu wollen, ist ein
> paradoxes Unterfangen, und zwar eines, das sich die Freiwirte
> sowohl mit sozialbewegten Faschisten wie auch mit der
> klassischen Linken und der traditionellen Arbeiterbewegung
> teilen. Fuer die Befreiung der Individuen vom Kapitalismus auf
> eine Macht zu setzen, die nicht ihre eigene ist, kann zu allem
> moeglichen fuehren, nur eben zu jener Befreiung nicht; im
> guenstigsten Falle resultiert aus dem Setzen auf die
> Staatsmacht ein voruebergehend gemaessigter Kapitalismus
> (freiwirtschaftliche Ordnung) oder ein "Kapitalismus ohne
> Kapital" (Staatskapitalismus bzw. Staatssozialismus), im
> unguenstigsten Fall faschistische Barbarei.


Eine solche Fixierung auf den Staat als Garant einer
freiwirtschaftlichen Ordnung ist - ebenso wie die Vorwürfe in Richtung
Moralismus, Faschismus, etc... - wiederum nirgendwo bei Gesell
tatsächlich nachzulesen. Er geht vielmehr ganz schlicht von den
gegebenen Umständen aus, und die waren zu seiner Zeit, und sind es auch
heute noch, dergestalt, dass gesellschaftliche =DCbereinkünfte im Rahmen
von Gesetzen und auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden. Das
muss keineswegs für immer so bleiben und ist auch in keiner Weise
Voraussetzung, um die Ideen Gesell's umzusetzen. Eher scheint es mir,
als würde sich die Umsetzung dieser Ideen noch mindestens bis zu dem Tag
hinziehen, an dem es endlich so etwas wie eine weltweite einheitliche
Währung gibt.

Wenn man Gesell's Vorschläge zur Neuordnung des Bodenrechts liest, dann
ergibt sich der Eindruck, dass der Herr Gesell ein ausgesprochener
Gegner vielleicht nicht des Staates an sich, aber ganz bestimmt jeder
Form von Nationalismus und Nationalstaat war.

Und was die "Befreiung der Individuen vom Kapitalismus" angeht, so
müssen sich auch befreite Individuen auf irgendwelche Standards und
Normen des Zusammenlebens einigen. Dazu gehört sicher auch irgendeine
Form von Rechtswesen, denn nicht immer sind die Menschen - schon gar
nicht befreite - ein Herz und eine Seele. Wollen die befreiten
Individuen lieber beim Privateigentum an den Produkten ihrer Arbeit
bleiben, dann wäre es auch ratsam, ein allen dienendes Geldsystem zu
haben, um diese ihre Produkte leichter austauschen zu können.

> 19. Sofern die freiwirtschaftlichen Massnahmen zur Einfuehrung
> der "Natuerlichen Wirtschaftsordnung" ueberhaupt irgendeine
> Chance auf Verwirklichung haben - was wir, ehrlich gesagt, zu
> bestreiten wagen - , koennen sie, wie schon erwaehnt,
> allenfalls zur Einschraenkung oder Brechung der Macht von
> Geldkapital und Grundeigentum fuehren. Fuer die Arbeiter
> wuerde das zwar eine betraechtliche Reallohnerhoehung mit sich
> bringen, aber weder Kapital noch Lohnarbeit haetten zu
> existieren aufgehoert. Die Konkurrenz der Kapitale wuerde sich
> zunaechst mal auf deutlich reduzierter Stufenleiter bewegen,
> der eine oder andre Unternehmer wuerde seinen durch die
> deutliche Minderung oder gar Abschaffung des Zinses
> gestiegenen Gewinn womoeglich sogar zur Schaffung neuer
> Arbeitsplaetze nutzen. Aber es widerspraeche sowohl dem
> Begriff der Konkurrenz wie auch dem des Kapitals, einen
> bestimmten Status einfach beizubehalten. "Die Konkurrenz
> schlaeft nicht", weiss noch jeder Unternehmer zu berichten,
> und das ist nichts andres als die alltagssprachliche
> Uebersetzung der im Begriff des Kapitals gegebenen
> quantitativen Masslosigkeit desselben. Weder im Begriff des
> Kapitals noch in dem der Konkurrenz findet sich irgendein
> Anhaltspunkt fuer ein im Endlichen liegendes Ziel. Die
> Einfuehrung der NWO wuerde also nur zu einer voruebergehenden
> sozialen Abmilderung des Kapitalismus fuehren; nach einiger
> Zeit waer' alles wieder so wie vorher: die Realloehne waeren
> wieder auf den alten Stand gesunken, die Arbeitslosenzahlen
> haetten sich wieder auf's Ansteigen verlegt, die Renten waeren
> womoeglich noch unsicherer und mickriger geworden, als sie
> vorher schon gewesen waren, etc. etc. Das waere dann der
> PRAKTISCHE Beweis dafuer, dass es eben NICHT die
> Zinsherrschaft ist, was das Wesen des Kapitalismus ausmacht
> ...


