Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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2.4. Wie die Bodenverstaatlichung wirkt

Nicht erst dann, wenn der letzte Schuldschein der Bodenverstaatlichungsanleihe ein-
gelöst und verbrannt sein wird, werden sich die Wirkungen der Bodenverstaatlichung
zeigen, sondern gleich vom Tage an, wo die Enteignung gesetzlich beschlossen wird. Und
zwar in erster Linie in der Volksvertretung, in der Politik.

Ähnlich, wie es beim Turmbau in Babel zuging, werden sich die Volksvertreter nicht
mehr verstehen, ja sie werden sich selbst nicht mehr wiedererkennen; sie werden als ganz
andere Menschen, mit ganz neuen Hochzielen nach Hause zurückkehren. Das, was sie bis-
her vertraten, was sie verteidigten oder angriffen, wofür sie tausend neue gewichtige oder
auch frevelhaft leichtsinnige Gründe zusammengetragen hatten, besteht nicht mehr. Wie
durch Zauberschlag hat sich das wüste Schlachtfeld in einen Friedhof verwandelt. Die
Privatgrundrente besteht nicht mehr; und was waren Reichs- und Landtag anderes als eine
Börse, wo auf Steigen und Fallen der Grundrente Wucherspiel getrieben und gewühlt
wurde. Eine Animierkneipe für höhere Zölle nannte es jemand, der dabei war! Es ist Tat-
sache, daß in den Parlamentsverhandlungen der letzten Jahre sich alles fast ausschließlich
mittel- und unmittelbar um die Grundrente drehte.

Die Grundrente bildet den Standpunkt, von dem aus sich die Regierung auf dem Gebiete
der Gesetzgebung die Richtung für ihr Handeln sucht; die Grundrente ist der Pol; um
welchen alle Gedanken der Regierungsmänner sich drehen, sowohl hier, wie überall in der
Welt. Ob bewußt oder unbewußt, bleibt sich gleich. Ist die Grundrente gesichert, dann ist
alles in Ordnung.

Die langen und wüsten Verhandlungen bei Beratung der Kornzölle drehten sich um die
Grundrente. Bei den Handelsverträgen waren es die Belange der Grundrentner, die allein
Schwierigkeiten bereiteten. Bei den langwierigen Verhandlungen um den Mittellandkanal
war wieder allein der Widerstand der Grundrentner zu überwinden. Alle die kleinen, so
selbstverständlichen Freiheiten, deren man sich heute erfreut, wie z. B. die Freizügigkeit,
die Abschaffung der Leibeigenschaft und Sklaverei, mußten gegen die Grundrentner
erkämpft werden, und zwar mit den Waffen. Denn zu Kartätschen griffen die Grundrent-
ner, um ihre Belange zu verteidigen. In Nordamerika war der lange, mörderische Bürger-
krieg nur ein Kampf gegen die Grundrentner. Der Widerstand auf allen Gebieten geht
zielbewußt von den Grundrentnern aus; ja, wenn es von den Grundrentnern abhinge,
so wären Freizügigkeit und allgemeines Wahlrecht schon längst zum Besten der Grund-
rente geopfert worden. Volksschule, Hochschule, Kirche wurden schon bei ihrer Grün-
dung dem Gedeihen der Grundrente untergeordnet.

Das alles hört nun mit einem Schlage auf. Wie Schnee wird die Politik der Grundeigen-
tümer an der Sonne der Bodenbefreiung vergehen, verdampfen, versinken. Mit der Privat-
grundrente verschwindet jedes auf Geldvorteile gerichtete politische Bestreben; im Parla-
ment wird sich niemand mehr die Taschen füllen können. Politik aber, die nicht mehr von
Sonderbestrebungen geleitet wird, vielmehr allein von der höheren Warte des öffentlichen
Wohls, ist keine Politik mehr, sondern angewandte Wissenschaft. Die Volksvertreter wer-
den sich also in alle Staatsangelegenheiten wissenschaftlich vertiefen und eine Arbeits-
weise sich aneignen müssen, bei der alle Leidenschaften schweigen, und wo man mit
nüchternem Sinne den nüchternen Beratungsstoff mit Hilfe der Statistik und Mathe-
matik prüfen wird.

