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Arbeitslosigkeit durch einen Systemfehler unseres Geldes?
(auf diesem Server seit dem 19.5.1997);
E-Mail an Herrn Knauer:
p.knauer@em.uni-frankfurt.de
(Die Gedichte von Bertold Brecht in einem Band, Frankfurt am Main, Suhrkamp 1981, 556).
Gegenwärtig gibt es in Europa zwischen zwanzig und dreißig Millionen Arbeitslose. Für die Betroffenen ist dies eine deprimierende und sie in ihrer Persönlichkeit zerstörende Erfahrung. Faktisch muß ihr Lebensunterhalt von der arbeitenden Bevölkerung aufgebracht werden; so ist auch sie von den Folgen der Arbeitslosigkeit der anderen betroffen und muß sich in vielem einschränken. Und allenthalben sind die staatlichen Kassen leer.
Die von der Wirtschaftswissenschaft vorgeschlagenen Abhilfen erweken weithin den Eindruck eines Blindekuhspiels. Oft werden Maßnahmen gefordert, die kurzfristig abhelfen, aber auf die Dauer das Übel vergrößern, etwa wenn man zur Bedienung der Altschulden neue zusätzliche Kredite aufnimmt. Dies gilt vor allem in bezug auf die Staatsverschuldung. Und ist nicht alles widersprüchlich: Auf der einen Seite will man die Arbeitslosigkeit bekämpfen; auf der anderen Seite sucht man etwa bei Bahn und Post um fast jeden Preis die Zahl der Beschäftigten zu mindern und meldet triumphierend Erfolg; es gibt dafür das schöne Wort »Freisetzung« von Arbeitskräften. Man beklagt die Arbeitslosigkeit der Lehrer - und macht die Klassen größer und erhöht die Stundenzahl.
Häufig wird behauptet, daß es in einem Zeitalter hochkomplizierter Maschinen nicht mehr genug einfache Arbeit gebe, so daß eben viele Menschen beschäftigungslos blieben. Aber es fehlt nicht an Aufgaben, die durch einfache Arbeit erfüllt werden könnten. Es wären auch viele soziale Dienste erfordert. Es fehlt nur an dem dazu nötigen Geld. Aber streng genommen fehlt es auch nicht am Geld; nur damit das Geld dorthin kommt, wo es, um als Tauschmittler Waren- und Dienstleistungsangebote ins Geschäft miteinander zu bringen, lebensnotwendig gebraucht wird, muß noch mehr Geld dahin zurückfließen (»Rendite«), wo es bereits im Überfluß vorhanden ist und wo die existentiellen Bedürfnisse längst erfüllt sind. Dies wird allgemein als völlig selbstverständlich angesehen. Doch es ist dann, wie wenn in einem Organismus die Milz nur unter der Bedingung Blut abgibt, daß noch mehr Blut an sie zurückfließt.
Wie daraufhin eine Rezession funktioniert, kann man sich so veranschaulichen: Ein Kind friert und fragt seine Mutter, warum sie die Wohnung nicht heizt. Die Antwort lautet, daß es an Kohlen fehle. Aber warum haben wir keine Kohlen? Wir haben kein Geld, sie zu kaufen, weil Vater als Bergarbeiter arbeitslos ist. Aber warum ist er denn arbeitslos? Weil das Bergwerk zuviel Kohlen auf Halde hat und niemand sie kauft.
Die so vielen Millionen Arbeitslosen Europas haben sowohl Bedürfnisse wie die Fähigkeiten, Bedürfnisse zu erfüllen; was hindert sie, füreinander zu arbeiten und sich dies gegenseitig zu verrechnen? Es fehlt ihnen das dafür erforderliche Kommunikationsmittel Geld. Aber wie kann ein Gemeinwesen es sich leisten und hinnehmen, in solchem Ausmaß Kräfte brach liegen zu lassen, weil der Austausch blockiert ist, welcher doch die Grundbedingung allen realen Wohlstandes ist? Die Blockierung des Austauschs bewirkt, daß den Menschen als Produzenten ihre Waren verderben und sie deshalb die Produktion einschränken müssen und daß zugleich ihre Bedürfnisse als Verbraucher unerfüllt bleiben. Auch öffentliche Aufgaben bleiben unerledigt.
Das Ausmaß des Übels und die Hilflosigkeit ihm gegenüber ist so groß, daß es notwendig erscheint, einige allgemein für selbstverständlich gehaltene Grundvoraussetzungen in Frage zu stellen und früher anzusetzen, als es die heutige Wirtschaftswissenschaft zu tun pflegt. Im folgenden soll elementar bedacht werden, wie es zu unserem Geld gekommen ist und wie Geld funktioniert. Es handelt sich dabei weitgehend um eine zusammenfassende Wiedergabe der Analysen des Augsburger Juristen und vormaligen bayerischen Verfassungsrichters Dieter Suhr (1939-1990) (1).
Eine Tauschwirtschaft setzt demgegenüber bereits einen Beginn von Arbeitsteilung voraus. Der eine spezialisiert sich auf die Produktion von Nahrungsmitteln, der andere auf die Herstellung von Kleidung. Man verfügt über Waren, die man nur zum Teil selbst verwenden kann, die aber für andere nützlich sind. Indem man solche Waren untereinander austauscht, wird der Nutzen für alle Beteiligten gemehrt. Wer selbst bereits genug Kleider hat, kann die zusätzlich hergestellten gegen die Nahrungsmittel tauschen, die ein anderer über seinen eigenen Bedarf hinaus produziert hat. Ein solcher Austausch ist kein Nullsummenspiel; vielmehr stehen sich, wenn es mit rechten Dingen zugeht, alle Beteiligten nach dem Austausch besser als zuvor.
