Kapitel aus Silvio Gesell: Die Natürliche Wirtschaftsordnung
Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949;
Herausgeber: Karl Walker
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1.11. Gesetzliche Eingriffe in Lohn und Rente

Der Einfluß der Gesetzgebung auf die Verteilung des Arbeitserzeugnisaes unter die
Rentner und Arbeiter ist mannigfach und weitreichend. Oft hört man sogar sagen, daß
die Politik der Hauptsache nach in nichts anderem bestehe als in Angriffen auf Lohn
und Rente, und in deren Abwehrmaßregeln. In der Regel geht man hier gefühlsmäßig
vor. Man durchschaut die Zusammenhänge nicht völlig, oder wenn man sie durchschaut,
so gebietet die Klugheit, sie nicht aufzudecken. Um den wissenschaftlichen Nachweis,
daß die Mittel, die man mit Eifer und Leidenschaft verteidigt, auch das gesteckte Ziel
treffen werden, müht man sich nicht viel ab. Politik und Wissenachaft passen nicht zu-
einander; oft besteht das Ziel der Politik gerade darin, den Durchbruch einer wissen-
schaftlichen Erkenntnis zu verhindern oder wenigstens zu verzögern. Was hat man nicht
alles von den Zöllen behauptet?! Sie schützen und fördern die Landwirtschaft, sagen
diejenigen, die den unmittelbaren Vorteil in die Tasche stecken; Brotwucher und Raub
heißen sie bei denen, die den Zoll an der Kleinheit der Brote wahrnehmen. Den Zoll
bezahlen die Ausländer, sagen die einen, und ihnen antworten die anderen, es sei nicht
wahr, der Zoll würde vielmehr auf die Verbraucher abgewälzt. So streitet man über
einen rein menschlichen Vorgang, der sich vor unseren Augen abspielt, seit fünfzig
Jahren, und noch sind sie alle so klug wie zuvor. Es wird sich darum wohl lohnen, den
Einfluß der Gesetzgebung auf die Verteilung der Waren rechnungsmäßig darzulegen.

Wenn ein Kaufmann eine Ladung Tabak bestellt und weiß, daß er an der Grenze
100 Mark Zoll für den Ballen zu zahlen haben wird, so wird jedermann zugeben, daß
der Kaufmann überzeugt sein muß, den Zoll, mit Zins und Gewinn belastet auf den
Preis des Tabaks schlagen zu können. Der Zoll ist ein wesentlicher Bestandteil des Kapi-
tals für den Kaufmann, der die Zollrechnungen bei der Bestandsaufnahme ins Haben
bucht, genau wie die Kisten, Säcke und Ballen:

100 Tonnen Java-Tabak . . . . . 200 000 M.
Fracht und Zoll. . . . . . . . . . . . 50 000 "
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 000 M.

10 % erwarteter Gewinn . . . . . 25 000 M
. . . . . . . . . . . . . . . . . Kapital 275 000 M.

So macht's der Kaufmann mit den Zöllen. Warum könnte es nun unser Grundbesitzer
nicht auch mit dem Gelde so machen, das der Staat von ihm als Grundsteuer erhebt?
Daß dies so geschehe, wird ja auch vielfach behauptet. Grundbesitzer selbst sind es, die
sagen, sie würden jede Steuer einfach, mit Zins und Gewinn belastet, auf die Pächter und
Mieter abwälzen, und letzten Endes fände die Grundsteuer im kargen Lohn des Arbeiters
ihre letzte Ruhestatt. Wenn das aber der Fall ist, so folgern diese Grundbesitzer, so ist
es doch viel besser, die Grundsteuer in eine Kopfsteuer, in eine Lohnsteuer oder Ein-
kommensteuer zu verwandeln. Die Arbeiter sparen dann wenigstens den Gewinn und
Zins, den der Grundherr auf die Steuern schlägt!