Doch nicht allein die Politik der Grundeigentümer ist erschöpft, sondern auch die ihrer
Gegner. Wozu sandte man denn die Sozialisten, die Freisinnigen und die Demokraten
in den Reichstag? Damit sie das Wohl des Volkes gegen die räuberischen Gelüste der
Grundrentnet schützen sollten! Die Verteidiger werden aber überflüssig, sowie die An-
greifer verschwinden. Das ganze liberale Parteiprogramm ist mit der Bodenbefreiung als
etwas völlig Selbstverständliches erledigt. Es denkt niemand mehr daran, dieses Programm
anzutasten, überhaupt noch zu prüfen und zu benörgeln. Jedermann ist und denkt selbst-
verständlich freiheitlich. Welchen Sondervorteil könnte der einzelne auch noch von der
Politik erwarten? Was war Reaktion, was war das konservative Parteiprogramm? Grund-
rente, weiter nichts als Grundrente war es.

Selbst die rückschrittlichen Agrarier von gestern denken nun freiheitlich, fortschrittlich.
Es waren doch Menschen wie alle anderen, weder besser noch schlechter; sie waren auf
ihren Vorteil erpicht, wie jeder anständige Mensch es ist. Sie waren keine besondere Rasse.
Einig waren sie nur durch das gleiche, materielle Interesse. Allerdings ein starker Kitt.
Mit der Bodenverstaatlichung geht die ganze Klasse in der Allgemeinheit auf. Ja die
Junker von gestern sind sogar freiheitlich gesinnt, denn was ist ein Graf ohne Land?
Grundeigentum und Adelsherrschaft (Aristokratie, was man heute so nennt) sind ein und
dasselbe. Jedem Aristokraten kann man an den Gesichtszügen ablesen, wieviel Hektar Land
er besitzt, wieviel Rente sein Land abwirft.

Also, was sollen die Politiker noch im Reichstag? Es ist ja alles so einfach, so selbst-
verständlich geworden, seitdem die Grundrente nicht mehr jede Neuerung behindert. Der
Entwicklung die Bahn frei! Das war der Ruf des Freisinns. Und jetzt ist sie frei. Nir-
gends stößt die Gesetzgebung noch mit dem Sondervorteil zusammen. Zwar besteht das
bewegliche Kapital weiter, und dieses hat mit der Umwandlung des Grundkapitals in
Staatsschulden (Mobilkapital) sogar um mehrere hundert Milliarden zugenommen. Aber
das bewegliche Kapital unterliegt, weil ausfuhrfähig und der ganzen Welt zugänglich,
ganz anderen Gesetzen als das Grundkapital. Politik ist dem beweglichen Kapital (Fahrhabe)
nutzlos. (Dieser Satz wird im folgenden Teil weiter begründet werden.) Außerdem muß das
bewegliche Kapital, schon um dem Wettbewerb des Auslandes standzuhalten, den Fort-
schritt nach jeder Richtung fördern, und dies zwingt es, mag es wollen oder nicht, in die
Bahn der Freiheit.

Nach Beseitigung der Privatgrundrente werden Land und Stadt politisch nicht mehr
getrennte Wege gehen, sondern vereint den gleichen Zielen zustreben. Wollte man z. B.
die Landwirtschaft durch irgendeine Entwicklung einseitig begünstigen, so würden die
Arbeiter von der Industrie zur Landwirtschaft übergehen bei den öffentlichen Verpach-
tungen den Pachtzins jenen Vorteilen entsprechend in die Höhe treiben und so das Gleich-
gewicht zwischen dem Ertrag der Arbeit in Industrie und Landwirtschaft wiederherstellen.
Und umgekehrt natürlich. Der Boden stände eben jedermann zu völlig gleichen Bedin-
gungen zur Verfügung. Es ist darum vollkommen ausgeschlossen, daß nach der Boden-
verstaatlichung die Landwirtschaft durch Verfolgung ihrer Ziele noch in Gegensatz zur
Industrie treten kann. Landwirtschaft und Industrie werden durch die Bodenverstaat-
lichung erst zu einer gleichartigen wirtschaftlichen und politischen Masse verschmolzen
werden. Eine überwältigende Mehrheit, mit der alles, gegen die nichts erreicht werden kann.

