Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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1.4. Abhängigkeit des Lohnes und der Grundrente von den Frachtsätzen

Vom Arbeitsertrag auf Frei-, Öd-, Sumpf- und Heideland hängt es ab, wieviel der Grund-
besitzer an Lohn zahlen muß, wieviel er an Pacht erheben kann. So viel, wie der Arbeits-
ertrag auf Freiland beträgt, so viel verlangt selbstverständlich der Knecht als Lohn, da
es ihm ja frei steht, Freiland (diesen Begriff werden wir noch näher bestimmen) in Besitz
und Arbeit zu nehmen. Dabei ist es durchaus nicht nötig, daß jeder Knecht bei den
Lohnverhandlungen mit der Auswanderung droht. Familienvätern z. B., die mit Kindern
gesegnet sind, würde eine solche Drohung nicht viel einbringen, insofern als der Grund-
besitzer ja weiß, daß der Drohung die Tat nicht folgen wird. Für die genannte Wirkung
genügt es vollkommen, daß durch die Auswanderung der Jugend ein allgemeiner Mangel
an Arbeitskräften entsteht. Der durch die Auswanderung hervorgerufene Arbeitermangel
steift dem durch Familienrücksichten oder sonstwie festgehaltenen Arbeiter bei den
Lohnverhandlungen ebenso den Rücken, wie es eine bereits gelöste Schiffskarte tun
könnte. (1)

Soviel aber, wie der Arbeitsertrag der Freiländer und des Lohnarbeiters beträgt, muß
auch dem Pächter nach Abzug der Pacht und des Zinses des von ihm benötigten Kapitals
übrigbleiben. So wird also auch die Pacht vom Arbeitsertrag auf Freiland bestimmt.
Mehr als diesen Freilandsarbeitsertrag braucht der Grundbesitzer bei der Pachtbemessung
nicht übrig zu lassen, mit weniger braucht sich der Pächter nicht zu begnügen.

Schwankt der Arbeitsertrag auf Freiland, so überträgt sich die Schwankung auch auf
den Lohn und die Pacht.

Zu den Umständen, die den Arbeitsertrag auf Freiland beeinflussen, müssen wir in
erster Linie die Entfernung rechnen zwischen dem herrenlosen Boden und dem Orte,
wo die Erzeugnisse verbraucht, die eingetauschten Gebrauchsgegenstände erzeugt oder
von allen Teilen der Welt zusammengebracht werden. Wie wichtig die Entfernung ist,
sehen wir am besten am Preisunterschied zwischen einem Acker in der Nähe der Stadt
und einem gleich guten weit ab vom Markte. Worin liegt der Preisunterschied begründet?
In der Entfernung.

Handelt es sich z. B. um die kanadische Weizengegend, wo noch heute gutes Heim-
stättenland zur freien Verfügung steht, so muß das Getreide zuerst vom Felde mittels
Fuhrwerks auf grundlosen Straßen nach der mehr oder weniger entfernten Bahn gebracht
werden, die es nach Duluth befördert, wo die Umladung auf Binnenschiffe stattfindet.
Diese bringen das Getreide nach Montreal, wo eine neue Umladung auf Seeschiffe statt-
findet. Von hier geht die Reise nach Europa, etwa nach Rotterdam, wo wieder eine Um-
ladung auf Rheinschiffe nach Mannheim, und von hier auf Bahnwagen nötig wird, um den
Markt (Stuttgart, Straßburg, Zürich usw.) zu erreichen, wo es nach der Verzollung zu
denselben Preisen verkauft werden muß, wie die an Ort und Stelle gewachsene Frucht.
Es ist eine lange Reise, und sie kostet viel Geld, aber das, was nun von dem Marktpreis
nach Abzug von Zöllen, Fracht, Versicherung, Maklergebühren, Stempel, Zinsen des
Geldvorschusses, Säcken usw. usw. übrigbleibt, das ist erst der Arbeitserlös, mit dem den
Ansiedlern in der Einöde von Sascachevan aber nicht gedient wäre. Dieser Gelderlös muß
nun in Gebrauchsgegenstände umgesetzt werden - Salz, Zucker, Tuch, Waffen, Ma-
schinen, Bücher, Kaffee, Möbel usw. usw., und erst, nachdem alle diese Gegenstände
glücklich im Hause des Ansiedlers eingetroffen und die Frachtkosten bezahlt sind, kann
der Arbeiter sagen, das ist mein Arbeitsertrag nebst Zins meines Kapitals. (Hat sich der
Arbeiter das nötige Geld zur Auswanderung und Ansiedlung geborgt, so muß er vom
Arbeitserzeugnis auch noch den Zins dieses Geldes abziehen. Dasselbe muß er tun, wenn
er mit eigenem Kapital arbeitet.)

