Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.18. Ist der Bürger- und Völkerfrieden vereinbar mit der Goldwährung?


In jedem Lande gibt es eine Kriegspartei, d. h. Leute, die auf Grund von Beobach-
tungen, Forschungen, eigenen oder fremden Theorien oder sonstwie zu der Meinung
gelangt sind, daß der Bürger- und Völkerfrieden eine Schwärmerei sei. Wer aber nicht
an den Frieden glauben kann, glaubt notwendigerweise an den Krieg und wirkt für
den Krieg durch sein ganzes Tun und Lassen. Wenn er auch kein eingeschriebenes
Mitglied der eigentlichen Kriegspartei ist, so kann man ihn doch als Mitläufer rechnen.
Es ist dabei durchaus nicht nötig, daß der Betreffende etwa den Krieg wünscht und
Freude bei seinem Ausbruch empfindet. Es genügt, daß er an die Unvermeidlichkeit
der Kriege glaubt; der Rest kommt dann ganz von selbst. Hier geht es genau so zu
wie im Altertum, wo die Vorkehrungen gegen das von den Orakeln angekündigte Unheil
notwendigerweise das Unheil herbeiführen mußten. Als man im Mittelalter das Ende
der Welt für den folgenden Herbst verkündete, kam wirklich über weite Landstriche
der Weltuntergang, weil man es für überflüssig gehalten hatte, die Äcker zu bestellen. Und
ähnlich geht es auch noch bei uns zu, wo der Glaube an eine Wirtschaftskrise die Unter-
nehmer davon abhält, die geplanten Werke auszuführen und sie bestimmt, ihre Arbeiter
zu entlassen. Der Glaube an die Krise wird zur unmittelbaren Ursache ihres Ausbruchs.
Allgemeiner Kriegsglaube und Kriegsausbruch fallen zeitlich zusammen.

Darum wiederhole ich: wer nicht an den Völkerfrieden glauben kann, wirkt im Sinne
der Kriegspartei und ist ihr zuzurechnen. Er rüstet, er bestärkt durch seine Reden,
seine Lehrsätze die Zweifelnden im Glauben an den Krieg.

Man kann die Angehörigen der Kriegspartei in vier Gruppen einteilen, d. h. in Leute,
denen der Krieg erscheint als:

Will es der Zufall, daß hüben und drüben der Grenze an einem unglücklichen Tag
die Ansichten über den Zeitpunkt des Kriegsausbruches übereinstimmen, so bilden
diese vier Gruppen der Kriegspartei vereint eine Macht in jedem Staate und die Vor-
kehrungen, die sie treffen, mögen an sich schon genügen, den Krieg zu entfesseln. Dabei
soll hier nochmals betont werden, daß die Anhänger dieser vier Gruppen der Kriegs-
partei durchaus keine Raufbolde zu sein brauchen, daß sie sogar persönlich von Friedens-
wünschen triefen mögen. Sie wirken nur darum für den Krieg, weil sie an den Frieden
nicht glauben können.

Ich muß es mir hier versagen, die Theorien und Meinungen dieser vier Gruppen der
Kriegspartei einzeln zu erörtern und ihre Hohlheit nachzuweisen. Ich werde mich nur
mit der Gruppe 4, die den Krieg als ein Allheilmittel gegen wirtschaftliche Not be-
trachtet, beschäftigen können. Sie ist übrigens die weitaus größte und einflußreichste
der genannten vier Gruppen; ihre Bekämpfung und mögliche Auflösung ist eine um so
dankbarere Aufgabe, als ohne die Unterstützung dieser Gruppe die anderen drei zur
Ohnmacht verurteilt sind. Es schaut aus der Bekämpfung und Besiegung dieser Gruppe 4
für das Friedenswerk aber noch mehr heraus, insofern als die drei anderen Gruppen
mit ihren Beweismitteln für ihre Leitsätze sehr stark auf die Rüstung der Gruppe 4 an-
gewiesen sind. Gelingt es also, die Gruppe 4 zu entwaffnen und zur Strecke zu bringen,
so schwächen wir damit auch alle übrigen.

Zum besseren Verständnis für diesen Satz möge noch folgendes dienen: der Glaube
an die Schlechtigkeit der Welt, der das Wesen der Gruppe 1 und 2 ausmacht, entstammt
einer schwarzseherischen Lebensauffassung, und man weiß, wie sehr diese Lebensauf-
fassung durch äußere Verhältnisse bei den meisten Menschen gefördert wird. Wenn es
den Menschen wirtschaftlich schlecht geht, wenn die Dividenden ausbleiben, wenn der
Arbeiter sich umsonst nach Arbeit umsieht, wenn der Kaufmann, über sein Hauptbuch
gebeugt, darüber sinnt, wie er das Geld für fällige Wechsel beschaffen soll - dann feiert
die Schwarzseherei das Erntefest. Dann spricht man vom Tal der Tränen, dann füllen
sich die Klöster, dann ist der Krieg nötig zur Züchtigung und Besserung des sündigen
Menschengeschlechts. Alles, was in solchen Zeiten das Völkchen treibt, erscheint als
Sünde und Schmutz, wie bei trübem Wetter uns auch alles schmutzig erscheint.

Im Grunde genommen sind es also dieselben Leute, die auch die Gruppe 4 ausmachen,
nur mit einem religiösen Einschlag. Der Anstoß zu ihrem Schwarzsehen kommt von
den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen her, und die geheimnisvollen religiösen
Folgerungen, die sie aus den schlechten Zeiten ziehen, stehen und fallen meistens mit
den schlechten Zeiten selber. Damit sie von ihrem Pessimismus bekehrt werden, brauchen
sich in der Regel nur ihre wirtschaftlichen Zustände zu bessern. Sind die wirtschaftlichen
Verhältnisse befriedigend, finden die jungen Männer Arbeit und Verdienst, der ihnen
gestattet, einen eigenen Hausstand zu gründen, gehen bei den Alten die Töchter ab
wie frische Semmeln, dann soll mal jemand vom Tal der Tränen reden und von der
Notwendigkeit eines Krieges als Zuchtrute für die verderbte Menschheit. Man lacht
ihn einfach aus.

Ähnlich geht es auch bei vielen Leuten der Gruppe 3, die den Krieg aus biologischen
Gründen als ein Stahlbad, als ein Mittel schärferer Auslese betrachten. Länger an-
haltende wirtschaftliche Not, Wirtschaftskrisen sind in ihrer Wirkung gleichbedeutend
mit Entartung. Arbeitslosigkeit, schlechte Kost, schlechte Kleidung, schlechte Seife,
schlechte Wohnungen, schlechte seelische Verfassung reiben die Menschen auf. Das
kann niemand vertragen, ohne Schaden zu leiden. Dauert die Not an, etwa wie in der
Zeit von 1873 bis 1890, dann kann der Fachmann die Entartung mit Meßwerkzeugen
mancherlei Art wissenschaftlich feststellen und sogar mit der Verbrecherstatistik ge-
radezu in Prozenten nachweisen.

So ziehen also auch die biologisch geschulten Kriegsanhänger gewichtigen Beweis-
stoff aus den wirtschaftlichen Mißständen.

Daß es sich dabei nur um Trugschlüsse handelt, daß der Krieg das Gegenteil von
dem·fördern wird, was die Gruppen 1 bis 3 der Kriegspartei vom Stahlbad erwarten,
ist ohne wirksame Bedeutung. Es genügt, daß sie es glauben. Sobald man sich bei seinem
Tun und Reden von einer Theorie leiten läßt, kommt es für die Handlung gar nicht
mehr darauf an, ob die Anschauung von Gesunden oder von Wahnsinnigen stammt.
Wirft jemand dir einen Stein an den Kopf, so ist der Trost recht gering, daß sich der
Steinwerfer im Ziel geirrt hat.

Gelänge es darum, den Ursachen der wirtschaftlichen Not und Mißstände auf die
Spur zu kommen; so würden wir nicht allein die mächtigste der vier Gruppen der Kriegs-
partei auflösen, sondern auch noch darüber hinaus die anderen drei Gruppen bis zur
Ohnmacht entwaffnen.

Wie entsteht nun eigentlich die wirtschaftliche Not, worauf sind die wirtschaftlichen
Mißstände zurückzuführen? Der Beantwortung dieser Frage will ich mich jetzt zu-
wenden.

Alte Mären (1) erzählen uns von einem fabelhaften goldenen Zeitalter. Don Quijote de
la Mancha beschreibt dieses Zeitalter als eine Zeit, wo man noch nicht zwischen Mein
und Dein unterschied. Für ihn war das goldene Zeitalter die Zeit des Kommunismus.
Und er sagt auch, daß man jenes Dorado nicht darum so nannte, weil man damals das
Gold, "das man in dieser eisernen Zeit so hoch schätzt", mit weniger Mühe erwerben
konnte, sondern weil damals allen Menschen die Naturschätze zur freien Verfügung
standen.

Ich halte diese Auffassung des sympathischen Philosophen für falsch. Ich glaube im
Gegenteil, daß man das goldene Zeitalter unmittelbar mit der Einführung des Goldes
als Tauschmittel, als Geld, in Verbindung zu bringen hat. Das Gold war das erste,
einigermaßen den Bedürfnissen des Handels und der Arbeitsteilung gerecht werdende
Tauschmittel.

Mit der Einführung dieses Geldes konnte sich die Arbeitsteilung viel freier entfalten.
Der Tausch der Güter vollzog sich vergleichsweise viel sicherer, schneller und billiger,
als mit irgendeiner anderen der Geldarten, die bis dahin in Gebrauch gewesen waren.
Es würde aber vollkommen zur Erklärung jener Mär vom goldenen Zeitalter genügen,
wenn durch Einführung einer besseren Geldwirtschaft die Arbeitsteilung damals eine
Förderung erfahren hätte. Denn in der Arbeitsteilung liegen ja allein die gewaltigen,
fortschrittfördernden Kräfte denen die Menschheit ihre Erhebung über den Tier-
zustand verdankt. Solange die Arbeitsteilung wegen Mangels an einem brauchbaren
Geldwesen sich nicht entfalten konnte, waren die Menschen allgemein auf das ange-
wiesen, was sie mit eigenen Händen aus den Stoffen herstellen konnten, die sie in ihrer
nächsten Umgebung fanden. Das Leben, das sie unter solchen Umständen führen
mußten, war im höchsten Grade armselig, tierisch. Hunger herrschte damals ewig, wie
bei den Raubtieren der Wüste. Wir können uns von dieser Armseligkeit am besten da-
durch einen Begriff machen, daß wir annehmen, die Nationalbank hätte bei Ausbruch
dieses Krieges das von den Bürgern verscharrte Metallgeld nicht durch Ausgabe von
Papiergeld ersetzt. Welcher Jammer, welche Not wäre da allenthalben ausgebrochen!
Beseitigen wir in Europa das Geld nur auf drei Jahre, so wird die Hälfte der Einwohner
schon an Not zugrunde gegangen sein. Der Rest würde bald auf die Kulturstufe der
Pfahlbauern zurückgesunken sein, eine Kulturstufe, die im übrigen wohl das Höchstmaß
dessen darstellt, was ohne das Geld als Tauschvermittler zu erreichen ist.