Es würde zu weit führen, hier die Wirkung der Bodenverstaatlichung auf politischem
Gebiete bis in die äußersten Folgerungen zu erörtern. Ich muß mich hier auf diese groben
Umrisse beschränken. Sie genügen übrigens um zu zeigen, daß mit der Bodenverstaatli-
chung die heutige Parteipolitik wesenlos, ja, daß die Politik nach heutigen Begriffen über-
haupt erledigt wird. Politik und Grundrente sind eins. Zwar wird damit die Volksvertre-
tung nicht überflüssig, aber sie wird von jetzt ab ganz andere Aufgaben zu lösen haben -
Aufgaben, bei denen eigensüchtige Sonderbestrebungen einzelner völlig ausgeschlossen
sein werden. Es werden wissenschaftliche Tagungen abgehalten werden, und statt daß man
Vertreter in das Volkshaus schickt, die über alles und jedes zu urteilen haben und sich auch
ein Urteil über alles erlauben, wird man Fachmänner für jede einzelne Frage entsenden.
Auf diese Weise erhalten dann alle Fragen eine fachgemäße, wissenschaftliche Behandlung.
Was wird nicht heute alles vom Volksvertreter verlangt! Er soll über Heer und Flotte,
über Schule, Religion, Kunst und Wissenschaft, über Heilkunde (Impfzwang), Handel,
Eisenbahnen, Post, Jagd, Landwirtschaft usw. usw., kurz, über alles und jedes recht-
sprechen. Sogar über die Währungsfrage, wahrhaftig über die Währungsfrage, haben diese
Allweisen entscheiden müssen (Goldwährung), obschon mehr als 99% unter ihnen keine
blasse Ahnung davon haben, was das Geld ist, was es sein soll und sein könnte.

Kann man da diesen geplagten Wesen einen Vorwurf daraus machen, daß sie schließlich
in keiner Frage zu vertiefter Erkenntnis gelangen? (1)

Diese seltsamen Gestalten werden nun mit der Bodenverstaatlichung verschwinden.
"Mädchen für alles" wird das Volk zu den Beratungen nicht mehr entsenden, sondern
Fachmänner, deren gesetzgeberische Vollmachten auf ihr Fach, und die besondere, zur
Verhandlung stehende Frage beschränkt bleiben. Mit der jeweiligen Frage ist auch die
Vollmacht erledigt.

Ebenso tiefgreifend wie in politischer Beziehung wird die Bodenverstaatlichung das
allgemeine Verhältnis der Volksgenossen zueinander beeinflussen, und zwar auch dies
gleich vom Tage der Enteignung an.

Das Bewußtsein, daß nun jeder dem vaterländischen Boden gegenüber völlig gleich-
berechtigt ist, wird jeden mit Stolz erfüllen und schon in seinem Äußeren einen Ausdruck
finden. Jeder wird den Nacken steifhalten, selbst den Staatsbeamten wird der Mut zum
Widerspruch nicht fehlen; wissen sie doch alle, daß sie im Boden einen Rückhalt haben,
eine treue Mutter, die allen, die da draußen Schiffbruch leiden, eine Zuflucht gewährt.
Denn der Boden wird allen, allen ohne Ausnahme, immer unter völlig gleichen Bedingun-
gen zur Verfügung stehen, dem Armen wie dem Reichen, Männern wie Frauen, jedem,
der den Boden bearbeiten kann.

Man wird hier wohl einwenden, daß auch heute die Gelegenheit nicht fehlt, Boden
zu pachten und zu bebauen, jedoch darf man nicht vergessen, daß die Grundrente heute in
die Privattaschen fließt und daß dadurch jeder unmenschlich viel und schwer arbeiten muß,
nur um sein Brot zu verdienen. Mit Eintritt der Bodenverstaatlichung wandert die Grund-
rente in die Staatskasse und kommt so unmittelbar einem jeden in den Staatsleistungen
zugute. Dadurch wird aber die Arbeit weniger, die jeder für seinen Lebensunterhalt leisten
muß. Statt 10 ha zu bebauen, werden 6 oder 7 genügen, so daß mancher in der Stadtluft ge-
schwächte Beamte als Bauer sein Brot wird verdienen können. Dies wird natürlich noch
viel mehr der Fall sein, wenn wir mit der Einführung des Freigeldes auch noch den Kapital-
zins beseitigt haben werden. Dann werden 4 ha genügen, wo jetzt 10 bebaut werden müssen,
nur um das Leben zu fristen.

