Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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2.3. Freiland im wirklichen Leben

Nach der Enteignung wird der Boden, entsprechend den Zwecken der Landwirtschaft,
der Bauordnung und der Gewerbe, zerlegt und öffentlich meistbietend verpachtet, und
zwar auf 1-5-10 jährige oder lebenslängliche Frist, je nach dem Höchstgebot. Dabei
sollen dem Pächter auch gewisse allgemeine Bürgschaften gegeben werden für die Bestän-
digkeit der wirtschaftlichen Grundlagen der Pachtberechnung. so daß er nicht von seinem
Pachtvertrag erdrosselt werden kann. Dies läßt sich in der Weise erreichen, daß dem Päch-
ter Mindestpreise für seine Erzeugnisse gewährleistet werden, indem die Währung einfach
diesen Preisen angepaßt, oder bei einer allgemeinen Lohnerhöhung die Pacht entsprechend
ermäßigt wird. Kurz, da es sich nicht darum handelt, die Bauern zu plagen, sondern eine
blühende Landwirtschaft mit einem gesunden Bauernstand zu erhalten, so wird man alles
tun, was nötig ist, um Bodenertrag und Pachtzins dauernd in Einklang zu bringen.

Soweit es sich um landwirtschaftliche Zwecke handelt, ist die Ausführbarkeit der
Bodenverstaatlichung durch die Erfahrung nach allen Seiten schon bewiesen. Die Boden-
verstaatlichung verwandelt den gesamten Grundbesitz in Staatsgüter oder Pachthöfe, und
Pachthöfe, teils von Grundeigentümern, teils vom Staate verpachtete, gibt es in allen Tei-
len des Reiches. Durch die Bodenverstaatlichung wird eine Sache verallgemeinert, die
bereits "ist"; und alles, was "ist", muß auch möglich sein.

Man hat gegen die Pachtgüter eingewendet, daß ihre Bewirtschafter eher zum Raubbau
neigen als die heutigen grundbesitzenden Bauern, die für sich den Vorteil aus der guten
Erhaltung des Bodens ziehen. Man sagt, der Pächter sauge den Boden aus, um ihn dann
aufzugeben und weiterzuziehen.

Das ist ungefähr das einzige, was man gegen das Pachtverfahren einwenden kann; in
allen anderen Beziehungen ist kein Unterschied zu finden zwischen Pächter und Grund-
eigentümer, wenigstens soweit es sich um Wohl und Wehe des Landbaues handelt. Denn
beide verfolgen dasselbe Ziel: mit der geringsten Mühe die höchsten Barerträge zu er-
zielen.

Daß übrigens der Raubbau keine Eigentümlichkeit des Pachtbodens ist, kann man in
Amerika sehen, wo die Weizenfarmer den eigenen Boden bis zur Erschöpfung aussaugen.
Durch ihre Besitzer ausgesaugte Weizenfarmen kann man zu hunderten für geringes Geld
kaufen. In Preußen sollen sogar die Staatsgüter als Musterwirtschaften bezeichnet werden
können. Und sie werden doch nur von Pächtern bewirtschaftet.

Jedoch auch den Raubbau durch die Pächter kann man sehr leicht verhindern, indem
man :

1. dem Pächter den Hof lebenslänglich durch den Pachtvertrag sichert;

2. durch gewisse Vertragsbestimmungen den Raubbau unmöglich macht.

Wenn der Raubbau eine Eigentümlichkeit der Pachthöfe ist, so trifft die Schuld regel-
mäßig den Eigentümer, der dem Pächter den Raubbau gestattet, um für sich selbst,
wenigstens für einige Jahre, einen entsprechend höheren Pachtzins zu genießen. In
diesem Falle treibt nicht der Pächter, sondern der Grundeigentümer den Raubbau. Oft
wünscht auch der Grundeigentümer nicht durch langjährige Verträge sich die Ge-
legenheit, für einen günstigen Verkauf zu nehmen, und läßt sich darum nur auf kurz-
fristige Pachtverträge ein. Für solche findet er aber naturgemäß keinen Pächter, der
eine auf Verbesserung gerichtete Bodenbehandlung im Auge hat. Die Schuld am Raub-
bau trifft darum auch in diesem Falle nicht das System der Landpachtung, sondern
das des Grundeigentums.

Wünscht der Grundeigentümer den Raubbau nicht, so braucht er das im Pachtvertrag
nur zu bemerken. Ist der Pächter vertraglich verpflichtet, die geernteten Futterstoffe
selbst zu verfüttern und entsprechend viel Vieh zu halten, kann der Pächter Heu, Stroh
und Mist nicht verkaufen, so ist der Boden allein dadurch schon vor Raubbau geschützt.

Wenn man zudem dem Pächter durch den Pachtvertrag die volle Sicherheit gibt,
daß er den Hof, wenn er es wünscht, auf Lebenszeit bewirtschaften kann, hat man dem
Pächter ein Vorpachtsrecht für seine Witwe oder Kinder eingeräumt, so ist Raubbau
nicht mehr zu befürchten, es sei denn, daß der Pachtzins zu hoch bemessen ist, und daß
der Bauer keinen Vorteil von der Fortdauer seines Vertrages hat. Für diesen Fall wäre
aber obige Pachtbestimmung zur Verhinderung des Raubbaues genügend. Diese läßt
sich auch jeder Bewirtschaftungsart in der Weise anpassen, daß dem Pächter, dessen
Boden sich nicht für die Viehhaltung, aber wohl für Getreidebau eignet, die Verpflichtung
auferlegt wird, dem Boden in Form künstlicher Dünger die Nährsalze wieder zuzuführen,
die er durch den Verkauf von Getreide dem Boden entzieht.

