Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
[ Zur NWO-Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]


ZWEITER TEIL:

FREILAND

EINLEITUNG

Freiland, die eherne Forderung des Friedens

Vortrag, gehalten in Zürich am 5. Juli 1917

Daß der Mensch zum Menschen werde,
Stift er einen ew'gen Bund,
Gläubig mit der frommen Erde,
Seinem mütterlichen Grund."
Schiller.

Bürger- und Völkerfriede entstammen demselben Geist, haben die gleichen Ursachen.
Zwischen Staaten, die innerlich gesund sind, d. h. sich wahren Bürgerfriedens erfreuen,
kann es gar nicht zum Kriege kommen, wie auch umgekehrt zwischen denselben Staaten
kein wahrer Friede Fuß fassen kann, solange in ihnen der Klassenkampf tobt. Wer darum
den Völkerfrieden will, muß wissen, daß er ihn nur vom Altar des Bürgerfriedens holen
kann. Der Bürgerfriede ist die Keimzelle des Völkerfriedens. Was dem Bürgerfrieden
geopfert werden muß, gehört auch restlos in den Opferstock des Völkerfriedens. Ja, die
Dinge verhalten sich so, daß wir uns um den Völkerfrieden überhaupt nicht mehr zu
kümmern brauchen, sobald wir einmal dem Bürgerfrieden alles geopfert haben, was ihm
unbedingt geopfert werden muß.

Einsichtige Männer sagten gleich zu Beginn dieses Völkerkrieges voraus, daß er in einen
allgemeinen Bürgerkrieg ausarten und dort sein Ende finden würde. Das mag stimmen,
doch ist der Ausdruck "ausarten" hier nicht am Platze. Nicht der Völkerkrieg artet in
Bürgerkrieg aus, sondern umgekehrt ist es der in den Eingeweiden aller Kulturvölker
wühlende Bürgerkrieg, auch Klassenkampf genannt, der, durch Gewaltmittel am offenen
Ausbruch verhindert, im Völkerkrieg einen Ausweg sucht, dort also "ausartet ". Der
Völkerkrieg ist eine Nebenerscheinung der Schichtung des Volkes in einzelne Klassen,
des Kampfes dieser Klassen gegeneinander, des bürgerlichen Wirtschaftskrieges.

Die Ursache des in allen Kulturstaaten herrschenden bürgerlichen Kriegszustandes
ist wirtschaftlicher Natur. Die durch naturwidrige menschliche Einrichtungen gesetz-
mäßig sich einstellende Klassenschichtung der Kulturvölker ist der Wirkung nach mit
Kriegszustand gleichbedeutend. Haben doch in früheren Zeiten die Kriege und Sklaven-
jagden nie etwas anderes bezweckt, als genau denselben Zustand gewaltsam zu schaffen,
den wir heute als "bürgerliche Ordnung" bewundern, nämlich die Schaffung eines beson-
deren Arbeiterstandes, auf den die herrschende Schicht alle Mühseligkeiten des Lebens
abwälzen konnte! Diese Zweiteilung des Volkes in Rentner und Lasttiere ist widernatürlich
und ·kann darum nur durch Gewaltmittel, körperliche und seelische, aufrecht erhalten
werden. Gewalt aber fordert Gewalt heraus; sie ist der Krieg.

Ist die Wirtschaft in Ordnung, so ist auch der Friede gesichert. Gegensätze aus der
geistigen Welt stören niemals ernsthaft den Frieden. Selbst die sogenannten Religions-
kriege hatten recht nüchterne wirtschaftliche Beweggründe. Auch Rasse und Sprache
veranlassen keinen Krieg, wie denn überhaupt der Krieg nichts mit den Lebens-
erscheinungen zu tun hat. Schon allein der Umstand, daß sich die Krieger künstlich
(Uniformen) als Freund und Feind kennzeichnen müssen, daß eine Schlacht zwischen
nackten Bataillonen undenkbar ist, sagt genug in der Beziehung.

Die wirtschaftlichen Einrichtungen, die das Zerfallen der Völker in verschiedene
Klassen bedingen und zum Bürgerkrieg treiben, sindbin allen Kulturstaaten von Anfang
an bis auf den heutigen Tag dieselben gewesen: das Bodenrecht und das Metallgeld
(bzw. das diesem nachgeäffte Papiergeld), uralte Einrichtungen, soziale Spaltpilze und
Sprengkörper, die schon die Staaten des Altertums in Trümmer legten und auch wieder
mit unserer Kultur fertig werden, wenn wir uns nicht rechtzeitig noch davon befreien.
Solange wir mit unseren Neuerungsbestrebungen und Umwälzungen vor den genannten
beiden wirtschaftlichen Einrichtungen Halt machen, ist kein Friede möglich, weder nach
innen noch nach außen. Das hat uns deutlich genug die "große" Französische Revolution ge-
zeigt. Trotz Volksvertretung, trotz sogenannter Demokratie, hat damals in Frankreich der
Zerfall in Klassen mit erneuter Kraft eingesetzt und ist heute vielleicht wieder nirgendwo
so weit getrieben wie gerade dort. Ehedem waren es die Kirche und der Staat, die das
Volk bis aufs Blut ausplünderten; jetzt sind die Rentner an ihre Stelle getreten. Gerade
die beiden Einrichtungen, auf denen der Zerfall in Klassen beruht, hatte der Umsturz
geschont - das Privatgrundeigentum und das herkömmliche, aus dem Altertum stam-
mende Geldwesen. Das Privatgrundeigentum und das damit untrennbar verbundene
Proletariat sind unvereinbar mit wahrer Demokratie. Ja, das Königtum ist nichts anderes
als die folgerichtige Wirkung des Privatgrundeigentums. Der Grundeigentümer strebt
zwangsläufig nach einer Zentralgewalt, von der allein er Schutz vor den begehrlichen
Griffen der aufsässigen Massen erwarten zu können glaubt. Anderseits wirkt auch unser
herkömmliches Geld dadurch, daß es den Zins als Bedingung seines Wirkens fordert
und so die gesamte Volkswirtschaft auf die Zinsentrichtung einstellt, nach der gleichen
Richtung, volkszersetzend, klassenbildend, friedenfeindlich. Seitdem man das Privat-
grundeigentum eingeführt und die Edelmetalle zum Tauschmittel der Arbeitserzeug-
nisse erhoben, hat es nie wahren Frieden gegeben, und solange wir bei diesen uralten
barbarischen Staatseinrichtungen verharren, wird es auch nie Frieden geben - weder
nach innen noch nach außen. Krieg ist der einzig mögliche Zustand zwischen Rentnern
und Arbeitern.

Der Friede ist ein großes Unternehmen, und der Größe des Unternehmens müssen
die Mittel entsprechen. Sonst gibt es nur Enttäuschungen. Keine Menschenopfer fordert
der Friede, aber "Geldopfer unerhört"! Daneben das Opfern köstlicher Vorrechte, lieb-
gewonnener Vorurteile, völkischer Bestrebungen und Lebensanschauungen. Wahrhaftig,
die Dinge verhalten sich so, daß, wenn wir dem Vielfraß, genannt Friede, alles geopfert
haben werden, was ihm unbedingt geopfert werden muß, große Kreise des Volkes in
allen Ländern mit Überzeugung ausrufen werden: lieber Krieg als Frieden! Wie es ja
auch heute oft genug vorkommt, daß Leute, die ihr Vermögen in einem Börsenkrach
verlieren, sogleich entschlossen in den Tod gehen.

Es ist ein Fehler aller Friedensfreunde gewesen, mit Ausnahme allein der Urchristen,
daß sie die Größe der Aufgabe bei weitem unterschätzten und darum mit völlig unzu-
reichender Rüstung das Ziel zu erreichen trachteten. Wirklich, oft sieht es aus, als ob
der Friede im Kaufhaus zu holen wäre. Es wird vielleicht nützlich sein, die Dinge einmal
sich näher anzusehen, die man bisher großmütig unserem Vielfraß zu opfern bereit war.
Da sind zunächst die Vegetarier und Abstinenten, die ausrufen: Krieg ist ein krank-
hafter Geisteszustand, der von einem krankhaften körperlichen Zustand herrührt. Folge
des Fleischessens, des Tabaks, des Alkohols und der damit zusammenhängenden Sy-
philis. Opfert den Alkohol, so werdet ihr klug wie die Schlangen, opfert den Fleisch-
genuß, so werdet ihr sanft wie die Lämmer.

