Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.4. Warum man aus Papier Geld machen kann

a) Die Tatsache

Das Papiergeld, so sagt man also, ist unmöglich, weil das Geld doch immer nur seinen
eigenen, inneren "Wert", seinen Stoffwert oder Wertstoff eintauschen kann, und weil
doch das Papiergeld keinen solchen "Wertstoff" besitzt.

In eigentümlichem Gegensatz zu dieser Behauptung steht aber die Tatsache, daß der
gewaltige Warenaustausch unserer Zeit in der Welt fast ausschließlich mit Papiergeld
oder nur zum Teil durch Gold gedeckten Banknoten abgewickelt wird. Man kann heute
auf irgendeinem beliebigen Breitengrad die Reise um die Welt machen, ohne anderes
Geld als Papiergeld oder Banknoten auszugeben oder zu erhalten. Deutschland, England
und die Türkei sind meines Wissens heute die einzigen Kulturländer mit vorwiegend
metallenem Geldumlauf, sonst sieht man die Goldmünzen nur noch ausnahmsweise
im Verkehr. (1)

In Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich, Holland, Belgien, der Schweiz,
Rußland, Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland, den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, Kanada, Mexiko, Brasilien, Argentinien, Paraguay, Chile, Australien,
Neuseeland, Britisch-Indien, Japan, Holländisch-Indien, also fast in der ganzen Welt,
wickelt sich der Handel ganz allgemein mit Papiergeld oder Banknoten, sowie sogenann-
ten Scheidemünzen ab. Wer Gold haben will, muß die Reise zur Hauptstadt antreten
und das Gold von der Notenbank fordern - dann erhält er oft auch nur Gold in Barren,
nach Abzug einer Prämie. Im Verkehr verlangt in all diesen Ländern niemand die Zahlung
in Gold, ja, in manchen dieser Länder gibt es, wie in Argentinien, Uruguay, Mexiko,
Indien, überhaupt keine goldenen Münzen, die mit dem Landesgeld übereinstimmen.
Kaufen wir in Deutschland mit gemünztem Gold Wechsel auf irgendeines der oben-
genannten Länder, so werden uns diese Wechsel ganz regelmäßig mit Papier ausgezahlt,
oder, wenn wir nicht dagegen Einspruch erheben, mit einem Sack voll Silbermünzen,
die durch einen einfachen Hammerschlag, der die Prägung vernichtet, die Hälfte ihres
"Wertstoffes" verlieren würden (frei nach Helfferich).

Diese Banknoten versprechen zwar laut Inschrift dem Inhaber eine bestimmte Menge
Gold, und darauf gründet auch die allgemeine Ansicht, daß es sich hier nicht um Papier-
geld handelt, jedoch kann dieser Umstand allein nicht die Tatsache erklären, daß auf
je einen Rubel, Rupie oder Dollar in Gold, zwei, drei und mehr Rubel Rupien oder Dollar
in Papiergeld entfallen. Zwei Drittel der umlaufenden Banknoten sind nicht durch Gold
gedeckt, zwei Drittel der umlaufenden Banknoten müssen darum auch anderen Um-
ständen als dem Einlösungsversprechen ihr Dasein und ihre Eigenschaften verdanken.
Es müssen in der Welt, im Handel, auf der Börse, kurz irgendwo Kräfte vorhanden sein,
die den Inhaber der Banknoten davon abhalten, die Einlösung in Gold zu verlangen,
Kräfte, die die sonst unverständliche Tatsache erklären können, daß die Gläubiger der
Notenbank (die Inhaber der Banknoten) 10-20-100 Jahre lang auf die Geltendmachung
ihrer Forderungen verzichten, wie es ja auch Kräfte geben muß, die es bewirken, daß
die Münzen Jahrhunderte lang von der Goldschmiede fernbleiben.

Ich werde gleich die Quelle dieser Kräfte aufdecken. Jetzt will ich nur ihr Dasein
feststellen, um den Leser für meine Behauptung empfänglich zu machen, daß in all den
oben genannten Ländern es sich trotz der Inschrift der Banknoten nicht mehr um Metall-
geld, sondern um Papiergeld handelt.

Wenn der Staat auf ein Stück Papier schreibt:

"Dies sind 10 Gramm in Gold",

so glaubt es alle Welt, und es kommt vor, daß ein solcher Papierfetzen ungehindert jahr-
zehntelang gleichwertig (pari) mit gemünztem Gold, zuweilen sogar mit Aufgeld, von
Hand zu Hand geht. (2)

Wenn aber derselbe Staat auf einem gleichen Stück Papier die Lieferung einer Milch-
kuh verspräche, so würden alle Inhaber solcher Zettel schon gleich am nächsten Tage
mit einem Strick erscheinen, um die Kuh abzuholen.

Wenn aber ein Papierzettel eine gewisse Menge Gold jahrzehntelang bei einer unend-
lichen Reihe von Menschen in den verschiedensten wirtschaftlichen Lagen so vollständig
ersetzen kann, während ein gleicher Zettel eine Kuh oder irgend einen anderen Ge-
brauchsgegenstand keine 24 Stunden vertreten kann, so beweist das, daß der Papierzettel
und die Goldmünze für alle Bürger in allen wesentlichen, für sie in Betracht kommenden
Eigenschaften vertretbar, d. h. gleichgültig sind, daß Goldblech und Papierzettel in
Geldform allen die gleichen Dienste erweisen. Ferner: wenn das Einlösungsversprechen
die Deckung der Banknote wäre, die sie in Umlauf erhält, wenn demnach die Banknote
als einfacher Schuldschein zu betrachten wäre, wenn der Aussteller Schuldner, der In-
haber Gläubiger wäre (wie bei einem Wechsel), so müßten doch auch der Regel nach
die Notenbanken ihren Gläubigern, d. h. den Inhabern der Banknoten Zins zahlen-
wie das doch bei allen Schuldscheinen ausnahmslos der Fall ist. Und doch ist bei der
Banknote das Verhältnis auf den Kopf gestellt; hier ist es der Schuldner, die Bank (Aus-
steller), der den Zins erhebt, und der Gläubiger (Inhaber) ist es, der den Zins bezahlt.
Um dieses Wunder zu bewirken, um das Verhältnis vom Gläubiger zum Schuldner
derart umzustürzen, daß die Notenbank ihre Schulden (Banknoten, Notenrecht) als das
köstlichste Kapital betrachten kann, müssen doch der Banknote Kräfte besonderer Art
eigen sein, die sie aus der Gattung der Schuldscheine herausheben.

Ferner: wenn die Banknoten als Schuldscheine des Staates zu betrachten sind, so
bleibt auch die Tatsache unerklärlich, daß solche Schuldscheine, trotzdem sie dem
Inhaber keinen Zins eintragen, dabei nur zu 1/3 gedeckt sind und nicht getilgt werden,
der Regel nach höheren Kurs haben als die gewöhnlichen Staatsschuldscheine, trotzdem
diese dem Inhaber Zins eintragen und durch die Staatsgewalt, wie auch durch die Staats-
einnahmen gedeckt sind. Wie z. B.100 Mark in Reichsbanknoten, die auch vom Inhaber
(Gläubiger) verzinst werden, heute 117 Mark Reichsanleihe gelten, die dem Inhaber
3 % Zins einbringen (1911).

Auf Grund dieser Tatsachen bestreiten wir, daß es das Einlösungsversprechen ist,
das den Banknoten und dem gemeinen Papiergeld den Lebensodem einflößt. Wir be-
haupten, daß es irgendwo anders im Handel Kräfte geben muß, die die Rolle spielen,
die man heute allgemein der sogenannten Deckung (dem Metallfonds) oder dem Ein-
lösungsversprechen zuschreibt; wir behaupten, daß diese augenblicklich hier noch ver-
borgenen Kräfte, die, wie wir gesehen hahen, einen Schuldschein (Banknote) in ein Kapital
verwandeln, die den Gläubiger zwingen, dem Schuldner Zins zu zahlen, auch durchschlagend
genug sind, um für sich allein die Rolle des Geldes auf dem Markte durchzuspielen.
Wir behaupten auf Grund der oben genannten Tatsachen klipp und klar, daß man Geld
aus Zellstoff machen kann, das ohne Einlösungsversprechen irgendeiner Art, ohne An-
lehnung an irgendeine bestimmte Ware (Gold z. B.), die Inschrift trägt:

"Ein Taler" (Mark, Schilling, Franken usw.),

oder mit mehr Worten:

"Dieser Zettel ist an und für sich ein Taler",

oder:

"Dieser Zettel gilt im Handel, an den Staatskassen und vor Gericht 100 Taler",

oder, um den Sachverhalt zwar ohne Gewinn für die Klarheit, aber drastischer darzu-
stellen:

"Wer diesen Zettel zur Einlösung bei der Reichsbank vorzeigt, erhält dort ohne
Legitimation
100 Knutenhiebe (negatives Zahlungsversprechen).

