Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.13. Der Zinstheoretiker

Das Freigeld bringt mich um mein ganzes geistiges Kapital. Meine schönsten Theorien
werden durch diese wahrhaft verwünschte Neuerung zum alten Eisen geworfen. Hat
doch der Zins, der sich seit geschichtlichen Zeiten immer auf gleicher Höhe erhielt,
ohne alle Rücksicht auf meine Theorien den Weg auf Null eingeschlagen. Und die zins-
freien Darlehen, die uns immer als unerfüllbare Träumereien erschienen, werden jetzt
als durchaus möglich, ja als wahrscheinlich betrachtet. Zinsfreie Darlehen! Das Ende
des Kapitals! Geld, Maschinen, Häuser, Fabriken, Waren, Rohstoffe kein Kapital mehr!
Ich muß gestehen, es flimmert mir vor den Augen!

Die so einleuchtende "Nutzungstheorie", die bestechende "Fruktifikationstheorie",
die aufwieglerische "Ausbeutungstheorie", die etwas spießbürgerliche, aber sehr beliebte
"Enthaltsamkeitstheorie"(1), und wie ich sie alle benannt hatte, alle, alle gehen mit Frei-
geld in die Brüche!

Es war doch so einleuchtend, so natürlich, so selbstverständlich sogar, daß der Ver-
leiher eines Arbeitsmittels sich für diese "Leistung" einen Zins ausbedingen konnte.
Und doch sinkt der Zinsfuß, er sinkt, sinkt bis auf Null! Und die Kapitalisten (wenn
man sie überhaupt noch so nennen kann) äußern sogar Zeichen der Freude, wenn sie
jemanden finden, der ihnen das Geld abnimmt, unter der einzigen Bedingung einfacher
Wiedererstattung der vollen Summe. Sie sagen, der Wettbewerb habe zugenommen und
es sei für sie doch vorteilhafter, ihr Geld zu verleihen, als es zu Hause auf Vorrat für
künftigen Bedarf aufzubewahren. Denn zu Hause ginge ja jährlich ein Teil des Geldes
durch Kursverlust verloren. Viel besser wäre es, das Geld zu verleihen, wenn auch ohne
Zins, gegen Pfand und Wechsel, die man ja gegen Bargeld wieder verkaufen oder dis-
kontieren kann, wenn man Bargeld gebraucht. Man hat auf diese Weise zwar keinen
Zins, aber man hat auch keinen Verlust am Umlaufswert des Geldes.

Zinsfreie Darlehen wären also jetzt nicht allein vorteilhaft für den Nehmer, sondern auch
für den Geber. Wer hätte das jemals gedacht! Und doch ist es so. Was soll auch der Sparer
machen? Man spart für künftige Zeiten, fürs Alter, für eine Reise nach Jerusalem, für
Zeiten der Not, für die Hochzeit, für den Krankheitsfall, für die Kinder usw. Aber was
macht man mit dem Gesparten in der Zwischenzeit, bis man es braucht?

Kauft man Tuch, Lebensmittel, Holz usw. auf Vorrat, so steht man sich nicht besser,
als wenn man Freigeld aufbewahrt; denn alles das fault, rostet, verdirbt. Man denkt
hier vielleicht an Gold und Edelsteine, die sich unbegrenzt und unversehrt aufbewahren
lassen, aber wohin würde es führen, wenn solche Verwendung der Ersparnisse allgemein
geübt würde? Wie hoch würde der Preis dieser Dinge in guten Jahren steigen, wenn
jedermann Ersparnisse macht; wie tief würde dieser Preis sinken, wenn etwa bei Fehl-
ernten und Krieg die Ersparnisse (also Gold und Edelsteine) in Menge zu Markte ge-
tragen würden? Die Edelsteine, sagt man, sind das, was man zuletzt kauft und zuerst
verkauft. Den Versuch würde man nicht oft wiederholen; diese Ersparnisform würde
kläglich versagen.

Dann ist es doch wahrhaftig viel besser, man legt seine Ersparnisse in Privat- und
Staatsschuldscheinen, Wechseln usw. an, die, wenn sie auch keine Zinsen abwerfen,
doch alle Tage und ohne Verlust wieder in Bargeld umgesetzt werden können.