Und im übrigen mag noch hier erwähnt werden, daß seit Entdeckung der künstlichen
Dünger der Raubbau nicht mehr die Bedeutung hat, wie damals, als man nur die Brache
kannte, als Mittel, um den ausgeraubten Boden wieder allmählich fruchtbar zu machen.
Damals gehörte ein ganzes Menschenalter dazu, um ein erschöpftes Feld wieder instand
zu setzen. Heute erreicht man dies mit künstlichen Düngern im Handumdrehen.

Wenn man als abschreckendes Beispiel auf die Pächterwirtschaft in Irland hinweist,
so muß hier an die grundverschiedenen Verhältnisse erinnert werden, die die Boden-
verstaatlichung dadurch schafft; daß die Grundrente unter der Bodenverstaatlichung
nicht mehr in die Privattaschen wandert, sondern in die Staatskasse, um von dort zurück
in irgendeiner Form (Steuererlaß, Mutterschutz, Witwengeld usw.) dem Volke wieder
zugute zu kommen. Wenn all das Geld, das die englischen Landlords jahraus, jahrein
seit 300 Jahren in Form von Pacht Irland entzogen haben, um es zu verprassen, dem
irischen Volke erhalten geblieben wäre, so sähe es sicher anders aus in Irland.

Andere Beispiele, wie das russische "Mir" und die deutschen Gemeindewiesen, werden
angeführt als abschreckende Beispiele der Pachtung; aber hier bestehen der Bodenver-
staatlichung gegenüber ebenso wesentliche Unterschiede, wie beim irischen Beispiel.
Beim "Mir" wird regelmäßig alle paar Jahre, sowie durch Tod und Geburt die Zahl der
Gemeindeglieder sich verändert hat, das Land neu verteilt, so daß niemand längere Zeit
im Besitze desselben Grundstückes bleibt. Alles, was daher der Bauer tun würde, um
den Boden zu verbessern, käme wohl dem "Mir", aber nicht dem Bauer ausschließlich
zugute. Dieses Verfahren führt also notwendigerweise zum Raubbau, zur Verwahrlosung,
zur Verarmung von Boden und Volk. - Das "Mir" ist eben weder Gemein- noch Einzel-
wirtschaft, es hat die Nachteile beider ohne ihre Vorteile. Wenn die russischen Bauern
den Boden gemeinwirtschaftlich nach dem Vorbilde der Mennoniten bebauten, so würde
der gemeinsame Nutzen sie alles tun lehren, was der Grundeigentümer sonst für die
Verbesserung des Bodens zu tun pflegt. Lehnen sie jedoch solche Gütergemeinschaft ab,
so müssen sie auch die Folgerungen ziehen und alle Vorbedingungen für die volle Ent-
faltung der Einzelwirtschaft erfüllen.

Ganz das gleiche haben wir in vielen deutschen Gemeindewiesen, und wenn diese
allgemein wegen ihres schlechten Zustandes verschrien sind, so liegt das immer nur an
der Kurzfristigkeit der Pachtverträge, die nur Raubbau zuläßt. (1) Es scheint hier fast so,
als wenn die Gemeinderäte absichtlich das Gemeindeeigentum in Mißachtung bringen
wollten, um so eine Aufteilung herbeizuführen, wie sie das ja schon früher mit dem
gleichen Mittel erreicht haben. Wäre dieser Verdacht begründet, so müßte man den
schlechten Zustand der Gemeindeäcker wieder auf das Sondereigentum am Boden
(Privateigentum) zurückführen, denn nur die Hoffnung, das Gemeindeeigentum aufzuteilen,
hätte dessen Vernachlässigung verursacht. Wenn man den Vorschlag einer Aufteilung der
Gemeindewiesen als Hochverrat ahndete und die Wiesen als unveräußerliches Eigentum
der Gemeinden erklärte, so würde diesem Übelstand ohne weiteres abgeholfen sein.

Der Pächter muß vor allen Dingen die Sicherheit haben, daß alles, was er an Geld
und Arbeit für die Verbesserung des Bodens aufwendet, auch ihm, unmittelbar ihm
selbst, zugute kommt, und auf diese Sicherheit muß darum der Pachtvertrag zugespitzt
sein. Das ist sehr leicht durchzuführen.

