Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht



VIERTER TEIL:

FREIGELD

Das Geld, wie es sein soll und sein kann

"Verschafft der Volkswirtschaft einen ge-
schlossenen Kreislauf, d. h. einen vollkom-
menen und regelmäßigen Güteraustausch,
erhebt Ware und Arbeit auf die Rangstufe
des baren Geldes, und die menschliche
Gemeinschaft ist gesichert, die Arbeit ver-
nunftgemäß geordnet."

Proudhon.

EINLEITUNG

Vor dem Abstrakt steht der menschliche Geist wie der Ochs vor dem Berge. Und ein
vollkommenes Abstrakt war das Geld bisher. Es war gar nichts da, womit wir es hätten
vergleichen können. Zwar gab es verschiedene Geldsorten, Metall- und Papiergeld, aber
diese verschiedenen Abarten waren in bezug auf die Hauptsache am Gelde, das sind die
Kräfte, die seinen Umlauf regeln, vollkommen gleich, was beim Geldtheoretiker darum
auch zu einem Versagen der Geisteskräfte führen mußte. Das gleiche ist unvergleichbar
und begrifflich tot. Die Geldtheorie stand immer noch vor dem Berg, er war ihr einfach
unübersteigbar. In keinem Staate der Welt gab es und gibt es eine gesetzlich anerkannte
Theorie des Geldes, nach der sich die Geldverwaltung zu richten hätte. Überall "wurstelt"
die Geldverwaltung mit Erfahrungssätzen, die ihr zugleich als unbeschränkte Vollmacht
dienen. Dabei handelt es sich um die Grundlage der Finanzen und der Volkswirtschaft,
um einen Gegenstand, der sich seit Jahrtausenden von Hand zu Hand wälzt, dessen prak-
tische Bedeutung die Einbildungskraft anregt wie kaum ein zweiter, und den wir selbst
obendrein seit 3000 Jahren künstlich herstellen! Man bedenke, was das heißt: seit
3000 Jahren in einer der wichtigsten Staats- und Privatangelegenheiten unbewußt, blind-
lings, erkenntnislos vorgehen! Wenn man noch eines Beweises bedürfte für die Hoff-
nungslosigkeit des sogenannten abstrakten Denkens, so haben wir ihn hier.

Mit dem hier dargestellten Freigeld ändert sich diese Sachlage vollständig. Das Geld
hat nun aufgehört, ein Abstrakt zu sein. Das Freigeld bringt zum erstenmal einen Ver-
gleichspunkt für die Betrachtung des Geldes. Das Geld hat einen Hintergrund bekommen;
es ist durch Farbenabtönung und Flächenbegrenzung der menschIichen Betrachtung
erschlossen.”Gebt mir nur einen Stützpunkt", ruft Archimedes, "so hebe ich die Erde
aus ihren Angeln!" Mit einem Vergleichspunkt löst der Mensch jede Aufgabe.

Das Freigeld schafft das Lot zum Bau der Geldtheorie, an dem alle Abweichungen von
der Senkrechten unmittelbar wahrnehmbar sind.


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
Zum Gästebuch
Zur Ursprungsseite