Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


5.2. Der Urzins

Nach der Darstellung, die uns sowohl die bürgerlichen, wie auch die marxfreundlichen
Zinsforscher geben, soll der Zins eine untrennbare Begleiterscheinung des Privateigen-
tums an den Produktionsmitteln sein. "Wer die Gütergemeinschaft, den Kommunismus
ablehnt und die freie Wirtschaft will, der muß auch die Zinswirtschaft (Kapitalismus)
mit in Kauf nehmen" - so sagen alle, die sich bisher den Zins näher angeschaut haben.
Daß dann weiter, im Lichte der Sittenlehre, die Ansichten in der Beurteilung des Zinses
erheblich auseinandergehen, ist von nebensächlicher Bedeutung und trägt zur Klärung
der Angelegenheit nichts bei. Ob es sich nach Ansicht der Sozialisten um eine gewalt-
same Aneignung, um einen die gute Sitte verletzenden Mißbrauch wirtschaftlicher
Übermacht handelt, oder ob der Zins den bürgerlichen Volkswirten als gerechte Be-
lohnung wirtschaftlicher Tugenden: Ordnung, Fleiß, Sparsamkeit erscheint, das kann
dem, der den Zins aufzubringen hat, dem Besitzlosen (Proletarier) ziemlich gleich-
gültig sein.

In Übereinstimmung mit obiger Anschauung müssen die Marxfreunde die Quelle des
Zinses (des Mehrwertes) in der Fabrik, auf alle Fälle in der Trennung des Arbeiters
von seinen Arbeitsmitteln suchen, und sie wähnen, sie auch dort festgelegt zu haben.
Ich werde nun zeigen, daß der Zins völlig unabhängig vom Privateigentum an den Pro-
duktionsmitteln ist, daß er auch dort besteht, wo es keine besitzlose Menge (Proletariat)
gibt und gab, und daß Sparsamkeit, Ordnung, Fleiß und Tüchtigkeit niemals den Zins
entscheidend beeinflußt haben. Im Widerspruch zu dieser Kapitaltheotie werde ich
zeigen, daß der Zins in unserem uralten, aus der Zeit der Babylonier, Hebräer, Griechen
und Römer stammenden Gelde wurzelt und durch dessen körperliche oder gesetzlich
erlangte Vorzüge geschützt ist.

Merkwürdigerweise beginnt übrigens Marx (1) mit seinen Untersuchungen über den
Zins gleichfalls beim Geld. Ihm widerfuhr jedoch das Mißgeschick, daß er (trotz der
Warnung Proudhons) am entscheidenden Ort mit einer falschen Voraussetzung begann
und genau wie die gewöhnlichen kapitalfreundlichen Zinsforscher Geld und Ware als
vollkommene Äquivalente (2) behandelte.

Durch diesen unglücklichen Mißgriff wurde Marx gleich von Anfang an auf ein
falsches Gleis abgetrieben.

Marx findet am Geld nichts auszusetzen. So wie wir es von den alten Babyloniern
und Israeliten, von den Griechen und Römern übernommen haben, ist das Geld nach
Marx ein vollkommenes, tadelloses Tauschmittel, das von Anbeginn seine Aufgabe
glänzend erfüllt hat. Daß im Mittelalter wegen Geldmangels Geldwirtschaft und Arbeits-
teilung sich nicht entfalten konnten, daß das Zinsverbot der Päpste die Geldwirtschaft
aufhob - obschon dieses Zinsverbot doch eigentlich nichts anderes bedeutete, als die
gewaltsame Herstellung der von Marx vorausgesetzten Äquivalenz von Geld und Ware -
das alles kann Marx in seinem Urteil nicht stutzig machen, daß das Geld ein voll-
kommenes Tauschmittel, ein wirkliches, allseitiges "Äquivalent" sei. Eine besondere
Geldmacht kennt Marx selbstverständlich nicht. Die Ausbeutung der Völker durch die
goldene Internationale, durch die Börsen- und Wucherspieler muß Marx verneinen.
Börsenraub gibt es nicht, sondern nur "Prellereien". Der Börsenräuber bedient sich der
List, nicht der Macht. Er ist nur ein Dieb. Raub setzt Macht voraus, und diese haben
nicht die Geldleute, nicht die Börsenfürsten, sondern die Besitzer der Produktions-
mittel. Kurz, Geld und Ware sind "Äquivalente", zu jeder Zeit, an jedem Ort, gleich-
gültig, ob das Geld in den Händen eines als Selbstverbraucher oder als Kaufmann auf-
tretenden Käufers liegt. Und so spricht er es geradezu aus: "Daß nun, obschon Gold
und Silber nicht von Natur aus Geld, Geld aber von Natur Gold und Silber ist, be-
weist die Kongruenz seiner Natureigenschaften mit denen seiner Funktionen als Tausch-
mittel:

"Dies Kind, kein Engel ist so rein,
Laßt's eurer Huld empfohlen sein!"

Mit diesem Loblied auf das Gold und die Goldwährung hat Marx die Aufmerksam-
keit des Proletariats vollkommen vom Geld abgelenkt und die Börsenräuber, Wucher-
spieler, Spitzbuben unmittelbar in den Schutz der besitzlosen Klasse, des Proletariats
gestellt. Und so hat man das traurig-lustige Schauspiel, daß jetzt überall in der Welt
"die Wachen vor Mammons Tempel durch die rote Garde besetzt sind". (3)

Tatsache ist, daß in den sozialdemokratischen Wahlflugblättern und in der Presse das
Wort Zins und Geld nicht ein einziges Mal erwähnt wird!

Noch merkwürdiger aber ist es, daß Marx in der von ihm selbst als Regel bezeich-
neten Abwicklung des Tausches (G.W.G. = Geld, Ware, Mehrgeld) wohl einen Wider-
spruch mit der behaupteten Äquivalenz findet, die Lösung dieses Widerspruchs jedoch
anderswo, und zwar in einer langen Kette von Mittelgliedern nachzuweisen verspricht.

Diese "lange Kette" ist der Produktionsprozeß, und zwar beginnt und endet diese
Kette in der Fabrik. Der Unternehmer ist nicht ein Ausbeuter unter vielen, sondern
ist der Ausbeuter. Die Ausbeutung geschieht restlos an der Lohnkasse.

