Der Arbeiter braucht sich dem Grundbesitzer nicht mehr auf Gnade
oder Ungnade
zu ergeben; er kann die Sklavenketten zerreißen, den vaterländischen
Staub von seinen
Schuhen abschütteln. Das Landmonopol ist gebrochen. Millionen
von Arbeitern haben
sich durch die Auswanderung frei gemacht, und mit den Zurückbleibenden
muß der
Grundbesitzer verhandeln wie mit freien Männern. Denn die
Möglichkeit der Aus-
wanderung macht sie alle tatsächlich frei.
Ich mußte das Gesetz des ehernen Lohnes aufgeben; die Tatsachen
sprachen zu sehr
gegen mich. Moleschott und Liebig hatten berechnet, daß
die Stickstoffmengen und
Kohlehydrate, die zur Aufzucht und Fortpflanzung eines zwölf
Stunden arbeitenden
Menschen nötig sind, in 1/2 Liter Fischtran und 4 kg Saubohnen
enthalten seien. Diese
Stoffe kosten aber zusammen nur 17 Pfennig. Dazu noch 3 Pfennig
für Kartoffelschalen,
Kleidung, Wohnung und religiöse Bedürfnisse, das macht
im ganzen 20 Pfennig. Über
diese eherne Grenze könne also der Lohn nicht gehen. Trotzdem
ist der Lohn darüber
hinausgestiegen; folglich ist es nichts mit dem Gesetze des ehernen
Lohnes.
Nun suchte ich mir aus der Verlegenheit zu helfen, indem ich
sagte: das nach dem
Stande der Kultur des Arbeiters zu seinem Leben und zur Fortpflanzung
nötige Mindest-
maß (Kultur-Existenzminimum) sei der eherne Lohn. Aber diese
Redensart klang doch
allzu hohl, und ich kam damit nicht weit. Denn wie kam denn der
mit Saubohnen ge-
fütterte Arbeiter überhaupt zu einer Kultur? Wie konnte
der Schlingel aus dem Stalle
ausbrechen? An Wächtern fehlte es doch nicht. Übrigens,
was ist Kultur, was ist das
Mindestmaß für den Lebensunterhalt? Fischtran und Saubohnen
bilden das Festgericht
der Weber im Eulengebirge am Weihnachtsabend. Mit solchen dehnbaren
Begriffen
kann die Wissenschaft nichts anfangen. Nach den Ansichten vieler
(Naturmenschen,
Cyniker usw.) ist die Bedürfnislosigkeit ein Zeichen höchster
Bildung, und somit müßte
der der jeweiligen Lebensführung entsprechende "eherne
Lohn" mit steigender Kultur,
mit steigender Bedürfnislosigkeit herabgehen. Sind denn die
Weber im Eulengebirge
weniger gesittet als die Mastbürger, die den Tag mit "Frühschoppen"
beginnen und
fetten Schweinen mehr ähneln als menschlichen Wesen? Außerdem
stimmt es nicht,
daß der Lohn einfach mit der Anzahl der Schoppen, mit der
Güte des Tabaks steigt.
Der Handelsminister Möller gab im preußischen Landtage
folgende Durchschnitts-
Lohnsätze an, die die Bergarbeiter im Ruhrgebiet bezogen:
1900: | M. 4,80 |
1901: | M. 4,07 |
1902: | M. 3,82 |
1903: | M. 3,88 |
1904: | M. 3,91 |
Die Löhne waren also im Zeitraum von 3 Jahren um 25% gefallen!
Waren nun die
Bedürfnisse der Arbeiter in so kurzer Zeit auch um 25% gefallen?
(1) Oder sind vielleicht
die Arbeiter der Barbarei der "Abstinenz" verfallen?
Die Enthaltsamen kommen ja mit
weniger Geld aus, und das wäre ja ein vortrefflicher Grund,
um den Mindestlohn noch
weiter auf den niedrigeren Kulturzustand der Abstinenz herabzusetzen.