Auf den Märkten, in den Läden aber erhält der Inhaber an Waren so viel, wie ihm
Nachfrage und Angebot zusprechen werden; mit einem Wort: was er mit diesem
Zettel im Lande erhandeln kann, das ist es, was er beanspruchen kann."

Ich glaube, ich habe mich hier deutlich genug ausgedrückt und keinen Zweifel mehr
darüber gelassen, was ich unter dem Ausdruck Papiergeld verstehe.

Jetzt wollen wir den Kräften nachspüren, die es möglich machen, daß das Volk sich
um Zettel mit irgendeiner der obigen Inschriften reißt, daß man zur Erlangung solcher
Zettel im Schweiße des Angesichts arbeitet, daß man seine Erzeugnisse, die Waren mit
Wertstoff und Stoffwert, gegen solche Fidibusse hergibt, daß man Schuldscheine,
Wechsel, Pfandbriefe, die auf solche Zettel lauten, annimmt und als sogenannte Wert-
bewahrer oder Wertkonserven aufbewahrt, daß man nachts weinend auf dem Bette sitzt,
nachgrübelnd, wie man sich solche "Papierwische" für den fälligen Wechsel verschaffen
kann; wie man auch Bankerott macht, gepfändet wird und der Unehre verfällt, weil man
seiner Verpflichtung, Zettel mit obiger Inschrift zu einer bestimmten Stunde, an einem
bestimmten Ort abzuliefern, nicht nachkommen kann, und schließlich, wie man jahraus,
jahrein, ohne Vermögensverlust in Saus und Braus leben kann, weil man solche Zettel
als "Kapital" irgendwo angelegt hat. Die geheime Quelle, aus welcher der Papierfidibus,
das Papiergeld und das Geldpapier, das Geld der John Law und anderer Papiergeld-
schwindler, der Greuel aller Nationalökonomen und Krämerseelen, die Lebenskräfte zu
solchen Taten schöpft, soll jetzt aufgedeckt werden.

b) Die Erklärung der Tatsache

Wenn ein Mensch irgendeinen Gegenstand braucht und haben will, und es trifft sich, daß
der gesuchte Gegenstand im Besitze anderer, und sonst nicht zu haben ist, so wird er sich
in der Regel genötigt sehen, etwas von seiner Habe anzubieten, um den Besitzer der gesuchten
Sache zu veranlassen, ihm das, was er braucht, abzutreten. Er wird also den Gegenstand
durch Tausch an sich bringen. Und selbst dann wird er das tun müssen, wenn dem anderen
der gesuchte Gegenstand nutzlos ist. Es genügt, wenn der Eigentümer weiß, daß der andere
den Gegenstand braucht oder gar haben muß, dann gibt er ihn sicher nicht umsonst, ja, in
vielen Fällen wird es vorkommen, daß jemand eine Sache nur darum aufhebt und in Besitz
nimmt; weil er weiß, daß hinter ihm jemand folgt, der die Sache nützlich verwenden kann.
Und je dringender dieser andere den Gegenstand braucht, am so höher wird der Besitzer
seine Forderung schrauben.

Das hier Gesagte erscheint heute so selbstverständlich und natürlich, daß viele es für
überflüssig ansehen werden, es auszusprechen; ja, soviel ich weiß, ist es hier das erstemal,
daß in einer volkswirtschaftlichen Schrift dieser Satz niedergeschrieben wird. Und doch
handelt es sich hier um das eigentliche Grundgesetz der heutigen Volkswirtschaft, des
Handels, der wirtschaftlichen Beziehungen der Bürger untereinander und der Bürger
zum Staate.

Die obige "welterschütternde" Entdeckung ist nicht weniger blöde und dumm und
selbstverständlich als die Newtonsche Entdeckung der Schwerkraft. Dafür hat sie auch
für die Volkswirtschaft die gleiche bahnbrechende Bedeutung, die der Newtonschen
Entdeckung für die Wissenschaft zugesprochen wird.

Mit der Inbesitznahme oder Aneignung eines Gegenstandes, den man nicht selbst
gebrauchen kann, der aber, wie wir annehmen oder wissen, von anderen gesucht wird,
können wir nur einen Zweck verfolgen: wir wollen diesen anderen Verlegenheiten be-
reiten und diese Verlegenheiten ausbeuten. Wir wollen Wucher mit dem Gegenstand
treiben, denn jemand in Verlegenheit bringen und diese Verlegenheit ausbeuten, heißt
Wucher treiben.

Der Umstand, daß diese Ausbeutung gegenseitig ist, beschönigt vielleicht den Sach-
verhalt, ändert aber nichts daran, daß die wechselseitige Ausbeutung der Notlage des
Nächsten (3), die nach allen Regeln kaufmännischer Kunst betriebene gegenseitige Plün-
derung, die Grundlage unserer Volkswirtschaft bildet, die Grundlage auf der der Tausch
aller Waren sich abspielt, das wirtschaftliche Grundgesetz, welches das Tauschverhältnis
der Erzeugnisse, die Preise der Waren selbstherrlich bestimmt. Nähme man diese Grund-
lage fort, so würde unsere Volkswirtschaft in sich zusammenstürzen, und es bliebe für
den Austausch der Waren kein anderes Mittel übrig, als sie nach christlicher, sozialisti-
scher, kommunistischer, brüderlicher Vorschrift gegenseitig zu verschenken.

Sind Beispiele nötig zur Erläuterung dieses Satzes?
Warum ist bei der Post das Briefporto um vieles höher als das Drucksachenporto,
trotzdem die Leistung der Post bei beiden Gegenständen die gleiche ist? Doch nur; weil
der Briefschreiber in der Regel zwingende Gründe für den Brief hat, während der Ver-
sand der Drucksache oft unterbleiben würde, wenn das Porto höher wäre. Der Brief-
schreiber ist in einer Zwangslage, der Absender der Drucksache nicht, darum allein muß
der Briefschreiber für die gleiche Leistung das mehrfache Porto bezahlen!

Warum werden in Deutschland Apotheken mit einem Warenvorrat von 10 000 Mark
für eine halbe Million verkauft? Weil das der Apotheke eingeräumte Sonderrecht es ihr
gestattet; höhere Preise für die Arzneien zu fordern, als es bei Freihandel möglich wäre.
Diese Wirkung bleibt bestehen, auch wenn anerkannt wird, daß jenem Sonderrecht
eine staatlicherseits geforderte wissenschaftliche Ausbildung des Apothekers gegenüber-
steht und die hohen Werte von Apotheken sich auf vielmaligen Besitzwechsel verteilen.

Warum steigen oft die Preise des Getreides in Deutschland, trotz reicher Ernten?
Weil der Grenzzoll den Wettbewerb ausschließt, weil der Bauer weiß, daß seine Lands-
leute sein Getreide kaufen müssen. Usw.

Es heißt zwar, die "Marktverhältnisse" trieben die Preise auf und ab, man sucht
das persönlich Bewegende, die Handlung auszuschließen und einen Sündenbock für
solchen Wucher verantwortlich zu machen, indem man sagt, die Preise würden durch
Nachfrage und Angebot bestimmt; aber was wären solche Marktverhältnisse, solche
Konjunkturen, was wären Nachfrage und Angebot ohne handelnde Personen? Diese
handelnden Personen bewirken die Preisverschiebungen, und als Werkzeug dienen ihnen die
Marktverhältnisse. Die handelnden Personen aber sind wir, wir alle, das Volk. Jeder,
der etwas zu Markte trägt, ist von demselben Geist beseelt, so hohe Preise zu fordern,
wie es die Marktverhältnisse irgend gestatten. Und jeder sucht sich zu entschuldigen
(wie auch jeder durch die hier stattfindende Wechselseitigkeit entschuldigt wird), indem
er sich auf die unpersönlichen Marktverhältnisse beruft.