Um nun diesen Fall näher untersuchen zu können, ist es unerläßlich, eine Frage zu
beantworten, die Ernst Frankfurth in seiner lichtvollen kleinen Schrift "Das arbeitslose
Einkommen" (1) gestellt hat: Was geschieht mit dem Ertrag der Grundsteuer? Es kann
doch für das weitere Geschick der Grundsteuer nicht einerlei sein, ob der Staat die
Steuereingänge dazu verwendet, um dem Grundherrn neue Straßen durch seine Län-
dereien zu bauen, um das Schulgeld für die Kinder seiner Pächter zu ermäßigen, oder
etwa um Einfuhrprämicn für ausländisches Getreide zu bezahlen. Solange wir das nicht
wissen, können wir auch die Frage nicht beantworten, wer die Grundsteuer letzten
Endes bezahlt. So sagt Ernst Frankfurth.

Es gibt Grundbesitzer, die nicht warten, daß der Staat sie besteuert, um ihnen mit
dem Geld eine Straße zu bauen, die für die Bewirtschaftung ihrer Ländereien nötig
geworden ist. Sie bauen sie selber. Die Kosten bilden eine Kapitalanlage, ähnlich wie
das Ausroden, die Entwässerung usw. Der Grundbesitzer erwartet von der Straße Vor-
teile, die den Zins des dazu aufzuwendenden Geldes aufwiegen. Wenn trotzdem in der
Regel der Staat die Straßen baut und die Grundherren dafür besteuert, so liegt das
einfach daran, daß zum Bau von Straßen, die der Regel nach das Gebiet mehrerer Grund-
besitzer mit entgegengesetzten Belängen durchschneiden müssen, Enteignungsrechte
nötig sind, die nur dem Staate zustehen. Aber auch wenn der Staat die Straße baut, ist
die hierfür erhobene Grundsteuer eine Kapitalanlage, deren Zins der Grundherr in voller
Höhe wieder einzuholen hofft. Und diese Eigenschaft haben die Steuern fast allgemein.

Wenn der Staat eine Grundsteuer erhebt, um die Grenze gegen den Einfall der Wilden
zu schützen, so spart der Grundherr den Betrag dieser Steuer an der Versicherung gegen
den Einfall der Kosaken und Amerikaner.
Wenn also der Staat die Erträge der Grundsteuer zugunsten der Grundherren ver-
wendet, so sind diese Steuern einfach als Kapitalanlage zu betrachten. Sie bedeuten die
Entlohnung des Staates für Dienste, die er geleistet hat. Der Grundherr kann diese
Steuern dort buchen, wo er den Lohn seiner Arbeiter bucht. Verpachtet er den Boden,
so schlägt er die Steuer auf den Pachtzins, in voller Höhe, wenn der Staat billig und gut
arbeitet, mit Gewinn sogar, wenn der Staat bei seiner Arbeit den Witz eines tüchtigen
Bauunternehmers entwickelt hat.

Wie verhalten sich aber die Dinge, wenn der Staat den Grundherrn besteuert, um
mit dem Ertrag den Pächter oder die Arbeiter etwa vom Schulgeld zu befreien? Kann
der Grundherr dann auch noch die Grundsteuer als einträgliche Auslagen betrachten?
Nehmen wir an, es wäre nicht so, der Grundherr könne vielmehr weder dem Pächter
den Pachtzins um den Betrag des von diesem gesparten Schulgeldes erhöhen, noch könne
er den Lohn der Arbeiter herabsetzen. Pächter und Lohnarbeiter hätten also einen um
den Betrag des beseitigten Schulgeldes erhöhten Arbeitsertrag. Warum soll aber der
Grundherr den Arbeitsertrag der Pächter und Arbeiter erhöhen? Etwa weil er selbst
besteuert wird? Dazu läge aber kein Grund vor, da der Arbeitsertrag des Pächters und
Lohnarbeiters ja vom Arbeitsertrag auf Freiland 1, 2 und 3 bestimmt wird. Käme die
Verwendung der Grundsteuererträgnisse auch den Freiländern 3 zustatten, etwa eben-
falls in Form einer Schulgeldermäßigung, dann allerdings wäre das Gleichgewicht
zwischen dem Arbeitsertrage des Lohnarbeiters und Pächters und dem der Freiländer
ungestört, und dem Grundherrn wäre es unmöglich, die Grundsteuer auf Pacht und
Lohn abzuwälzen. Im anderen Falle aber sagt er dem Pächter: "Zu den sonstigen Vor-
teilen, die mein Acker dir bietet, kommt auch die freie Schule für deine Kinder. Fetter
Lehmboden, gesundes Klima, schöne Aussicht auf den See, die Nähe des Marktes, freie
Schulen - alles zusammengerechnet - du hast mir 100 M. Pacht für den Hektar zu
zahlen." Und dem Lohnarbeiter sagt der Grundherr: "Du kannst ja wegziehen, wenn
du mit dem Lohnabzug nicht einverstanden bist. Rechne nach, ob du dich mit dem Lohn,
den ich dir zahle, bei der freien Schule für deine Kinder und den sonstigen sozialen
Einrichtungen nicht ebenso gut stehst, wie wenn du Freiland 1, 2 und 3 bebaust. Rechne
nach, ehe du wegziehst!"

