Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.2. Der Kassenbeamte

Bei Einführung des Freigeldes wurden wir Kassenbeamte allgemein bemitleidet.
Man weissagte uns allgemein eine schreckliche Arbeitslast, regelmäßige große Fehl-
beträge und was sonst noch alles! Und was muß ich sehen? Wegen Arbeitmangels
wurden zuerst die Arbeitsstunden eingeschränkt. Statt 10 Stunden arbeite ich jetzt 6.
Dann wurde nach und nach die Beamtenzahl eingeschränkt, die älteren erhielten ein
Ruhegehalt, die jüngeren wurden entlassen. Aber auch das genügte nicht. Und so sind
die meisten Bankgeschäfte und ihre Nebenstellen aufgelöst worden.

Eigentlich hätte man diese Entwicklung auch vorhersehen können. Die Bankhäuser
waren aber so sehr von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt! Das Wechselgeschäft und
der Scheck, diese Brotherren der Kassenbeamten, sind so gut wie verschwunden. Nach
Ausweis des Reichswährungsamtes beträgt die gesamte im Umlauf befindliche Geld-
masse noch nicht 1/3 unseres früheren Geldbestandes. Und zwar, weil das jetzige Geld
3 mal schneller umläuft. Kaum 1 % der früheren Beträge geht jetzt noch durch die Hände
der Banken. Das Geld bleibt eben im Verkehr, auf dem Markte, in den Händen der
Käufer, der Kaufleute, des Unternehmers. Es geht von Hand zu Hand, ununterbrochen,
es hat gar keine Zeit, sich in den Banken anzusammeln. Das Geld ist keine Ruhebank
mehr, wo der Erzeuger von der Mühsal des Verkaufes seiner Waren aufatmen und in
Gemütsruhe abwarten kann, bis seine persönlichen Bedürfnisse ihn an den Umsatz des
Geldes erinnern. Der Ruhepunkt im Warenaustausch ist jetzt die Ware selbst, allerdings
nicht die eigene Ware, das eigene Arbeitserzeugnis sondern das der anderen. Das Geld hetzt
und jagt den Inhaber, genau wie früher der Erzeuger von seinen Waren gehetzt und
gejagt wurde, bis er sie glücklich an den Mann gebracht hatte. Woher der Name Bank,
Bankmann? Von den Bänken, auf denen die Inhaber des Geldes sichs bequem machten,
während die Inhaber der Waren umherstanden oder unmutig hin und her liefen. Jetzt,
mit dem Freigeld, sind es die Inhaber des Geldes, welche laufen, und die Warenver-
käufer sitzen auf Bänken.

Und weil das Geld so beweglich geworden ist, weil jeder sich zu bezahlen beeilt,
braucht niemand sich noch mit Wechseln zu behelfen. Das bare Geld hat die Wechsel
ersetzt. Auch Vorräte an Geld braucht niemand mehr, die Regelmäßigkeit des Geld-
umlaufes ersetzt diese Rücklagen. Die Quelle ist an die Stelle des starren Behälters, der
Zisterne, getreten.

Diese Geldvorräte aber führten wieder zur größten Torheit des Jahrhunderts, zum
Scheck. Ja, wirklich, ich sag's als Kassenbeamter, der Scheck war höherer Unsinn! Das
Geld ist doch zum Bezahlen da; das Gold sollte ja das denkbar bequemste Zahlmittel
sein; warum benutzte man es nicht dazu? Warum den Scheck an die Stelle des baren
Geldes treten lassen, wenn das bare Geld so allen Anforderungen genügt, wie man das
dem Golde nachrühmte? Verglichen mit dem baren Gelde ist der Scheck doch ein
außerordentlich plumpes Zahlmittel. Er ist an die Innehaltung verschiedener Förmlich-
keiten gebunden, die Einlösung erfolgt an einem bestimmten Ort und die Sicherheit
der Einlösung hängt von der Sicherheit des Ausstellers und der Bank ab. Und das nannte
man Fortschritt! Man hoffte sogar, es bald den Engländern nachmachen zu können, die
die Droschke mit einem Scheck bezahlen! Als ob das eine Ehre oder ein Vorteil für
den Droschkenkutscher wäre! Der Musterscheck ist doch, für den Empfänger wenigstens,
das bare Geld, denn dieser Scheck kann in jedem Laden, in jedem Wirtshaus eingelöst
werden, er ist an keine Förmlichkeiten, an keinen Ort gebunden, und seine Sicherheit
steht außer Zweifel. Wir waren so stolz auf unser schönes, goldenes Geld, wir dachten
damit die Vollkommenheit erreicht zu haben; wir waren so verblendet, daß wir über-
haupt den Widerspruch nicht bemerkten, der in dem Gebrauch des Schecks liegt. Das
Gold war für den gewöhnlichen Gebrauch zu gut, darum suchten wir ein Ersatzmittel,
den Scheck. Das ist wie bei dem Mann, der mit einem alten Rock und einem neuen
Regenschirm spazieren geht und dem es leid tut, den Schirm aufzuspannen; er ver- ,
steckt ihn darum unterm Rock.