Um den von Marx in der Formel G.W.G.' aufgedeckten Widerspruch glatt zu lösen,
werde ich keine solche Kette von Mittelgliedern nötig haben. Ich werde dem Zins die
Angel vor das Maul werfen und ihn geradeswegs aus seinem Elemente ziehen, für jeder-
mann erkennbar. Die Kraft, die zu der Tauschformel G.W.G.' gehört, werde ich un-
mittelbar im Tauschvorgang enthüllen. Ich werde zeigen, daß das Geld in der Gestalt,
in der wir es von den Alten unbesehen übernommen haben, kein "Äquivalent " ist und
daß es nicht anders als nach der Formel G.W.G.' umlaufen kann, daß jedes Volk, das
zu diesem Geld griff, um die Arbeitsteilung zu fördern und den Austausch der Waren zu
erleichtern, unrettbar der Zinswirtschaft, dem Kapitalismus verfallen mußte.

Die Kraft, die das Geld nach der Formel G.W.G.' umlaufen läßt, also die Kapital-
eigenschaft des Geldes, beruht auf folgenden Eigenschaften:

1. Das Geld ist unbedingte Voraussetzung entwickelter Arbeitsteilung.

2. Das herkömmliche Geld (Metall- und Papiergeld) läßt sich, dank seiner körper-
lichen Verfassung, unbegrenzt und ohne nennenswerte Lagerkosten vom Markte zurück-
halten, während die auf das Geld als Tauschvermittler unbedingt angewiesenen Waren-
erzeuger (Arbeiter) durch die ständig wachsenden Verluste, die mit dem Aufbewahren
der Waren verbunden sind (4), eine Zwangsnachfrage nach Geld halten.

3. Infolge dieses eigentümlichen Sachverhalts vermag der Kaufmann von den Waren-
besitzern eine besondere Vergütung dafür zu erzwingen, daß er darauf verzichtet, den Aus-
tausch der Waren durch Festhalten des Ge1des willkürlich hinauszuziehen, d. h. zu ver-
schleppen und nötigenfalls gänzlich zu verhindern.

4. Aus dieser regelmäßigen Vergütung setzt sicb der Zins des Handelskapitals zu-
sammen, und er beträgt, auf den Jahresumsatz verteilt, nach mehrtausendjähriger Er-
fahrung 4-5%.

Diese besondere, vom Handelsgewinn (5) scharf zu trennende Vergütung kann selbst-
verständlich nicht der von seinen leiblichen Bedürfnissen getriebene Warenkäufer (Ver-
braucher genannt) erheben (denn hier ist das Bedürfnis des Geldbesitzers nach Waren-
kauf ebenso dringend und unaufschiebbar, wie das Bedürfnis des Erzeugers nach Waren-
verkauf), sondern nur der als Geldbesitzer auftretende Kaufmann kann diese Abgabe
erheben, der Mann, der die Waren kaufmännisch erwirbt, um sie kaufmännisch zu
verkaufen, der Mann, der die Waren kaufen oder den Kauf unterlassen kann, ohne
darum persönlich Hunger leiden zu müssen, kurz der Mann, der eine Schiffsladung
Weizen kauft, obschon er persönlich nur einen Sack davon essen wird. Freilich hat der
Kaufmann ja auch ein Bedürfnis nach Handelsgewinn, das er nur durch Kauf von Waren
befriedigen kann. Aber hinter diesem kaufmännischen Warenkauf steht als treibende
Kraft nicht die leibliche Not, sondern der Wunsch, diese Waren so billig wie möglich
zu erwerben und dabei alle Waffen der wechselnden Marktlage (Konjunktur), jede
Schwäche des Verkäufers restlos auszunützen. Wächst die Schwäche des Verkäufers
dadurch, daß der Kaufmann ihn warten läßt, so läßt ihn der Kaufmann warten. Über-
haupt tut der Kaufmann alles, was er kann, um die Verlegenheiten des Verkäufers (Er-
zeuger, Arbeiter) zu mehren, - und als ewige Quelle ewiger Verlegenheiten müssen
die unter 1-3 bezeichneten Umstände angesehen werden. Der Verbraucher, von per-
sönlichen Bedürfnissen getrieben, kann nicht warten, obschon sein Geld es ihm erlauben
würde; der Warenerzeuger kann auch nicht warten, obschon seine persönlichen Be-
dürfnisse es ihm in manchen Fällen wohl gestatten würden; aber der als Kaufmann
auftretende Geldbesitzer, der Eigentümer des allgemeinen, unentbehrlichen Tausch-
mittels, der kann warten, der kann Warenerzeuger und -verbraucher regelmäßig dadurch
in Verlegenheit bringen, daß er mit dem Tauschmittel (Geld) zurückhält. Und die Ver-
legenheiten des einen sind ja im Handel das Kapital des anderen. Wären die Waren-
erzeuger und -verbraucher (Produzenten und Konsumenten) nicht durch Ort und Zeit
voneinander getrennt, so würden sie sich, wie das im Tauschhandel ja noch geschieht,
ohne das Geld des Kaufmannes behelfen; aber wie die Dinge nun einmal liegen, ist die
kaufmännische Vermittlung (und damit auch der Zins) Notwendigkeit und Regel für
den weitaus größten Teil der Warenerzeugung.

Aus Rücksicht auf diesen letzteren Umstand können wir das Geld der Verbraucher
überhaupt ganz aus unseren Betrachtungen ausschalten. Durch die Hände des Kauf-
mannes gehen alle Waren und geht alles Geld. Darum sind die Gesetze des kaufmän-
nischen Geldumlaufes hier allein maßgebend. (6)

Nach diesen Feststellungen will ich nun zunächst die Frage beantworten, durch welche
Umstände die Höhe des Zinses, den das Geld für die Tauschvermittlung erheben kann,
begrenzt wird, und zwar darum zunächst, weil diese Antwort am besten das wahre
Wesen des Geldzinses offenbart.