Es ist Wahres, viel Wahres sogar, in diesen Worten, aber den Frieden werden uns
diese kleinen Opfer nicht bringen. Es gab Kriege, lange bevor die Völker in Trunk und
Tabak entarteten. Außerdem müssen wir ja dann auch warten, bis die Menschen durch
Vegetarismus und Abstinenz, also durch den langwierigen Ausleseprozeß "besser" ge-
worden sein werden. (Moses läßt die Menschen erst im 4. Geschlecht an den Sünden
der Väter aussterben.) Und da ist es fraglich, ob die herabziehenden Kräfte der Kriege
nicht größere Schritte machen als die auf Hochzucht eingestellte Natur des Menschen,
ob also im Wettkampf beider Kräfte der Krieg nicht die Oberhand behalten wird!

Ein anderes, mit Überzeugung empfohlenes Mittel ist der Gebärstreik. Keine Ge-
burten = keine Soldaten = keine Kriege. Das Mittel ist allerdings unfehlbar. Wer aber
würde sich des Segens solchen Friedens noch erfreuen? Doch nur die Kinder der Streik-
brecherinnen. Für diese sollen sich also die andern opfern!

Man empfiehlt auch die Dienstverweigerung. Auch dieses Mittel ist unfehlbar, voraus-
gesetzt, daß alle es tun. Wie überhaupt vieles zu erreichen wäre, wenn wir alle Helden
wären. Wo aber sind denn diese Helden? In vielen hundert Jahren gab es nur einen
Arnold von Winkelried, nur einen Giordano Bruno, nur einen Huß. Wer solchen Opfer-
sinn anruft, der verlangt die Überwindung des Selbsterhaltungstriebes, der glücklicher-
weise noch größer ist als die Sehnsucht nach Frieden. Es ist ja gerade dieser Selbst-
erhaltungstrieb, der uns friedlich stimmt.

Ein anderer Vorschlag lautet: Als Bürgschaft für den Frieden soll jeder Staat eine
Summe Gold irgendwo hinterlegen. Erklärt ein Volk dem Nachbar den Krieg, so verliert
der Friedensstörer das Hinterlegte! Wie hübsch das ist, wie einfach und vor allem wie
billig!

Wieder ein anderer schlägt vor: das Alleinrecht auf Herstellung von Sprengstoffen
einem neutralen Staat zu übertragen. Kein Pulver = kein Krieg, - auch das ist wirklich
ein recht billiges Mittel zur völligen Sicherung des Friedens. Wie leicht wäre es dann
aber dem Friedensstörer gemacht, heimlich sich für den Krieg vorzubereiten und über
den völlig wehrlosen Nachbarn herzufallen! Wie einfach doch in manchen Köpfen die
Friedensfrage sich lösen läßt.

Am einfachsten löst ja der Kriegsmann diese Fragen. Man wirft den Feind zu Boden,
stemmt ihm den Fuß auf die Brust und fragt ihn, ob er Frieden machen will. Bei dieser
Art Frieden bleibt eigentlich alles bestehen, was die Gegner zum Kriege getrieben hat.
An die Stelle des alten tritt ein frischer Zankapfel. Der Sieger ist zufrieden, der Besiegte
sinnt auf Vergeltung. Eines Tages bricht er den Streit vom Zaun und fällt über seinen
Gegner her. Wenn's glückt, wechseln die Rollen, und der Zankapfel ist wieder frischer
und anmutender denn je. Der Frieden, der hier geschlossen wird, ist immer nur vor-
läufiger Art und dient zu nichts anderem als zur Sammlung neuer Kriegskräfte, zur
Gewinnung des Übergewichts, wobei zu beachten ist, daß der Sieg den Sieger stolz
macht und der Stolz vor dem Fall kommt, so daß schon aus solchem Grunde das Über-
gewicht nie lange oder gar dauernd auf einer Seite bleibt. Der Soldatenfrieden ist seiner
ganzen Natur nach unhaltbar.

Solchem auf dem Übergewicht der Kräfte errichteten Frieden stellen die Staatsmänner
den aus dem Gleichgemicht der Kräfte sich ergebenden Ruhezustand als Frieden gegen-
über. Sind die Kräfte der Parteien derart ausgewogen, daß keiner bestimmt mit dem
Siege rechnen kann, so wird auch keiner mehr den Mut haben, den Frieden, diesen
Frieden zu stören. So sagen die Staatsmänner. Und solange das Gleichgewicht der Kräfte
nicht gestört wird, rührt sich der Kriegsengel nicht, ähnlich wie Burians Esel sich auch
nicht rührte, solange die Heuhaufen ausgeglichen waren.

Zur Feststellung des Gleichgewichts bedienen sich die Staatsmänner in der Haupt-
sache der Meßkunst. Sie schnipseln so lange an den Landesgrenzen herum, bis sie das
Gleichgewicht der Kräfte herbeigeführt zu haben wähnen.

Aber die Kräfte, die man hier ins Gleichgewicht zu bringen sucht, sind nicht nur zur
Meßkunst gehörig. Oft steht die Kraft der Staaten sogar im umgekehrten Verhältnis
zur Größe der Landfläche. Das aber, was an der Wehrkraft unabhängig von der Landes-
größe ist, ist keine feste Größe. Der Bevölkerungszuwachs, die sozialen Verhältnisse,
die militärische Technik, die wirtschaftlichen Hilfsmittel, kurz alles, was die Ver-
teidigungskraft entscheidend beeinflußt, ist in stetigem Fluß. Wie ist die Macht Eng-
lands durch das Unterseeboot so außerordentlich geschwächt worden! Wäre es darum
auch ursprünglich den Staatsmännern gelungen, ein vollkommenes Gleichgewicht her-
zustellen, so unterliegt diese Friedensbürgschaft (!) doch ständig den genannten und
tausend anderen störenden Einflüssen. So genügt schon allein ein Unterschied in den
Geburten, um das Gleichgewicht zu stören. Wird in einem Lande die Säuglingssterb-
lichkeit erfolgreicher bekämpft als in dem anderen, so ist das Gleichgewicht auch wieder
aufgehoben. In Ägypten suchte z. B. Pharao das Gleichgewicht dadurch aufrecht zu
erhalten, daß er die neugeborenen Kinder Abrahams ertränken ließ. Wer auf diese Weise
das Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich sicher stellen will, muß ent-
weder zum Verfahren Pharaos in Deutschland greifen, oder in Frankreich die Geburten
auf die deutsche Höhe heben. Indessen ist die Zahl der Menschen oft ebensowenig allein
maßgebend für jenes Gleichgewicht, wie die Größe des Landes. Nicht selten steht die mili-
tärische Kraft im umgekehrten Verhältnis zur Zahl. Entscheidender als die Menge
erweist sich oft genug die Güte, die militärische Brauchbarkeit. Der Alkoholismus und
die Abstinenz genügen an sich, um manches Kräfteverhältnis über den Haufen zu werfen.
Vor 10 Jahren brachte der Alkohol die russische Revolution um den Erfolg; die seit
drei Jahren geübte Enthaltsamkeit gab den Revolutionären Kraft. Dulden die Gleich-
gewichtspolitiker in einem Lande den Alkohol, so müssen sie seinen Genuß in allen
anderen erzwingen, sonst zerfällt auch das bestausgewogene Gleichgewicht.

Es erübrigt sich, andere Forderungen der Gleichgewichtslehre anzuführen. Das Ge-
sagte zeigt, wohin man mit diesem Diplomatenfrieden kommen würde.

