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Fragen der Freiheit

Heft 248, September 1998

Seite 31 - 39

 

 

 

Was nützen und wem schaden Wertsicherungsklauseln? *)

 

Herbert Giersch

 

1. Die Sache ist wichtig und zukunftsträchtig. Der Streit über sie ist im Gange, auch unter Marktökonomen, die für Stabilität im Wachstum eintreten. Der Schauplatz ist Deutschland. Zur Diskussion steht eine Nachfolgeregelung für den Paragraphen 3 des Währungsgesetzes vom 20. Juni 1948, der den Gebrauch von Wertsicherungs- und Indexklauseln grundsätzlich untersagt und ihn im Einzelfall von der Genehmigung der Zentralbank abhängig macht. Wenn der Euro kommt, verliert dieser staatliche Eingriff in die Vertragsfreiheit seine Grundlage. Angeblich hat der Bundesminister für Wirtschaft sich und sein Ministerium bereits festgelegt: Er will ein neues Verbot. Auf der anderen Seite steht der Bundesminister der Justiz, ebenfalls von der F.D.P. Er tritt für die Vertragsfreiheit ein. Ähnlich wie die Politik sind die Interessenten im Bereich der Wirtschaft »zerstritten«. Und auch in der Wirtschaftswissenschaft gibt es Klärungsbedarf im Dialog zwischen Befürwortern und Gegnern eines Indexierungsverbotes.

 

2. In der Sache geht es um Verträge mit längeren Laufzeiten, bei denen ein Bedarf besteht, die vereinbarte Geldsumme an das Schwanken des Geldwerts anzupassen - laufend oder am Ende der Vertragszeit. Man denke an Kredite, Mietverträge, Lohntarife und Lieferabkommen. Vereinbart wird ein fester Nominalbetrag, ergänzt um eine Klausel, die besagt, daß dieser Betrag mit einem Preisindex (der Lebenshaltung) steigt oder fällt. Man einigt sich also darauf, real zu rechnen, real in diesem Sinne. Ob beim Nominalbetrag am Schluß ein Ansteigen oder Sinken herauskommt, bleibt offen. Man weiß es ja vorher nicht. Genau wegen dieses Nichtwissens bedient man sich der Klausel. Keine der beiden Parteien soll profitieren, falls es überraschend eine Inflation oder Deflation gibt oder falls die tatsächliche Inflationsrate mehr oder weniger ausmacht, als sonst antizipiert worden wäre. Anders ausgedrückt: Statt eine Wette abzuschließen, wie sich der Geldwert verändern wird, einigt man sich auf eine Formel, die später zahlenmäßig spezifiziert wird, sobald nämlich die amtliche Statistik die Daten auf den Tisch gelegt hat. Es wird also die konkrete Inflationsrate vorerst ausgeklammert. Und da man nicht unerfahren ist und andernfalls irgendeine feste Inflationsrate vereinbart hätte, geht es streng genommen nur um das Inflations-Änderungsrisiko.

 

 

 

3. Halten wir fest. was dies impliziert:

• Indexklauseln sind nützlich und werden vornehmlich vereinbart, wenn es sich um längerfristige Verträge handelt. Ohne sie wären die Laufzeiten kürzer, suboptimal.

 

• Indexklauseln dürften - bei gegebenen Laufzeiten - um so begehrter sein, je weniger Gewißheit über die künftigen Schwankungen des Geldwerts besteht. Indexklauseln ermöglichen Verträge, die sonst vielleicht überhaupt nicht zustande kämen. Insoweit sind sie - wie der freiwillige Tausch und wie das Geld überhaupt - eine soziale Erfindung, die die Wohlfahrt der Beteiligten erhöht.

 

• Es ist nicht ohne weiteres zu erkennen, wer durch sie einen Schaden erleidet, wer durch ein Verbot von Indexklauseln geschützt werden könnte. Hypothetisch in Betracht kämen Personen, die Herrschaftswissen über künftige Geldwertschwankungen zu besitzen glauben, eine Regierung, die darauf aus ist, mit Geldwertschwankungen Politik zu machen, oder eine Notenbank, die es sich nicht nehmen läßt, die beschäftigungspolitischen Effekte einer nicht-antizipierten Inflation zu nutzen. Doch ist soviel an Raffinesse im politischen Raum kaum auszumachen.