Aber auch in einer solchen Wirtschaft des Naturalientauschs sind diesem selbst und damit auch dem Wohlstand noch recht enge Grenzen gesetzt. Es macht große Mühe, Tauschpartner zu finden, die genau das Produkt herstellen, dessen man bedarf, und die gleichzeitig das brauchen, was man selber herstellt. In den verschiedensten Variationen läuft alles nach dem Modell: hungriger Schneider sucht frierenden Bäcker zu gegenseitigem Warenaustausch; aber Bäcker frieren nur selten. Eine andere Begrenzung ist durch den Transportaufwand bei größerer räumlicher Entfernung der Tauschpartner gegeben. Es bedarf ferner mühsamer Absprachen, wenn man etwas hergibt, um zeitlich versetzt etwas anderes dafür zu bekommen. Schwierig wird es erst recht, wenn ein vorgesehener Tauschpartner für das ihm angebotene Produkt selber keine Verwendung hat; man muß sich dann zunächst durch Zwischentausch in den Besitz einer für den anderen interessanten Ware bringen. Das Märchen von Hans im Glück bietet Beispiele dafür, wie es einem dabei gehen kann: aus einem Goldklumpen hat er sich über verschiedene Tauschaktionen schließlich einen gewöhnlichen Schleifstein eingehandelt.
Auf dieses Problem des Zwischentauschs geht die Erfindung des Geldes ein. Geld ist eine standardisierte Zwischentauschware, die - was ein besonderer Vorteil ist - beliebig gestückelt und wieder zusammengesetzt werden kann. Letzteres unterscheidet Geld zum Beispiel von Edelsteinen, die man, wenn man sie einmal gestückelt hat, leider nicht wieder zusammensetzen kann.
Durch die standardisierte Zwischentauschware Geld gewinnt eine arbeitsteilige Wirtschaft eine ganz neue Qualität und wird überhaupt erst endgültig arbeitsteilig. Sie kann dann allerdings auch nur noch mit Geld funktionieren. Anders kommen die Wirtschaftsteilnehmer nicht in Kommunikation miteinander.
Geld hat, idealtypisch gesehen, keinen Wert in sich selbst. Man kann es weder essen noch sich damit kleiden, noch ist es ein Produktionswerkzeug wie ein Hammer oder eine Maschine. Es muß auch nicht aus Gold bestehen noch durch Gold gedeckt sein. Sein Wert kommt dadurch zustande, daß es öffentlich als Geld anerkannt, angenommen und weitergegeben wird. Es ermöglicht dann den Austausch von Waren und Leistungen in einem Zweitaktverfahren (verkaufen und für den Erlös selber kaufen). Dabei wird aber das Geld nicht »verbraucht«, sondern bleibt erhalten und geht nur jeweils in andere Hände über. Es kann als standardisierte Zwischentauschware immer wieder neu verwandt werden. Deshalb ist es notwendig, daß sich zum einen die Menge der auszutauschenden Waren und Leistungen ständig erneuert. Zum anderen muß die umlaufende Geldmenge zugleich mit ihrer Umlaufgeschwindigkeit unter Kontrolle bleiben. Denn eine Verdoppelung der Umlaufgeschwindigkeit hätte den gleichen Effekt wie bei gleichbleibender Umlaufgeschwindigkeit einer Verdoppelung der zur Verfügung stehenden Geldmenge. Unkontrollierte Vermehrung der Geldmenge oder Steigerung der Umlaufgeschwindigkeit wirkt sich als Inflation aus: Man bekommt für immer mehr Geld immer weniger Waren oder Leistungen.
In der Tauschwirtschaft ist jeder einzelne Austausch gewöhnlich ein isolierter Vorgang; in der Geldwirtschaft dagegen entsteht eine Art Kettenreaktion. Jede Beendigung eines Zweitaktes stellt normalerweise bereits den Beginn des nächsten dar, es sei denn, jemand zieht durch Horten im Sparstrumpf umlaufendes Geld einstweilen aus dem Verkehr. Wer eine Ware oder Leistung verkauft hat, kann danach für das erworbene Geld seinerseits von einem anderen Waren oder Leistungen kaufen; geschieht dies, wird dieser andere aus einem Verkäufer zum potentiellen Käufer im nächsten Zweitakt usw.
Die standardisierte Zwischentauschware Geld macht so die Reichweite der wirtschaftlichen Kommunikation ungleich größer, als sie beim Naturalientausch war. Diese Möglichkeit fast unbegrenzter wirtschaftlicher Kommunikation ist sowohl Voraussetzung wie Stimulans für Produktion und Nutzung bzw. Verbrauch. Allerdings sind mit der Geldwirtschaft neue Probleme verbunden, wie bald aus der Analyse der Funktionen des Geldes deutlich werden wird.
Das Geld als standardisierte Zwischentauschware hat drei unterschiedliche nützliche Funktionen. Es stellt erstens einen gemeinsamen Wertmaßstab für alle anderen Waren und Leistungen dar; zum anderen und vor allem dient es als universaler und auch transtemporaler Tauschmittler; und schließlich kann man es als eine Art Wertspeicher verwenden, dies aber - wenigstens bei stabilem Geld - ohne die Transport-, Lager- und Frischhaltekosten, die man bei Naturalien hätte. Man hebt nur Ansprüche auf Waren und Leistungen und nicht diese selbst auf. Das unterscheidet Geld-Aufbewahren von dem kostenintensiven Vorräte-Anlegen.
Die Verwendung des Geldes als Wertspeicher steht allerdings in Gegensatz zu seiner Funktion als Tauschmittler. Solange nämlich einer, der Geld erworben hat, Kasse hält, bleibt jemand anders auf seinem Angebot an Waren oder Leistungen sitzen; ja, es wird dann eine ganze weitere Kette wirtschaftlicher Kommunikationen nicht zustandekommen. Die obengenannte Kettenreaktion wird unterbrochen. Für den einen bringt das Geld die Freiheit mit sich, die Zeit zu seiner Verwendung selbst zu bestimmen; in genauer Entsprechung dazu steht für einen anderen die Ungewißheit, wann er seinerseits dieses Geld erwerben kann. Und entsprechend bleibt ungewiß, wann weitere Anschlußgeschäfte stattfinden können. Wo Geld als Wertspeicher durch Kassehalten zurückgehalten wird, wird seine Funktion als Tauschmittler verhindert.