Übrigens lassen sich die wichtigsten Arbeiten, die zur Verbesserung des Bodens ver-
richtet werden, gar nicht vom Einzelbesitzer und unter Aufrechterhaltung des Grund-
satzes des Privatgrundbesitzes durchführen. Wie will z. B. ein Grundeigentümer eine
Straße querfeldein durch das Besitztum seines ihm vielleicht feindlich gesinnten Nach-
barn nach seinem Acker bauen? Wie soll man quer durch das Eigentum von 1000 Einzel-
besitzern eine Eisenbahn, einen Kanal bauen? Hier versagt der Grundsatz der Teilung
und des Privateigentums so vollständig, daß man jedesmal gesetzlich zur Enteignung
schreiten muß. Die Deiche zum Schutze gegen Hochwasser entlang der Küste und den
Flüssen kann kein Privatmann bauen. Ebenso verhält es sich bei Entwässerung sumpfigen
Bodens, wo man meistens keine Rücksicht auf Grenzsteine nehmen kann, sondern die
Anlage dem Gelände und nicht den Eigentumsverhältnissen anpassen muß. In der Schweiz
hat man durch Ablenkung der Aare in den Bieler See 30 000 ha Land trockengelegt,
und an dieser Arbeit waren vier Kantone beteiligt. Der Privatgrundeigentümer hätte hier
schlechthin nichts tun können. Sogar das Kantonaleigentum versagte in diesem Falle.
Bei der Laufverbesserung des Oberrheins versagte auch noch das Bundeseigentum. Die
Sache konnte nur durch Vertrag mit Österreich getan werden. Wie will der Privateigen-
tümer am Nil sich das Bewässerungswasser verschaffen? Will man den Grundsatz des
Sondereigentums am Boden auf Waldungen ausdehnen, von denen die Witterung, die
Wasserverhältnisse, die Schiffahrt, die Gesundheit des ganzen Volkes abhängen? Selbst
die Lebensmittelversorgung des Volkes kann man dem Privatgrundeigentümer nicht in
Ruhe überlassen. In Schottland z. B. haben unter dem Schutze des Bodenrechtes einige
Lords eine ganze Provinz entvölkert, die Dörfer mitsamt den Kirchen niedergebrannt,
um das Ganze in einen Jagdpark zu verwandeln. Dasselbe können auch in Deutschland
Großgrundeigentümer tun, dieselben, die angeblich durch die Sorge um die Ernährung
des Volkes veranlaßt würden, Zölle für die Verteuerung des Brotes zu fordern. Die In-
teressen der Jagd, der Fischerei, des Vogelschutzes, sind mit den reinen Grundsätzen
des Privatgrundeigentums unverträglich. Und was bei Bekämpfung von Landplagen,
wie z. B. der Maikäfer oder Heuschrecken das Privateigentum leistet, das hat man am
besten in Argentinien gesehen. Dort begnügte sich jeder Grundeigentümer damit, die
Heuschrecken von seinem Felde auf das des lieben Nachbarn zu treiben - mit dem
Erfolg, daß sich die Tiere ins Unendliche vermehrten und drei Jahre hintereinander die
Weizenernte völlig vernichteten. Erst als der Staat unter Nichtachtung der Eigentums-
verhältnisse eingriff und die Heuschrecken vernichten ließ, wo man sie traf, da ver-
schwanden diese. Ähnlich verhält es sich in Deutschland mit allen Landplagen. Was will
der einzelne Weinbergeigentümer z. B. gegenüber der Reblausplage ausrichten?

Das Sondereigentum am Boden versagt eben überall dort, wo der Privatmann, wo der
Eigennutz versagt, und das trifft in den weitaus meisten Fällen zu, wo es sich um Ver-
besserungen oder den Schutz des Bodens handelt. Ja, wenn man den Aussagen der
Agrarier glauben wollte, müßte man das Privatgrundeigentum überhaupt und allgemein
als verloren erklären, denn die sogenannte Not der Landwirtschaft (sprich: Not der
Grundrentner) läßt sich ja angeblich nicht anders als durch den gewaltsamen Eingriff
des Staates, durch Zölle beseitigen. Was könnte nun der Privatmann, als solcher, zur
Hebung dieser Not tun?

Das Sondereigentum am Boden führt durch das Erbrecht mit Notwendigkeit zur Zer-
stückelung oder zur Bodenverschuldung. Ausnahmen kommen nur vor, wo ein einziges
Kind da ist.

Die Zerstückelung führt zu den Zwergwirtschaften und damit zur allgemeinen Ver-
armung; die Grundstückbeleihung aber bringt den Grundeigentümer in so enge Be-
rührung mit Währung, Zins, Lohn, Frachtsätzen und Zöllen, daß wahrhaftig heute schon
vom Privatgrundeigentum kaum noch mehr als der Name übrigbleibt. Nicht mehr Privat-
grundeigentum, sondern Grundeigentumspolitik haben wir heute. -

Nehmen wir an, die Preise der Erzeugnisse gingen infolge einer der herkömmlichen
Pfuschereien im Währungswesen stark abwärts, wie das schon einmal durch die Ein-
führung der Goldwährung erreicht worden ist. Wie will da der Bauer den Zins für seine
Hypothek auftreiben? Und wenn er den Zins nicht bezahlt, wo bleibt sein Eigentum?
Wie will er sich anders schützen als durch seinen Einfluß auf die Gesetzgebung, die ihm
gestattet, die Währung und dadurch auch die Last seiner Hypothek nach Wunsch zu
gestalten? Und wenn der Zinsfuß steigt, wie will er sich auch da wieder des Hammer-
schlags des Versteigerers erwehren?

Der Grundeigentümer mu sich eben an die Gesetzgebng klammem, er muß Politik treiben,
die Zölle, die Währung, die Bahnfrachtsätze beherrschen, sonst ist er verloren. Ja, was wäre
der Grundeigentümer ohne das Heer? Der Besitzlose wirft, falls ihm die Fremdherr-
schaft der Gelben noch unangenehmer als die der Blauen ist, sein Handwerkszeug in die
Ecke und wandert mit Frau, Kindern und einem Bündel Windeln aus. Das kann der
Grundeigentümer nur, wenn er das Grundeigentum im Stiche läßt.

Also das Privatgrundeigentum bedarf zu seiner Erhaltung der Politik, schon weil es
an sich bereits eine Frucht der Politik ist. Man kann sagen, daß der Privatgrundbesitz
die Politik verkörpert; daß Politik und Privatgrundeigentum eins sind. Ohne Politik
kein Privatgrundbesitz, und ohne Sondereigentum am Boden keine Politik. Mit der
Bodenverstaatlichung ist die Politik im wesentlichen erschöpft und erledigt.

