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Kritik der Zinskritk

 


 

 

Jürgen Kaun:

Buchbesprechung: Das Geld der Zukunft von Bernard A. Lietaer

München: Riemann Verlag 1999, 480 S., DM 48,00, ISBN 3-570-50008-X.

 

 

Der Belgier Bernard Lietaer, u.a. Ex-Zentralbankier, Ex-Hedgefonds-Manager und Finanzprofessor, tritt mit einer nicht gerade bescheidenen Zielsetzung an: Er entwickelt die Konzeption einer sog. Integrierten Wirtschaft, die der Menschheit innerhalb einer Generation ein goldenes Zeitalter des nachhaltigen Wohlstands (sic!) bringen soll. Nachhaltiger Wohlstand wird definiert als materielles, emotionales und spirituelles Wachstum, ohne die Ressourcen der Zukunft zu vergeuden. Für die gegenwärtigen globalen ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen macht er das derzeitige Weltwährungssystem verantwortlich. Dessen "destruktive" Wirkungen lägen begründet in der Existenz positiver Zinssätze als Konstruktionsfehler heutigen Geldes. Mit dieser Kernthese zählt Lietaer zu denjenigen Autoren, die mehr oder weniger in der Nachfolge von Silvio Gesells monetär-deterministischer Freiwirtschaftslehre stehen: die Geldeigenschaften determinierten die Wirtschaftsweise.

Der Autor schlägt deshalb den Aufbau und die Förderung eines Kooperationswirtschaftssektors mit komplementären, lokalen, zinslosen, reinen Tauschwährungen vor, der die Arbeitslosigkeit bekämpfen und soziale Dienste, z.B. Pflege, im Wege der Selbsthilfe der Betroffenen erbringen soll. Zusammen mit unserer erwerbswirtschaftlichen Wettbewerbsökonomie - in heutigem Geld - entstehe eine Integrierte Wirtschaft, in der sich Konkurrenz und Kooperation im Gleichgewicht befänden, wobei jeder Sektor als Resultat seiner spezifischen Währungseigenschaften aufgefaßt wird. Dieses Konzept zinsfreier (umlaufgesicherter) und zinstragender Parallelwährungen wurde offensichtlich übernommen von der "Oeconomia Augustana" des Augsburger Gesellianers Dieter Suhr.

Das mit den heutigen Währungsverfassungen geschaffene Geld erfüllt als Universalgeld die drei modernen Geldfunktionen Tausch-/Zahlungsmittel, Recheneinheit (Numéraire) und Wertaufbewahrungsmittel. Diese "Triade des Geldes" (J. R. Hicks) zerreißt Lietaer, indem er die beiden letzteren Geldfunktionen willkürlich als sekundär bezeichnet und als für sein Thema nicht wichtig aussondert. Ideales Geld sollte für ihn zuallererst ein bloßes zinsfreies Tauschmittel sein, welches geldtechnisch durch eine Art Negativzins ("Antihortungsgebühr") zur Umlaufsicherung realisierbar sei. Silvio Gesell nannte dies "Freigeld". Pikanterweise äußert schon im Vorwort Wilhelm Hankel Bedenken zu Lietaers Trennung von Geld in Zahlungsmittel und Vermögensspeicher. Die essentielle Frage, in welcher Währung künftig in seinem Szenario Finanzanlagen als wichtiger Teil jedes Vermögensportfolios erfolgen sollen, behandelt er nur ganz beiläufig. Jedenfalls könnten unter einer Antihortungsgebühr Ersparnisse nur in "anderer Form" angelegt werden als durch Anhäufung des Tauschmittels. Ob dann von Finanzanlagen, zwangsläufig in "alter" Universalwährung, etwa störende Rückwirkungen in den harmonischen, gleichgewichtigen Tauschsektor der Volkswirtschaft mit seinen zinslosen Komplementärwährungen ausstrahlen könnten, erfahren wir erst gar nicht.

Aus politökonomischer Perspektive ist es brisant, daß der Autor die krisenhaften Begleiterscheinungen (Beschäftigungs-, Sozial-, Umweltkrise) der erwerbsorientierten Konkurrenzwirtschaft ("Kapitalismus") als unabänderliche, schicksalhafte Trends aufzufassen scheint, zu deren lediglich symptomatischer Bewältigung die Betroffenen auf die Selbsthilfe im Kooperationssektor verwiesen werden. Arbeitslosen- und Sozialkosten werden so externalisiert, und der von Sozialtransfers und vom politischen Druck der Ausgegrenzten entlastete Shareholder value-Kapitalismus kann sich ungestört der Gewinnsteigerung widmen. Damit würde eine weitere Spaltung der Gesellschaft zementiert, wobei nur noch Hochleistungsfähigen die Möglichkeit zur Erzielung von Erwerbseinkommen in Universalwährung aus den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital offenstünde. Die Marginalisierten könnten nur noch reines Tauschgeld auf Gegenseitigkeitsbasis im Kooperationssektor erwerben.