Man sieht, daß die Grundsteuer in voller Höhe abgewälzt wird, sobald ihr Ertrag
nicht auch dem Freiländer, namentlich dem Freiländer 3 zugute kommt. Wird der Ertrag
der Grundsteuer dagegen in irgendeiner Form der Sparlandbebauung zugeführt, so
überträgt sich die Erhöhung des Arbeitsertrages der Freiländer 3 auf den Lohn der in
der Sparhandbebauung beschäftigten Arbeiter, und die Grundsteuer ist in diesem Falle
nicht nur nicht abwälzbar, sondern sie belastet sogar die Grundrente zweifach, einmal um
den vollen Betrag der Steuer, das andere Mal in Gestalt der erhöhten Forderungen der
Arbeiter.

Diese merkwürdige Erscheinung wollen wir auch rechnungsmäßig zu belegen suchen:
Grundrentner A. hat von seiner Rente von 375 t die Hälfte an Steuern zu entrichten.
Der Ertrag der Grundsteuern wird den Freiländern 3, also der Sparlandbebauung, in
irgendeiner Form zugeführt. Das Produkt der Freiländer 3 steigt von 900 t auf etwa
1200 t.

Wir wenden hier unsere Lohn- und Rentenberechnungsweise an und erhalten folgende
Rechnung:

Bisher:

Sparhandbebauung A. 100 ha, 12 Arbeiter 480 t, je Mann 40 t.
Sparlandbebauung B. 100 ha, 60 Arbeiter 900 t, je Mann 15 t,
laut Rechnung S. 53/54 ist die Rente 375 t, der Lohn 8,75.

Jetzt :

Sparhandbebauung A. 100 ha, 12 Arbeiter, Produkt 480 t, je Mann 40 t,
Sparlandbebauung B. 100 ha, 60 Arbeiter, Produkt 1200 t, je Mann 20 t.
Unterschied 20 t.

Ausrechnung (s. S. 54):
20 mal 12 = 240 : 48 = 5 mal 60 = 300 t Rente (bisher 375), 20 - 5 =15 t Lohn
(bisher 8,75).

A. 12 mal 15 t Lohn = 180 B. 60 mal 15 = 900 Lohn
Rente 300 300 Rente
Produkt 480 Produkt 1200.

Durch die Art der Steuerverwendung geht also die Rente von 375 auf 300 zurück,
wovon dann der Betrag der Steuer 50 % von 375 = 187,50 abzuziehen wäre, so daß
von der ursprünglichen Rente von 375 nur mehr 112,50 t übrig bleiben. Der Steuersatz
von 50 % verwandelt sich also durch die lohntreibende Verwendung des Steuerertrages in
einen Rentenrückgang von 70 %.

375 - 112,50 = 262,50 : 375 = 70 %.

Man sieht also, wie sehr Frankfurth recht hatte, als er fragte, was mit dem Ertrag der
Grundsteuer gemacht wird, und wie unvernünftig es ist, an die Beantwortung der Frage,
ob die Grundsteuer abwälzbar sei oder nicht, heranzutreten, ohne die dazu nötigen Vor-
arbeiten vollendet zu haben. Auch mag man jetzt schon ahnen, wie oft die von den
Sozialpolitikern empfohlenen Mittel ihr Ziel verfehlen, wie oft sie auch das Gegenteil
von dem Erstrebten bewirken mögen. Man sieht aber auch, welche Macht der Staat
bei der Verteilung der Arbeitserzeugnisse ausüben kann.

