Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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3.15. Der Maßstab für die Qualität des Geldes

Bekanntlich bringen die Anhänger der Goldwährung den Aufschwung, den die wirt-
schaftliche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, an sich sowohl wie vergleichsmäßig,
genommen hat, in unmittelbare Beziehung zur Goldwährung. Seht diese Millionen von
rauchspeienden Schloten! Das sind die neuzeitlichen Opferaltäre, auf denen dem Herrn
der Dank des Volkes für die Goldwährung gebracht wird!

An sich hat die Behauptung, daß die Währung einen wirtschaftlichen Aufschwung
erzeugen oder wenigstens ermöglichen kann, nichts Auffälliges. Denn das Geld ver-
mittelt den Warenaustausch, und ohne Warenaustausch gibt es keine Arbeit, keinen
Gewinn keinen Verkehr, keine Hochzeit. Sowie der Warenaustausch stockt, werden
alle Fabriken geschlossen.

Obige Behauptung enthält also durchaus nichts, was von vornherein verblüffen könnte.
Im Gegenteil, man frage die Fabrikanten, die Reeder usw., ob sie mit dem vorhandenen
Maschinen- und Menschenbestand nicht noch mehr Waren erzeugen könnten. Sie werden
übereinstimmend sagen, daß eine Grenze nur durch den Absatz ihrer Waren gezogen
wird. Und den Absatz vermittelt das Geld - oder es vermittelt ihn auch nicht, je nachdem.

Daß in den Verdienstansprüchen der Goldwährung stillschweigend die Behauptung
miteingeschlossen liegt, daß ihre Vorgängerin (die Doppelwährung) den wirtschaftlichen
Aufschwung gehemmt habe, ist an sich auch durchaus nicht verblüffend. Wenn das
Geld den Fortschritt fördern kann, so muß es ihn auch hemmen können. Dem Gelde
werden ganz andere Wirkungen zugeschrieben als nur die Herbeiführung einiger Jahr-
zehnte der Blüte oder des Zerfalls. (1)

In Deutschland klagten die Grundbesitzer seit Einführung der Goldwährung über
den Rückgang der Preise, über die Schwierigkeiten auf die sie stießen, den Zins ihrer
Bodenschulden aufzubringen. Man ist ihnen ja mit den Zöllen zu Hilfe gekommen; aber
wie viele Bauernhöfe würden ohne diese Hilfe unter den Hammer gekommen sein?! Und
wer würde diese Höfe gekauft haben? Es hätten sich Großgrundbesitze gebildet, genau
wie im alten Rom. Und der Großgrundbesitz, die Latifundienwirtschaft, soll doch den
Untergang Roms verursacht haben!

Also, die Behauptung der Goldwährungsleute enthält nichts Auffälliges; nur handelt
es sich um den Beweis. Denn der behauptete wirtschaftliche Aufschwung könnte vielleicht
auch andere Ursachen haben: die Schule, die vielfachen technischen Erfindungen, die die
Arbeit befruchteten, das deutsche Weib, das für einen zahlreichen, gesunden Arbeiter-
stamm sorgte, usw. Kurz, es fehlt nicht an Nebenbuhlern, die der Goldwährung die
Lorbeeren streitig machen.

Also Beweise! Wir brauchen einen Maßstab für die Güte des Geldes! Es handelt
sich hier darum, festzustellen, ob die Goldwährung den Austausch der Waren derart er-
leichtert hat, daß der behauptete wirtschaftliche Aufschwung als eine Folge dieser Er-
leichterung eine genügende Erklärung findet.

