Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.8. Der Genossenschaftler

Seit Einführung des Freigeldes hat das öffentliche Eintreten für unsere Bestrebungen
merkwürdig abgenommen, und fast täglich höre ich von neuen Auflösungen von Ein-
kaufsgenossenschaften. Es ist das wieder eine jener überraschenden Folgen des Frei-
geldes, an die man wohl ursprünglich gar nicht gedacht hat. Eigentlich ist aber gar nichts
Wunderbares an der Sache. Der Verbraucher kauft bar, legt sich Vorratskammern an,
kauft die Waren in Posten, in Ursprungspackung. Der Kaufmann braucht nichts mehr
zu stunden; er führt keine Bücher und hat auch kein Lager, weil die Waren meistens
geradeswegs von der Bahn aus abgeliefert werden.

Natürlich hat durch das Zusammenwitken all dieser Umstände der Handel sich ganz
außerordentlich vereinfacht, und während früher nur die tüchtigsten unter den Ge-
schäftsleuten den Gefahren des Borgwesens entgingen und für sich die Vorteile der
Stundung genossen; während man früher überhaupt nur die wirtschaftlich tüchtigsten
Bürger, fleißige, sparsame, ordnungsliebende, rührige Männer für den Handel gebrauchen
konnte, kann jetzt eigentlich auch der einfachst begabte Mensch Handel treiben. Kein
Lager, keine Wage, keine Irrtümer, keine Buchführung, keine Abschätzung des Bedarfs.
Dabei Barzahlung, bares Geld bei Ablieferung der Ware; keine Wechsel, keine Schecks,
kein Humbug, sondern bares Geld! Nicht einmal eine Rechnung wird verlangt. Hier
die Kiste, der Sack, hier das Geld; die Sache ist erledigt, vergessen, und nach neuen
Geschäften kann der Kaufmann ausschauen.

Eine solche Arbeit kann schließlich jeder Handlanger venichten, und nach den Ge-
setzen des Wettbewerbs muß damit auch der Lohn dieser Arbeit auf den Lohn der
Handlangerarbeit fallen!

Was soll also noch der Konsumverein? Sein Zweck, die Verminderung der Handels-
unkosten, ist mit der Geldreform erledigt. Wen soll noch der Verein vereinen? Unser
Verein bestand aus einer Auslese derjenigen Verbraucher, die imstande waren, bar zu
bezahlen, und deren Einkäufe gleichzeitig bedeutend genug waren, um den weiten Weg
zu unserer Niederlage zu rechtfertigen. Durch die Entwicklung, die der Handel ge-
nommen hat, ist aber keine solche Auslese mehr möglich, weil jeder heute als Verbraucher
diese Eigenschaften besitzt, weil alle bar zahlen, weil alle ihre Einkäufe postenweise
besorgen. Wäre etwa in Afrika ein Verein von Negern, in München ein Verein von Bier-
trinkern möglich? Aus demselben Grunde hat die Geldreform den Konsumvereinen
die Daseinsbedingungen entzogen.

Übrigens geht auch nicht viel mit den Einkaufsgenossenschaften verloren. Als Pflanz-
stätte gemeinsinniger Gedanken haben sie sich nicht bewährt, weil sie schon als Verein
sich in Gegensatz zum übrigen Volke setzten. Früher oder später wären sie auch mit dem
natürlichen Gegengewicht, mit dem Verein der Erzeuger in Kampf geraten, und dabei
würden in Lehre und Ausübung Fragen aufgeworfen worden sein, die allein mit allge-
meiner Gütergemeinschaft, mit der Abschaffung des Eigentums in allen Ländern hätten
gelöst werden können. Welchen Preis z. B. wird der Verband deutscher Konsumvereine
dem Verbande deutscher Pantoffelfabrikanten bewilligen wollen? Allein die Polizei
könnte diese Frage beantworten.

