Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.14. Der Krisen-Theoretiker

Ebenso schlecht wie meinem Kollegen, dem Zinstheoretiker, ergeht es mir mit dem
Freigeld; meine ganze Theoriensammlung wurde durch diese Reform zuschanden
gemacht.

Es klang doch so natürlich, daß auf die Zeit der Blüte eine solche des Zerfalles folgen
müsse. Da es so in der Natur ist, könne es auch nicht anders in der Volkswirtschaft sein,
denn der Mensch gehört doch auch zur Natur, so wie alles, was er macht. Ist der Ameisen-
bau, die Bienenwirtschaft ein Naturerzeugnis, so gehört auch die Menschen- oder Volks-
wirtschaft zur Natur. Der Mensch wächst und vergeht, warum sollte die Volkswirtschaft
nicht auch wachsen, um dann in einem Zusammenbruch zu enden? Das römische Reich
ging zugrunde, darum muß auch die Volkswirtschaft regelmäßig alle paar Jahre in einer
Krise zugrunde gehen. Auf den Sommer folgt der Winter, ebenso folgt in der Volks-
wirtschaft auf die geschäftliche Hochflut der Krach.

Das war doch eine schöne, eines Dichters würdige Theorie! Wie einfach konnte man
damit das verwickelte Problem der Arbeitslosigkeit erklären! Und einfach muß eine
Theorie sein; das ganze Licht unserer Wissenschaft müssen wir in einem Brennpunkt
vereinigen, damit es sich Bahn brechen kann durch den Tabaksqualm und den Bier-
dunst. Wiegenlieder, keine Theorien braucht man für kleine Kinder.

Dazu diente uns die Krisenlehre: infolge "spekulativer Käufe" waren die Preise ge-
stiegen, eine "fieberhafte" Tätigkeit entspann sich auf allen Gebieten; mit Überstunden
und Nachtschichten suchte man der steigenden Nachfrage zu begegnen; die Löhne
stiegen. Natürlich war das nur ungesunde "Treibhauszucht"; die früh oder spät mit
einem Krach endigen mußte. Und der Krach, die Krise kam. Es fehlte natürlich die
Nachfrage für eine so ungeheure Menge von Erzeugnissen aller Art, und wenn die
Nachfrage fehlt, so sinken die Preise. Alles, ohne nennenswerte Ausnahmen, die Erzeu-
nisse der Industrie, der Landwirtschaft, des Bergbaues, der Forstwirtschaft - alle
gingen im Preise herunter. Damit stürzte natürlich das ganze Spekulationsgebäude ein.
Die geldgierigen Arbeiter hatten eben mit ihren Überstunden den ganzen "Arbeits-
vorrat" aufgezehrt. Der "Lohnfonds" war erschöpft. Darum fehlte es jetzt an Arbeit,
darum mußten die Arbeiter neben einem Berg von Brot und Kleidern hungern und
frieren!

Wie überzeugend klang auch die Malthusianische Krisentheorie; sie hatte nicht
umsonst so viele Liebhaber gefunden: ihr habt die guten Zeiten zu nichts Besserem
benutzt als zum Hochzeitfeiern, und euer elendes Geschlecht habt ihr ins Maßlose ver-
mehrt. Wohin man blickt: Kinderwäsche, Windeln, Wiegen. Es wimmelt auf den Straßen,
in den Schulen, wie in einem Kaninchenstall. Jetzt sind euch in euren eigenen Kindern
die Lohndrücker bei der Arbeit entstanden. Die niedrigen Löhne drücken aber wieder
auf die Preise, wobei jedes Geschäft mit Verlust abschließen muß, jede Unternehmungs-
lust im Keime erstickt wird.

Die Fortpflanzung ist an sich eine Sünde, eine verbotene Frucht; sie ist mit dem
Schandfleck der Erbsünde behaftet. Aber doppelt sündhaft ist sie bei so armen Teufeln.
Enthaltet euch, überlaßt die Sache den Heiden, schickt eure Töchter ins Kloster, dann
werden nicht mehr Arbeiter vorhanden sein, als zur Bewältigung der Arbeit nötig sind.
Dann werden auch mit den höheren Löhnen die Preise steigen, was die Unternehmungs-
lust fördert. Maß in allem, in der Gütererzeugung wie in der Fortpflanzung, sonst haben
wir eben Zuvielerzeugung an Gütern und an Verbrauchern!