Nehmen wir nun an, daß durch Einführung des Goldes als Tauschmittel das Pfahl-
bautenvolk eines Tages in die Arbeitsteilung hineingezogen worden wäre, so daß sich
jeder von ihnen für irgendein Sondergebiet hätte technisch einrichten und hierin die
Fertigkeit erlangen können, die sich bei der Beschränkung auf ein Gebiet von selbst
einstellt. Wieviel mehr Steinäxte, Fischnetze, Angelhaken hätte nun jeder in der gleichen
Arbeitszeit herstellen können, und wieviel besser wären diese Geräte geworden! Die
Leistungsfähigkeit eines jeden hätte sich verhundertfacht, der Wohlstand aller wunder-
bar vermehrt. Wie viele hätten nun erst die Muße gehabt, über weitere, höhere, wich-
tigere Ziele zu grübeln und zu sinnen! Und wenn sie dann ihre Erzeugnisse gegen alle
die verlockenden Gegenstände hätten austauschen können, die ihnen die Kaufleute aus
fernen Welten zuführten - ob solche Pfahlbautenmenschen jene aufkommende Kultur
nicht als etwas Köstliches bezeichnet haben würden? Und hätten dieselben Pfahlbauten-
menschen späterhin, wenn sie ihren Enkeln von herrlichen alten Zeiten erzählten, diese
nicht als goldene Zeiten bezeichnet, in Erinnerung daran, daß es das Gold gewesen war,
das sie aus der Barbarei auf die Wege der Arbeitsteilung, des gewerblichen Fortschrittes,
des Wohlstandes und der Gesittung gehoben hatte? Dann aber, meine ich, ist das Wort
vom goldenen Zeitalter nicht bildlich, sondern wörtlich zu nehmen. Das Gold schuf
wirklich das goldene Zeitalter.

Aber nein, das kann doch nicht sein, wird hier mancher sagen. Das Gold, das leb-
loseste aller Metalle, das Sinnbild des Todes, kann unmöglich in irgendeiner Weise
tätig in die Geschicke der Menschheit eingegriffen haben. Wie leblos das Gold ist, erkennt
man am Hohenlied der Goldwährungsapostel. Was wird da zum Ruhme des Goldes
nicht alles aufgezählt! Eine schier endlose Reihe von Verneinungen. Das Gold, so singt
das Hohelied, rostet nicht, es riecht nicht, es kratzt nicht, es bricht nicht, es fault nicht,
es schimmelt nicht, es kennt nur ganz wenige chemische Verwandtschaften, es ist nicht
hart, es ist nicht weich, man findet es nicht auf der Straße, überhaupt nur an wenigen
Orten, nur zu wenig Geräten ist es brauchbar, und der Seltenheit wegen, in der es auf-
tritt, ist es nur ganz wenigen Menschen in winzigen Mengen zugänglich. Kurz, von all
den Kräften, die sonst die anderen Stoffe auszeichnen und den Menschen nützlich
machen, besitzt das Gold nur geringe Spuren. Verneinende Eigenschaften sind das
Merkmal des Goldes! Und angesichts dieser Verneinungen leiten wir hier das goldene
Zeitalter vom Gold ab, eine Erscheinung von solch gewaltiger Tragweite?

Diese Frage ist vollauf berechtigt und verlangt eine Antwort. Gewiß ist es so. Das
Gold hat von allen Stoffen dieser Erde die geringste gewerbliche Verwendbarkeit. Unter
allen Metallen ist das Gold das tote Metall. Das aber ist gerade das Eigentümliche am
Geld: weil es sich so mit dem Gold verhält, konnte es besser als irgendein anderer Stoff
für seine Aufgabe als Geld verwendet werden. Weil wir im Golde keine oder keine
nützlichen Eigenschaften entdecken, darum hat es die für die Geldverwendung
durchaus nötige, bestimmte Eigenschaft, allen Menschen gleichgültig zu sein. Je ver-
neinenderer Art die stofflichen Eigenschaften des Geldes sind, um so vorzüglicher wird
es seine Aufgaben als Tauschmittel erfüllen können.

Man verkauft eine Kuh und erhält Geld. Ein einziger Blick wird dem Geld geschenkt,
und dann verschwindet es in die Tasche. Aber nun sehe man sich den Mann an, der
die Kuh heimführt. Gibt er sich mit einem Blick auf die Kuh schon zufrieden? Be-
trachtet, befühlt und betastet er sie nicht von allen Seiten? Entdeckt er nicht alle Tage
neue Eigenschaften an der Kuh, die ihn, je nachdem, himmelhoch jauchzen lassen und
dann wieder zu Tode betrüben? Wenn das Geld uns stofflich nicht so durchaus gleich-
gültig wäre, wenn wir jede einzelne Münze so betrachten würden, wie wir eine Kuh,
eine Axt, ein Buch betrachten - wahrhaftig, um dann eine Summe von 100 Mark zu-
sammenzuzählen, brauchten wir einen ganzen Tag, und dann wäre noch niemand sicher,
ob die Summe nach Menge und Echtheit stimmte. Nur weil wir alle kühl bis ans Herz
hinab dem Geldstoff gegenüberstehen, können alte und neue, gelbe und rote Gold-
münzen gleichwertig nebeneinander laufen. Wie gleichgültig wir alle in dieser Beziehung
sind, erkennt man daran, daß unter 1000 in der Regel nicht einer zu finden ist, der
einigermaßen genau die Goldmenge zu nennen weiß, die der Mark entsprechen soll.
Man erkennt daran, wie glücklich die damaligen barbarischen Völker sich preisen konnten,
daß die Vorsehung für einen Naturstoff gesorgt hatte, der wegen seines Mangels an
Eigenschaften allen Menschen gleichgültig war, der darum auch widerstandslos von
Hand zu Hand ging und dessen Menge einwandfrei, nötigenfalls gerichtlich festgestellt
werden konnte.

In jenen fernen Zeiten·konnte nur ein Naturstoff als Geld in Frage kommen. Die für
die Verfertigung eines Kunstgeldes, des Papiergeldes z. B., nötige Technik sollte ja erst
aus der Arbeitsteilung mit Hilfe des Goldgeldes erstehen. Das Gold war das einzig
mögliche Geld für Menschen, die sich aus der Barbarei mit Hilfe der Arbeitsteilung
erheben wollten.

Wenn nun mit der Erhebung des Goldes zum Tauschmittel der Völker ein allge-
meines Rennen und Haschen nach Gold sich bemerkbar machte, so scheint das wieder
mit unserer Behauptung, wonach die Menschen dem Gold gegenüber gleichgültig sind,
in offenbarem Widerspruch zu stehen. Doch nur scheinbar. Die Morgan, Rockefeller,
Spekulanten und Wucherer, die nach dem Gold rennen und jagen, sind diesem Metalle
gegenüber vielleicht sogar noch gleichgültiger als die anderen. Diese Leute suchen im
Gold das Geld, das Tauschmittel, auf das alle anderen Bürger für den Austausch ihrer
Arbeitserzeugnisse angewiesen sind. Dieses Geld gibt ihnen die Macht, nach der sie
streben. Ein Goldmonopol, wenn das Gold nicht auch Geld wäre, hätte bedeutend weniger
Einfluß hinter sich als ein Silbermonopol, unter dem man sich ja heute auch nichts mehr
vorstellen kann. Aber mit dem Goldmonopol hat Morgan bereits einmal 80 Millionen
schwarze, weiße und rote Amerikaner zur Verzweiflung gebracht. - Das Rennen nach
Gold ist also nichts anderes als Rennen nach Geld. Und dieses Rennen ist überall gleich,
ob das Geld nun aus Gold, Papier oder Kupfer besteht. Darum ist es auch nicht wörtlich
zu nehmen, wenn Goethe sagt: "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles - ach
wir Armen!" Denn sie rennen alle nach Geld. Früher rannte man nach Silber. Judas
verriet seinen Meister um einen Beutel Silberlinge - weil damals Silber Geld war.
Seitdem das Silber entmünzt ist, kräht kein Hahn mehr danach. Und sicher würde Goethe
ausgelacht werden, wenn er heute sagen würde: Nach Silberlöffeln drängt, an Silber-
löffeln hängt doch alles - ach wir Armen!

Wie gesagt, das zu Geld gewordene Gold ermöglichte es den Barbaren, die Arbeits-
teilung einzuführen und sich technisch für die Warenerzeugung einzurichten. Das Gold
war eine Leiter, die es dem Urmenschen gestattete, aus seiner Höhle auf lichtere Höhen
des Menschentums zu steigen. Doch es war eine schadhafte Leiter, und eine schadhafte
Leiter wird um so gefährlicher, je höher man damit steigt.

Es ist heute noch vielen vollkommen rätselhaft, wie fabelhaft schnell die alten Kultur-
völker die höchsten Höhen des Menschentums erklommen hatten. Man staunt über das,
was die Griechen, Römer und ältere Völker vor ihnen in oft verblüffend kurzen Zeit-
räumen geleistet haben. Dieses Rätsel löst das Gold, oder wie wir jetzt schon mit Ver-
ständnis sagen können: dieses Rätsel löst das Geld, und die damit ermöglichte Arbeits-
teilung, deren fortschrittfördernde Kraft niemals hoch genug eingeschätzt werden, nie-
mals überschätzt werden wird. Diese erstaunliche Schnelligkeit der Entwicklung jener
Völker gibt uns den besten Maßstab für die Bedeutung des Geldes. Der Vergleich mit
der Erfindung der Eisenbahn gibt uns nur ein schwaches Bild von dem, was die mit dem
Geld möglich gewordene Arbeitsteilung den Menschen geleistet hat. Das Geld ist die
Grundmauer der Kultur - alles andere ist auf dieser Grundmauer errichtet. Diese alles
überragende Bedeutung des Geldes sagt uns aber auch, was es bedeuten würde, wenn
diese Grundmauer einmal versagte. Alles, was darauf gebaut wurde, stürzt dann wieder
in sich zusammen. Und tatsächlich sanken auch die alten Kulturvölker in das Nichts
zurück, als das Geld oder, wie es hier wieder heißen muß, als das Gold verschwand.
Das Gold hob die Menschheit aus der Barbarei und stieß sie durch sein Schwinden wieder
in die Barbarei zurück.