Wenn das Geld darum Kapital ist (G.W.G.'), weil es den Güteraustausch willkürlich
untersagen kann, so wird man einwenden, warum denn der Zins nicht bis an den Nutzen
heranreicht, den wir aus der Geldwirtschaft ziehen, und den wir mit der Leistungs-
fähigkeit, die die Arbeitsteilung der Urwirtschaft gegenüber besitzt, messen können.
Ähnlich ist die Frage berecbtigt, warum die Grundbesitzer für die Grundrenten nicht
in jedem Falle das Gesetz des ehernen Lohnes anwenden, oder warum die Anteilseigner
des Suezkanals für die Höhe der Schiffsabgaben noch andere Umstände erwägen, als
nur den Wettbewerb des Seeweges um das Kap der Guten Hoffnung.

Aber die Abgabe, die das Geld für seine Benutzung erhebt, folgt anderen Gesetzen
als die sind, die für die Bodenbenutzung gelten; sie ähnelt mehr der Abgabe, die die
Raubritter im Mittelalter erpreßten. Wenn damals der Kaufmann gezwungen war, die
Straße zu benutzen, die an der Burg des Ritters vorüberführte, so wurde gründlich
geplündert, es wurden 30, 40, 50% Zoll erhoben. Standen aber dem Kaufmann auch
noch andere Wege zu Gebote, so war der Ritter bescheiden; er bewachte seine Straße,
besserte sic aus, baute Brücken, schützte sie gegen andere Räuber, setzte äußersten
Falles den Zoll herab, auf daß der Kaufmann in Zukunft diese Straße nicht gänzlich
miede.

So ähnlich verhält es sich beim Geld. Auch das Geld muß damit rechnen, daß ihm
Wettbewerber erwachsen, wenn seine Abgabeforderungen zu hoch geschraubt sind.

Ich werde später noch nachzuweisen haben, daß es bei dem Verleihen von Geld nie-
mals einen Wettbewerber geben kann. Die Wettbewerber, von denen eben die Rede ist,
treten nicht beim Verleihen des Geldes, sondern bei seinem Tausch gegen Waren auf.

Zunächst ist klar, daß sich die Arbeitsteilung bedeutend weiter ausbilden läßt, als es
heute in der Welt geschiebt. Die Goldwährung ist eine Weltwährung, die weltwirtschaft-
lich betrachtet werden muß. Und 3/4 der Weltbewohner behelfen sich heute noch schlecbt
und recht mit der Urwirtschaft. Warum? Zum Teil darum, weil der durch Geld ver-
mittelte Gütertausch zu stark mit Zins belastet ist. Diese Unkosten müssen die Erzeuger
veranlassen, in einzelnen Zweigen ihrer Tätigkeit oder auch gänzlich auf die Herstellung
von Waren zu verzichten und bei der Urwirtschaft zu bleiben. Ob Ur- oder Waren-
wirtschaft, hängt von einer Rechenaufgabe ab, bei welcher der Geldzins, womit die
Warenwirtscbaft belastet ist, oft genug dazu führen mag, der Urwirtschaft den Vorzug
zu geben. So wird z. B. mancher deutsche Kleinbauer lieber seine Kartoffelernte im
eigenen Stall verfüttern und das Schwein für den eigenen Hausbedarf scblacbten, wenn
das Fleisch durch den Zins des Tauschvermittlers um ein geringes verteuert wird. Dann
wird der Bauer weniger Waren (Kartoffeln für den Markt) und mehr Güter für den
eigenen Gebrauch erzeugen und darum weniger Geld brauchen.

Diesem Teil der Gütermenge gegenüber, der selbst in Deutschland nicht zu unter-
schätzen ist, muß das Geld bescheiden bei seiner Zinsforderung sein, um die Waren-
wirtschaft nicht auf die Urwirtschaft hinüberzustoßen. Und ähnlich wie der deutsche
Bauer handeln die Völkermassen Asiens und Afrikas.

Wenn also nun die Geldbesitzer eine zu hohe Abgabe von den Waren fordern, so
wird jener Teil der heutigen Warenerzeugung, der um den Grenznutzen der Arbeits-
teilung hin- und herpendelt, aufgegeben, und die Urwirtscbaft tritt oder bleibt an dessen
Stelle.

Der zu hohe Geldzoll vermindert die Warenerzeugung zugunsten der Urwirtschaft.
Dies führt dazu, daß das Angebot von Waren abnimmt - und daß die Preise steigen.

Das wollen wir vorläufig festhalten.

Einen gleichen Einfluß auf die Nachfrage nach Geld, d. h. nach Tauschmitteln, übt
der alte Tauschhandel aus, wenn das Geld zu hohen Zins fordert. Das Geld verdankt
sein Dasein überhaupt nur den Schwierigkeiten des Tauschhandels. Für deren Über-
windung wurde es geschaffen. Verlangt aber das Geld für die Tauschvermittlung zu
hohes Entgelt, so wird der Tauschhandel den Wettbewerb in vielen Fällen wieder mit
Erfolg aufnehmen, besonders dort, wo, wie in vielen Teilen Asiens und Afrikas, die
Erzeuger nicht durch Ort und Zeit getrennt sind. Je stärker der Geldzins den Waren-
austausch belastet, um so eher kann der Tauschhandel der Geldwirtschaft als Wett-
bewerber "die Spitze bieten". Denn die auf dem Wege des Tauschhandels verhandelten
Waren erreichen den Verbraucher, ohne Zins zu zahlen. Wem sollten sie denn auch
zinspflichtig sein? (7) So ist also klar, daß, wenn das Geld den Tauschhandel ablösen soll,
es nicht beliebig hohe Abgaben fordern kann, zumal die Warenbesitzer die Hindernisse,
die die Trennung durch Ort und Zeit dem Tauschhandel bietet, dadurch zu überwin-
den wissen, daß sie sich an bestimmten Tagen und Orten (Markttage) zusammenfinden. (8)

So entziehen sie dem Geld die Daseinsunterlage, nämlich die Nachfrage nach Tausch-
mitteln, die die Ware verkörpert. Die Waren, die der Tauschhandel unterbringt, sind
für das Geld verloren, ähnlich wie der Zigeuner in seinem Karren für die Eisenbahn
ein verlorener Kunde ist.

