Neulich ließ ich den Zeitungen auf meine Kosten die Drahtmeldung
zugehen, daß
zwischen zwei südamerikanischen Freistaaten (ich entsinne
mich der Namen nicht mehr)
ernste Reibereien ausgebrochen seien, und daß man Verwicklungen
mit fremden Mächten
für möglich halte. Glauben Sie vielleicht, daß
die Nachricht Eindruck auf die Börse
gemacht hat? Keine Spur! Ich sage Ihnen, die Börse ist unglaublich
dickfellig geworden.
Hat doch selbst die Nachricht von der Eroberung Karthagos durch
die Japaner die Börse
nicht aufzuregen vermocht! Oh, ich sage Ihnen, diese Gleichgültigkeit
ist schrecklich
anzusehen! Eigentlich ist ja nichts Wunderbares daran, aber es
sticht so sehr gegen das
frühere Benehmen der Börse ab, daß es schwer ist,
sich damit abzufinden.
Mit dem Freigeld hat das Geld aufgehört, die Hoch- und Zwingburg
der Geldmänner
zu sein, wohin sie sich beim geringsten Alarm zu flüchten
pflegten. Bei der geringsten
Gefahr "realisierte" (1) man die Papiere, d. h., man
verkaufte sie gegen Geld und glaubte,
sich so vor jedem Verluste gesichert zu haben.
Diese Verkäufe waren natürlich mit einem Kursverlust
verbunden, der um so größer
war, je größeren Umfang die Verkäufe annahmen.
Nach einiger Zeit, wenn ich glaubte, daß nichts mehr zu
holen sei, verbreitete ich
beruhigende Nachrichten. Die eingeschüchterten Spießbürger
wagten sich wieder aus
der Burg hervor, und bald trieben sie mit ihrem eigenen Geld die
Kurse der Papiere
hoch, die sie in überstürzter Eile zu billigen Preisen
an meine Helfershelfer verkauft
hatten. Das war dann ein Geschäft!
Und jetzt mit diesem unglückseligen Freigeld! Bevor der
Spießbürger seine Papierchen
verkauft, muß er sich fragen, was er dann mit dem Erlös,
mit dem Gelde anfängt. Denn
dieses Geld bietet doch keinen Ruhepunkt mehr, man kann es doch
nicht mit nach Hause
nehmen und einfach warten. Zum reinen Durchgangslager ist das
Geld geworden. Also
was wird, sagen die Leute, mit dem Erlös der Papiere, die
wir gefährdet glauben, die wir
verkaufen wollen? Gewiß, wir glauben Ihnen, die Aussichten
sind schlecht für unsere
Papiere, aber sind denn die Aussichten für das Geld, daß
Sie uns in Tausch geben, etwa
besser? Sagen Sie uns, was sollen wir mit dem Gelde kaufen? Zuerst
müssen wir das
wissen, dann wollen wir verkaufen. Staatspapiere wollen wir nicht
kaufen, denn andere
haben sich schon darauf geworfen und den Kurs hochgetrieben. Sollen
wir mit Verlust
unsere Papiere verkaufen, um dafür andere zu übertriebenen
Kursen, also auch mit
Verlust, zu kaufen? Verlieren wir schon beim Einkauf der Reichsanleihen,
so können
wir ebensogut an unseren Papieren verlieren. Besser also, wir
warten mit dem Verkauf
ein Weilchen.
So spricht jetzt der Spießbürger, und das ist es,
was uns das Geschäft verdirbt. Dies
verwünschte Warten! Denn erstens geht durch das Warten der
Eindruck unserer Nach-
richten verloren, die Betäubung läßt nach und
zweitens treffen in der Regel von anderer
Seite beruhigende Nachrichten ein, durch die unsere Alarmmeldungen
als arge Über-
treibung entlarvt werden, und dann ist es überhaupt vorbei.
Denn den ersten Eindruck
muß man ausbeuten. Die Bauernfängerei ist recht schwierig
geworden.
Und dann stecken ja unsere Betriebsmittel auch in diesem Ludergeld.
