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Auszug aus:
Margrit Kennedy: Geld ohne Zinsen und Inflation
Ein Tauschmittel, das jedem dient
Wilhelm Goldmann Verlag, München 1994
ISBN 3-442-12341-0
DM 14,90

(Stand: 3.4.1996)


KAPITEL 4: LERNEN AUS DER GESCHICHTE

Das Geldsystem, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben, ist mehr als 2000 Jahre alt. Das deutsche Wort Geld deutet auf seinen Ursprung, nämlich Gold, hin. Gold, ein im Grunde außer für Schmuck und Ornamente recht unbrauchbares Metall, wurde im 4. Jahrhundert nach Christus das bevorzugte Tauschmittel im römischen Reich. Geld war zuerst gleichbedeutend mit Münzen. Dieses Konzept haben die U.S.A. in ihrer Verfassung übernommen. Gold- und Silbermünzen (bzw. deren hinterlegte Deckung) waren in den USA bis 1934 das legale Zahlungsmittel. Bis heute möchten viele Menschen zum Goldstandard des Geldes zurückkehren, weil das oberflächlich betrachtet zuerst einmal größere Sicherheit verspricht als das praktisch unbegrenzte Nachdrucken von Papiergeld.

Als Silvio Gesell 1916 sein Buch "Die natürliche Wirtschaftsordnung" herausgab, beschäftigte er sich darin noch intensiv mit diesem Thema (44). Im Gegensatz zu allen anerkannten Wirtschaftswissenschaftlern seiner Zeit versuchte er, theoretisch und unterstützt durch viele praktische Beispiele nachzuweisen, daß der Goldstandard nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich für ein gut funktionierendes Geldsystem auf der Basis von zinsfreiem Geld ist.

Heute wissen wir, daß der Goldstandard keine notwendige Vorbedingung ist, denn kein Geldsystem der Welt beruht noch auf dem Goldstandard. Um 1930 setzte sich John Maynard Keynes, dem die Arbeit Silvio Gesells wohl vertraut war, dafür ein, daß der Goldstandard als Hindernis für eine gut funktionierende Wirtschaft erkannt und abgeschafft wurde. Er versäumte jedoch, einen anderen sehr wesentlichen Bestandteil miteinzuführen: Den Ersatz des Zinses durch eine Umlaufgebühr. In seinem Buch "The Capitalistic Cost Benefit Structure of Money" zeigt Dieter Suhr, daß Keynes an diesem Punkt nicht zuende gedacht hat, und warum dieser Fehler uns in der Vergangenheit und auch heute erneut in größte Schwierigkeiten gebracht hat (37).

Wie schwierig ein tieferes Verständnis der Geldproblematik wirklich ist, möchte ich nachfolgend an zwei geschichtlichen Beispielen aufzeigen.

DAS BRAKTEATENGELD IM MITTELALTERLICHEN EUROPA

Zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert wurde in Europa Geld verwendet, welches man Brakteaten nannte. Die jeweiligen Städte, Bischöfe oder Herrscher gaben es heraus. Dabei diente es nicht nur dem Austausch von Waren und Dienstleistungen, sondern auch als Mittel, Steuern zu erheben. Die dünnen Gold- und Silbermünzen wurden ein- bis dreimal jährlich "verrufen", d. h. eingezogen und durch neu geprägte Münzen ersetzt. Dabei wurden sie bis zu 25% abgewertet, und dieser Teil als "Schlagschatz" oder "Prägesteuer" einbehalten.

Natürlich wollte niemand dieses Geld behalten. Stattdessen investierte man lieber in Möbel, gut gebaute Häuser, Kunstwerke und alles, was seinen Wert zu behalten oder sogar zu steigern versprach. In dieser Epoche entstanden einige der schönsten sakralen und weltlichen Kunstwerke und Bauten, und wir erinnern uns bis heute an diese Zeit als einen der kulturellen Höhepunkte der europäischen Geschichte. "Da es nicht möglich war, Geldreichtum anzusammeln, wurde statt dessen realer Reichtum geschaffen" (46). Handwerker hatten eine Fünftagewoche, der "blaue Montag" wurde eingeführt, und der Lebensstandard war hoch. Außerdem entstanden keine kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Einflußsphären. Das ist der Grund, warum es über diese Epoche in den Geschichtsbüchern kaum Aussagen gibt. Geschichtsschreibung war und ist fast ausschließlich die Geschichte von Kriegen und Revolutionen.