Welcher Bruchteil der Weltwarenerzeugung auf diese Weise um den Tauschhandel
herumpendelt, wie viel Waren also durch zu hohen Zins von der Benutzung des Tausch-
mittels ausgeschlossen werden, brauchen wir für unsere Zwecke nicht zu berechnen.
Es genügt, daß wir im Tauschhandel das Dasein eines Wettbewerbers des Geldes fest-
gestellt haben, dessen Aussichten um so günstiger sein werden, je höhere Abgaben das
Geld fordert. Steigt der Zins, so werden viele Waren vom Geldhandel auf den Tausch-
handel abgestoßen, die Nachfrage nach Geld nimmt ab, und die Preise steigen, - also
genau wie bei der Urwirtschaft. Auch hier wollen wir uns vorläufig mit dieser Fest-
ste1lung begnügen.

In gleicher Richtung wie die Urwirtschaft und der Tauschhandel wirkt auch der
Wechsel, sobald die Ansprüche des Geldes zu hoch geschraubt werden. Denn auch die
Waren, die gegen Wechsel ausgetauscht werden, sparen den Geldzins, und hoher Geld-
zins ist ein Ansporn zu ausgedehnterer Venwendung des Wechsels.

Freilich, der Wechsel ist nicht so bequem und sicher wie das Geld, er kann in vielen
Fällen das Geld überhaupt nicht ersetzen, was man daraus ersieht, daß die Wechsel
bei der Bank gegen Geld eingetauscht (diskontiert) werden, trotzdem sie sich dabei
einen Abzug gefallen lassen müssen. Das geschähe nicht, wenn der Wechsel das bare
Geld überall vertreten könnte. Oft aber, besonders im Großhandel, namentlich als
Rücklage, hat der Wechsel vor dem Bargeld nur wenig Nachteile, und es genügt dann
eine nur geringe Erhöhung des Geldzinses, damit man den Wechsel vorzieht.

Der Geldzins wirkt auf den Wechsel wie die Erhöhung der Bahnfrachten auf die
Benutzung der Schiffahrtskanäle. Je höher der Zins, um so größer ist der Ansporn, durch
den Gebrauch von Wechseln im Handel die vom Geld geforderte Abgabe zu umgehen. Aus
demselben Grund muß aber auch alles, was die natürlichen Nachteile des Wechsels
(dem Bargeld gegenüber) künstlich vermehrt, auch die Stellung des Geldes stärken
und die Zinsansprüche des Bargeldes erhöhen. Drückt der Wettbewerb der Wechsel
den Zins des Bargeldes auf 5% herab, so wird dieser Zins auf 5 1/4, 5 1/2 - 6 % steigen,
wenn wir den Gebrauch des Wechsels durch Alarmnachrichten oder durch Stempel-
abgaben erschweren. Je unsicherer der Wechsel erscheint, um so höher der Zins; je
mehr der Wechsel durch Stempelabgaben belastet wird, um so höhere Forderungen
kann sein Mitbewerber, das Bargeld, stellen, um so höher steigt der Zins. Belasten wir
den Wechsel mit einer Steuer von 1%, so wird auch der Abzug, den die Bank beim
Einwechseln erhebt (Diskonto), um 1% steigen. Belasten wir den Wechsel mit 5%
Steuer, so steigt der Abzug von 5 auf 10% (falls die schon genannten übrigen Mit-
bewerber des Geldes nicht eingreifen).

Bei diesem Sachverhalt erscheint das Benehmen des Staates sonderbar, der eine Er-
höhung der Wechselstempelsteuer vorschlägt, um seine Einnahmen zu vermehren, zugleich
aber darüber klagt, daß er seine Anleihen nur zu erhöhtem Zinsfuß unterbringen kann.
Vielmehr sollte der Staat als Schuldner die Stempelabgaben auf Wechsel abschaffen, um
den Zins für seine Anleihen heruntersetzen zu können. Was er an Wechselsteuern weniger
einnähme, würde er an den Zinsen seiner Anleihen hundertfach wiedergewinnen und zu-
gleich die Zinslasten des Volkes vermindern.

Wenn wir nun umgekehrt statt einer Steuer eine Wechselprämie (einerlei wie man
sich diese denkt) ausschreiben würden, so versteht sich, daß mit einer solchen Prämie
der Wechselumlauf auch gefördert und gehemmt werden könnte; gefördert, wenn die
Prämie steigt, gehemmt, wenn sie ermäßigt wird.

Ist nun die Zinsersparnis, die der Wechselverkehr dem Handel bietet, keine solche
Prämie, die mit dem Geldzins wächst oder fällt? Der Wechselverkehr steigt also im gleichen
Verhältnis, wie der Geldzins steigt.

Aber wo Wechsel verkehren, da verkehren auch entsprechende Warenmengen, nur in
umgekehrter Richtung. Und diese Waren sind wieder für die Nachfrage nach Geld
verloren. Der Wechsel hat sie dem Gelde abgejagt. Die Nachfrage nach Bargeld geht
also im gleichen Maße zurück, und entsprechend steigen wieder die Preise, wie der Wechsel-
verkehr zunimmt, und der Wechselverkehr wächst im gleichen Maße, wie der Geld-
zins wächst. Auch das wollen wir uns vorläufig merken.

Das Geld ist also nicht unbeschränkter Herrscher auf dem Markte. Es muß mit Wett-
bewerbern rechnen und kann infolgedessen die Zinsforderungen nicht beliebig hoch-
schrauben.

Jedoch ließe sich hier einwenden, daß das Geld in sehr vielen Fällen, namentlich
in unseren heutigen Städten, unentbehrlich ist, daß das Geld sogar in den meisten Fällen
den größeren Teil der Ware als Entgelt für die Tauschvermittlung verlangen könnte,
ohne daß esdarum wieder zum Tauschhandel oder zur Urwirtschaft käme, ja, daß selbst
bei einem Abzug (Diskont) von 50% in sehr vielen Fällen das Geld nicht durch Wechsel
ersetzbar ist.

Der Wechsel kommt nur von einer Vertrauenshand in die andere. Er ist nicht teilbar
genug für die Bedürfnisse des Kleinhandels. Er ist an bestimmte Gesetze, an bestimmte
Zeiten und Orte gebunden. Das alles beschränkt seine Umlaufbahn auf einen sehr
kleinen Durchmesser.

Und darauf gestützt, könnte man sagen, daß in allen diesen Fällen das Entgelt für
die Tauschvermittlung sehr viel höher sein müßte als es wirklich ist, falls die An-
schauung richtig wäre, wonach das Geld den Zins erhebt, weil es willkürlich den Aus-
tausch der Waren sperren kann.