Denn das Gold wird gefunden. Das einzige Mittel, um Gold für Geldzwecke zu be-
schaffen, besteht im "Finden". Findet man Gold, so ist Geld da, findet man keins, so
ist auch kein Geld da. Zur Zeit der Babylonier, der Griechen, der Römer war man ebenso
auf das Finden des Goldes angewiesen wie noch heute. Die Babylonier machten ihr
Geld nicht, ebensowenig wie wir heute, sondern sie suchten es. Nicht der Bedarf des
Warenaustausches, das Gebot der Arbeitsteilung, der Kultur lieferte den Babyloniern,
Griechen und Römern den Maßstab für die Geldherstellung, sondern der blinde Zufall.
Wurde viel Gold gefunden, so machte man in Babylon viel Geld, genau wie man noch
heute in Berlin, London, Bern viel Geld prägt, wenn man in Alaska viel Gold findet.
Und findet man wenig Gold, so behilft man sich, so gut es geht, mit wenig Geld. Findet
man überhaupt kein Gold mehr, so zieht man sich einfach in die Barbarei zurück: So
wenigstens machten es die Babylonier, Juden, Griechen und Römer, und so würden es
allem Anschein nach auch die europäischen Autoritäten, die Fachmänner, die Finanz-
leute machen. Wegen Mangels an Gold verzichtet man auf die Arbeitsteilung, kehrt zur
Wirtschaftsweise der Hottentotten zurück! So machten es die Völker des Altertums, und
das ist die Erklärung für das rätselhafte Verschwinden dieser Kulturvölker.

Denn vergessen wir es ja nicht, halten wir es klar vor Augen: das Gold wird gefunden,
gefunden, gefunden, und wenn man kein Gold findet, so findet man eben keins. Bei
allen anderen den Menschen nötigen Dingen, da heißt es: wir schaffen sie nach Bedarf.
Heu, Stroh, Goldwährungsliteratur und Werttheorien, alles wird nach Bedarf beschafft.
Aber das Gold, der Stoff zur Herstellung des Geldes, dieser Wiege aller Kultur und
Grundlage staatlicher Kraft, das kann nicht nach Bedarf gemacht werden, das wird
gefunden, wenn man es findet. Denken wir uns, der Präsident der Nationalbank hätte
ein Loch in der Hosentasche und verlöre öfters den Schlüssel zur Stahlkammer. Dann
wäre der Handel des ganzen Landes vom Finden dieses Schlüssels ungefähr ebenso
abhängig, wie er noch heute vom Finden des Goldes abhängig ist. Solange der Präsident
den Schlüssel sucht, stockt alles kaufmännische Leben im Lande, und weil die Völker
des Altertums den verlorenen Schlüssel nicht wieder fanden, gingen sie mit ihrer Kultur
wieder unter. Für die Römer traf das ungefähr um die Zeit des Kaisers Augustus zu,
wo alle Goldbergwerke erschöpft waren und auch die spanischen Silberminen, die bis
dahin den Hauptbeitrag zum Rohstoff der römischen Münzen geliefert hatten, nur noch
sehr spärlich förderten.

Damit setzt der Verfall des Römerreiches ein. Roms Macht war, wie jede dauerhafte
Staatsmacht, eine wirtschaftliche, auf Handel, Arbeitsteilung und Geldwesen aufgebaute
Macht. Wohin das römische Geldwesen gelangte, da konnte sich die Arbeitsteilung ent-
falten, die den Wohlstand schuf. Diesen überall aufkommenden, sichtbaren und auf-
fälligen Wohlstand schrieb man der römischen Herrschaft und Verwaltung zu; er steigerte
so die Werbekraft dieser Herrschaft. Das hielt das Reich zusammen. Als aber die Römer
kein Gold und Silber mehr fanden, da konnten die Römer auch kein Geld mehr prägen.
Das vorhandene Geld verschwand nach und nach, ging verloren oder wurde großenteils
als Bezahlung der Einfuhr aus dem Morgenlande, der keine entsprechende Ausfuhr
gegenüberstand, ausgeführt So mußte denn die Arbeitsteilung, die unter anderem auch
die Heeresrüstung zu liefern hatte, wieder eingestellt werden. Der Wohlstand schwand,
die Steuern wurden immer unerträglicher, und die Kräfte der Auflösung bekamen die
Oberhand im Römerreich.

Die goldene Leiter brach, und das Römerreich stürzte so tief, weil es so hoch auf
dieser verräterischen Leiter gestiegen war. Und heute staunen in der Umgegend Roms
die Geißhirten verständnislos die Trümmer gewaltiger Werke an, die das Gold aus dem
Nichts hervorgezaubert hatte, Roms Glanz war, wie der Glanz Babylons, Griechenlands
und Jerusalems, nur ein Abglanz der im Geldwesen verborgenen, urgewaltigen Kultur-
kräfte.

Was man sonst als Erklärung des Unterganges der Völker des Altertums anführt,
stammt alles aus der mittelalterlichen, unfrohen, klösterlichen Weltanschauung, die
dann zur Herrschaft gelangt, wenn kein Gold gefunden wird, wenn die Arbeitsteilung
eingeschränkt oder aufgegeben werden muß, wenn Elend, Hunger und Unterwürfigkeit
sich breit machen. Es ist nicht wahr, daß die Lasterhaftigkeit der herrschenden Klassen
Roms Untergang verursachten. So mächtig sind keine Menschen, daß das Wohl and Wehe
eines ganzen Volhes auf Jahrhunderte hinaus von ihnen abhinge. Ein gesundes, schaffens-
frohes, reiches Volk, das in der Arbeitsteilung wirtschaftet, läßt sich von entarteten, laster-
haften Männlein nicht lange mißhandeln. Der mit Erfolg wirtschaftende Mensch sagt,
wie die Inschrift der Wechsel, die er unterzeichnet, "Wert in mir selber", er ist stolz
und frei, weil er sich sicher fühlt in seiner Wirtschaft. Noch niemals haben Zwingherren
ihre Herrschaft in Zeiten wirtschaftlichen Gedeihens befestigen können. Man duldet
dann auch keine unfähigen Männer in der Staatsleitung. Mit der Wirtschaft schreitet
alles voran, namentlich die freiheitliche Gesinnung, der Stolz der Völker. Aber wenn
dasselbe Volk die Arbeitsteilung aufgeben und so, nach und nach, wie es in Rom, in
Babylon, in Jerusalem der Fall war, zur Urwirtschaft zurückkehren muß, weil der Geld-
bestand immer geringer wird, wenn der Pesthauch des Trübsinns das ganze Volk erfaßt
und das klägliche Gebaren der Bettler tonangebend wird, dann ist niemand mehr da,
der noch den Stolz und Mut hat, unfähige, verderbte Männer aus ihrer Stellung zu
heben und sich selbst an diese Stelle zu setzen.

Nein, Rom ging nicht an der Sittenverderbnis zugrunde; verderbte Männer gehen
selber an ihrer Verderbtheit zugrunde, doch das Volk hat damit nichts zu tun. Wie oft,
wie oft wären die Völker Europas zugrunde gegangen, wenn die Lasterhaftigkeit der
Fürsten, der herrschenden Klassen dazu genügte. Rom ging mit der Arbeitsteilung unter,
und die Arbeitsteilung ging unter, weil man kein Gold mehr fand.

Es ist darum auch falsch, wenn behauptet wird, das ganze Römervolk wäre entartet
gewesen. Heute nennt man den Kaffee, den Alkohol, den Tabak, die Syphilis als die
Ursachen völkischer Entartung. Ohne diese Gifte können sich unsere Ärzte eine Ent-
artung überhaupt nicht mehr vorstellen. Den Römern aber waren diese Gifte unbe-
kannt. Nur den Wein kannten sie, der sicherlich damals nicht in größeren Mengen
geerntet wurde als heute. Sicherlich aber auch nicht in Mengen, die ausreichend ge-
wesen wären, um ein ganzes Volk zu verderben.

Falsch ist es ferner, wenn man die Germanen für den Untergang Roms verantwortlich
macht. Wir sehen es ja, was dieser Volksstamm leistet. Frohe Tatkraft, ernstes Sinnen,
Streben nach den höchsten Höhen kennzeichnen ihn. Wenn auch die Barbaren (die
Germanen kannten kein Geld und keine Arbeitsteilung) das Römerreich in Scherben
schlugen, warum erstand es nicht wieder unter der Germanenherrschaft? Man sagt
doch sonst, daß das neue Leben besonders kräftig sich auf Ruinen entwickelt. Aber was
sollten die Germanen auf den Trümmern Roms, wenn auch sie kein Gold fanden, um
Geld für die Arbeitsteilung zu prägen? Und ohne Arbeitsteilung können auch Germanen
keine Kultur schaffen. Rom ging an der Geldschwindsucht zugrunde, und diese töd-
liche Pest übertrug sich auf alle Völker, die nach Rom kamen. Aus den Trümmern Roms
konnte kein neues Leben erstehen, auch unter germanischer Herrschaft nicht.