Einen ähnlichen Frieden erstreben die Vertreter der Abrüstungslehre. Sie sagen, das
Gleichgewicht der Kräfte sei da, sobald alle ihre Waffen niederlegen. Sie sagen, 100 un-
bewaffnete Männer seien nicht mächtiger als 10; der unbewaffnete Mann sei militärisch
eine Null. Die Macht liege in den Waffen, und die Übermacht an Waffen reize zum
Krieg. Freilich gehen sie nicht so weit, auch die Schutzleute entwaffnen zu wollen.
Wahrscheinlich denken sie dabei an die Notwendigkeit der Rüstung zur Aufrechter-
haltung des inneren "Friedens". Das ist aber schon ein recht verdächtiges Zugeständnis
an die Rüstung, denn wie viele Armeekorps würde man dem Zaren zur Aufrechterhaltung
der Ordnung auf dem Abrüstungskongreß zugestanden haben? (1)

Bei der Abrüstungsforderung als Friedensbürgschaft übersieht man vollkommen, daß
zur Rüstung schließlich jedes Ding brauchbar ist, das härter ist als der Soldatenschädel.
Den Kampfwert der Rüstung kann man durch Vergleich mit der Rüstung des Gegners
feststellen. Das Schwert des einen braucht nur etwas weniger stumpf zu sein als das
des Gegners, um ein vorzügliches Schwert zu sein. Im deutschen Bauernkrieg wurde
die Rüstung der Ritter mit Dreschflegeln zerschlagen. In der Pariser Kommune waren
Pflastersteine die einzige Waffe. Kain erschlug seinen Bruder mit einer Keule, und Her-
kules in der Wiege erwürgte einfach die Riesenschlange.

Wie denkt man sich unter solchen Verhältnissen die Abrüstung? Die italienische
Polizei verbietet das Tragen von Taschenmessern, um auf diese Weise die Abrüstung
in die Wirklichkeit zu übersetzen. Sollen wir nun den Besitz von Dreschflegeln verbieten?
Soll es keine Jagdgewehre mehr geben? Schon gut; verbietet man jedoch das alles, so er-
würgen sich die Gegner, wie es im Kriege die Soldaten im "Handgemenge" jedesmal dann
tun, wenn sie sich verschossen haben, also "abgerüstet" sind. Die Faust gibt in letzter
Linie den Ausschlag. Kommt es zur völligen Abrüstung, ohne daß man die Kriegs-
ursachen beseitigt, so bereitet man den Boden für den fürchterlichsten aller Kriege, für
die Schlacht im Handgemenge (Teutoburgerwald, Lechfeld, Sempach).

Und haben wir nicht erlebt, wie schnell der Fiedelbogenfabrikant umlernt und seine
Werkstätte für Kriegsbedarf umbaut? Das jetzt im Felde stehende Rüstzeug stammt nur
zu einem verschwindend kleinen Teil noch aus der Friedensrüstung. Gleich nach Aus-
bruch des Krieges traten Schiffsladungen frisch bereiteter amerikanischer Granaten auf
dem Kriegsmarkt auf! Was soll da die Abrüstung? Ich verstehe den Sinn dieser For-
derung nicht.

Im Kampfe gegen England ist der deutsche Pflug, der deutsche Misthaufen, die eigent-
liche Rüstung Germaniens. Korn ist Rüstung, Guano ist Rüstung, Schafe sind Rüstung.
Mit Salpeter füllt man Granaten und düngt man die Felder! Soll man zum Zwecke der
Abrüstung auch die technischen Hochschulen eingehen lassen, weil man dort zeigt, wie
man den Salpeter aus der Luft gewinnt für die Landwirtschaft und für den Krieg? Aus
den Tiegeln deutscher Farbwerke kommt Pulver oder Ostereierfarbe zum Vorschein, je
nachdem man den Hahn A oder B dreht.

Ja, sagen die Franzosen, die allgemeine Abrüstung, die möchte den hinterlistigen
Deutschen gefallen. Sie haben Eisen und Kohle, sie haben eine starke Industrie, sie haben
alles, was zur schnellen Herstellung einer Rüstung nötig ist. Aber die anderen Völker,
die ihre Rüstung im Frieden vom Auslande bezogen, um sie für den Kriegsfall zur Hand
zu haben, was sagen diese zur Abrüstungsfrage? Wie wollen die sich rüsten, wenn sie
einmal abgerüstet haben? Was wäre aus Rußland und Frankreich geworden, wenn sie
abgerüstet gewesen wären? Durch Umschaltung ihrer gewaltigen Industrie würden sich
die Deutschen im Handumdrehen gepanzert, bewaffnet, gerüstet haben und wären den
mit Schlafmützen und Dreschflegeln anrückenden Franzosen und Russen mit neuen Ge-
schützen entgegengetreten!

Der Mensch kommt gerüstet zur Welt. Wie er von Uranfang an im Kampfe mit den
gerüsteten Mordgesellen der Natur, den Höhlenbären und Tigern, gerade wegen seiner
vollkommenen Abrüstung sich als der Stärkere erwies, so ist er auch seinen Artgenossen
gegenüber immer gerüstet. Geist und Schulbildung stellen letzten Endes die wirksamste
Rüstung dar. Abrüstung ist Unsinn.

Damit soll nicht gesagt sein, daß die Rüstung den Frieden sichert. Die Nutzlosigkeit
der Abrüstung beweist noch nicht die Richtigkeit des Satzes: wer den Frieden will,
rüste sich für den Krieg. Man mag immerhin abrüsten und das so gesparte Geld zur
Aussteuer neuer Rentner, von 100 000 neuen Millionären, benutzen - schaden kann es
nicht, nützen auch nicht. Der Friede hat aber mit Rüstung und Abrüstung durchaus
nichts zu tun.

Ein anderer Friede, von dem man sich in Amerika besonders viel verspricht, ist der
Polizeifriede. Tafts Staatenbund zur Erzwingung des Friedens!

Taft stellt wirklich recht bescheidene Ansprüche an den Frieden. Dieser Gewaltfriede,
erinnert er nicht an die Ruhe, die in den Staaten herrscht, wo man die Unzufriedenen
mit den Polizeimitteln an der Empörung hindert? Übrigens ist dieses Taftsche Friedens-
ideal bereits heute überall in bezug auf den inneren Frieden durchgeführt. Vielleicht
waren es die Pinkertonschen Bataillone, die Taft auf den geistreichen Gedanken brachten,
den Völkerfrieden durch Polizeimacht zu erzwingen. Wir werden ja übrigens bald genug
in Amerika sehen, wie sich der Zwangsfriede bewährt, wenn einmal die Arbeiterklasse
sich gegen die große kapitalistische Krake erheben wird. Ob da wohl Mr. Taft, falls die
Pinkertonschen Bataillone nicht ausreichen, seinen Friedenerzwingungsbund (league for
the enforcement of peace) aufrufen wird, um die ausgebeuteten und aufrührerischen
Arbeiter niederzuknallen? Solche gegenseitige Hilfe bei inneren Unruhen hatte man sich
wohl auch seinerzeit beim Abschluß der "heiligen Allianz" vertragsmäßig zugestanden.

Der am meisten besprochene Vorschlag zur Schaffung des Friedens, von dem seine
Freunde bisher das meiste erwarteten, ist der auf Völkerrecht aufzubauende Friede.
Nach Ansicht der Friedensfreunde braucht das Völkerrecht nur ausgebaut und auf irgend-
eine Weise vor Angriffen gesichert zu werden. Über die Art dieser Sicherung ist man
sich nicht recht klar. Immerhin glaubt man, daß es gelingen wird, das Völkerrecht mit
der Zeit zu einer Art unantastbaren Heiligtums auszugestalten, zu einem Rechtsgötzen,
so daß niemand es noch wagen wird, es anzutasten.

