Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage August 1949;
Herausgeber: Karl Walker

Inhaltsübersicht


4.4. Die statistischen Grundlagen der absoluten Währung (1)

Meine in der Schrift "Das Reichswährungsamt” gemachten Vorschläge bezwecken,
dss Gleichgewicht im Haushalt des Reiches herzustellen, damit die alles zerrüttende
Notenpresse außer Betrieb gesetzt werden kann.

Der Vorschlag gründet sich auf die Erkenntnis, daß die Steuerkraft des Volkes als
Ganzes zusammen mit den Warenpreisen wächst und schwindet, daß somit eine zehn-
fache Preisinflation auch ohne weiteres die zehnfachen Steuererträgnisse liefern muß,
ohne daß dadurch die Last der Steuern eine Änderung erfährt. Aus dem gleichen Grunde
ist auch nicht einzusehen, warum die Inflation nicht auch voll und ganz auf sämtliche
Tarife der Reichspost, der Eisenbahnen usw. übertragen werden könnte, warum man den
Hauswirten, den Grundbesitzern das Recht nimmt, die Mieten und Pachtzinsen den
Marktverhältnissen anzupassen. Ich verlange darum auch die vollkommene und aus-
gesprochene Preisgabe des Gedankens eines Abbaues der Preise, weil der Preisabbau
gleichbedeutend sein würde mit einem Abbau der Steuererträgnisse, der wieder die Noten-
presse zu Hilfe rufen würde. Ich verlange die dauernde Aufrechterhaltung der Preise auf
der zur Zeit erreichten Höhe, damit den Kaufleuten und Unternehmern endlich eine
sichere Grundlage für ihre Berechnungen geschaffen wird.

Die absolute Währung, die einen integrierenden Bestandteil dieses Programmes bildet,
bedeutet, daß der allgemeine Preisstand der Waren durch aktive Währungspolitik dauernd
auf gleicher Höhe erhalten werden soll, so daß man von da ab mit der gleichen Geld-
summe stets die gleiche Lebenshaltung wird bestreiten können. Die Warenpreise sollen
nicht im Sinne von einzelnen Höchst- und Mindestpreisen festgestellt werden. Die Preise
sollen freihändig durch Angebot und Nachfrage gebildet werden wie vor dem Kriege.
Jedem steht es völlig frei, zu fordern, soviel er glaubt nach Lage des Marktes fordern
zu können. Jedoch wird das Währungsamt die umlaufende Geldmasse stets so genau
bemessen, daß Preisstürze und Preistreibereien nicht mehr vorkommen können. Die
Grundlage zur Führung solcher "aktiven Währungspolitik" bildet die Preisstatistik, mittels
der die Bewegungen im allgemeinen Preisstand der Waren ermittelt werden sollen.

Die oft genannten Indexzahlen des Economist gehen aus den Preisen von 22 Stapel-
artikeln hervor. Man kann diese Zahl natürlich beliebig mehren, doch wird das Ergebnis
dadurch nicht nennenswert verbessert, da ja die Preise der Waren in einer natürlichen,
durch die Produktionskosten beherrschten Rangordnung stehen. Darum ist anzunehmen,
daß, wenn der Index der Stapelartikel unverändert geblieben ist, auch der Preis der
übrigen Waren sich nicht geändert hat. So will es das Gesetz des Wettbewerbs.

Wichtiger als die Anzahl der Preise ist die richtige Erfassung der Bedeutung der ein-
zelnen Waren in ihrem Verhältnis zu den anderen Waren. Die gleiche Rolle, die etwa das
Brot und der Pfeffer im Familienhaushalt spielen, sollen Brot und Pfeffer auch in der
Währungs-Statistik spielen. Geschieht das mit der gebotenen Gründlichkeit, so wird
das Ergebnis für die Bedürfnisse der Volkswirtschaft vollauf genügen. Der Einwand,
der hier erhoben werden könnte, daß solche Statistik keine "mathematisch" genauen
Zahlen liefert, kann unbeachtet bleiben. Solchen Kritikern sagen wir: Wir hindern
niemand daran, das Indexermittelungsverfahren zu vervollkommnen. Die Kritik darf uns
aber nicht hindern, das Gute zu tun, bloß weil mit der Zeit das Verfahren verbessert
werden kann. Wir backen doch schon immer Brot, obschon man seit 10 000 Jahren
unausgesetzt den Backofen verbessert. Namentlich vom Standpunkt der herkömmlichen
Währungsverhältnisse wirkt solche Kritik direkt lächerlich.