 

 

4. In Zeiten zunehmender Inflationsfurcht hätten ein handfestes Interesse an einem Verbot und Außerkraftsetzen von Indexbindungen die Schuldner, die Investoren, die Arbeitgeber und der Fiskus, vorausgesetzt daß sie für die Zukunft glauben könnten, besser informiert zu sein als ihre Kontrahenten, und in der Lage wären, sich beim Fixieren der Inflationskomponente Vorteile zu verschaffen. Auf der Ebene der Argumentation würden sie dann natürlich versuchen, ihr Interesse mit dem Gemeinwohl zu begründen. So liegt es nahe, zu vermuten, daß sie Indexklauseln und ihren Gebrauch nicht als Ausfluß von Inflationsfurcht hinstellen, sondern als Ursache oder Triebkraft des Inflationsprozesses diskreditieren. Wo hier die Wahrheit liegt, ist freilich mit dem ungeschulten Auge nicht sofort erkennbar.

 

5. Ohne eine mikroökonomische Lupe kommt man ja auch sonst leicht dazu, makroökonomische Vorgänge falsch zu interpretieren. Natürlich geht der Gebrauch von Indexklauseln mit dem Anstieg der Inflationsraten einher; und wir wissen auch, daß bei höheren Inflationsraten die Volatilität zunimmt, mithin auch der Nutzen, den Indexklauseln haben. Aber während bei allen Inflationen, die wir kennen, eine Geldvermehrung im Spiele war, gab es sehr wohl Inflationen, in denen Indexklauseln keinerlei Bedeutung hatten. Wäre es nicht die Geldmenge, sondern der Preisindex, der den Preisindex in die Höhe treibt, dürften wir die Sorge um die Geldwertstabilität natürlich nicht der Zentralbank anvertrauen; wir müßten statt dessen die Tarifpartner oder die Anbieter im allgemeinen für den Geldwertschwund verantwortlich machen. Es paßte diese Sichtweise bezeichnenderweise zu einer Situation, in der die inflatorische Geldvermehrung bereits stattgefunden hat, so daß der geringste Anstoß genügte, um eine Preislawine loszutreten. Man denke an den Preisstopp, der vor der Währungsreform von 1948 den Geldüberhang absicherte.

 

6. Häufig wird argumentiert, Indexklauseln seien ein Schwungrad der Inflation. Bei hohen Inflationsraten mögen sie, das ist nicht zu bestreiten, die geldpolitischen Fehler schneller in den Nominalwerten zum Ausdruck kommen lassen. Aber zugleich bewirken sie, daß in größerem Umfang real richtig gerechnet wird. Die Fehlsteuerung der Ressourcen ist geringer, der Schaden hält sich in engeren Grenzen.

In einer voll indexierten Wirtschaft mit hohen Inflationsraten spielt ja das Geld, das in seinem Wert schwindet, im wesentlichen nur noch als Zahlungsmittel eine Rolle, nicht mehr (unkorrigiert) als Recheneinheit. Was allokationstheoretisch von der Inflation übrig bleibt, ist die Inflationssteuer: der Wertschwund der gehorteten Geldbestände, einschließlich des Schwarzgeldes, das aus der unbesteuerten Schattenwirtschaft stammt.

 

7. Wo die nominalen Preise so flexibel sind wie im System der Vollindexierung, kann man ohne Anpassungsschwierigkeiten eine neue Währung einführen, sei es allmählich als Parallelwährung, die als stabile Recheneinheit gern angenommen wird, sei es abrupt im Zuge einer Währungsreform mit Zwangsumtausch. Es ist ja real fast nichts systematisch verzerrt - fast. Doch gibt es eine Ausnahme, die ein paar ergänzende Überlegungen verlangt. Sie bezieht sich auf eine Indexierungsillusion, die mit dem Faktor Zeit zusammenhängt.

