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Der Bürgerfrieden ist die Bedingung für jenen Geist,
der uns allein den dauernden
Völkerfrieden bringen kann. Aber der Bürgerfrieden einerseits
und Vorrechte, Zinsen,
arbeitsloses Einkommen anderseits, kurz, Bürgerfrieden und
Rentnertum, sind Gegen-
sätze. Die Renten und Zinsen, das sogenannte Recht auf den
fremde Arbeitsertrag,
müssen, sofern wir uns des Bürgerfriedens und durch
ihn des Völkerfriedens erfreuen
wollen, rest- und spurlos geopfert werden.
Der Völkerfrieden ist nicht so billig zu haben, wie manche
Friedensfreunde sich das
noch immer vorstellen, indem sie uns die Ersparnisse an den Rüstungsausgaben
als
Werbemittel für ihre Anschauung vor Augen führen. Ach,
diese Kriegsrüstungen sind
ja nur ein Pfifferling gegenüber den Kosten der Friedensrüstungen!
Ein Pfifferling, von
dem man in einer so großen Sache nicht reden sollte. In
Deutschland betrugen die
Heeresausgaben in Friedenszeiten nur 1 Milliarde, die Friedensrüstung
aber verlangt
dort die Preisgabe von 20 Milliarden jährlich an Grundrenten
und Kapitalzinsen. Also
das Zwanzigfache.
Gewiß, ein papierner Friedensvertrag ist billiger, aber
was nützen solche Verträge?
Die Verträge mit Belgien und Italien waren auch aus Papier
und haben sich als Papier
erwiesen. Verträge gelten nur, solange sie beiden Teilen
gerecht werden, also solange
man sie nicht braucht und sie eigentlich überflüssig
sind. Sie zerfallen regelmäßig in
ihren Grundstoff, in Papier, sobald die Entwicklung des Vertragsgegenstandes
der einen
Partei nachteilig wird. Die ganze Hohlheit dieser papierenen Verträge
erkennt man sofort,
wenn man versucht, den Bürgerfrieden auf ihnen zu begründen.
Frage man doch die
Arbeiterführer, ob sie vor der Staatsverfassung haltmachen
würden. Eine Verfassung
aber, die uns den Bürgerfrieden dauernd gewährleisten
könnte, muß in den Dingen
liegen. Gerechtigkeit gegen alle Bürger, restlose Beseitigung
des arbeitslosen Einkom-
mens, das ist die Verfassung, die keines Papieres bedarf und die
gegen jeden Verfassungs-
bruch geschützt ist.
Nehmen wir aber einmal den Fall an, daß durch ein System
von Bündnissen und
Verträgen, durch Abrüstung, Schiedsgerichte usw. die
Völker derart aneinanderge-
kettet würden, daß Kriege überhaupt unmöglich
gemacht werden. Solches kann man sich
jedenfalls vorstellen. Aber da fragt man sich: was setzen wir
an die Stelle des Völker-
krieges, dieses altbewährten Sicherheitsventils gegen den
Ausbruch des Bürgerkrieges,
des Weltbürgerkrieges, der der bürgerlichen Gesellschaft
schon öfters in Gestalt des
Generalstreiks angedroht wurde, bisher aber immer noch wegen unzureichender
Streik-
rüstung unterblieb? Die Entwicklung der Dinge nach den in
ihnen liegenden Richt-
punkten duldet keine Unterbrechung, und in Friedenszeiten geht
die Entwicklung
schnell, für die, die sie zu fürchten haben, sogar rasend
schnell vonstatten. Noch ein
oder zwei Jahrzehnte Frieden, und die internationale Arbeiterorganisation
wäre zum
Losschlagen bereit gewesen. Das wäre der Weltbürgerkrieg
geworden, der, genau wie
der jetzt tobende Krieg, in der ganzen Welt, in allen Städten
und Dörfern mit allen
Mitteln bis zum siegreichen Ende, d. h. bis zur Bezwingung des
Gegners geführt werden
wird. An diesem Weltbürgerkrieg entzündet sich aber
so sicher wie der Tod, der Völker-
krieg wieder. Die Dinge verlaufen dann so, daß die Staaten,
deren Proletatiat der Umsturz
der kapitalistischen Ordnung "geglückt" ist und
die zur kommunistischen Wirtschafts-
weise übergegangen sind, infolge der solcher Wirtschaft von
Natur anhaftenden Mängel
bald ins Hintertreffen kommen und dann den Staaten nicht widerstehen
können, die
die Empörung niedergeknallt und die kapitalistische "Ordnung"
gerettet haben.
Denn daß die herrschenden Klassen die Empörung des
Proletariats zur Rettung ihrer
Vorrechte rücksichtslos und blutig zu unterdrücken versuchen
werden, das wird auch
der Hoffnungsselige zugeben.
Was nützen aber, so fragt man, unter derartigen Verhältnissen
die Bemühungen um
den Völkerfrieden? Hat es einen vernünftigen Sinn, für
den Völkerfrieden zu arbeiten
und dabei seine Unterlage, den Bürgerfrieden, unbeachtet
zu lassen? Nennt man das
nicht auf Flugsand bauen? Dachausbesserungen an einem Bau vornehmen,
dessen Grund-
mauern untergraben werden? So, wie die Dinge liegen, bedeutet
der Völkerfrieden ein
bloßes Abdichten der Sicherheitsventile der heute in der
ganzen Welt herrschenden Ge-
sellschaftsordnung, also nur eine Verkürzung der Galgenfrist
bis zum großen Weltbrand.
Ist es nicht im Gegenteil vielleicht besser und menschlicher,
wir lassen die Sicher-
heitsventile unseres Kapitalismus wie bisher weiter arbeiten,
bis wir die Grundlagen
des echten Bürgerfriedens gefunden haben und ein Abkommen
der Eintracht (contrat
social) abschließen, von dem wir sagen können: "es
währet ewig"? Was wir nach diesem
Weltkrieg machen werden, das wissen wir. Der Krieg nimmt irgendein
Ende. Man wird
überall auf Schutthaufen sitzen und sich die Eitergeschwüre
mit Scherben auskratzen.
Doch wir werden auf Grund einer technisch bewährten Wirtschaftsordnung
arbeiten
und infolgedessen leben. Was aber nach Ausbruch des Weltbürgerkrieges
geschehen soll,
darüber machen sich die, die ihn einst entfesseln werden,
keine Kopfschmerzen. Es
geht dann, wie es immer gegangen ist, dem völligen Untergang
entgegen.
Diese Darlegungen bezwecken, alle, die den Frieden auf Erden
herbeisehnen, auf
den bestehenden Zusammenhang zwischen Bürger- und Völkerfrieden
aufmerksam zu
machen und ihnen gleichzeitig im Gold den allgemeinen Störenfried
zu entlarven, den
wir mit gewichtigen Gründen als den Erbfeind der Menschheit,
als die wahre Ursache des
Zerfalles des Volkes in Klassen, des Bürgerkrieges, und letzten
Endes auch der Völker-
kriege bezeichnen müssen.
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