Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.7.12. Der Vertreter der Gegenseitigkeitslehre

Mit der Einführung von Freigeld ist unser ganzes Programm erschöpft und erledigt.
Das Ziel, wonach wir tastend strebten, ist erreicht. Was wir mittels verwickelter, un-
klarer Einrichtungen, durch Warenbanken und Genossenschaften zu erwirken hofften,
nämlich einen vollkommenen Güteraustausch, das bringt uns in der denkbar einfachsten
Weise das Freigeld. Wie sagte Proudhon (1):

"In der sozialen Ordnung ist die Gegenseitigkeit die Formel der Gerechtigkeit.
Die Gegenseitigkeit ist in der Formel ausgedrückt: Tue anderen, was du willst, daß
man dir tue; in der Sprache der politischen Ökonomie ausgedrückt: Tauscht die
Produkte gegen andere Produkte, kauft euch eure Produkte gegenseitig ab. Die Orga-
nisation der gegenseitigen Beziehungen, das ist die ganze soziale Wissenschaft. Gebt
dem sozialen Körper eine vollkommene Zirkulation, d. h. einen exakten und regel-
mäßigen Tausch der Produkte gegen Produkte, und die menschliche Solidarität ist
eingeführt, die Arbeit organisiert."

Gewiß, so ist es; Meister Proudhon hat recht, wenigstens soweit es sich um Arbeits-
erzeugnisse, nicht um den Boden handelt; aber wie hätte man das erreichen können?
Das, was Proudhon selbst zur Erreichung dieses vollkommenen Umlaufs vorschlug, war
ja ganz unausführbar; sogar im kleinen hätte eine Warenbank, wie sie Proudhon vor-
schwebte, kaum bestehen können; wie aber die ganze Volkswirtschaft auf diese Weise
einrichten?

Übrigens hätten wir uns fragen müssen, warum wir uns nicht die Waren gegenseitig
so abkaufen, wie es deren restloser, regelmäßiger Tausch verlangt. Diese Frage hätten
wir doch vor allen Dingen beantworten müssen, ehe wir daran gingen, Vorschläge zu
machen!

Zwar wußten oder ahnten wir, daß am Metallgeld etwas nicht in Ordnung sei; nicht
umsonst nannte Proudhon das Gold "einen Riegel des Marktes, eine Schildwache, die
die Tore des Marktes besetzt, und deren Losung ist, niemand durchzulassen" (2). Aber
warum das so war, was eigentlich am Metallgeld falsch war, das wußten wir nicht, das
haben wir nie untersucht. Und doch hätten hier unsere Untersuchungen beginnen
müssen, wenn wir festen Boden unter den Füßen behalten wollten. Diese Unterlassung
führte uns von vornherein auf Abwege. In dem Erheben der Arbeit bzw. der Ware
auf die Rangstufe baren Geldes (d. h. des Goldes) erblickte Proudhon die Lösung der
sozialen Frage. Warum aber mußten die Waren im Range "erhöht" werden, was war
denn am Gold (damals Geld), was es über die Rangstufe der Arbeit erhob?

Hier, in diesem Gedanken, die Ware auf die Rangstufe des Goldes zu erhöhen, lag
der Irrtum Proudhons. Er hätte den Satz umkehren und sagen sollen: Wir wollen, daß
Geld und Waren auf gleicher Rangstufe umlaufen sollen, daß das Geld den Waren in
keiner Lage und unter keinen Umständen vorgezogen werde, damit so Waren zu Geld,
und Geld zu Waren werden. Nun gut, so laßt uns doch

das Geld auf die Rangstufe der Arbeit herabsetzen.

Wir können doch an den Eigenschaften der Waren im allgemeinen nichts ändern,
ihnen im allemeinen nicht die Vorzüge geben, die das Gold als Ware besitzt. Wir können
dasDynamit nicht ungefährlich machen, nicht verhindern, daß Glas bricht, Eisen rostet,
Pelzwerk von Motten zerfressen wird. Den Waren haften ausnahmslos Mängel an, sie
verderben, unterliegen den Angriffen der Zerstörungsmächte der Natur, - nur das
Gold ist frei davon. Dabei hat das Gold noch das Vorrecht, Geld zu sein, daß es als
Geld überall verkäuflich ist, daß es sich ohne nennenswerte Kosten von einem Ort zum
anderen bringen läßt usw: Wie wollen wir da erreichen, daß die Waren dem Gold gleich-
gestellt werden?