Mit der Bodenverstaatlichung verliert die Landwirtschaft jede Beziehung zur Politik.
Wie heute schon die Pächter nicht unmittelbar berührt werden durch Währung, Zölle,
Löhne, Zins, Frachtsätze, Landplagen, Kanalbauten, kurz, durch die hohe, ach gar so
niedrige Politik, weil in den Pachtbedingungen der Einfluß all dieser Umstände schon
verrechnet ist, so wird auch mit der Bodenverstaatlichung der Bauer kühl bis ans Herz
hinan den Verhandlungen im Reichstage folgen. Er weiß, daß jede politische Maß-
nahme, die die Grundrente beeinflußt, in den Pachtbedingungen sich widerspiegeln wird.
Erhebt man Zölle, um die "Landwirtschaft" zu schützen, so weiß der Bauer auch, daß
man ihm diesen Schutz in einem erhöhten Pachtzins ankreiden wird - folglich ist ihm
der Zoll gleichgültig.

Unter der Bodenverstaatlichung kann man, ohne Einzelne zu schädigen, die Preise der
Feldfrüchte so hoch treiben, daß es sich noch lohnen wird, jede Sanddüne, Geröllhalde
usw. zu bebauen; ja selbst den Kornbau in Blumentöpfen könnte man rechnerisch möglich
machen, ohne daß die Bebauer fruchtbaren Landes für sich Vorteil aus den hohen Preisen
ziehen würden. Denn der Pachtzins würde der steigenden Grundrente auf dem Fuße
folgen. Den Vaterlandsfreunden, die in Sorge sind um die Lebensmittelversorgung des
Landes im Kriegsfalle, empfehle ich das Durchforschen dieser hochmerkwürdigen Be-
gleiterscheinung der Bodenverstaatlichung. - Mit einem Zehntel des Geldes, das den
Grundrentnern durch die Kornzölle geschenkt wurde, hätte man alles in Deutschland
vorhandene Moor-, Heide- und Ödland in Ertragsboden verwandeln können.

Die Höhe der Bahnfrachten, überhaupt die Frachtkosten, die Kana1- und Eisenbahn-
politik, berühren den Pächter nicht unmittelbarer als jeden anderen Bürger; wenn ihm
die Politik auf der einen Seite besondere Vorteile eintrüge, so würden ihm diese durch die
Erhöhung der Grundpacht von der anderen Seite wieder in eitel Dunst verwandelt werden.

Kurz, die Politik ist mit der Bodenverstaatlichung dem Landwirt persönlich gleich-
gültig geworden; das Gemeinwohl allein berührt ihn noch an der Gesetzgebung; er
betreibt sachliche statt persönlicher Politik. Sachliche Politik ist aber angewandte Wissen-
schaft, keine Politik mehr.

Man könnte hier einwenden, daß, wenn die Pächter sich langjährige oder lebensläng-
liche Pachtverträge sichern können, sie hierdurch von staatlichen Maßnahmen immer
noch stark genug berührt würden, um versucht zu sein, ihren Sondervorteil dem Ge-
meinwohl voranzustellen.

Der Einwand ist richtig, aber wenn dies als Übelstand empfunden wird, um wieviel
mehr trifft dieser Vorwurf das heutige Privatgrundeigentum, das es gestattet, den Nutzen
aus den Gesetzen sogleich im Verkaufspreis des Bodens in bar einzuziehen, wie man
das an den durch Zölle hochgetriebenen Bodenpreisen sehen kann. Jedoch läßt sich mit
der Bodenverstaatlichung auch dieser letzte Rückhalt der Politik in der Weise beseitigen,
daß der Staat bei lebenslänglichen Verträgen sich das Recht vorbehält, die Pacht von
Zeit zu Zeit neu von Staats wegen einschätzen zu lassen, wie das ja auch mit der Grund-
steuer geschieht. (Bei befristeten Pachtverträgen soll das Pachtgeld vom Pächter selber
auf dem Wege der öffentlichen Pachtversteigerung geschätzt werden.) Weiß dann der
Pächter, daß alle Vorteile, die er von der Politik erwartet, vom Steueramte wieder be-
schlagnahmt werden, so versucht er es gar nicht mehr, die Grundrente durch Gesetze
zu beeinflnssen.

Wenn wir alle die hier besprochenen Umstände berücksichtigen, so würde ein Pacht-
vertrag unter der Bodenverstaatlichung ungefähr wie folgt zustande kommen:

Anzeige!

Die hier unter dem Namen "Lindenhof" bekannte Bauernwirtschaft wird zur öffent-
lichen Pachtversteigerung ausgeschrieben. Die Verpachtung erfolgt am Martinstag öffent-
lich und meistbietend.

Der Hof ist auf die Arbeitskraft eines Mannes berechnet; Haus und Stallungen sind
in gutem Zustand. Bisherige Pacht 500 Mark. Der Boden ist 5. Güte; das Klima nur
für ganz gesunde Naturen.

Bedingungen:

Der Pächter hat sich vertraglich zur Erfüllung folgender Bedingungen zu verpflichten:


Die Staatsverwaltung verpflichtet sich ihrerseits dem Pächter gegenüber:
Die für den Nachweis der Ausführbarkeit der Bodenverstaatlichung entscheidende
Frage ist nun die: Wird man zu obigen Bedingungen überhaupt Pächter finden? Nehmen
wir an, es meldeten sich nur wenige, und der Wettbewerb der Beteiligten wäre dem-
entsprechend bei der Pachtversteigerung nur schwach - was wäre die Folge? Der Pacht-
zins wäre niedrig, er entspräche nicht der zu erwartenden Grundrente, und die Pächter
würden entsprechend größere Gewinne erzielen. Ganz recht, aber muß dieser größere
Gewinn nicht anspornend auf alle diejenigen zurückwirken, die sich gerne dem Acker-
bau widmen möchten, aber zaghaft zurückhielten, weil sie die neuen Verhältnisse nicht
zu übersehen vermochten und darum erst die Erfahrung sprechen lassen wollten?

