Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.6. Welchen Preis soll das Geld erzielen?

Daß man aus Geldpapier Papiergeld machen kann d. h. daß man für Geldpapier
einen höheren Preis erzielen kann, als für ein gleichgroßes Stück Ausschußpapier, haben
wir gezeigt und zwar mit all den Ausführlichkeiten, die die Wichtigkeit der Sache verlangt.

Nun fragt es sich, wie hoch der Preis des Papiergeldes über den Preis des Geldpapieres
getrieben, wie das Tauschverhältnis zwischen Geld und Waren gestaltet werden soll.

Dies ist in der Tat eine sehr wichtige Frage, überhaupt die einzige Frage, die die Waren-
erzeuger erregt. Mag den Warenerzeugern der Geldstoff gleichgültig, auf alle Fälle nur
Ballast sein, bei der Frage: wieviel Geld verlangst du für deine Kuh, oder was bietest
du mir für meine Werkzeuge - ist die Aufmerksamkeit aller auf das höchste gespannt.
Hängt doch von der Antwort auf diese Frage der Erfolg des ganzen, langen Erzeugungs-
vorganges ab.

Ändert sich das Tauschverhältnis zwischen Waren und Geld, so erhält jeder beim
Verkauf seiner Erzeugnisse mehr oder weniger an Geld, und beim Verkauf des Geldes
entsprechend mehr oder weniger an Ware. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, wäre
eine Preisänderung des Geldes eine ziemlich gleichgültige Sache.

Aber nicht alle geben das Geld, das sie eingenommen haben, gleich wieder für Waren
aus. Und für diese ist es durchaus nicht gleichgültig, ob sich die Preise in der Zeit zwischen
Verkauf und Kauf verändert haben. Und noch weniger gleichgültig sind die Preise für
alle Schuldner und Gläubiger; ja, für diese ist die Frage: wieviel werde ich von meinen
Erzeugnissen für die Auftreibung von Zins und Tilgungsbeträgen meiner Schulden
verkaufen müssen (bzw. wieviel Ware erhalte ich für die eingehenden Zinsen und Tilgungs-
summen meiner Guthaben), eine Lebensfrage. Auch werden wir später sehen, daß die
Frage nach den Preisen, vom rein kaufmännischen Standpunkt betrachtet, die Entschei-
dung über Leben und Tod des Warenaustausches und demzufolge auch der Arbeits-
teilung, der Grundlage unserer Wirtschaft, enthält.

Hier wollen wir aber zur Beleuchtung der Wichtigkeit der Preise nur die Verhältnisse
zwischen Gläubiger und Schuldner betrachten.

Das "Haben" der Schuldner (Pfandbriefschuldner, Obligationenschuldner, Wechsel-
schuldner, Pächter, Mieter, Inhaber von Lebensversicherungsurkunden, Steuerzahler
usw. usw.) besteht in der Regel aus Waren, Maschinen, Grundstücken, Vieh, während
das "Soll" ausnahmslos in einer bestimmten Summe Geldes besteht. Und das Geld
für dieses "Soll" kann der Schuldner nur dadurch auftreiben, daß er Teile seines Habens
in der Regel seine Arbeitserzeugnisse, gegen Geld verkauft.

Verschiebt sich nun das Tauschverhältnis der Waren zum Geld, so verschiebt sich
auch das Verhältnis vom Soll zum Haben. Braucht ein Gutsbesitzer z. B. bei einem
Preis von 250 Mark für 1000 kg Weizen (Preis nach Einführung der Getreidezölle) den
vierten Teil seiner Ernte für Zins und Tilgungsbeträge der Bodenschuld (bzw. für Pacht),
für seine Steuern, Versicherungsbeträge usw., so wird er diesem Zwecke ein Drittel seiner
Ernte opfern müssen, falls die Zölle abgeschafft würden, und dieses Mehr kann unter
Umständen den gesamten Betriebsüberschuß verschlingen, den Zusammenbruch des
Schuldners herbeiführen.

Und umgekehrt natürlich, falls die Preise steigen. Umgekehrt auch verhalten sich die
Sachen für den Gläubiger. Dieser gewinnt unvermittelt alles, was der Schuldner verliert;
er verliert, was sein Schuldner durch Preisänderungen gewinnt.

Bei der gewaltigen Entwicklung des heutigen Leihwesens (es handelt sich in Deutsch-
land vielleicht um 3-400 Milliarden Mark, deren Zins- und Tilgungsbeträge regelmäßig
nur durch den Verkauf von Arbeitserzeugnissen aufgebracht werden), genügt eine nur
geringe Änderung der Preise, um eine Volksklasse zugunsten der anderen um Milliarden
und Abermilliarden zu belasten.

Ein Rückgang der Warenpreise von durchschnittlich 1 %, also ein Pfifferling für unsere
gepriesene Goldwährung, bedeutet für die deutschen Schuldner mehr, als was die fünf
Milliarden Kriegsentschädigung von 1871 für die französischen Bürger bedeuteten.

Muß der Steuerzahler für die Verzinsung und Tilgung der Reichs-, Staats- und Ge-
meindeschulden 100 Mark jährlich an direkten und indirekten Steuern aufbringen, so
hängt es ganz davon ab, wie sich das Tauschverhältnis zwischen Geld und Arbeits-
erzeugnis gestaltet, ob er diesen Schulden jährlich 10-20 oder 50 Tage opfern muß.

Sollen wir nun darauf hinwirken, daß die Preise steigen, um die Gläubiger zugunsten
der Schuldner zu plündern, oder sollen wir die Preise berabsetzen, um die Rentner zu
bereichern? Kurz, sollen wir den Gläubigern oder Schuldnern diese Frage zur Ent-
scheidung vorlegen, soll das Geld von Spitzbuben verwaltet werden? Antwort: wir wollen
niemand betrügen, und das, was nur dem Einzelnen nützt, darf in der Verwaltung des
Geldes nicht berücksichtigt werden. Das Geld soll volkswirtschaftlich, nicht privat-
wirtschaftlich verwaltet werden.

Das Geld soll über Ort und Zeit hinweg ewig denselben Preis erzielen, den es heute
hat. Was man in Waren dafür bezahlt hat, das hat jeder für das Geld morgen, in einem
oder zehn Jahren, zu fordern. So zahlt der Schuldner zurück, was er erhalten, und der
Gläubiger erhält, was er gegeben: keinen Pfennig mehr noch weniger.

Auch dieses versteht sich von selbst, braucht nicht begründet zu werden.


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Dieser Text wurde im August 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.