Dieses Völkerrecht soll seine Erleuchtung in der "Gerechtigkeit", in der Moral, in der
Freiheit suchen. Was unter Völkergerechtigkeit, Staatsmoral zu verstehen ist, darüber
hält man sich vorläufig nicht auf. Man nimmt einfach als selbstverständlich an, daß die
Gerechtigkeit eine Sache für sich sei, ein Ding, das allen Menschen immer in derselben
gleichen Erscheinung entgegentritt, so daß, wenn z. B. heute bei sämtlichen 500 Millionen
englischen Untertanen über die Zulässigkeit des Unterseebootkrieges eine ganz andere
Ansicht herrscht als bei den 70 Millionen Deutschen, dieses nur darin begründet sein
kann, daß eine der beiden Parteien die Sache falsch sieht oder entgegen besserem Wissen,
gegen ihr Gewissen aussagt. Nehmen wir aber an, das Ding "Gerechtigkeit" bestehe
wahrhaftig und wäre immer und überall dasselbe - in London, wie in Berlin, früher,
jetzt und in Zukunft dasselbe - also von ewiger unveränderlicher Verfassung, so berührt
es doch recht eigentümlich, daß die Friedensfreunde bei den Gewalthabern unserer
Klassenstaaten ohne weiteres ein ausreichendes Maß solcher Gerechtigkeit voraussetzen
und auf Grund dessen glauben, die Beziehungen von Staat zu Staat in Ruhe auf solcher
Gerechtigkeit aufbauen zu können. Was in aller Welt berechtigt uns zu solcher Voraus-
setzung? Ist es vielleicht der jüngste Krieg? Ist es das Innenleben der Völker vor dem
Krieg? Herrscht in allen unseren lieben Klassenstaaten ein so zarter Gerechtigkeitssinn?
Ist die Seele dieser Klassenstaaten nichts als Liebe und Gerechtigkeit? Kann man das
öffentliche Leben in allen Klassenstaaten als Hochschule der Gerechtigkeit und Men-
schenliebe betrachten? Veredelt die Politik, die in den Volksvertretungen getrieben
wird, wirklich dermaßen die Gesinnung? Kommen die jungen Beamten, die man zur
Ausbildung nach Südwest, nach dem Kongo, nach Indien schickt, wirklich als fein-
fühlige, gerechtigkeitstriefende Männer heim? Führt etwa der ständige Klassenkampf,
der zwischen Arbeiter und Unternehmer jahraus jahrein tobt, dazu, im ganzen Volk
den Sinn für Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu heben?

Unsere Gewalthaber beobachten unerschüttert das Säuglingsmassensterben in Neu-
york, Berlin, London, Paris, dem allein in Deutschland alljährlich 300 000 zum Opfer
fallen, also fast so viel wie der jetzige Krieg Männer verschlingt, und mehr als die Metze-
leien in Armenien gekostet haben. Sie wissen ganz gut, daß diese Säuglinge zumeist nur
darum ins Massengrab wandern, weil die Not den Müttern nicht die gehörige Kinder-
pflege gestattet - die Not in denselben Staaten, wo 100000 Millionäre nicht mehr
wissen, was sie aus Übermut treiben sollen! Hat sich einer dieser Gewalthaber je da-
gegen empört, ein einziger? Und bei diesen Männern sollen wir nun plötzlich soviel
Gerechtigkeitsliebe voraussetzen, daß sie sich sofort entrüsten und empören sollen,
wenn dahinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen? Daß sie alle, gleich
wie die Krähen beim Erscheinen eines Raubvogels, von allen Seiten zuhilfe eilen? Wer
sich in der Gerechtigkeitspflege üben will, der übe sie zunächst am eigenen Herd, in der
Gemeinde im eigenen Volk. Hat man erst Frieden im eigenen Staat, tiefen, echten
Bürgerfrieden, ist der Klassenstaat in den Staub geworfen und zertreten - dann können
wir nach weiteren Eroberungen auf dem Gebiete der Gerechtigkeit uns umsehen und
versuchen, uns mit den Fremden auf diesem Boden zu vertragen. Solange das nicht
geschehen ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als alles, was zu Reibungen zwischen
den Völkern führen kann, alle Zankäpfel so gründlich wie möglich zu vertilgen.

Ganz recht, werden hier die Friedensfreunde sagen, das ist ja, was auch wir wollen,-
durch Völkerrecht wollen wir die Zankäpfel beseitigen - deshalb erstreben wir ja gerade
die Erweiterung und Sicherung des Völkerrechtes. Das Selbstbestimmungsrecht der
Völker soll unbeschränkt sein, ebenso auch die Staatshoheit.

Ich aber sage: die Rechte der Völker, das Massenrecht, sind schon zu groß, vielzu·
groß. Die Rechte der Massen können niemals eng genug begrenzt werden. - Dafür
müssen aber die Rechte der Menschheit um so mehr erweitert werden. Wenn die Völker
schon ihre jetzigen Rechte mißbrauchen, wieviel mehr Mißbrauch werden sie mit den
erweiterten Rechten treiben. Nein, hier betreten wir Holzwege - die Rechte der Völker
müssen beschränkt und, soweit es sich um die Staatshoheit der Völker über den von
ihnen besetzten Boden handelt, sogar restlos abgeschafft werden. Völkerrecht ist Krieg -
Menschenrecht ist Frieden. Die Entwicklung des Völkerrechtes nennt man Fortschritt.
Das ist nicht richtig, es widerspricht der Geschichte. Zuerst war das Gewaltrecht, das
Massenrecht das sogenannte Völkerrecht. Aus ihm entwickelt sich langsam das Men-
schenrecht, das Recht des einzelnen Menschen. Der Fortschritt geht also vom Massenrecht
zum Recht des Einzelmenschen.

Die Völker sind im Vergleich zu ihren Bestandteilen immer minderwertig. Der Mensch
gewinnt nicht wo er die Verantwortung für alles Tun und Lassen auf die Masse ab-
wälzt: in der Gemeinschaft handelt der Mensch schäbiger als einzeln. Swift sagte schon:
ich habe immer die Staaten und Gemeinden gehaßt - meine Liebe geht auf den Einzel-
menschen. Darum müssen wir dem Einzelmenschen mehr Recht zugestehen als den
Völkern;·er wird diese weniger mißbrauchen, trägt er doch selbst die Verantwortung.
Das Völkerrecht, Massenrecht kann man aber nur auf Kosten der Menschheit ausbauen.
Das Recht des einen kann man sich nur als das Unrecht des anderen vorstellen - wie
ja auch die Freiheit des einen in der Unfreiheit des anderen besteht, - nur Mensch-
heitsrechte machen hier eine Ausnahme. Jedes Sonderrecht muß wie ein Wechsel von
irgend jemand bezahlt werden, und im Völkerrecht ist dieser Jemand der Mensch. Stärken
wir durch das Völkerrecht die Völker, so schwächen wir uns alle als Einzelmenschen.
Die Bestrebungen, die auf einen Völkerrechtsfrieden hinauslaufen, wirken dann not-
wendigerweise zweckwidrig.

Der Inbegriff aller Völkerrechte ist die Staatshoheit über das von den Völkern besetzte
Land. Hier sind auch die Reibungsflächen, die Zankäpfel zu suchen. Mit Hilfe dieser
Staatshoheit ist es möglich geworden, daß dem Menschen die Welt willkürlich ver-
kleinert wird; - schließlich so verkleinert, daß er verhungert, verdurstet, erfriert.

Laut diesem Völkerrecht gab Er die Erde - nicht den Menschenkindern, wie es
doch in der Bibel heißt - sondern den Völkern. Und welchen Mißbrauch treiben die
Völker mit den, wie es heißt, noch nicht weit genug getriebenen Hoheitsrechten! Da
sehen wir uns einmal Amerika an! Entdeckte Columbus etwa jenen Weltteil für die
Nordamerikaner? Sicher nicht: für die Menschheit entdeckte er das Land, zum min-
desten aber für seine Landsleute. Und diesen seinen Landsleuten verweigern die Ameri-
kaner heute die Landung unter dem Vorwand, - sie seien des Schreibens unkundig
oder hätten kein Geld in der Tasche! Führte etwa Columbus soviel Geld mit sich, und
konnten seine Mannen etwa lesen und schreiben? Auch die Aussätzigen, die Zigeuner,
die Blinden, Lahmen und Greise weisen die Amerikaner ab - und stützen sich dabei
auf ihre Hoheitsrechte, auf das Völkerrecht, auf das Selbstbestimmungsrecht - das
man jetzt erweitern und sichern will? "Amerika für die Amerikaner" sagen sie dabei
verächtlich. Ja, sie gehen noch weiter und sagen: "Amerika für die amerikanische Rasse"
und verweigern damit dem Hauptstamm des Menschengeschlechtes, dem ältesten und
zahlreichsten, den Mongolen, den Zutritt in ihr Land - auf Grund des Völkerrechtes,
auf Grund der Staatshoheitsrechte. Und dieses verderbte Recht sollen wir zum Zwecke
des Friedens ausbauen und vor Vergewaltigung sichern! Machen wir uns doch einmal
klar, was das heißt. Die Rassenpolitik der Amerikaner kann sich ja auch einmal gegen
die Europäer richten, auch kann in dieser amerikanischen Rassenpolitik der schwarze
Bestandteil, können die Neger eines Tages die Oberhand gewinnen!