Wie gelangt nun auch das Geld dessen, der es noch nicht ausgeben will, wieder in Umlauf? Er müßte es zumindest verleihen. Aber dann müßte er ja eine Zeitlang darauf verzichten, unmittelbar und jederzeit über sein Geld verfügen zu können. Um ihm diesen Verzicht schmackhaft zu machen, wurden die Zinsen erfunden. Normalerweise werden erst verlockende Zinsen einen Geldbesitzer dazu bringen, sein Geld zu verleihen, so daß es wieder als Tauschmittler fungiert.
Aber damit wird Geld auch als Wertmaßstab problematisch, weil dieser Maßstab - selbst bei stabiler Währung - durch das Zinsphänomen einer Veränderung im Zeitablauf unterliegt: Ansprüche auf Zahlungen sind heute um so weniger wert, je weiter die Zahlungen in der Zukunft liegen.
Worin besteht der Jokernutzen des Geldes, sein über den Nennwert hinausgehender »Mehrwert«? Geld bringt Leute miteinander ins Geschäft, deren Waren oder Leistungen von ganz unterschiedlichen Größenordnungen sind. Und Geld vermittelt auch ohne lästige zusätzliche Absprachen zwischen Leistungen, die zu sehr verschiedener Zeit erbracht werden. Nicht alle haben Bedarf für die gleichen Waren; es ist mühsam, möglicherweise gegen eine große Konkurrenz Kunden für Kugellager zu finden. Für Waren hat man außer Reklame- und Informationskosten auch Lager- und sonstige Durchhaltekosten. Oft steht man für den Verkauf unter Zeitdruck: Blumen verwelken, und Eier sind nicht lange frisch; Konzertkarten gelten nur für einen bestimmten Tag. Selbst unverderblichen Gütern ist Geld durch seine Liquidität überlegen. Denn Geld nimmt jedermann an. Wer mit einem vollen Portemonnaie über einen Markt geht, hat die freie Auswahl zwischen vielen Waren und kann günstige Gelegenheiten wahrnehmen. Er kann frei wählen, was, bei wem und wann er kauft. Diese mit dem Geld verbundenen und geradezu sein Wesen ausmachenden Liquiditätsvorteile stellen gegenüber dem Nennwert des Geldes, den man sich erarbeitet hat, eine Art »Mehrwert« dar, der bewirkt, daß das Geld kein neutraler Tauschmittler ist. Grundsätzlich ist es leichter, zu kaufen als zu verkaufen.
Es ist angenehm und von realem wirtschaftlichen Nutzen, Kasse halten zu können und damit über flüssiges Geld zu verfügen. Eine volle Kasse bietet eine Art Sicherheitspolster. Die Ökonomen sprechen hier von »Vorsichtskasse«: Man ist für unvorhergesehene Notfälle gewappnet. Mit einer vollen Kasse hat man es ferner leicht, gute Gelegenheiten beim Schopf zu fassen und profitable Geschäfte abzuschließen (»Spekulationskasse«). Überhaupt kann man jederzeit wirtschaftliche Transaktionen abwickeln (»Transaktionskasse«). Für den, der eine volle Kasse hat, steht die Volkswirtschaft gleichsam dienstbereit und dienstbeflissen vor seiner Tür und wartet nur darauf, daß er sein Geld auch verwendet. All diese Vorteile gehen als ständiger »Nutzenstrom« von liquidem Geld für seinen Besitzer aus (»monetary service stream«).
Damit sind auch bereits die Zinsen erklärt, die man für den Geldverleih bekommt: In ihrem Grundbestand sind sie der Marktpreis für den eben genannten Nutzenstrom oder Jokervorteil liquiden Geldes. Das »making money with money« kann bei großen Geldvermögen erheblich lukrativer sein als wertschöpfende Arbeit.
Eine Notenbank läßt Banknoten drucken und Münzen prägen. Die Banknoten und Münzen sind sozusagen das materielle Substrat. Zu Geld werden sie allerdings erst durch eine hinzukommende gesellschaftliche Leistung, nämlich dadurch, daß sie bei den Teilnehmern am Wirtschaftsverkehr »in Geltung« stehen. Jedermann muß bereit sein, sie als Geld anzunehmen und weiterzugeben. Dann kann die Notenbank ihre Geldscheine und Münzen kreditweise unter die Leute bringen.
Man nennt diesen Vorgang, bei dem Geld ursprünglich in Verkehr gebracht wird, »Geldschöpfung«. Dieses von der Notenbank neu in Verkehr gebrachte Geld ist wohlgemerkt nicht etwa das Ergebnis eines Sparvorganges. Die Notenbank erhält aber auch für den so mit neugedrucktem Geld gegebenen Kredit bereits die gewöhnlichen Zinsen. Ihre Höhe übersteigt die Herstellungskosten der Banknoten und Münzen erheblich; die Differenz macht den Gewinn der Notenbank bei der Geldausgabe aus, die sogenannte »Seigniorage« (2). Wird nun der Kredit nach seiner Laufzeit an die Notenbank zurückgezahlt, dann geschieht der der Geldschöpfung entgegengesetzte Vorgang: das dem Markt entzogene Geld verschwindet gleichsam, es wird »vernichtet«.