Und so schlief denn Rom anderthalb Jahrtausend bis zur Wiedergeburt, bis zur
Renaissance. Und diese Wiedergeburt ist der größten Erfindung aller Zeiten, der Er-
findung unechter Münzen, zuzuschreiben. Jawohl, es ist so, die Falschmünzerei weckte
Rom, weckte ganz Europa aus dem mittelalterlichen Winterschlaf. Es fehlte der Roh-
stoff, um echte Münzen zu machen, also machte man unechte. Die Künstler, Erfinder
und Kaufherren der Renaissance sind Wirkungen, keine Ursache. Dichter Erfinder
werden zu allen Zeiten geboren. Ist die große Hebamme - Geld - zur Stelle, so ge-
deihen sie, entfalten ihre Kräfte sonst aber gehen sie zugrunde. Die wahre Ursache
der Renaissance lag also tiefer. Sie muß in der Tatsache erkannt werden, daß man im
15. Jahrhundert überall in Europa und namentlich in Italien daranging, das wenige,
von der Römerzeit herübergerettete Geld durch Zusatz von Kupfer zu vermehren und
diesen unechten Münzen trotzdem die volle gesetzliche Zahlkraft zuzumessen. So machte
man aus einem Dukaten deren 3-5-10-50 und mehr, und mit den so geprägten
Dukaten konnten sich alle ihrer Schulden entledigen. Das Jobeljahr der Juden in anderer,
verbesserter Form. Das verfügbare Geld wuchs, es sickerte in breitere Volksschichten.
Die Preise der Waren, die seit Augustus' Zeiten ständig nach unten neigten und den
Handel gefährlich, ja rechnerisch unmöglich machten, zogen jetzt an. Den Kaufleuten,
die es jetzt wagten, einen Wechsel zu zeichnen, stand nicht mehr das Schuldgefängnis
in sicherer Aussicht. Die Preise zogen ja an, folglich lag aller Wahrscheinlichkeit nach
der Verkaufspreis über dem Einstandspreis; dank dem Kupfer, das die Fürsten, natürlich
aus reiner Gewinnsucht, den Münzen zusetzten, war der Handel wieder rechnerisch
möglich. Solange die Fürsten gemeinsame Sache mit den Kippern und Wippern machten
und Schinderlinge auf den Markt brachten, sogenannte Falschmünzerei betrieben,
konnte man sich wieder auf die Arbeitsteilung einrichten, konnte die Welt wieder auf-
atmen. Hier paßte das Wort: der Schinderling war von jener Kraft, die das Böse will
und das Gute schafft. Waren es auch nicht die verderbten Fürsten, die Rom zugrunde
regierten, so waren es doch diesmal die verderbten Fürsten, die Rom wieder aufrichteten.
Der Schinderling gab der Arbeitsteilung wieder Luft, - und was war denn im Grunde
die Renaissance anderes als die Wiedergeburt der Arbeitsteilung? Denn die Arbeitsteilung
ist ja die Grundlage aller Kultur. Dank den Schinderlingen konnten die Dichter und
Maler Käufer für ihre Werke finden, und das regte sie zu immer neuen Schöpfungen
an. Der eigentliche Kunstfreund, der damals alle Pinsel und Meißel in Arbeit setzte,
das war der Schinderling, die neue, künstliche, unechte Münze. Diesem Schinderling
verdanken wir es wahrscheinlich auch, daß Gutenberg einen Kapitalisten für die Aus-
beutung seiner Erfindung gewinnen konnte. Es war zwar "nur" ein Schinderlingskapi-
talist, aber was macht das? Ohne Fausts Geld wäre Gutenbergs Erfindung vielleicht
wieder verlorengegangen, wäre Gutenberg im Schuldgefängnis umgekommen. Die
Schinderlinge verschafften den Waren Absatz, auch den Büchern, und um diesem stei-
genden Bücherverkauf genügen zu können, verfiel Gutenberg auf den Gedanken der
mechanischen Vervielfältigung. Erfinder sind immer da. Sorge man nur für Absatz -
der Rest ist Sache der Technik, die sich noch immer den ihr gestellten Aufgaben ge-
wachsen zeigte.

Da, wie wir zu Anfang gezeigt haben, denen, die Geld brauchen, also Waren ver-
kaufen, der Stoff des Geldes gleichgültig ist, gingen die Schinderlinge von Hand zu
Hand, und je röter die Schinderlinge (durch den Zusatz) wurden - um so schneller
und sicherer gingen sie von Hand zu Hand. Und wo sie umliefen, da wurde gearbeitet,
und die Arbeit, die die Schinderlinge auslösten, war nachher so viel wie die Summe
der Tauschhandlungen, die die Schinderlinge vermittelt hatten. Waren es eine Million
Schinderlinge, die 100mal im Jahre den Besitzer wechselten, so waren 100mal 1 Million
Schinderlinge in Waren erstanden, genug, um eine ganze Stadt in den Ruf des Reich-
tums zu bringen. So stand dann überall der Reichtum der Städte im umgekehrten Ver-
hältnis zur Echtheit der Münzen, zur Ehrlichkeit der Fürsten. Wenn die Fürsten damals
allesamt mit Bruder Martin ausgerufen hätten: "hier stehe ich, ich kann nicht anders",
und hätten das Ansinnen der Münzfälschungen mit Entrüstung von sich gewiesen, wir
hätten keine Renaissance gehabt, und Bruder Martin hätte möglicherweise auch nicht
den Mut zu seiner Rebellion gefunden. Denn zum Umsturz gehört eben etwas mehr
als die Gewissensnot eines einzelnen Mönchleins. Es gehört dazu die ganze Umwelt
eines in der Arbeitsteilung lebenden, schaffensfreudigen, mutigen, freiheitsliebenden
und wohlhabenden Volkes. Bettler sind keine Umstürzler.

Dieses Loblied auf den Schinderling müßte eigentlich in die Forderung ausklingen,
dieses Geschöpf münzherrlichen Schwindels zum Markstein des neuen Zeitalters zu
erheben. Er verdient ja auch diese Ehrung eher als seinen Schimpfnamen. Die Rentner
und Wucherer, die der Schinderling übervorteilte, sind längst zu Staub zerfallen. Aber
die Werke, die der Schinderling ins Leben rief, werden "nicht in Äonen untergehen".
Die tausendfachen Verwünschungen, die dem Schinderling zugedacht worden sind, und
an denen sich seltsamerweise bisher auch die "Nationalökonomen" redlich beteiligt
haben, gehen von privatwirtschaftlichen, nicht von volkswirtschaftlichen Erwägungen
aus. Man sah nur den Schaden, den der Besitzer des Schinderlings durch das stetige
Röterwerden (Preissteigerung aller Waren) erlitt. Diesen elenden, kleinen Schaden.
Den gewaltigen volkswirtschaftlichen Hebel, der in dem Röterwerden lag, übersah man.
Der Schinderling besaß die gütertauschenden Kräfte, auf die es allein beim Geld an-
kommt, wenn man es von der Vogelschau der Arbeitsteilung, des Tausches, der Volks-
wirtschaft, des Geldzweckes betrachtet. Jedenfalls verdient die unechte Münze als Vor-
kämpferin staatlichen Eingreifens in das Geldwesen den Ehrentitel "Markstein der
Neuzeit" eher als die anderen Ereignisse, die man als Anstoß zu jenem mächtigen
Umschwung nennt. Die Entdeckung Amerikas, die Reformation, die Erfindung der
Buchdruckerkunst, des Schießpulvers, die gleichfalls jenen Ehrentitel beanspruchen,
haben aber unmittelbar keinerlei Einfluß auf die Arbeitsteilung und auf den Austausch
der Waren gehabt, während der Schinderling, in gleicher Weise wie noch heute jede
Hochkonjunktur, als Peitsche der Arbeitsteilung angesehen werden muß.

"Mir ist keine Periode wirtschaftlicher Blüte bekannt, die nicht auf einen außer-
gewöhnlichen Zufluß von Gold zurückzuführen wäre", sagte der Berliner Professor
Sombart.

Das Gold kann solchen Einfluß aber nur in seiner Eigenschaft als Geld ausüben, und
Schinderlinge waren auch Geld, wirkten wirtschaftlich genau wie eine entsprechende
Vermehrung des Goldzuflusses.

Wir teilen also die Geschichte in folgende Abschnitte ein:

Mit dem neuen Leben, das sich mit dem Auftreten der Schinderlinge im 15. Jahr-
hundert überall hier und da und dort zu regen begann, fanden wohl auch einzelne Berg-
leute den Mut und den Kredit, um nach Gold- und Silbererzen zu schürfen. Man wirft
niemals mit Speckseiten nach Würsten, und Gold wirft man nicht gerne nach Mutungen
und Schürfungen. Aber Schinderlinge, die alle Jahre röter werden, die gibt man schon
lieber her für ein unsicheres Geschäft. Und wahrhaftig, die Schinderlinge lohnten den
Mut, sie erwiesen sich auch hier als Bahnbrecher des Fortschritts. Man fand, was man
während 1 1/2 Jahrtausenden kaum mehr zu suchen gewagt hatte, man fand Silbererze in
Böhmen, in Sachsen, in Mähren und Ungarn. In Joachimstal wurden 1485 die ersten
Joachimstaler geprägt. Nun regte sich das Leben nicht nur in den Landen der Schin-
derlingsfürsten, sondern auch dort, wo die Fürsten sich an der Schindluderei nicht
hatten beteiligen wollen. Und dann ging das Silbergeld über die Grenzen Deutschlands
hinaus, und wohin es auch gelangte, Segen folgte seinen Spuren. Die Peterskirche in
Rom erstand aus dem Silber deutscher Bergwerke, das die frommen Büßer opferten.
Ohne dieses Silber hätten Michelangelo und Raffael ganz gewiß nicht Gelegenheit gehabt,
ihre Schöpferkraft zu zeigen.

Ob die böhmischen Taler, die Joachimstaler, schließlich nicht auch ihren Weg nach
Spanien fanden und dort dieselben Wunder wirkten? Warum denn nicht - dem Silber
stand ja damals die ganze Welt offen. Nun denn, so ist die Sache ja jetzt geklärt: jene
Schiffe, die Kolumbus im Jahre 1492 in Palos bestieg, sie verdanken ihr Dasein dem
Unternehmungsgeiste, der sich immer noch und überall zeigt, wo Geld hinkommt und
für die Erzeugnisse der Arbeitsteilung den Absatz schafft.

Ich behaupte also, daß die Staaten des Altertums mit ihrem Naturgeld stiegen und
mit diesem Gelde fielen, daß die 1 1/2 Jahrtausend währende mittelalterliche Eiszeit eine
Folge des Geldmangels war, daß die Renaissance von ihren ersten Anfängen an auf
die Schinderlinge zurückzuführen ist, daß die Ausbreitung der Renaissance aber und
die Entdeckung Amerikas Geschenke der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
durch die Schinderlinge erschlossenen deutschen Silberbergwerke waren. (2)

Mit den großen Gold- und Silberfunden, die man in Amerika gemacht hatte, nahm
nun das Mittelalter überhaupt ein Ende. Die Zufuhren von Geldmetall reichten hin,
um ganz Europa der Geldwirtschaft und der Arbeitsteilung teilhaftig werden zu lassen.
Gold schuf die Alte Welt, Gold schuf die Neue Welt. Gold stürzte die Alte Welt, Gold
wird auch die Neue Welt stürzen, wenn. . .