Es ist daher nicht zu bezweifeln, daß der Zudrang zu den Pachtversteigerungen schon
nach kurzer Erfahrungszeit den Pachtzins auf die Höhe der wirklich erzielbaren Grund-
rente hinauftreiben würde, und dies um so sicherer, als das Wagnis der Pacht unter den
neuen Verhältnissen gleich Null wäre, der Reinertrag der Pachtung nie unter den Durch-
schnittsarbeitslohn fallen könnte. Dem Bauer wäre der Durchschnittslohn für seine
Arbeit unter allen Umständen gesichert, und er hätte obendrein den Vorteil der Freiheit,
Unabhängigkeit und Freizügigkeit.

Es sei nur noch bemerkt, daß nach Einführung der Bodenverstaatlichung in jeder
Ortschaft ein Bauer wird angestellt werden müssen, der für die Erfüllung der Pacht-
verträge zu sorgen hat. Dann wird man jährlich in jedem Landesteil (Kreis, Regierungs-
bezirk) ein Verzeichnis mit Abbildungen über die zur Pachtversteigerung gelangenden
Höfe ausarbeiten, alles das enthaltend, was gewöhnlich die Pächter wissen müssen, über
Umfang und Lage des Hofes, Art und Preise der Anbauerzeugnisse, über Gebäude,
bisherigen Pachtzins, Schulverhältnisse, Witterungsverhältnisse, Jagd, Gesellschaft usw.
Kurz, da es nicht Zweck der Bodenverstaatlichung ist, die Bauern zu übervorteilen und
zu plagen, so wird man nichts unterlassen, um die Pächter sowohl über alle Vorteile,
wie auch über alle Nachteile des Hofes zu unterrichten - welch letzteres seitens der
Grundeigentümer heute niemals geschieht. Diese zählen immer nur alle Vorteile auf;
über die oft versteckten Mängel, wie z. B. Feuchtigkeit der Wohnung, Nachtfröste usw.,
muß sich der Pächter, so gut es geht, unter der Hand zu erkundigen suchen.

Mit dem Gesagten glaube ich das Verhältnis der Bodenverstaatlichung zur Landwirt-
schaft genügend klargelegt zu haben, um jeden instand zu setzen, sich in die neuen Ver-
hältnisse, die die Bodenverstaatlichung auf dem Lande schafft, hineinzufinden. Zu-
sammengefaßt aufgezählt, würde die Bodenverstaatlichung auf dem Lande folgende
Wirkungen haben: Keine Privatgrundrenten, folglich auch keine "Not der Landwirt-
schaft", keine Zölle und keine Politik mehr. Kein Eigentum am Boden, daher auch keine
Bodenverschuldung, keine Teilung und Abfindung bei Erbschaft. Keine Grundherren,
keine Knechte. Allgemeine Ebenbürtigkeit. Kein Grundeigentum - folglich volle Frei-
zügigkeit mit ihren wohltätigen Folgen für Gesundheit, Sinnesart, Religion und Bildung,
Glück und Lebensfreude.

Beim Bergbau läßt sich die Bodenverstaatlichung womöglich noch leichter durchführen
als im Ackerbau, da man hier von der Pachtung absehen und die Förderung der Berg-
erzeugnisse einfach in Verding (Akkord, Submission) geben kann. Der Staat verdingt
den Abbau an einen Unternehmer oder an Arbeitergenossenschaften; er bezahlt für jede
Tonne einen auf Grund der Mindestforderung vereinbarten Lohn oder Preis - und
verkauft seinerseits das Geförderte an den Meistbietenden. Der Unterschied zwischen
beiden Preisen fließt als Grundrente in die Staatskasse.

Dieses höchst einfache Verfahren kann überall da ohne weiteres angewendet werden,
wo keine besonderen Einrichtungen dauernder Art nötig sind - also z. B. in den Torf-
lagern, Braunkohlengruben, Kies-, Lehm- und Sandgruben, Steinbrüchen, Erdölfeldern
usw. Es ist dasselbe Verfahren, das heute schon ganz allgemein in den Staatsforsten
eingeführt ist und sich dort in jahrhundertelanger Geltung bewährt hat. Die Forstver-
waltung vereinbart mit den Arbeitern in öffentlichem Verding den zu zahlenden Lohn
für das Festmeter, und zwar erhält der Mindestfordernde den Zuschlag; dann wird das
von den Arbeitern gefällte und in Haufen bestimmter Größe geschichtete Holz öffentlich
meistbietend verkauft. Betrug ist so gut wie ausgeschlossen, da, sobald das Maß nicht
richtig ist, die Käufer Klage erheben. So wäre es auch im Bergbau. Die Käufer würden
selbst die Arbeit in der Grube überwachen. Für die Arbeiter wäre es ein leichtes, sich
zu gemeinsamer Arbeit ohne Unternehmer zu vereinigen (was sie allerdings heute noch
lernen müßten), da kein nennenswertes Betriebsgeld hier nötig ist. Die Grube gehört
dem Staat; die Arbeiter brauchen also nur ihr Handwerkszeug.

In den Kohlengruben, wie überall im Tiefbau, wird die Sache durch die Maschinen-
anlage verwickelt, doch lassen sich verschiedene Wege einschlagen, die alle gangbar sind:

1. Der Staat liefert die Maschinenanlage; er versichert die Arbeiter gegen Tod und
Unfall und verfährt im übrigen wie oben, d. h., er gibt die Förderung an einzelne Arbeiter
in Verding (Akkord). Dieses Verfahren ist bei den Privat- und Staatsbergwerken heute
allgemein im Gebrauch.