Und dann noch diese neueste Theorie, mein eigentliches Glanzstück: durch die An-
häufung des Reichtums in verhältnismäßig wenig Händen durch das Mißverhältnis
zwischen Kauf- und Erzeugungskraft der breiten Massen steht der Verbrauch im Miß-
verhältnis zur Erzeugung. Daher die Überlastung des Marktes mit unverkäuflichen
Waren, daher die sinkenden Preise, die Arbeitslosigkeit, die Unternehmungsscheu, die
Krise. Die reichen Leute können ihr Einkommen nicht verzehren, und die Arbeiter
haben nichts zu verzehren. Wären die Einkommen nur richtig verteilt, so würden Ver-
brauch und Erzeugung schritthalten, und es könnte darum keine Krise ausbrechen!

Wie einleuchtend doch das klang! Und auf den Klang, den Schall, den Rauch kommt
es an. An den Verstand dieser mit der Saugflasche, mit künstlichen Nährmitteln und
Bier aufgepäppelten und von Sorgen erdrückten Menge kann man sich doch nicht mehr
wenden. Er hält einen herzhaften Stoß ja gar nicht mehr aus.

So hatte ich für jede Gesellschaft, für jeden Geschmack eine Krisentheorie auf Lager.
Stieß ich dabei ausnahmsweise auf ernsthaften Widerspruch, so flocht ich meine Reserve-
theorie ein, durch die ich die Krise mit der Währung in Verbindung brachte. Gewöhn-
lich genügte dann schon das Wort "Währung", um jeden Widerspruch niederzuschlagen.
,Genug, genug!" hieß es; ,wir wissen, was Bamberger sagte, daß neben der Liebe die
Währungsfrage die meisten Verrückten gemacht hat, und wir wollen einer Krisentheorie
zuliebe unseren Verstand nicht auf eine vielleicht gefährliche Belastungsprobe stellen!"

Dabei war gerade diese Theorie verhältnismäßig die einfachste und auch die beste:
die Waren, so führte ich aus, werden so gut wie ausschließlich kaufmännisch verhandelt,
d. h. sie müssen zum Zwecke des Austausches an Kaufleute verkauft werden. Der Kauf-
mann kauft aber die Waren nur unter der Voraussetzung, daß er sie teurer wird ver-
kaufen können. Der erwartete Verkaufspreis muß höher stehen als der vom Arbeiter
oder Unternehmer geforderte Einstandspreis. Wenn nun die Warenpreise Neigung zum
Sinken zeigten, so wußte der Kaufmann überhaupt nicht mehr, wieviel er bezahlen
oder anlegen durfte, während der Unternehmer ohne baren Verlust mit seinen For-
derungen nicht unter den Kostenpreis gehen durfte. Beim Verbraucher ist es anders.
Er kauft und bezahlt den geforderten Preis. Er freut sich, wenn der Preis fällt; es ver-
drießt ihn, wenn er steigt. Eine Grenze für den Preis liefert jedoch nur sein eigenes
Einkommen. Der Kaufmann dagegen soll einen Preis erzielen, der eine bestimmte Höhe,
den Einstandspreis, überragt; ob er aber diesen Preis erzielen wird, das weiß er nicht.
Der Verkaufspreis ist ungewiß, der Einstandspreis ist aber mit der Übernahme der Ware
eine feste, bestimmte Größe.

Wenn die Warenpreise im allgemeinen fest sind oder gar steigen, dann ist alles gut,
dann wird der Erlös wahrscheinlich mit Überschuß den Einstandspreis decken, und
der Kaufmann kann getrost seine Bestellungen machen. Wenn aber die Preise sinken,
immer weiter sinken um 1, 2, 5 10, 20, 30%, wie wir das schon öfter beobachtet haben,
dann verliert der Kaufmann jeden festen Boden unter den Füßen, und das Vernünf-
tigste was er als vorsichtiger Mann dann machen kann, ist - warten. Denn nicht bloß
auf Grundlage des Einstandspreises kann der Kaufmann seine Verkaufspreise berech-
nen, sondern er muß sich dabei auch nach dem, was erzielbar ist, richten. Und wenn
in der Zeit zwischen Kauf und Verkauf der Waren die Einstandspreise fallen, so muß
auch er mit den Verkaufspreisen heruntergehen, und er hat einen Verlust. Also ist das
beste in solchen Zeiten niedergehender Preise, mit dem Kauf zu warten. Die Waren
werden also kaufmännisch nicht durch den Bedarf als Triebkraft ausgetauscht, sondern durch
die Aussicht auf Profit.