Nur um uns etwas Übung in der Beurteilung sozialpolitischer Vorschläge zu ver-
schaffen, wollen wir auch noch den Fall untersuchen, daß der Staat zur Abwechslung
statt der Kornzölle eine Korneinfuhrprämie einführt und daß er sich die dazu nötigen
Mittel durch eine Grundrentensteuer verschafft. Der Staat nimmt also den Grund-
besitzern einen Teil ihres Getreides und gibt es denen, die Getreide einführen, mittelbar
oder unmittelbar, also den Freiländern 1 und 2, aber nicht den Freiländern 3.

Wir gehen von den Verhältnissen aus, die wir S. 53/54 unserer Rechnung zugrunde
legten. Dem in Deutschland geltenden Lohnsatz von 8,75 t entspricht der Ertrag der
Arbeit auf Freiland 1 und 2. Das heißt, das Arbeitserzeugnis des Freiländers, das 30 t
betragen mag, schrumpft durch Frachtkosten und Zölle auf 15 t zusammen und geht
bei der Umwandlung des Erlöses dieser 15 t in die Gegenstände des Arbeitsertrages
(Gebrauchsgüter des Freiländers) durch die Frachtkosten, die diese Rückfracht belasten,
weiter zurück, so daß zuletzt bei der Ankunft im Hause des Freiländers auch nur 8,75 t
als Arbeitsertrag übrigbleiben.

Nun sollen in Deutschland die Kornzölle in Korneinfuhrprämien umgewandelt werden,
nach dem Grundsatz: waren die Kornzölle den Rentnern recht, so sind jetzt den Ar-
beitern die Einfuhrprämien billig. Infolgedessen braucht der Freiländer nicht nur keinen
Zoll mehr zu bezahlen, sondern er erhält noch aus den Renten der deutschen Grund-
besitzer für je 10 t, die er ins Reich einführt, noch etwa 3 t als Prämie ausgeliefert. So
daß er jetzt 18 statt 15 t zum Verkauf bringt, und sein Arbeitsertrag mag jetzt betragen
8,75 mal 18 : 15 =10,50.

Erhöht sich der Arbeitsertrag der Freiländer, so steigt auch der Lohn der deutschen
Arbeiter. Das Ergebnis ist dasselbe wie im vorangehenden Fall; der Grundherr muß
Steuern zahlen, deren Ertrag dem Lohn zukommt, so daß die Steuer nicht nur nicht
abwälzbar ist, sondern über die eigne Größe hinaus auf die Grundrente drückt. Doch
das gestörte Gleichgewicht ist mit diesem Rentenrückgang noch nicht wieder hergestellt.
Die Erhöhung der Löhne im Landbau auf Freiland l, 2 und 3 bewirkt, daß Industrie-
arbeiter zur Landwirtschaft zurückkehren, daß mehr landwirtschaftliche, weniger ge-
werbliche Erzeugnisse auf den Markt geworfen werden, daß das Tauschverhältnis sich
zugunsten der Industrieerzeugnisse und sonstigen Leistungen verschiebt und daß der
Rentner nun noch für sein schon stark geschwächtes Rentenprodukt (Weizen) noch
außerdem einen geringeren Rentenertrag (alles, was der Rentner zum Leben braucht)
eintauscht.

Selbstverständlich wirkt diese Verschiebung im Tauschverhältnis der landwirtschaft-
lichen und gewerblichen Erzeugnisse auch zurück auf den erhöhten Arbeitsertrag der
Freiländer 1, 2 und 3, sowie auf den Lohn der Landarbeiter, bis auch dort das Gleich-
gewicht im Arbeitsertrag aller gefunden ist.


(1) Freiland-Freigeld-Verlag, Erfurt

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Dieser Text wurde im Juli 1997 ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.