Hat nun die Goldwährung den Warenaustausch erleichtert, so muß sich das in einer
Sicherung oder Beschleunigung oder Verbilligung des Warenaustausches zeigen, und diese
Sicherung, Beschleunigung und Verbilligung des Warenaustausches müßte sich in einer
entsprechenden Abnahme der Zahl der Kaufleute zeigen. Das ist klar und braucht weiter
nicht bewiesen zu werden. Verbessern wir die Straßen, die zum Befördern der Waren
dienen, so nimmt die Leistungsfähigkeit der Fuhrleute zu, und bei gleicher Gesamt-
leistung muß deren Zahl abnehmen. Seit Einführung der Dampfschiffe hat sich der
Seeverkehr verhundertfacht, doch hat die Zahl der Seeleute abgenommen; Kellner,
Köche, Diener nehmen heute die Stelle der Matrosen ein.

So müßte es auch im Handel sein, wenn die Goldwährung der Muschelwährung
gegenüber ähnliche Vorteile böte wie die Dampfkraft gegenüber dem Winde, oder wie
der Sprengstoff gegenüber dem Keil.,

Tatsächlich erleben wir aber mit der Goldwährung eine genau entgegengesetzte
Entwicklung:

"In einer Zeit, in der die Vermittlungstätigkeit (also der Handel) in der Gesellschaft
von 3 und 5 auf 11-13%, ja teilweise auf 31 % der Selbsttätigen gestiegen ist, in
der diese Vermittlung (also die Handelsunkosten) einen steigenden Teil der Preise
ausmacht. . .", sagt Prof. Schmoller (s. Die Woche, S. 167, Aufsatz "Der Handel
im 19. Jahrhundert!").

Und so ist es tatsächlich. Der Handel wird nicht leichter, sondern mit jedem Tage
schwerer. Um die Waren abzusetzen, braucht man mit dem goldenen Tauschvermittler
nicht weniger, sondern mehr Leute als früher, und zwar Leute mit besserer Ausbildung
und besserer Ausrüstung. Es geht dies aus der deutschen Berufserhebung hervor.

Im Handelsgewerbe waren beschäftigt:




1882 1895 1907
Personen ................................................... 838 392 1 332 993 2 063 634
auf 100 Gewerbetreibende......................... 11,40 13,50 14,50
Zahl der Gewerbetreibenden ...................... 7 340 789 10 269 269 14 348 016
Zahl der Einwohner ...................................... 45 719 000 52 001 000 62 013 000
Gewerbetreibende auf 100 Einwohner .......... 16 20 23
- davon im Handelsgewerbe.......................... 1,83 2,56 3,32
Verhältnis der Händler zu den Gewerbe-
treibenden .................................................
11,40 12,80 14,50%

Während also die Zahl der Gewerbetreibenden (Industrie, Handel, Landwirtschaft)
von 16 % der Einwohner auf 23, somit um 43 % stieg, erfuhr die Zahl der im Handel
tätigen Personen ein Wachstum von 1,83 auf 3,32% = 80%.

Diese Zahlen beweisen also, daß unter der Herrschäft der Goldwährung als Tausch-
vermittler die Tauschvermittlung derart erschwert wurde, daß die Bedienungsmann-
schaft des Tauschvermittlers von 11,40 auf 14,50 erhöht werden mußte; sie beweisen
zahlenmäßig, daß die Goldwährung den Handel erschwert hat.

Man wird vielleicht hier einwenden, daß in den letzten Jahrzehnten viele Erzeuger
von der Urwirtschaft zur Arbeitsteilung übergegangen sind, zumal auf dem Lande, wo
immer weniger für den eigenen Verbrauch, immer mehr für den Markt gezogen wird,
was natürlich wieder mehr Kaufleute nötig macht. So werden z. B. heute nur mehr
ganz selten Spinnräder gebraucht, und die kleinen Dorfhandwerker, die man unmittelbar
mit Feldfrüchten bezahlte (Tauschhandel), müssen Fabrikniederlagen weichen. Auch
erzeugt der Arbeiter heute mit Hilfe der verbesserten Arbeitsmittel mehr Ware als
früher (der Güte oder der Menge nach), so daß auch dadurch eine bedeutend größere
Menge Waren auf den Markt geworfen wird, die wiederum mehr Handelsangestellte
benötigt. Ist ein Kaufmann nötig, um den Kattun von 10 Webern zu verschleißen, so
werden zwei Händler nötig - wenn sonst alle Verhältnisse gleich bleiben -, sobald die
10 Weber mit verbesserten Webstühlen die doppelte Menge Kattun auf den Markt
werfen.