Aber dieses "Warten", die Verzögerung in den gewohnten Bestellungen des Kauf-
mannes bedeutete eine Absatzstockung für den Unternehmer, und da dieser meistens
auf regelmäßigen Absatz angewiesen ist, weil er die Waren, des Raumes und der Fäulnis
wegen, nicht auf Lager nehmen kann, so entließ er seine Arbeiter.

Aus Mangel an Arbeit und Geld konnten nun wiederum diese Arbeiter nicht kaufen,
wodurch dann die Preise noch weiter sanken. Und so war durch den Niedergang der
Preise ein "circulus vitiosus", ein fehlerhafter Kreis entstanden.

Darum, so lautete die Nutzanwendung, müssen wir verhüten, daß die Preise sinken;
wir müssen mehr Geld herstellen damit es nicht an Geld fehlt, um die Waren zu kaufen,
damit angesichts der großen Barbestände der Banken, der großen Barvorräte der Privat-
leute, kein Kaufmann sich mehr vor Geldmangel, vor einem Preissturz zu fürchten
braucht.

Also die Doppelwährung oder Papiergeld!

Im Grunde genommen befriedigte mich selbst ja keine einzige dieser Theorien. Die
erste Theorie, die die Krise als eine Art Naturereignis betrachtet, ist eigentlich zu naiv,
um eine Widerlegung zu verdienen. Die zweite Theorie, die das Wucherspiel, das
Gründertum für die Krise verantwortlich machen will, untersucht nicht, ob die Geld-
vorräte der Privatleute und Wucherspieler, ohne die ja die Gewinnjagd (Spekulation)
nicht möglich wäre, nicht eigentlich die Ursache dieses Wucherspiels und infolgedessen
auch Ursache der Krise sind. Was hat es für einen Sinn, eine Reichsbank zu gründen,
ihr das Alleinrecht der Notenausgabe zu verleihen, damit sie "den Geldumlauf den
Bedürfnissen des Verkehrs anpassen" kann, wenn es einfach von der "Spekulation"
abhängt, trotz Notenmonopol und Reichsbank die Preise hochzutreiben, so oft es
ihr beliebt? Und weil diese Theorie an dieser Frage vorübergeht, schlägt sie den
falschen Weg ein, Wünsche statt Forderungen auszudrücken. Man möge doch in
Zukunft alle Spekulation unterlassen, das ist alles, was sie als Schutz vor Krisen zu
empfehlen weiß.

Diese Theorie untersucht auch nicht, wo der eigentliche Beweggrund der "fieber-
haften Tätigkeit, der Überstunden und Nachtschichten" ist. Denn ohne diese gesteigerte
Arbeit würde alles Wucherspielen im Sande verlaufen. Was würde es nützen, wenn der
Unternehmer dem Arbeiter Überstunden vorschlüge und dieser ihm antwortete: meine
jetzige Arbeitszeit genügt, um meine Bedürfnisse zu decken. Wenn also der Arbeiter
sich heute zu der "fieberhaften Tätigkeit" bereit erklärt, so kommt das nur davon,
daß er fieberhafte Bedürfnisse hat, die er mit dem Lohn aus den Überstunden befrie-
digen will. Ist aber die Nachfrage ebenso fieberhaft wie das Angebot, wie kann es dann
zur Krise kommen? Die Spekulation, die die Geldrücklagen auf den Markt bringt,
erklärt nur die allgemeine Preissteigerung, 1äßt aber die Frage unbeantwortet, warum
der Verbrauch nicht schritthält mit der Erzeugung, und warum der Absatz gewöhnlich
urplötzlich abfällt.

Diese Nichtbeantwortung der Frage, warum Verbrauch und Erzeugung sich nicht
regelmäßig ausgleichen, ist ja der gemeinsame wunde Punkt aller meiner Theorien, aber
am lautesten schreit diese Frage um Antwort bei der dritten Theorie, der Übervölkerungs-
theorie. Hier wird als Ursache der Krise die Überproduktion infolge Übervölkerung
angegeben, was doch so viel heißt wie: die zu großen Brote kommen von dem zu großen
Hunger! Offenbarer Unsinn, besonders, wenn man bedenkt, daß die Waren zum Zwecke
des Austausches erzeugt werden, und daß die hungernden Arbeiter fähig und willig
sind andere Erzeugnisse für die von ihnen benötigten im Tausch zu geben. Handelt es
sich nur um eine einseitige Zuvielerzeugung (z. B. Särge) so bedürfte die Sache über-
haupt keiner Erklärung, aber von allem ist zuviel vorhanden, von landwirtschaftlichen
Erzeugnissen sowohl, wie von gewerblichen.

