Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.2. Die Unentbehrlichkeit des Geldes und die öffentliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Geldstoff

Wir verdanken es der Arbeitsteilung, daß wir mehr erzeugen als verbrauchen und so,
unabhängig von den unmittelbaren Lebensbedürfnissen, der Vervollkommnung oder
Vermehrung unserer Arbeitsmittel Zeit, Vorräte und Arbeit widmen können. Ohne die
Arbeitsteilung wären wir nie zu dem heutigen Reichtum an Arbeitsmitteln gelangt, und
ohne diese Arbeitsmittel würde die Arbeit nicht den zehnten, hundertsten, ja tausendsten
Teil ihrer heutigen Erzeugung liefern. Der größte Teil der Bevölkerung verdankt also
der Arbeitsteilung unmittelbar sein Dasein. Die Arbeitsteilung schenkte 60 Millionen
von den 65 Millionen Deutschen das Dasein.

Die Erzeugnisse der Arbeitsteilung sind keine Gebrauchsgüter, Dinge, die der Er-
zeuger unmittelbar gebrauchen kann, sondern Waren, Dinge, die ihrem Erzeuger nur als
Tauschmittel von Nutzen sind. Der Schuster, der Tischler, der Heerführer, der Lehrer,
der Tagelöhner - keiner kann sein unmittelbares Arbeitserzeugnis gebrauchen; selbst
der Bauer kann es nur in beschränktem Maße. Alle müssen das, was sie erzeugen, ver-
kaufen. Der Schuster, der Schreiner verkaufen ihre Erzeugnisse an die Kundschaft, der
Truppenführer, der Lehrer verkauft sie (seine Leistungen) an den Staat, der Tagelöhner
an den Unternehmer.

Für den weitaus größten Teil der Arbeitserzeugnisse ist der Verkaufszwang bedingungs-
los; für die gewerblichen Erzeugnisse ist dieser Zwang sogar ausnahmslose Regel. Darum
stockt ja auch sofort die Arbeit, sowie der Absatz der Erzeugnisse gestört wird. Welcher
Schneider wird denn Kleider nähen, die er nicht absetzen kann?

Und den Absatz, den gegenseitigen Austausch der Arbeitserzeugnisse, vermittelt das Geld.
Ohne das Dazwischentreten des Geldes gelangt keine Ware mehr bis zum Verbraucher.

Es ist zwar nicht ganz unmöglich, die Erzeugnisse der Arbeitsteilung auf dem Wege
des Tauschhandels an den Mann zu bringen, aber der Tauschhandel ist derart umständ-
lich und setzt so viele Einrichtungen voraus, die nicht im Handumdrehen geschaffen
werden können, daß man allgemein auf diesen Ausweg verzichtet und lieber die Arbeit
einstellt.

Proudhons Warenbank ist ein Versuch, den Tauschhandel wieder einzuführen. Eben-
sogut wie solche Banken würden die heutigen Kaufhäuser diesen Zweck erreichen, denn
für den Tauschhandel ist es nur nötig, jemand zu finden, der das, was ich erzeuge, kaufen
und zugleich mich mit dem bezahlen kann, was ich wieder brauche. Im Kaufhaus, wo
alles zu haben ist, wird natürlich alles gekauft. Die einzige Vorbedingung für den Tausch-
handel wäre also hier gegeben, und darum würden im Geschäftsbetrieb eines Kauf-
hauses eigene Marken (1) das Geld ganz gut ersetzen, vorausgesetzt, daß alle Käufer auch
Lieferer des Kaufhauses wären und umgekehrt.

Die Ware muß also gegen Geld verkauft werden, d. h., es besteht eine Zwangsnachfrage
nach Geld, die genau ebenso groß ist, wie der Vorrat an Waren, und der Gebrauch des
Geldes ist darum für alle genau ebenso unentbehrlich, wie die Arbeitsteilung für alle
vorteilhaft ist. Je vorteilhafter die Arbeitsteilung, um so unentbehrlicher das Geld. Mit
Ausnahme des Kleinbauers, der fast alles, was er erzeugt, selber verzehrt, unterliegen
alle Bürger bedingungslos dem wirtschaftlichen Zwang, ihre Erzeugnisse gegen Geld zu
verkaufen: Das Geld ist Voraussetzung der Arbeitsteilung, sobald der Umfang, den sie
angenommen, den Tauschhandel ausschließt.

