Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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1.6. Genauere Bestimmung des Begriffes Freiland

Wenn von Freiland die Rede ist, so denkt man in erster Linie wohl an die weiten Flächen
unbebauten Landes in Nord- und Südamerika. Dieses Freiland ist bequem und mit ver-
hältnismäßig geringen Kosten zu erreichen. Das Klima ist zuträglich für den Europäer,
die gesellschaftlichen Verhältnisse für viele anlockend, die Sicherheit für Leben und Geld
nicht schlecht. Der Ankömmling wird im Einwanderer-Gasthaus auf Kosten des Staates
8-14 Tage bewirtet, und in einigen Staaten erhält er auf der Eisenbahn freie Fahrt bis
an die äußerste Grenze des besiedelten Gebietes. Hier steht es ihm frei, sich gleich anzu-
siedeln. Er kann sich das ihm zusagende Land aussuchen: Viehweide, Ackerland, Wald.
Die Heimstätte, auf die er rechtlichen Anspruch hat, ist für die volle Ausnutzung der
Arbeitskraft selbst der größten Familie reichlich bemessen. Hat der Ansiedler seine vier
Grenzpfosten eingeschlagen und das Landamt benachrichtigt, so kann er schon mit der
Arbeit beginnen. Niemand verwehrt es ihm, niemand fragt ihn, wer ihm eigentlich erlaubt
habe, die Erde zu bearbeiten und die Früchte seines Fleißes einzuheimsen. Er ist Herr
auf dem Boden zwischen jenen vier Grenzpfosten.

Land dieser Art nennen wir Freiland ersten Grades. Solches Freiland findet man aller-
dings nicht mehr in besiedelten Gegenden, sondern nur dort, wo nur erst wenig Menschen
sind. In den bereits besiedelten Strichen findet man aber noch weite, oft riesige Flächen,
die nicht bebaut sind, die aber durch irgendeinen Mißbrauch der Machtmittel des Staates
in das Privateigentum irgendeines an irgendeinem Orte der Welt wohnenden Menschen
gelangt sind. Ich wette, in Europa gibt es viele Tausende von Männern, die zusammen
Hunderte von Millionen Hektar solchen in Amerika, Afrika, Australien und Asien gelege-
nen Landes ihr Eigentum nennen. Wer ein Stückchen dieses Bodens haben will, muß sich
mit den Eigentümern verständigen. In der Regel kann man das Gewünschte für eine
kaum nennenswerte Summe erhalten oder pachten. Ob man für den Hektar Ackerland,
den man zu bearbeiten gedenkt, 10 Pf. Pacht bezahlt, kann dem Arbeitsertrag so gut wie
nichts abtragen. Solches bedingt freie Land nennen wir Freiland zweiten Grades.

Freiland ersten und zweiten Grades gibt es in allen Weltteilen noch in gewaltigen
Strecken. Nicht immer ist es Boden erster Güte. Vieles ist mit Wald schwer bedeckt, be-
darf langwieriger Ausrodungsarbeiten. Große Strecken leiden unter Wassermangel und
können nur durch kostspielige Bewässerungsanlagen fruchtbar gemacht werden. Anderes
Land wieder, vielfach gerade der an sich beste Boden, muß entsumpft werden, noch andere
Strecken oder Täler bedürfen der Zufuhrstraßen, ohne die der Austausch der Erzeugnisse
unmöglich wäre. Freiland dieser Art kommt nur für geld- oder kreditkräftige Auswanderer
in Betracht. Für die Lehre von der Grundrente und vom Lohne ist es jedoch gleichgültig,
ob eine kapitalistische Gesellschaft oder ob die Auswanderer unmittelbar das Freiland in
Anbau nehmen. Von Belang ist das nur für das Kapital und seinen Zins. Nimmt der
Freiländer solches durch Be- und Entwässerungsbauten, also durch Kapitalanlage
erschlossene Land in Arbeit, so muß er für die Benutzung dieser Bauten den regel-
rechten Kapitalzins zahlen und diesen Zins seinen Erzeugungskosten zuzählen.

Für diejenigen aber, Einzelpersonen oder Gesellschaften, die selber die für größere
Aufschließungsarbeiten nötigen Mittel haben, ist heute sozusagen noch die halbe Welt
Freiland. Das beste Land in Kalifornien und entlang dem Felsengebirge war bis vor
kurzem noch Wüste. Jetzt ist es ein Garten von gewaltigem Umfang. Die Engländer haben
Ägypten durch die Nilsperre wieder bewohnbar gemacht für Millionen und aber Millionen
Menschen. Die Zuidersee, Mesopotamien und viele andere Wüsten wird man ebenso der
Bebauung erschließen. So kann man sagen, daß solches Freiland zweiten Grades noch
für unabsehbare Zeiten zur Verfügung der Menschen steht.


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.