Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.6. Der Wucherspieler (Spekulant)

Mit der Einführung von Freiland ist uns schon der Handel mit Baustellen, Berg-
werken und Ackerland unmöglich gemacht worden, und jetzt mit dem Freigeld wird
mir das Geschäft mit Börsenpapieren und Waren auch noch entrissen. Wo immer ich
auch hier den Fuß hinsetze, sinke ich ein. Und das nennt man Fortschritt, ausgleichende
Gerechtigkeit? Biederen, harmlosen Bürgern den Erwerb zu untergraben, und noch
dazu unter Mitwirkung des Staates, desselben Staates, dem ich so treu gedient habe,
wie meine ordengeschmückte Brust, meine Ehrenämter und Ehrentitel es beweisen!
Ein Raubstaat, kein Rechtsstaat ist das!

Neulich ließ ich den Zeitungen auf meine Kosten die Drahtmeldung zugehen, daß
zwischen zwei südamerikanischen Freistaaten (ich entsinne mich der Namen nicht mehr)
ernste Reibereien ausgebrochen seien, und daß man Verwicklungen mit fremden Mächten
für möglich halte. Glauben Sie vielleicht, daß die Nachricht Eindruck auf die Börse
gemacht hat? Keine Spur! Ich sage Ihnen, die Börse ist unglaublich dickfellig geworden.
Hat doch selbst die Nachricht von der Eroberung Karthagos durch die Japaner die Börse
nicht aufzuregen vermocht! Oh, ich sage Ihnen, diese Gleichgültigkeit ist schrecklich
anzusehen! Eigentlich ist ja nichts Wunderbares daran, aber es sticht so sehr gegen das
frühere Benehmen der Börse ab, daß es schwer ist, sich damit abzufinden.

Mit dem Freigeld hat das Geld aufgehört, die Hoch- und Zwingburg der Geldmänner
zu sein, wohin sie sich beim geringsten Alarm zu flüchten pflegten. Bei der geringsten
Gefahr "realisierte" (1) man die Papiere, d. h., man verkaufte sie gegen Geld und glaubte,
sich so vor jedem Verluste gesichert zu haben.

Diese Verkäufe waren natürlich mit einem Kursverlust verbunden, der um so größer
war, je größeren Umfang die Verkäufe annahmen.

Nach einiger Zeit, wenn ich glaubte, daß nichts mehr zu holen sei, verbreitete ich
beruhigende Nachrichten. Die eingeschüchterten Spießbürger wagten sich wieder aus
der Burg hervor, und bald trieben sie mit ihrem eigenen Geld die Kurse der Papiere
hoch, die sie in überstürzter Eile zu billigen Preisen an meine Helfershelfer verkauft
hatten. Das war dann ein Geschäft!

Und jetzt mit diesem unglückseligen Freigeld! Bevor der Spießbürger seine Papierchen
verkauft, muß er sich fragen, was er dann mit dem Erlös, mit dem Gelde anfängt. Denn
dieses Geld bietet doch keinen Ruhepunkt mehr, man kann es doch nicht mit nach Hause
nehmen und einfach warten. Zum reinen Durchgangslager ist das Geld geworden. Also
was wird, sagen die Leute, mit dem Erlös der Papiere, die wir gefährdet glauben, die wir
verkaufen wollen? Gewiß, wir glauben Ihnen, die Aussichten sind schlecht für unsere
Papiere, aber sind denn die Aussichten für das Geld, daß Sie uns in Tausch geben, etwa
besser? Sagen Sie uns, was sollen wir mit dem Gelde kaufen? Zuerst müssen wir das
wissen, dann wollen wir verkaufen. Staatspapiere wollen wir nicht kaufen, denn andere
haben sich schon darauf geworfen und den Kurs hochgetrieben. Sollen wir mit Verlust
unsere Papiere verkaufen, um dafür andere zu übertriebenen Kursen, also auch mit
Verlust, zu kaufen? Verlieren wir schon beim Einkauf der Reichsanleihen, so können
wir ebensogut an unseren Papieren verlieren. Besser also, wir warten mit dem Verkauf
ein Weilchen.