Aber umgekehrt können wir verfahren und sagen: Das Geld ist anpassungsfähig, man
kann damit machen, was man will, da es ja unentbehrlich ist. Setzen wir es auf die Rang-
stufe der Waren herunter, geben wir ihm Eigenschaften, die alle üblen Eigenschaften der
Waren im allgemeinen ausgleichen.

Diesen vernünftigen Gedanken hat nun die Geldreform ausgeführt, und die Folgen
zeigen zu unserer Freude und Genugtuung, wieviel Wahrheit und richtige Beobachtung
doch in den kernigen Aussprüchen Proudhons steckte, wie nahe er an der Lösung der
Aufgabe vorbeirannte.

Mit der Geldreform ist das Geld auf die Rangstufe der Ware herabgesetzt worden,
und die Folge ist nun auch, daß die Ware dem Geld in jeder Lage, zu allen Zeiten gleich
gestellt wird. Kauft euch eure Sachen gegenseitig ab; sagte Proudhon, wenn ihr Absatz
und Arbeitsgelegenheit haben wollt. Das geschieht nun. Im Geld ist nun zugleich Nach-
frage und Angebot verkörpert, genau wie zur Zeit des Tauschhandels; denn wer damals
eine Ware auf den Markt brachte, brachte eine andere Ware heim. Es ging also immer
ebensoviel Ware hinaus wie herein. Dadurch nun, daß mit der Geldreform der Geld-
erlös sich beim Verkauf von Waren sofort wieder in einen Kauf von Waren verwandelt,
bewirkt das Angebot einer Ware eine gleich große Nachfrage. Der Verkäufer, der froh
ist, das, was er abzugeben hatte, los zu sein, sieht sich durch die Beschaffenheit des
Geldes gezwungen, den Erlös seiner Ware unter allen Umständen dem Verkehr wieder-
zugeben, entweder durch Kauf von Waren für eigenen Bedarf, durch den Bau eines
Hauses, durch eine gediegene Erziehung seiner Kinder, durch Veredelung seines Vieh-
standes usw. usw., oder aber, wenn nichts hiervon ihn reizt, durch Verleihen seines
Geldes an andere, die augenblicklichen Bedarf an Waren, aber kein Geld haben. Ent-
weder - oder, andere Auswege, wie etwa das Aufbewahren des Geldes, das Abhängig-
machen des Darlehns von einer Zinsvergütung, das Ankaufen von Waren nur für den
Fall eines Gewinnes daran, das vorsichtige Verzögern des Kaufs, das berechnende Ab-
warten besserer Aussichten usw. usw., das alles gibt es jetzt nicht mehr. "Der Bien
muß", so heißt es jetzt. Du warst durch die Natur deiner Erzeugnisse gezwungen, sie
zu verkaufen; nun bist du durch die Natur des Geldes gezwungen worden, zu kaufen.
Schlag auf Schlag, mit Zwangsläufigkeit folgt Kauf auf Verkauf, geht das Geld von
Hand zu Hand. Regelmäßig, wie die Erde im Weltraum um die Sonne kreist, so zieht
das Geld seine Kreise auf dem Markte, in guten wie in schlechten Zeiten, bei Sieg und
Niederlage. Regelmäßig, wie der Arbeiter seine Kraft, sein Erzeugnis anbietet, wie die
Ware nach Absatz ausschaut, ebenso regelmäßig erscheint auch die Nachfrage auf dem
Markte.

Der Käufer mag sich wohl anfänglich darüber beklagt haben, daß man ihn jetzt so-
zusagen zwingt, sich seines Geldes zu entledigen; er nannte diesen Zwang eine Be-
schränkung seiner Freiheit, einen Anschlag auf das Eigentum. Es kommt eben darauf
an, für was man das Geld hält. Der Staat erklärt das Geld für eine öffentliche Verkehrs-
einrichtung, für deren Verwaltung die Erfordernisse des Verkehrs maßgebend sein
sollen. Diese bedingen, daß dem Verkauf von Waren ein entsprechender Kauf von Waren
auf dem Fuße folge. Da nun der Wunsch; es möge ein jeder aus eigenem Antriebe und
zum allgemeinen Besten das Geld immer gleich wieder in Umlauf setzen, erfahrungs-
gemäß nicht genügt, um Regelmäßigkeit im Geldumlauf zu erzielen, so hat man den
unmittelbar mit dem Geld verbundenen sachlichen Umlaufszwang eingeführt. Das hat
geholfen.