Getreu ihrem Schlagwort "Amerika für die Amerikaner" errichten die Amerikaner
rings um das gewaltige Gebiet, das Columbus der Menschheit schenkte, eine Zoll-
grenze - und vertreiben durch willkürlich hochgeschraubte Sperrzölle die Europäer
von ihren Märkten. Heute ist es die Einfuhr, die sie treffen wollen, morgen wird es die
Ausfuhr sein, so daß die Europäer ständig mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß
die Erde für sie eines Tages um den ganzen amerikanischen Erdteil, mindestens aber
um die Vereinigten Staaten kleiner sein wird. Der europäischen Bevölkerung kann es
aber wahrhaftig nicht gleichgültig sein, ob ein Erdteil wie der amerikanische von der
Weltkarte gestrichen wird. Für sie bewirkt der wirtschaftliche Verlust eines Erdteils genau
dasselbe, wie wenn dieser vom Meere verschlungen würde.

Bis jetzt haben sich die Europäer das alles gefallen lassen; sie treiben es den anderen
Völkern gegenüber übrigens auch so. Wie die Amerikaner, so sagt jedes hergelaufene,
von irgendeinem Gewaltherrscher zusammengefegte Volk: "unser Land, unser aus-
schließliches Eigentum"! Wir wirtschaften darauf auf Grund der uns durch Völkerrecht
verbürgten Staatshoheit nach Gutdünken und Willkür. So versagen die Australier den
Japanern ganz unbedingt den Zutritt in ihr Land, obschon das Land äußerst dünn
besetzt ist und die Japaner kaum wissen, wohin sie den Volksüberschuß schicken sollen.
So wurde in den polnischen Teilen Preußens mit Staatsgeld Land gekauft, um dieses
an Nichtpolen zu verpachten! Das alles nennt sich Völkerrecht! "Mögen doch die Völker
mit zu dichter Bevölkerung in der Bibel bei Pharao nachlesen, wie man es mit den Säug-
lingen machen soll! Mögen die Mongolen ihre Säuglinge ertränken" - so sagen die für
"Humanität" sich begeisternden Amerikaner, Preußen und Australier!

Wie gesagt, die Mongolen, Europäer und Afrikaner haben sich bis heute solche Be-
handlung gefallen lassen. Aber wie lange noch? Richtet sich die amerikanische Rüstung,
die jetzt mit Hochdruck betrieben wird, wirklich nur gegen die Mittelmächte, oder hält
man diese Rüstung nicht auch sonst für nötig, um die dort betriebene Rassenpolitik
durchführen zu können?

Wie kann man diesen gewaltigen, ungeheuren Zusammenprall vermeiden? Lächerlich
wäre es, von einem einfachen Völkerrechtsvertrag, der die amerikanischen Hoheitsrechte
achtet, eine Schlichtung dieses Streites zu erwarten. Dieser wird im Gegenteil um so
größeren Umfang nehmen, um so tieferen Völkerhaß ausbrüten, je mehr das Völkerrecht
an ihm herum zu doktern versucht. Der Mongole wird eines Tages mit der eisernen
Faust an das goldene Tor schlagen, und dann wird, gestützt auf dasselbe Völkerrecht,
das wir heute erweitern sollen, die weiße Rasse zurück in den Atlantischen Ozean
gedrängt werden.

Vom Standpunkt der Völker und ihrer Staaten läßt sich solcher Streit nicht schlichten;
Rassenpolitik darf nicht an Staaten, an Landesgrenzen, an Staatsgesetze gebunden werden.
Rassenpolitik ist ureigene Angelegenheit jedes einzelnen Menschen. Das einzige Volk,
das seit Jahrtausenden beharrlich Rassenpolitik treibt, die Juden, hat überhaupt kein
eigenes Land, und kennt die Staatshoheit nicht. Um also solche Kriegsmöglichkeiten zu
verhüten, müssen wir einen höheren Standpunkt einnehmen, von tieferer Erkenntnis
ausgehen. Hier müssen wir auf die Zelle aller Staaten, auf den Einzelmenschen zurück-
greifen. Menschenrechte, nicht Völkerrechte, müssen wir hier verkünden. Und zwar
als Punkt eins aller Menschenrechte: "Die Erde gab Er den Menschenkindern". Er gab
die Erde nicht den Amerikanern und den Mongolen; den Menschen, der Menschheit,
auch den Schreibunkundigen gab Er sie. In dieser Frage müssen wir einen bedingungs-
losen Standpunkt einnehmen; entweder gehört die Erde allen Menschen, und dann ist
kein Platz für die Hoheitsrechte der Völker, oder aber wir anerkennen das Völkerrecht
auf den Boden mit allen seinen Folgerungen. Das heißt mit dem Krieg, der diesem Recht
anhaftet wie die Pest den indischen Hadern. Ein Mittelding gibt es hier nicht.

Ehe Moses, Attila, Garibaldi ihre Volksgenossen in zu großer Enge verkommen lassen,
schauen sie über die Grenze; und entdecken sie dort noch Boden, der weniger dicht
bebaut wird, so ziehen sie hin und schlagen die nieder, die ihnen den Weg zur Erde
unter Hinweis auf Völkerrechte und Papierfetzen verwehren wollen. Dem Hoheitsrecht
der Völker stellen sie das Menschenrecht entgegen, und in solchem Kriege soll die
Menschheit über alle Völker und ihre Rechte den Sieg davontragen.

Doch sehen wir uns diese auf Völkerrecht gegründete Staatshoheit über den Boden
nochmal von einer anderen Seite - nämlich von der Seite der Bodenschätze, sagen wir
der Steinkohle, an. Wir werden dann vielleicht unmittelbarer noch die Hoffnungslosig-
keit des Völkerrechtsfriedens einsehen. Solange die Amerikaner nur den Ärmsten unter
den Armen gegenüber es wagen, ihre Grenze zu sperren und eine Rassenpolitik zu treiben,
die uns vorläufig nicht unmittelbar berührt, empfinden wir den Schimpf, der durch
solches Tun der Menschheit zugefügt wird, nicht persönlich genug, um uns zu ent-
rüsten. Wir sagen: "Mögen sich die, die es angeht, mögen sich die Chinesen empören,
mögen die Blinden, Lahmen, Schreibunkundigen sich einen Garibaldi wählen und mit
Gewalt die amerikanische Grenzsperre beseitigen. Uns als derbe Dickhäuter geht das
nichts an." - Wenn wir aber hören werden, daß England und Deutschland sich ver-
ständigt haben, um die Steinkohle mit einem Ausfuhrzoll zu belasten (2), der die Seereisen
und Seefrachten verdoppelt und verdreifacht, wenn die Bewohner kohlenarmer Länder,
wie etwa die Schweiz, den Winter zähneklappernd in ungeheizten Zimmern zubringen
müssen - dann werden wir an die Chinesen, an die Schreibunkundigen, an die Greise
denken und mit ihnen ausrufen: ist das eigentlich erlaubt, gehört das auch zum Völker-
recht, ist das kein Mißbrauch der Staatshoheit, des Selbstbestimmungsrechtes der Völker?
Ist das die gerühmte Freiheit der See? Was nützt uns das Völkerrecht, der papierne
Völkerfriede - wenn wir dabei erfrieren und verhungern? Wir brauchen die Seefreiheit,
und ohne die Freiheit der Steinkohle ist diese Seefreiheit hohl. Die Staatshoheit Eng-
lands und Deutschlands über die Kohlenschätze muß nachgeprüft werden. Der Mensch-
heit, allen Völkern, jedem Menschen gehören offenbar diese Steinkohlen, von denen
wir heute alle ebenso abhängig sind, wie von der Sonne, wie von der Luft. So werden
wir reden, sobald wir einmal frieren werden, sobald wir persönlich unter den Folgen
der Staatshoheit und des Völkerrechts zu leiden haben.

Dem Boden und seinen Schätzen gegenüber gibt es keine Völkerrechte, kein Massen-
recht, keine Staatshoheitsrechte. Das Völkerrecht darf sich nur auf das beziehen, was
Menschenhand geschaffen. Sobald wir den Völkern Rechte einräumen, die über das Recht
des Einzelmenschen hinausgehen, verwandelt sich solches Recht in Krieg. Alle Menschen,
jeder einzelne Mensch, hat auf den Boden, auf den ganzen Erdball die gleichen unver-
äußerlichen Rechte, und jede Einschränkung dieses Urrechtes bedeutet Gewalt, bedeutet
Krieg. Darum wiederhole ich: will man den Völkerfrieden, so muß dieser ersten Forde-
rung genügt werden, allen Menschen, restlos allen Menschen gehört die Erde, und weg
mit dem Massenrecht, weg mit der Staatshoheit, die dieses Urrecht antastet!