Aber bei diesem Einwand wird eine Tatsache vergessen, die wir im vierten Teil dieser
Schrift kennengelernt haben, nämlich, daß eine allgemeine Preissteigerung das Geld
zu Markte treibt. Eine allgemeine Preissteigerung der Waren bedeutet ja für alle Geld-
besitzer immer einen der Preissteigerung genau entsprechenden Verlust, und diesem
Verlust können sie nur entgehen, wenn sie das Geld gegen Waren anbieten. Eine allge-
meine Preissteigerung ist für das herkömmliche Geld ein Umlaufszwang, in manchen
Wirkungen ähnlich dem Umlaufszwang des Freigeldes. Durch Kauf von Waren sucht
man bei einer allgemeinen Preissteigerung den dem Geld drohenden Verlust - auf
andere abzuwälzen.

Wir können also sagen, daß die Erhöhung des Geldtributes über eine bestimmte Grenze
hinaus ganz von selbst die Kräfte auslöst, die ihn wieder herunterdrücken.

Umgekehrt wird, wenn der Geldzins unter diese Grenze fällt, wegen der dadurch
verringerten Handelsunkosten in vielen Fällen die Arbeitsteilung eingeführt, wo heute
die Urwirtschaft noch lohnt, und der Geldhandel breitet sich dorthin aus, wo man sich
noch mit dem Tauschhandel behilft. Gleichzeitig verliert der Wechsel an Reiz (bei
0 % Zins würde der Wechsel überhaupt verschwinden). Diese Umstände, also vermehrte
Warenerzeugung (auf Kosten der Urwirtschaft) bei gleichzeitigem vermehrtem Angebot
von Waren (auf Kosten des Tauschhandels) und vermehrtem Angebot von Waren gegen
Bargeld (auf Kosten des Wechselverkehrs), würden die Preise drücken, den Waren-
austausch erschweren, und die entstehenden Verlegenheiten der Erzeuger würde sich
das Geld wieder mit erhöhten Zinsforderungen nutzbar machen.

Das Spiel der Kräfte, das der Geldzins durch seine Einwirkung auf die zinsfreien Mit-
bewerber des Geldes und dadurch auf die Preise auslöst, wirkt also selbsttätig regelnd auf
den Zins zurück, so daß die Höchstgrenze des Geldzinses auch die Mindestgrenze ist. (Der
Umstand, daß der Wechselzins [Diskont] starke Schwankungen erleidet, beweist nichts
gegen diesen Satz wie wir noch zeigen werden.)

Der Geldzins fällt also immer notwendigerweise auf den Punkt zurück, wo durch ihn
Wechselverkehr, Tauschhandel und Urwirtschaft gefördert oder eingeschränkt werden.
Die Ansicht ist heute noch allgemein, daß der Geldzins durch den Wettbewerb der
Geldverleiher steigt und fällt.

Diese Ansicht ist irrig. Es gibt unter Geldverleihern keinen Wettbewerb; er ist sachlich
unmöglich. Stammt das Geld, das die Kapitalisten zu verleihen haben, aus dem Verkehr,
so stopfen sie mit dem Weiterverleihen dieses Geldes nur die Löcher zu, die sie beim
Vereinnahmen des Geldes gegraben haben. Sind 10-100-1000 Geldverleiher da, so
sind auch 10-100-1000 Löcher da, die diese Geldverleiher in die Umlaufsbahn des
Geldes gegraben haben. Je mehr Geld angeboten wird, um so größer sind diese Löcher. (9)
Bei sonst unveränderten Verhältnissen muß sich also immer eine Nachfrage nach Leihgeld
einstellen, die dem Geld entspricht, das die Kapitalisten zu verleihen haben. Unter solchen
Verhältnissen kann man aber nicht mehr von einem Wettbewerb sprechen, der den
Zins beeinflussen könnte. Sonst müßte ja auch der Umstand, daß am Martinstag der
Umzug stattfindet, die Mieten beeinflussen. Aber das ist nicht der Fall, denn die größere
Anzahl von Wohnungsuchenden entspricht einer gleichen Zahl von aufgegebenen
Wohnungen. Der Umzug an sich ist ohne jeden Einfluß auf die Mieten. Und ebenso
verhält es sich beim Wettbewerb der Geldverleiher. Auch hier handelt es sich nur um
einen Umzug des Geldes.

Ist es aber neues, unmittelbar von Alaska kommendes Geld, das die Geldverleiher
anbieten, so wird dieses neue Geld die Preise hochtreiben, und die Preissteigerung wird
alle, die Geld für ein Unternehmen borgen müssen, zwingen, die Summe um den Betrag
der Preissteigerung zu erhöhen. Statt 10 000 M. wird der Unternehmer für das gleiche
Haus 11-12-15 000 M. brauchen, und so wird das durch das neue Geld vermehrte
Angebot auch selbsttätig eine entsprechend vergrößerte Nachfrage erzeugen, wodurch
wieder der Einfluß des neuen Geldes auf den Zins bald genug aufgehoben wird.

Die Erscheinung, daß bei Vermehrung des Geldumlaufes (durch Goldfunde oder
Papiergeldausgabe) der Zinsfuß nicht nur nicht fällt, sondern im Gegenteil in die Höhe
geht, werden wir noch erklären.

Einen Wettbewerb unter Geldverleihern, der auf den Zins Einfluß haben könnte, gibt es
also nicht; er ist unmöglich.

Die einzigen Wettbewerber des Geldes, die dessen Macht beschränken, sind die oben
genannten drei Dinge: Urwirtschaft, Tauschhandel und Wechsel, die eine vermehrte
Urwirtschaft, vermehrten Tauschhandel und vermehrten Wechselverkehr, als Folge
erhöhter Zinsforderungen selbsttätig herbeiführen und damit eine allgemeine Preis-
steigerung der Waren bewirken, die dann die Geldbesitzer nachgiebig macht. (Zum
besseren Verständnis dieses Satzes sei auf den später folgenden Abschnitt "Die Be-
standteile des Bruttozinses" verwiesen.)

Zwischen zwei Punkten ist nur eine Gerade möglich; die Gerade ist die kürzeste, und
die kürzeste ist - auf das Wirtschaftliche übertragen - auch die billigste.