Worauf bezieht sich nun dieser Zwang? Muß jeder, der sich an der Arbeitsteilung
beteiligen will, seine Erzeugnisse gegen Gold (Silber usw.) oder gegen Geld verkaufen?
Früher war das Geld aus Silber gemacht, und alle Waren mußten gegen Taler verkauft
werden. Dann schied man das Geldwesen vom Silber, und die Arbeitsteilung bestand
weiter, der Tausch der Erzeugnisse vollzog sich weiter. Es war also nicht Silber, was
die Arbeitsteilung brauchte. Die von den Waren erzeugte Nachfrage nach Tauschmitteln
bezog sich nicht auf das Stoffliche des Tauschmittels, auf das Silber. Das Geld brauchte
nicht notwendigerweise aus Silber gemacht zu sein. Das steht nun einmal erfahrungs-
gemäß fest.

Muß nun aber das Tauschmittel aus Gold hergestellt sein? Braucht der Bauer, der
Kohl gebaut hat und diesen verkaufen will, um mit dem Erlös den Zahnarzt zu bezahlen,
Gold? Ist es ihm im Gegenteil für die kurze Weile, während der er in der Regel das
Geld behält, nicht vollkommen einerlei, woraus das Geld besteht? Hat er in der Regel
überhaupt Zeit, sich das Geld anzusehen? Und kann man diesen Umstand nicht dazu
benutzen, Geld aus Zellstoff, aus Papier zu machen? Würde der Zwang, die Erzeugnisse
der Arbeitsteilung, also die Waren gegen Geld zum Verkauf anzubieten, nicht fort-
bestehen, wenn wir das Gold durch Zellstoff bei der Geldherstellung ersetzen? Würde
durch einen solchen Übergang die Arbeitsteilung in die Brüche gehen, d. h. würden die
Bürger lieber verhungern, als Zellstoffgeld als Tauschmittel anzuerkennen?

Die Goldwährungstheorie behauptet, daß das Geld, um als Tauschmittel dienen zu
können, "inneren Wert" haben müsse, indem das Geld immer nur soviel "Wert" ein-
tauschen könne, als es selbst in sich birgt, etwa wie man Gewichte nur mit Gewichten
heben kann. Da nun Zellstoffgeld keinen "inneren Wert" hat, also leer ist, so sei es
ausgeschlossen, daß es Waren eintauschen könne, die Wert besitzen. Null kann nicht
mit 1 verglichen werden. Es fehle dem Zellstoffgeld jede Beziehung zur Ware, es fehle
ihm der "Wert" - darum sei es unmöglich.

Und bei diesen Worten sind die Goldwährungs-Erklärer geblieben, während sich
gleichzeitig das Zellstoffgeld in aller Stille die Welt erobert. Freilich leugnet man noch
diese Tatsache, indem man noch von "übertragenen Kräften" spricht. Man sagt, das
heutige Papiergeld, das in keinem Lande mehr fehlt, lebe nur darum, weil es seine Wurzeln
im Golde stecken habe. Wäre nirgendwo in der Welt Metallgeld vorhanden, so würde
das Zellstoffgeld überall in sich zusammenstürzen, wie ein Spatzennest einstürzt, wenn
die Burg abgebrochen wird. Dem Inhaber des Papiergeldes würde Gold versprochen,
und dieses Versprechen flöße dem Papier die Seele ein. Der "Wert" des Goldes werde
durch die Tatsache oder Hoffnung einer Einlösung in Gold auf das Papier übertragen.
Das Papiergeld sei eigentlich wie ein Frachtbrief zu betrachten, den man ja auch ver-
kaufen kann. Nimmt man aber die Ladung weg, so ist der Frachtbrief leer; nimmt man
das Gold oder das Einlösungsversprechen fort, so wird alles Papiergeld zu Makulatur.
Es sei also nur "übertragener Wert", der das Papiergeld stützt.

Dies ist ungefähr alles, was man gegen die Möglichkeit des Zellstoffgeldes zu sagen
hat. Und man hält wohl allgemein das Gesagte für so entscheidend, daß jeder, der
sich für urteilsfähig ansieht, die Frage, ob Zellstoffgeld möglich sei, ohne weiteres
verneint.

(Die Frage, ob das Zellstoffgeld im täglichen Verkehr dem Metallgeld gegenüber Vor-
oder Nachteile hat, gehört vorläufig nicht hierher. Zuerst soll die Frage beantwortet
werden, ob man aus Zellstoff Geld machen kann, das, ohne sich an irgend eine bestimmte
Ware, namentlich an Gold und Silber, anzulehnen, leben, d. h. die Aufgaben eines
Tauschmittels übernehmen kann.)