* * *

Das angeführte Beispiel aus der Welt der Bodenschätze möge genügen für das, was ich
begründen wollte. Mehr oder weniger spielt ja jeder Rohstoff im Leben der Menschheit
die gleiche Rolle wie die Kohle. So würde z. B. ein amerikanischer Ausfuhrzoll auf
Baumwolle für die 500 000 deutschen Weber und Spinner ebenso tödlich wirken, wie
ein Ausfuhrzoll auf Kohle für die italienische, spanische und schweizerische In-
dustrie tödlich ist. Die Steinkohle hat uns zweierlei gezeigt: 1. die Unmöglichkeit, auf
Grund von Völkerrechten den dauernden Frieden herbeizuführen; 2. die überragende
Rolle, die die Erde und ihre Schätze in den Beziehungen der Völker zueinander spielen.
Die auf den Boden und seine Schätze ausgedehnten Massenrechte, Hoheitsrechte, Selbst-
bestimmungsrechte sind es, die den Völkern das für gerechtes Urteilen so unentbehrliche
Gefühl der Sicherheit rauben und Unruhe in die Volksseele tragen. Die mit diesen Völker-
rechten in unlösbare Verbindung gebrachte Möglichkeit, daß ein Volk von unentbehr-
lichen Rohstoffquellen ausgeschlossen werde, ist es, die letzten Endes die verantwortlichen
Staatsmänner, die Unternehmer und schließlich sogar die Arbeiterführer auf herrsch-
süchtige Gedanken drängt. (3) Sie sagen sich: wir müssen damit rechnen, daß das englische
Weltreich, daß die Vereinigten Staaten, daß Mitteleuropa uns eines Tages auf Grund der
Staatshoheitsrechte von diesen gewaltigen Rohstoffquellen ausschließen können. (4) Darum
kann allein eine eigene, möglichst umfassende Oberherrschaft unserem Volke die Ent-
wicklungsmöglichkeit sichern. Ganz bestimmt haben in den heutigen, die Weltherrschaft
anstrebenden Staaten solche Erwägungen eine bedeutend größere Rolle gespielt als ein-
fach Raublust, Gewinnsucht und Herrschsucht. Ich bin überzeugt, daß, wenn man den
englischen, deutschen, amerikanischen Unternehmern und Arbeitern den Bezug der Roh-
stoffe und den Absatz der Erzeugnisse auf andere Weise sichern könnte, sie alle herzlich
gern auf den kolonialen Plunder, und überhaupt auf die Erweiterung der Staatsgrenzen
verzichten würden.

Die auf den Boden und seine Schätze ausgedehnten Hoheitsrechte der sogenannten
Völker, die Völkerrechte, verwandeln zwangsläufig den ganzen Erdball in einen Zankapfel,
von dem jeder nicht etwa nur das größte Stück, sondern jeder das Ganze will und übrigens
auch durchaus braucht. Und dafür, daß dieser Zankapfel nicht im Geiste der Verständi-
gung, der Vernunft, der Liebe und Menschlichkeit behandelt wird, - dafür sorgt wieder
das in allen Staaten geltende Bodenrecht, dafür sorgt der Geist der Gewalt, der Unter-
drückung, des Luges und des Truges, den unser auf dem Privatgrundeigentum sich auf-
bauender Klassenstaat aus allen Poren schwitzt. Menschen, die unter Herren und Knech-
ten, Genießern und Besitzlosen aufgewachsen sind, bringen notwendigerweise ihre ver-
giftete Denkweise mit zu allen zwischenstaatlichen Verhandlungen und schließen jede
Verständigung von vornherein aus. Jeder Nadelstich wird in diesem Geiste als gefährliche
Verletzung empfunden. Um uns davon zu überzeugen, müssen wir uns den leitenden Ge-
danken aller Staatsgründungen und der Staatserhaltung näher ansehen.

Rousseau sagte: Wer den ersten Zaunpfahl in die Erde rammte und dazu sagte, dieses
Land ist mein, und Dumme fand, die es glaubten, der legte den Grund zu den heutigen
Staaten.

Damit sagte er, daß die Errichtung des Sondereigentums am Boden den Geist des
Staates durchtränkt, daß die mit dem Einrammen des Zaunpfahls einsetzende Grundrente
die eigentliche Seele des Staates ist. Der Staat rankt am Zaunpfahl, ähnlich wie die Bohnen-
staude an der Stange, wie das Efeu am Gemäuer. Ist die Stange krumm, so ist auch die
Bohnenstaude krumm. Reißt man die Stange aus, so hat die Ranke keine Stütze mehr
und stürzt. Ist das Bodenrecht gesund, so wird auch das Volksleben, der Staat gesund
sein. Ist dieses Recht Ausfluß der Gewalt, so wird auch der Staat nur mit Gewalt auf-
recht zu erhalten sein. Das ist es, was Rousseau sagte.

Wie der Geist der Gewalt, der Ausbeutung, der Unaufrichtigkeit sich am Geiste des
Zaunpfahles ausbildet, das erkennt man gleich, wenn man sich die Frage stellt, wie dieser
Zaunpfahl eigentlich gegen die Sturmböcke der durch ihn enterbten Volksmassen ge-
schützt werden kann. Daß hierzu die rohe Gewalt nicht ausreicht, ist klar. Denn die rohe
Gewalt ist ja die Gewalt der Masse, ein Vorrecht der Enterbten, der Besitzlosen. Nein,
zum Schutze des Zaunpfahles braucht man höhere Kräfte: Blendwerk, Vollmachten,
Rechtsgötzendienst, und um das alles richtig planmäßig einzurichten, baut man den Staat
aus, wie er heute ist. Zur Bildung dieses Staates und seiner Rechtsgötzen bemächtigt sich
der Grundeigentümer durch Schul- und Kirchenzwang der gesamten Jugendausbildung,
nach dem Grundsatz: was ein Häkchen werden soll, krümme man beizeiten. Was gelehrt,
was unterdrückt, verheimlicht werden soll, das bestimmt der Grundeigentümer. Die
Aufsicht über Schule und Kirche haben die weitschauenden Staatsmänner immer als das
wichtigste Amt ihrer Staatsleitung bezeichnet. Lehrer, Geistliche, Geschichtsschreiber
werden am Zaunpfahl auf ihre Pflichten vereidigt. Wer sich nicht fügt, darf verhungern,
wenn er nicht gar gerädert, verbrannt, nach Sibirien verbannt wird. Und so widerstand
der Zaunpfahl allen Angriffen, selbst der großen Französischen Revolution, bis auf den
heutigen Tag. Ein erziehliches Meisterstück allerersten Ranges. Wie ist es möglich, so
fragt man sich verwirrt, daß einzelne Männer den Boden wie eine gemeine Ware kaufen
und verkaufen, den Boden, auf den die Menschheit angewiesen ist wie auf die Luft und das
Wasser? Wie ist es möglich, daß der Besitzlose eine so ungeheure Anmaßung, die ihn-
geradezu entwurzelt und entwürdigt, auch nur 24 Stunden duldet? Und dennoch steht der
Zaunpfahl!

Mit rechten Dingen ist das nicht zugegangen. Die Wahrheit ist eben gebeugt worden,
von den Beamten, in der Schule, in der Kirche. Man hat, unter Mißbrauch religiöser Ge-
fühle, dem armen Menschenkind so oft und so eindringlich den Satz wiederholt "Gebt
dem Kaiser, was des Kaisers ist", daß die Gesetze schließlich zu einem Götzenbild wurden,
das vom Volk von ferne angebetet wird. Nur so ist das Rätsel zu erklären, daß der Zaun-
pfahl gegen alle Aufsässigen geschützt werden konnte. Die große Masse des Volkes, im
Banne der Kirche und Schule, konnte von ihren natürlichen Führern nie dazu bestimmt
werden, den Zaunpfahl das unverletzliche Heiligtum, umzustoßen.