Diese wirtschaftliche Kraft und Selbständigkeit wird natürlich den gesamten Verkehr
der Menschen umgestalten; die Sitten, Gebräuche, Redewendungen, die Gesinnung
werden edler, freier werden.

· Nach Beseitigung der Privatgrundrente, und noch mehr nach Beseitigung des Zinses,
wird jede gesunde Frau imstande sein, ihr Brot und das ihrer Kinder in der Landwirtschaft
zu verdienen. Wenn hierzu 3 ha statt 10 genügen, dann genügt auch die Kraft einer Frau,
wo man heute eine volle Manneskraft benötigt. Ob die Rückkehr der Frau zur Landwirt-
schaft nicht der "Frauenfrage" die glücklichste Lösung geben würde?

Die deutsche Freiland-Freigeld-Bewegung (Physiokratie) sucht dem Gedanken Eingang
zu verschaffen, den Müttern für die Mehrbelastung, die ihnen durch die Aufzucht der
Kinder zufällt, eine Staatsrente auszusetzen, die dem entspricht, was die Bodennutzungen
dem Naturweib sind. Für diese Mutterrenten soll die Grundrente herangezogen werden,
statt daß man diese, wie von Henry George vorgeschlagen wurde, für die Beseitigung der
Steuern benutzt.

Vieles spricht für diesen Vorschlag. Zunächst der Umstand, daß die Grundrente letzten
Endes ja überhaupt als Verdienst der Mütter zu betrachten ist, insofern als die Mütter die
für die Grundrente nötige Volksdichtigkeit überhaupt erst schaffen. Soll jeder das Seine
erhalten (suum cuique), so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Mütter das meiste An-
recht auf die Grundrente haben. Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man das
Naturweib, das wie eine Königin über die Natur ringsum verfügt, mit unseren armseligen
Fabrikarbeiterinnen vergleicht. Dann sieht man, daß den Müttern die Grundrente heute
geradezu gestohlen wird. Es gibt wahrhaftig unter den Naturvölkern Asiens, Afrikas,
Amerikas keine Mutter, die wirtschaftlich so aller Hilfsmittel entblößt ist wie die Prole-
tarierinnen Europas. Dem Naturweib gehört die ganze Umgebung. Das Holz für ihr Haus
nimmt sie, wo sie es findet; den Bauplatz wählt sie sich selbst. Ihre Hühner, Gänse, Ziegen,
Rinder weiden um die Hütte herum. Der Hund bewacht das Nesthäkchen. Aus dem Bache
zieht der Bub die tägliche Forelle. Im Garten säen und ernten die größeren Kinder, andere
kommen mit Holz und Beerenobst beladen aus dem Walde, die Älteste bringt aus dem
Gebirge den erlegten Bock. Und an die Stelle all dieser Naturgeschenke haben wir den
Rentner, ein dickes, faules, unschönes Geschöpf gesetzt. Man braucht sich also nur in die
Lage einer schwangeren Proletarierin zu versetzen, die von der ganzen Natur ringsum
nichts hat, wo sie ihr Kind hinlegen kann, um zu erkennen, daß, wenn es schon einmal in
der jetzigen Volkswirtschaft nicht ohne Abgrenzungen und Grundrenten geht - diese
Grundrente dann unverküzt den Müttern zusteht:

Nach Berechnungen, die allerdings auf unsicheren Unterlagen beruhen, würden
etwa 40 M. monatlich für jedes Kind unter 15 Jahren aus der Grundrente verteilt werden
können. Mit dieser Unterstützung einerseits und mit der Entlastung vom Kapitalzins
andrerseits, wird jede Frau imstande sein, auf dem Lande ihre Kinder groß zu ziehen, ohne
unbedingt auf Geldbeiträge des Mannes angewiesen zu sein. Wirtschaftliche Rücksichten
könnten die Frauen nicht mehr brechen. In allen geschlechtlichen Fragen würden ihre
Neigungen, Wünsche und Triebe entscheiden. Bei der Gattenwahl würden die geistigen,
körperlichen, die vererbungsfähigcn Vorzüge statt des Geldsackes den Ausschlag geben.
So kämen die Frauen wieder zu ihrem Wahlrecht, und zwar nicht zum wesenlosen politi-
schen Wahlrecht, sondern zum großen Zuchtwahlrecht. -

· Nach der Bodenverstaatlichung wird jeder über das gesamte Deutsche Reich, und,
wenn sie allgemein eingeführt wird, über die ganze Welt verfügen. Verglichen damit sind
die jetzigen Könige die reinen Bettler. Jedes neugeborene Kind, ob ehelich oder unehelieh,
wird 540 932 Geviertkilometer, 54 Millionen ha Land zu seiner Verfügung haben. Und
jeder wird freizügig, keiner mehr wie die Pflanze an die Scholle gebunden sein. Jeder, dem
die heimatliche Luft nicht zusagt, dem die Gesellschaft nicht gefällt, der aus irgendeinem
Grunde einen Platzwechsel wünscht, löst seinen Pachtvertrag und zieht fort. Dadurch
werden die verschiedenen deutschen Stämme, die, wie zur Zeit der Leibeigenschaft, an
der Scholle kleben und von der schönen Welt nie etwas anderes als ihren Kirchturm
sehen, in Bewegung geraten und neue Sitten, neue Arbeitsverfahren, neue Gedanken ken-
nenlernen. Die verschiedenen Stämme werden sich kennenlernen und auch einsehen,
daß keiner besser als der andere ist, daß wir allesamt nur eine schmutzige, lasterhafte Ge-
sellschaft gebildet haben. Und da, wie bekannt, man sich des Lasters in der Regel vor
Fremden mehr schämt, als in der Heimat vor Bekannten und Verwandten, so ist anzu-
nehmen, daß der Verkehr mit Fremden die Sitten strenger und reiner machen wird.

Aber die Bodenverstaatlichung dringt umgestaltend in das innerste Wesen des Menschen:
den gemeinen Knechtssinn, der aus der Zeit der Leibeigenschaft noch dem Menschen
anhaftet (dem Herren nicht weniger als dem Knechte), weil das Sondereigentum am
Boden, diese Grundlage der Leibeigenschaft, noch fortbesteht, diesen knechtischen Sinn
wird der Mensch mit dem Privatgrundbesitz endgültig abschütteln; er wird sich wieder
aufrichten wie eine junge Tanne, die, vom niederzwingenden Gewichte des Schnees be-
freit, kerzengerade wieder emporschnellt. "Der Mensch ist frei, und wär' er in Ketten
geboren". Allen Einflüssen paßt sich der Mensch an, und jeder Schritt auf der Bahn der
Anpassung kommt durch Vererbung dem kommenden Geschlechte zugute. Nur in bezug
auf die Knechtschaft findet keine Vererbung statt; nicht einmal Narben wird das Privat-
grundeigentum in der Gesinnung der Knechte zurücklassen.