Das Geld soll also immer nur den Wert einlösen oder eintauschen können, den es
selbst besitzt!

Aber was ist dieser sogenannte Wert, der dem Zellstoffgeld den Weg zu unserem
Begriff verlegt, der das Papiergeld als Hirngespinst erklärt? Das Papiergeld besteht doch;
es ist in vielen Ländern, es ist in manchen Ländern auch ohne Anlehnung an das Metall-
geld, und überall, wo es ist, bringt es den Beweis seines Daseins in Form von Millionen,
die es dem Staate einträgt. Ist das Papiergeld nun ein Hirngespinst, vom Standpunkt
der Wertlehre aus betrachtet, so sind, von demselben Standpunkt aus betrachtet, auch
die Erzeugnisse jenes Hirngespinstes als solche zu betrachten. Sind also die Millionen,
die das Reich aus der Notenausgabe zieht, sowie die 7 % Dividende der Reichsbank-
aktionäre Hirngespinste? Oder sind vielleicht die Rollen vertauscht worden? Ist die
Wertlehre vielleicht das Hirngespinst?


(1) Unsere volkswirtschaftlichen Schriftsteller folgern aus der Tatsache daß innerhalb
des Geschäftsbetriebes eines Warenhauses das bare Geld durch Geschäftsmarken voll-
kommen ersetzt werden kann, das Geld sei überhaupt nichts anderes als eine Geschäfts-
marke; sie stiften mit diesem Trugschluß viel Verwirrung.
Das Geld ist eine völlig selbständige Ware, deren Preis bei jedem Handwechsel Fall für
Fall, neu durch den Handel bestimmt werden muß. Beim Vorkauf einer Ware weiß der
Empfänger des Geldes nicht, wase er nun seinerseits für das Geld erhalten wird. Das muß
sich erst durch einen neuen Handel, meistens an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit,
mit anderen Personen erweisen. Beim Gebrauch der Geschäftsmarken muß die Gegen-
leistung vorher genau nach Maß und Güte festgelegt werden. Hier handelt es sich um
reinen Tauschhandel, bei dem die Marke nur die Rolle eines Verrechnungsmittels, und
nicht die des Tauschmittels spielt. Dem Tischler z. B., der im Warenhaue Stühle zum
Verkauf anbietet, und den man dort mit Waren zu bezahlen gedenkt, wird es darum ganz
einerlei sein, ob der Hut, auf den er es abgesehen hat, mit 5 oder 10 Geschäftsmarken als
Preis ausgezeichnet ist. Denn nach diesen Zahlen wird er ja nun seine Forderungen für
seine Stühle richten. Er rechnet alle Preise des Warenhauses nach Stühlen um.
Im sozialistischen Staate, wo die Preise behördlich festgesetzt werden, kommt man
natürlich ebenfalls mit solchen Marken aus. Schriftliche Beschwerden, Berufungsaus-
schüsse ersetzen hier das Handeln um den Preis. Man erhält für sein Erzeugnis eine Ge-
schäftsmarke und ein Beschwerdebuch. In der Geldwirtschaft ersetzt das Handeln um
den Preis das Beschwerdebuch und die Berufungsausschüsse: Alle Streitfragen werden un-
mittelbar durch die Beteiligten erledigt, ohne daß jemals das Gericht angerufen wird. Ent-
weder der Handel zerschlägt sich oder er ist - ohne Berufungemöglichke it - rechtsgültig.
Hierin liegt der Unterschied zwischen Marke und Geld.
Der Umstand, daß man das Geld ebenso wie die Geschäftsmarken aus beliebigem Stoffe
herstellen kann, und daß der Stoff des Geldes, wie der der Marken keinen Einfluß auf die
Preise ausübt (sofern der Geldstoff nicht die Geldmenge beeinflußt) hat verwirrend auf
viele Köpfe gewirkt und besonders stark zu dem hier behandelten Trugschluß beigetragen.
Namentlich in letzter Zeit hat dieser Trugschluß wieder zahlreiche Opfer gefordert. Ben-
dixen, Liefmann, nebst zahlreichen Schülern von Knapp sind ihm verfallen. Eigentlich
sind nur diejenigen Forscher gegen diesen Wahn gefeit, denen sich das Dasein des Geldes
geoftenbart hat (siehe vorigen Abschnitt).

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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.