Ebenso unbefriedigend ist die Theorie, die den Minderverbrauch verantwortlich
machte für die Krise; den Minderverbrauch infolge ungleicher Verteilung des Ein-
kommens. Sie erklärte nicht, warum der Absatz heute ins Blaue hinein wächst, um nach
einer Weile urplötzlich abzufallen, warum einer ständigen, gleichmäßigen Ursache (hier
also die ungleiche Verteilung des Einkommens) eine stoßende Wirkung (geschäftliche
Hochflut und Krise) gegenüberstand. Wäre jene Verteilung des Einkommens die Ur-
sache der Krise gewesen, so müßte sich diese als eine ununterbrochene schleichende
Erscheinung dargeboten haben, als Arbeiterüberschuß von unantastbarem ehernem
Bestande, also als das Gegenteil von dem, was man beobachtete.

Aber auch die Annahme, daß das Einkommen der wohlhabenden Volksschichten all-
gemein ihre persönlichen Bedürfnisse übersteige, war unzutreffend, wie ja die Boden-
verschuldung der Groß- und Kleingrundbesitzer, die Not der Grundrentner, ihre Bettelei
um Staatsschutz beweisen. Die Bedürfnisse kennen überhaupt keine Grenzen; das geht
ins Unendliche. Die Bedürfnisse der Weber im Eulengebirge waren doch mit Kartoffel-
schalen nicht eigentlich befriedigt, und mit der Herzogswürde, die die amerikanischen
Könige für ihre Töchter erwarben und mit Milliarden bezahlten, war deren Würde-
bedürfnis noch ungesättigt. Sie strebten nach der deutschen Kaiserkrone und häuften
Milliarde auf Milliarde, arbeiteten Tag und Nacht, sparten vielleicht am eigenen und
sicher am Leibe ihrer Arbeiter, um diese Krone zu erreichen. Und wenn sie diese erreicht
gehabt hätten, dann wäre ein kleiner, schwarzer Pfaff gekommen und hätte gesagt, das
alles wäre vergänglich, sie sollten arbeiten, sparen, Milliarden sammeln und sie der
Kirche vermachen, auf daß sie würdig befunden würden, einzutreten in das Reich Gottes.
Zwischen Kartoffelschalen und dem Opferstock der Kirche ist ein Meer von Bedürf-
nissen, das alles verschlingt, was die Meitschen erzeugen können. Auch ist kein Mensch
so reich, daß er nicht darauf bedacht wäre, noch reicher zu werden; im Gegenteil, die
Geldgier wächst mit dem Erfolg im Erwerb. Wie wären sonst die gewaltigen Vermögen
in der Neuzeit zustande gekommen, wenn ihre Besitzer bei der ersten Million gesagt
hätten: wir haben jetzt genug erworben, wir wollen andere arbeiten lassen! Kein reicher
Mann ließ seine Überschüsse brach liegen, solange sich Gelegenheit für eine gewinn-
reiche Anlage bot. Der Zins war allerdings die Voraussetzung der Geldausgabe der
Kapitalisten, aber in dieser Beziehung handelte der reichste Mann nicht anders als der
kleinste Sparer. Kein Zins - kein Geld, so hieß es auf der ganzen Linie. Alle machten
das Wiederausgeben der Geldüberschüsse abhängig vom Zins, und wenn wir alle Bürger
in bezug auf ihr Einkommen gleichgestellt hätten, so würden wir nichts an der Tat-
sache geändert haben, daß der Sparer, der, mehr Waren erzeugte und verkaufte, als er
verbrauchte, den Geldüberschuß nicht eher wieder in Umlauf brachte, bis ihm Zins
bezahlt wurde: Es mußte sich also durch die Tätigkeit der Sparer jedesmal ein Waren-
überschuß mit Absatzstockung und Arbeitslosigkeit zeigen, sobald Handel und Industrie
keinen Zins abwarfen. Die Ursache der Krise lag also darin, daß einerseits die Kapi-
talisten die Geldanlage vom Zins abhängig machten, anderseits darin, daß, wenn der
Vorrat an Häusern, Maschinenanlagen und sonstigen Arbeitsmitteln eine bestimmte
Grenze überschritt, dann auch der Zins fiel, den diese einbringen müssen, um das in
ihnen verausgabte Geld zu verzinsen. (Der Wettbewerb der Hausbesitzer den Mietern
gegenüber wirkt wie der Wettbewerb der Besitzer gewerblicher Unternehmungen den
Arbeitern gegenüber: er drückt auf den Zins. Hier setzt er den Mietzins herunter, dort
setzt er den Arbeitslohn herauf.) Traf nun letzteres ein, so konnten die Unternehmer
den geforderten Zins nicht zahlen, und die Kapitalisten hatten keinen Anlaß, das Geld
ohne Zins herzugeben. Sie warteten dann lieber die Krise ab, die die Lage klären und
den alten Zinssatz wieder herstellen würde und erfahrungsgemäß auch wieder herstellte.
Sie zogen es vor, für kurze Zeit ganz auf den Zins zu verzichten, um dadurch in den
Genuß eines höheren Zinsfußes zu gelangen, anstatt ihr Kapital zu niedrigem Zinsfuß
auf lange Jahre festzulegen. Ein gewisser Mindestzins ließ sich durch einfaches Warten
immer erpressen.

