Da aber, wie bemerkt, die Hausseprämie nur zusammen mit
einer allgemeinen Auf-
wärtsbewegung der Warenpreise auftritt und zugleich mit dieser
wieder verschwindet,
so können wir als sicher voraussetzen, daß der Zinsfuß
während der Niedergangszeiten,
der sogenannten Baisseperioden, deren die Geschichte mehrere aufweist,
nur aus Kapital-
zins und etwaiger Risikoprämie besteht. Der Zinsfuß
aus solchen Zeiträumen eignet
sich also vortrefflich zur Ermittlung der Bewegungen des Kapitalzinses.
Eine solche Periode allgemeinen und unaufhaltsamen Preisrückganges
war bekanntlich
die Zeit vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis etwa zum Jahre 1400. (1)
Während dieser langen
Periode war der Geldumlauf ausschließlich auf Gold und Silber
beschränkt (Papiergeld
und Schinderlinge gab es noch nicht); dabei waren die Fundgruben
dieser Metalle,
namentlich die spanischen Silberminen, erschöpft; das aus
dem Altertum stammende
Gold war durch Zinsverbote (wenn auch oft unwirksame) am Umlauf
behindert und ging
nach und nach verloren. Der allgemeine Preisrückgang ist
also durch allgemein aner-
kannte Tatsachen reichlich begründet und wird auch von keiner
Seite bestritten.
In dem Werke Gustav Billeters: "Die Geschichte des Zinsfußes
im griechisch-römischen
Altertum bis auf Justinian" findet man nun folgende Angaben:
S.163: "In Rom finden wir für den Zinsfuß seit
Sulla (82 bis 79 v. Chr.) schon die
wesentlichen Typen fixiert: 4-6%.
S. 164: "Cicero schreibt gegen Ende des Jahres 62: "Solide,
zahlungsfähige Leute
bekommen zu 6% Geld in Hülle und Fülle." Billeter
fügt hier hinzu: "Man sieht, daß
darin schon eine Tendenz zum Sinken angedeutet liegt; in der Tat
werden wir bald
darauf schon einen niedrigeren Satz finden."
S.167: "Der Zinsfuß war in den Kriegszeiten (um das
Jahr 29) 12%, d. h., selbst
solide Leute mußten soviel bezahlen. Von 4 - 6% war man
also zu 12% gelangt. Nun
wurde rasch wieder der ehemalige Stand von 4% erreicht."
Bemerkung: Der vorübergehende Zinsfuß von 12 % in
Kriegszeiten ist vielleicht durch
eine besonders große Risikoprämie genügend erklärt.
Auch muß mit der Möglichkeit
gerechnet werden, daß auch hier und da und dort trotz des
allgemeinen Geldmangels, aus
vorübergehenden oder örtlichen Gründen die Preise
wieder einmal anzogen und der Zins-
fuß eine Hausseeprämie aufnahm. Eine Änderung
in der Schnelligkeit des Geldumlaufes,
vielleicht hervorgerufen durch eine neue gesetzliche Handhabung
dese Zinsverbotes usw.
würde ja zur Erklärung solcher Vorgänge genügen.
S.180: Römische Kaiserzeit vor Justinian: "Für
sichere Anlagen finden wir 3-15%,
und zwar ist 3% recht vereinzelt; der Satz erscheint deutlich
als der niedrigste, auch
bei rentenartigen Anlagen. 15% ist ganz vereinzelt, 12% nicht
eben selten, aber doch
nicht typisch,10% vereinzelt. Der eigentliche Typus liegt zwischen
4-6%, wobei inner-
halb dieser Sätze sich weder eine zeitliche noch eine örtliche
Differenzierung nach-
weisen läßt, sondern durchweg nur eine solche nach
der Art der Anlage, indem 4%
einen niedrigeren Typus, 6% den ganz nörmalen, 5% den dazwischen
liegenden Satz
für sehr gute Anlagen bzw. auch einen normalen Satz für
Anlagen gewöhnlicher Sicher-
heit darstellt. Als ausgesprochen mittlere Zinsrate finden wir
ebenfalls 4-6% (nie 12);
als Kapitalisierungsrate 4% und 3,5 %."
S. 314: Die Zeit des Justinian (527-565 n. Chr.): "Ziehen
wir die Schlußresultate.
Wir sehen, daß unter besonderen Umständen die Kapitalisierungsrate
bis gegen 8%
ansteigen oder bis auf 2% oder gegen 3% sinken kann. Was die mittleren,
durchschnitt-
lichen Sätze anbetrifft, so fanden wir 5% als wahrscheinlich
normal, durchschnittlich
vielleicht ein wenig zu hoch; 6-7% ebenfalls als mittlere Rate,
aber jedenfalls etwas
hoch gegriffen, so daß dieser Satz nicht mehr als ganz gewöhnliches
Mittel gelten kann.