Wie sehr nun dieser Arbeitsertrag von den Frachtsätzen abhängig sein muß, geht aus
obiger Darstellung klar hervor.

Diese Frachtsätze sind andauernd herabgegangen, wie folgende Angaben zeigen:

Frachtkosten für 1000 kg Getreide von Chicago nach Liverpool:
1873 = M. 67,-
1880 = M. 41,-
1884 = M. 24,- (2)

Das sind also schon von Chicago bis Liverpool 43 M. Frachtersparnis für jede Tonne
Weizen, 1/6 des damaligen, 1/4 des jetzigen Preises. Aber die Strecke Chicago-Liverpool
ist nur eine Teilstrecke der Reise Sascachevan-Mannheim, also sind obige 43 M. auch
nur ein Teil der wirklichen Frachtersparnis.

Diese Ersparnis kommt aber auch der Rückfracht zustatten. Das Getreide war das
Arbeitserzeugnis, die 240 M. für die Weizentonne waren der Arbeitserlös und die Rück-
fracht umfaßt die Gegenstände des Arbeitsertrages auf den es dem Ansiedler bei der
Weizenerzeugung eigentlich ankommt. Man muß sich nämlich klar sein, daß die Arbeiter
in Deutschland, die kanadischen Weizen essen, diesen immer mit ihren Erzeugnissen
bezahlen müssen, die sie unmittelbar oder mittelbar nach Kanada schicken, für die darum
ebenfalls Fracht zu zahlen ist. So verdoppelt sich also die Ersparnis an der Frachtver-
billigung und hebt sich der Arbeitsertrag des Ansiedlers auf Freiland, der den allgemeinen
Arbeitslohn in Deutschland unmittelbar bestimmt.

Nun wäre es aber dennoch falsch, wenn man annehmen wollte, daß eine Frachterspar-
nis von etwa 200 M. sich für den Ansiedler in einen dieser Summe genau entsprechenden
höheren Arbeitsertrag umsetzen muß. In Wirklichkeit wird der Arbeitsertrag nur etwa
um die Hälfte der Frachtersparnis steigen, und das verhält sich so: der steigende Arbeits-
ertrag des Freiländers hebt den Lohn der landwirtschaftlichen Arbeiter in Deutschland.
Warum, ist gesagt. Der steigende Lohn des Landarbeiters und des Freiländers lockt diesem
Erwerbszweig Arbeiter aus der Industrie zu. Das bestehende Verhältnis in der Erzeugung
landwirtschaftlicher und industrieller Güter und damit auch ihr Tauschverhältnis wird
gestört. Der Ansiedler muß für die Gegenstände seines Arbeitsertrages (Industrieerzeug-
nisse) höhere Preise zahlen. Die Menge dieser Industrieerzeugnisse (Arbeitsertrag)
wächst also nicht im Verhältnis zu dem um die Frachtersparnis erhöhten Arbeitserlös.
Den Unterschied nehmen nach den Gesetzen des freien Wettbewerbs die Industriearbeiter
vorweg. Es geht also hier zu wie dort, wo eine neue Technik die Erzeugungskosten der Waren
vermindert (Dampfmaschine z. B.). Erzeuger und Verbraucher teilen sich in den Gewinn.

Auch hier wieder wird es sich lohnen, einmal zahlenmäßig den Einfluß zu erfassen,
den eine Frachtkostenveränderung auf den Arbeitsertrag des Freiländers, auf die Grund-
rente und auf den allgemeinen Arbeitslohn ausübt:

I. Der Arbeitsertrag eines Freilandbauers in Kanada bei einem Frachtsatz von M. 67,-
(v. Jahre 1873):

Arbeitserzeugnis: 10 t Weizen nach Mannheim verladen und dort zu 250 M.
verkauft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2500 M.
ab 10 mal 67 an Fracht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 M.
Arbeitserlös. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1830 M.