Also mit dem Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Einkommen der wohlhabenden
Klassen, zwischen Kaufkraft und Erzeugungskraft der Arbeiter als Ursache der Krise,
ist es nichts.

Der wirklichen Ursache der Krise am nächsten kam die zuletzt erwähnte Theorie,
die die Krise mit der Währung in ursächlichen Zusammenhang brachte.

Daß; solange die Preise abwärts neigten und der Verkauf der Waren nur Verluste
brachte, niemand daran dachte, neue Unternehmungen zu begründen oder bestehende
zu erweitern, daß auch kein Kaufmann Waren kaufte, um sie unter dem Einstands-
preis losschlagen zu müssen, und daß unter solchen Verhältnissen eine Krise un-
vermeidlich wurde, ist ja klar und einleuchtend. Aber diese Theorie beantwortet die
Frage eigentlich nur mit neuen Fragen. Sie erklärt richtig die Krise als gleichbedeutend
mit einem allgemeinen Preisrückgang, aber sie gibt keine befriedigende Auskunft auf die
Frage, woher der Preisrückgang kam. Zwar behauptete sie, das Sinken der Preise käme
von einem Mangel an Geldvorrat, und darum schlug sie auch eine Vermehrung der
Geldherstellung (Doppelwährung, Papiergeld) vor; aber der Nachweis fehlt, daß mit
oder nach Vermehrung des Geldvorrats auch das Angebot dieses Geldes sich dem An-
gebot von Waren anpassen würde, namentlich, ob auch dann Geld angeboten werden
würde, wenn der Zins herunterginge.

Und darauf käme es doch an.

Dies sah man übrigens auch ein, und darum schlug man vor, das Geld völlig von
jedem Metall zu trennen (Aufhebung des Prägerechtes für Silber und Gold), um dann
die Geldherstellung (nicht Geldangebot) so zu regeln, daß, wenn die Preise fielen, die
Geldanfertigung vermehrt und umgekehrt bei steigenden Preisen der Geldvorrat (nicht
Geldangebot) vermindert werden sollte. Man dachte auf so einfache Weise das Geld-
angebot der Nachfrage jederzeit anpassen zu können.

Man hat diesen Vorschlag nie ausgeführt, und es ist gut, daß man es nicht tat, denn
man wäre damit nur durchgefallen. Denn die diesen Vorschlag machten, sahen Geld-
vorrat und Geldangebot als gleichbedeutend an, sie glaubten, daß, weil einem großen
Kartoffelvorrat auch ein gleich großes Kartoffelangebot entspricht, dies auch so mit
dem Gelde sein müsse. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Das Kartoffelangebot,
wie überhaupt das Warenangebot entspricht genau dem Vorrat, weil die Aufbewahrung
mit schweren Unkosten verbunden ist. Wäre das frühere Geld so beschaffen gewesen,
wie die Waren im allgemeinen, d. h. hätte man das Metallgeld nur mit Verlust aufbe-
wahren können, dann wäre ein Rückschluß vom Vorrat auf das Angebot ganz am Platze
gewesen. Aber das war bekanntlich nicht der Fall. Über das Angebot ihres Geldes ver-
fügten die Inhaber unumschränkt. Und es wurde kaufmännisch und kapitalistisch kein
Pfennig in Umlauf gesetzt, wenn kein Zins dabei herauskam. Kein Zins - kein Geld,
mag der Geldvorrat noch so groß sein, mag man den Geldvorrat verhundertfachen.

