Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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2.6. Was Freiland nicht kann!

So schwere Folgen auch die Bodenverstaatlichung nach sich ziehen wird, so kann
man ihre Wirkung doch übertreiben.

Ein Allheilmittel ist Freiland, wie manche wähnen, nun freilich nicht. Henry George
war der Meinung, daß mit Freiland auch

der Zins, die Wirtschaftsstockungen (Krisen), die Arbeitslosigken

verschwinden würden. Zwar vertrat er diese Meinung nicht mit der Entschlossenheit
und dem Gedankenreichtum, mit denen er seine Hauptforderung stützte, und in dieser
Lauheit müssen wir den Beweis erblicken, daß er selbst noch schwere Zweifel hegte und
einen völlig klaren Einblick in diese Verhältnisse vermißte. Aber seine Jünger haben
diese Zweifel nicht.

Bei Henry George waren es nicht viel mehr als Meinungen oder Glaubenssätze; bei
seinen Jüngern, den sogenannten Bodenreformern, aber sind es unbezweifelte Grund-
sätze geworden. Nur Michael Flürscheim macht hier eine Ausnahme, wodurch er aber
wieder allen anderen Bodenreformern entfremdet wurde, trotzdem er es gewesen war,
der den Gedanken der Bodenreform in Deutschland wieder neu zu beleben wußte. Sicher
der beste Beweis, daß die Ansichten Georges über Zins und Krisen bei seinen Jüngern
als unantastbare Wahrheit gelten, mit denen man wohl denkt, über die zu denken aber
als eine Art Abfall vom Glauben angesehen wird.

Freiland beeinflußt die Verteilung der Erzeugnisse; aber bei der Arbeitslosigkeit und
den Wirtschaftsstockungen (Krisen) handelt es sich nicht um Fragen der Verteilung,
sondern um solche des Tausches (oder Handels), und auch der Zins ist, obschon er viel
stärker noch als die Grundrente die Verteilung der Erzeugnisse beeinflußt, doch nur
eine Tauschangelegenheit; denn die Handlung, die die Höhe des Zinses bestimmt,
nämlich das Angebot von greifbaren vorrätigen Waren gegen solche künftiger Erzeugung,
ist ein Tausch, nichte als ein Tausch. Bei dem Bodenzins dagegen findet kein Tausch
statt; der Grundrentner steckt einfach die Rente ein, ohne irgend etwas in Tausch zu
geben. Der Bodenzins ist ein Teil der Ernte, kein Tausch; darum kann auch das Forschen
nach dem Entstehen der Grundrente keinen Anhaltspunkt für die Lösung der Zins-
frage geben.

Die Fragen der Arbeitslosigkeit, der Wirtschaftsstockungen (Krisen) und des Zinses
lassen sich nur beantworten, wenn man die Bedingungen untersucht, unter denen der
Tausch überhaupt stattfinden kann. Diese Untersuchung hat George, haben auch die
deutschen Bodenreformer nicht angestellt. Darum ist es ihnen ganz unmöglich, für

den Zins, die Wirtschaftsstockungen (Krisen) und die Arbeitslosigkeit

stichhaltige Erklärungen zu geben. Die Zinstheorie Georges, die noch heute die Köpfe
der deutschen Bodenreformer verwirrt, ist eine unglaublich grobe, sogenannte Fruktifi-
kationstheorie, und vermag so wenig wie seine ebenso oberflächliche Krisentheorie (Miß-
verhältnis zwischen Verbrauch und Einnahmen der Reichen) auch nur eine einzige der
Erscheinungen zu erklären, die den Zins, die Arbeitslosigkeit und die Krisen begleiten.

Und das ist bisher der schwache Punkt der Bodenreform gewesen. Auf der einen Seite
die Behauptung, die Bodenreform löse für sich allein die ganze "soziale Frage", auf der
anderen Seite die Unfähigkeit, für die schwersten Schäden unserer Volkswirtschaft eine
befriedigende, scharfer Nachprüfung standhaltende Erklärung zu bringen. Und nicht
allein eine Erklärung hätten die Bodenreformer bringen müssen, sondern auch das Mittel,
um die genannten Schäden unserer Volkswirtschaft zu beseitigen. Den Arbeitern aber,
denen die Bodenreformer die Erlösung aus ihrter schrecklichen Lage bringen wollen, ist
mit der Verstaatlichung der Grundrente allein noch nicht geholfen. Sie wollen den vollen
Arbeitsertrag, d. h. die Beseitigung der Grundrente und des Kapitalzinses; dazu eine
Volkswirtschaft, die Wirtschaftsstockungen (Krisen) und Arbeitslosigkeit unmöglich macht.

Diese Übertreibung der Wirksamkeit der Bodenverstaatlichung hat der ganzen Be-
wegung unberechenbaren Schaden verursacht.

Wir werden jetzt die Verhältnisse untersuchen, unter denen der Zins, die Stockungen
(Krisen) und die Arbeitslosigkeit zustande kommen, und die Mittel prüfen, die für die
Beseitigung dieser Übelstände zu ergreifen sind. Es handelt sich hier um Fragen, die in
dem üblen Rufe stehen, zu den verwickeltsten aller volkswirtschaftlichen Fragen zu
gehören. Die Sache ist jedoch nicht so schlimm. Die Fragen sind nur wissenschaftlich
verwickelt worden; in Wirklichkeit liegen die Tatsachen schön glatt nebeneinander, und
wir brauchen nur beim richtigen Ende anzufangen, um sie aneinander zu reihen.


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.