Freilich, wer mit Karl Marx behauptet, daß sich die Waren selbst austauschen, und
zwar im Verhältnis zu "ihrem Werte", der braucht nicht zu wuchern, braucht keine
Notlage auszubeuten, der kann seine Arbeiter aushungern, seine Schuldner auswuchern,
ohne Gewissenspein zu empfinden. Denn den Wucher begeht in diesem Falle nicht er,
sondern die Sache, sein Eigentum. Nicht er tauscht, sondern die Wichse tauscht sich
gegen Seide, Weizen, Leder. (4) Die Ware begeht also den Handel, und zwar auf Grund
"ihres Wertes".

Wer aber diese geheimnisvolle, gespensterhafte Eigenschaft der Waren, den soge-
nannten "Wert", nicht zu erfassen vermag und darum den Tausch der Erzeugnisse als
eine Handlung, die Waren und Marktverhältnisse als ein Werkzeug dieser Handlung
betrachtet, der wird für solche Handlung, wie bereits erwähnt, keine anderen Richt-
punkte finden, als den Wunsch, der alle Warenbesitzer beseelt, möglichst wenig zu geben
und möglichst viel zu nehmen. Er wird bei jedem Tausch, in den Lohnverhandlungen
wie bei den Börsenjobbern, beobachten, daß alle Beteiligten sich danach erkundigen,
wie die Marktverhältnisse sind, ob der Käufer dringend der Ware bedarf, und namentlich
wird er sich hüten zu zeigen, daß er selbst es nötig hat, seine Waren eilig zu verkaufen.
Kurz, er wird sich überzeugen, daß die Grundsätze des Wuchers auch die des Handels
im allgemeinen sind, er wird zwischen Handel und Wucher nur Unterschiede im Maß,
nicht in der Art feststellen. Der Warenbesitzer, der Arbeiter, der Börsenmann hat
es auf die Ausbeutung der Marktlage, des Volkes im großen, abgesehen. Der Berufs-
wucherer richtet seine Angriffe mehr auf eine Person; das ist vielleicht alles, was den
Handel vom Wucher unterscheidet.

Darum wiederhole ich: Das Streben, für eine möglichst geringe Leistung eine möglichst
große Gegenleistung herauszuholen, das ist die Kraft, die den Austausch der Güter leitet
und beherrscht.

Es ist nötig, dies rücksichtslos klar festzustellen, denn nur von dieser Erkenntnis aus
kann die Möglichkeit des Papiergeldes voll begriffen werden.

Angenommen nun, Müller wäre auf irgendeine Weise in den Besitz eines für irgend-
eines seiner geistigen oder körperlichen Bedürfnisse nutzlosen Stückchens Geldpapier
gelangt, und Schulz ersuche ihn, ihm den Fetzen zu überlassen, weil er ihn zu irgend-
einem Zwecke gebrauchen kann, so wird nach obiger Erkenntnis Müller das Geldpapier
nicht unentgeltlich hergeben.

Die Entgeltlichkeit aber würde schon das Geldpapier in Papiergeld verwandeln, denn alles,
was wir zunächst vom Papiergeld erwarten; ist, daß es mehr als das Geldpapier kostet. Es soll
nicht umsonst zu haben sein. Seinen Zweck erfüllt ja das Geld dadurch, daß immer
wieder jemand das Geld sucht und zu seiner Erlangung etwas in Tausch geben muß. (5)

Wir brauchen also zur Erklärung der Möglichkeit, daß Geldpapier sich in Papiergeld
verwandeln kann, nur noch nachzuweisen, daß Schulz wirklich in die Lage kommen
kann, das im Besitze Müllers befindliche Stückchen Geldpapier an sich zu bringen. Ein
solcher Nachweis ist aber leicht genug zu erbringen. -

Die Erzeugnisse der Arbeitsteilung (6), die Waren, sind von vornherein für den Tausch
bestimmt, d. h. sie haben für ihre Verfertiger die gleiche Bedeutung, die das Geld für
uns alle hat - sie sind als Tauschgegenstände nützlich. Nur die Aussicht, die Erzeug-
nisse (Waren) gegen andere Waren tauschen zu können, veranlaßt die Eneuger, die Ur-
wirtschaft zu verlassen und die Arbeitsteilung einzuführen.

Zum Tausch der Erzeugnisse gehört aber wieder ein Tauschmittel, sogenanntes Geld,
denn ohne solches Tauschmittel wäre man auf den Tauschhandel angewiesen, von dem
wir wissen, daß er bei einer gewissen Entwicklung der Arbeitsteilung einfach versagt.
Jeder kann sich leicht vorstellen, daß der Tauschhandel ganz unentwickelte Zustände
voraussetzt.

Das Geld, ein Tauschmittel, ist die Grundlage und Voraussetzung entwickelter Arbeits-
teilung, der Warenerzeugung. Für die Arbeitsteilung ist ein Tauschmittel unentbehrlich.

Aber es gehört zum Wesen eines Tauschmittels, daß bei seiner Herstellung die Ge-
werbefreiheit auf irgendeine Weise ausgeschaltet werde. Stände es jedermann frei, Geld
zu verfertigen, und zwar jedem nach seiner Weise, so würde seine Vielgestaltigkeit solches
Geld für den Zweck, den es erfüllen soll, einfach unbrauchbar machen. Jeder würde
sein eigenes Erzeughnis als Geld erklären, und damit wären wir ja wieder beim Tausch-
handel angekommen.

Wie nötig die Einheitlichkeit im Geldwesen ist, erkennt man auch daran, daß s. Zt.
schon die Doppelwährung als ein Zuviel angesehen und beseitigt wurde. Und wie würde
es geworden sein, wenn man sich zwar über die Goldwährung geeinigt, aber die Her-
stellung von Münzen für jedermann freigegeben hätte, mit dem Ergebnis, daß nun
Münzen von jedem Feingehalt im Umlauf gewesen wären? (Eine solche "Einigung" ist
aber bereits eine Staatshandlung, denn alles, worüber Einigung erzielt ist, bildet den
eigentlichen Stoff zum Aufbau des Staates.)

Wie immer aber auch diese notwendige Ausschließung der Gewerbefreiheit bei der
Herstellung des Geldes erzielt wird, ob durch gesetzliches Verbot, oder durch natür-
liche Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Rohstoffes (Gold, Kauri usw.), ob man
dabei bewußt oder unbewußt vorgegangen ist, ob das Volk in einer Versammlung feier-
lich darüber beschloß, oder der vorwärtsdrängenden Volkswirtschaft nachgab, einerlei,
es handelt sich da um eine Handlung des Volkes, und was ist eine solche einmütige
Handlung anders als ein Gesetz, als eine staatliche Handlung? Das Tauschmittel trägt
also immer das Gepräge einer staatlichen Einrichtung, und diese Bezeichnung verdient
sowohl das gemünzte Metall, wie auch die Kauri-Muschel und die Banknote. Von dem
Augenblick an, wo das Volk dazu gekommen ist (einerlei wie), einen bestimmten Gegen-
stand als Tauschmittel anzuerkennen, hat dieser Gegenstand das Gepräge einer staat-
lichen Einrichtung.

Also entweder staatliches Geld oder überhaupt kein Geld. Gewerbefreiheit in der
Herstellung des Geldes ist einfach unmöglich. Ich brauche mich hier nicht weiter auf-
zuhalten, denn die Sache ist selbstverständlich. (7)

Der Umstand, daß wir heute die Förderung des Geldstoffes freigeben und dabei durch
das freie Prägerecht den Geldstoff praktisch zu Geld machen, sagt gar nichts gegen
diesen Satz, denn trotz Prägerecht ist der Geldstoff an und für sich doch kein Geld,
wie die Geschichte der preußischen Taler das schlagend beweist. Dieses freie Prägerecht
wird durch Gesetz erteilt haftet also nicht am Gold, und kann durch Gesetz jeden Tag
zurückgezogen werden (Silbersperre).

Übrigens besteht diese Gewerbefreiheit in der Hervorbringung des Geldstoffes (Gold)
auch nur dem Namen nach, da die Schwierigkeiten der Goldförderung diese Freiheit
wieder zunichte machen.