Um die Weltwirtschaft nachhaltig zu machen, schlägt Lietaer für den Einsatz in der erwerbsorientierten Konkurrenzökonomie die umlaufgesicherte Warenreservewährung "Terra", ein globales Freigeld also, vor. Eine Umlaufsicherung soll wegen ihres einem Negativzins vergleichbaren Effekts die heutige unternehmerische Investitionslogik umkehren, weil sie eine Höherschätzung zukünftiger Einnahmen bewirke. Anhand der finanzmathematischen Kapitalwertmethode versucht der Autor, dies zu beweisen. Dasselbe Zahlenbeispiel eines mehrperiodigen Investitionsprojekts rechnet er in alter Währung mit positivem Geldzinssatz und in neuem, umlaufgesicherten Freigeld mit negativen Zinssätzen vor. Er verwechselt dabei jedoch "Geld" und "Einkommen", indem er behauptet, durch Abzinsen würden künftige Geldbeträge weniger wert. Korrekt ist vielmehr: Abzinsung "entwertet" künftige Einkommensbeträge aus Gegenwartsperspektive - bei konstantem Geldwert. Dem Leser erschließt sich der Sinn der Kapitalwertmethode nicht, denn es wird nur eine "halbierte" Kapitalwertmethode durchgeführt, weil vergessen wird, im Zahlenbeispiel als Resultat den Kapitalwert des Investitionsprojekts anzugeben und zu interpretieren.

Kennzeichnend für die heutigen Investitionskalküle ist die angeblich "nachhaltigkeitsfeindliche" Abzinsung des mehrperiodigen Cash flow-Stroms auf einen Gegenwartszeitpunkt. Die Wurzel des Phänomens "Abzinsung" liegt nach Lietaer allein im heutigen Währungssystem mit seinen positiven Geldzinssätzen. In seinem Zahlenbeispiel eines mehrperiodigen Investitionsprojekts widerlegt er sich jedoch selbst: Er unterstellt in seiner Modellrechnung nämlich a priori einen Überschuß der über die Projektlebensdauer aufsummierten Cash flows über die Anschaffungsausgaben des Investitionsprojekts, ohne die Herkunft dieses Einnahmenüberschusses zu erklären. Eine (Real-)Investition ist bekanntlich ökonomisch nur sinnvoll, wenn sie einen Einnahmenüberschuß, vulgo: Profit, über die Investitionskosten generiert. Mit jenem positiven Saldo läßt sich uno actu eine originäre positive Investitionsrentabilität, z.B. in Gestalt der Internen Ertragsrate eines Projekts, darstellen. Konzeptionen wie Keynes' Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals oder die neoklassische Kapital(grenz)produktivität als sog. Güterzins (versus Geldzins) liefern die wirtschaftstheoretische Fundierung der originären Investitionsprofitabilität. Die Existenz einer originären positiven Realinvestitionsrentabilität schafft aber überhaupt erst die Voraussetzung für eine ökonomisch begründbare Abzinsung von Zukunftseinnahmen und für den Vergleich mit Kapitalmarktzinssätzen alternativer Finanzinvestitionen gemäß dem Opportunity cost-Kalkül. Diese realwirtschaftliche Seite jedes unternehmerischen Investitionskalküls unterschlägt der Autor zur Gänze.

Vollends absurd wird es bei seiner alternativen Durchrechnung des Investitionsbeispiels in umlaufgesicherter Tauschwährung mit Negativzins. Er überrascht damit, daß ein Sparer nach einem Jahr Verzicht auf einen Geldbetrag (Sparen) den vollen Einlagebetrag plus die erstattete anteilige Hortungsgebühr zurückerhalte, was ja wohl rechnerisch einem Aufzinsungseffekt entspricht. Somit würden unter dem Freigeldregime Geldbeträge umso wertvoller, je weiter sie in der Zukunft liegen, je länger der Sparer darauf verzichtet. Natürlich ist genau das Gegenteil richtig, wie der Autor an anderer Stelle durchaus zutreffend weiß: Unter einer Antihortungsgebühr können Ersparnisse nicht in Tauschmitteln angehäuft werden, sondern müssen in "anderer Form" angelegt werden. Bei einer mehrperiodigen Betrachtung müßte man aus Sparersicht durch die umlaufsichernde Abwertung also von einem allmählichen Schrumpfen des ursprünglich angelegten Guthabens ausgehen. Sollten Ersparnisse dagegen von der Hortungsgebühr befreit sein, bekommt der Sparer gerade seinen nominellen Einlagebetrag zurück. Woher auch sollte der Freigeld-Kreditnehmer die Hortungsgebührerstattung für den Kreditgeber (Sparer) zusätzlich zur vollen Nennbetragstilgung nehmen? Das mathematische Äquivalent zu hortungsgebührbefreiter Sparmöglichkeit wäre für den Investor ein Kalkulationszinsfuß (= Auf-/Abzinsungssatz) von Null und nicht ein Negativzins.

Nachhaltigkeit verlangt nach üblichem Verständnis langfristig eher nach einer Beschränkung als nach einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums. Paradoxerweise sieht Lietaer aber eine Umlaufsicherung als nachhaltigkeitsfördernd an, obwohl sich durch die Umlaufsicherung die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erhöhe und Freigeld investitionsstimulierend wirke. Notwendigerweise stiege das Volumen der produzierten und gehandelten Güter und Dienstleistungen an! Der Autor offeriert lediglich den Torso einer inkonsistenten Geldreform, bei der nicht nachzuvollziehen ist, wie durch komplementäre Freigeldwährungen die Integrierte Wirtschaft insgesamt auf den Kurs einer nachhaltigen Entwicklung einschwenken soll.

 

Jürgen Kaun                                                                                                                     Stuttgart