Die kürzeste Straße aber zwischen Erzeuger und Verbraucher, und darum auch die
sparsamste, ist das Geld. (Bei der Urwirtschaft geht die Ware zwar auf noch künerem
Wege geradeswegs von der Hand in den Mund. Dafür ist aber hier die Erzeugung weniger
ergiebig als bei der Warenherstellung im Wege der Arbeitsteilung.)

Alle anderen Straßen (Tauschhandel, Wechsel), die die Waren einschlagen mögen, um
den Verbraucher zu erreichen, sind länger und kostspieliger. Wie würde man auch sonst
105 M. in Wechseln für 100 M. in Geld geben, wenn das bare Geld dem Wechsel gegen-
über als Tauschmittel keine Vorteile böte?

Aber diese billigste und kürzeste Straße kann der Geldbesitzer sperren und gesetz-
mäßig gibt er sie nur frei, falls man ihm die Vorteile bezahlt, die das bare Geld als
gerade Straße den krummen Straßen gegenüber aufweist. Fordert er mehr als diesen
Unterschied, so schlägt die Ware den längeren Weg ein; fordert er weniger, so wird das
Geld überlastet, d. h., die Waren, die sonst mittels Wechsel usw. ausgetauscht wurden,
beanspruchen dann das bare Geld. Die Nachfrage nach Geld wächst, die Warenpreise
sinken, und bei sinkenden Preisen kann das Geld überhaupt nicht mehr umlaufen.

Das Geld erhebt den Zins für seine jeweilige Benutzung so, wie es etwa eine Miets-
kutsche tut. Der Zins wird den allgemeinen Handelsunkosten zugerechnet und mit
diesen erhoben, - ob durch Abzug beim Erzeuger oder durch einen Zuschlag beim Ver-
braucher, ist einerlei. In der Regel geschieht es so, daß der Kaufmann den Preis er-
fahrungsgemäß kennt, den er beim Verbraucher für die Ware erzielen kann. Von diesem
Preise zieht er die Handelsunkosten, seinen eigenen Arbeitslohn (den reinen Handels-
gewinn) und den Zins ab. Diesen Zins berechnet er nach der Zeit, die erfahrungsgemäß
im Durchschnitt bis zum Verkauf der Ware verstreicht. Das, was bleibt, ist für den
Warenerzeuger. Ist z. B. der Kleinhandelspreis einer Kiste Zigarren in Berlin zehn Mark,
so weiß der Zigarrenfabrikant in München ganz gut, daß er diese zehn Mark nicht voll
für sich beanspruchen kann. Er muß für den Händler in Berlin den Preis so weit herab-
setzen, daß dieser aus dem Unterschied zwischen dem Fabrik- und Verkaufspreis die
Kosten für Fracht, Ladenmiete und für seine Arbeit bestreiten kann. Und dann muß
noch etwas übrig bleiben dafür, daß der Händler "Geld in sein Geschäft stecken" muß.
Dieses Geld kommt der Regel nach mittel- oder unmittelbar von den Banken und
Sparkassen, die es selbstverständlich nur gegen Zins hergeben. Diesen Zins muß der
Händler aus dem obigen Preisunterschied herausschlagen. Geht das nicht bei den heu-
tigen Preisen, nun, so wartet er. Und solange er wartet, muß auch der Fabrikant auf den
Käufer warten. Ohne eine Abgabe an das Geld zu bezahlen, gelangt keine Zigarre von
der Fabrik zum Raucher. Entweder ermäßigt der Fabrikant den Preis, oder der Ver-
braucher erhöht sein Angebot. Dem Kapitalisten ist das gleichgültig. Den Zins bekommt
er auf alle Fälle. Der Urzins wird also ganz einfach zu all den übrigen Handelsunkosten
geschlagen. Diese sind im allgemeinen das Entgelt für geleistete Arbeit. Der Fuhrmann
füttert die Pferde, schmiert die Achsen, schwitzt und flucht. Es ist nicht mehr als recht,
daß er dafür bezahlt werde. Der Kaufmann hütet den Laden, bezahlt die Miete, rechnet
und grübelt. Er soll etwas dafür bekommen. Aber der Bankmann, die Sparkasse, der
Geldgeber - was tun sie? Der König steht am Schlagbaum; er sperrt die Grenze und
sagt: der Zehnte ist mein! Der Geldgeber steht vor dem Geldschrank; er sperrt den
Austausch der Waren, die auf den Inhalt des Geldschrankes als Tauschmittel angewiesen
sind und sagt, wie der König: der Urzins ist mein! Der König wie der Geldgeber tun
im Grunde nichts, sie sperren nur und erheben einen Zins. Der Urzins ist also, wie der
Grenzzoll, eine Abgabe, nur mit dem Unterschied, daß der König mit dem Zoll die
Staatsausgaben bestreitet, während der Geldgeber den Urzins für sich verwendet. Wir
bezahlen im Urzins also weiter nichts als die Tätigkeit der Kapitalisten, die darin besteht,
dem Handel Steine in den Weg gewälzt zu haben.

Welcher von den drei Wettbewerbern des Geldes, die dem Geldzins die Grenzen
ziehen, ist der wichtigere? In entwickelten Handelsgebieten und gewöhnlichen Zeiten
ist von jenen dreien der Wechsel der wichtigere, während die beiden anderen für die
weniger entwickelten Länder ausschlaggebend sind. Denkt man sich z. B. Deutschland
als geschlossenen Handelsstaat mit eigener Papierwährung, so würde ohne den Wechsel
das Geld schon sehr hohe Ansprüche stellen können ehe Urwirtschaft und Tausch-
handel genügend stark eingreifen könnten, um die für die Freigabe des Geldes nötige Preis-
steigerung zu erzeugen. (10) Ja, man könnte annehmen, daß ohne den Wechsel (dem natürlich
Kreditverkäufe, Stundungen usw. hinzuzurechnen sind) das Geld in dem angenommenen
Fall die Zinsforderungen bis hart an die Grenze des Nutzens steigern könnte, den uns
die Arbeitsteilung bietet, was ja schon völlkommen durch das Aufgeben der Arbeit in
Krisenzeiten bewiesen wird. Den Arbeitslosen helfen Urwirtschaft und Tauschhandel
nur ganz ausnahmsweise, und dann auch nur in sehr geringem Maße. So kann ein Arbeits-
loser z. B. seine Hosen selber flicken, er kann sich selbst rasieren und seine Mahlzeiten
selber bereiten. Er kann sein Brot backen, vielleicht seine Kinder unterrichten, und statt
ins Schauspielhaus zu gehen, selbst für seine Familie ein Lustspiel schreiben, wenn der
Hunger die dazu nötige Stimmung bei ihm aufkommen läßt.