 

8. Es kann, wenn die Inflation beginnt und wenn sie sich beschleunigt, den Arbeitgebern, Investoren und Schuldnern gelingen, einen Vorteil einzuheimsen, indem sie einen Indexstand wählen, der zeitlich unnötig weit zurückliegt. Maßgeblich werden dann Inflationsraten der Vergangenheit, die beim Beschleunigen zu niedrig sind. Sie erlauben es, beim Aushandeln der Basis nachgiebig zu sein, das heißt Nominalbeträge festzuschreiben, die höher sind, als es sonst vertretbar gewesen wäre, zum Beispiel höhere Löhne. (Die Verzögerung ermöglicht also Nachgiebigkeit in anderer Hinsicht). Umgekehrt wirkt jedoch die Verzögerung beim Bremsen, wenn die Inflationsraten sinken. Dann schlagen die höheren Inflationsraten der Vergangenheit zu Buche. Folglich geraten diejenigen, die Zahlungen zu leisten haben, unter Kostendruck, also die Arbeitgeber, die Investoren und die Schuldner. Und es ist praktisch jener Druck, von dem sie sich anfangs durch die vergangenheitsorientierte Indexierung freizukaufen hofften. Die wichtigste Rolle spielt dieser Fehler natürlich bei den Tariflöhnen. Der Lohn‑Lag, den wir aus der Konjunkturanalyse kennen und der uns im Aufschwung den Aufschwung verstärkt, aber in der Stockung die Beschäftigungskrise beschert, tritt nun im Verein mit der Indexierung auf. Es hätte den Lohn-Lag als reinen Zeitfaktor im Zyklus zwar ohnedies gegeben - also auch ohne eine Inflation und Lohnindexierung -, aber die vordergründige Diskussion rechnet den ganzen Kostendruck der Indexierung zu als Teil der These, die Indexierung sei ein Schwungrad der Inflation und erschwere deren Bekämpfung.

 

9. So hat man denn auch in Ländern, die sich eine große Inflation geleistet haben, die (nachhinkende) Lohnindexierung im Rahmen der Inflationsbekämpfung außer Kraft gesetzt. Nimmt man diesen Akt als Notlösung hinzu, so war das Indexierungsexperiment im Zweifel beschäftigungsfördernd. Denn Tendenzen zur exzessiven Erhöhung der Reallöhne ließen sich am Anfang und im Prozeß der Beschleunigung durch das Nachhinken der Inflationskomponente auffangen. Beim späteren Bremsen hat das Nachhinken zwar kostentreibend gewirkt, aber da wurde die Vereinbarung ja aufgehoben. Insgesamt konnten die Unternehmen also mit einem geringeren Kostenauftrieb rechnen.

 

10. Das Außerkraftsetzen ist nicht nötig, wenn das Nachhinken rechtzeitig korrigiert oder kompensiert wird, spätestens beim Übergang vom Beschleunigen zum Bremsen. Korrigieren heißt: Der Zeitverzug muß null werden; es dürfen die Inflationskomponenten in den laufenden Zahlungen nicht größer sein als die laufenden Inflationsraten, die beim Bremsen sinken. Oder es muß - als Kompensation - zur Sicherung der Beschäftigung ein Abschlag vom Basisbetrag vereinbart werden. Wenn infolge der Korrektur wirklich nur die niedrigeren Inflationsraten der Zukunft zum Tragen kommen, ist auch beim Bremsen die Indexierung vorzuziehen. Denn bei der Nicht-Indexierung wäre die Vertragsdauer kürzer; man würde dann in kürzeren Zeitabständen einen Inflationsausgleich aushandeln; und der wäre erfahrungsgemäß an der Vergangenheit orientiert. Oft genug wurde mir von Gewerkschaftsseite bedeutet, der Kaufkraftausgleich könne ja gar nicht anders begründet und gemessen werden als durch Verluste, die schon entstanden seien und sich nachweisen ließen. Mit anderen Worten: Bezogen auf die Zukunft sind die Erwartungen am Arbeitsmarkt adaptiv, träge, extrapolierend. Im Vergleich dazu ist eine zeitnahe Indexierung, die die Inflationskomponenten der Zukunft von den Inflationsraten der Zukunft abhängig macht, ein Schritt zu rationalen Erwartungen.