Aber, wird man fragen, warum da nicht lieber Häuser, Industriepapiere kaufen? Aber
das ist ja eben das Seltsame, daß man auch Häuser kauft, obschon sie ebenfalls keinen
Kapitalzins mehr abwerfen; daß man auch Häuser baut, obschon man keinen Zins er-
wartet. Man kauft und baut Häuser und begnügt sich mit den jährlichen Abschreibungen
am Baukonto, die die Mieter im Mietzins zahlen. Oft steht man sich so noch besser,
als wenn man Staatspapiere kauft, denn man hat eine regelmäßige, mit dem Zerfall des
Hauses (der Fabrik, Maschinenanlage, Schiffe usw.) schritthaltende Einnahme und
behält dabei noch ein Pfand des Eigentums in Händen. Darum wird, trotzdem der Miet-
zins nur mehr die Deckung für Instandhaltungen und Abschreibungen, Steuern und
Feuerversicherung liefert, viel gebaut, und die Häuser werden als gute Sparanlage
betrachtet!

Ich gestehe, der Boden wankt mir unter den Füßen; ich kann es kaum fassen, daß
jemand ein Haus zum Vermieten baut, trotzdem er selbst nur Abschreibungen, aber
keinen Kapitalzins als Miete erwartet. Es galt doch allgemein als wissenschaftlich er-
wiesen, daß das Geld nur darum Zins abwürfe, weil die Produktionsmittel Zins ab-
warfen, daß die zinswerbende Kraft des Geldes im Grunde eine übertragene oder erborgte
sei. Und jetzt scheint es, daß es sich umgekehrt verhielt, denn wie hätte sonst eine Reform
des Geldes überhaupt den Zins beeinflussen können?

Eigentlich war es ja mehr als leichtfertig, zu sagen: das Geld wirft Zins ab, weil man
mit dem Geld Arbeitsmittel kaufen kann, die Zins abwerfen; denn hier fehlt ja die Er-
klärung, warum man Arbeitsmittel, die Zins abwerfen, gegen Geld verkauft, das man
für unfruchtbar erklärt? Gibt denn ein Ochse Milch, wenn man ihn gegen eine Kuh
tauscht?

Leere Worte haben hier offenbar die Stelle der Begriffe eingenommen. Es ist barer
Unsinn, von übertragenen und erborgten Eigenschaften zu sprechen; solche Über-
tragung von Eigenschaften und Kräften ist ebenso unmöglich in der Volkswirtschaft wie
in der Chemie. Wenn das Geld an sich nicht die Kraft hatte, Zinsen zu erheben, woher
kamen dann die Einnahmen aus dem Banknotenmonopol?

Wenn das Geld aus eigener Kraft keinen Zins erheben konnte, dann waren zins-
zeugende Arbeitsmittel und unfruchtbares Geld einfach nicht miteinander meßbare
Größen, Dinge, die keinen Vergleich zuließen und also nicht tauschfähig gewesen wären.
Es gibt ja manches, was mit Geld nicht zu kaufen ist.

Und welchen Preis zahlte man für einen Acker, der 1000 Mark Rente abwarf? Man
rechnete, daß 100 Mark 5 Mark Zins einbringen, und der Preis des Ackers war dann
so oft mal 100, wie 5 in 1000 geht. Woher kam nun der Satz uon 5 vom Hundert? - Hier
ist der Haken!

Von übertragener Kraft kann also keine Rede sein; die zinszeugende Kraft mußte
dem Gelde als Eigenschaft anhaften. Aber wo war diese Eigenschaft des Metallgeldes
verborgen? Früher wäre es schwer gewesen, diese Eigenschaft zu entdecken; jetzt mit
dem Freigeld als Vergleichsgegenstand muß dies leicht sein, denn da mit dem Freigeld
das Geld die zinszeugende Eigenschaft offenbar verloren hat, so brauchen wir nur ein-
fach dort zu suchen, wo beide Geldarten voneinander abweichen, um auch die Quelle
des Zinses festzustellen. Das Freigeld weicht aber vom früheren Metallgeld darin ab,
daß es einem ihm anhaftenden Angebotszwang unterliegt, während das frühere Geld
in dieser Beziehung völlig unabhängig war.