Weil es gleichzeitig der Eintreibung von Steuern diente und deshalb in regelmäßigen Abständen von seinem Wert verlor, war dieses Geld nicht beliebt. Deshalb wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts der sogenannte "ewige Pfennig" wieder eingeführt, ein Geld, das nicht entwertet wurde. Es gab wieder Zinsen, und in den Händen von immer weniger Leuten sammelte sich immer mehr Reichtum an, mit allen daraus folgenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Die Fugger und Welser wurden immer reicher, die anderen gerieten immer tiefer in den Schuldensumpf, vom Kaiser bis zu den Bauern. Dieses Beispiel aus der Geschichte lehrt uns, daß Steuern getrennt und nicht zusammen mit der Umlaufgebühr des Geldes erhoben werden sollten.

DER GOLDSTANDARD IN DER WEIMARER REPUBLIK.

In der Weimarer Republik (1919-33) und nach dem Erleben der enormen Inflation 1923 wurde 1924 die neue Reichsmark eingeführt, die zu 40% mit Gold bzw. Devisen gedeckt sein mußte. Das bedeutete die Rückkehr zum Goldstandard. Nach dem "Schwarzen Freitag" 1929 und der dadurch ausgelösten Weltwirtschftskrise mußte die Reichsbank Teile ihrer geliehenen Goldreserven an die U.S.A. zurückgeben. Da damit die im Umlauf befindliche Geldmenge nicht mehr ausreichend mit Gold abgesichert war, begann der damalige Reichsbankpräsident Luther die Menge des umlaufenden Geldes langsam zu reduzieren. Die darauf folgende Verknappung des Geldes führte zu steigenden Zinssätzen und vor allem einem deflationären Preisverfall. Als Folge verringerten sich die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmer, Firmen gingen bankrott, die Arbeitslosenzahlen kletterten nach oben, und es entstand ein guter Nährboden für Radikalismus. Hitlers Aufstieg hatte politische, ökonomische und psychologische Gründe. Von den ökonomischen Ursachen wurde die damalige Geldpolitik bisher am wenigsten beachtet. Sie hat die Massenarbeitslosigkeit verursacht und damit eine entscheidende Voraussetzung für den Sieg der Nazis geschaffen (47).

Silvio Gesell hatte diese Entwicklung vorausgesehen. Bereits 1918, also kurze Zeit nach dem ersten Weltkrieg, als jeder über Frieden sprach und viele internationale Organisationen zur Friedenssicherung gegründet wurden, schrieb Gesell den folgenden Brief an den Herausgeber der "Zeitung am Mittag" in Berlin:

"Trotz dem heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz dem Ruf der Millionen: 'Nie wieder Krieg', entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muß ich es sagen: Wenn das heutige Geldsystem die Zinswirtschaft beibehalten wird, so wage ich, heute schon zu behaupten, daß es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen werden. Ich sehe die kommende Entwicklung klar vor mir. Der heutige Stand der Technik läßt die Wirtschaft rasch zu einer Höchstleistung steigern. Die Kapitalbildung wird trotz der großen Kriegsverluste rasch erfolgen und durch ein Überangebot den Zins drücken. Das Geld wird dann gehamstert werden. Der Wirtschaftsraum wird einschrumpfen und große Heere von Arbeitslosen werden auf der Straße stehen.... In den unzufriedenen Massen werden wilde, revolutionäre Strömungen wach werden, und auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wieder wuchern. Kein Land wird das andere mehr verstehen, und das Ende kann nur wieder Krieg sein." (48)

Historisch gesehen wurde das Geld damals durch die Zentralbank verknappt und von den Bürgern - der fallenden Preise wegen - zusätzlich gehortet. Die Auswirkungen waren fatal. Heute stehen die Leiter der Zentralbanken vor dem Problem einer zu groß geratenen Geldmenge, da sie gehortetes Geld durch zusätzlich gedrucktes ersetzen, und damit die nächste Inflation mit ihren schädlichen Folgen selbst vorbereiten. Sie nutzen den Zins als Steuerungsinstrument. Das ist, als wolle man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.


Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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