Gehen wir nicht leichtsinnig über diese Tatsache hinweg. Sie ist vön größter Bedeutung,
um den Geist, der die heutigen Staaten führt, richtig einzuschätzen. Was kann aus einem
Volke werden, wenn von oben her mit den heiligsten Gefühlen Mißbrauch getrieben wird,
wenn man Religion, Wissenschaft, Kunst, das natürliche Gefühl völkischer Zusammen-
gehörigkeit, zu Machtzwecken mißbraucht? Was kann aus einem Kinde werden, dem ge-
sagt wird: "Die Erde gab Er den Menschenkindern, aber deinen Vater, ob er auch der
beste Mann ist, hat er davon ausgeschlossen", und daß das so ganz richtig sei, heiliges, un-
antastbares Recht? Ich meine, solchen Blödsinn kann kein Kind vertragen. Die Sehnen
des sozialen Richtsinnes erfahren bei solcher Gotteslästerung im Kinde entschieden eine
Streckung, die um so vernichtender wirken muß, je stärker im Kinde der soziale Richt-
sinn veranlagt war. Von dem Augenblick, wo dem Kind gesagt wird, daß sein Vater kein
Recht auf den Boden hat, daß er ein elender Mensch, ein Proletarier ist - ist das Kind
geistig gebrochen -Recht und Unrecht wird es nie mehr klar unterscheiden. Es ist ihm
ein Leid getan worden.

Diese so erzogenen Menschen, sowohl die dabei tätig, wie die leidend mitwirkenden,
sind es nun, von denen wir erwarten, daß sie mit Vernunft und friedlichem Sinne alle die
Zankäpfel miteinander verspeisen werden, die die Staatshoheit der Völker täglich, ja
stündlich auf den Beratungstisch der Staatsmänner wirft! Um solches für möglich zu hal-
ten, müßte man wirklich schon von Friedensliebe triefen. Dabei dürfen wir natürlich auch
die sonstigen Wirkungen des Bodenrechtes nicht vergessen: die allgemeine Verhetzung
im Klassenstaate, die politischen Kämpfe, von denen sogar die unmittelbar Beteiligten
aussagen, daß sie die Gesinnung verderben, die Lohnkämpfe, die Streiks und Aussperrun-
gen, die Zusammenstöße mit der Polizei, die Pinkertonschen Bataillone usw. Dann werden
wir wohl zu der Überzeugung gelangen, daß, solange dieses Bodenrecht nicht abgeschafft
wird, der großzügige, wirklich freiheitliche Geist, der nirgendwo so nötig ist wie gerade
bei den zwischenstaatlichen Verhandlungen, in keinem Staate aufkommen kann.

Zusammenfassend möchte ich das Gesagte in die Worte kleiden: Das bis heute den so-
genannten Völkern, den Massen und ihren Staaten zugestandene unbeschränkte Hoheits-
recht über den Boden und seine Schätze bildet das Pulverfaß des Krieges, und die Zünd-
kapsel dazu liefert der verderbte Geist, den der auf dem Privatgrundbesitz sich aufbauende
Klassenstaat von jeher gezüchtet hat und immer weiter züchten muß. Friede und Grund-
eigentum, sowohl nationales wie privates Grundeigentum, sind einfach unvereinbar, und
unnütz ist es, von Frieden zu reden, solange wir diese uralten barbarischen Einrichtungen
nicht restlos von der Erde vertilgt haben.

* * *

Mancher schöne Gedanke ist schon an den Verwicklungen gescheitert, die die Ver-
wirklichung mit sich brachte. Hart im Raume stoßen sich die Sachen. Beim Freiland-
gedanken ist jedoch solches nicht zu befürchten. Die Praxis ist hier von geradezu vorbild-
licher Einfachheit. Sie läßt sich erschöpfend in diese zwei Sätze fassen:

Satz 1. In allen Staaten, die sich dem großen Friedensbund anschließen, wird das Sonder-
eigentum am Boden (Privatgrundbesitz) restlos abgelöst. Der Boden ist dann Eigentum des
Volkes und wird der privaten Bewirtschaftung durch öffentliche Verpachtung im Meist-
bietungsverfahren übergeben.

Satz 2. An diesen öffentlichen Pachtungen kann sich jeder Mensch beteiligen, einerlei wo
er geboren, wie und was er spricht, welchen Lastern er huldigt, welche Verbrechen er begangen,
von welchen Gebrechen er geplagt wird, kurz alle, die Menschenantlitz tragen.
Das Pachtgeld wird gleichmäßig und restlos unter alle Frauen und Kinder wieder verteilt,
wobei auch hier keinerlei Unterschied gemacht wird, woher die Frauen und Kinder kommen.
(Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt 1.)

Diese Freilandsatzungen sind auch die Satzungen des Weltfriedens! Und was für ein
Friede! Er sucht die edlen, imperialistischen Triebe nicht heuchlerisch auszurotten; er
stempelt sie nicht als Unzucht und Barbarei - sondern er befriedigt sie. Das Hochziel
jedes gesunden, aufrechten Mannes, das Reich der ganzen Erde, wird zur Tatsache.

Satz 1 greift den Klassenstaat an seiner Quelle an. Die Schuld, die fortzeugend Böses
gebären mußte, ist gesühnt und getilgt. Friede herrscht jetzt am Herd, in der Gemeinde,
im Volke. Niemand ist mehr da, der Sondervorteil von der Ausbildung des "Staates", des
neuzeitlichen Götzen, haben könnte und dieser seelenlosen Maschine die Pflege der Wis-
senschaft, der Religion und der Schule zu übertragen sucht. Dieser Organismus, der
Staat, wächst nicht mehr von selbst, setzt nicht mehr täglich neue Glieder an, mit denen er
nach den letzten freien Menschen zu greifen sucht. Der Selbsterhaltungstrieb dieser Ma-
schine ist ausgerottet; sie geht nur noch gerade so weit, wie sie gestoßen wird. Niemand
spricht jetzt mehr vön "Staatsidealen", von Staatsbestrebungen, von Staatsseele und
Staatsgott! Wie die zum Gipfel strebende Efeuranke zum unansehnlichen Krauthäufchen
zusammenstürzt, sowie ihr die Stütze entzogen ist, so wird auch der Götze, der im dro-
henden Staatssozialismus zum alles verschlingenden, alles verdauenden Ungeheuer sich
auswächst, (5) zu einem bescheidenen Knecht zusammenschrumpfen, der die Straßen kehrt,
die Briefe befördert, die Eisenbahnwagen putzt, die Schornsteine und Kotschleusen fegt,
den Seuchenquellen nachspürt, Spitzbuben bewacht, und dem wir sorglos die Stiefel zum
Putzen anvertrauen werden, falls er es billiger und besser besorgt als ein anderer Schuh-
putzer. Das tolle Gerede über die Zwecke des Staates verstummt. Die Zwecke der Mensch-
heit sind dann wieder dort vereinigt, wo sie allein eine ersprießliche Förderung erfahren
können, in der Brust jedes einzelnen Menschen.

Mit Satz 1 fallen ganz von selbst die agrarischen Sonderbelange, die zur Schaffung der
Zollgrenze trieben und den schauerlichen Gedanken des geschlossenen Handelsstaates
gebaren. (Die währungstechnischen Schwierigkeiten des Freihandels werden durch Frei-
geld restlos gelöst.)

