Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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1.3. Der Abzug am Arbeitsertrag durch die Grundrente

Der Grundbesitzer hat es in der Hand, seinen Boden bebauen zu lassen oder es nicht
zu tun. Die Erhaltung seines Besitzes ist von der Bebauung unabhängig. Der Boden
verdirbt nicht unter der Brache, im Gegenteil, er wird dadurch besser; bot doch die
Brache unter der Dreifelderwirtschaft die einzige Möglichkeit, den erschöpften Boden
wieder fruchtbar zu machen.

Ein Grundbesitzer hat also gar keine Ursache, seinen Besitz (Acker, Bauplatz, Erz-
und Kohlenlager, Wasserkraft, Wald usw.) anderen ohne Entgelt zur Benutzung zu
überlassen. Wird dem Grundbesitzer für solche Benutzung keine Vergütung (Pachtzins)
angeboten, so läßt er den Boden brach. Er ist vollständig Herr über seinen Besitz.

Darum wird auch jeder, der Boden braucht und sich an die Grundbesitzer wendet,
sich regelmäßig und selbstverständlich zu einer Leistung (Pachtzins) bequemen müssen.
Und wenn wir die Erdoberfläche und ihre Fruchtbarkeit vervielfältigten -, es würde
doch keinem Grundbesitzer einfallen, ohne Entgelt den Boden anderen zu überlassen.
Im äußersten Fall kann er seine Besitzung in Jagdgründe verwandeln oder als Park be-
nutzen. Der Zins ist eine selbstverständliche Voraussetzung jeder Pachtung, weil der
Druck des Wettbewerbs im Angebot von Pachtland niemals bis zur Unentgeltlichkeit
des Bodens reichen kann.

Wieviel wird nun der Grundbesitzer fordern können? Wenn die ganze Erdoberfläche
für die Ernährung der Menschen nötig wäre, wenn in der Nähe und Ferne überhaupt
kein freies Land mehr zu finden, die gesamte Erde in Besitz und Bebauung genommen,
und auch durch Anstellung von mehr Arbeitern, durch sogenannte dichte oder Spar-
landkultur kein Mehr an Erzeugnissen zu erzielen wäre, dann würde die Abhängigkeit
der Besitzlosen von ihren Grundherren eine ebenso unbedingte sein, wie zur Zeit der
Leibeigenschaft, und dementsprechend würden auch die Grundbesitzer ihre Forderun-
gen bis zur Grenze des überhaupt Erreichbaren hinaufschrauben, d. h., sie würden das
volle Arbeitserzeugnis, die volle Ernte für sich beanspruchen und davon dem Arbeiter,
wie einem gemeinen Sklaven, so viel abtreten, wie zu seiner Erhaltung und Fortpflanzung
nötig ist. In diesem Falle wäre die Voraussetzung erfüllt für das unbedingte Walten des
sogenannten "ehernen Lohngesetzes". Der Bauer wäre auf Gnade und Ungnade den Grund-
besitzern ausgeliefert, und der Pachtzins wäre gleich dem Ertrag des Ackers, abzüglich
der Ernährungskosten für den Bauern und die Zugtiere und abzüglich des Kapitalzinses.

Diese unentbehrliche Voraussetzung für den ehernen Lohn trifft jedoch nicht zu,
denn die Erde ist größer, sogar sehr viel größer und fruchtbarer, als zur Erhaltung ihrer
heutigen Bewohner nötig ist. Sogar bei der jetzigen Sparhand-Bewirtschaftung (1) ist
sicherlich kaum ein Drittel der Fläche ausgenutzt, das übrige ist brach und vielfach
herrenlos. Ginge man überall zur Sparlandbebaung (2) über, so würde vielleicht ein
Zehntel der Erdoberfläche schon genügen, um die Menschheit mit dem Maß von Lebens-
mitteln zu versorgen, das den Arbeitern heute durchschnittlich zur Verfügung steht.
Neun Zehntel der Erdoberfläche könnten in diesem Falle brachliegen. (Was allerdings
nicht bedeuten soll, daß man danach verfahren würde. Wenn jeder sich satt essen will,
und sich nicht mit Kartoffeln begnügt, wenn jeder ein Reitpferd halten will, einen Hof
mit Pfauen, Tauben; wenn er einen Rosengarten, einen Teich zum Baden haben will,
dann könnte unter Umständen die Erde noch zu klein sein.)