Hier also, in der unbeschränkten Freiheit des Metallgeldbesitzers sein Eigentum
nach Belieben und Gutdünken anbieten zu können, in der Willkür der Kapitalisten und
Sparer, die das Geldangebot beherrschten, hier müssen wir die Stelle finden, wohinein
der Zins seine Wurzeln senkte.

Und fürwahr - lange brauchen wir nicht zu suchen!

Das Geld ist anerkanntermaßen für den Austausch der Erzeugnisse der Arbeitsteilung,
für den Handel, unentbehrlich. Was machen nun die Verfertiger der Waren, wenn
sie diese nicht gegen Geld verkaufen können? Legt sich der Tischler selbst in seine
Särge, ißt der Bauer die Kartoffeln etwa alle selbst? Nichts davon; sie suchen durch
Preisermäßigung den Verkauf möglich zu machen, das Geld durch Nachgiebigkeit in
ihren Forderungen heranzulocken. Jeder Verfertiger oder Besitzer von Waren muß seine
Waren verkaufen, und um den Verkauf zu ermöglichen, sind alle ohne Ausnahme bereit,
etwas vom Preis abzulassen.

Auch dies ist unbestreitbar. Wenn nun die Kapitalisten und Sparer das Geld dem
Verkehr entzogen haben, und es dem Handel, dem Warenaustausch nur gegen Zins-
zahlung zurückgeben, so finden sie ja in der Bereitwilligkeit der Warenbesitzer, etwas
von ihrem Erzeugnis für die Benutzung des Geldes abzutreten, den Boden für die Er-
hebung des Zinses vorbereitet: "Ihr braucht Geld, um eure Sachen gegenseitig auszu-
tauschen; hier in unseren eisernen Schränken ist es eingeschlossen. Wollt ihr uns etwas
für seine Benutzung zahlen, wollt ihr uns Zins zahlen, so könnt ihr es bekommen, zu 4%
im Jahre, sonst schließen wir es ab, und ihr könnt sehen, wie ihr dann auskommt. Zins
ist unsere Bedingung. Überlegt euch die Sache; wir können warten, wir sind nicht durch
die Natur unseres Geldes gezwungen, es herzugeben."

Die Sache ist klar. Es hängt von den Geldbesitzern ab, ob sich der Handel mit oder
ohne Geld behelfen muß; gleichzeitig macht man den Gebrauch des Geldes unvermeid-
lich, indem der Staat die Steuern in Geld erhebt; also können die Geldbesitzer einen
Zins jederzeit erpressen. Es verhält sich hier genau wie mit einer Brücke über einen
Fluß, die den Markt in der Mitte durchschneidet und von einem Zöllner bewacht ist.
Gestützt darauf, daß die Brücke für die Verbindung der beiden Markthälften unent-
behrlich ist, gestützt darauf, daß der Zöllner die Brücke öffnen und schließen kann,
ist er in der Lage, von jeder Ware einen Zoll zu erheben.

Der Zins war also ein Zoll, ein Brückengeld, das die Warenverfertiger für die Be-
nutzung des Tauschmittels an die Besitzer des Geldes zu zahlen hatten. Kein Zins =
kein Geld, so hieß es. Kein Geld= kein Gütertausch; kein Tausch = Arbeitslosigkeit;
Arbeitslosigkeit = Hunger. Ehe wir aber verhungern, zahlen wir lieber den Zins.

Die zinszeugende Kraft des Metallgeldes war also nicht "erborgt" oder "übertragen";
sie war eine Eigenschaft des Metallgeldes und beruhte letzten Endes darauf, daß man
für Herstellung des Geldes einen Stoff ausgesucht hatte, der unter allen Stoffen der
Erde eine Ausnahmestellung einnimmt, insofern als er sich unversehrt und unbegrenzt
ohne Unkosten aufbewahren läßt, während alle anderen Erzeugnisse menschlichen
Fleißes, alle Waren ohne Ausnahme faulen, veralten, verrosten, zerbrechen, stinken,
Raum beanspruchen usw.