Um den Index zu gewinnen, können wir die Zahlen benutzen, die das Statistische
Jahrbuch d. D. R. liefert. Wir multiplizieren die Preise mit den Produktionszahlen (bei
eingeführten Waren den Verbrauch) und haben dann unmittelbar vergleichbare Größen.

Um ein Bild dieser Verhältnisse zu geben, lasse ich hier einige Zahlen folgen (auf
Zuverlässigkeit erheben sie keinen Anspruch).


Produktion bzw. Einfuhr 1910 Betrag 1911 Betrag
Preise B Preise C
Roggen. . . . . . . . 8 552 000 t 152,30 1302 168,30 1439
Weizen. . . . . . . . 5 240 000 t 211,- 1108 204,- 1068
Baumwolle . . . . . 4 360 000 dz 151,- 650 134,- 584
Roheisen . . . . . . 14 793 000 t 66,- 976 64,80 957
Steinkohlen . . . 152 827 000 t 10,46 1598 10,16 1552
5634 5600

Erweitert man diese Liste auf alle Hauptwaren und findet sich, daß die Summen B
und C nicht oder nur unerheblich - wie oben - voneinander abweichen, so wird man
daraus schließen, daß die Kosten der Lebenshaltung sich nicht geändert haben, und
man wird dem Reichswährungsamt das Zeugnis geben, daß es seine Sache gut gemacht
hat. Es ist nämlich unausbleiblich, daß, wenn der Preis der Rohstoffe unverändert bleibt,
auch die Preise der Fertigwaren sich nicht ändern. Lohnveränderungen gehen dann auf
Rechnung des Kapitalzinses oder der Grundrente.

Da die Warenproduktion, von Witterungseinflüssen abgesehen, wenn sie nicht durch
Krisen und Streik gestört wird, ebenso beständig sein muß wie die Zahl der Menschen,
so können die Beiwerte oder Produktionszahlen für lange Zeit, mindestens fürs ganze
Jahr ohne Bedenken verwendet werden, so daß man dann nur die Preisveränderungen
zu ermitteln braucht, um dann nach Wunsch den Index alle Monate, Wochen oder Tage
ausrechnen zu können. Wenn also der Direktor des Währungsamtes Wert darauf legt,
daß ihm täglich nach Schluß der Börse der Index auf den Tisch gelegt werde, so wird
man solchen Wunsch leicht erfüllen können.

In bezug auf die Beiwerte ist noch folgendes zu sagen: Die Erzeugungsziffern ändern
sich nicht nur relativ, sondern auch absolut. Dies macht es nötig, den Betrag der Spalte B
auf den Ausgangspunkt oder Vergleichsindex, hier also 5634 zurückzuführen, indem man
alle Einzelposten einem gleichmäßigen Zu- und Abschlag unterwirft.

Hat man z. B.
statt 8 552 000 t Roggen 8 000 000,
statt 5 240 000 t Weizen 6 000 000,
statt 4 360 000 t Baumwolle 5 000 000 usw.,
so müssen zunächst diese neuen Zahlen zu den alten Preisen (1910) ausgerechnet werden.
Diese neuen Zahlen mögen dann zusammen den Betrag von etwa 6197 geben oder
10 Prozent über 5634. In diesem Falle zieht man von allen Produktionsziffern gleich-
mäßig 10 Prozent ab. Dann könnten erst die so gewonnenen Beiwerte mit den neuen
Preisen multipliziert werden.