Ist also bei uns der Wechsel der wichtigste Zinsregler, so sind in unentwickelten
Ländern, in Asien und Afrika, in denen der Wechsel keine große Rolle spielen kann,
Urwirtschaft und Tauschhandel von höchster Bedeutung für die Regelung des Geld-
zinses. Und daß sie in solchen Ländern wirksam sein müssen, erkennt man daran, daß
der Geldzins in früheren Zeiten, als die Arbeitsteilung erst in kleine Kreise des Volkes
eingedrungen war, z. B. zur Zeit der Römer und im Bauernstaat der Königin Elisabeth
von England, ungefähr der gleiche war wie heute, wie man das aus den Angaben am
Schlusse dieses Buches ersehen kann.

Diese Gleichmäßigkeit des reinen Geldzinses ist so auffallend, daß man annehmen
kann, die drei unter sich so verschiedenen und so verschiedene Kulturzustände voraus-
setzenden Zinsregler (Urwirtschaft, Tauschhandel und Wechselrecht) müßten sich gegen-
seitig bedingen und ergänzen. So erzeugt z. B. eine schon hoch entwickelte, nur wenig
mehr ausdehnungsfähige Arbeitsteilung und der dadurch bedingte Ausschluß von Ur-
wirtschaft und Tauschhandel wiederum die Kultur, die sozialen, gesetzlichen und Handels-
einrichtungen, bei denen der Wechselverkehr sich ausbilden und gedeihen kann. Die
36 Milliarden Mark, die 1907 in Deutschland in Wechseln in Umlauf gesetzt wurden,
geben einen besseren Maßstab für die Entwicklung des Handels, als das Eisenbahnnetz
und manches andere.

Und umgekehrt sind dort, wo der Kulturzustand den Ersatz des Geldes durch Wechsel
ausschließt, wieder Urwirtschaft und Tauschhandel die treuen Wächter, die es ver-
hindern, daß das Geld seinen Zinsanspruch über bestimmte Grenzen hinaus steigert.

Fassen wir das in diesem Abschnitt Gesagte kurz zusammen:

Der Geldzins ist das Erzeugnis eines selbständigen Kapitals, d. i. des Geldes, und
läßt sich am besten mit dem Wegesperrgeld vergleichen, das der Raubritter und bis
in die jüngste Zeit der Staat für die Benutzung der Straßen erhob. Der Geldzins wird
nicht vom Zins der Sachgüter (Realkapitalien) beeinflußt (wohl aber umgekehrt) und
der Wettbewerb der Geldverleiher hat keinen Einfluß auf ihn. Begrenzt wird der Geld-
zins durch den Wettbewerb, den ihm die anderen Tauschmittel (Wechsel, Tauschhandel
und Urwirtschaft) bereiten.

Beim Geldverleihen wird nur der Besitzer des Geldes gewechselt, ohne daß dadurch
irgend etwas am Geld geändert wird. So wie es sich gleich bleibt, ob statt des Mannes
es die Frau ist, die den Schlagbaum fallen läßt und die Abgabe erhebt. Beim Wechsel
und Tauschhandel dagegen findet kein solcher wesenloser Personenwechsel statt, sondern
es wird dem Geld ein wirksamer Mitbewerber dadurch geschaffen, daß den Waren andere
Wege für den Austausch gebahnt werden.

Durch die Preissteigerung, die der Wechsel, die Urwirtschaft und der Tauschhandel
bewirken, wird der Geldumlauf unter einen wirtschaftlichen Zwang gestellt, der dazu führt,
daß das Geld auch solchen Waren gegenüber seine Macht über bestimmte Grenzen hinaus
nicht mißbrauchen kann, die zu ihrem Austausch sich nicht des Wechsels oder des Tausch-
handels bedienen können. Es geht hier zu, wie bei den Lohnarbeitern, deren Lohn vom
Arbeitsertrag der Ausgewanderten begrenzt wird, obschon sie nicht alle mit der Aus-
wanderung zu drohen brauchen (s. Teil I).

Der Geldzins wird von den Waren, also unmittelbar aus dem Kreislauf von Ware und
Geld erhoben. (Wie zu Anfang gesagt wurde, leugnete Marx diese Möglichkeit.) Der
Geldzins ist vom Vorhandensein eines von Arbeitsmitteln entblößten Proletariats voll-
kommen unabhängig. Er würde um nichts geringer sein, wenn alle Arbeiter mit eigenen
Arbeitsmitteln versehen wären. Der Geldzins würde solchenfalls den Arbeitern bei der
Übergabe ihrer Erzeugnisse an den Händler (Geldbesitzer) abgenommen und zwar darum
weil der Händler durch Festhalten des Geldes (ohne unmittelbaren Schaden für sich)
den Austausch der Erzeugnisse der Arbeiter untersagen und diesen dadurch einen un-
mittelbaren, unabwälzbaren Schaden zufügen kann, weil diese Erzeugnisse durchweg und
ohne nennenswerte Ausnahmen täglich an Menge und Güte verlieren, dabei noch erheb-
liche Kosten für Lagerung und Wartung verursachen.

Diesen Geldzins werden wir von jetzt ab "Urzins" nennen. (11)


(1) Wenn ich in den nachfolgenden Ausführungen des öfteren wunde Stellen der Marx-
scen Zinstheorie berühre, so geschieht dies deshalb, weil von den sozialistischen Theorien
diejenige von Marx die einzige geblieben ist, die sich bis in die politischen Kämpfe unserer
Tage hinein Geltung verschafft hat und sich nun als böser Spaltpilz des Proletariats aus-
wirkt, wie dies die beiden Gruppen der Sozialdemokratischen Partei beweisen, die sich
auf dem Boden der zum Glaubenssatz erhobenen Marxschen Zinstheorie mit Minen und
Granaten bewerfen!