Auch der Umstand, daß man früher in manchen unentwickelten Ländern, z. B. in
Nordamerika während der Kolonialzeit, Pulver, Salz, Tee, Felle usw. als Tauschmittel
benutzte, sagt nichts gegen obigen Satz, denn hier handelte es sich unmittelbar um
Tauschhandel, nicht um Geld. Das im Tausch gegen die eigenen Erzeugnisse erhaltene
Salz (Tee, Pulver usw.) wurde einfach im Hause verbraucht und nicht weitergegeben.
Diese Waren liefen nicht um, sie kamen niemals zum Ausgangspunkt (Hafen) zurück,
sondern wurden ihrer körperlichen Eigenschaften wegen gekauft und verbraucht. Sie
mußten immer wieder durch neue ersetzt werden. Zum Wesen des Geldes gehört es
aber, daß das Geld nicht seines Stoffes wegen gekauft werde, sondern seiner Eigenschaft
als Tauschmittel wegen; daß es nicht verbraucht, sondern nur als Tauschmittel gebraucht
werde. Das Geld beschreibt einen Kreis, den es ewig durchläuft; es kehrt zum Ausgangs-
punkt zurück. Um als Geld betrachtet werden zu können, hätte das Teepaket nachdem
es, von China kommend, jahrelang durch die Kolonien Nordamerikas gepilgert war,
wieder einmal nach China zurückwandern müssen, wie das doch mit den jetzigen Silber-
dollars in Amerika der Fall ist, die etwa, von Colorado kommend, auf dem Handels-
wege nach China gelangen, dort sich jahrzehntelang herumtreiben, um gelegentlich
wieder auf dem Handelswege zur Lohnzahlung in die Silbergruben Colorados hinabzu-
steigen. Auch wurde das Teepaket immer teurer, je weiter es sich vom Hafen entfernte,
alle Fracht-, Handels- und Zinsunkosten wurden auf seinen Preis geschlagen, während
obiger Silberdollar, nachdem er vielleicht zehnmal die Reise um die Welt gemacht, dem
Arbeiter in der Silbergrube zum gleichen Preise, wofür dieser ihn ursprünglich geliefert,
zurückgegeben werden mag. In fast allen Ländern findet man Münzen, die 100 und mehr
Jahre alt sind, die vielleicht 100 000 mal den Besitzer gewechselt haben, ohne daß es in
der langen Reihe einem einzigen Inhaber je eingefallen wäre, sie zu verbrauchen, d. h.
sie des Silber- oder Goldgehaltes wegen einzuschmelzen. Sie sind 100 Jahre lang als
Tauschmittel gebraucht worden. 100 000 Besitzern waren sie nicht Gold, sondern Geld
keiner von ihnen bedurfte des Geldstoffes. Das Kennzeichen des Geldes ist eben, daß
dem Inhaber der Geldstoff gleichgültig ist. Darum, d. h. dieser völligen Gleichgültigkeit
wegen, ist es auch allein erklärlich, daß giftige, mit Grünspan überzogene Kupfermünzen,
verschlissene Silbermünzen, schöne Goldmünzen, bunte Papierfetzen gleichwertig ein-
herlaufen.

Etwas anders als mit dem Tee verhält es sich schon mit den Kauri-Muscheln, die in
Innerafrika als Tauschmittel benutzt werden und die schon mehr Ähnlichkeit mit dem
Geld haben. Die Kaurimuschel wird nicht verbraucht, ihr gegenüber sind die Käufer
viel gleichgültiger als die Käufer von Tee und Pulver. Sie läuft um, braucht nicht immer
ersetzt zu werden, mag sogar zuweilen zum Ausgangspunkt, der Küste, zurückgelangen.
Hier und da mag sie wohl auch von den Negerfräulein zu geldfremden Zwecken als Zierat
verwendet werden, aber ihre wirtschaftliche Bedeutung stützt sich nicht mehr auf diese
Verwendung. Die Kaurimuschel würde sicherlich wohl weiter als Tauschmittel verwendet
werden, falls sie als Zierat ganz außer Mode käme, vorausgesetzt, daß kein anderer Gegen-
stand sie als Tauschmittel vom Markte verdrängte. Sie wäre dann reines Tauschmittel,
wirkliches Geld, wie unsere Kupfer-, Nickel-, Silbermünzen und unsere Geldscheine, die
ja auch keine andere Verwendung wirtschaftlich zulassen als die eines Tauschmittels.
Und wir könnten sie auch, wie unser heutiges Geld, als staatliches Geld oder wenigstens
gesellschaftliches Geld bezeichnen, mit der Einschränkung, die der Begriff Staat in so un-
entwickeltenVerhältnissen erfährt. Das Staatsmonopol der Geldherstellung wäre hier, ähn-
lich wie bei der Goldwährung, durch die Unmöglichkeit gewahrt, Muscheln nach Be-
lieben hervorzubringen, da sie, tausend Meilen weit, am Meeresstrand gefunden werden.
(Die Muschel ist, wie das Gold für den Europäer, nur auf dem Handelsweg, durch Tausch,
erreichbar.)

Ist es aber so, daß für die Arbeitsteilung ein Tauschmittel, also Geld unentratbare
Voraussetzung ist, und daß ein solches Tauschmittel nur als staatliches, d. h. vom Staate
verfertigtes oder beaufsichtigtes, von staatlichen Gesetzen, besonderen Währungsgesetzen
beherrschtes Geld denkbar ist, so fragt es sich, was der Erzeuger mit seinen Waren an-
fangen kann, falls er sie auf den Markt bringt, und er dort auf kein anderes Geld stößt,
als Geldpapier, weil der Staat kein anderes Geld als Papiergeld herstellt? Weist der Er-
zeuger das Geld zurück (etwa weil es den bürgerlichen und sozialistischen Wertlehren
widerspricht), so muß er auch auf den Austausch seiner Waren verzichten und die Kar-
toffeln, Zeitungen, Besen oder was es sei, wieder nach Hause bringen. Auf sein Gewerbe,
auf die Arbeitsteilung muß er überhaupt verzichten, denn wie will er etwas kaufen, wenn
er selber nichts mehr verkauft, wenn er das Geld, das der Staat in Umlauf gesetzt hat,
nicht annehmen will? Er wird also in der Regel nur 24 Stunden streiken können, nur
24 Stunden wird er seiner Werttheorie treu bleiben und gegen den "Papiergeldschwindel"
eifern können. Dann werden ihn Hunger, Durst und Kälte mürbe machen und ihn
zwingen, seine Waren gegen Papiergeld anzubieten, dem der Staat die Inschrift gegeben:

"Der Vorzeiger dieses erhält auf der Reichsbank

- 100 Knutenhiebe -

auf den Märkten aber an Waren soviel, wie ihm Nachfrage und Angebot zumessen
werden."

Hunger, Durst und Kälte (zu denen sich noch der Steuereintreiber gesellen mag)
werden alle, die nicht zur Urwirtschaft zurückkehren können (heute die ausnahmslose
Regel für die Bürger eines neuzeitlichen Staates), alle, die die Arbeitsteilung, ihr Gewerbe
weiter betreiben wollen, zwingen, ihre Erzeugnisse gegen das vom Staate ausgegebene
Geldpapier anzubieten, d. h. mit ihren Waren Nachfrage nach Geldpapier zu halten:
und diese Nachfrage wird wiederum alle, die in den Besitz solchen Geldpapieres gelangt
sind, veranlassen, dieses nicht umsonst herzugeben, sondern so viel dafür zu fordern,
wie es die Marktverhältnisse gestatten werden.