Es würde zu weit führen, hier die mannigfachen Einflüsse auf die Entwicklung Europas
zu beschreiben, die die unregelmäßig und stoßweise erfolgende Goldzufuhr ausübte.
Es möge genügen, hier nochmals zu erwähnen, daß auch in Amerika das Gold immer
nur gefunden wurde. Heute viel, morgen wenig, dann wieder ganze Haufen. Diese stoß-
weise erfolgenden Geldzufuhren machten und machen sich unmittelbar wie Erdstöße
aus dem Erdinnern über die ganze Welt fühlbar. Zwar gingen die Goldfunde nicht
mehr, wie das im Mittelalter der Fall gewesen, fast auf Null zurück, doch gab es lange
Zeiträume durchaus unzureichender Zufuhren, wo dann auch wieder die Menschheit
greisenhafte mittelalterliche Züge annahm und der Fortschritt auf allen Gebieten zum
Stillstand kam. Die letzte dieser Perioden war die Zeit nach 1872, als die Wucherer in
der Gesetzgebung aller Länder die Oberhand gewannen und durch Ausschaltung des
Silbers die Geldherstellung zu ihrem Vorteil zu beschränken verstanden. Es wurde nach
Ansicht der Wucherer, der Rentner, damals zu viel Geld gemacht, das Geld wurde zu
billig. Die Arbeiter und Bauern, sagte man, lebten in Saus und Braus, und das dürfe
nicht sein. Darum fort mit dem Silber, die Preise der Waren sollten herunter, damit
die Rentner mit dem Zinsgeld ein noch schöneres und reicheres Leben führen konnten.
Es wollte aber nun der in diesen Dingen maßgebende Zufall, daß um diese Zeit auch
die Goldfunde stark nachließen. So kam es zu der sogenannten chronischen Krise, die-
bis 1890 anhielt und durch ihre vielfachen Wirkungen auf die Dividenden und Kurse
der Aktienpapiere die genannten Wuchererkreise schwer für ihren Einbruch in das
Budget der Bauern und Arbeiter büßen ließ. Sie hatten über das Ziel hinausgeschossen
und die Hühner umgebracht; die ihnen die goldenen Eier legten.

Nach 1890 stiegen die Goldfunde rasch und bis heute andauernd und halfen wieder
die Preise hochtreiben, die bis dahin zur Verzweiflung der Unternehmer, der Kauf-
leute und der Bauern ständig abwärtsgegangen waren. Es sei hier nur zur Kennzeich-
nung der Unzuverlässigkeit unseres Naturgeldes bemerkt, daß die Geldmetallfunde, die
in den Jahren 1866-1870 über 4 Milliarden Mark (Gold und Silber) betrugen, in den
folgenden fünfjährigen Zeitspannen auf 2 1/2 Milliarden zurückgingen (nach Ausschaltung
des Silbers), und daß sie seitdem auf fast 7 Milliarden gestiegen sind. Also solch gewal-
tigen Zufällen ist die wichtigste unserer gesellschaftlichen Einrichtungen ausgesetzt
innerhalb eines Zeitraumes von nur 30 Jahren! Was würde geschehen sein, wenn die
Goldfunde, die von 1856 bis 1885 ständig zurückgingen, von da ab noch weiter gesunken
wären, statt heraufzugehen? Diese Frage ist doch wohl berechtigt, da es sich ja um
Funde handelt, um Funde, die ganz vom Zufall abhängig sind.

Ein ständiger Rückgang der Geldherstellung übt einen ständig wachsenden Druck
auf alle Warenpreise aus. Dieser erstickt jeden Unternehmungsgeist, er gibt den Schwarz-
sehern recht, die da sagen, daß unter den obwaltenden Verhältnissen Nichtstun das
bessere Unternehmen sei. Gegen den Strom sinkender Preise können Unternehmer und
Kaufleute ebenso schwer vorankommen wie ein Mensch beim Schwimmen flußauf-
wärts. Wer es versucht, wird der Regel nach in die Tiefe gerissen, und sein Unglück
dient anderen als Warnung.

So steht denn schließlich das ganze Volk mit verschränkten Armen da, hungrig
demütig, bettlerhaft in Tun und Gesinnung, und wartet. Auf was warten die Toren?
Darauf, daß Sesam sich wieder einmal auftue und Gold hinauslasse. Und wenn die
Zauberformel zur Öffnung Sesams nicht gefunden wird, dann kommt, so sicher wie
der Tod, die Eiszeit wieder über die Arbeitsteilung, und die Vergletscherung der Kultur-
werke setzt wieder ein.

Für kurzsichtige Menschen mag es ja recht angenehm klingen, wenn sie hören, daß
die Preise aller Waren abwärtsgehen. Sie nennen den Rückgang der Preise eine Ver-
billigung der Lebenshaltung. Aber wer die Zusammenhänge nur einigermaßen durch-
schaut, der weiß, daß niedrige Preise nur für das Schmarotzertum zugleich auch billige
Preise sind; daß im übrigen für alle, die vom Ertrage ihrer Arbeit leben und das Schma-
rotzertum mit ernähren müssen, steigende Preise in Wirklichkeit billige Preise sind.
Im übrigen ist das Wort "billig" ja auch nur ein privatwirtschaftlicher, kein volkswirt-
schaftlicher Begriff. Und hier wird das Geld vom volkswirtschaftlichen Standpunkt
betrachtet.

Anhaltende sogenannte billige Preise bedeuten letzten Endes den Stillstand der Volks-
wirtschaft. Statt Kohlen wirft man mit billigen Preisen Wasser in die Feueressen der
Volkswirtschaft. Bei sogenannten billigen Preisen sind Handel und Gewerbe rech-
nerisch unmöglich.

Das bisher Gesagte zeigt uns, wie schlecht mit dem Gold die Arbeitsteilung gegründet
ist. Aber noch nichts habe ich über die Art gesagt, wie das Gold die Güter verteilt, und
das gehört doch auch hierher. Jedoch würde es über den Rahmen dieses Vortrages
hinausgehen, wenn ich diese Dinge eingehender behandeln wollte. So unangenehm mir
das ist, so muß ich mich hier mit Behauptungen begnügen und mich im übrigen auf
meine Schrift "Die neue Lehre vom Geld und Zins" (3) beziehen, wo diese Behauptungen
eingehend begründet sind.

Dem Gold verdanken wir die Arbeitsteilung und damit auch die Kulturgüter, deren
wir uns erfreuen. Dem Gold aber verdanken wir auch wieder, daß von den geschaffenen
Gütern der bei weitem größte Teil, und zwar das Beste, dem Schmarotzertum verfällt.
Ist doch das Gold der Vater des Kapitalismus. Dank seinen körperlichen (Edelmetall) und
seinen gesetzlichen Vorrechten (gesetzliches Zahlungsmittel) nimmt das Goldgeld eine
Ausnahmestelle ein unter den Gütern, deren Austausch auf das Geld angewiesen ist.
Das Goldgeld ist darum auch zum allgemeinen Sparmittel geworden, und der Sparer
gibt es nicht wieder heraus, es sei denn, daß man ihm einen Zins verspricht. Früh oder
spät verfällt aber alles Geld, das der Staat als Tauschmittel in Umlauf setzt, der Kasse
irgendeines Sparers, so daß wiederum alles umlaufende Geld aus den Sparkassen kommt,
also mit Zins belastet den Markt betritt, um seine Tätigkeit als Tauschmittel zu erfüllen.
Diese Doppelverwendung des Geldes als Tauschmittel und als Sparmittel ist gegen-
sätzlicher Natur und als Mißbrauch des Tauschmittels zu betrachten. Dadurch, daß
dem Güteraustausch nur verzinsliches Geld zur Verfügung steht, wird der Zins Vor-
bedingung der Warenerzeugung überhaupt. Nach Proudhon stellt sich das Geld vor
die Tore der Märkte, der Läden, der Fabriken, jeder "Kapitalanlage" (soll heißen Geld-
anlage) und läßt nichts durch, was der Zins nicht bezahlt oder bezahlen kann.

So kam mit dem Gold und der Arbeitsteilung zugleich der große Friedensstörer, der Zins,
auf die Welt. Die Arbeitsteilung an sich verlangt keinen Zins. Wer sollte da auch Zins
zahlen und weshalb? Die Arbeitsteilung hätte also den Menschen allgemeinen Wohl-
stand bringen sollen, da sie ja kein Vorrecht einzelner, sondern allen Menschen zugäng-
lich ist. Aber aus den Händen des Goldes empfing die Menschheit diese Götterkraft
nur unter der Bedingung des Zinses, und damit auch der Trennung der Menschen in
arm und reich. Als ob neidische Götter der Menschheit den Machtzuwachs nicht
gegönnt, die Unabhängigkeitserklärungder Menschen vom göttlichen Gängelband ge-
fürchtet und dem dadurch vorgebeugt hätten, daß sie nach dem Grundsatz "teile und
herrsche" den Zins als Spaltpilz in die Menschenfamilie eingepflanzt hätten! Das Gold
läßt allgemeinen Volkswohlstand nicht zu. Es streikt, es versagt seine Dienste, wenn es
mit freien Männern zu tun hat. Es will Herren und Knechte; geplagte, überarbeitete
Menschen einerseits und Schmarotzer anderseits. Es liegt ein innerer Widerspruch in
dem Verlangen, daß sich das Gold einem freien, stolzen und wahrhaft selbstherrlichen
Volke zur Verfügung stelle. Goldgeld und ein freiheitliches Volksleben sind unverein-
bar. Gleich am ersten Tage seines Erscheinens setzt das Gold, unter Benutzung der
urgewaltigen Kräfte, die ihm die Menschen durch die Übertragung der Geldeigen-
schaften verliehen, die Trennung der Menschen in Arbeiter und Genießer durch.

Und mit dieser Teilung der Menschheit in eine schwitzende, fluchende, arbeitende
Klasse einerseits und in schmarotzende Genießer anderseits setzt auch die Erziehung
des Menschen zu dem kleinlichen, bösartigen, neidischen Alberich ein, zu dem ver-
brecherischen Wesen, das uns in der Geschichte der Jahrtausende überall auf Schritt
und Tritt begegnet. Das Gold ist wirtschaftlich zu unserm großen Verbündeten gemacht
worden, zugleich wurde es aber auch zum Erbfeind der Menschenfamilie. Das Gold
schafft selbsttätig die wirtschaftlichen Zustände, die der Begründung des Reiches Gottes
auf Erden entgegenstehen. Neben dem Gold kann das Christentum in der Menschen-
familie nicht Fuß fassen. Das Christentum ist recht wohl mit der Arbeitsteilung, mit
einem stolzen, freien, wohlhabenden Menschentum vereinbar. Ist aber diese Arbeits-
teilung auf Gold gegründet, so muß das Christentum den Platz räumen. Und es hat
sich ja auch überall von dort zurückgezogen, wo die Arbeitsteilung Platz gegriffen, und
das ist heute im ganzen Volksleben der Fall. Christentum und Zins sind glatte Wider-
sprüche. Aber Gold einerseits, und Glücksritter, Wucherer, Schmarotzer, Verbrecher,
Zuchthäuser, Empörung und Gewaltsamkeiten anderseits, kurz, Gold und Zins, das
paßt zusammen.

Das Gold also stellt sich der Arbeitsteilung nur um den Preis des Bürgerfriedens
zur Verfügung.

"Ehret Lykurg", sagte darum auch Pythagoras vor 2 1/2 Jahrtausenden, "ehret ihn, denn
er ächtete das Gold, die Ursache aller Verbrechen."