Handelt es sich nun darum, den Index einer zehnfachen Inflation zu gewinnen, wie
sie für die Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs wohl nötig sein wird, so beginnt man
damit, eine Liste der hauptsächlichsten Waren mit den Preisen der Vorkriegszeit, nur
zehnfach aufgebläht, zu veröffentlichen. Dann heißt es: Die hier aufgeführten Preise
stehen in der natürlichen, durch die Produktionsbedingungen der einzelnen Waren ge-
schaffenen Rangordnung. Diese Rangordnung ist durch die Zwangswirtschaft zerstört
worden. Die Preise werden in diese Rangordnung zurückfallen, wenn die gesetzlichen
Hemmungen beseitigt werden. Wir warnen daher jedermann, von den Waren, deren
Preise heute über den in der Liste veröffentlichten Preisen stehen, mehr als den un-
mittelbaren Bedarf einzukaufen, weil sie voraussichtlich bald im Preise fallen werden.
Das Währungsamt wird dafür sorgen, daß der allgemeine Preisstand sich nicht vom
zehnfachen Index entfernen wird. Ein jeder rechne hiermit und richte sich danach!
Und im übrigen sehe jeder, wo er bleibe. Jeder verlange für seinen Kram den Preis, den
er nach Lage des Marktes glaubt erzielen zu können. Macht er dabei ein gutes Geschäft,
so gewinnt er dadurch die Mittel, um auch einmal ein schlechtes Geschäft ertragen zu
können. Das Reichswährungsamt wird jedoch dafür sorgen, daß mit der absoluten
Währung der Spielraum für Verluste und Gewinne immer kleiner wird, so daß mit der
Zeit nicht nur der Index fest bleibt, sondern daß auch die Rangordnung der Preise durch
Währungsereignisse nicht mehr gestört werden wird. Es ist nämlich zu beachten, daß
jede allgemeine, auf Währungspfuschereien zurückzuführende Veränderung des Preis-
standes auch die natürliche Rangordnung der Preise zerstört, indem solche Währungs-
änderungen die Kaufkraft der einzelnen Volksklassen ungleich berühren. Eine Preis-
steigerung z. B. begünstigt die werbenden Klassen (Schuldnerklasse). Diese Klasse kauft
und verbraucht aber ganz andere Waren als die durch dieselbe Preissteigerung benach-
teiligte Klasse der Gläubiger. Es werden mehr teuere Lebensmittel, mehr volkstümliche
Luxuswaren gekauft, während die Nachfrage nach Waren, die hauptsächlich von Rent-
nern gekauft werden, entsprechend nachläßt. Diese Störung setzt sich dort in Preisauf-
schlägen, hier in Preisrückgängen um. Mit der absoluten Währung fällt darum auch die
Hauptursache der Schwankungen in den Einzelpreisen fort.

In der Schweiz, wo die vom Schweizer Freiland-Freigeld-Bund gemachten Vor-
schläge der absoluten Währung die Presse schon stärker beschäftigte, ist von seiten der
Goldwährungsinteressenten der Einwand erhoben worden, daß eine aktive Währungs-
politik, wie wir sie erstreben, nicht durchzuführen sei, weil Ausgabe und Einzug von Geld
nicht unmittelbar auf die Preise wirken, sondern erst nach längerer Zeit, nach Nikolson
sogar erst nach drei Monaten. Wir lassen diesen Verteidigungsversuch der Hochfinanz mit
sattem Geschmunzel gelten - gibt es doch kein Beweismaterial, das die heutigen Wäh-
rungsmittel gründlicher in den Boden verurteilt, als die genannte Tatsache. Wenn die
Zügel eines Pferdes sich erst nach drei Monaten fühlbar machen, so ist solches Pferd
unlenkbar - man ersetzt es durch ein anderes. So handele man auch hier. Ist die Währung
unlenkbar, zügellahm, dann fort mit ihr. Mit dem Freigeldpferd wird man nicht drei
Monate auf die Wirkung der Zügel zu warten brauchen. Das Freigeld ist ein empfind-
licher Gaul. Noch am selben Tage, wo die Geldmenge vermehrt oder vermindert wird,
nimmt man auch schon die Wirkung auf dem Markte wahr.

Jeder Versuch der Haute Finance, an der absoluten Währung zu rütteln, wird immer
auf die Goldwährung abprallen.


(1) geschrieben 1921 und erstmalig in der "Freiwirtschaft", Februarheft 1921, veröffent-
licht. (Der Herausgeber.)

Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.
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