Das Geldpapier verwandelte sich also in Papiergeld:

Der Beweis, daß man Geld aus Zellstoff machen kann, ist also in allen Teilen lückenlos
erbracht, und ich könnte nun gleich zu der nächsten Frage'"wieviel ein Stück Geld-
papier an Waren dem Besitzer einbringen wird und soll" übergehen. Aber die Wichtig-
keit des Gegenstandes veranlaßt mich, Rücksicht auf die dem Papiergeldbegriff ent-
gegenstehenden Vorurteile zu nehmen und die Hirngespinstigkeit der wichtigsten von
ihnen darzutun. Ich hoffe dadurch das Vertrauen derjenigen umsichtigen Leser zu ge-
winnen, die zwar anerkennen, der oben erbrachte Beweis sei wohl richtig aus den er-
wähnten Annahmen gezogen, die dann aber fürchten, diese Voraussetzungen wären
vielleicht nicht vollständig, und die Sache könnte an irgendeinem nicht erwähnten
Umstand scheitern. Ich bedarf aber, um auf dem erbrachten Beweis weiter (8) bauen zu
können, der vollen Überzeugung des Lesers, daß man Zellstoffgeld, Geld ohne Wert-
stoff und ohne Stoffwert, Papiergeld mit irgendeiner der oben erwähnten Inschriften
wirklich machen kann. Es ist dies die unentratbare Voraussetzung, um auch weiter im
Einverständnis mit meinem Leser zu bleiben. Wenn es nicht ebenso wahr ist, daß man
mit Papier Geld machen kann, wie, daß "Marley tot war" (9), so fällt alles, was ich noch
sagen werde, als wesenlos in sich zusammen.

Ich hätte mir die Sache auch leicht machen können, ähnlich wie andere, die sich
mit dem Papiergeldrätsel abgeplagt haben; ich hätte sagen können, der Staat fordere die
Bezahlung der von ihm ausgeschriebenen Steuern und Bußen in Geldpapier. Wenn der
Staat z. B. Briefmarken nur gegen von ihm verfertigtes Geldpapier verkauft, wenn er
die Bahngelder nur in seinem Geldpapier einfordert, wenn man die Zölle, das Kirchen-
geld, das Schulgeld, das Holz der Staatsforsten, das Salz der Staatssalzwerke usw. nur
mit staatlichem Papiergeld zahlen kann, so wird jeder ein solches Papier als etwas sehr
Kostbares aufbewahren und es nicht unentgeltlich abgeben. Der Staat liefert dem In-
haber statt Gold Staatsleistungen. Eine vielgestaltige statt einer eingestaltigen Leistung.
Dann wären es diese Leistungen, die dem Papiergeld Leben geben.

Aber mit dieser Erklärung würden wir, wie wir das noch kennenlernen werden, nicht
weit kommen und bald, wie alle Papiergeldreformer und Geldpapierfabrikanten, wieder-
käuend vor dem Berge stehen. Wer die wahre Grundlage des Papiergeldes, das sind die
oben erwähnten 7 Punkte, nicht erkannt hat - kann keine einzige wirtschaftliche Er-
scheinung auf ihren letzten Grund zurückführen.

Im Vordergrund der "Beweise" gegen die Möglichkeit des Papiergeldes steht die
Behauptung, sozusagen das Prunkstück der Metallisten: "Ware kann nur mit Ware
getauscht werden, da niemand einen nützlichen Gegenstand gegen einen unnützen
(Papiergeldfidibus) hergeben wird."

Mit diesem blendenden Satze, der so einleuchtend klingt, daß ihm, soviel ich weiß,
sämtliche Papiergeldtheoretiker vorsichtig aus dem Wege gegangen sind, wahrscheinlich,
weil sie dem Trugschluß nicht beikamen, hat man immer das Papiergeld von vornherein
als unmögliche Bestrebung kennzeichnen können und alle wissenschaftlich vorgehenden
Forscher von vornherein von dem Papiergeldrätsel ferngehalten.

Also Ware kann nur gegen Ware ausgetauscht werden. Das ist zweifellos richtig, aber
was ist Ware? Ware ist das Erzeugnis der Arbeitsteilung, und die Erzeugnisse der Arbeits-
teilung sind ihren Verfertigern nur als Tauschmittel nützlich, unmittelbar aber nutzlos,
wie wir das bereits gezeigt haben. Was könnte ein Gutsbesitzer mit den 1000 Tonnen
Kartofffeln, was würde der mit einer Million Spindeln arbeitende Spinnereibesitzer mit
dem Garn anfangen, wenn er es nicht verkaufen könnte, wenn ihm das Garn nicht als
Tauschgegenstand diente?

Nach dieser Begriffsbestimmung klingt der Satz: "Ware läßt sich nur gegen Ware
verkaufen" schon anders, denn er verlangt vorerst nur (im Ausdruck "Ware" ist es still-
schweigend mit eingeschlossen), daß das, was ausgetauscht wird, für seine Besitzer oder
Verfertiger nutzlos sei. Er fordert darum auch nur, daß das, was gegen die Ware ausge-
tauscht wird - auch seinem Besitzer nutzlos sei. Und ist das nicht der Fall mit dem Papier-
geldfidibas? Ist der Fidibus, wenn wir von seiner Eigenschaft als Geld absehen, nicht
ein gänzlich nutzloser Gegenstand?

Also der Satz: "Ware kann nur gegen Ware ausgetauscht werden", verwandelt sich
so schon in einen Beweis für, nicht gegen die Papiergeldtheorie, er zeugt gegen, nicht
für das Metallgeld.

Und wie steht es mit der Begründung: "da niemand einen nützlichen Gegenstand
gegen einen unnützen hergibt?" Wird hier nicht der Vordersatz: "Ware kann nur gegen
Ware umgetauscht werden, geradezu umgestoßen? In der Behauptung wird von Ware
gesprochen, und Ware ist dem Besitzer immer ein unnützes Ding. In der Begründung
aber wird nicht mehr von der Ware gesprochen, sondern von nützlichen Dingen, von
Gebrauchsgütern. Auf unsere Beispiele angewändt, lautet also obiger Satz wie folgt:

Kartoffeln können gegen Garn ausgetauscht werden, weil Kartoffeln dem Gutsbesitzer
und Garn dem Spinnereiaktienbesitzer durch ihren Stoffwert nützliche Dinge sind. Und
dies ist doch offenbar falsch. Was könnte, ich wiederhole die Frage, der Spinnerei-
besitzer mit all dem Garn anfangen?

Wenn nun auch die Begründung falsch ist, so ändert das nichts an der Richtigkeit der
Behauptung, daß Ware nur gegen Ware ausgetauscht werden kann, und um das Papier-
geld mit dieser Behauptung in Einklang zu bringen, müssen wir nachweisen können,
daß das Geldpapier ebensogut Ware ist, wie alle Waren, deren Tausch es vermitteln soll.
Wohlverstanden, das Stück Geldpapier, der bunte Zettel mit der tollen Aufschrift:

"100 Knutenhiebe

werden im Reichsgeldamt dem Vorzeiger dieses ohne Legitimation erteilt; auf dem
Markte aber erhält der Inhaber an Waren so viel, wie er damit erhandeln kann."

soll an und für sich alle Eigenschaften einer so wichtigen Ware, wie es doch das Geld
ist, besitzen. Wir wollen für das Papiergeld keine erborgten, erschlichenen, übertragenen
Eigenschaften. Den Papiergeldfidibus sollen wir namentlich nicht darum als Ware an-
erkennen, weil der Staat irgendeine, von seinem Wirken als Geld unabhängige Leistung
dem Inhaber verspricht. Im Gegenteil, ich will den Leser dahin bringen, daß er den
anscheinend widersinnigen Satz unterstreicht:

"Das Papiergeld ist chemisch reine Ware, und zwar der einzige Gegenstand, der uns
schon als Ware nützlich ist."

Welche Eigenschaften muß ein Ding in sich vereinigen, um als Ware angesehen zu
werden?

1. Es muß dafür Nachfrage bestehen, d. h. es muß irgend jemand da sein, der den
Gegenstand haben will oder haben muß, und der darum bereit ist, eine andere Ware
dafür in Tausch zu geben.

2. Um diese Nachfrage zu erzeugen, muß der betreffende Gegenstand dem Käufer
natürlich nützlich sein, denn sonst sucht und bezahlt man den Gegenstand nicht. Flöhe,
Unkraut und Gestank sind aus diesem Grunde keine Waren, auch alles nicht, was keinen
Eigentümer hat. Ist der Gegenstand aber nützlich (wohlverstanden dem Käufer nicht
dem Besitzer nützlich), und kann man ihn nicht umsonst erhalten, so sind alle Bedin-
gungen erfüllt, die eine Sache zur Ware machen.