(2) "äquivalent" sind zwei Waren, die in vollständiger Gleichberechtigung einander
gegenübertreten und ohne Gewinn ausgetauscht werden. Wenn z. B. ein Wucherer, Sparer
oder Schatzbildner vor der Frage steht, ob er Ware oder Geld hamstern soll, und er sich
regelmäßig sagen muß, daß das für seine Zwecke völlig einerlei iat, so sind eine Mark Gold
und eine Mark Ware "Äquivalente". Wenn aber der Sparer oder Spekulant sich sagt,
daß für seine Zwecke ihm eine Mark Gold lieber ist als eine Mark Ware, so besteht die
von Marx vorausgesetzte "Äquivalenz" nicht mehr.

(3) Siehe "Die Freistatt", 30. Mai 1918. Bern-Bümplitz.

(4) Alle Waren verderben, zwar mehr oder weniger schnell, doch verderben sie alle (mit
unerheblichen Ausnahmen, wie Edelsteine, Perlen und einige Edelmetalle). Das Hüten der
Waren kann deren Vorderben nur verlangsamen, nicht aber verhindern. Rost, Fäulnis,
Bruch, Feuchtigkeit, Trockenheit, Hitze, Kälte, Würmer, Fliegen, Käfer, Termiten,
Motten, Feuer usw. arbeiten ohne Unterlaß an der Vernichtung der Waren. Schließt ein
Warenhausbesitzer sein Haue ein Jahr ab, so kann er getrost 10 oder 20 % seines Kapitals
dieser Verderbnis wegen abschreiben; dazu noch die Kosten für Miete und Steuern. Schließt
dagegen ein Geldbesitzer seinen Schatz ab, so hat er mit keinerlei Verlusten zu rechnen.
Sogar der in den Trümmern Trojas gefundene Goldschatz hatte nicht meßbar an Gewicht
verloren und galt auf der Reichsbank 2790 M. das Kilo. - Im Zusammenhang hiermit
wird oftmals auf den Wein verwiesen, der beim Lagern wertvoller wird und somit scheinbar
eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, derzufolge das Lagern von Waren
immer mit Verlust verknüpft ist. Es handelt sich jedoch beim Wein, wie bei einigen anderen
Gütern, nicht um fertige Fabrikate, sondern um Naturerzeugnisse, die beim Einlagern noch
nicht die Entwicklungsstufe erreicht haben, die sie für den menschlichen Gebrauch ver-
wendbar macht. Der gekelterte Traubensaft, wie er in die Fässer kommt, ist Most, der
erst ganz allmahlich sich in trinkbaren Wein verwandelt. Diese Entwicklung, bei der der
Wein erst zur fertigen Ware wird, steigert seinen Wert, nicht das Lagern an sich, denn
sonst müßte die Wertsteigerung immer weitergehen, was nicht der Fall ist. Was auf Rech-
nung des Lagerns kommt, bedeutet, wie immer, auch hier nur einen Verlust, nämlich
Kosten für Lagerraum, Fässer, Flaschen, mehrjährige Pflege, Auffüllung, Bruch usw.

(5) Der Handelsgewinn ist das, was dem Kanfmann übrig bleibt, wenn er den Zine seines
Kapitals in Abzug gebracht hat. Der Kaufmann, der nur mit auf Kredit gekauften Waren
handelt, kann seinen Gewinn als reinen Handelsgewinn betrachten. Den oben unter 3
bezeichneten Zins muß er an seine Geldgeber abliefern. Er ist dann nur der Kassenbote
seiner Geldgeber.

(6) Wem es hier noch irgendwie Schwierigkeiten bereitet, einzusehen, daß der kaufmän-
nische Geldumlauf anderen Gesetzen folgt, als das Geld der Konsumenten, der möge einen
Augenblick überlegen, wie das Geld der Sparer wieder vom Verkehr als Tauschmittel:
angezogen wird.

(7) Wenn im Tauschhandel Kartoffeln gegen Fische ausgetauscht werden, und jeder be-
lastet seine Waren mit 10 % Zins, so heben sich diese Zinsen gegenseitig auf. Hiermit ist
aber beileibe nicht gesagt, daß bei Anleihen, also nicht beim Tausch, Zins unmöglich wäre.

(8) Der Tauschhandel ist nicht ganz so schwierig, wie man ihn allgemein darstellt. Die
Schwierigkeit, die darin besteht, daß jeder, der die Waren hat, die ich brauche, nicht immer
auch meine Ware benötigt oder nicht gerade in der Menge, die der von ihm angebotenen,
oft unteilbaren Ware entspricht, ist stark übertrieben worden. In Wirklichkeit verschwindet
diese Schwierigkeit gleich mit dem Auftreten des Kaufmannes. Denn der Kaufmann, der
alles kauft, kann darum auch alles verkaufen. Er kann mich immer mit dem bezahlen,
was ich brauche. Bringe ich ihm einen Elefantenzahn, so kann ich dagegen in seinem
Warenhaus alle Waren erhalten, die ich brauche, und in genau der benötigten Menge.
In den deutschen Siedlungen Südbrasiliens wickelt sich heute noch der Handel in dieser
Weise ab. Die deutschen Siedler erhalten dort nur ausnahmsweise Geld.

(9) Bei der berühmten Krise, die 1907 urplötzlich über die Vereinigten Staaten ausbrach,
wer es Morgan, der der Regierung mit 300 Millionen Dollars Gold "zu Hilfe eilte". Woher
kamen diese Dollars? Es waren nötig gebrauchte Dollars. Morgan hatte sie vorher dem
Verkehr entzogon und damit selber dem Lande die Verlegenheiten bereitet, die der Schelm
jetzt, nachdem der Kassensturz eingetreten und die Zwischengewinne eingeheimst waren,
aus Vaterlandsliebe der Regierung großmütig anbot.

(10) Ich verweise nochmals zum besseren Verständnis für diesen Satz auf den Abschnitt
am Schlusse dee Buches: Die Bestandteile des Bruttozinses.

(11) Die Bezeichnung "Urzins" für den Geldzins (im Gegensatz zum Zins der Sachgüter,
Häuser usw.), wird es erleichtern, beide Zinsarten auseinanderzuhalten.


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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