Das Geld verfault
uns ja in der Kasse. Ich muß natürlich mein Geld immer
verfügbar halten, um im pas-
senden Augenblick meinen Schlag zu tun. Wenn ich es dann nach
einiger Zeit nach-
zähle, ist schon ein erheblicher Teil angefault. Ein regelmäßiger,
sicherer Verlust gegen-
über einem unsicheren Gewinn.
Ich hatte zu Anfang des Jahres in barem Gelde 10 Millionen. In
der Meinung, es
wie früher jeden Tag gebrauchen zu können, ließ
ich das Kapital in barem Gelde da
liegen. Jetzt sind wir schon Ende Juni angelangt, und es war mir
nicht möglich, die
Börse zu Verkäufen in größerem Maßstabe
zu bewegen. Und so liegt das Geld noch da
unberührt. Was sage ich, unberührt? 250 000 Mark fehlen
schon daran. Ich habe da
unwiederbringlich eine große Summe verloren, und die Aussichten
für die Zukunft sind
nicht besser geworden. Im Gegenteil, je länger der Zustand
anhält, um so dickfelliger
wird die Börse. Schließlich lehrt ja auch die Erfahrung
die Spießbürger, daß, wenn
niemand verkauft, auch die Kurse nicht weichen, trotz der trüben
Aussichten, und daß Nach-
richten und Aussichten allein nicht genügen, um einen Kursrückgang
zu begründen.
Tatsachen sind dazu nötig.
Wie prächtig war es dagegen früher! Da liegt, als musterhafte
Probe für meine Stim-
mungsberichte, ein Bericht vom Lokal-Anzeiger vom 9. Februar vor
mir:
'Ein schwarzer Dienstag! Panischer Schrecken durchzuckte heute
unsere Börse
auf die Nachricht, daß der Sultan sich eine Magenstörung
zugezogen habe. Große
Verkaufsaufträge aus den Reihen der Provinzkundschaft trafen
mit einem bedeutenden
Verkaufsandrang unserer Platzspekulation zusammen, und unter der
Wucht dieses
Druckes eröffnete der Markt in teilweise demoralisierter
und deroutierter Haltung.
,Rette sich wer kann`, war heute in der Eröffnungsstunde
die weit verbreitete Losung!"
Und jetzt? Immer diese ewige, langweilige Frage: "Was mache
ich mit dem Gelde;
was soll ich kaufen, wenn ich jetzt meine Papiere verkaufe?"
Dieses Ludergeld! Wie
schön war es mit der Goldwährung! Da fragte niemand:
Was fange ich aber mit dem
Erlös an? Man verkaufte, auf Geheiß der Börsianer,
die schönen Papiere ja gegen Gold,
das doch noch viel schöner war; man freute sich, das ausgelegte
Geld einmal wieder
zu sehen, um es nachzuzählen, um mit den Händen darin
zu wühlen. Hatte man Gold,
dann war man sicher; am Golde konnte man unmöglich verlieren,
weder beim Kauf
noch beim Verkauf, das hatte ja, wie die Gelehrten sich ausdrückten,
seinen "festen
inneren Wert! Dieses famose Gold mit festem, innerern Wert,
demgegenüber alle
übrigen Waren und Papiere auf- und niedergingen, wie das
Quecksilber des Barometers.
Famoser "innerer Wert" des Goldes! Wie gut ließ
sich damit spekulieren!
Jetzt sitzen die vermögenden Leute auf ihren Papieren, als
ob sie darauf angenagelt
wären, und ehe sie verkaufen, immer die gleiche Frage: "Bitte,
sagen Sie mir zuerst,
was ich mit dem Ludergeld, dem Erlös meiner Papiere, anfangen
soll?" Die alte Börsen-
herrlichkeit hat jetzt ein Ende, mit dem Golde ist die Sonne am
Himmel der Spekulation
untergegangen.
Ein Trost bleibt mir jedoch, ich bin im Unglück nicht allein.