Daß das Geldpapier die Bedingung Nr.1 erfüllt, haben wir bereits bewiesen, als wir
zeigten, daß das Geld, und zwar staatliches Geld, unentratbare Voraussetzung entwickelter
Arbeitsteilung ist und daß alle Warenbesitzer durch die Natur ihres Besitzes gezwungen würden,
ihre Waren gegen Geldpapier anzubieten, also Nachfrage nach Geldpapier zu halten, falls der
Staat kein anderes Geld machte. Wenn man in Deutschland mit dem Golde heute ebenso
verführe, wie es mit dem Silber geschah, indem der Staat das Gold durch Geldpapier
ersetzte, so müßten such alle Warenbesitzer und Warenverfertiger sich unter das Joch
dieses Papiergeldes beugen. Alle ohne Ausnahme wären gezwungen, mit ihren Erzeug-
nissen Nachfrage nach dem Geldpapier zu halten. Ja, man könnte sagen, die Nachfrage
nach Geldpapier wird unbedingt genau so groß sein wie das Angebot von Waren, das
seinerseits wieder der Warenerzeugung entspricht.

Bedingung Nr.1 einer Ware erfüllt also das Geldpapier in kräftigster Weise. Petroleum,
Weizen, Baumwolle, Eisen sind sicherlich auch Dinge mit ausgesprochener Wareneigen-
schaft; sie gehören zu den wichtigsten Stapelartikeln des Marktes. Trotzdem ist für diese
Waren die Nachfrage keine so unbedingte wie beim Papiergeld. Jeder, der heute Waren
eneugt, also ein Gewerbe betreibt, d. h. die Urwirtschaft aufgegeben und die Arbeits-
teilung eingeführt hat, hält mit seinen Erzeugnissen Nachfrage nach einem Tausch-
mittel - alle Waren, ohne Ausnahme, verkörpern Nachfrage nach Geld, d. h. nach
Geldpapier, wenn der Staat kein anderes Geld herstellt -, aber nicht alle Warenbesitzer
kaufen mit dem Gelde, das sie für ihre Erzeugnisse lösten, Eisen, Petroleum, Weizen.
Auch gibt es für Eisen, Petroleum, Weizen viele Ersatzgüter, während es für das Geld
nur einen einzigen Ersatz gibt, das ist die Urwirtschaft oder der Tauschhandel, und
diese würden erst dann in Betracht kommen, wenn die 90 % unserer heutigen Bevölkerung,
die der Arbeitsteilung ihr Dasein verdanken, verhungert, tot und begraben wären.

Die Nachfrage nach Geldpapier wird also durch die Wareneigenschaft aller Erzeug-
nisse der Arbeitsteilung hervorgerufen. Die Arbeitsteilung, die Urmutter der Ware, ist
die unerschöpfliche Quelle der Nachfrage nach Geld, während die Nachfrage für die
sonstigen Waren viel weniger stark gefügt ist.

Die Entstehung der Nachfrage nach einer Sache kann man sich natürlich nur dadurch
erklären, daß der nachgefragte Gegenstand (bier das Papiergeld) dem Käufer (nicht dem
Besitzer) irgendeinen Dienst erweist, also nützlich ist (Punkt 2).

Nun frage ich: Ist der zu Geld erhobene Papierfidibus, das staatlich allein anerkannte
und dadurch allein mögliche Tauschmittel, der viereckige bedruckte bunte Zettel, kein
nützliches Ding?

Ist das Ding da, der Fidibus, der dem Arbeiter, dem Ant, dem Tanzlehrer, dem König,
dem Pfarrer gestattet, ihre ihnen persönlich völlig nutzlosen Eneugnisse oder Leistungen
gegen Gebrauchsgüter umzutauschen, kein nützlicher Gegenstand?

Wir müssen hier selbstverständlich nicht, wie es in der Regel der Fall ist, an das Körper-
liche des Geldes, an den Fidibus denken, sondern an das Ganze, an den Fidibus mit
seinen staatlichen Vorrechten als Tauschmittel, als Geld. Wir müssen uns das Geld als
ein Fabrikat denken, sogar a1s ein gesetzlich geschütztes und vom Staate allein erzeugtes
Fabrikat.

Gewiß, wenn wir die Hauptsache am Papiergeld, seine Eigenschaft als gesetzlich allein
anerkanntes und praktisch alleinherrschendes Tauschmittel abziehen, so bleibt wahrhaftig
nur nutzlose Makulatur übrig; aber geschieht mit den meisten Dingen nicht genau dasselbe,
wenn man von ihrem Gebrauch absieht und nur an den Stoff, aus dem sie bestehen, denkt?
Kratzen wir von einem Ölbild die Farben zusammen, schlagen wir mit dem Hammer
auf eine Scheidemünze, auf ein Tintenfaß, eine Suppenschüssel - was bleibt dann
übrig? Makulatur, Unrat. Betrachten wir ein Haus als einen Steinhaufen, die Königs-
krone als Metall, ein Buch als Papier, kurz, sehen wir in allen Dingen nur den Stoff, so
sehen wir in den weitaus meisten Fällen auch nicht viel mehr als einen Fidibus.

Wir gebrauchen das Piano nicht als Brennholz, die Lokomotive nicht als Gußeisen
und das Papiergeld nicht als Tapete. Also warum spricht man nur immer vom Zellstoff,
wenn vom Papiergeld die Rede ist? Warum sprechen wir nicht vom Tauschmittel?

Wir betrachten alle übrigen Dinge als das, wozu sie bestimmt sind, und wenn wir das
auch beim Papiergeld täten, so würden wir sehen, daß es sich nicht um ein Stückchen
Papier handelt, sondern um ein hochwichtiges, unentbehrliches Fabrikat, um das wich-
tigste und nützlichste aller Gebrauchsgüter.

Daß dieses Fabrikat so gut wie keine Herstellungskosten verursacht, kann ihm nichts
verschlagen. Wir suchen in den sonstigen Dingen, die wir kaufen, doch auch nicht das
Blut und den Schweiß der Arbeiter.

Hat etwa der gesamte, nach Milliarden berechnete Bauplatz der Stadt Berlin einen
Pfennig Erzeugungskosten verursacht?

Man sehe also bei der Betrachtung des Papiergeldes ganz vom Fidibus ab, man gewöhne
sich daran, dieses Geld als ein unentbehrliches, nützliches, dabei noch vom Staate ge-
schütztes Fabrikat zu betrachten. Ohne Schwierigkeiten wird man dann in dem Geld-
papier einen Gegenstand erkennen, der alle Eigenschaften einer Ware hat, und statt jetzt
noch im Bestehen des Papiergeldes einen Widerspruch gegen den Lehrsatz zu erblicken,
daß Ware nur mit Ware bezahlt werden kann, wird man im Papiergeld eine neue Be-
stätigung dieses Lehrsatzes erblicken.

Wer sich die Mühe geben will, die Währungsschriften durchzustöbern, wird finden,
daß das Geld regelmäßig darin so behandelt wird, als wäre es nicht ein ganz bestimmten
Zwecken dienendes Fabrikat (Tauschmittel), sondern ein Rohstoff für Industriezwecke
(Goldschmiede), der nur nebenbei, vorübergehend als Geld zu wirken hat. Dabei laufen
in manchen Ländern und liefen bis vor kurzem auch in Deutschland Münzen um, die
vor 100 oder 200 Jahren geprägt wurden, während demgegenüber ein Jahr alte Waren
in der Regel schon zu den Lagerhütern gerechnet und mit erheblichen Abstrichen in
den Bestandsaufnahmen der Kaufleute aufgeführt werden.

Wenn das Geld nur Rohstoff zu gewerblichen Zwecken wäre, so würde jeder es nur
kaufen, wie man jede andere Ware kauft, d. h. nur unter der Bedingung, daß man es,
mit Zins und Gewinnzuschlag belastet, wieder weitergeben kann. Nun rechne einer nach,
für wieviel der schon erwähnte Dollar, der von den Colorado-Bergwerken kommend,
10, 20 Jahre lang in China sich herumtrieb und dann wieder zur Lohnzahlung in den
Colorado-Bergwerken verwendet wurde, dort dem Arbeiter angerechnet werden müßte,
der ihn selbst gefördert hat, falls er auf dem langen Wege immer wieder mit Zins, Fracht
und Gewinnzuschlag belastet weitergegeben worden wäre. Und doch wäre diese Be-
lastung nötig gewesen, wenn jeder den Dollar des Silbers wegen gekauft hätte, wenn
niemand noch nebenbei einen anderen Nutzen aus ihm gezogen hätte - nämlich den
Tausch seiner Erzeugnisse gegen Gebrauchsgüter.