Nehmen wir nun an, daß mit einer solchen Reform der Notenbanken das Ziel (die
Beseitigung der schleichenden wie auch der schnell verlaufenden Krisen) erreicht worden
wäre, so würde sehr bald der Augenblick gekommen sein, wo das Land mit Häusern,
Maschinenanlagen usw. derart gesättigt gewesen wäre, daß sie den gewohnten Zins nicht
mehr hätten einbringen können. Dann würde das alte Spiel wieder von vorn begonnen
haben: die Sparer und Kapitalisten hätten, nicht mit dem Zins heruntergehen wollen
und die Unternehmer würden den alten Zinsfuß nicht haben zahlen können. Durch die
Erfahrung von 2000 Jahren wissen die Geldbesitzer, daß sie je nach der Anlage 3-4-5%
für ihr Geld erzielen können und daß sie nur eine Weile zu warten brauchen, um diesen
Zinsfuß zu erzielen. Also warten sie.

Während die Geldbesitzer nun warten, fehlt natürlich die Nachfrage nach Ware, und
die Preise sinken. Dieses Sinken der Preise macht wieder den Handelsstand stutzig, der
nun auch in Erwartung der Dinge, die da kommen könnten, mit den Bestellungen zu-
rückhält.

So ist also sofort wieder die Absatzstockung, die Arbeitslosigkeit, die Krise fertig -
trotz dem großen Geldvorrat.

Allerdings wurde vorgeschlagen, daß der Staat in solchen Fällen den Unternehmern
das Weiterarbeiten ermöglichen solle, indem er ihnen unmittelbar Geld zu billigerem
Zinsfuß, nötigenfalls zinsfrei liefere. So hätte der Staat immer wieder durch Neuausgabe
das Geld ersetzt, das die Sparer und Kapitalisten dem Verkehr entzogen; aber wo hätte
ein solches Vorgehen hingeführt? Auf der einen Seite bei den Kapitalisten Berge von
Papiergeld, für das die Verwendung fehlt, auf der anderen Seite in den Staatskassen
entsprechende Berge von Pfandbriefen und Wechseln, und zwar langfristigen Wechseln
und unkündbaren Pfandbriefen, wie sie die Unternehmer brauchen!

Die bei den Privaten aufgestapelten Berge von Papiergeld (schließlich hätte das ge-
samte Privatvermögen diese Form angenommen) konnten jeden Tag durch irgendein
Ereignis in Bewegung geraten und da dieses Geld nur auf dem Markte im freien Verkehr
mit Waren einlösbar sein sollte, so hätte sich diese Papiergeldmasse in eine plötzliche
ungeheure Nachfrage umgewandelt, gegen die der Staat mit den Pfandbriefen und lang-
fristigen Wechseln nicht hätte ankämpfen können. So wären denn die Preise ins Blaue
hinein gestiegen.

Es ist nun ein Glück, daß wir mit dem Freigeld dieser Gefahr entronnen sind, denn
das klägliche Scheitern dieser Reform würde natürlich wieder ausgebeutet worden sein
gegen die Theorie des Papiergeldes, und so wären wir wieder auf Jahrhunderte zurück-
geworfen worden in die Barbarei des Metallgeldes.

Das Freigeld macht das Angebot des Geldes von jeder Bedingung unabhängig; so
viel Geld vom Staate in Umlauf gesetzt wurde, so viel Geld wird angeboten. Was man
bisher beim Gelde als selbstverständlich voraussetzte, nämlich daß, wie bei den Kartoffeln,
das Angebot dem Vorrat stets entsprechen müsse, das mird mit dem Freigeld erst zur Tat-
sache : Geldangebot = Geldvorrat. Das Geldangebot geht nicht mehr neben dem Geld-
vorrat einher, es bedeutet keine Willkürsache mehr; Wille und Wünsche sind einflußlos
auf das Geldangebot geworden. Die Quantitätstheorie ist jetzt vollkommen richtig, und
zwar die einfache, naive, auch die "rohe" genannte Quantitätstheorie.

