Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
[ Zur NWO-Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]

2.2. Die Freiland-Finanzen

Also der Staat kauft den gesamten Privatgrundbesitz auf und zwar Ackerboden, Wald,
Bauplätze, Bergwerke, Wasserwerke, Kiesgruben, kurz alles. Der Staat bezahlt auch das
Gekaufte, er entschädigt die Grundbesitzer.

Der zu bezahlende Preis richtet sich nach dem Pachtzins, den das Grundstück bisher
einbrachte oder einbringen würde. Der ermittelte Pachtzins wird dann zum Zinssatz der
Pfandbriefe kapitalisiert (1), und der Betrag den Grundbesitzern in verzinslichen Schuldscheinen
der Staatsanleihe ausbezahlt. Kein Pfennig mehr noch weniger.

Wie kann aber der Staat solche gewaltige Summen verzinsen? Antwort: Mit dem Pacht-
zins des Bodens, der ja nunmehr in die Staatskasse fließt. Dieser Ertrag entspricht der
Summe der zu zahlenden Zinsen, keinen Pfennig mehr, keinen Pfennig weniger, da ja die
Schulden die kapitalisierte Grundrente des Bodens darstellen.

Angenommen, der Boden bringt jährlich 5 Milliarden an Pacht ein, dann hat der Staat
als Entschädigung bezahlt bei einem Zinsfuß von 4 %: 5 000 000 000 x 100 : 4 =125 Mil-
liarden. Diese Summe zum gleichen Fuß verzinst gibt aber auch 5 Milliarden. Also
Soll = Haben.

Vor der Größe dieser Zahlen braucht niemand zu erschrecken. (2) Die Größe des "Soll"
mißt man an der Größe des "Haben". An sich ist nichts groß noch klein. Die Franzosen,
die schon mit 35 Milliarden Staatsschulden und ebensoviel Bodenschuldzinsen belastet
sind, häufen noch immer Milliarden auf Milliarden an fremden Staatspapieren auf. (Vor
dem Krieg.) Das Becken ist eben groß und faßt viel. Ebenso wäre es mit der Schuld der
Bodenverstaatlichung. Dem großen "Soll" wird ein gleichgroßes "Haben" entsprechen.
Es wäre darum auch völlig überflüssig, eine Berechnung dieser Summe im voraus vorzu-
nehmen. Sind es 100 Milliarden, gut; sind es 500 Milliarden, auch gut. Es ist für die Fi-
nanzen des Reiches nichts als ein Durchgangsposten. Diese Milliarden werden durch die
Staatskassen pilgern, ohne eine Spur zu hinterlassen. Erschrickt denn ein Bankmann, dem
man ein Vermögen in Verwahrung gibt? Erschrickt der Präsident der Reichsbank vor den
Riesensummen, die durch sein - Tintenfaß gehen? Der Vorsitzende der Reichsbank
schläft nicht weniger gut, als der Leiter der Bank von Helgoland. Sind denn etwa die
Schulden des preußischen Staates drückender geworden, seitdem dort mit Schuldscheinen
die Eisenbahnen gekauft wurden?

Gewiß, die Einwendung ist berechtigt, daß mit der Übernahme der Bodenverstaat-
lichungsschuld ein Wagnis verbunden ist, insofern als die Höhe der Grundpachten von
schwankenden Bestandteilen der Volkswirtschaft (Zölle, Bahnfrachtsätze, Löhne, Wäh-
rung) bestimmt wird, während die Zinsen der Schulden, wie auch die Schuld an sich, auf
dem Papier festgesetzt sind.