Und so wird es auch verständlich, nun habe ich auch die Erklärung, warum man einen
Acker gegen eine Summe Geldes tauschte, denn beide, Acker und Geld, warfen, jedes
aus eigener Kraft, eine Rente ab; man brauchte nur an Geld so viel zu nehmen wie
nötig, um die Rente des Ackers mit dem Zins des Geldes zu decken, dann war das Tausch-
verhältnis beider Dinge gegeben. Acker und Geld waren also völlig ebenbürtige, mit-
einander meßbare Größen. Wie beim Acker keine Rede von erborgter oder übertragener
Zinskraft sein konnte, so auch nicht beim Gelde.

Die fadenscheinige, hohle Redensart von "übertragener Kraft" hatte mir also einen
bösen Streich gespielt; das leere Wort, das so oft an die Stelle der Begriffe tritt, hatte
mich wie einen Bullen an der Nase herumgeführt.

Also das Geld, das Tauschmittel, wäre ein Kapital an sich!

Laßt uns nun einen Augenblick überlegen, wohin wir kommen müssen, wenn wir
ein Kapital zum Tauschmittel aller Waren erheben.

1. Kapital kann das Geld nur auf Kosten der Waren sein, denn von den Waren erhebt
ja das Geld die Abgabe, die es zu einem Kapital stempelt.

2. Wenn die Waren Zins zahlen müssen, so können sie selbst unmöglich Kapital
sein, denn wäre die Ware Kapital so gut wie das Geld, so könnte keines der beiden
sich dem anderen gegenüber als Kapital aufspielen, und in ihrem gegenseitigen Ver-
hältnis wenigstens würden sie aufhören, Kapital zu sein.

3. Wenn uns daher die Waren im Handel als Kapital erscheinen, weil sie im Ver-
kaufspreis neben Kostenpreis und Handelsgewinn noch den Kapitalzins erheben, so
muß das so erklärt werden, daß dieser Zins dem Erzeuger oder Arbeiter vom Kaufmann
im Einstandspreis bereits abgezogen wurde. Die Ware spielt hier nur den Kassenboten
des Geldkapitals. Ist der Verkaufspreis gleich 10 Mark, der Handelsgewinn 3, der Zins 1,
so erhält der Arbeiter 6 Mark ausgezahlt.

Hieraus geht hervor, daß, wenn das Tauschmittel, das Geld, an sich kein Kapital
wäre, dann auch der gesamte Warenaustausch ohne Zinsverrechnung vonstatten gehen
würde. Somit hätte Proudhon doch recht gehabt, denn er hatte das immer behauptet.

Betrachten wir nun die Wirkung, die ein Tauschmittel auf die Herstellung von Arbeits-
mitteln haben muß, wenn es selbst Kapital ist.

Wie sind die Arbeitsmittel (Maschinen, Schiffe, Rohstoffe usw.) entstanden? Kommt
es noch vor, daß ein Mann seine eigenen Arbeitsmittel aus eigenen auf seinem Boden
gefundenen Rohstoffen verfertigt? Ausnahmsweise vielleicht noch hier und da, sonst
aber ist die Regel, daß für die Beschaffung der eigenen Arbeitsmittel eine Summe Geldes
ausgelegt werden muß. Das Gründungskapital aller größeren Unternehmungen besteht
in einer Summe Geldes, die vorn im Hauptbuch auf dem ersten Blatte eingetragen wird.
Wenn nun das Geld, das für diese Arbeitsmittel ausgelegt wird, an sich ein Kapital ist,
wenn die Besitzer des Geldes durch einfaches Einschließen des Geldes das Zustande-
kommen irgendeines Unternehmens verhindern können, so werden sie selbstverständ-
lich kein Geld hergeben für Unternehmungen, die keinen Zins abwerfen. Das ist klar
und selbstverständlich. Wenn ich aus dem Handel mit Waren 5% meines Geldes ziehen
kann, so werde ich mich doch nicht mit weniger in ihrer Herstellung begnügen. Kann
man das Erz an der Oberfläche sammeln, so wird man doch keinen Stollen bauen.