 

11. In dieser Sicht zerstören Indexklauseln jene Geldillusion, auf die man setzt, wenn die Nicht-Neutralität des Geldes postuliert wird. Unhaltbar wird insbesondere die Hoffnung, man könne mit inflatorischer Geldpolitik - über time lags - aktiv positive Mengenreaktionen erzeugen, eine Konjunktur- und Wachstumspolitik treiben. Zwischendurch gibt es immer wieder unvermeidlich Rückschläge, Rezessionen. Die marktwirtschaftliche Koordination funktioniert eben - alles in allem - am besten, wenn die Akteure keine Illusionen hegen und sich von der Politik weder zur Euphorie animieren noch zu einer Katerstimmung verdammen lassen. Die Bevölkerung scheint dies intuitiv zu erfassen. Sie ist heute hinreichend aufgeklärt, vor allem in Deutschland; und es ist anzunehmen, daß die führenden Kreise dies wissen. Eine keynesianische Politik wäre unter diesen Umständen unwirksam, vielleicht sogar kontraproduktiv.

 

12. Die Diskussion über ein erneutes Verbot von Indexklauseln muß eine Bevölkerung mit rationalen Erwartungen nur mißtrauisch machen. Was führen „die da oben“ im Schilde? Warum wollen sie vereiteln, daß die Bürger sich gegen die Inflationsgefahr, die vom Euro ausgehen kann, schützen? Wieso will Deutschland ein Verbot von Wertsicherungsklauseln in einer Situation, in der Geldwertstabilität herrscht, die Geldpolitik europäisiert wird und einflußreiche Kreise der Europäischen Zentralbank eine beschäftigungspolitische Aufgabe zuweisen möchten? Drängt es die Regierung weg von der klassischen Regel, daß die Zentralbank für den Geldwert verantwortlich ist und über die Höhe der Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt entschieden wird? Wenn am Ende des Jahrhunderts und am Vorabend des Euro intensiver über Indexklauseln diskutiert und nachgedacht wird, kommt man allzu leicht auf derart merkwürdige Fragen.

 

13. Weniger problematisch als automatische Lohnanpassungen sind sicherlich Indexklauseln in langfristigen Kreditverträgen. Und sie sind dort geradezu unentbehrlich, wenn in der Geldpolitik ein Regimewechsel bevorsteht, der den Menschen ein Gefühl der Unsicherheit einflößt. Wie kann man da auch nur einen Moment daran denken, die Vertragsfreiheit der Bürger von Staats wegen einzuengen, zumal wenn man fast im gleichen Atemzuge offenbaren muß, der Staat sei bald nicht mehr in der Lage, den sogenannten Generationen-Vertrag der Altersversorgung zu garantieren, und müßte den Bürgern für die Zukunft mehr Eigenvorsorge zumuten, also mehr private Vermögensbildung anraten!

 

14. Zudem tritt der Staat nicht nur als Sachwalter seiner Bürger auf. Er hat vor allem im Standortwettbewerb - auch als Kreditnehmer und Investor ein unmittelbares Eigeninteresse daran, Anleihen mit Wertsicherungsklauseln als Finanzierungsinstrumente einzusetzen. Denn wenn die Unsicherheit groß ist, derzeit dramatisch erhöht durch die bevorstehende Währungsumstellung, werden die Anleger im In- und Ausland bereit sein, sich die Wertsicherheit etwas kosten zu lassen. Entsprechend erhält der Staat die Chance, die reale Zinslast zu senken, also auch die Last der Steuern, die für den Schuldendienst zu erheben sind. Deshalb wäre der Fiskus überall, wo Euro-Angst herrscht, vor allem natürlich im Land der Inflationsfurcht und der Stabilitätskultur, gut beraten, wenn er möglichst bald die Konversion seiner Schulden in wertgesicherte Anleihen betreiben würde. Zumindest sollte die Neuverschuldung auf dieses hierzulande noch unbekannte Territorium konzentriert werden.