Vertreter der Freiwirtschaft würden sicher gerne die Probe aufs Exempel
machen. Noch ist der praktische Beweis ja nicht erbracht, wenngleich
einige Freiwirte meinen, dass die sporadischen und z.T. unfreiwilligen
Freigeld-Experimente in der Geschichte (Wörgl, Baktreaten) eher für den
Erfolg der Freiwirtschaft sprechen als dagegen.

Weiterhin: Es mag Anhänger der Freiwirtschaft geben, die ein wie immer
geartetes Endstadium anstreben oder glauben, dass dieses durch Freigeld
erreichbar wäre, wie es auch Freiwirtschaftler gibt, die sich vom
Freigeld einen Vorteil für die Umwelt erhoffen. Bei Gesell wird man all
dies vergeblich suchen. Im Gegenteil: Nach Gesell ist es gerade die
enorme Dynamik der marktwirtschaftlichen Konkurrenz, die dazu führen
muss, dass bei sinkenden Geldmarktzinsen (endlich) soviel Geld in
*reale* Güter (Fabriken, Häuser, etc..) investiert wird, dass deren
Knappheitsrendite automatisch im gleichen Masse fällt, wie die Zinsen.

Welcher Vermögende würde sein Portfolio nicht sofort in Richtung
Produktion und Direktinvestition umschichten, wenn die Zinsen genügend
fallen? Und der Reallohn der Arbeitenden steigt dann genau deswegen,
weil die Nachfrage nach Arbeit bei gleichem Anbegot steigt, was die
Arbeitslosigkeit auf ein absolutes Minimum reduzieren würde, etc.. Das
kann natürlich nur nachvollziehen, wer nicht mehr an die Bestimmung der
Lohnhöhe durch das Existenzminimum glaubt.

Zur Instabilität: Wenn in einer etablierten Freiwirtschaft, in der die
Renditen insgesamt auf Null gefallen sind, die Dynamik der Konkurrenz
und der technischen Entwicklung wieder einmal dazu führt, dass ein
Unternehmen menschliche Arbeitskraft einsparen kann, dann wird sich
hierdurch sicherlich zunächst ein gewisser Pioniergewinn für dieses
Unternehmen ergeben. Aber genau die Konkurrenz führt dann logischerweise
dazu, diesen Extragewinn bald wieder zunichte zu machen. Dauerhaft
könnte sich höchstens dann ein positiver (Netto-) Kapitalzins
einpendeln, wenn die Dynamik der technischen Entwicklung permanent dem
Ausgleich der Renditen durch die Konkurrenz voraneilt.

> 20. Zum Schluss ein dringender Rat an alle Linksgesellianer:
> Ihr muesst Euch schon entscheiden: Entweder Ihr wollt nicht
> von dem paradoxen Unterfangen Eures Meisters lassen, den
> Kapitalismus abschaffen zu wollen, ohne das Kapital selbst
> anzugreifen - dann solltet Ihr aber so konsequent sein und
> Eurem Ansinnen ehrlicherweise den Titel "Befreiung des
> Kapitalismus von der Zinsknechtschaft" geben; oder aber Ihr
> nehmt es mit der Kritik des Kapitalismus ernst - dann nehmt
> aber auch den Kapitalismus als SYSTEM ernst und hoert damit
> auf, ihn letztlich doch immer nur als Verzerrung oder
> Entartung eines Systems zu betrachten, dem Ihr lauter
> unwidersprechlich gute Zwecke unterstellt! Wir jedenfalls
> halten auch eine GESELLige Marktwirtschaft fuer eine ganz und
> gar nicht gesellige, sondern ausgesprochen ungemuetliche
> Angelegenheit.

Wenn durch Einführung des Freigeldes die Kapitalrenditen *allesamt*
tatsächlich zu Null werden, so wie es sich Herr gesell vorgestellt hat,
dann ist der Fehler im SYSTEM auch tatsächlich behoben. Dann erhält die
arbeitende Bevölkerung den vollen Arbeitsertrag ohne irgendwelche
Abzüge.

Man kann das Ergebnis, wenn man denn unbedingt will, immer noch als
Kapitalismus bezeichnen, aber der Name passt dann eigentlich nicht mehr
richtig, da es ja keine Kapitalisten mehr gibt. Auch wird ein solche
Bezeichnung nichts daran ändern, dass die Marktwirtschaft dann genau den
Zweck erfüllen kann, zu dem sie von den Menschen *erfunden* wurde: dem
effizienten und gerechten Austausch des Reichtums der durch die
gesellschaftliche Arbeitsteilung hervorgebracht wird.

Ob eine solche Welt weniger "gemütlich" wäre als eine - wahrscheinlich
deutlich ärmere - Welt, in der es kein Privateigentum gibt, ist
zumindest fraglich. Konkurrenz hat sicher einen ungemütlichen Aspekt.
Aber unGESELLig muss sie deswegen nicht sein, und ausserdem hindert sie
einen auch daran, allzu träge und selbstgenügsam zu werden.

Benjamin Franksen