Die Sparlandbebauung (3) umfaßt: Entsumpfung, Berieselung, Bodenmischung, Ri-
golen, Sprengung von Felsen, Mergelung, Anwendung künstlicher Düngemittel, Wahl
der Kulturpflanzen, Veredelung der Pflanzen und Tiere, Vernichtung von Schäd-
lingen bei Obstbäumen, Weinbergen; Verfolgung der Wanderheuschrecken, Ersparnis
an Arbeitstieren durch Eisenbahnen, Kanäle, Kraftwagen, bessere Ausnutzung der
Futterstoffe durch Austausch; Einschränkung der Schafzucht durch Baumwollanbau;
Vegetarismus usw. usw.

Durch völligen Mangel an Boden ist also heute niemand gezwungen, sich an die Grund-
besitzer zu wenden, und weil dieser Zwang fehlt (aber nur darum), ist auch die Ab-
hängigkeit der Grundbesitzlosen vom Grundbesitzer begrenzt. Nur haben die Grund-
besitzer das Beste des Bodens in Besitz, und in der Nähe wenigstens sind nur solche
Striche noch herrenlos, deren Urbarmachung sehr viel Arbeit kostet. Auch fordert die
Sparlandbebauung beträchtlich mehr Mühe, und nicht jedermanns Sache ist es, aus-
zuwandern, um die herrenlosen Länder in der Wildnis zu besiedeln, ganz abgesehen
davon, daß die Auswanderung Geld kostet und daß die Erzeugnisse jener Ländereien
nur mit großen Unkosten an Fracht und Zoll auf den Markt gebracht werden können.

Das alles weiß der Bauer, das alles weiß aber auch der Grundherr. Ehe also der Bauer
sich zur Auswanderung entschließt, oder ehe er das in der Nähe liegende Moor ent-
sumpft und urbar macht, ehe er zur Gartenwirtschaft übergeht, fragt er den Grundherrn,
was dieser an Pachtzins für seinen Acker fordern würde. Und ehe der Grundherr diese
Frage beantwortet, überlegt er und berechnet den Unterschied zwischen dem Ertrag
der Arbeit auf seinem Acker und dem Ertrag (4) der Arbeit auf Ödland, Gartenland und
herrenlosem Lande in Afrika, Amerika, Asien und Australien. Denn diesen Unterschied
will er für sich haben, den kann er als Pacht für seinen Acker fordern. Aller Regel nach wird
jedoch nicht viel gerechnet. Man geht hier vielmehr erfahrungsmäßig vor. Irgendein
übermütiger Bursche wandert aus, und wenn er günstig berichtet, folgen andere. Da-
durch geht in der Heimat das Angebot von Arbeitskräften zurück, und die Folge ist
eine allgemeine Erhöhung der Lohnsätze. Dauert die Abwanderung an, so steigt der
Lohn bis zu einem Punkte, wo der Auswanderer wieder im Zweifel ist, ob er bleiben
oder ziehen soll. Dieser Punkt bedeutet den Ausgleich in den Arbeitserträgen hier und
drüben. Manchmal kommt es auch vor, daß der Auswanderer über sein Tun sich Rechen-
schaft geben will, und es mag darum angebracht sein, sich einmal eine solche Rechnung
anzusehen:

1. Rechnung des Auswanderers:

Reisegeld für sich und seine Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 M.
Unfall- und Lebensversicherung während der Reise . . . . . . . . . . . . . . . 200 "
Krankenversicherung für die Eingewöhnung, d. h. die Summe, welche
die Krankenversicherung für die besondere Gefahr des Klimawechsels
berechnen würde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 "
Besitznahme, Abgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 "
An Betriebskapital wird die gleiche Summe vorausgesetzt, die der Bauer
in Deutschland braucht; es ist also nicht nötig, diese hier anzuführen-

Kosten der Ansiedlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2000 M.

Diese Kosten des Auswanderers, die der Pächter in Deutschland spart, werden dem
Betriebsgeld zugerechnet, dessen Zinsen als Betriebsunkosten verrechnet werden:

5% von 2000 M.= . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 M.

Nehmen wir nun an, daß der Ansiedler mit gleicher Arbeit dieselben Er-
zeugnisse hervorbringt wie auf dem heimischen Boden, dessen Wett-
bewerb hier in Betracht steht, so muß berücksichtigt werden, daß es der
Bauer, wie jeder Arbeiter, gar nicht auf die Erzeugnisse selbst abgesehen
hat, sondern auf das, was er mit seinen Erzeugnissen an Gebrauchs-
gütern eintauschen kann, also auf den Arbeitsertrag. Dieser geht ihn
allein an; um sich diesen zu beschaffen, arbeitet er. Der Ansiedler muß
also seine Erzeugnisse auf den Markt bringen, und den Gelderlös muß
er wieder in Waren umsetzen und diese nach Hause bringen.