Auch meinen in Waren
arbeitenden Berufsgenossen ist es ähnlich ergangen; auch
ihnen hat das Freigeld das
Geschäft verdorben. Früher waren die gesamten Warenbestände
des Landes bis zum
Augenblick des unmittelbaren Verbrauchs immer verkäuflich;
sie waren in den Händen
der Kaufleute. Kein Mensch dachte daran, über den unmittelbar
fühlbaren Hunger
hinaus sich Vorräte anzulegen. Man hatte ja Gold mit "festem
inneren Wert", das alle
Vorräte ersetzte, an dem man niemals etwas verlieren konnte.
Wer Gold vorrätig hatte,
der hatte alles, was er brauchte, zu seiner Verfügung. Also
wozu Vorräte anlegen, die
die Motten fressen?
Aber gerade weil alles, alles immer feilgehalten wurde, konnte
man so vortrefflich
spekulieren; denn auf der einen Seite beim Verbraucher waren nicht
für 24 Stunden
Vorräte, auf der anderen Seite lagen alle Vorräte bei
den Kaufleuten zum Verkauf ausge-
breitet. Die Sache war also einfach, man kaufte, was da war, und
ließ dann die Nach-
frage an sich herantreten. Der Gewinn war meistens sicher.
Und jetzt? Die Waren, die früher in den Läden feilgehalten
wurden, sie sind auf
Millionen von Vorratskammern verteilt, und wie könnte man
diese wieder in den Handel
zurückbringen? Und womit diese Vorräte bezahlen? Mit
Freigeld? Aber, um sich des
Geldes zu entledigen, haben ja die Verbraucher die Vorräte
gekauft. Diese Vorräte sind
keine Waren mehr, es sind unverkäufliche Güter. Und
gelänge es auch dem Spekulanten
etwa, die neuerzeugten Waren an sich zu reißen, so würden
darum doch die Preise nicht
gleich anziehen, denn die Vorräte sind ja da; man lebt nicht
mehr wie früher von der
Hand in den Mund. Bevor diese Vorräte aufgezehrt sind, hat
sich die Nachricht ver-
breitet, daß die Wucherspieler sich gewisser Bestände
bemächtigt haben. So ist dann
jeder auf der Hut, und ehe noch die Wucherspieler ihre Waren absetzen
konnten, haben
die Erzeuger den Ausfall anderweitig gedeckt. Dabei ist noch zu
bedenken, daß auch
die Betriebsmittel der Warenspekulanten immer in der Geldform
flüssig gehalten werden
müssen und durch den Kursverlust des Freigeldes zusammenschrumpfen.
Zinsverlust,
Kursverlust, Lagergelder einerseits und kein Profit anderseits
- wer soll das aushalten?
Wie konnte man doch eine Neuerung einführen, die den Staat
unmittelbar schädigt?
Denn ich, Rockefeller, bin doch der Staat, und mit meinem Freund
Morgan vereinigt,
bilden wir die Vereinigten Staaten. Wer mich schädigt, schädigt
den Staat.
Woher nur der Staat das Geld für die Wohlfahrtseinrichtungen
holen wird, ist mir
ganz rätselhaft. Der Staat hat da den Ast abgesägt,
der die besten Früchte trug. Das
Gold hatte nach Aussage unserer Fachmänner und Gelehrten
einen "festen inneren
Wert". Das Publikum, das mit Gold Waren eintauschte, konnte
niemals etwas verlieren.
Denn, nach Aussage der Gelehrten, heißt tauschen so viel
wie messen (2), und wie ein Stück
Leinwand immer das gleiche Maß ergibt, ob man an dem einen
Ende anfängt oder an dem
anderen, so muß beim Kauf und Verkauf der Waren immer die
gleiche Goldmenge
herauskommen. Denn das Gold hat ja, das kann nie scharf genug
betont werden, einen
"festen inneren Wert?!?" Solange wir also Gold hatten,
war das Publikum durch den
inneren festen Wert des Goldes vor jedem Betrug geschützt.
Wir Spekulanten, die wir
uns bereicherten, konnten das also niemals auf Kosten des Publikums
tun! Woher unsere
Vermögen kamen, weiß ich nicht, aber kommt nicht alles
vom Himmel?
Und solche himmlischen Gaben hat man mit Freigeld zunichte gemacht!
(2) Wertmaß!? Werttransportmittel, Wertespeicher, Wertstoff,
Wertbrei und Wert-
schwindel!