Wenn ein Marktteilnehmer Geld erworben hat und es nicht zum Kauf von Waren oder Leistungen verwendet, weil seine existentiellen Bedürfnisse bereits gestillt sind, dann kann er mit diesem Geld ähnlich wie die Notenbank umgehen. Er kann es, weil es angenehm ist, liquide zu sein, in seiner Kasse behalten und damit dem Verkehr entziehen; er kann es aber auch gegen Zinsen verleihen und damit wieder in Verkehr bringen. Wie wirken sich solche Zinsen aus?
Allgemein bekannt sind die gewaltigen Schuldenprobleme Lateinamerikas, die wir gerne auf ein mehr oder weniger unverantwortliches Wirtschaftsverhalten der dortigen Regierungen und Wirtschaftseliten zurückführen. Zum Beispiel Mexiko hatte vor der erlaßweisen Schuldenreduzierung im Jahr 1989 bereits mehr als die Summe seiner Schulden an Zinsen gezahlt, ohne daß sich irgend etwas an der Schuldensumme selbst geändert hätte.
Weniger bekannt ist hierzulande, daß auch in unseren bundesrepublikanischen Preisen durchschnittlich ein Zinsanteil von etwa einem Viertel steckt (3). Wir zahlen Zinsen nicht nur für unsere eigenen Schulden, sondern in den Preisen verborgen auch für die Schulden anderer Leute, vor allem für die des Staates und der Unternehmen.
Dieser hohe Zinsanteil in allen Preisen hängt zuallererst mit dem Phänomen der Zinsenszinsen zusammen, daß also Zinsen wiederum zum Kapital geschlagen werden und ebenfalls verzinst werden. Es ist erhellend, sich einmal die Wirkung von Zinseszinsen an einem Zahlenbeispiel vor Augen zu führen. Eine Summe von DM 10.000 würde bei 3%iger Verzinsung in 50 Jahren auf DM 43.839 auflaufen; bei 4%iger Verzinsung immerhin schon auf DM 71.066. Der Zuwachs um 1% macht hier einen Unterschied von DM 27.227. Aber bei 11% Zinsen werden aus dem Anfangskapital von DM 10.000 in 50 Jahren bereits DM 1.845.646. Steigert man hier die Verzinsung nur um ein einziges weiteres Prozent, dann entstehen DM 2.890.019; ein Unterschied von über einer Million. Allerdings würde in den ersten zehn Jahren eine 12%ige Verzinsung die ursprünglichen 10.000 DM nur um DM 14.759 auf DM 24.759 ansteigen lassen; und sehr viel länger läßt sich das Spiel nicht treiben, ohne daß es unter seiner eigenen Last zusammenbricht. Bei einfacher Verzinsung ohne Zinseszins würde man dagegen auch nach 50 Jahren selbst bei einem Zinssatz von 12% nur zusammen DM 70.000 statt DM 2.890.019 abheben können.
Zinseszinsen sind außer beim Geld sonst verboten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es in § 248 [Zinseszinsen] lapidar: »(1) Eine im voraus getroffene Vereinbarung, daß fällige Zinsen wieder Zinsen tragen sollen, ist nichtig.« Darauf folgt in (2) die Ausnahme für »Sparkassen, Kreditanstalten und die Inhaber von Bankgeschäften«. Diese Ausnahme ist wahrscheinlich darin begründet, daß man bisher keine technische Möglichkeit gefunden hat und vielleicht auch nicht finden wollte, die Wiederverzinsung von nicht abgehobenen oder sofort wieder eingezahlten Geldzinsen zu verhindern.
Natürliche Wachstumsprozesse haben eine natürliche Grenze; aber beim Geld erwartet der Kreditgeber für jede zusätzlich eingesetzte Mark den gleichen Zins wie für die vorangehende. Die Zinsträchtigkeit des Geldes läßt sich nur bei einem andauernden exponentiellen Wirtschaftswachstum überhaupt verkraften. Es verhält sich damit wie mit einem Motor, der nur dann nicht ins Stottern kommt, wenn man immer mehr Gas gibt. Das kann nicht lange gut gehen; ein solcher Motor wird auseinanderfliegen. In der Technik schrillen bei exponentiell wachsenden Größen sehr bald die Alarmsignale; aber in der Wirtschaft macht man sich in solchen Fällen offenbar keine großen Gedanken. Ein ständiges (und damit exponentielles) Wirtschaftswachstum wird sogar als Staatsziel ausgegeben! Ein »stetiges« Wirtschaftswachstum von 3%, wie es erforderlich ist, um die Zinsträchtigkeit des Geldes zu verkraften, würde alle 23 Jahre eine Verdoppelung des jeweiligen Standes und damit innerhalb von 235 Jahren bereits eine Vertausendfachung bedeuten. Aber so weit will niemand denken.
Sehr problematisch ist ferner, daß die Geschäftsbanken aus Einzahlungen, über welche die Kunden weiterhin per Scheck verfügen dürfen, ein Vielfaches an Giralgeld (Scheckbuchgeld) schöpfen und kreditweise zur Verfügung stellen können. Für die Geschäftsbanken liegt eine Begrenzung ihrer Fähigkeit zu dieser Geldschöpfung nur in der Mindestreserve, die sie bei der Notenbank hinterlegen müssen, und im voraussehbar unterschiedlichen Verlangen der Kunden nach Bargeld der Notenbank. Diese von der Notenbank nur an der sehr langen Leine kontrollierbare Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken »aus heißer Luft« (Irving Fisher) ist ein wichtiger Faktor der Nichtstabilität des Geldes. Wenn Notenbankgeld in ungewohntem Maß von Konten abgehoben wird, müssen die Banken ein Vielfaches dieser Menge an in Form von Giralgeld gewährten Krediten wieder einziehen. So wirkt die Fähigkeit der Geschäftsbanken, Giralgeld zu schöpfen, grundsätzlich prozyklisch, d. h. als Multiplikator sowohl bei Expansion wie bei Kontraktion der Wirtschaft. Während des schönen Wetters der Hochkonjunktur versuchen die Geschäftsbanken ständig, Kredite wie Regenschirme unter die Leute zu bringen; aber wenn sich das geringste Wölkchen am Himmel zeigt, sind sie die ersten, die Regenschirme wieder einzusammeln (4).