 

15. Andere Länder sind da forscher. Außerhalb der EU gibt es indexierte Staatsanleihen unter anderem in den USA, Kanada und Neuseeland. In Europa hat sich Britannien vorgewagt und hat Frankreich eine entsprechende Offensive angekündigt. Die deutschen Banken haben wohl erkannt, wie sehr Frankfurt als Finanzplatz ins Hintertreffen geraten würde, wenn Bonn dickköpfig bliebe, statt im Wettbewerb der Finanz-Innovation mitzuhalten und den deutschen Staats- und Steuerbürgern einen echten Kundendienst zu erweisen.

 

16. Im übrigen muß man die Verbotsbefürworter fragen, wie sie die Menschen, die der deutschen Gesetzgebung unterworfen sind, juristisch und praktisch davon abhalten wollen, Anleihen mit Wertsicherungsklauseln zu erwerben. Wie will man in dieser Zeit der Europäisierung und Globalisierung sicherstellen, daß das Virus der Wertsicherheit nicht nach Deutschland eingeschleppt wird, und erreichen, daß die Bewohner deutscher Standorte gegen ihren Willen vor Kontakten mit unzüchtigen Offerten und Optionen bewahrt werden? Deutschland mit seinem administrativen Perfektionismus, seinen peniblen Beamten und seiner hohen Regulierungsdichte geriete erneut in Gefahr, sich zum Gespött der Leute zu machen.

 

17. Abgesehen vom Interesse der Steuerzahler und der Anleger hierzulande und anderswo, gibt es an wertgesicherten Anleihen ein echtes Euro-Interesse. Handelbare Wertsicherungsversprechen wären nämlich schon nützlich als ein Gradmesser der Inflationserwartungen. Symmetrisch ausgestattet brächten sie auch eine mögliche Deflationsfurcht zum Ausdruck. Wenn die optimale Inflationsrate bei null Prozent liegt und für die Rückzahlung wie für die laufenden Zinsen die prozentuale Veränderung des Preisindex für die Lebenshaltung maßgeblich ist, kann man leicht vom Effektivzins, der dann noch verbleibt, auf den Realzins schließen. Die Inflationskomponente ist ja voll im Rückzahlungsversprechen aufgehoben.

 

18. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte wertgesicherte Anleihen in den Markt geben und auf diese Weise Zentralbankgeld abschöpfen, wenn und solange die Inflationserwartungen über der akzeptierten Norm liegen. Umgekehrt sollte sie sich darauf festlegen, wertgesicherte Anleihen am offenen Markt zu kaufen und Geld in den Kreislauf zu pumpen, wenn das Preisniveau unter die Norm sinkt, also die in ihrem Wert stabilen Anleihen zu billig werden. Die EZB könnte im voraus bekannt geben, bei welchen Kursen sie expansiv und bei welchen sie kontraktiv intervenieren wird. Eine Selbstverpflichtung würde das allgemeine Stabilitätsversprechen nach beiden Seiten hin präzisieren und dem Markt Orientierungshilfen geben.

 

19. Eine präzise Selbstverpflichtung der EZB würde gerade zu Beginn der Währungsunion, wenn das Mißtrauen noch sehr groß ist, hilfreich sein und die Situation entspannen. Den Willen, die Geldwertstabilität auch um den Preis einer Rezession zu verteidigen, bräuchte die EZB dann nicht schmerzhaft unter Beweis zu stellen. Dieser Punkt fällt um so mehr ins Gewicht, als die große internationale Mobilität des Finanzkapitals ohnehin auf die Zentralbanken disziplinierend wirkt und sogar einen scharfen Stabilisierungswettbewerb zur Folge haben kann. Geldpolitik am Rande einer Deflation ist möglicherweise eine aktuelle Herausforderung für alle Zentralbanken, erst recht für eine neue Zentralbank, die als Euro-Bank zum bewährten Dollar und zum superharten Yen in Konkurrenz steht. Vielleicht erhalten in den nächsten Jahren wertgesicherte Anleihen, die mit dem Preisindex im Kurse sinken und deshalb von den Zentralbanken angekauft werden (müssen), für die Weltwirtschaft noch etwas mehr Bedeutung als die Papiere, die nur im Blick auf den Inflationsschutz konzipiert und emittiert werden (wie in den USA die Treasury Inflation-Protected Securities, abgekürzt T I P S).