Man scheute sich nicht, uns Kassenbeamten ganze Bündel von Schecks aufzuhalsen,
deren Gesamtbetrag für den Kassenbeamten nur dadurch zu ermitteln ist, daß er sie
in langen Reihen einzeln aufzeichnet und zusammenzählt. Eine schauerliche Arbeit
fürwahr. Dagegen ist das Aufzählen des Geldes die reine Spielerei. Die Stücke braucht
man nur zu zählen, da sie alle von gleichem Betrage sind.

Dabei mußten die Schecks wieder mit den verschiedenen Banken verrechnet, jeder
einzelne dem betreffenden Aussteller belastet werden. Und dazu die Zinsrechnung! Am
Ende des Vierteljahres mußte ein Rechnungsauszug eingesandt werden, worin jeder
einzelne Scheck aufgeführt wurde. So wurde jeder Scheck zehnmal gebucht. Und das
nannte man Fortschritt! Welche Verblendung! Die Schwerfälligkeit der Goldwährung
und die Unregelmäßigkeit des Geldumlaufs machten diese Bankguthaben nötig und
diese den Gebrauch des Schecks; aber statt diesen Umstand als schweren Übelstand
der Goldwährung zu bezeichnen, bildete man sich noch etwas darauf ein!

Und neben den Schecks diese schweren Säcke mit Gold, Silber, Kupfer, Nickel, und
obendrein das Papiergeld! Elf verschiedene Münzsorten: 1, 2, 5, 10, 20 Mark, 1, 2, 5,
l0, 20, 50 Pf.! Allein für das Kleingeld unter 1 Mark sechs verschiedene Münzen von
3 verschiedenen Metallen! Also Schecks zu Hunderten, 11 Münzsorten und 10 ver-
schiedene Banknoten!

Jetzt mit dem Freigeld habe ich 4 Sorten und keine Schecks. Und alles federleicht,
sauber, immer neu. Früher brauchte ich für meine Kasse eine Stunde, jetzt nur wenige
Minuten.

Man fragt mich, wie ich den Umlaufsverlust an meinem Kassenbestand verrechne.
Nun, die Sache ist ja höchst einfach. Am Wochenschluß Sonnabends 4 Uhr rechne
ich meine Kasse zusammen, berechne den Kursunterschied nach dem, was das Geld
die nächste Woche gilt, und verrechne diesen Unterschied unter Ausgaben. Bei den
Privatbanken geht diese Ausgabe auf Rechnung der Geschäftsunkosten, für die eine
entsprechend niedrigere Verzinsung des Bankguthabens Deckung schafft.

Bei den Staatskassen besteht der Verlust nur dem Namen nach, da der Kursverlust
am gesamten Geldumlauf ja dem Staate unmittelbar zugute kommt.

Offen gestanden, vom Standpunkt der Kassentechnik betrachtet, finde ich im Frei-
geld nichts Nachteiliges, und den besten Beweis haben wir ja darin, daß neun Zehntel
aller Kassenbeamten überflüssig wurden. Eine Maschine, die die Arbeiter überflüssig
macht, muß doch gut arbeiten?


Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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