Der Markt für diesen Austausch der Erzeugnisse ist in der Regel weit
ab; nehmen wir an, es wäre Deutschland, wo ja große Massen land-
wirtschaftlicher Erzeugnisse eingeführt werden müssen, so hat der Aus-
wanderer zu zahlen:

Fracht für Fuhrwerk, Bahn, Seeschiff und Kahn . . . . . . . . . . . . . . 200 "
Einfuhrzoll in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 "
Fracht für Kahn, Seeschiff, Bahn und Fuhrwerk auf die eingetauschten
Gebrauchsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Zol1 darauf bei der Einfuhr in seiner neuen Heimat . . . . . . . . . . . . . 100

Insgesamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 M.

Die gewöhnlich auf dem Handelsweg erfolgende Umwandlung des Arbeitserzeug-
nisses in Arbeitsertrag kostet dem Auswanderer nach obiger Rechnung an Fracht, Zoll
und Handelsunkosten die Summe von M. 1000,- , die der Bebauer deutschen Bodens
spart. Wenn letzterer also für einen Acker, der das gleiche Arbeitserzeugnis verspricht
wie die Heimstätte des Auswanderers, M. 1000,- an Pacht zahlt, so steht sein Arbeits-
ertrag auf gleicher Höhe mit dem des Auswanderers.

Der gleiche wirtschaftliche Unterschied zugunsten des obigen im Wettbewerb
stehenden Ackers ergibt sich, wenn Ödland in Deutschland urbar gemacht werden
soll, nur treten hier an Stelle der Fracht- und Zollkosten die Zinsen für das in der
Urbarmachung aufgewendete Kapital (Entwässerung des Moores, Mischung der ver-
schiedenen Bodenschichten, Entsäuerung mit Kalk und Düngung). Bei der Sparland-
bebauung treten an die Stelle von Zinsen und Frachten höhere Anbaukosten.

Der Pachtzins wirkt also in der Richtung, den Arbeitsertrag (nicht das Arbeitserzeug-
nis) überall auf die gleiche Höhe herabzusetzen. Das, was der altgepflegte heimische
Boden landwirtschaftlich vor der Lüneburger Heide und, der Marktlage nach, vor dem
herrenlosen Land in Kanada voraus hat, das beansprucht der Grundherr restlos für sich,
als Grundrente, oder beim Verkauf des Bodens in kapitalisierter Form als Preis. Alle
Unterschiede des Bodens in bezug auf Fruchtbarkeit, Klima, Marktnähe, Zölle, Frachten
usw. werden durch die Grundrente ausgeglichen. (Man beachte, daß ich die Arbeits-
löhne hier nicht anführe; es geschieht mit Bedacht.)

Die Grundrente verwandelt in wirtschaftlicher Beziehung den Erdball in eine für den
Pächter, Unternehmer, Kapitalisten (soweit er nicht Bodenbesitzer ist) durchaus gleich-
artige, eintönige Masse. So sagt Flürscheim: "Wie alle Unebenheiten des Meeresbodens
durch das Wasser zu einer glatten Fläche umgewandelt werden, so ebnet die Rente
den Boden." Und zwar setzt sie (und das ist das Merkwürdige) den Ertrag der Arbeit
für alle Bebauer des Bodens gleichmäßig auf den Ertrag herab, den man vom Ödland
in der Heimat oder vom herrenlosen Boden in der fernen Wildnis erwarten kann. Die
Begriffe fruchtbar, unfruchtbar, lehmig, sandig, sumpfig, mager, fett, gut und schlecht
gelegen, werden durch die Grundrente in wirtschaftlicher Beziehung wesenlos. Die
Grundrente macht es für alle Arbeiter völlig gleichgültig, ob sie Heideland in der Eifel,
Gartenboden in Berlin oder Weinberge am Rhein bearbeiten.


(1 )Sparhandbebauung (extensive Kultur),.wo man mit der Arbeit spart.

(2) Sparlandbebauung (intensive Kultur), wo man mit dem Boden spart.

(3) Die Sparhandbebauung braucht viel Boden, die Sparlandbebauung viele Arbeiter.

(4) Man beachte hier wohl den Unterschied zwischen Arbeitserzeugnis und Arbeitsertrag.
Oft kommt es vor, daß das Arbeitserzeugnis (die Erntemenge) des Auswanderers zehnmal
größer ist, ohne daß sein Arbeitsertrag sich bessert.


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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.