Von Menschen, die im Klassenstaat, unter Herren und Knechten, unter Bettlern und
Almosenspendern, in Wohltätigkeitsbazaren aufwachsen, unter Gesetzen, die viel mehr
darauf zugespitzt sind, den Klassen- und Gewaltstaat, die Vorrechte der Reichen zu
schützen, als dem Wohle aller Bürger zu dienen, können wir nicht den christlichen Geist
erwarten, der nötig ist, wenn wir den Frieden nach innen wie nach außen aufrecht
erhalten wollen. Der Geist der Empörung, der bei den Unterdrückten, bei den schwarzen,
wimmelnden Arbeitermassen überall in allen Staaten herrscht, und der Geist der Ge-
waltherrschaft und Unterdrückung, der in den anderen Klassen in entscheidenden Fällen
regelmäßig die Oberhand gewinnt, schafft selbsttätig die Zustände, die zum Kriege
führen. Der Geist aber des Bürger- und Völkerfriedens muß am häuslichen Herd als
guter Hausgeist herrschen, alle in seinem Bannkreis festhalten, und zwar nicht allein
am Weihnachtsabend, im Kreise der nächsten Freunde, sondern von Jugend an. Den
Keim zur friedlichen Denkungsart soll das Kind an der Mutterbrust einsaugen, sagt
Schiller. In der Art, wie sich Vater und Mutter unterhalten, wie die Geschwister unterein-
ander verkehren, steckt schon ein gut Teil Kriegs- und Friedensrüstung. Und das setzt sich
fort in der Schule, in der Kirche, im Handel, in der Presse, im Amte, in der Volksver-
tretung und im Verkehr mit ausländischen Staaten.

Als Mensch gedeihen kann allein der Wohlhabende unter Wohlhabenden, der Sorgen-
freie unter Sorgenfreien. Reichtum und Armut sind gleichmäßig verkehrte Zustände,
sie gehören nicht in einen geordneten Staat, sie sind mit dem Bürger- und Völkerfrieden
unvereinbar. Friede ist nichts anderes als Freiheit, und frei ist nur der Mann, der für
die Deckung seiner Bedürfnisse sich auf seine eigene Arbeit, seine wirtschaftliche Stellung
verlassen kann. Armut ist eine Kette, und Reichtum ist eine Kette, und der Anblick
von Ketten muß jedem Freien ein Greuel sein. Wo er sie sieht, muß er sie brechen. Das
ist Friedensarbeit. Weg mit den Rentnern, weg mit dem Proletariat, weg mit dem Zins!

Ehe wir nicht den letzten Proletarier zur letzten Ruhe neben dem letzten Rentner
bestatten, gibt es keinen Frieden am Herd, in der Gemeinde, im Staate und im Völker-
leben.

Beseitigen wir den Zins (und die Grundrente), so muß wieder jeder sein Brot im
Schweiße seines Angesichts essen. Die aber, die auf den Ertrag eigener Arbeit für ihr
täglich Brot angewiesen sind, sind friedfertig. Den Beweis ihrer Friedfettigkeit haben
wir schon in der Engelsgeduld mit der sie das Schmarotzertum ertragen. Immer in der
Hoffnung, daß sich die "Gerechtigkeit" doch einmal auf friedlichem Wege Bahn brechen
werde, unterdrücken sie den Geist der Empörung der in ihnen durch den Anblick all
der Unbill, all des Blödsinns stets von neuem entfacht wird. Freilich darf die Bedrückung
gewisse Grenzen nicht überschreiten.

Diesen "friedentriefenden" Geist zeugt die Arbeit, und er stammt letzten Endes von
dem Gefühl der Kraft und Sicherheit, das jeden erfüllt, der sich bewußt ist, für sich
selbst und die Seinen sorgen zu können. Dieses Sicherheitsgefühl ist aber Vorbedingung
für klares Denken und gerechtes Urteilen. Nur der Mächtige, der Starke und Sichere
ist gerecht. Gott ist nur darum gerecht, weil er alle andern an Macht überragt und sich
auf seinem Thron völlig sicher weiß. Lucifer dagegen, der schon einmal am eigenen
Leib die Macht des Stärkeren gespürt hat, sucht sich mit allerlei Tücken durchs Leben
zu schlagen. Und wie Lucifer macht es der Mensch, den der Zinsgenuß, das Leben auf
Kosten anderer, geistig und leiblich unfähig gemacht hat, seine täglichen Bedürfnisse
durch eigene Macht, durch Arbeit zu befriedigen. Immer muß er mit der Empörung
der Zinszahler rechnen, wobei also seine wirtschaftliche Sicherheit außerhalb seines Ichs,
stets gefährdet und gewissermaßen auf Kündigung, in Vorrechten und Papieren liegt.
Ein solcher Mensch verliert ganz selbstverständlich die Fähigkeit, sachlich und gerecht
zu denken gegenüber all den Ereignissen, die sein Dasein als Schmarotzer bedrohen.
Überzeuge man doch einmal einen Floh von der Ungerechtigkeit seines Lebenswandels!
Dem Schwächling (als solchen muß man den Rentner halten) ist selbstverständlich jedes
Mittel recht, womit er seine Vorrechte schützen zu können glaubt. Er wird auch ebenso
selbstverständlich jeden für roh, gemein, verdorben und des Todes für würdig halten,
der seine Vorrechte angreift. Für den Schutz seiner Vorrechte sind ihm alle Mittel heilig.
Not kennt auch hier kein Gebot. Auf die Probe gestellt, gebraucht er alle Mittel, auch
den Krieg!

Haben nicht schon unzähligemal Fürsten Kriege vom Zaune gebrochen als Blitz-
ableiter gegen die Empörung des eigenen Volkes? Und wenn Fürsten das tun, warum
sollen das die Rentner nicht auch tun? Ein Krieg ist das vorzüglichste Mittel, um die
Arbeiterorganisationen zu sprengen, um die Arbeiter gegenseitig zu verhetzen. Fürchtet
man also Gefahr von dieser Seite, warum soll man da, sagt man sich, den Krieg nicht
benutzen? Wozu der Selbsterhaltungstrieb den Menschen befähigt, das sieht man unter
Schiffbrüchigen beim Kampf um die Rettungsboote. Und wie wirksam der Krieg die
Arbeiterorganisationen zu sprengen vermag, das hat dieser Krieg wieder gezeigt. Die-
selbe Internationale, die vor dem Kriegsausbruch zu singen pflegte: "Alle Räder stehen
still, wenn mein starker Arm es will!", sie war zersprengt. Ob sich die Rentner das nicht
gemerkt haben? Das Mittel ist doch sicherlich wirksam. Und die Macht; den Krieg zu
entfesseln, hat man in der Presse, die man zu diesem Zwecke kauft oder gründet. Auch
Zeit und Muße, alles gründlich und von langer Hand vorzubereiten, haben die, die vom
arbeitslosen Einkommen leben. Während die anderen sich müde arbeiten, sitzen die
Schmarotzer im Lehnstuhl und überlegen. Und auch die nötige Rücksichtslosigkeit
kann man hier voraussetzen, die nötige Abgebrühtheit ebenfalls. Wer sich nicht scheut,
die Lebenshaltung breiter Volksschichten durch die Zinserhebung so zu drücken, wie
er es tut, der scheut sich noch weniger, dieselben Leute zur Sicherung seiner bevor-
zugten Stellung gegeneinander zu hetzen. Die Newyorker Börsenräuber, die 1907 den
großen Börsenkrach herbeiführten, und die all die Scheußlichkeiten, all das Elend, die
diesem Krach folgten, mit völliger Sicherheit voraussahen, die ziehen, sobald es sich
"lohnt", auch den Krieg in den Kreis ihrer Umtriebe. Zumal, wenn es sich ums Ganze,
um Sein oder Nichtsein, um eine Entwaffnung der Arbeiterorganisationen handelt.
Kämpfend will der Mensch zugrunde gehen; er zieht ein Ende mit Schrecken dem
Schrecken ohne Ende vor. Und die Gelegenheit zu diesem Schrecken bricht er vom
Zaune, sobald er sich überzeugt hat, daß die Zeit zum Handeln gekommen ist.

Das Gold ist die Ursache aller Verbrechen, sagte Pythagoras, und die Trennung der
Menschenfamilie in sich bekämpfende Gruppen ist auch ein Verbrechen. Das Gold hat
uns den Klassenstaat gebracht, den Bürgerkrieg, der in den Eingeweiden der Staaten
tobt. So wird es wohl auch das Gold sein, das die Völker auseinanderreißt und in Waffen
gegeneinander führt. Sehen wir zu, wie es das zuwege bringt.

Die gewaltigen Kräfte, die ein reichlicher Zufluß von Gold (Geld) in der Volkswirt-
schaft auslöst (geschäftliche Glanzzeit, Hochkonjunktur) sind nicht unbeachtet geblieben
und haben zu mancherlei Vorschlägen und Gesetzen geführt, um diesen Goldzufluß
zu fördern oder um den Goldabfluß zu verhindern. "Merkantilisten" nannte man die
Leute früher, die ihrem Lande auf diese Weise zu helfen suchten. Schutzzöllner nennt
man sie heute. Den "Kampf um die zu kurze Golddecke" nennt man das ganze Treiben.
Die Goldsperre bei Ausbruch dieses Krieges in fast allen Ländern Europas ist der neueste
Ausdruck dieses Wahnes. Die Merkantilisten oder Schutzzöllner sagten: Wareneinfuhr
bedeutet Goldausfuhr, folglich müssen wir, um den Goldbestand unseres Landes zu
heben, die Wareneinfuhr hemmen. Warenausfuhr dagegen bedeutet Goldeinfuhr, folglich
müssen wir die Warenausfuhr mit allen Mitteln fördern. Die gewünschte Hemmung
der Einfuhr erreichen wir durch Einfuhrzölle, und die Förderung der Ausfuhr durch
Ausfuhrprämien (in Deutschland in Gestalt ermäßigter Eisenbahnfrachtsätze für Aus-
fuhrgüter und von Frachtrabatt bei Seetarifen). So locken wir das Gold herein und halten
es fest. Unser Land gedeiht infolge reichlichen Geldumlaufes, der Zinsfuß geht herunter,
und was aus den anderen Völkern wird, denen wir das Gold abluchsen, das geht uns
als "Realpolitiker" nichts an.