Wie könnte es unter solchen Umständen noch zu einer Krise kommen? Geht auch
der Zins herunter, fällt er gar auf und unter Null, das Geld wird dennoch angeboten;
und gehen die Preise herunter, so hebt sie der Staat einfach wieder durch Vermehrung
des Geldvorrats. Die Nachfrage hält also stets und unter allen Umständen dem Angebot
die Wage.

Wenn somit das Freigeld die Krisen unmöglich macht, so müssen wir notwendiger-
weise die Ursachen der Krisen in dem Punkte suchen, wo das frühere Geldwesen sich
vom Freigeld unterscheidet. Und dieser Punkt liegt in der Verschiedenheit der Beweg-
gründe, die das Geldangebot jetzt beherrschen, und derjenigen, die es früher beherrschten.

Der Zins war früher selbstverständliche Voraussetzung des gesamten Geldumlaufes;
jetzt wird das Geld auch ohne Zins angeboten.

Bei einem eingetretenen allgemeinen Preisrückgang, der schon ein ungenügendes Geld-
angebot anzeigte, wurden die Privatgeldvorräte zurückgezogen (weil niemand bei fallen-
den Preisen kaufmännisch Waren erwirbt, noch auch ohne Verlustgefahr erwerben kann).
Die Folge war, daß der allgemeine Preisrückgang oft in ein rasendes, allgemeines Zu-
geldemachen mit entsprechendem Preissturz übergehen mußte; jetzt dagegen wird das
Geld unter allen denkbaren Verhältnissen angeboten.

Bei einer einsetzenden allgemeinen Preissteigerung, die schon ein zu großes Geld-
angebot anzeigte, wurden alle Privatgeldvorräte auf den Markt gebracht, weil jeder an
der allgemein erwarteten weiteren Preissteigerung mit möglichst großen Beständen an
Waren und Papieren beteiligt sein wollte, wodurch dann das Erwartete auch eintreten
mußte und die Preise bis zu der von dem Angebot sämtlicher Privatgeldvorräte ge-
zogenen Höchstgrenze stiegen; jetzt können die Preise überhaupt nicht mehr steigen, weil
es keine Privatgeldvorräte mehr gibt.

Für die Höhe des Geldangebots, für die Beantwortung der Frage, ob der Kapitalist
kaufen sollte oder nicht, waren Ansichten, Meinungen, Gerüchte, falsche und echte
Nachrichten, oft nur das Mienenspiel eines Herrschers, maßgebend. Trafen gutes Wetter
und gute Verdauung "tonangebender" Börsenmänner mit irgendeiner günstigen Nach-
richt zusammen, so schlug auch schon die "Stimmung" um, und die, die noch gestern
verkauften, waren heute Käufer geworden. So war das Angebot des Geldvorrats wie ein
Rohr, das der Wind hin- und herbewegt. Daneben noch das Zufällige der Gelderzeugung
selbst. Fand man Gold, - gut; fand man keins, so mußte man sich eben bescheiden.
Während der ganzen Dauer des Mittelalters, bis zur Entdeckung Amerikas, war der
Handel auf die von den Römern ererbten Gold- und Silberbestände angewiesen, weil
alle damals bekannten "Fundstätten" erschöpft waren. Handel und Verkehr gingen auf
das kleinste Maß zurück, weil die Arbeitsteilung sich wegen Mangels an Tauschmitteln
nicht entfalten konnte. Seit der Zeit hat man ja viel Gold und Silber "gefunden", aber
wie unregelmäßig sind diese "Funde"! Es sind eben Funde.

Zu diesen Schwankungen in den "Goldfunden" traten dann noch die Schwankungen
in der Währungspolitik der verschiedenen Länder, die bald die Goldwährung mittels
auswärtiger Goldanleihen (Italien, Rußland, Japan) einführten und so den auswärtigen
Märkten Riesensummen entzogen, bald aber die Papierwährung einführten und dann
das Gold wieder auf die fremden Märkte abstießen.

So war das Geldangebot Spielball der verschiedensten, sich kreuzenden Umstände.

Und hierin besteht der Unterschied zwischen dem früheren Geldwesen und dem
Freigeld; in diesem Unterschied müssen wir die Ursache der Wirtschaftskrisen erkennen.


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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