Wer übrigens damit nicht einverstanden ist, wer sich die Freiheit nicht nehmen lassen
will, mit seinen Eigentum nach Gutdünken und eigenem Ermessen umzuspringen, der
kann ja einfach seine eigenen Erzeugnisse, sein unbezweifeltes Eigentum, bei sich zu
Hause aufbewahren, um sie erst im Augenblick zu verkaufen, wo er andere Waren
braucht. Wenn er lieber Heu, Kalk, Hosen, Tabakspfeifen, kurz, was auch sein Arbeits-
erzeugnis sein mag, aufbewahrt, als sie im voraus gegen Freigeld zu verkaufen, so kann
er es ja tun, niemand hindert ihn daran, niemand wird sich darüber beklagen. Nur
wenn er durch das Geld von der Last seiner eigenen Waren befreit wurde, muß er sich
der Pflichten erinnern, die er als Verkäufer und Besitzer von Geld übernommen hat,
d. h., er soll auch anderen die Wohltaten des Geldverkehrs zukommen lassen. Der Güter-
tausch beruht doch auf Gegenseitigkeit.

Das Geld soll kein Ruhepunkt im Warenaustausch sein, sondem einfach ein Durch-
gangsgut. Der Staat verfertigt das Geld auf seine Kosten, und er übt die Oberaufsicht
über dieses Verkehrsmittel nicht, damit es zu anderen, den Warenaustausch völlig
fremden Zwecken mißbraucht werde. Die Unentgeltlichkeit der Benützung des Geldes
wäre auch eine Unbilligkeit, weil die Kosten der Instandhaltung aus den allgemeinen
Staatseinnahmen bestritten werden müssen, während viele Bürger nur wenig Gebrauch
vom Gelde machen (Urwirtschaftler z. B.). Darum erhebt der Staat für die Benützung
des Geldes eine Gebühr von 5% im Jahre. So ist nun der Staat sicher, daß das Geld
nicht zum Glücksspiel, zur Ausbeutung, als Sparmittel mißbraucht wird. Nur wer jetzt
wirklichen Bedarf an Geld, an Tauschmitteln hat, wer Waren erzeugt und diese gegen andere
Waren tauschen will, benutzt noch das Geld. Für alle anderen Zwecke ist es zu kostspielig
geworden. Namentlich vom Sparmittel ist das Tauschmittel jetzt scharf getrennt worden.

Es ist eine billige Forderung, die die Geldreform an denjenigen stellt, der seine Waren
verkauft hat: kaufe jetzt, damit auch andere die ihrigen los werden. Aber nicht allein
billig ist diese Forderung, sondern auch klug. Damit man andere Waren kaufen kann,
muß man seine eigenen verkaufen. Kauft also, so könnt ihr alle eure Erzeugnisse verkaufen.
Will ich als Käufer Herr sein, so bin ich natürlich als Verkäufer Knecht. Ohne Kauf
kein Verkauf, und ohne Verkauf kein Kauf.

Kauf und Verkauf zusammen bilden den Güteraustausch; sie gehören infolgedessen
auch unmittelbar zusammen. Durch das Metallgeld waren Kauf und Verkauf oft zeitlich
voneinander getrennt, durch das Freigeld fallen sie zeitlich und regelmäßig wieder zu-
sammen. Das Metallgeld trennte die Waren, indem es zwischen Kauf und Verkauf die
Zeit, das berechnende Abwarten, Gewinnsucht und tausend, dem Tausche fremde
Triebkräfte schob; das Freigeld vereinigt dagegen die Waren, indem es den Kauf dicht
auf den Verkauf folgen und fremden Elementen keine Zeit und keinen Raum läßt. Das
Metallgeld war, nach Proudhons mehrerwähntem Ausspruch, ein Riegel für den Markt;
das Freigeld dagegen ist der Schlüssel.


(1) Diehl: Proudhon, S. 43 und 90.
(2) Mülberger: Proudhon, seine Werke und sein Leben.

Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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