Wenn man die Haushalte der Bundesrepublik in zehn gleichgroße Gruppen mit jeweils steigendem Einkommen aufteilt, ergibt sich in der Gesamtbilanz, daß die unteren acht Gruppen an die alleroberste Gruppe täglich etwa dreihundert Millionen DM an Zinsen zahlen, die meist in den Preisen für alltägliche Waren und Leistungen versteckt sind. Etwa in Kostenmieten steckt durchschnittlich ein Zinsanteil von 77%. Auch wenn kleine Sparer sich über ihre kleinen Zinsen sehr freuen, zahlen sie in Wirklichkeit viel mehr an versteckten Zinsen für die Schulden anderer, als sie selber einnehmen. Für die acht unteren Einkommensgruppen ist die Gesamt-Zinsbilanz negativ 5. So sind es die Ärmeren, die ständig die Geldvermögensbesitzer subventionieren. Wer reich ist, ist privilegiert; aber wessen Reichtum in einem Geldvermögen besteht, das er gegen Zinsen angelegt hat, der ist doppelt privilegiert; sein Reichtum wächst nun, ohne daß er selbst noch arbeiten muß. Er wird sagen, daß er sein Geld »arbeiten« lasse; aber in Wirklichkeit sind es andere Menschen, welche Zinsen und Zinseszinsen erarbeiten müssen. Nicht umsonst stellen Reklamen für Schuldverschreibungen den Kreditgeber häufig als einen untätig herumliegenden Faulpelz dar, der sich der »Zinstreppe« erfreut.
Die für geliehenes Geld zu zahlenden Zinsen setzen sich aus mehreren Anteilen zusammen, dem sogenannten Netto- oder Urzins und gegebenenfalls einer Risikoprämie und einem Inflationsausgleich sowie einer Vermittlungsgebühr für die Bank. Im folgenden soll als von dem entscheidenden Phänomen nur vom Nettozins die Rede sein.
a) Die herrschende Auffassung von diesen Zinsen ist, daß sie als Prämie für Konsumverzicht gezahlt werden. Wer, anstatt zu konsumieren, »spare«, leiste der Wirtschaft damit einen Dienst, der natürlich honoriert werden müsse.
Die bloße Tatsache, auf Konsum zu verzichten, kann aber gar nicht der Grund der Zinsen sein. Denn wer sein Geld, anstatt dafür zu konsumieren, im Sparstrumpf aufbewahrt, bekommt keine Zinsen. Außerdem wäre bei großen Vermögen anstatt von einem »Konsumverzicht« (man kann gar nicht so viel konsumieren) eher von einem »Produktionsverzicht« zu sprechen. Denn die Besitzer verzichten ja auch darauf, das Geld in eigene Produktion zu investieren. Sie verzichten überhaupt auf jede wirtschaftliche Eigentätigkeit.
Zinsen erhält man erst, wenn man das so »gesparte« Geld durch Verleihen wieder in Verkehr bringt. Man bleibt dabei der Eigentümer seines Geldvermögens, aber man vermietet den mit dem Geld verbundenen »Jokervorteil«.
b) Eine zweite mit der ersten zusammenhängende Zinstheorie geht davon aus, daß die Menschen von einer »Gegenwartspräferenz« bestimmt werden. Sie lassen sich von hemmungslosem gegenwärtigem Verbrauch nur durch die Hoffnung auf die Möglichkeit noch größeren Verbrauchs in der Zukunft abhalten.
In Wirklichkeit wird man dann wohl auch von vernünftigem Gegenwartsverbrauch künstlich durch die Hoffnung auf mehr Verbrauch in der Zukunft abgehalten. Aber es könnte ja sein, daß bestimmte Güter - etwa Obst im Sommer - gegenwärtig so reichlich vorhanden sind, daß nicht einzusehen ist, warum man durch einen allgemeinen Zinssatz des Geldes von ihrem Verbrauch abgehalten werden soll. Wenn Waren gegenwärtig knapp sind und in Zukunft reichlich vorhanden sein werden oder umgekehrt, dann würde dies besser in ihrem jeweiligen Tagespreis ausgedrückt als in einem allgemeinen Zinssatz des Geldes.
c) Eine weitere Zinstheorie begründet die Zinsen damit, daß sie in einer dynamischen Wirtschaft die Kapitalkosten seien. Denn man kann ja das Geld zum Erwerb von Produktionsmitteln benutzen, mit denen sich arbeiten und Gewinn machen läßt. Wer das Geld verleiht, verzichtet auf diese Gewinnmöglichkeit und will sich verständlicherweise den Verzicht bezahlen lassen.
Aber es dürfte sich für gewöhnlich gar nicht um den schmerzlichen Verzicht auf eine Gewinnmöglichkeit handeln, sondern um die angenehme Chance, anstatt selbst unternehmerisch tätig werden zu müssen, andere für sich arbeiten zu lassen. Und diese haben die Zinsen unabhängig davon zu zahlen, ob sie in ihren Unternehmungen tatsächlich Gewinn machen oder Verlust.
Geld ist in Wirklichkeit nur der unentbehrliche Tauschmittler. Das eigentliche Kapital besteht nicht in dem Geld, sondern in den Produktionsmitteln, die bereits vorhanden sind oder hergestellt werden, um sie für Geld verkaufen zu können. Wer also Geld leihweise zur Verfügung stellt, stellt gar nicht Kapital zur Verfügung, sondern lediglich die standardisierte Zwischentauschware, die diejenigen, welche die Produktionsmittel herstellen, mit denen ins Geschäft bringt, welche mit den Produktionsmitteln arbeiten wollen.