Der Einwand ist richtig. Aber dann bitte ich dagegen auch wieder zu berücksichtigen,
daß die mit dem Handel verbundene sachliche Arbeit durch mancherlei neue Einrich-
tungen außerordentlich erleichtert wurde. So durch das Dezimalsystem der Mark-
währung (das von der Goldwährung ja unabbängig ist, wie das englische Münzwesen
zeigt), durch das einheitliche metrische System für Maße und Gewichte, durch die in
den verbesserten Schulen herangezogenen Handelsgehilfen, durch das einheitliche, ver-
besserte Handelsrecht, durch das Konsulatswesen, durch die außerordentlichen Vorteile,
die die Post dem Handel bietet (10 Pf. Porto für Briefe durch das ganze Deutsche Reich,
Postaufträge, Postnachnahmen, Postkarten, Postpakete, Postanweisungen), ferner durch
Telegraph und Fernsprecher. Dann die Schreib- und Rechenmaschinen, die Kurzschrift,
die Vervielfältigungsapparate, die Kopierpresse, die Fahrräder für die Geschäftsboten,
das verfeinerte Reklamewesen, das Bankwesen mit dem Scheck- und Überweisungskonto,
Konsumvereinswesen, kurz, die unzähligen Verbesserungen, die seit 30 Jahren in die
Technik des Handels eingeführt wurden. Und schließlich die größere allgemeine Bildung
des Kaufmanns, die ihm doch auch bei der Arbeit zugute kommen und seine güter-
austauschende Kraft vermehrt haben muß. Andernfalls müßte man ja diese Bildung für
überflüssig und den Kaufmann für unklug erklären, der einen gebildeten Gehilfen
besser bezahlt als den ungebildeten. Denn warum zahlt er ihn besser? Weil er mehr
leistet, d. h. mehr Ware absetzt als der ungebildete.

Erachten wir nun die oben erwähnte Mehrerzeugung an Waren durch die größere
Leistungsfähigkeit der kaufmännischen Einrichtungen als ausgeglichen, so behält die
Steigerung der vom Handel lebenden Personenzahl von 11,40 auf 14,50 % der Gewerbe-
treibenden ihre ganze Kraft als Beweis gegen die behauptete Vorzüglichkeit der Gold-
währung.

Dabei geben obige Zahlen nur die Personen an, die unmittelbar vom Handel leben,
während es für uns eigentlich auf den Rohgewinn ankommt. Und dieser ist, dem Augen-
schein nach zu urteilen, wohl auch allgemein gestiegen. Auch muß berücksichtigt werden,
daß von der Zahl nicht auf die Gesamteinnahmen der Kaufleute geschlossen werden
kann, indem die Kaufleute in der Regel und durchschnittlich ein höheres Einkommen
als andere Arbeiter haben.

Um zu wissen, welche Wirkung eine Währangsreform auf den Handel ausübt, müßte der
rohe Handelsgewinn, d. h. der Abstand zwischen Fabrik- und Ladenpreis der einzelnen Waren,
statistisch ermittelt werden. Ladenpreis abzüglich Fabrikpreis = Handelsrohgewinn. Dann
wäre es möglich, zu berechnen, wieviel der Handel dem Lande kostet und wie sich das jetzige
Geldsystem bewährt. Es würde sich da zeigen, daß der Handel heute wirklich, wie vielfach
behauptet wird, ein Drittel und mehr der Gesamterzeugung aufzehrt! Daß von je 1000 Kilo
333 für die Händler abgesondert werden.


(1) Vgl. die nachfolgende Abhandlung "Gold und Frieden?" (S. 218).


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Dieser Text wurde im August 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.