Infolge dieser Umstände werden immer gerade nur so viel Häuser gebaut, daß deren
Mieteertrag ausreicht, um damit Deckung für den allgemeinen Geldzins zu liefern. Hat
man zufällig mehr gebaut, ist das Angebot von Wohnungen größer als die Nachfrage,
so gehen natürlich die Mieten herunter und die Häuser bringen den erforderlichen
Zins nicht ein. Dann werden sofort alle Bauhandwerker entlassen, und die Bautätigkeit
wird so lange unterbrochen, bis sich durch Bevölkerungszuwachs die Nachfrage nach
Wohnungen so weit wieder gehoben hat, daß die Mieten den vollen Geldzins abwerfen.
Dann erst kann die Bautätigkeit wieder einsetzen.

Genau so verhält es sich mit den industriellen Unternehmungen. Sind diese so zahl-
reich geworden, daß die Nachfrage nach Arbeitern (die sie verkörpern) die Löhne hoch-
getrieben hat, so daß der Unternehmer den Kapitalzins beim Verkauf der Erzeugnisse
nicht herausschlagen kann, so wird die Gründung neuer Unternehmungen so lange
unterbrochen, bis durch den Nachwuchs an Arbeitern und das dadurcb bedingte größere
Angebot von Arbeitskräften die Löhne herabgehen und so dem Geldzins Raum lassen.

Die Arbeitsmittel erscheinen uns also deshalb als Kapital, weil ihre Herstellung durch
das Geldkapital vermittelt und von diesem stets so weit künstlich beschränkt wird, daß
sie immer den Arbeitsuchern gegenüber eine vorherrschende Stellung einnehmen. Es
sind regelmäßig weniger Arbeitsmittel als Arbeiter da, so daß schon aus Mangel an
Werkstätten ein Arbeiterüberschuß verbleiben muß, der den Lohn unter den Erlös
des Arbeitserzeugnisses drückt.

Das Bild erscheint noch einfacher und klarer, wenn man den Unternehmer einfach als
einen Pfandleiher betrachtet, der dem Arbeiter das nötige Geld vorstreckt fiir Maschinen
und Rohstoffe, und den der Arbeiter mit seinen Erzeugnissen bezahlt.

Das Geld beherrschte also unbedingt den Warenaustausch und die Arbeitsmittel
(Produktionsmittel). Alles war dem Gelde zinspflichtig; es schob sich zwischen Verbraucher
und Erzeuger, zwischen Arbeiter und Unternehmer; es trennte alle, die danach streben
müssen, sich zu vereinigen, und die entstandenen Verlegenheiten beutete es aus. Die Beute
nannte man Zins.

Nun wird es mir auch klar, warum mit dem Freigeld der Zinsfuß fortgesetzt fällt
und sich dem Nullpunkt nähert.

Das Geld kann dem Markte nicht mehr entzogen werden; ohne Rücksicht auf den
Zins muß es angeboten werden, sei es unmittelbar gegen Waren, sei es als Darlehen.
Es kann sich nicht mehr trennend zwischen die Erzeuger einschieben; gegen den eigenen
Wunscb, ohne Rücksicht auf seine lüsterne Raubsucht, muß es seines Amtes walten
und den Austausch der Waren vermitteln. Es beherrscht den Austausch der Waren nicht
mehr als Räuber und Gewaltherrscher, sondern es dient ihm, dient ihm sogar umsonst.

Nun werden die Waren nicht mehr vom Markte ausgeschlossen, die Arbeiter feiern
nicht mehr, sobald der Zinsfuß fällt; ohne Rücksicht auf den Zins geht der Güter-
tausch vonstatten.

Und wo so regelmäßig gearbeitet wird, da wird gespart. Märchenbafte Summen
werden da zurückgelegt, zur Sparkasse gebracht und als Darlehen angeboten. Und wenn
das so Jahr für Jahr vorwärtsgeht, wenn die Arbeiter durch keine Stockung (Krise) mehr
gezwungen werden, von ihren Ersparnissen zu zehren, dann kommt mit Notwendigkeit
der Zeitpunkt, wo für das von den Sparkassen angebotene Geld die Abnehmer fehlen
und wo es heißt: wir haben genug Häuser gebaut, es fehlen die Mieter; wir haben genug
Fabriken, es fehlen die Arbeiter. Wozu noch mehr bauen, wenn wir jetzt schon Mühe
haben, den Zins zu zahlen.