Marx war überzeugt, daß die Unternehmer die Arbeiter ausbeuten. Er sah die Vormachtstellung der Unternehmer in ihrem Eigentum an den Produktionsmitteln begründet. Daß die künstliche Knappheit der Produktionsmittel an der Zinsträchtigkeit des Geldes hängt, hat er nicht gesehen, und wohl auch nicht deutlich, daß der Mehrwert aus dem Wirtschaftskreislauf vornehmlich in Form von Zinsen abfließt. Unternehmer, Arbeiter und Konsumenten teilen sich - oft ohne sich dessen überhaupt bewußt zu sein - in die Zinsen, die nun einmal für geliehenes Geld zu zahlen sind. Denn ein Teil der von den Konsumenten zu bezahlenden Preise entspricht den Zinsen, die die Produzenten für Kredite zahlen; ohne solche Zinsen könnten auch die Löhne der Arbeiter und die Gewinne der Unternehmer größer sein. Was den »Standort Deutschland« am meisten gefährdet, ist das unverhältnismäßige Wachstum der Einkommen aus Vermögen (Anstieg von 1988 bis 1992: 97%); diese Einkommen müssen von den Nichtvermögenden erarbeitet werden.
Die Begründung der Zinsen aus der Möglichkeit, für einen Kredit Produktionsmittel anzuschaffen, verkennt im übrigen auch, daß die Zinsen völlig unabhängig von der Motivation zu zahlen sind, mit der man einen Kredit aufnimmt. Man muß die Zinsen auch dann zahlen, wenn man das Geld dazu braucht, eine Beerdigung zu finanzieren. Im übrigen ist auch hier das Begründungsverhältnis umgekehrt. Die für Geld geforderten Zinsen verhindern, daß ein nicht begüterter Jungunternehmer Produktionsmittel zu ihrem Nennwert kaufen kann; er hat für das dazu geliehene Geld zusätzlich zu zahlen und wird so in seiner Initiative gelähmt.
d) Den Zinsen wird schließlich eine »Allokationsfunktion« zugeschrieben. Angeblich bewirken die Zinsen, daß Geld nur dort investiert wird, wo es sich am meisten rentiert.
Aber dazu bedarf es gar nicht der Zinsen. Wenn jemand die Wahl hat zwischen einem Unternehmen, das für den Einsatz seines Geldes 8% Gewinn abwirft, und einem anderen, das nur 4% Gewinn bringt, wird er von allein das mit mehr Erfolg wirtschaftende Unternehmen wählen. Wenn dieses jedoch bereits von jemand anderem wahrgenommen wird, wird man durch den Zinssatz des Geldes an jedem anderen Unternehmen gehindert, dessen Rentabilität geringer als die ist, die dem Geld aufgrund seiner Liquidität zukommt. Denn wer für sein Geld beim Verleih ohne seine eigene Arbeit 6% Zinsen bekommt, wird es nicht in ein Unternehmen investieren, wo es ihm mit eigener Arbeit nur 4% Gewinn bringt. Die Allokationsfunktion der Zinsen besteht also nicht darin, daß das Geld in die rentabelsten Unternehmen fließt, sondern nur darin, daß diejenigen Unternehmen verhindert werden, die zwar absolut gesprochen noch immer wirtschaftlich wären, aber nicht die Rentabilität des Geldes erreichen. Das Geld dient dann lieber immer riskanterer Geldvermögensbildung und der mit hohen Zinsen verbundenen Umschichtung von Verschuldungen als der Real-Investition.
Hier dürfte einer der Hauptgründe für unsere heutige hohe Arbeitslosigkeit liegen. Die unfreiwillige Arbeitslosigkeit derjenigen, die keinen Job finden, könnte der hohe Preis für die freiwillige Arbeitslosigkeit derer sein, die ihr Kapital »arbeiten« lassen können, ohne selbst nur einen Finger zu krümmen. Tatsächlich steht die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik in einer eindeutigen Korrelation zum Beispiel zur Renditeentwicklung festverzinslicher Wertpapiere und überhaupt zur Zinslastquote in Prozent des Bruttosozialprodukts.
Im übrigen hat das Zinssystem auch schwerwiegende ökologische Auswirkungen. Die ressourcenzerstörende Ölheizung zum Beispiel erscheint nur deshalb auch über Jahre günstiger als die Nutzung von Sonnenenergie, weil letztere zinsbedingt höhere Kapitalkosten mit sich bringt.
Es macht den Eindruck, daß die gängigen Zinstheorien schon lange nicht mehr auf der Höhe heutiger Einsichten über das Funktionieren von Geld als wirtschaftliches Kommunikationsmittel stehen.
Wer Kasse hält, genießt für sich selbst den Nutzen der Liquidität. Aber er entzieht für diese Zeit das Geld seiner Verwendung als Tauschmittler und betreibt insofern so etwas wie Spielverderb für die anderen Marktteilnehmer. Seiner Freiheit, darüber zu bestimmen, wann er sein Geld einsetzt, entspricht die Ungewißheit der anderen, wann sie ihre Waren oder Leistungen werden verkaufen können. Nur gegen Zahlung eines Lösegeldes findet sich der Kassehalter bereit, mit dem Spielverderb, nämlich seiner Unterbrechung der wirtschaftlichen Kommunikation, aufzuhören und das Geld wieder in Verkehr zu bringen. Er läßt sich gewissermaßen eine private Benutzungssteuer für ein von der Öffentlichkeit betriebenes Verkehrsmittel zahlen. So hat er ein Einkommen, für das er nicht selbst arbeiten muß. Man könnte dies damit vergleichen, daß jemand, anstatt für Güterwagen der Bundesbahn, mit denen Waren angeliefert wurden, für die Dauer ihres Verbleibs in der eigenen Fabrik eine Standgebühr entrichten zu müssen, fordern könnte, daß man ihm eine Prämie dafür zahle, daß er sie wieder für den öffentlichen Verkehr freigibt.