Von dieser wurzelechten, weil wirtschaftlich begründeten Freiheit, die uns die Boden-
verstaatlichung bringt, dürfen wir daher mit Recht alle die Früchte edlerer Gesittung er-
warten, die wir bisher umsonst einzuheimsen hofften. Muß der politische Friede im Innern
nicht auch nach außen sich bemerkbar machen, wie die Zufriedenheit im inneren Menschen
sich in seinen Gesichtszügen widerspiegelt? Der herrische, gemeine, rohe Ton, der sich
als natürliche Frucht der gemeinen Gesinnung, die die Grundrente großzieht, in den poli-
tischen Verhandlungen einbürgerte, mußte auch unsere auswärtige Politik beeinflussen. Wir
sind durch den ewigen Widerstreit der Interessen, den das Privatgrundeigentum mit sich
bringt, gewöhnt worden, in jedem Nachbarn, in jedem Nachbarvolk nur Feinde zu sehen,
die uns Böses wollen und gegen die wir uns wappnen müssen, wenn es nicht angeht, augen-
blicklich über sie herzufallen und sie zu erschlagen. Denn nicht als Menschen und Brüder
stehen sich die Völker gegenüber, sondern als Grundeigentümer. Schafft man hüben und
drüben das Eigentum am Boden ab, so wird damit der Zankapfel beseitigt. Es bleiben dann
an Stelle der Grundrentner nur Menschen, die vom gegenseitigen Verkehr nur Befruch-
tung ihrer Berufstätigkeit, ihrer Religion, ihrer Kunst, Gesittung, Gesetzgebung, niemals
aber Schaden erwarten können. Nach der Bodenverstaatlichung wird niemand mehr durch
die Höhe der Grundrente berührt, und wenn das in allen Nachbarländern der Fall ist, wer
würde sich dann noch um Grenzzölle kümmern, die den Verkehr der Völker verpesten,
Zwietracht stiften, zu Abwehrmaßnahmen führen und alle Beziehungen so verwirren, daß
sich die Völker nicht anders als durch Pulver und Blei wieder Luft machen können? Mit
der Bodenverstaatlichung und noch mehr durch die im 4. Teil dieses Buches dargestellte
Freigeld-Einführung bürgert sich der Freihandel von selbst ein. Lassen wir den vollen
Freihandel nur einige Jahrzehnte sich frei entwickeln und entfalten, und wir werden bald
sehen, wie innig das Wohl der Völker mit der Förderung und Aufrechterhaltung dieses
Handels verknüpft ist, mit welcher Liebe gute Beziehungen zu den Nachbarvölkern vom
ganzen Volke gepflegt werden, wie die Familien hüben und drüben durch Bande der
Blutsverwandtschaft fest aneinander gekettet werden, wie die Freundschaft zwischen
Künstlern, Gelehrten, Arbeitern, Kaufleuten, Geistlichen alle Völker der Welt zu einer ein-
zigen, großen Gesellschaft verketten wird, zu einem Völkerbund, den die Zeit und die
Einzelbestrebungen immer nur inniger und fester schnüren, bis zum Verschmelzen der
Teile zusammenschweißen können.

Ohne Privatgrundrenten gibt es keinen Krieg mehr, weil es keine Zölle mehr gibt. Die
Bodenverstaatlichung bedeutet daher gleichzeitig Weltfreihandel und Weltfriede.

Dieser Einfluß von Freiland auf Krieg und Frieden ist übrigens bis jetzt nur oberfläch-
lich erforscht worden; es ist noch Neuland. Der Bund deutscher Bodenreformer hat hier
nie geschürft. Hier ist Stoff für ein groß angelegtes Werk, dankbarer Stoff. Wer wird sich
dieser Aufgabe unterziehen? Gustav Simons, Ernst Frankfurth, Paulus Klüpfel, die sich
für diese Arbeit tiefgründig vorbereitet hatten, die auch die richtigen Männer für diese
Arbeit waren, hat der Tod mitten aus ihrer Arbeit gerissen.

Einen schwachen Umriß dieser zu lösenden Aufgabe habe ich in der Abhandlung "Frei-
land, die eherne Forderung des Friedens" zu geben versucht, mit der dieser 2. Teil des
Buches eingeleitet ist.

In bezug auf das allgemeine Lohngesetz ist nur zu sagen, daß mit der Bodenverstaat-
lichung und nach Tilgung der Schuld

die gesamten Grundrenten in den Lohnschatz

ausgeschüttet werden und daß dann der allgemeine Arbeitsertrag gleich sein wird dem
gesamten Arbeitserzeugnis, abzüglich Kapitalzins.


(1) Den Staat könnte man mit Vorteil vollkommen von der Last der Staats-Schulen,
Staats-Kirchen, Staats-Universitäten und noch vielem andern Ballast befreien. Dem Staate
sind diese Dinge von den Grundrentnern aufgebürdet worden; sie sollen dazu dienen, die
Aufmerksamkeit vom eigentlichen Zankapfel abzulenken.

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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.