2. Der Staat liefert wie oben die Maschinenanlage und gibt den ganzen Betrieb in
Verding an Arbeitergenossenschaften. Dieses Verfahren ist, soviel ich weiß, nicht in
Anwendung; es hätte für kommunistisch gesinnte Arbeiter Vorteile, weil die Arbeiter
so lernen würden, sich selbst zu regieren.

3. Der Staat überläßt den Arbeitergenossenschaften den ganzen Bergbau mitsamt der
Einrichtung. Er bezahlt der Arbeitergenossenschaft einen in öffentlichem Verding ver-
einbarten Preis für die geförderten Erzeugnisse und verkauft diese seinerseits wieder,
wie bei 1 und 2, an den Meistbietenden.

Ein viertes Verfahren, wonach den Arbeitem auch noch der Verkauf überlassen wird,
würde sich nicht empfehlen, weil der Verkaufspreis von zu vielen Umständen beein-
flußt wird.

Für ganz große Bergwerke mit Tausenden von Arbeitern würde sich Verfahren 1 wohl
am besten eignen, für mittlere Betriebe Verfahren 2 und für ganz kleine Betriebe Ver-
fahren 3.

Der Unterschied zwischen Erlös und Förderkosten würde wieder als Grundrente in
die Staatskasse wandern.

Für den Verkauf der Erzeugnisse sind zwei Wege zu verfolgen:

1. Fester Preis, jahraus, jahrein, für alle Erzeugnisse, bei denen die Natur der Verhält-
nisse eine unbeschränkte Förderung zuläßt, so daß gewiß ist, daß auch die Nachfrage,
die sich zu dem festen Preis einstellt, stets befriedigt werden kann. Gleichmäßige Be-
schaffenheit der Erzeugnisse ist für dieses Verfahren Voraussetzung.

2. Öffentliche Versteigerung; überall dort, wo die Erzeugnisse ungleichmäßig sind
und wo die Förderung sich nicht jeder beliebigen oder möglichen Nachfrage anpassen läßt.

Wenn man die Erzeugnisse zu festen Preisen verkaufte, und dabei nicht in der Lage
wäre, jede gewünschte Menge zu liefern, so würden sich Wucherspieler (Spekulanten)
die Sache zunutze machen. Ist die Beschaffenheit verschieden, so können nur durch
öffentliche Versteigerung Beschwerden vermieden werden.

Ein Bodenerzeugnis eigener Art bilden die Wasserkräfte, die in vielen Gegenden schon
jetzt eine große Rolle spielen und deren Bedeutung mit den Fortschritten der Technik
nur wachsen kann. Für größere Kraftwerke, die der Stadt Licht und Kraft für die
Straßenbahnen liefern, wäre die Verstaatlichung wohl das einfachste, besonders deshalb,
weil der ganze Betrieb solcher Werke seiner Einfachheit wegen sich dazu eignet. Bei
kleinen Wasserkräften, die unmittelbar an Industrien angeschlossen sind, wie Mühlen und
Sägewerken, wäre der Verkauf der Kraft zu einem einheitlichen, mit den Kohlenpreisen
schritthaltenden Preise angezeigt.

Etwas mehr Schwierigkeit bietet die Bodenverstaatlichung in der Stadt, vorausgesetzt,
daß man einerseits nicht willkürlich verfahren, andererseits dem Staate die volle Rente
sichern will. Kommt es nicht genau darauf an, so ist das für den größeren Teil der Stadt
London angewandte Pachtverfahren ausreichend. Nach diesem Verfahren ist dem Pächter
der Boden zu beliebiger Ausnutzung für eine lange Frist (50 bis 70, in London 99 Jahre)
gegen einen jährlichen, im voraus für die ganze Pachtzeit bestimmten Zins gesichert. Die
Rechte des Pächters sind veräußerlich und vererblich, so daß auch die auf dem Boden
errichteten Häuser verkauft werden können. Steigt nun im Laufe der Zeit (und in
100 Jahren kann sich manches ändern) die Grundrente, so hat der Pächter den Gewinn
(der, wie das in London der Fall ist, sehr groß sein kann); sinkt die Grundrente, so hat
der Pächter den Verlust zu tragen (der ebenfalls sehr groß sein kann). Da die auf dem
Boden errichteten Häuser gleichzeitig als Pfandstücke für die richtige Bezahlung des
Pachtzinses dienen, so kann der Pächter dem Verluste nicht entrinnen; der volle Miets-
ertrag der Häuser dient dem Grundbesitzer als Sicherheit.

Wie wir aber an der Geschichte Babylons, Roms, Venedigs ersehen, ist die Geschichte
der Städte sehr wechselvoll, und es gehört oft nicht viel dazu, um einer Stadt den Lebens-
nerv abzuschneiden. Die Entdeckung des Seeweges nach Indien brachte Venedig, Genua,
Nürnberg zu Fall und lenkte den Verkehr nach Lissabon; mit der Eröffnung des Suez-
kanals ist Genua wieder neu erstanden. Ähnlich wird es wohl auch Konstantinopel mit
der Eröffnung der Bagdadbahn ergehen.