So spricht jetzt der Spießbürger, und das ist es, was uns das Geschäft verdirbt. Dies
verwünschte Warten! Denn erstens geht durch das Warten der Eindruck unserer Nach-
richten verloren, die Betäubung läßt nach und zweitens treffen in der Regel von anderer
Seite beruhigende Nachrichten ein, durch die unsere Alarmmeldungen als arge Über-
treibung entlarvt werden, und dann ist es überhaupt vorbei. Denn den ersten Eindruck
muß man ausbeuten. Die Bauernfängerei ist recht schwierig geworden.

Und dann stecken ja unsere Betriebsmittel auch in diesem Ludergeld. Das Geld verfault
uns ja in der Kasse. Ich muß natürlich mein Geld immer verfügbar halten, um im pas-
senden Augenblick meinen Schlag zu tun. Wenn ich es dann nach einiger Zeit nach-
zähle, ist schon ein erheblicher Teil angefault. Ein regelmäßiger, sicherer Verlust gegen-
über einem unsicheren Gewinn.

Ich hatte zu Anfang des Jahres in barem Gelde 10 Millionen. In der Meinung, es
wie früher jeden Tag gebrauchen zu können, ließ ich das Kapital in barem Gelde da
liegen. Jetzt sind wir schon Ende Juni angelangt, und es war mir nicht möglich, die
Börse zu Verkäufen in größerem Maßstabe zu bewegen. Und so liegt das Geld noch da
unberührt. Was sage ich, unberührt? 250 000 Mark fehlen schon daran. Ich habe da
unwiederbringlich eine große Summe verloren, und die Aussichten für die Zukunft sind
nicht besser geworden. Im Gegenteil, je länger der Zustand anhält, um so dickfelliger
wird die Börse. Schließlich lehrt ja auch die Erfahrung die Spießbürger, daß, wenn
niemand verkauft, auch die Kurse nicht weichen, trotz der trüben Aussichten, und daß Nach-
richten und Aussichten allein nicht genügen, um einen Kursrückgang zu begründen.
Tatsachen sind dazu nötig.

Wie prächtig war es dagegen früher! Da liegt, als musterhafte Probe für meine Stim-
mungsberichte, ein Bericht vom Lokal-Anzeiger vom 9. Februar vor mir:

'Ein schwarzer Dienstag! Panischer Schrecken durchzuckte heute unsere Börse
auf die Nachricht, daß der Sultan sich eine Magenstörung zugezogen habe. Große
Verkaufsaufträge aus den Reihen der Provinzkundschaft trafen mit einem bedeutenden
Verkaufsandrang unserer Platzspekulation zusammen, und unter der Wucht dieses
Druckes eröffnete der Markt in teilweise demoralisierter und deroutierter Haltung.
,Rette sich wer kann`, war heute in der Eröffnungsstunde die weit verbreitete Losung!"

Und jetzt? Immer diese ewige, langweilige Frage: "Was mache ich mit dem Gelde;
was soll ich kaufen, wenn ich jetzt meine Papiere verkaufe?" Dieses Ludergeld! Wie
schön war es mit der Goldwährung! Da fragte niemand: Was fange ich aber mit dem
Erlös an? Man verkaufte, auf Geheiß der Börsianer, die schönen Papiere ja gegen Gold,
das doch noch viel schöner war; man freute sich, das ausgelegte Geld einmal wieder
zu sehen, um es nachzuzählen, um mit den Händen darin zu wühlen. Hatte man Gold,
dann war man sicher; am Golde konnte man unmöglich verlieren, weder beim Kauf
noch beim Verkauf, das hatte ja, wie die Gelehrten sich ausdrückten, seinen "festen
inneren Wert”! Dieses famose Gold mit festem, innerern Wert, demgegenüber alle
übrigen Waren und Papiere auf- und niedergingen, wie das Quecksilber des Barometers.
Famoser "innerer Wert" des Goldes! Wie gut ließ sich damit spekulieren!

Jetzt sitzen die vermögenden Leute auf ihren Papieren, als ob sie darauf angenagelt
wären, und ehe sie verkaufen, immer die gleiche Frage: "Bitte, sagen Sie mir zuerst,
was ich mit dem Ludergeld, dem Erlös meiner Papiere, anfangen soll?" Die alte Börsen-
herrlichkeit hat jetzt ein Ende, mit dem Golde ist die Sonne am Himmel der Spekulation
untergegangen.