 

20. Die EZB wird zwar dem Vertragstext zufolge von den Regierungen unabhängig sein, aber die finanzwirtschaftlichen Maastricht-Kriterien und die Regeln des Stabilitätspakts lassen vermuten, daß die Gefahr eines kollektiven Drucks der Regierungen zugunsten einer inflatorischen Geldpolitik nicht von der Hand zu weisen ist. Eine Politik des billigen Geldes machte es in jedem Falle leichter, die laufenden Defizite zu finanzieren, und sie wäre auch geeignet, den Realwert der ausstehenden Staatsschuld schleichend zu mindern. Ein Inflationsinteresse haben die fiskalischen Instanzen im Euroland also nach wie vor.

 

21. Andererseits kann es irgendwann gute Gründe geben, Haushaltsdefizite zu planen oder in Kauf zu nehmen. Wir wissen auf längere Sicht nicht im vorhinein, (i) wieviel öffentliche Investitionen angezeigt sein werden, die sich rechnen und die infolgedessen mit Anleihen finanzierbar wären, (ii) ob und wie lange es einmal geboten sein kann, den Geldkreislauf durch Defizite in den öffentlichen Haushalten zu stützen, und (iii) wann und wo es sich empfehlen mag, das Schlankwerden des Staates ganz systematisch in der Weise zu betreiben, daß man (im Stile der Reagan-Politik) mit Steuersenkungen beginnt und über das Anschwellen des Haushaltsdefizits den Zwang zur Ausgabedisziplin verstärkt.

 

22. Was man freilich in allen Situationen vom Fiskus verlangen kann und muß, ist Wirtschaftlichkeit, genauer: Rationalität im Sinne richtigen Rechnens. So wie das Sozialprodukt in seinem Zuwachs real geschätzt wird, so sollte man auch die Staatsschuld und die Zinslast in ihrer realen Höhe - also inflationsbereinigt - ermitteln und ausweisen. Noch wichtiger jedoch ist, daß die öffentlichen Hände als Kreditnehmer so situiert sind, daß sie kein Interesse an einer Inflationsbeschleunigung mehr haben. Dies läuft auf die Indexierung der gesamten Staatsschuld hinaus. Den fiskalischen Instanzen könnte dann auch nicht daran gelegen sein, ein Zurückfahren der Inflationsrate durch die Zentralbank zu mißbilligen. Anders formuliert: Der öffentliche Sektor sollte sich so finanzieren müssen, daß man den verantwortlichen Personen und Gremien geldpolitische Neutralität zutrauen kann. Es verlangt dies, wie man sich denken kann, daß die Schulden real fixiert sind, die ausstehenden Anleihen also im Nominalwert mit dem Preisindex steigen und fallen.

 

23. Der Euro, wenn er denn nun kommt, trifft auf Mißtrauen. Er braucht nichts dringender als einen Vertrauensvorschuß. Die EZB sollte deshalb mit reichlich Munition zur Inflationsbekämpfung ausgestattet sein, also genug wertgesicherte Anleihen in ihren Beständen haben. Erhalten kann sie sie von Staaten, die sich umschulden wollen. Verkaufen wird sie sie vorzugsweise an Sparer und Anleger, die mit dem Realwert ihres Vermögens auf Nummer Sicher gehen wollen und sich zudem für lange Zeiträume festlegen möchten.