Wir werden also wohl am richtigsten von etwas unter 5 bis gegen
6% die eigentliche
Mittellage ansetzen."
Die Untersuchungen Billeters schließen hier mit der Zeit
Justinians ab. Fassen wir
kurz die gemachten Angaben zusammen:
Zur Zeit Sullas (82-79 v. Chr.) bezahlte man 4-6%. Zur Zeit Ciceros
(62 v. Chr.)
war zu 6% Geld in Hülle und Fülle zu haben. Nach einer
durch Krieg verursachten
kurzen Unterbrechung (29 v. Chr.) behauptete sich wieder der ehemalige
Zinsfuß von 4%.
Während der Römischen Kaiserzeit vor Justinian berechnete
man gewöhnlich 4-6%.
Während der Regierung Justinians (527-565) betrug der mittlere
Zinsfuß 5-6%.
Was bedeuten nun diese Zahlen? Nun, daß während eines
Zeitraumes von 600 Jahren
der Zinsfuß fast genau den gleichen Stand einnahm wie heute,
1,5 Jahrtausend später.
Der Zinsfuß stand vielleicht mit 4-6,5 % eine Kleinigkeit
höher als heute, aber diesen
Unterschied kann man wohl auf Rechnung der Risikoprämie setzen,
die im Altertum
und Mittelalter höher angesetzt werden mußte, als heute,
wo Kirche, Sitte und Gesetz
den Zins in Schutz genommen haben.
Diese Zahlen beweisen, daß der Zins unabhängig ist
von wirtschaftlichen, politischen
und sozialen Verhältnissen; sie schlagen den verschiedenen
Zinstheorien und namentlich
den Produktivitätstheorien (den einzigen, die wenigstens
noch den Schein für sich haben)
geradezu ins Gesicht. Wenn man für neuzeitliche Arbeitsmittel,
z B. Dampfdresch-
maschinen, Selbstbinder, Mehrladegewehre, Sprengstoff usw. denselben
Zins zahlt,
wie vor 2000 Jahren für Sichel, Dreschflegel, Armbrust oder
Keil, so beweist dies doch
klar genug, daß der Zins nicht von der Nützlichkeit
oder Leistungsfähigkeit der Arbeits-
mittel (Produktionsmittel) bestimmt wird.
Diese Zahlen bedeuten, daß der Zins Umständen sein
Dasein verdankt, die schon
vor 2000 Jahren und während eines 600jährigen Zeitraumes
in fast genau der gleichen
Stärke wie heute ihren Einfluß ausübten. Welche
Umstände, Kräfte, Dinge sind das?
Keine einzige der bisherigen Zinstheorien gibt uns auch nur eine
Andeutung für die
Beantwortung dieser Frage.
Billeters Untersuchungen schließen leider mit Justinian
ab, und soweit ich unterrichtet
bin, fehlen zuverlässige Untersuchungen über den folgenden
Zeitraum bis Kolumbus.
Es wäre übrigens wohl auch schwer, für diesen Zeitabschnitt
zuverlässige Nachweise
zusammenzutragen, wenigstens aus den christlichen Ländern,
weil das Zinsverbot immer
strenger gehandhabt wurde, weil mit dem fortschreitenden Mangel
an Geldmetallen der
Geldverkehr und der Handel immer mehr zusammenschrumpften. Von
1400 ab nahmen
die Herabsetzungen des Münzfußes größeren
Umfang an und lassen den reinen Kapital-
zins im Zinsfuß nicht mehr erkennen. Hier hätte dann
Billeter seine Untersuchungen
mit preisstatistischen Arbeiten verbinden müssen, um die
etwaige Hausseprämie vom
Zinsfuß zu trennen.
Wenn Papst Clemens V. auf dem Konzil zu Vienne (1311) weltliche
Obrigkeiten, welche
zinefreundliche Gesetze erließen, mit dem Kirchenbann bedrohen
konnte, so zeigt das,
wie schwach der Handel damals war, wie vereinzelt Darlehnsgeschäfte
vorkamen. Ein-
zelnen Sündern gegenüber konnte der Papst mit Strenge
auftreten; wäre der Handel
damals lebhafter und die Übertretung des Zinsverbotes eine
alltägliche Erscheinung ge-
wesen, so hätte sich der Papst keine solche Drohung erlauben
dürfen. Beweis dafür ist
die Tatsache, daß mit der Belebung des Verkehrs auch die
kirchengesetzliche Gegner-
schaft des Zinses sofort abflaute.
