Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.16 Warum die sogenannte rohe Quantitätstheorie dem Gelde gegenüber versagt (1)

Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis der Waren, und das Angebot richtet
sich nach dem Vorrat. Mehrt sich der Vorrat, so wächst auch das Angebot; nimmt der
Vorrat ab, so geht auch das Angebot zurück. Vorrat und Angebot fallen somit in eins
zusammen. und statt: "Angebot und Nachfrage" könnte es ebenso richtig heißen: "Vor-
rat und Nachfrage" bestimmen den Preis. Die Voraussetzungen der Quantitätstheorie
werden durch diese Fassung sogar besser hervorgehoben.

Die Quantitätstheorie, die für alle Waren ohne wesentliche Einschränkung als richtig
anerkannt wird, hat man auch auf das Geld übertragen und gesagt, daß der Preis des
Geldes vom Geldvorrat bestimmt wird; doch hat die Erfahrung gezeigt, daß das Geld-
angebot vom Geldvorrat nicht so beherrscht wird, wie für solche Quantitätstheorie
vorausgesetzt wird. Während der Geldvorrat oft unverändert bleibt, ist das Geldangebot
den größten Schwankungen unterworfen. Der Kriegsschatz in Spandau war in über
40 Jahren nicht einmal angeboten worden, während sonst das Geld jährlich 10 oder
50 mal den Besitzer wechselt. Die Bewahrstellen des Geldes (Banken, Geldschränke,
Strümpfe und Koffer) sind zuweilen überfüllt, manchmal leer, und dementsprechend
ist auch das Geldangebot heute groß, morgen klein. Oft genügt ein Gerücht, um alles
Geld vom Markte und Angebot zurück in die Bewahrstellen zu bringen; oft bewirkt
eine Drahtmeldung, die noch obendrein gefälscht sein mag, daß dieselbe Hand, die noch
eben den Beutel fest zuschnürte, die Märkte des Landes mit Geld überschüttet.

Für das Geldangebot sind die Marktverhältnisse jedenfalls von größter Bedeutung,
und wenn wir eben von den Waren sagten, daß Vorrat und Nachfrage den Preis be-
stimmen, so könnte man vom Gelde ebenso richtig sagen. daß "Stimmung und Nach-
frage" seinen Preis bestimmen. Gewiß, der Geldvorrat ist für das Geldangebot nicht
gleichgültig, denn dieser Vorrat zieht dem Angebot nach oben eine Grenze. Es kann
schließlich nicht mehr Geld angeboten werden als der Vorrat gestattet. Aber während
für die Waren im allgemeinen die obere Grenze des Angebots (d. i. der Vorrat) auch
gleichzeitig die untere bildet, so daß Angebot und Vorrat regelmäßig in eins zusammen-
fallen, ist beim Gelde eine untere Grenze überhaupt nicht zu erkennen, es sei denn,
daß man Null als diese untere Grenze ansehen will.

Ist Vertrauen da, so ist auch Geld da; hat hingegen Mißtrauen die Oberhand, so
bleibt das Geld verborgen. Das ist eine uralte Erfahrung.

Wenn aber - wie diese uralte Erfahrung beweist - das Geldangebot nicht regelmäßig
und ausnahmslos dem Geldvorrat entspricht, so ist auch der Preis des Geldes vom Geldvorrat
unabhängig, und die Übertragung der rohen Quantitätstheorie auf das Geld ist nicht statthaft.

Versagt aber diese Quantitätstheorie dem Gelde gegenüber, so ist auch die Produktions-
kostentheorie nicht auf das Geld anwendbar, denn die Erzeugungskosten können preisbestim-
mend nur mittelbar durch ihren Einfluß auf die Quantität, d. i. derVorrat, wirken, und dieser
Vorrat ist, wie wir sahen, nicht regelmäßig und allein entscheidend für das Geldangebot. (2)

Bei den Waren im allgemeinen verhält es sich so, daß, wenn die Erzeugungskosten
abnehmen, die Erzeugung zunimmt. Mit der steigenden Erzeugung wachsen Vorrat und
Angebot, und mit dem wachsenden Angebot fällt der Preis. Aber bei den Edelmetallen
ist es durchaus nicht gesagt, daß mit dem wachsenden Vorrat auch sogleich das An-
gebot wächst, und noch weniger, daß das Angebot stets dem Vorrat entspricht. Beweis:
die Silberbestände in Washington, der Kriegsschatz in Spandau, die Münzfunde, die
täglich gemacht werden.