Aber dann wird es von der Sparkasse her heißen: wir können das Geld nicht brach-
liegen lassen, wir können es nicht aufbewahren. Das Geld zwingt uns, es auszuleihen.
Wir verlangen nicht gerade 5-4-3%, wir sind willig, auf Verhandlungen einzugehen.
Wenn wir euch das Geld zu 2% (1 oder 0%) lassen, so könnt ihr die Mieten entsprechend
herabsetzen, und dann werden die, die sich mit einer Stube begnügten, zwei Stuben
mieten, und die fünf Stuben hatten, werden deren zehn mieten. Und dann werdet ihr
wieder Häuser bauen können. Bedarf ist da, es kommt nur auf den Preis an. Also nehmt
das Geld zu 2% wenn ihr es zu 3 nicht mehr gebrauchen könnt; baut drauf los, geht
mit den Mieten herunter; ihr könnt nichts verlieren, wir werden euch mit um so billi-
gerem Gelde versehen. Und habt keine Angst, daß euch und uns das Geld ausgehen
wird, denn je mehr wir mit dem Zins heruntergehen und ihr mit der Miete, um so größere
Summen werden auch die Sparer beiseite legen und uns zuführen. Habt auch keine Angst,
daß durch diese großen Geldmengen etwa die Preise hochgetrieben werden. Jeder Pfennig
davon ist vorher dem Umlauf entzogen worden; die Geldmenge ist unverändert ge-
blieben. Die das Geld sparten, haben mehr Ware erzeugt und verkauft als verbraucht;
es ist also ein Überschuß von Waren da, der der Geldmasse entspricht, die wir euch
anbieten.

Nehmt also das Geld und fürchtet euch nicht; geht der Zins herunter, den eure Miets-
wohnungen einbringen, so werden wir mit unserem Geldzins folgen, und sollte der
Zins sogar auf Null fallen. Denn auch bei 0% müssen wir das Geld ausleihen. Habt
ihr verstanden: wir müssen!

Aber nicht wir allein müssen, auch ihr müßt. Wenn ihr etwa zugunsten der bereits
bestehenden Bauten eine Vermehrnng nicht wünscht und darum unser Angebot ablehnt,
so machen wir euch darauf aufmerksam, daß andere Unternehmer da sind, die keine
Häuser besitzen und keine Rücksichten zu nehmen brauchen. Diesen werden wir das
Geld zum Bauen geben, und die Neubauten werden entstehen, ob ihr es wünscht oder
nicht, ob der Hauszins euch gefällt oder nicht.

Auch mit den gewerblichen Unternehmen verhält es sich so. Ist das Geld zu 0% zu
haben, so ist auch kein Unternehmer mehr imstande, Zins aus seinem Unternehmen
zu schlagen, sei es in Form eines Lohnabzuges, sei es in Form eines Preiszuschlages.
Denn so will es das Gesetz des Wettbewerbs.

Und so hätten sich die Tatsachen wieder als der beste Lehrmeister bewährt. Alle
unsere Grübeleien über die Ursache des Zinses führten zu nichts, weil uns der Ver-
gleichsgegenstand fehlte. Jetzt mit dem Freigeld konnten wir Vergleiche anstellen, und
da fand ich auch gleich, was wir bisher umsonst suchten. Zwar ist die Erklärung der
Zinserscheinung noch sehr unvollständig; aber wir haben jetzt den Faden erfaßt, der
uns aus dem Irrgarten dieser Erscheinungen führen wird. Wir brauchen dem Faden
nur zu folgen, es ist eine sachliche Arbeit, mehr nicht, die da noch zu bewältigen ist.

Anmerkung. Der Leser findet die Theorie des Zinses im letzten Teil dieses Buches aus-
führlich dargestellt.


(1) Diese Benennungen entlehne ich dem Buch von v. Boehm-Bawerk : Der Kapitalzins
in geschichtlicher Darstellung. - Hierzu kommt neuerdings die "Ungeduld(impatience)-
theorie" von Irving Fisher.

Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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