Ein Trost bleibt mir jedoch, ich bin im Unglück nicht allein. Auch meinen in Waren
arbeitenden Berufsgenossen ist es ähnlich ergangen; auch ihnen hat das Freigeld das
Geschäft verdorben. Früher waren die gesamten Warenbestände des Landes bis zum
Augenblick des unmittelbaren Verbrauchs immer verkäuflich; sie waren in den Händen
der Kaufleute. Kein Mensch dachte daran, über den unmittelbar fühlbaren Hunger
hinaus sich Vorräte anzulegen. Man hatte ja Gold mit "festem inneren Wert", das alle
Vorräte ersetzte, an dem man niemals etwas verlieren konnte. Wer Gold vorrätig hatte,
der hatte alles, was er brauchte, zu seiner Verfügung. Also wozu Vorräte anlegen, die
die Motten fressen?

Aber gerade weil alles, alles immer feilgehalten wurde, konnte man so vortrefflich
spekulieren; denn auf der einen Seite beim Verbraucher waren nicht für 24 Stunden
Vorräte, auf der anderen Seite lagen alle Vorräte bei den Kaufleuten zum Verkauf ausge-
breitet. Die Sache war also einfach, man kaufte, was da war, und ließ dann die Nach-
frage an sich herantreten. Der Gewinn war meistens sicher.

Und jetzt? Die Waren, die früher in den Läden feilgehalten wurden, sie sind auf
Millionen von Vorratskammern verteilt, und wie könnte man diese wieder in den Handel
zurückbringen? Und womit diese Vorräte bezahlen? Mit Freigeld? Aber, um sich des
Geldes zu entledigen, haben ja die Verbraucher die Vorräte gekauft. Diese Vorräte sind
keine Waren mehr, es sind unverkäufliche Güter. Und gelänge es auch dem Spekulanten
etwa, die neuerzeugten Waren an sich zu reißen, so würden darum doch die Preise nicht
gleich anziehen, denn die Vorräte sind ja da; man lebt nicht mehr wie früher von der
Hand in den Mund. Bevor diese Vorräte aufgezehrt sind, hat sich die Nachricht ver-
breitet, daß die Wucherspieler sich gewisser Bestände bemächtigt haben. So ist dann
jeder auf der Hut, und ehe noch die Wucherspieler ihre Waren absetzen konnten, haben
die Erzeuger den Ausfall anderweitig gedeckt. Dabei ist noch zu bedenken, daß auch
die Betriebsmittel der Warenspekulanten immer in der Geldform flüssig gehalten werden
müssen und durch den Kursverlust des Freigeldes zusammenschrumpfen. Zinsverlust,
Kursverlust, Lagergelder einerseits und kein Profit anderseits - wer soll das aushalten?

Wie konnte man doch eine Neuerung einführen, die den Staat unmittelbar schädigt?
Denn ich, Rockefeller, bin doch der Staat, und mit meinem Freund Morgan vereinigt,
bilden wir die Vereinigten Staaten. Wer mich schädigt, schädigt den Staat.

Woher nur der Staat das Geld für die Wohlfahrtseinrichtungen holen wird, ist mir
ganz rätselhaft. Der Staat hat da den Ast abgesägt, der die besten Früchte trug. Das
Gold hatte nach Aussage unserer Fachmänner und Gelehrten einen "festen inneren
Wert". Das Publikum, das mit Gold Waren eintauschte, konnte niemals etwas verlieren.
Denn, nach Aussage der Gelehrten, heißt tauschen so viel wie messen (2), und wie ein Stück
Leinwand immer das gleiche Maß ergibt, ob man an dem einen Ende anfängt oder an dem
anderen, so muß beim Kauf und Verkauf der Waren immer die gleiche Goldmenge
herauskommen. Denn das Gold hat ja, das kann nie scharf genug betont werden, einen
"festen inneren Wert?!?" Solange wir also Gold hatten, war das Publikum durch den
inneren festen Wert des Goldes vor jedem Betrug geschützt. Wir Spekulanten, die wir
uns bereicherten, konnten das also niemals auf Kosten des Publikums tun! Woher unsere
Vermögen kamen, weiß ich nicht, aber kommt nicht alles vom Himmel?

Und solche himmlischen Gaben hat man mit Freigeld zunichte gemacht!


(1) Durch nichts wird der ungeheure Wahn, in dem die Menschheit lebt, besser offenbart,
als durch diesen in der ganzen Welt gebäuchlichen Ausdruck. Real ist allen nur das Geld.

(2) Wertmaß!? Werttransportmittel, Wertespeicher, Wertstoff, Wertbrei und Wert-
schwindel!


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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