Satz 1 führt von selbst zum Freihandel, und es verlieren die Fragen wie Elsaß, Serbien,
Polen, Marokko, Gibraltar, Irland usw. für alle Beteiligten jeden vernünftigen Sinn; sie
werden inhaltlos. Die Grenzwächter, ich meine die eigentlichen Grenzwächter, nicht die
bescheidenen Männer, die bei Nacht und Nebel Wache hielten, damit von jenseits der
Grenze keine guten und billigen Waren ins Land kamen, sondern die Männer, die un-
mittelbar Geldvorteile zogen aus der möglichst scharfen Betonung der politischen und
wirtschaftlichen Grenzen und Völkerscheiden, verschwinden ja restlos mit Satz 1. Um den
Frieden zu schaffen, ist es dann nicht mehr nötig, daß Grenzsteine versetzt werden. Diese
bleiben einfach da, wo sie vor Kriegsbeginn waren. Dort mögen sie in Frieden stehen als
Denkmale des Haders, des Krieges. Sie haben dann nur mehr den Sinn, den etwa die
Grenzen der einzelnen deutschen Bundesstaaten haben: eine reine Verwaltungsangelegen-
heit, die durch Freiland nur noch gewaltig vereinfacht wird, eine Sache, die durchaus
nichts Trennendes mehr an sich hat, so daß man sagen kann, daß mit Satz 1 die künst-
lichen Grenzen unwirksam werden und dann nur noch die natürlichen Grenzen, die die
Sprachen, die Rassen, Gebirge und Gewässer usw. bilden, übrig bleiben, von denen man
noch nie behauptet hat, daß sie zu Kriegen geführt haben. Und von der einzigen, dann
übrig bleibenden Grenze, die praktisch sich noch fühlbar machen wird, der Gesetz-
gebungsgrenze, kann man sagen, daß sie geradezu von einer "Selbstmordsucht" besessen
ist - insofern als die Gesetze der einzelnen Völker sich täglich mehr angleichen und da-
rum die für ihren Wirkungskreis geltenden Grenzen mit jedem Tage mehr ineinander
übergehen und verschwimmen. Länder mit gleichen Gesetzen haben keine Gesetzes-
grenze mehr - so wenig wie zwei Wassertropfen, die ineinander überlaufen. Haben doch
die meisten Staaten sich die Verfassung und Gesetze gegenseitig abgeschrieben! Und
dieses Abschreiben wird immer mehr um sich greifen. (6)

So werden also mit der Freilanderklärung die Grenzen bis zur Unsichtbarkeit abge-
tragen - warum also jetzt noch Grenzsteine versetzen!

Mit Satz 2 werden alle Zankäpfel, die die Staatshoheit über die Bodenschätze geschaffen
hatte (Kohlenmonopol, Petrolmonopol, Kalimonopol, Baumwollmonopol usw.) spurlos
vertilgt. Es ist nicht nur fesselnd, sondern geradezu lustig, die Wirkungen zu verfolgen,
die Satz 2 bei der Vertilgung dieser Zankäpfel ausübt, wie die verwickeltsten Fragen sich
in dem einzigen Satz restlos auflösen. Hier ist nicht der Ort, die tausendfachen, grundstür-
zenden Wirkungen, die Satz 2 in den Völkerbeziehungen auslösen wird, auch nur flüchtig
aufzuzählen. Das ist ein Forschungsgebiet für sich von gewaltigem Umfang. Von Grund
auf wird hier alles umgestaltet, und zwar nicht am grünen Tisch der Staatsmänner, son-
dern selbsttätig, in natürlicher Entwicklung.

Es genüge hier zu erwähnen, daß, wenn ein Volk versuchen wollte, mit seinen Boden-
schätzen den anderen Völkern gegenüber Wucher zu treiben, etwa durch Schaffung eines
Kali- oder Baumwollmonopols - sich das sofort hart rächen würde, insofern als die zur
Verteilung gelangenden Monopolgewinne die Arbeitsscheuen der ganzen Welt ins Land
ziehen würden. Alle Bummler, Sonnenbrüder, Zigeuner würden dorthin ziehen, wo man
die Bodenschätze an das Ausland mit Renten belastet abgibt. Die Zigeuner wären dann
noch die einzigen, die sich über die Erhöhung der Kali-, Kohlen- und Baumwollpreise
freuen, die sich noch in die Börsenblätter mit wirklichem Anteil vertiefen würden! Nur
keine Monopole, nur keinen Wucher mit unseren Bodenschätzen, wird es im Freilandstaat
heißen - wir haben genug Bummler, genug Läuse im Pelze, wir wollen nicht noch welche
vom Ausland anlocken. Da in den anderen Staaten aber für andere Waren genau dasselbe
Bestreben herrschen wird, - so ist es klar, daß die Bodenschätze keinerlei Reibungen mehr
verursachen können. Die volle Freizügigkeit, die mit Satz 1 und 2 hergestellt wird, bringt
ganz selbsttätig die Bodenschätze unter die Weltherrschaft. Sie lähmt alle Kräfte, die heute
zur wucherischen Ausbeutung dieser Schätze treiben.

Dabei wäre es verkehrt, wenn man annehmen würde, daß mit der Erklärung von Frei-
land alle Länder nun von allerlei Volk, vielleicht unerwünschtem Volk, überrannt würden.
Man sagt sich, daß, wenn heute schon Millionen von Menschen als Wanderarbeiter ruhe-
los hin- und herziehen, das mit der Freilanderklärung noch viel mehr der Fall sein wird. Das
Gegenteil wird sich aber zeigen. Es ist wahrhaftig keine Wanderlust, kein Wandertrieb,
der die Wanderarbeiter und Auswanderer veranlaßt, Familie, Freunde, Heimat, die Kirche
zu verlassen, um in Pennsylvanien in die Kohlengruben zu steigen. Wahrhaftig, hier ist
bittere Not die treibende Kraft. Das erkennt man wohl am besten an der Rückwanderung
der italienischen Auswanderer. Die Not jagt sie fort, die Heimatliebe treibt sie wieder
heim. Diese Not aber wird mit Freiland verschwinden. Wenn irgendwo die Bevölkerung
zu dicht wird, nun dann wird der Überschuß dorthin ziehen, wo es noch Platz gibt, aber
nicht mehr mit Waffen und Gewalt, sondern mit Pflug, Ochsen und Schafen, auch nicht
mehr als Ausbeutungsgegenstand gieriger Landwucherer, sondern als freie gleichberech-
tigte Bürger des Landes, wohin sie ihr königlicher Wille geführt hat. Freiland ist das all-
gemeine Sicherheitsventil; mit Freiland verteilt sich die Menschheit frei und reibungslos
über die Welt.

Freiland erschließt uns eine ganz andere als die heute durch das private und das Staats-
hoheitsrecht auf den Boden von Grund aus verdorbene Welt. Freiland bedeutet eine
gründliche Umwertung aller unserer Begriffe. Auf politischem, wie auf volkswirtschaft-
lichem Gebiete gibt es kaum eine Lehre, die durch Freiland nicht umgestoßen wird. Frei-
land läßt nichts unberührt.

Zum Schlusse möchte ich noch bemerken, daß das einzelne Volk durchaus nicht darauf
angewiesen ist, zur Durchführung von Freiland auf zwischenstaatliche Abkommen zu
warten. Mit der Erklärung von Freiland gewinnt das Volk, das hier mit dem Beispiel voran-
geht, durch die Ausschaltung aller Innenreibungen, aller unfruchtbaren politischen
Kämpfe, einen derartigen Kraftüberschuß für alle Werke von echtem Wert, daß sich bald
die Blicke der ganzen Welt dahin richten werden und man nach dem Grunde all der Herr-
lichkeit forschen wird. Sieghaft, wie alles Echte und Gute, erobert sich Freiland die Welt.


(1) Wilsons Friedensprogramm Juni 1918: "Herabsetzung der Heere auf das äußerste Maß,
das noch zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit als notwendig erachtet wird." Die
Vorgänger Wilsons hätten danach gehandelt - und ohne Heer trat Wilson in den Krieg!

(2) Ist inzwischen geschehen. Die Schweizer zahlen die Tonne Ruhrkohle, die an Deutsche
zu 175 M. abgegeben wird, mit 190 Fr., also zum zehnfachen (!) Preis. Februar 1921.

(3) So waren Lassalle, Liebknecht, Bebel keine grundsätzlichen Gegner des Zolles. (Sozial-
demokratie und Zollpolitik. M. Erzberger, Volksvereins-Verlag, München-Gladbach 1908.)

(4) Die Vereinigten Staaten fördern 50 % der Welterzeugung an Kupfer, 40 % an Eisen,
45 % an Kohlen, 60 % an Baumwolle, 65 % an Erdöl.

(5) Siehe Walter Rathenau: Die neue Wirtschaft, S. Fischer Verlag, Berlin.

(6) Um die entrissenen Provinzen zurückzuerobern, um die ganze Welt zu "erobern",
braucht Deutschland nur bei sich vorbildliche Zustände zu schaffen, die soziale Frage
zu lösen. Jedes Land, das die deutschen Gesetze abschreibt, gliedert sich damit dem
Deutschen Reich an.


[ Zur NWO-Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]

Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.