Das ist in wenigen Worten der ganze Sinn oder Unsinn der sogenannten Schutzzoll-
politik. Sie ist eine natürliche Folge des Umstandes, daß man das Gold nicht nach Wunsch
oder Bedarf finden kann, sondern auf die Einfuhr angewiesen ist und diese wiederum
vom Zufall der Funde beherrscht wird. Würden die Staaten ihr Geld nach Bedarf her-
stellen, so verlöre der "Kampf um die zu kurze Golddecke " jeden Sinn. Daß die ganze
Sache überdies nur ein Ergebnis oberflächlicher Betrachtung der wirtschaftlichen Vor-
gänge ist und den gewünschten Erfolg niemals haben kann, insofern als das Gold sich
nach eigenen Gesetzen über die Erde verbreitet (ähnlich dem Gesetz der kommuni-
zierenden Röhren), ändert nichts an der Sache selbst.

Nun beachte man, was alles in dem Verhältnis der Völker zueinander durch die be-
schriebene Goldpolitik neu entsteht, was alles durch diese Politik getrübt wird.

Zunächst werden die einzelnen Völker durch den Begriff "Ein- und Ausfuhr" in
Gegensatz zueinander gesetzt. Der Staatsbegriff erhält einen ganz neuen Inhalt. Der
tolle Begriff des "nationalen Wirtschaftsgebietes" erscheint. Bis dahin verschickte man
die Waren überallhin. Man führte sie nicht ein und aus. Ähnlich wie man noch heute
innerhalb Deutschlands, der Schweiz, der Vereinigten Staaten nicht von Ein- und Aus-
fuhr spricht. Man verschickt Waren vom Kanton Neuenburg nach dem Kanton Schwyz.
Aber von der Schweiz schickt man keine Waren nach Deutschland, sondern man "führt
sie aus". Über das Verschicken ganzer Eisenbahnzüge von einem Kanton zum andem
führt man keine Statistik. Von den Waren, die "ausgeführt" werden, geht dagegen jedes
Postpaket in die Statistik über.

So wird die Politik auf unsere Arbeitserzeugnisse übertragen. Die Waren erhalten
ein staatliches Gepräge. Es handelt sich nicht mehr um einen einfachen Austausch der
Produkte. Die Bezeichnung "deutsches Erzeugnis" (made in Germany), von England
gefordert, sollte einen Gegensatz zum "englischen Erzeugnis" (made in England) schaffen.
Da die Völker das Rassengepräge immer mehr verlieren, so wollte man es wenigstens
der Stiefelwichse verleihen, die man von Deutschland erhielt.

Aber Ein- und Ausfuhr kann man sich ohne scharf bezeichnete Grenze nicht vor-
stellen. Bis dahin hatte der Begriff "Staat" nur wenig an unterscheidendem Inhalt. Die
Staaten lagen nebeneinander, wie heute die Dörfer, Marken, Provinzen, Kantone,
Bundesstaaten nebeneinander liegen. Die Völker waren verschieden durch Sprache, Rasse,
Sitten usw., aber ihre Staaten gingen mehr oder weniger ineinander über. Die Überein-
stimmung der Gesetze und der vollkommen ungehinderte Verkehr verbanden die Völker;
nichts trennte sie als höchstens die Fehden der Fürsten. Pack schlug sich und vertrug
sich. Die Landesgrenze war kein Trennungsstrich für die Völker. Kaum wußte jemand
diese Grenze anzugeben. Wirksame Bedeutung hatte sie für niemand. Niemand be-
wachte sie. Von Wert war sie nur für die Fürsten und ihre Nachkommen. Sie war auf
alle Fälle nur mit Kreide gezogen; man überschritt sie, ohne den Fuß zu heben, den
Kopf zu senken, und ohne sich scheu nach allen Seiten umzusehen. Im Grunde ge-
nommen gab es während des Mittelalters nur eine Grenze, und zwar eine religiöse, die
die christliche von der mohammedanischen Welt trennte. Für den Juden und für alle
die, die zugleich Christen und Mohammedaner waren, bestand auch diese Grenze nicht;
ihnen gehörte die ganze Welt.

Sieht man von der Zollgrenze ab, so gehen die Staaten auch heute noch mehr oder
weniger ineinander über, und es besteht der offensichtliche Wunsch dieses Ineinander-
fließen zu fördern. Die Gesetze der einzelnen Länder haben soviel Übereinstimmendes,
daß sich kaum jemand die Mühe gibt, die Gesetze des Landes, wo er sich niederzulassen
gedenkt, zu erforschen. Jeder nimmt als selbstverständlich an, daß sie nicht anders sein
werden als bei ihm zu Hause. Haben doch manche Völker, um sich die Mühe einer
Durchberatung der Gesetze zu ersparen, einfach die Verfassung und die Gesetze des
Nachbarvolkes angenommen. Sind aber die Gesetze zweier Länder gleich, so gibt es
zwischen diesen Ländern auch keine Grenze mehr. Sie fließen wie zwei Wassertropfen
ineinander über. Das Gleiche eint, das Ungleiche trennt und bezeichnet die Grenze.
Zudem gibt es noch Dutzende von zwischenstaatlichen Verträgen, die in sehr wichtigen
Angelegenheiten die Brücke von einem Lande zum anderen schlagen und im Bereiche
ihres Inhalts die Grenze aufheben.

Ohne die Zollgrenze und die Verhetzung, die sie durch die verkehrten und verdrehten
volkswirtschaftlichen Ansichten, die zu den Zöllen führten, schuf, wären die Staaten
heute wahrhaftig kaum voneinander zu unterscheiden.

Aber die Zollgrenze hebt gewaltsam alles auf, was die Völker von Natur aus eint. Die
trennende Gewalt der Zölle allein wiegt alle einenden Umstände auf. Denn der Zoll
greift in die Wirtschaft der Menschen, also gerade in das Gebiet, dem der Mensch in
der Regel 99 % seines Geistes, seiner Kraft, seines Lebens widmet.

Jeder gesunde Mensch erhebt wie Alexander der Große Anspruch auf die ganze Welt.
Mit einem umzäunten, umgrenzten Stück ist ihm nicht gedient. Er hält die Welt nicht
für einen zoologischen Garten, wo die Völker, durch bunte Eisenstäbe voneinander
getrennt, in Einzelllaft leben sollen. Die Kugel, die da im weiten Bogen um die Sonne
kreist - das ist des Menschen Heimat. Diese Heimat will ihm aber der Zoll streitig
machen. Das ist Unsinn, das ist Krieg.

Sobald ein Volk das Land, das es besetzt hält, für sich allein beansprucht und abzu-
schließen sucht (sei es auch nur mit dem merkantilistischen Zweck der Goldanhäufung),
so wird im Menschen Alexander der Große wach, dann sinnt er, wie er diesen Teil
seines natürlichen Erbes mit Gewalt wieder an sich reißen kann. Denn die ganze Erde,
von Pol zu Pol, ist sein Erbe. Jeder Mensch betrachtet sich bewußt oder unbewußt als
Kronprinz der Welt. Und kann er die Erde nicht ganz haben, so will er wenigstens einen
möglichst großen Teil an sich reißen und ihn sich und seinen Nachkommen mit allen
Mitteln sichern. Dann kommt ihm der Gedanke der Eroberung, des Krieges; ein Ge-
danke, der sonst dem Arbeiter vollkommen fernliegt. Aber dieser Gedanke kommt, so
sicher wie der Tod, sobald der Mensch für sich oder seine Erzeugnisse irgendwo auf
eine Grenze stößt. Wenn es keine solche Grenze gäbe, welchen vernünftigen Sinn könnte
da noch eine Eroberungspolitik haben? Wer würde dabei noch etwas gewinnen und
was? Geht man nicht geradezu auf Raub und Sklaverei aus, so hat die Eroberung eines
Gebietes nur den einen vernünftigen Sinn, es dem eigenen Zollgebiet einzuverleiben.
Dieses Zollgebiet sucht jeder nach Kräften zu erweitern.

Zoll - Krieg - Eroberung sind also ein und derselbe Gedanke. Mit dem Wegfall des
Zolles gibt es in der Welt kein Gebiet meht, das man erobern könnte. Der Wegfall des
Zolles verwirklicht die Pläne Alexanders. Jeder ist dann im Vollbesitz der Welt und
schaut von seinen Ballen und Fässern mitleidig auf die kleinen Könige dieser Welt
herab. Als Karl der Große und später Karl V. ihre Reiche zerstückelten, hat sich aus
dem Volke niemand dagegen erhoben. Die Zerstückelung war nur ein äußerlicher Vor-
gang und berührte die Völker nicht. Wenn aber heute irgendein König ein einheitliches
Zollgebiet in mehrere selbständige Gebiete zerlegen wollte, so würde das ganzeVolk
diese Teilung auf das empfindlichste wahrnehmen und solche Teilung untersagen. Im
Sezessionskrieg der Vereinigten Staaten waren es nur wirtschaftliche Belange, die die
Trennung verhinderten. Hätte man damals in der Welt noch keine Zölle gekannt, so
würden die Nordstaaten sich vielleicht über die Abtrennung der Negerstaaten gefreut
haben. Auf alle Fälle hätte man gegen die Trennung keinen Widerstand geleistet -
ähnlich wie sich Norwegen und Schweden ohne große Schwierigkeiten trennten, weil
die bis dahin bestandene staatliche Gemeinschaft beschränkter Art war und beide Länder
schon vorher verschiedene Zollgebiete bildeten. Es sind also wirtschaftliche Interessen,
die die Staaten zusammenhalten. Und diese Belange werden künstlich durch das Zoll-
wesen geschaffen. Wäre der Zoll nicht da, auch die Furcht vor künftigen Zöllen nicht,
so gäbe es keine wirtschaftlichen Grenzen, folglich auch keine wirtschaftlichen Gegen-
sätze; der Begriff "nationales Wirtschaftsgebiet" würde aus der Welt geschafft, und eine
Erweiterung des Wirtschaftsgebietes wäre nicht mehr möglich, weder durch Verträge
noch durch Eroberung, weil das Wirtschaftsgebiet jedes Landes, jedes Volkes, jedes
Menschen ohne weiteres die ganze Welt bereits umfassen würde.

Es ist recht schön und fromm, dem Kriege aus dem Wege zu gehen. Um ihm aber
unter allen Umständen aus dem Wege gehen zu können, muß man begründete Hoffnung
haben, daß in absehbarer Zeit die Zölle, als gegen das Völkerrecht verstoßend, in der
ganzen Welt spurlos ausgerottet werden. Wenn dann noch ein Volk Zölle einführt, so
muß es wissen, daß es sich damit auf Kriegsfuß mit der übrigen Menschheit setzt und
die Gegenmaßnahmen der ganzen Welt wird erwarten müssen. Wenn aber die heutige
geistlose und widerspruchsvolle Zollpolitik aufrecht erhalten werden soll, so ist der Ruf
"die Waffen nieder!" sinnlos. Es gibt noch Schlimmeres als Krieg.