Wer einen Kredit aufnimmt, muß für dessen gesamte Laufzeit die Zinsen als den Marktpreis für den Jokervorteil des Geldes bezahlen. Aber er wird das Geld vielleicht bereits am selben Tag verwenden, um eine dringend benötigte Ware oder Leistung zu kaufen. Damit geht nicht nur das Geld selbst, sondern auch der mit ihm verbundene Jokervorteil in andere Hände über. Das Geld mitsamt seinem Jokervorteil könnte noch während der Laufzeit des ursprünglichen Kredits erneut gegen Zinsen verliehen werden. Aber der ursprüngliche Kreditnehmer muß nicht nur die Kreditsumme selbst zurückzahlen, sondern trägt zusätzlich die Kosten des Jokervorteils, und zwar für die ganze Laufzeit des Kredits, obwohl der Jokervorteil selbst inzwischen längst von anderen genossen wird.
Dieser Störung der Marktwirtschaft durch die Parteilichkeit des Geldes könnte man entgehen, wenn man mit liquidem Geld eine »laufende Bereitstellungsgebühr« verbände. Andere sprechen von einer »Umlaufsicherungsgebühr«, die es (anders als durch den positiven Zins) verhindern würde, daß durch unnötiges Kassehalten das Geld seiner Funktion als Tauschmittel entzogen wird. Aber in Wirklichkeit handelt es sich eher um den Gegenwert für einen realen Vorteil, den liquides Geld über seinen Nennwert hinaus bietet und der das Produkt einer gesellschaftlichen Leistung ist. Der Ausdruck »laufende Bereitstellungsgebühr« oder auch »Nutzungsgebühr« erscheint deshalb zutreffender. Es ist nur gerecht, daß, wer einen Vorteil empfängt, normalerweise dafür auch selber die Kosten trägt. Allerdings tritt genau damit auch eine Umlaufsicherung ein, die, anders als gegenwärtig, eine schnellwirkende Feinregulierung der umlaufenden Geldmenge gestatten würde; denn nur was sich bewegt, kann man steuern.
Es wäre denkbar, hoheitlich Geld so einzurichten, daß sein Liquiditätsnutzen, den es in der Kasse, d. h. als Bargeld oder auf Girokonten, hat, durch eine genau entsprechende Bereitstellungsgebühr ausgeglichen würde. Im Unterschied zu einer Inflation als einer Abwertung der Währung als solcher würde es sich nur um eine Belastung liquide gehaltenden Geldes handeln. Ein Hundertmarkschein hätte nicht eines Tages nur noch 98% seines ursprünglichen Wertes, sondern man hätte aufgrund der Gebühr nach einiger Zeit nicht mehr DM 100.-, sondern nur noch DM 98.- in der Kasse. Der Wert der Währung wäre gleichgeblieben.
Zum Beispiel könnte Geld auf Girokonten einer automatischen geringfügigen Abbuchung unterliegen; Bargeld wäre von Zeit zu Zeit mit Gebührenmarken zu versehen. Solchen Abbuchungen oder Gebühren könnte man jeweils durch Verleihen des Geldes entgehen, weil sie dann von demjenigen getragen werden müßten, in dessen Kasse oder auf dessen Konto sich das Geld gerade befindet. Aber das Vermögen des Kreditgebers würde nicht mehr von alleine wachsen.
Die für die laufende Bereitstellung von Geld zu erhebenden Gebühren könnten für staatliche Aufgaben zugunsten der Allgemeinheit eingesetzt werden. Denn der Liquiditätsvorteil des Geldes war ja seinerseits das Produkt einer Leistung der Allgemeinheit, die Geld annimmt und weitergibt (7) .
Man könnte den Kosten für einen negativen Saldo durch die Aufnahme eines fast kostenlosen Kredits entgehen, der das eigene Konto ausgleicht. Die Tatsache, daß Kredite im »Neutral Money Network« fast zinslos sind, macht sie für jedermann erschwinglich, der im übrigen die Garantie der Rückzahlung nach der vereinbarten Laufzeit bietet. Das Erfordernis dieser Garantie genügt, um verantwortungslose Kreditaufnahme zu verhindern. Obwohl man neutrales Geld nicht einfach wieder in herkömmliches Geld umtauschen kann, kann man es ebenfalls als Sicherheit einsetzen, um auch einen Kredit in herkömmlichen Geld zu erhalten.
Nun wird gewiß jedermann gern bereit sein, einen für ihn fast kostenlosen Kredit aufzunehmen. Aber wer wird umgekehrt gern ein Geld in Zahlung nehmen, das in der eigenen Kasse mit Kosten verbunden ist? Darauf ist zu antworten: Wer Waren und Leistungen anzubieten hat, für die ein wirklicher Bedarf besteht, und sie nur deshalb nicht verkaufen kann, weil für die möglichen Kunden das Geld durch die Zinsen zu teuer ist, wird lieber neutrales Geld annehmen, als auf seinen Waren und Leistungen sitzen zu bleiben. Ein Unternehmer, der bei einem zusätzlichen Geschäft vielleicht 10 bis 20% Gewinn machen würde, wäre sicher bereit, die damit verbundenen kurzfristigen und deshalb geringen Kosten für Kassehaltung mit neutralem Geld in Kauf zu nehmen. Auch etwa ein Hypothekenschuldner hätte Nutzen von einem Neutralgeld-Kredit, um inzwischen die bisherigen Schulden abzutragen: Entlastung von Zins durch Umschuldung. Und vielleicht würde es ebenso der Öffentlichen Hand ganz gut gefallen, so mit ihren Schulden zu verfahren.