Aber dann fragt
es sich, warum die Machthaber sich so wenig für die Bestrebungen
der Abstinenten
begeistern. Könnte man mit Hilfe der Enthaltsamkeit und zugunsten
des arbeitslosen
Einkommens den Lohn herabsetzen, wie schnell würden da Herstellung
und Handel mit
berauschenden Getränken verboten werden! Aber die Machthaber
wissen es besser -
Hütet euch vor den Abstinenten! Ohne berauschende Getränke
läßt sich kein Volk
"regieren". (2)
Kurz, es ist nichts mit dem "Kultur-Existenzminimum",
nichts mit dem Gesetze des
ehernen Lohnes. Die Lohnbewegungen vollziehen sich ohne Rücksicht
auf den Bildungs-
zustand. Dieselbe Lohnerhöhung, die die Arbeiter heute "erkämpft"
zu haben glauben,
verlieren sie morgen wieder, wenn die geschäftlichen Aussichten
(Konjunkturen) un-
günstig sind. Bessern sich dagegen die Marktverhältnisse,
dann fällt ihnen die Lohn-
erhöhung ohne Kampf, ja sogar ohne Forderung von selber zu,
wie dem Bauer der
erhöhte Weizenpreis ohne Kampf zufällt, sobald aus Amerika
schlechte Ernteaussichten
gemeldet werden.
Lohn! Was ist der Lohn? Lohn, das ist der Preis, den der Käufer
(Unternehmer,
Kaufmann, Fabrikant) für die ihm vom Erzeuger (Arbeiter)
gelieferten Waren zahlt.
Dieser Preis richtet sich, wie der Preis aller Waren, nach dem
dafür erwarteten Ver-
kaufspreis. Verkaufspreis abzüglich Grundrenten- und Kapitalzins,
das ist der so-
genannte Lohn. Das Lohngesetz ist darum in dem Grundrenten- und
Kapitalzinsgesetz
bereits enthalten. Ware abzüglich Rente und Zins = Lohn.
Ein besonderes "Lohn-
gesetz" gibt es also nicht. Das Wort "Lohn" ist
in der Volkswirtschaft überflüssig, denn
Lohn und Preis sind eins. Wenn ich weiß, wie der Preis der
Ware zustande kommt, so
weiß ich auch, was der Arbeiter für seine Erzeugnisse
erhält. (3)
Und zu dieser Erkenntnis hat mir das Freigeld verholfen. Das
Freigeld befreite mich
zunächst von allen Wertflunkereien, indem ja das Dasein dieses
Freigeldes eine lebendige
und greifbare Widerlegung sämtlicher Werttheorien und des
Wertglaubens überhaupt
darstellt. Nach dem Wertglauben kam die Reihe an den für
volkswirtschaftliche
Untersuchungen gänzlich unbrauchbaren Begriff "Arbeit".
Denn was ist Arbeit? Die
Arbeit kann man nicht an den Armbewegungen, an der Müdigkeit
ermessen, sondern
nur am Arbeitserzeugnis. James Watt arbeitet jetzt im Grabe noch
mehr als sämtliche
Pferde der Welt. Nicht auf die Arbeit, sondern auf deren Ergebnis
(das Produkt) kommt
es an; dieses wird gekauft und bezahlt. Wie das ja bei der sogenannten
Stückarbeit klar
zutage tritt. Und im Grunde ist alles Stücklohn-(Akkord)arbeit.
Waren kaufen heißt aber Waren tauschen; die ganze Volkswirtschaft
löst sich so in
einzelne Tauschgeschäfte auf, und alle meine Begriffe: "Lohn",
"Wert", "Arbeit"
enthüllen sich als vollkommen zwecklose Umschreibungen der
beiden Begriffe "Ware"
und "Tausch".
(2) Ein neuer Markstein in der Geschichte der Menschheit : Heute,
den 15. September 1918
n. Chr. hat Wilson Herstellung, Handel und Einfuhr aller alkoholhaltigen
Getränke ver-
boten. Sein Wille geschehe, wie in den Vereinigten Staaten, so
auch anderwärts!
(3) Im letzten Teil d. B. "Die Zinstheorie" werde ich
zeigen, wie es übrigens auch schon
allgemeiner anerkannt wird, daß die Besitzer der Produktionamittel
(Fabrikanten) einfach
Pfandleiher sind.