Man hat soviel von der Freiheit der Meere gesprochen, und es ist gewiß gut, daß
man auch die Meere den Menschen frei macht. Viel wichtiger aber als die Freiheit der
Meere ist die Freiheit des Landes. Und da empfinde ich es geradezu als eine Verhöhnung
des Menschen, wenn Präsident Wilson nur von der Freiheit des Meeres zu reden weiß
und nicht von der Freiheit des Festlandes. Keinem Volke sollen auf das Gebiet, das
es besetzt hält, ausschließende Rechte zugebilligt werden. Den Mongolen sollen die
Häfen der Vereinigten Staaten geöffnet werden, die Güter der ganzen Welt sollen dort
freien Zutritt haben, wie auch umgekehrt den Amerikanern die Welt geöffnet werden
soll. Unsere Vorfahren haben doch Amerika nicht etwa entdeckt und besiedelt, damit
sich das Land von der Welt abschließen soll. Allen Menschen ist die Erde als Tummel-
platz angewiesen, allen unter den gleichen natürlichen Bedingungen. Und wer sich dann
auf diesem Platze als der Tüchtigste erweist, der soll hoch leben und seine Art vermehren.

Und zu dieser unbedingten Freiheit der Meere und der Länder werden wir auch
gelangen, sobald wir uns erst vom Gedanken befreit haben, daß wir Gold für unser
Geld brauchen und daß, wenn dieses Gold nicht in ausreichender Menge gefunden wird,
wir es uns gegenseitig durch den "Kampf um die zu kurze Decke" abschwindeln müssen.

Ich will mit dieser Kritik der Goldwährung hier schließen. Vieles, und vom währungs-
technischen Standpunkt auch Gewichtigeres, wäre noch zu sagen, was gegen die Bei-
behaltung dieser Unglückswährung spricht. Wer mehr wissen will, der studiere das
vorhin erwähnte Buch. Dieser Vortrag soll überhaupt erst einmal die Aufmerksamkeit
weiterer Kreise, und namentlich die der Friedensfreunde, auf den allgemeinen Stören-
fried, genannt Goldwährung, lenken und ihnen zeigen, wo sie mit ihrer Tätigkeit ein-
zusetzen haben, wenn sie gründliche Arbeit leisten wollen. Alles, was die Friedens-
freunde tun, ist gut und lobenswert. Aber ungleich wirkungsvoller wäre ihre menschen-
freundliche Tätigkeit, wenn sie ihre Aufmerksamkeit mehr den wirtschaftlichen Ursachen
der Kriege zuwenden wollten, und namentlich nicht immer nur von Völkerkriegen,
sondern auch vom Bürgerkrieg, der seit 3000 Jahren ununterbrochen tobt, reden wollten.

Es hat sich vor einiger Zeit in der Schweiz unter dem Namen: "Schweizer Freiland-
Freigeld-Bund" eine Gesellschaft gebildet, die dem Völkerfrieden dadurch die Wege
ebnen will, daß sie zunächst einmal im eigenen Lande die wirtschaftlichen Grundlagen
für einen echten Bürgerfrieden zu schaffen sucht. (4)

Beseitigung des arbeitslosen Einkommens, Schaffung des Rechtes auf den vollen Arbeits-
ertrag, das ist die Bedingung, die der Bund für die Verwirklichung der Friedensträume
stellt. Beseitigung des Goldes und seine Ersetzung durch ein nach wissenschaftlichen
Grundsätzen zu verwaltendes Papiergeld - das ist die erste Forderung. Die zweite
Forderung lautet: Rückführung des Bodens in den Gemeinbesitz des Volkes - eine
Sache von ebenso einschneidender Wirkung - von der aber hier nicht mehr gesprochen
werden kann.

Hier im Programm des "Freiland-Freigeld-Bundes" liegt wahre, bedächtige, tief-
gründige Friedensarbeit. Hier wird wirklich einmal gründlich abgerüstet. Denn die
Kriegsrüstung besteht heute weniger in Festungen und Schiffen als in den faulen wirt-
schaftlichen Zuständen. Was heißt auch abrüsten? Der Mensch kommt gerüstet zur
Welt. Schneidet man ihm die Nägel, feilt man ihm die Zähne ab, so erwürgt er seinen
Gegner. Und lieferte nicht der unschuldige Hanf die Stricke und Rüstung des empörten
Pariser Proletarists? Kain holte sich die Rüstung vom dürren Ast einer Eiche. Die
Rüstung an sich führt nicht zu Kriegen. Der Grund der Kriege liegt tiefer. Wer wirklich
abrüsten will, der muß die Menschheit von den Fesseln befreien, in die die Menschen
durch das Gold geschlagen wurden.

Das Gold, sagte Pythagoras vor 2 1/2 Jahrtausenden, ist die eigentliche Ursache aller
Verbrechen. Hierzu gehören auch die Kriege.

Darum, wer für den Bürger- und Völkerfrieden wirken und Ersprießliches leisten
will, der unterstütze die Bestrebungen des "Freiland-Freigeld-Bundes", der trete diesem
Bunde als Mitglied bei.

Lots Weib schaute rückwärts und erstarrte zu Fels beim Anblick des Grausens. Und
allen Menschen geht es noch heute ebenso, die rückwärts schauen; sie versteinern oder
verknöchern, werden zu Krustentieren, zu Rüstungsagenten, zu Militaristen. Denn
Grausen erfüllt jeden, der in der Geschichte der Menschenkultur liest. Greuel, nichts
als Greuel und Untergang. "Rüste, rüste, panzere dich, sonst wirst du erschlagen! Sieh
die Ruinen Babylons, Ninives, Jerusalems, Roms! Der ewige Krieg liegt in der Natur des
Menschen begründet! Babylon stände noch heute, groß und herrlich, wäre es gerüstet,
militärisch besser gerüstet gewesen!" - So redet, wenigstens scheinbar, die Geschichte.

Kopernikus und Galilei haben uns gezeigt, wie der Schein trügen kann.

Daß er auch die betrogen hat, die bislang die Zeichen der Geschichte zu deuten ver-
suchten, war ein unermeßliches Unglück. Wie eine falsche Zeichendeutung unter Um-
ständen wirkt, haben wir in Rom gesehen, als Galilei nachwies, daß die Sonne sich nicht
um die Erde drehe. Die Ewige Stadt erbebte in ihren Grundmauern. Und doch handelte
es sich damals nur um eine astronomische Frage von rein geistiger Bedeutung. Wie
werden aber erst die Grundlagen unseres gesamten Denkens und Handelns erschüttert
werden, wenn einmal die Erkenntnis sich Bahn bricht, daß die Geschicke der Mensch-
heit nicht um Mars, sondern um Merkur kreisen!

Die merkantilistische Erklärung des Unterganges der Kulturvölker des Altertums
wird uns auf allen Gebieten neue Bahnen weisen, in erster Linie auf dem Gebiete der
Friedensfreunde. Denn der Mensch braucht die Geschichte; sie ist die große Lehr-
meisterin - wenn man ihre Sprache versteht. Der Rückblick wird zum Ausblick. Die
Erfahrung ist das beste Orakel. Nach dem, was die Geschichte lehrt, stellt der Mensch
sein Verhalten ein auf allen Gebieten. Wie macht's zum Beispiel der Pionier, der ferne
Welten aufsucht? Als erstes erforscht er die Pflanzenwelt, deren Überbleibsel er in der
Ackerkrume findet. Dann erkundet er die Witterungsverhältnisse und sieht sich um
nach den Überbleibseln früherer Heereszüge. Wie mancher Eingewanderte mag schon
am Ufer eines sanft durch die Fluren sich schlängelnden Flusses sorglos sich angebaut,
gerodet, gepflügt haben, bis ihn von ungefähr ein daher ziehender Indianer auf die hoch
über seinem Kopfe in den Zweigen einer Pappel hängenden dürren Binsen aufmerksam
machte. Diese Binsen sind unserem Pionier das, was die Ruinen Babylons unsern Staats-
gründern sein sollten; sie sagen ihm, daß der Schein ihn betrogen, daß das sanfte
Flüßlein bei der Schneeschmelze im Gebirge zum alles verheerenden Riesenstrom wird.
Entsetzt bricht er sein Zelt ab und flieht, ohne sich umzuschauen, wie Lot beim
Untergang Sodoms.

Der Mensch ist verloren, wenn er die Geschichte nicht zu Rate zieht, die Zeichen
nicht deutet. Er ist aber erst recht verloren, wenn er die Zeichen falsch deutet. Und das
haben wir getan. Der Schein hat uns betrogen. Unser geschichtlicher Wegweiser wies
auf die Notwendigkeit der Rüstung hin, und die Rüstung brachte uns den Krieg. Die
Zeichendeuter wiesen auf die Notwendigkeit des kriegerischen Geistes zum Schutze des
Staates hin, diesen Geist flößten wir der Jugend ein, und der kriegerische Geist brachte
uns den Krieg, gegen den wir uns doch nur schützen wollten.

Wie anders wäre es geworden, wenn wir dem Scheine, der Oberfläche mißtrauend,
ein wenig nur in den "Kjökkenmöddingern" der Kultur gekratzt, geschürft hätten! Wie
bald wären wir da auf eine der Tafeln gestoßen mit der Inschrift: "Die Goldwährung
ist die Räuberhöhle, der der Pesthauch der Bürger- und Völkerkriege entsteigt. Die
Goldwährung entwaffnete mich, so daß ich dem Ansturm der Barbaren nicht wider-
stehen konnte. Das Gold rief mich ins Dasein, doch die große Kindsmörderin vernichtete
das keimende Leben. Ehret Lykurg! er ächtete das Gold, die Ursache aller Verbrechen."


(1) Es wäre mir leicht gewesen, den wirtschaftlichen Zuständen vor Kriegsausbruch die
Beweise für meine Darlegung zu entnehmen. Ich zog es aber aus leicht begreiflichen Gründen
vor, in die Vergangenheit zurückzugreifen, der wir alle vorurteilsfreier gegenüberstehen.

(2) Vollständig ruhte der Bergbau selbstverständlich nie. Er war aber unerheblich und
deckte kaum den Abgang an dem, was man vor den genannten Zeiträumen gefördert hatte.

(3) Bildet jetzt Teil III-V dieses Buches.

(4) In Deutschland verfolgen das gleiche Ziel der "Deutsche Freiland-Freigeld-Bund"
und die "Physiokratische Vereinigung", beide mit einer Reihe von Ortsgruppen (jetzt,
1931: Fysiokratischer Kampfbund, Freiwirtschaftsbund und Freiwirtschaftliche Partei
Deutschlands. H. Tm.).-Siehe ferner Anmerkung 4 des Herausgebers im Anhang dieses
Buches.


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Dieser Text wurde im August 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.