Man könnte ferner den Einwand erheben, ob denn ohne Aussichten auf Zinsen noch genügend Anreiz zum Sparen besteht. Aber wer künftige Ausgaben wie zum Beispiel für eine Weltreise oder eine Aussteuer oder für seine Altersversorgung voraussieht, hat ohnehin Anlaß, im Hinblick darauf zu sparen. Und durch Verleihen von Geld wird man ja die sonst in diesem neuen System mit Kassehalten verbundenen Kosten los. Allerdings würden Ersparnisse nicht mehr über die eingezahlte Summe hinaus wachsen. Auf Dauer stünden sich aber gerade die kleinen Sparer nicht schlechter, sondern besser, weil ihre eigenen versteckten Zinszahlungen für die reichste Bevölkerungsgruppe immer mehr entfielen. Und den Reichen würde nicht das Privileg ihres Reichtums genommen, sondern nur das zusätzliche Privileg, daß ihr Reichtum ohne ihre eigene Arbeit dadurch wächst, daß sie die Transaktionsbedürfnisse anderer ausnutzen können. Der damit verbundene Abbau sozialer Spannungen könnte auf Dauer in höchstem Maß in ihrem eigenen Interesse liegen.
Zur Errichtung eines solchen »Neutral Money Network« wäre es nur erforderlich, eine kritische Menge an Teilnehmern zu gewinnen, so daß der Markt innerhalb des Netzwerks eine genügende Angebotsvielfalt erreicht. Man muß sich im übrigen diesem System nicht mit Haut und Haaren verschreiben; man könnte daneben auch Konten in herkömmlichem Geld führen; und es würde bereits genügen, wenn die Teilnehmer wenigstens auf bestimmten Gebieten bereit wären, Zahlungen in Neutral-Geld anzunehmen.
Natürlich ist eine Systemverbesserung unseres Geldes nicht die einzige Maßnahme, die erforderlich ist, um der Arbeitslosigkeit abzuhelfen. Damit nicht die Menschen das Kapital bedienen müssen, sondern das Kapital den Menschen dient, wäre es sinnvoll, das Steuersystem in einem schockfreien langsamen Übergang so einzurichten, daß weniger der Lohn für geleistete menschliche Arbeit, sondern eher Energieverbrauch und die Produktivität von Maschinen besteuert würden. Ebenso bedürfte es einer Reform des Bodenrechtes im Sinne von Erbpachtbestimmungen, um auch hier »freiwillig arbeitslosen« privaten Gewinnzuwachs zu verhindern: statt Eigentums am Boden sollten nur mit Gebühren verbundene Nutzungsrechte bestehen, so daß er nicht als spekulative Kapitalanlage mißbraucht werden kann.
(2) Bei der Bundesbank gehen die Gewinne an den Bund. Beim Ankauf
von Devisen kommt Geld auch ohne Zinsen in Umlauf. Der Anteil
an der umlaufenden Geldmenge, der über zinsbelastete Kredite
an die Geschäftsbanken in Umlauf gekommen ist, dürfte
bei etwa 70% liegen.
(3) Die durchschnittlichen Zinsbelastungen in allen Preisen lassen
sich aus der Relation des gesamten Kapitaleinsatzes (Gesamtverschuldung
und schuldenfreies Eigenkapital) zum Bruttosozialprodukt berechnen.
In der Bundesrepublik kam im Jahr 1990 auf ein zinsbringendes
Gesamtkapital von ca. 8.800 Mrd. DM eine Zinslast von ca. 620
Mrd. DM, d. h. von 26% des Bruttosozialproduktes, das ca. 2.426
Mrd. DM betrug; verglichen mit dem Volkseinkommen macht die Zinslast
33% aus, und verglichen mit dem verfügbaren Einkommen der
Haushalte 41%; als Durchschnittsbelastung für jeden Haushalt
ergäbe sich die Summe von DM 23.000.
(4) Vgl. dazu Irving Fisher, 100% money, Designed to keep checking
banks 100% liquid; to prevent inflation and deflation; largely
to cure or prevent depressions; and to wipe out much of the National
Debt, New York 21936, sowie Rolf Gocht, Kritische Betrachtungen
zur nationalen und internationalen Geldordnung, Berlin 1975.
(5) Vgl. Helmut Creutz, Das Geldsyndrom - Wege zu einer krisenfreien
Marktwirtschaft, München 1993, 242-244 und 283-286.
(6) Vgl. dazu bereits John Maynard Keynes, The General Theory
of Employment, Interest and Money, London 1936, 166f.
(7)
Irving Fisher, Stamp Scrip, New York 1935, hat eine Reihe
nordamerikanischer kommunaler Versuche eines mit Gebühren
belasteten Geldes detailliert beschrieben. Berühmt sind auch
die sehr erfolgreichen Selbsthilfeaktionen am Anfang der dreißiger
Jahre in Schwanenkirchen und in der österreichischen Gemeinde
Wörgl; es gelang damit, die Arbeitslosigkeit weitgehend zu
überwinden. Vgl. WERNER ONKEN, Ein vergessenes Kapitel der
Wirtschaftsgeschichte - Die Selbshilfeaktionen mit Freigeld, in:
HELMUT CREUTZ, DIETER SUHR, WERNER ONKEN, Wachstum bis zur Krise,
Berlin 1986, 62-87.
(8)
Bereits John Maynard Keynes, Proposals for an International
Clearing Union, London 1943, hatte Entsprechendes für den
internationalen Währungsfonds in der Form vorgeschlagen,
daß sowohl für liquide Guthaben wie für liquide
Überziehungsposten von einer bestimmten Höhe an Gebühren
zu zahlen wären. Nach dem Vorschlag von Keynes sollten liquide
Posten bei der Internationalen Zahlungsunion überhaupt auf
bestimmte Quoten beschränkt bleiben. Bei Inanspruchnahme
bis zur Hälfte der Quote sollte 1%, bei Inanspruchnahme auch
der zweiten Hälfte sollten 2% bezahlt werden.
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W. Roehrig.
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