Das ist wahr, aber betrachten wir uns doch einmal diese schwankenden Bestandteile
der Grundpacht vom Standpunkt derjenigen, die obige Einwendung machen, also vom
Standpunkt der Grundbesitzer selber. Wie haben sich denn die Grundbesitzer bisher
gegen einen Rückgang der Grundrenten gewehrt? Haben sie sich nicht immer in solchen
Fällen um Hilfe an den Staat gewandt, und die ganze Last ihrer Not auf denselben Staat
abgewälzt, den sie jetzt gegen genannte Verlustmöglichkeit in Schutz nehmen wollen?
Wobei sie natürlich zu erwähnen unterlassen, daß, wo ein Wagnis ist, in der Regel auch
eine entsprechende Gewinnmöglichkeit ist und daß sie selbst zwar den Verlust auf den
Staat abzuwälzen pflegen, die Gewinne aber immer voll für sich beanspruchen. Die Rolle,
die der Staat dem Privatgrundbesitz gegenüber gespielt hat, ist bislang immer die eines
Nietenziehers bei Lotterien gewesen. Dem Staate die Nieten - dem Grundbesitzer die
Gewinne. Tatsache ist, daß, so oft auch die Grundrenten stiegen, die Bezieher dieser
Renten noch nie den Vorschlag gemacht haben, dem Staat zurückzuerstatten, was sie in
Zeiten der Not von ihm erhielten. Ursprünglich halfen sich die Grundrentner in der
Regel selber; sie verschärften die Sklaverei, die Leibeigenschaft. Als diese nicht mehr auf-
rechterhalten werden konnte, mußte ihnen der Staat durch Beschränkung der Freizügig-
keit helfen, wodurch der Lohn unter seine, durch die Freizügigkeit geebnete, natürliche
Höhe gedrückt wurde. Als solche Mittel zu gefährlich wurden, sollte der Staat mit dem
Doppelwährungsschwindel helfen, das heißt, der Staat sollte die Währung preisgeben, um
durch eine unübersehbare Preistreiberei die Klasse der Grundrentner (der verschuldeten
Grundeigentümer) auf Kosten anderer Bürger von der Last der Schulden zu befreien.
(Dieser Satz wird denen, die in den Währungsfragen noch vollkommene Neulinge sind,
später besser verständlich sein.) Als der Versuch am Widerstand der anderen Rentnerklasse
der Zinsrentner, scheiterte und mit der rohen Macht das Ziel nicht erreicht werden
konnte, da verlegten sich die Grundrentner aufs Betteln, Klagen, da begründeten sie ihre
Forderung nach Sperrzöllen für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse mit der sogenannten
Not der Landwirtschaft. Um die Grundrenten zu retten und zu erhöhen, sollten die
Volksmassen höhere Brotpreise zahlen. Immer ist es also der Staat, das Volk, gewesen, das
die mit dem Grundbesitz verbundene Verlustgefahr gutwillig oder zwangsweise auf sich
nahm. Die Verlustgefahr, die von einer so breiten und ausschlaggebenden Volksklasse, wie
die der Grundbesitzer ist, getragen wird, ist in Wirklichkeit gleichbedeutend mit einer
Verlustgefahr der Staatskasse. Mit der Bodenverstaatlichung würden sich dieseVerhältnisse
nur insofern ändern, als nun dem Staate als Entgelt für die Gefahr des Verlustes auch die
Gewinnmöglichkeiten zufallen würden.

Übrigens liegt, volkswirtschaftlich betrachtet, im Rückgang der Grundrenten überhaupt
keine Verlustgefahr; selbst der vollkommene Wegfall der Grundrenten wäre volkswirt-
schaftlich betrachtet, kein Verlust. Dem Steuerzahler, der mit seiner Arbeit neben den
Steuern heute noch die Grundrenten aufzubringen hat, kann, wenn die Grundrenten
wegfielen, der Staat entsprechend mehr Steuern aufbürden. Die Steuerkraft des Volkes
steht immer im umgekehrten Verhältnis zur Kraft der Rentner. (3)

Unmittelbar gewinnt und verliert niemand durch den Rückkauf des Grundbesitzes. Der
Grundeigentümer zieht aus den Staatspapieren an Zins, was er früher an Rente aus dem
Grundeigentum zog, und der Staat zieht an Grundrente aus dem Grundeigentum das, was
er an Zins für die Staatspapiere zahlen muß.

Der bare Gewinn für den Staat erwächst erst aus der allmählichen Tilgung der Schuld mit
Hilfe der später zu besprechenden Geldreform.

Mit dieser Umgestaltung wird der Zinsfuß in kürzester Zeit auf den niedrigsten Welt-
verkehrsstand sinken und zwar ganz allgemein für das Geld- und Industriekapital, und
bei internationaler Annahme der grundlegenden Gedanken der Geldreform wird der Zins
des Kapitals auf der ganzen Welt bis auf Null zurückgehen.

Darum wird man auch guttun, den Inhabern der Bodenverstaatlichungsanleihen als
Zins nur so viel zu versprechen, wie nötig sein wird, um den Kurs dieser Papiere dauernd
auf 100 (pari) zu erhalten. Denn der Kurs festverzinslicher Papiere muß alle Schwankungen
mitmachen, die der Kapitalzins erleidet. Soll daher der Kurs der Staatspapiere fest bleiben,
so muß ihre Verzinsung frei bleiben: Diese muß mit dem allgemeinen Kapitalzins auf- und
abgehen - nur so kann das Wucherspiel (Spekulation) von den Staatspapieren ferngehal-
ten werden. Es wird aber für das Gemeinwohl vorteilhaft sein, ein Kapital von 2-300 Mil-
liarden vor den Raubzügen der Börsenspekulanten durchaus zu sichern, zumal die Schuld-
scheine der Bodenverstaatlichungs-Anleihen vielfach in die Hände völlig unerfahrener
Leute gelangen werden.