Auch das muß hier wieder berücksichtigt werden, daß unsere heutigen Währungs-
gesetze niemanden dagegen schützen, daß nicht morgen auf Betreiben der Beteiligten
eine auf fallende Preise gerichtete Währungspolitik getrieben wird, wie das ja schon
einmal 1873 geschehen ist, wo man dem Silber das Prägerecht entzog. Die Möglichkeit
ist also heute gesetzlich nicht ausgeschlossen, daß morgen auf Wunsch derselben Leute
wie damals, auch dem Golde das freie Prägerecht entzogen und dann das Angebot von
Gold so beschränkt wird, daß alle Preise um 50 % fallen und das Vermögen der Privat-
und Staatsgläubiger um 100 % auf Kosten der Schuldner vermehrt wird. In Österreich
hat man das mit dem Papiergeld, in Indien mit dem Silbergeld getan, warum sollte man
dasselbe Kunststück nicht auch wieder einmal mit dem Golde versuchen?

Also irgendeine Gewähr dafür, daß die Grundrenten die der Pachtung zugrunde
gelegte Höhe während der ganzen Pachtzeit beibehalten werden, ist nicht vorhanden.
Durch den Einfluß der Politik und tausendfältiger wirtschaftlicher Umstände, wozu noch
die Wahrscheinlichkeit tritt, daß die jetzige Landflucht mit der Bodenverstaatlichung
sich in eine Stadtflucht verwandelt, wird in jede langfristige Pachtung ein erhebliches
Wagnis getragen, und diese Verlustgefahr muß der Verpächter, hier also der Staat, in
Form eines erheblich herabgesetzten Pachtzinses bezahlen.

Dann ist auch die Frage zu beantworten, was nach Ablauf der Pacht aus den Gebäuden
wird. Fallen dem Staate vertragsmäßig die Gebäude unentgeltlich zu, dann wird vom
Pächter der Bau von vornherein auf eine die Pachtzeit nicht übersteigende Dauerhaftig-
keit berechnet, so daß der Staat in den meisten Fällen die Gebäude auf Abbruch wird
verkaufen müssen. Es hat ja auch Vorteile, wenn die Häuser nicht für die Ewigkeit gebaut
werden, denn bei jedem Umbau können die Fortschritte der Bautechnik berücksichtigt
werden, aber die Nachteile überwiegen doch stark, wie das bei den französischen Eisen·
bahnen der Fall ist. Dort ist auch das Eisenbahngelände vom Staate an Privatgesell-
schaften auf 99 Jahre verpachtet worden mit der Bedingung, daß nach Ablauf des Ver-
trages das Ganze kostenlos an den Staat zurückfallen soll. Aber auf diesen Umstand
sind nun alle Bahnbauten, wie auch die Instandhaltung, zugespitzt. Man will dem Staate
nicht mehr als gerade nötig überlassen, sozusagen einen Greis in den letzten Zügen,
altes, verbrauchtes, ausgeleiertes Gerümpel, Trümmer. Und so kommt es, daß infolge
dieses leichtsinnigen Vertrages die französischen Eisenbahnen allgemein einen verwahr-
losten Eindruck machen - und das jetzt schon, lange vor Ablauf des Vertrages. Ähnlich
würde es sicherlich auch ergehen, wenn die Baustellen unter der Bedingung verpachtet
würden, daß nach Ablauf des Vertrages die Gebäude dem Staate zufallen.

Besser schon wäre die Bedingung, daß die Gebäude abgeschätzt und vom Staate bezahlt
würden. Aber wie soll die Abschätzung erfolgen? Diese kann von zwei Gesichtspunkten
aus geschehen:

1. nach der wirtschaftlichen Brauchbarkeit (Bauplan, Anlage);

2. nach den Baukosten.

Will man ohne Rücksicht auf Brauchbarkeit die Entschädigung einfach nach den Bau-
kosten und dem baulichen Zustand berechnen, so würde der Staat manches nutzlose,
verpfuschte Gebäude teuer bezahlen müssen, um es dann abreißen zu lassen. Die Bau-
meister würden unüberlegte, leichtsinnige Pläne entwerfen, wohl wissend, daß, wie
auch der Bau ausfällt, der Staat die Kosten zahlen wird. Wenn man jedoch von den Bau-
kosten absieht und andere Erwägungen bei der Abschätzung zuläßt, so müßten auch die
Baupläne dem Staate zur Genehmigung vorgelegt werden. Das führt jedoch wieder
zur Beamtenwirtschaft, zur Bevormundung, zu gedankenlosem Tun. Darum scheint
mir das Verfahren am vorteilhaftesten, wonach die Baustellen auf unbeschränkte Zeit
verpachtet werden, und zwar nicht zu einer für alle Ewigkeit im voraus berechneten
Pacht, sondern zu einer in regelmäßigen Abständen von 3, 5 bis 10 Jahren von Staats
wegen vorgenommenen Grundrentenschätzung. So wäre das Wagnis der Bauunternehmer
in bezug auf den Pachtertrag gleich Null, und der Staat würde die volle Rente einheimsen,
ohne sich um die Gebäude weiter kümmern zu müssen. Die ganze Sorge um die beste
Ausnutzung des Baugeländes würde auf denen ruhen, die es angeht, auf den Bauunter-
nehmern. Auf völlige Genauigkeit bei der Schätzung der Grundrente und des Pacht-
zinses kann man natürlich nicht rechnen. Man würde jedoch den Pachtzins immer so
berechnen können, daß der Unternehmer seine Betätigungslust an der Sache nicht ver-
liert und auch der Staat nicht zu kurz kommt.

Für die Ermittlung der Grundrente in den verschiedenen Stadtteilen wäre es angezeigt,
wenn der Staat in jedem Stadtviertel ein Miethaus für eigene Rechnung errichtete, nach
einem auf den höchsten Mietsertrag berechneten Bauplan. Von den eingehenden Miets-
beträgen würde man den Zins der Baukosten (solange Zins bezahlt wird), die Instand-
haltung, die nötigen Abschreibungen, die Feuerversicherung usw. abrechnen und den
Rest als Normalgrundrente von allen anderen Grundstücken derselben Straße (oder glei-
cher Lage) als Pachtzins erheben.