Dieser Arbeitserlös (Geld) wird in Deutschland zum Ankauf von Gebrauchs-
gütern benutzt, die, nach Kanada verschifft, die gleichen Unkosten an
Verpackung, Fracht, Zöllen, Bruch usw. verursachen mögen, wie der
Weizen auf der Heimreise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 M.
Arbeitsertrag im Hause des Ansiedlers. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1160 M.

II. Derselbe im Jabre 1884 bei einem Frachtsatz von 24 M:

Arbeitserzeugnis: 10 t Weizen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2500 M.
ab 10 mal 24 an Fracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 M.
Arbeitserlös. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2260 M.

Dieser Arbeitserlös, der um 430 M. größer ist als bei I, soll nun in Arbeits-
ertrag umgewandelt werden, d. h. in gewerbliche Erzeugnisse, deren
Tauschverhältnis zu den landwirtschaftlichen Erzeugnissen sich (aus den
angegebenen Gründen) gehoben hat, und zwar (immer schematisch) um
die Hälfte des Mehrerlöses von 430 M., also um 215 M. Daher bleibt der
Arbeitsertrag, nach den Preisen von I gemessen, um 215 M. gegen den
Arbeitserlös zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 M.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2045 M.

Hiervon geht nun noch die Rückfracht ab, die wir höher bemessen müssen,
weil die Frachtgüter um den Betrag der Frachtersparnis angewachsen sind,
statt 240 M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 M.
Arbeitsertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 800 M.

Ist nun infolge der Frachtkosten-Ermäßigung der Arbeitsertrag des Freilandbauers von
1160 M. auf 1800 M. gestiegen, so erhöhen sich damit auch von selbst die Lohnforderun-
gen der deutschen Landarbeiter, und ebenso verlangen auch die Pächter vom Produkt
ihrer Arbeit einen größeren Anteil für sich. In demselben Verhältnis gehen auch die
Grundrentenzurück.

War in Deutschland der Preis von 10 t Weizen . . . . . . . . . . . 2500 M.
und betrugen die Lohnausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1160 M.
so warfen 10 t Land (3) an Pachtzins oder Grundrente ab. . . . 1340 M.

Steigen die Lohnforderungen auf 1800 M., so fällt die Grundrente auf 700 M., nämlich
1340 ab 640 Lohnerhöhung.

Also das, was der Freilandbauer an Frachten zahlen muß, das geht von seinem Arbeits-
ertrag ab, das kann in Deutschland der Grundbesitzer als Pachtzins fordern, den Arbeitern
vom Arbeitserzeugnis als Grundrente abziehen. Die Frachtausgaben des Freilandbauers
sind die Einnahmen des Grundbesitzers.


(1) Wie stark der Lohn unter dem Einfluß der Auawanderer und Wanderarbeiter stehen
muß, ersieht man aus folgenden Zeilen, die einer Rede Wilsons vom 20. Mai 1918 ent-
nommen sind. (N. Z. Z. Nr. 661): "Als der Kriegsminister in Italien weilte, wurden ihm
von einem Mitgliede der italienischen Regierung die mannigfachen Gründe genannt, aus
denen sich Italien den Vereinigten Staaten nahe verbunden fühlt. Der italienische Minister
bemerkte dann folgendes:
"Wenn Sie eine interessante Erfahrung machen wollen, so begeben Sie sich in irgend-
einen Truppenzug und fragen die Soldaten auf englisch, wie mancher von ihnen in
Amerika gewesen sei. Das weitere werden Sie sehen."
Unser Kriegsminister stieg in der Tat in einen Truppenzug und fragte die Leute, wie viele
von ihnen schon in Amerika gewesen seien. Es scheint, daß über die Hälfte der Mann-
schaften aufstand."
Die italienischen Grundrentner hatten also die Leute nach Amerika, und die ameri-
kanischen Grundrentner hatten sie wieder nach Hause getrieben. Weil es ihnen in Amerika
ebenso schlecht ging, wie in der Heimat - darum wanderten diese armen Teufel ruhelos
hin und her.
Wilson fügte obigem bei: "Ein Teil von amerikanischen Herzen war in dieser italieni-
schen Armee!" - Wir wissen es besser: Fluchend verließen die Wanderarbeiter ihre
Heimat, und fluchend verließen sie Amerika.

(2) Mulhall, Dictionary of Statistics.

(3) Dänisches Ackermaß. Bedeutet so viel Land wie nötig um eine Tonne Getreide zu
ernten. Eine Tonne Land bedeutet also je nach Güte des Bodens eine größere oder kleinere
Fläche Land.


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.