Und konnten wir eigentlich auf unsere Erfolge stolz sein? Mich beschleicht jedesmal
eine leise Beschämung, wenn ich überlege, daß wir zwar vielen kleinen und kleinsten
selbständigen Menschen das Brot genommen, daß wir aber nicht einen einzigen Börsen-
spekulanten, Getreidehändler usw. verdrängt haben. Dort aber hätten wir unsere Kraft
zeigen sollen - an der Börse!

Wer denkt hier nicht an L. Richters Bild von der Käsehändlerin! Und wer verwünscht
nicht eine "gemeinsinnige Gesellschaft”, die ihre Macht nur nach unten, an den Kleinen
zeigt? Da lobe ich mir das Freigeld, das zwar auch die Kleinkrämer beseitigt, aber auch
in gleichem Maße nach oben, und namentlich an der Börse sich fühlbar macht.

Auch kann man nicht leugnen, daß der Einrichtung im ganzen höchst bedenkliche
Triebkräfte der Sittenverderbnis anhaften, denn wo die Verwaltung von öffentlichen
bzw. Vereinsgeldern nicht wirksam beaufsichtigt werden kann, da stellt sich leicht mit
der Zeit auch der Dieb ein. Und man kann doch nicht erwarten, daß die Vereinsmit-
glieder jede Rechnung nachprüfen und die Übereinstimmung der Lieferung mit dem
Muster untersuchen. Auch Sonderabmachungen können nicht vermieden werden, durch
die den Vereinsbeamten zum Schaden des Vereins Vorteile zugewendet werden. Wenn
es sich immer nur um Waren ohne Artunterschiede, wie z. B. das Geld, handeln würde,
dann wäre die wirksame Beaufsichtigung der Beamten schon leichter, aber wo gibt es
neben dem Gelde noch eine Ware, bei der es neben der Menge nicht auch noch auf
die Beschaffenheit ankäme?

Also einerseits Gütergemeinschaft, Abschaffung des Eigentums; anderseits Verderbnis
der Beamten, das ist es, was wir von einer Verallgemeinerung des Systems zu erwarten
gehabt hätten, und darum begrüße ich es als einen Fortschritt, daß wir den Zweck der
Konsumvereine, die Verbilligung der Handelsunkosten, mit dem Freigeld erreichen
können, einfach durch veränderte Handelsgebräuche. Jetzt werden die Waren wieder
den Händen ihrer unmittelbaren Eigentümer übergeben. Ware und Eigentum sind un-
zertrennlich; die Einschiebung unbeteiligter Personen, die Bestimmung der Preise, der
Beschaffenheit usw. durch Mittelspersonen für Rechnung Dritter führt nicht allein zur
Bestechung, sondern ist an sich schon ein Verderb des Begriffs Ware, ein Verderb der
Preisbestimmung durch Nachfrage und Angebot.

Und ist es nicht merkwürdig, daß das natürliche Ziel des Konsumvereins, der Verein
sämtlicher Vereine, einfach durch die Auflösung der Vereine erreicht wurde Denn der
beste Konsumenten-Verein ist immer der offene Markt, wo Eigentümer mit Eigentümer
unterhandelt, wo die Güte der Waren von den Beteiligten selbst abgeschätzt wird, wo
man nicht an einzelne Niederlagen, Dörfer, Städte gebunden ist, wo die Vereinszahl-
marken (das Geld) für das ganze Reich gelten und wo jedes Mißtrauen schwindet, jede
Bestechung ausgeschlossen, jede öffentliche Aufsicht überflüssig ist, weil keine Privat-
personen mit Sonderbelängen den Tausch für Rechnung Dritter und Abwesender ver-
mitteln. Vorausgesetzt natürlich, daß der offene Markt die Waren nicht stärker verteuert,
als dies die Verwaltung des Konsumvereins tut! Und diese Voraussetzung ist mit der
Geldreform erfüllt worden. Der Handel ist durch das Freigeld derart beschleunigt,
gesichert und verbilligt worden, daß der Handelsgewinn vom gemeinen Arbeitslohn
nicht mehr zu unterscheiden ist. Also was wollen jetzt noch die Konsumvereine?


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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