Als Beleg für obige Behauptung, daß der reine Zins
eine so gut wie unveränderliche,
fast eherne Größe ist, mögen die beiden folgenden
Zeichnungen dienen, aus denen
hervorgeht, dsß die Schwankungen des Zinsfußes auf
die Schwankungen der Waren-
preise (Hausseprämie) zurückzuführen sind. Hätten
wir eine unveränderliche Währung
gehabt, so wäre der Zinsfuß seit 2000 Jahren unverändert
auf 3-4% stehengeblieben.
Mit der Erfindung des Schinderlings im 15. Jahrhundert, der für
die Preise von gleicher
Bedeutung ist wie die Erfindung des Papiergeldes, und mit dem
Erschließen der Silber-
bergwerke im Harz, in Österreich und Ungarn wird die Geldwirtschaft
vielerorts möglich.
Und mit der Entdeckung Amerikas begann die große Preisumwälzung
des 16. und
17. Jahrhunderts. Die Preise stiegen unaufhaltsam, und der Zinsfuß
wurde mit einer
schweren Hausseprämie belastet. So darf man sich nicht wundern,
wenn der Zinsfuß
während dieser ganzen Zeit sehr hoch stand.
Der Schrift Adam Smiths "Untersuchung über das Wesen
des Reichtums" (Inquiry
into the nature of wealth) entlehne ich folgende Zahlen: 1546
wurden 10% als die ge-
setzlich zulässige Grenze des Zinsfußes erklärt,
1566 wurde dies Gesetz durch Elisabeth
erneuert, und 10% blieb gesetzlich zulässig bis 1624.
Um diese Zeit war die Preisumwälzung im wesentlichen beendet
und die allgemeine
Preissteigerung in ein ruhiges Fahrwasser gelangt. Gleichzeitig
mit dieser Entwicklung
geht dann auch der Zinsfuß zurück: 1624 wurde der Zins
auf 8%, dann, kurz nach der
Wiedereinsetzung der Stuarts (1660), auf 6% herabgesetzt, und
1715 auf 5%.
"Diese verschiedenen gesetzlichen Regelungen scheinen sämtlich
dem Zinsfuß im freien
Marktverkehr erst gefolgt, nicht aber ihm voraufgegangen zu sein."
So Adam Smith.
Seit Königin Anna (1703/14) scheint 5% eher aber als unter
der "market rate" (Markt-
satz) gewesen zu sein. Natürlich, denn zu dieser Zeit war
die Preisumwälzung beendet,
und der Zinsfuß bestand jetzt nur noch aus Kapitalzins und
Risikoprämie, also aus reinem
Geldzins und Gefahrbeitrag.
"Vor dem letzten Krieg (sagt Smith) borgte die Regierung
zu 3% und vertrauens-
werte Privatleute in der Hauptstadt, sowie in vielen anderen Landesteilen
zu 3 1/2 %, 4 und
4 1/2 %."
Also genau dieselben Verhältnisse, die wir jetzt haben.
Soll ich noch mehr Nachweise zusammentragen zum Beweis, daß
der reine Kapital-
zins eine eherne Größe ist, daß der reine Kapitalzins
nicht unter 3 % fällt, nicht über
4-5% steigt, daß alle Schwankungen des Zinsfußes nicht
auf Schwankungen des Ur-
zinses zurückzuführen sind? Wann ist in der Neuzeit
der Zinsfuß gestiegen? Immer
nur zusammen mit den Warenpreisen. Nach den kalifornischen Goldfunden
stieg der
Zinsfuß so hoch, daß die verschuldeten Großgrundbesitzer
trotz der erhöhten Getreide-
preise über Notstand klagten. Die erhöhten Getreidepreise
wurden durch erhöhte Lohn-
forderungen ausgeglichen. Mit der Erschöpfung der Goldminen
fielen die Preise, zu-
gleich mit dem Zinsfuß. Dann kamen die Milliarden, hohe
Preise, hoher Zinsfuß. Mit dem
großen Krach fielen die Preise, fiel auch der Zinsfuß.
Während der letzten geschäftlichen
Hochflutzeiten (Hochkonjunkturen 1897 bis 1900 und 1904 bis 1907)
war auch der
Zinsfuß gestiegen; dann sind die Preise wieder gefallen,
und der Zinsfuß war auch wieder
niedrig. Jetzt steigen die Preise wieder langsam und auch der
Zinsfuß. Kurz, rechnet
man überall vom Zinsfuß die auf Rechnung der allgemeinen
Preissteigerung zu setzende
Hausseprämie ab, so bleibt als Zins eine eherne Größe
zurück.
Warum fällt der Zins niemals unter 3, warum geht der Zins
nicht auf Null zurück,
nnd wenn es auch nur vorübergehend wäre, einen Tag im
Jahre, ein Jahr im Jahrhundert,
ein Jahrhundert in zwei Jahrtausenden?