Beide Theorien, die rohe Quantitäts- und die Produktionskostentheorie, versagen also
dem Gelde gegenüber, und den Grund, warum sie versagen müssen, hat man in den
Edelmetalleigenschaften des Geldstoffes zu suchen. Der Kriegsschatz in Spandau wäre
längst zu Schutt und Staub vermodert, ohne diese Eigenschaften des Goldes, und auch
die Silberpolitik der Vereinigten Staaten wäre ohne diese Eigenschaften des Silbers nicht
denkbar gewesen. Wenn das Gold gleich den Waren dem Zerfall ausgesetzt wäre, so würde
das Geldangebot stets haarscharf dem Geldvorrat entsprechen; Vertrauen und Mißtrauen
vermöchten das Geldangebot nicht zu beeinflussen. In Kriegs- und Friedenszeiten, bei guter
und schlechter Geschäftslage, stets würde das Geld angeboten werden, niemals würde
sich das Geld vom Markte zurückziehen können. Das Geld würde sogar angeboten
werden, wenn mit dem Umsatz ein sicherer Verlust verbunden wäre, genau wie bei den
Kartoffeln das Angebot nicht davon abhängig ist, ob der Eigentümer einen Gewinn
einheimst oder nicht. Kurz, Vorrat und Nachfrage würden, wie den Preis der Waren
so auch den des Geldes bestimmen.

Der Preis einer Ware, die, wie der Kriegsschatz in Spandau und die Silberbestände
in Washington, jahrzehntelang in feuchten, unterirdischen Verliesen aufbewahrt werden
kann, ohne den geringsten Schaden zu nehmen, deren Angebot nicht einem inneren
Triebe folgt, sondern allein vom menschlichen Ermessen abhängig ist, ist aller Fesseln
ledig. Der Preis einer solchen Ware anerkennt kein wirtschaftliches Gesetz; für sie besteht
keine Quantitäts- und Produktionskostentheorie, für ihr Angebot ist der Profit allein
maßgebend.

Ein solches Geld ist, wie schon Lassalle richtig bemerkt, von Haus aus Kapital, d. h.
es wird nur so lange und so oft angeboten, wie ein Zins (Mehrwert) herausgeschlagen
werden kann. Kein Zins, kein Geld!

Die Beseitigung der hier entlarvten Mängel unseres Geldes fordert eine Umgestaltung
einschneidendster Art (s. den folgenden Teil dieses Buches), die gegen den entschlosse-
nen Widerstand mächtiger Volksklassen durchzusetzen ist und entsprechend starke
Willenskräfte voraussetzt.

Um diese zu wecken, genügt vielleicht die vorangehende Kritik nicht. Darum lasse
ich hier noch einen Vortrag folgen, den ich am 28. April 1916 in Bern hielt.


(1) Neue Literatur über die Quantitätstheorie: Irving Fisher, Die Kaufkraft des Geldes. -
Th. Christen, Die Quantitätstheorie. - Die absolute Währung.

(2) Dr. Georg Wiebe: Zur Geschichte der Preisrevolution des 16. und 17. Jahrhunderts. S. 318:
Die bloße Vermehrung des Geldvorrats kann an sich nicht preiesteigernd wirken; das neu
hinzugetretene Geld muß auch auf dem Markt kaufend Nachfrage erzeugen. Dies ist die
erste Einschränkung, die gegentüber jener Theorie gemacht werden muß.
Hume: Geld, das nicht angeboten wird, hat auf die Preise den gleichen Einfluß, wie wenn
es vernichtet worden wäre.


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Dieser Text wurde im August 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.