Man kann sogar das Geld, und besonders das Papiergeld, als die Ware bezeichnen,
bei der die Wareneigenschaft am reinsten hervortritt, denn das Geld, und hauptsächlich
das Papiergeld, wird nur als Ware (Tauschware) benutzt; man kauft das Geld nicht,
um es, wie es bei den übrigen Waren der Fall ist, in der Fabrik, in der Küche, also fern
vom Markte, zu verbrauchen.

Das Geld ist und bleibt Ware; sein Nutzen liegt ausschließlich in seinem Gebrauch
als Tauschware. Alle übrigen Waren werden nur zum Verbrauch gekauft (von den
Kaufleuten abgesehen, für welche Ware und Geld - Ware bleiben). Man verfertigt die Ware
zum Verkauf, aber man kauft sie zum Verbrauch. Man verkauft Ware, man kauft Ge-
brauchsgüter. Nur das Geld allein kauft jeder als Ware. Nur allein das Geld ist uns
bereits als Ware ein nützliches Gebrauchsgut (nämlich als Tauschmittel); das Geld,
und vornehmlich das Papiergeld, ist also überhaupt die einzig nützliche Ware.

Die Metallwährungsvertreter begreifen das Metallgeld ganz regelmäßig nur als einen
Rohstoff für die Goldschmiede. Eine Mark, sagt der Doppelwährungsverteidiger Arendt,
ist der 1392. Teil von einem Pfund Gold, und die Vertreter der Goldwährungslehre haben
natürlich keine Ursache gehabt, eine Ansicht anzugreifen, die ihrem Verfechter für die
Verteidigung seiner Sache alle Waffen raubte. (10)

Die bisherigen Vertreter des Papiergeldgedankens, die doch dieses Märchen vor allen
Dingen hätten widerlegen müssen, gehen regelmäßig, wie die Katze um den heißen Brei,
um diese Frage herum. Daß das Geld an sich, ohne Rücksicht auf den Stoff, ein Fabrikat,
ein nützlicher, ja unentbehrlicher Gegenstand ist, haben sie offenbar noch nicht klar
genug eingesehen, und so fanden sich alle genötigt, bei dem Abfassen der Inschrift des
Papiergeldes dem Inhaber irgend eine - von der Geldtätigkeit gesonderte - Leistung
(Gold, Zins, Weizen, Arbeit, Land usw.) zu versprechen. Der Austausch der Waren, den
das Geld allein ermöglicht, genügt ihnen als Leistung offenbar nicht, um dem Papiergeld
Käufer oder Abnehmer zu sichern.

Eine Ausnahme finde ich allein in der Inschrift des von der Provinz Buenos Aires 1869
ausgegebenen Papiergeldes, durch die, soweit mir bekannt, zum erstenmal der Geldbrief
an sich (also der Zettel, das viereckige Stück bedruckten Papieres) für Geld erklärt,
und in der dem Inhaber keine Einlösung versprochen wird. Die Inschrift lautet:

La Provincia de Buenos-Ayres
reconoce este Billete por
un peso
moneda corriente. 10 Enero de 1869.

Übersetzt: Die Provinz Buenos Aires anerkennt diesen Zettel für einen Peso (Taler)
Landesgeld.

Ich habe nicht erfahren können, ob diese Inschrift eine Folge richtiger Erkenntnis ist
oder einfach eine Verlegenheitsinschrift, wie die des jetzigen argentinischen Papiergeldes,
die dem Inhaber bei Sicht x Taler Papiergeld in Zahlung zu geben verspricht: "La Nacion
pagara al portador y a la vista y por medio del Banco de la Nacion 100 Pesos moneda
nacional." Offenbarer Unsinn, denn ein Peso mon. nac. ist weiter nichts als der gleiche
Papiertaler. Die Bank verspricht also dem Inhaber, den Zettel in Zahlung desselben
zurückzugeben.

Ein Vorschlag, der immer wieder bis in die neueste Zeit auftaucht, ist der: Der Staat
verfertigt Papiergeld in genügender Menge, um den gesamten Grundbesitz aufzukaufen
und um so mit einem Schlage die soziale Hauptfrage zu lösen, nämlich die Grundrente
dem Volke wieder zuzuführen. Der Grundbesitz dient dann dem Papiergeld als Deckung,
wird aber, dem Zwecke der Sache entsprechend, dem Vorzeiger nicht wieder ausgeliefert.
Der Inhaber muß sich mit der Sicherheit begnügen, wie er sich - so glaubt man -
damit begnügt, daß die Banknoten durch Gold gedeckt sind. (Was aber durchaus nicht
der Fall ist, denn der Inhaber der Banknoten begnügt sich mit dem Dienst, den die
Banknoten als Tauschmittel verrichten. Wäre es nicht so, so würde er das Gold sofort
abholen, wie es die Goldschmiede tun, weil sie das Gold zum Verarbeiten brauchen.)
In diesem, unter jedem währungstechnischen Gesichtspunkt ganz tollen Vorschlag wird
auch wieder ganz übersehen, daß die Vermittlung des Warentausches eine genügende
Leistung des Papiergeldes ist und daß, solange wir diese Leistung dem Papiergeld
sichern (dazu ist nur nötig, daß man kein anderes Geld macht), jede andere Leistung
überflüssig ist.

Die Schwierigkeit für das volle Erfassen des Begriffes "Geld" liegt darin, daß der
Nutzen, den wir vom Geld erwarten, so ganz und gar vom Stoff des Geldes unabhängig
ist. Das Geld bedarf offenbar des Stoffes nur, um greif- und sichtbar zu sein, damit wir
überhaupt sein Dasein feststellen und es übertragen können, nicht etwa weil wir etwas
vom stofflichen Teil des Geldes erwarten. Wie könnte sich sonst eine Münze 1 bis 10,
bis 100 Jahre im Umlauf erhalten, wie könnte sich eine Banknote 24 Stunden im Verkehr
behaupten? Auf die Menge allein kommt es beim Geld an, denn von dieser Menge
hängt es z. T. ab, wie groß das Angebot des Geldes und wie groß die Warenmenge
sein wird, die wir für das Geld erhandeln werden. Eigenschaften hat das Geld als Körper
nicht, wenigstens keine tätig wirkenden Eigenschaften, und niemand würde sie ver-
missen, wenn sie gänzlich fehlten. Hat man nicht seinerzeit das Gold dem Silber in
Deutschland vorgezogen, bloß weil man für 1 kg Gold 16 mal mehr Ware geben mußte
als für 1 kg Silber. Weil man also 16 mal meniger Geldstoff erhielt, darum zog man das
Gold dem Silber vor.

Bei allen Gebrauchsgütern heißt es ausnahmslos beim Käufer: je mehr, je lieber;
beim Geldstoff heißt es dagegen: je weniger, je lieber. Beim Geld genügt es eben, daß
man es zählen kann - der Rest ist immer lästiger Ballast.

Man kauft den Honig, weil er schmeckt, das Bier, weil es berauscht, den Ballast, weil
er schwer ist, den Meterstock, weil er eine bestimmte Länge hat, das Litermaß seines
Raumgehaltes wegen. Aber beim Geld verlangt man keinen Geschmack, kein Gewicht,
keinen Raum, nichts Körperliches, nichts für die unmittelbare Befriedigung eines per-
sönlichen Bedürfnisses. Wir kaufen das Geld als Ware, um es als Ware wieder loszu-
schlagen.

Wie gleichgültig das Volk den körperlichen Eigenschaften des Geldes gegenüber ist,
ermißt man am besten daran, daß unter tausend kaum einer zu sagen weiß, wieviel
Gramm Feingold er für eine Mark gesetzmäßig zu fordern hat. Wer es nicht glaubt, kann
ja leicht den Versuch machen.