 

24. Es entstünde ziemlich bald ein breiter Markt für Papiere, die dem Sicherheitsbedürfnis der Vorsorgepartner entgegenkommen. Dies könnte der neuen Währung Popularität verschaffen. Die Bürger erhielten das Gefühl, sie könnten sich von der EZB jederzeit und in beliebigem Maße für ihr Geld etwas Wertbeständiges verschaffen. Es wäre, als bekämen wir eine Art Goldwährung oder als sei die neue Währung mit einer „Deckung“ versehen - nicht unähnlich der Rentenmarkt, die 1923 als Parallelwährung der großen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg ein Ende bereitete, indem sie die Vorstellung weckte, sie fände ihre »Deckung« im Grund und Boden und sei daher wertbeständig.

 

25. Wertgesicherte Anleihen als »confidence trick«? Im Prinzip auch, und zwar vor allem für den anfangs notwendigen Vertrauensvorschuß. Auf die Dauer hilft freilich nur das Knapphalten des Geldangebots. Das wird erleichtert, wenn die EZB sich darauf festlegt, mit wertgesicherten Anleihen Offenmarktpolitik zu betreiben, wie oben (Ziffer 18) angeregt wurde, und ihr Vorgehen so transparent macht, daß es die Erwartungen stabilisiert. Wichtig ist dabei die Inflationserwartung, gemessen als Abstand zwischen der Effektiv-Verzinsung der nominalen Staatsanleihen und den Zinsen wertgesicherter Anleihen. Wenn dieser Abstand größer wird und dabei ein bestimmtes Maß überschreitet, signalisiert er Inflationsfurcht. Wird er zu rasch zu klein, kann sich Deflationsgefahr abzeichnen. Der Zinsabstand sollte also die Ziel-Inflationsrate (1 bis 2 Prozent) weder über- noch unterschreiten, jedenfalls nicht nachhaltig. Insofern könnte man sogar die Interventionspunkte im voraus fixieren und ihnen mit der Zeit Glaubwürdigkeit verschaffen. Je mehr an Automatik auf diese Weise ins Spiel kommt, um so unwichtiger wird die Frage, welcher Nationalität und welcher ideologischen Provenienz die Personen sind, die an die Spitze der EZB berufen werden.

 

26. Auf wertgesicherte Euro-Anleihen umstellen sollten sich prophylaktisch nicht zuletzt die Beitrittskandidaten im Vorhof. Man denke an Polen, Tschechien, Ungarn und die baltischen Republiken. Nichts hindert sie daran, den Euro als wertstabile Währung parallel in den Zahlungsverkehr hereinzulassen und sich in ihrer Haushalts- und Schuldenpolitik so zu verhalten, als gehörten sie schon fest zum Euroland. Ihr formaler Beitritt wäre dann eine sekundäre Zeitfrage.

 

27. Es könnte sein, daß zu Beginn der Euro-Zeit wertgesicherte Anleihen vom Publikum sehr begehrt werden. Dann brauchten sie, wie schon gesagt, nur mit einem sehr niedrigen Realzins ausgestattet zu sein. Um so größer wäre für die öffentlichen Schuldner der kurzfristige Anreiz zur Umfinanzierung. Längerfristig indessen sollte real eine Verzinsung von drei Prozent zu erwarten sein, eine Rate, die dem allgemeinen Produktivitätsfortschritt entspricht. Zwischendurch öffnet sich vorübergehend ein Zeitfenster. Hoffentlich sind die staatlichen Schuldenverwaltungen hierzulande schon dabei, sich auf diese einmalige Gelegenheit vorzubereiten, damit sie rasch wertgesicherte Anleihen plazieren können, ehe uns andere Länder zuvorkommen.

Die Arbeit an einem neuen Indexierungsverbot in Bonner Ministerien kann dabei nur entmutigen. Manchmal kommt wirklich eines zum anderen: zum Reformstau in den Parlamenten nun noch ein Stück Selbstblockade der Regierung. Cui bono? Wem soll das nützen, wem können Wertsicherungsklauseln schaden?

 

 

 

*) Abdruck aus »Volkswirtschaftliche Korrespondenz der Adolf‑Weber‑Stiftung«, 37. Jahrgang, Nr. 3/1998 mit deren und des Autors freundlicher Genehmigung