Rechnerisch genau wäre natürlich auch so die Grundrente nicht zu ermitteln, da manches
hier auf den Bauplan des Mustermietshauses ankäme. Dieser Bauplan müßte darum als
Musterplan immer besonders sorgfältig angelegt werden; aber wie er auch ausfallen würde,
Grund zur Klage von seiten der Bauunternehmer könnte er nicht geben, da etwaige
Mängel dieses Planes nur einen Minderertrag der Miete herbeiführen könnten. Dieser
Minderertrag würde aber unmittelbar auf die Grundrente des Musterhauses drücken und
so in einem entsprechend niedrigeren Pachtzins für sämtliche Grundstücke wieder zum
Vorschein kommen.

Durch dieses Verfahren würde der eigene Vorteil der Bauunternehmer immer aufs
engste mit dem guten baulichen Zustand ihrer Häuser, mit wohlüberlegten Bauplänen
verknüpft sein - denn jeder Vorzug ihrer Häuser gegenüber dem Mustermietshause würde
ihnen persönlich zugute kommen.

Zu erwähnen ist noch, daß der Zinsfuß des Baukapitals, der der Berechnung des Anteils
der Grundrente an dem Mietzins zugrunde gelegt wird, das Wichtigste an der ganzen Sache
ist, und daß man sich im voraus, d. h. vor Unterzeichnung der Pachtverträge, darüber wird
einigen müssen, nach welchen Verfahren dieser Zinsfuß jedesmal ermittelt werden soll.
Denn ob man das Baukapital mit 4, 3 1/2 oder 3 % verzinst, ist doch für die Berechnung der
Grundrente sehr wesentlich.

Ist z. B. das Baukapital 200 000 M., der Mietsertrag. . . . . . . . . 20 000 M.
und der Zinsfuß 4%, so ist der Kapitalzins. . . . . . . . . . . . . . . . . 8 000 M.
und die Grundrente, d. h. die zu zahlende Pacht . . . . . . . . . . . . 12 000 M.

Bei 3% würden nur 6000 M. vom Mietsertrag abgehen, was den Pachtzins bis auf
14 000 M. erhöhen würde, ein Abstand, der, wenn er nicht auf eine unanfechtbare, ver-
tragsmäßige Grundlage sich stützt, ein Entrüstungsgeschrei verursachen würde. Für die
Stadt Berlin z. B. würde die Anwendung eines Zinsfußes von 3% statt eines solchen von
4% schon einen Unterschied in der Pachtberechnung von 20 Millionen wenigstens aus-
machen. Es ist also klar, daß man in dieser Beziehung nichts der Willkür überlassen kann.

Im folgenden, dem Freigeld gewidmeten Teil, werde ich das Verfahren für die Ermitt-
lung des reinen Kapitalzinses eingehend besprechen, und ich verweise hier darauf. Unab-
hängig davon möchte ich aber hier den Vorschlag machen, als Zinsfuß für das Gebäude-
kapital den Durchschnittsertrag aller an der Börse gehandelten einheimischen Industrie-
papiere zu nehmen. Dadurch würde dem Baukapital der Durchschnittsertrag des Industrie-
kapitals gesichert, was die Bauindustrie von jedem Wagnis befreien und diesem Zweige der
Industrie zum Wohle der Mieter große Kapitalien zuführen würde. Denn jeder, der eine
sichere Anlage vorzieht, würde sein Geld in Häusern anlegen, die ihm immer den Durch-
schnittsertrag einbringen würden.

Dieser Zinsfuß würde natürlich nur bei Berechnung der Grundrente des Mustermiets-
hauses angewandt werden.

Das Mustermietshaus von 500 Geviertmeter Grundfläche hat an Miete ein-
gebracht .......... .......................................... ................................................ 20 000 M.
Das Baugeld beträgt nach den üblichen Abschreibungen 200 000 M. Der
Durchschnittszinsfuß der Börsenpapiere war.......... 3,25%
Von der Miete gehen also als Zins des Baugeldes ab ........................................6 500 M.
somit bleibt als Grundrente 20 000- 6500 = ...................................................13 500 M.
oder 13 500: 500= 27 M. für das Geviertmeter.

In groben Umrissen und ohne auf die Abweichungen einzugehen, die nur die Erfahrung
vorschreiben kann, erhalten wir als Muster eines Pachtvertrages zwischen Staat und Bau-
unternehmer folgendes:

1. Der Staat übergibt dem Bauunternehmer das Grundstück Nr.12 der Claudiusstraße
in Erbpacht.

2. Die Pacht wird berechnet nach der für das in der gleichen Straße befindliche Muster-
mietshaus ermittelten Grundrente.

3. Als Grundrente für dieses Mustermietshaus wird angesehen: der in öffentlicher Pacht-
versteigerung erzielte Mietzins, abzüglich x Prozent Abschreibungen, Instandhaltungen
und Versicherungen und abzüglich Zins des Baugeldes.

4. Als Zinsfuß für das Baukapital wird der jährliche Durchschnittsertrag der an der Ber-
liner Börse gehandelten Industriepapiere angenommen werden.


(1) Vom Dorf Thommen in der Eifel, das besonders viel Gemeindeland hat, heißt es in
dortiger Gegend: "Wu die heischisch Lüt herkommen." (Heischende Leute = Bettler.)


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.