Darum allein fordert man ja auch, daß das Celd möglichst wenig körperliche Eigen-
schaften habe; darum ist man, wie unbewußt, in der Wahl des Geldrohstoffes nach und
nach auf den Naturstoff gelangt, der von allen Körpern des Weltalls am stiefmütterlichsten
mit Eigenschaften versehen wurde, nämlich das Gold. Wie bettelhaft arm an Eigen-
schaften ist das Gold, verglichen mit irgendeiner Ware, etwa einem Hammer, einem
Buch, einem Kanarienvogel!

Nicht seiner Farbe wegen hat man das Gold zu Geld gemacht, nicht seines Gewichtes,
seines Raumgehaltes, seines Klanges, seines Geruches, seines Geschmackes, auch nicht
seiner chemischen Verwandtschaften wegen. Das Gold rostet nicht, fault nicht, wächst
nicht, zergeht nicht, kratzt, brennt und schneidet nicht, es ist leblos, das Urbild des Todes.

Nicht wirksame, sondern nach allen Seiten hin unwirksame Eigenschaften suchen wir im
Geldstoff. Von allen Körpereigenschaften das Mindestmaß, das ist die allgemeine For-
derung, die das Volk an den stofflichen Teil des Geldes stellt.

Kühl bis ans Herz hinan, wie der Kaufmann seinen Waren gegenüber, so betrachtet
jeder den Geldstoff. Kommt man mit dem Schatten des Goldes aus, so zieht man den
Schatten vor, wie Dasein und Beliebtheit der Banknote es schlagend beweisen.

Je unwirksamer die Eigenschaften eines Stoffes sind, um so wirksamere Vorzüge hat
es als Geldmaterial. Das ist das ganze Geheimnis der Papierwährung.

Man sagt, die allgemeine Vorliebe für Edelmetalle habe das Gold und Silber zu Geld
gemacht. Ich glaube aber, daß im Gegenteil die allgemeine Gleichgültigkeit der Waren-
erzeuger diesen Metallen gegenüber der Grund gewesen ist, warum die Menschen sich
einigen konnten, diese Metalle als Geld anzuerkennen. Über eine gleichgültige, neutrale
Sache einigt man sich immer schneller als über Eigenschaften, die je nach unseren per-
sönlichen Veranlagungen auch verschieden auf uns einwirken. Das Gold hat von allen
natürlichen Dingen die wenigsten Eigenschaften, die geringste Verwendbarkeit in der
Industrie und Landwirtschaft. Keinem Stoffe gegenüber sind wir so gleichgültig wie
gerade beim Gold, darum war es so leicht, das Gold zu Geld zu erklären.

Das Gold findet gewerbliche Verwendung in der Schmuckwarenindustrie; aber gerade
die, die das Gold als Tauschmittel benutzen, die Warenerzeuger, die Arbeiter, Bauern,
Handwerker, Kaufleute, der Staat und das Gericht, brauchen in der Regel keine Schmuck-
sachen. Junge Mädchen mögen für das Gold eine Vorliebe haben (oft auch nur, weil
Gold Geld ist), aber junge Mädchen, die keine Waren erzeugen, brauchen keine Tausch-
mittel, erzeugen keine kaufmännische Nachfrage nach Geld. Und man wird doch auch
nicht gerade die jungen Mädchen darüber bestimmen lassen, was als Geld gebraucht
werden soll. Das weitaus wichtigste Verkehrsmittel, die Voraussetzung der Arbeits-
teilung, die Finanzen des Staates, wird man doch nicht auf die wirtschaftlich schwächsten
Bürger, auf putzsüchtige junge Mädchen begründen!

Die Rolle, die der stoffliche Teil des Geldes spielt, läßt sich ziemlich gut mit dem
vergleichen, was das Leder des Fußballes für die Spieler bedeutet. Es kommt den Spielern
durchaus nicht auf die stofflichen Eigenschaften des Balles an, auch nicht auf seinen
Besitz. Zerrissen, beschmutzt, neu oder alt, alles ist gleichgültig. Ist der Ball greifbar und
sichtbar, so kann die Balgerei losgehen. Und um mehr handelt es sich beim Geld auch
nicht. Haben oder nicht haben; ein steter, rastloser Kampf um seine Erwerbung, nicht
weil man den Ball, das Geld an sich, den Geldstoff braucht, sondern weil man weiß,
daß andere das Geld wiedergewinnen. und zu seiner Wiedergewinnung Opfer bringen
müssen. Beim Fußball bestehen diese Opfer in Fußtritten, beim Geld in Waren. Das
ist der ganze Unterschied. Und wer Liebhaber ist von kurzen Begriffserklärungen, der
wird vielleicht Freude empfinden, wenn ich sage: das Geld ist der Fußball der Volks-
wirtschaft.


(1) Seitdem dies geschrieben wurde (1907), sind auch die letzten Goldmünzen aus dem
Verkehr verschwunden.

(2) In Schweden bezahlte man (1916) für 100 Kronen in Papiergeld 105 Kronen Gold.
Die im Kriege aufgekommenen Ersatzstoffe sind durchweg teuer und schlecht mit bit-
terem Nachgeschmack. Nur allein der Goldersatz, das Papiergeld, löst keine Stoßseufzer
nach dem Frieden aus.

(3) Man braucht hier durchaus nicht immer an frierende Bettler zu denken. Der 1000-
fache Millionär Rockefeller ist jedesmal in solcher "Notlage", wenn Leuchtstoffersatzmittel
den Absatz des Petroleums hemmen. Auch Krupp ist jedesmal in "Notlage" , wenn er
für die Erweiterung seines Werkes den Acker eines Bäuerleins braucht.

(4) Dae Kapital Bd. I, S. 3.

(5) Die bürgerlichen und sozialistischen Lehrsätze verneinen solche Entgeltlichkeit, müssen
sie verneinen, denn die Entgeltlichkeit würde die Hergabe des Geldpapieres zu einem
Tausche stempeln, und der Tausch setzt nach ihren Worten den Tauschwert, den Stoffwert
oder Wertstoff voraus, und wir nehmen an, daß jenes Stückchen Geldpapier frei sei von
Tauschwert, Wertstoff oder Stoffwert. (Ganz einerlei, ob man sich unter diesen Ausdrücken
etwas vorstellen kann oder nicht.) Beim Tausche könne ja eine Ware immer nur den Wert
eintauschen, den sie selber hat (innerer Wert), so sagt die bürgerliche und sozialistische
"Wertlehre", und wenn der gedachte Fetzen Geldpapieres keinen Tauschwert hat, so ist
der Tausch, ist jede Entgeltlichkeit ausgeschlossen. Es fehle für solchen Tausch jedes
"Wertmaß" zur "Ausmessung" der Gegenleistung, wie auch die "Werteinheit" zur "Be-
rechnung" der Gegenleistung. Geldpapier und Waren seien einfach nicht vergleichbare
Größen.

(6) Unter Arbeitsteilung ist hier solche Arbeit zu verstehen, die Tauschgegenstände, also
Waren erzeugt, im Gegensatz zur Urwirtschaft" die auf die unmittelbare Bedürfnisbefrie-
digung gerichtet ist. Die gewerbliche Arbeitsteilung, darin bestehend, daß die Herstellung
der einzelnen Waren in Teile zerlegt wird, ist nur technische Arbeitsteilung und nicht mit
der wirtschaftlichen Arbeitsteilung zu verwechseln.

(7) Bei einem natürlichen Geldstoff wird man die Gewerbefreiheit dadurch ausschalten,
daß man solchen Stoff wählt (Kauri, Gold), der an Ort und Stelle nicht beliebig oder
überhaupt nicht hervorgebracht werden kann.

(8) Übrigens erwähne ich hier vorsichtshalber noch einmal, daß ich bisher nur die Mög-
lichkeit, aus Geldpapier Papiergeld zu machen, behandelt, die Frage aber, welche Vor-
teile ein solches Geld gegenüber dem Metallgeld haben könnte, ganz unberührt gelassen
habe. Das kommt später.

(9) In Dickens' "Weihnachtsgeschichten".

(10) M. Chevalier, Das Geld (La Monnaie), Paris 1866, S. 36 : "Ich glaube an dieser Grund-
anschauung festhalten zu müssen, die ich mit gutem Recht als eine andere Begriffser-
klärung des Geldes erklären kann, d.h., daß die Münzen einfach Metallbarren sind, deren
Gewicht und Feingehalt gewährleistet sind."


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Dieser Text wurde im August 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.