Sinkt also infolge des gleichzeitig mit der Bodenverstaatlichung einzuführenden Frei-
geldes der allgemeine Kapitalzins, so wird damit auch von selbst der Zinsfuß der Boden-
verstaatlichungs-Anleihen zurückgehen, von 5 auf 4, 3, 2, 1 und 0 %.

Dann werden die Finanzen der Bodenverstaatlichung folgendes Bild zeigen:

Betragen die Grundrenten jährlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Milliard.,
so hat der Staat bei einem Zinsfuß
von 5% an Entschädigung an die
Grundbesitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 "
zu bezahlen gehabt, und bei einem Zinsfuß von 4% · · · · · · · 250 "

Zur Verzinsung von 200 Milliarden zu 5% gehören . . . . . . . . 10 "

Sinkt nun der allgemeine Kapitalzins anf 4%,
so genügen zur Pariver-
zinsung der 200 Milliarden jährlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 "
während die Grundrenten zunächst
auf dem gleichen Stand bleiben von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 "

So entsteht im Soll und Haben der
Bodenverstaatlichungs-Finanzen ein
Überschuß von jährlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Milliard.,

der zur Schuldentilgung herangezogen wird und nun nicht mehr verzinst zu werden
braucht, während die Grundrenten weiter in den Staatssäckel fließen. Dieser jährliche
Überschuß wächst in demselben Verhältnis, wie der allgemeine Kapitalzins zurückgeht,
und erreicht bei Null schließlich den vollen Betrag der Grundrenten, die allerdings mit
dem Rückgang des Zinses ebenfalls sinken werden, wenn auch nicht im gleichen Maße.
(Siehe Teil I, Abschn.14.)

In diesem Falle wäre die ganze, gewaltige, aus der Bodenverstaatlichung entstandene
Reichsschuld in weniger als 20 Jahren vollständig getilgt.

Erwähnt sei noch, daß der jetzige, außergewöhnlich hohe Zinsfuß der Kriegsanleihen,
den man als Grundlage für die Entschädigungsberechnung (Kapitalisierungsrate) be-
nutzen würde, ganz besonders günstig für die Bodenverstaatlichung wäre - denn je höher
der Zinsfuß - um so kleiner der als Entschädigung an die Grundbesitzer zu zahlende
Übernahmepreis.

Für je 1000 Mark Grundrente müssen an Entschädigung den Grundbesitzern gezahlt
werden:

bei 5% = 20 000 Mark Kapital,
bei 4% = 25 000 Mark Kapital,
bei 3% = 33 333 Mark Kapital.

Ob es wünschenswert ist, die Übergangs- oder Eingewöhnungsfrist, die nach obigem
Tilgungsentwurf den Grundbesitzern bewilligt wird, noch mehr zu verkürzen, das mögen
andere entscheiden. An Mitteln dazu wird es nicht fehlen. Die Umgestaltung unseres Geld-
wesens, wie sie im 4. Teil dieser Schrift vorgeschlagen wird, ist von erstaunlicher Leistungs-
fähigkeit. Freigeld entfesselt die Volkswirtschaft, beseitigt alle Hemmungen, bringt die durch
die neuzeitlichen Arbeitsmittel ins Ungeheuerliche angewachsene Schaffenskraft des geschulten
heutigen Arbeiters zur vollen Entfaltung, ohne daß es noch zu Stockungen (Krisen) und
Arbeitseinstellungen kommen kann. Die Einnahmen des Staates, die Steuerkraft des Volkes
werden ins Ungeahnte steigen. Will man also diese Kräfte zur schnelleren Tilgung der Staats-
schulden heranziehen, so kann der oben angegebene Zeitraum noch sehr verkürzt werden.


(1) Die Grundrente "kapitalisiert" man durch Ausrechnung der Geldsumme, die an Zins
so viel einbringt, wie der Boden Rente abwirft.

(2) Zurzeit (November 1919) ist allerdings kaum noch etwas da, was abzulösen wäre. Die
Verschuldung des Reiches, die als erste Hypothek sich auswirkt, wird die Rente zum
größten Teil aufzehren. Für den Preis eines kleinen Bauernhofes in der Schweiz kann man
schon ein ansehnliches Rittergut in Deutschland kaufen.

(3) In Frankreich fiel im Durchschnitt der Jahre 1908-1912 die Grundrente gegen den
Durchschnitt von 1879-1881 um 22 1/4 %. Die Bodenpreise fielen um 32,6 %. 1879/81 kostete
1 ha noch fr.1830, 1908/12 nur noch fr.1244.- Grundbesitz und Realkredit 18. April 1918.


[ Zur NWO-Inhaltsübersicht ] [ Zur Homepage ] [ Zum Gästebuch ]

Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.