Klaus Marienfeld
Die dosierte Inflation ‑ kein taugliches Instrument zur kostenneutralen Umlaufsicherung des Geldes
Wer zur Erreichung von
entscheidenden Impulsen hinsichtlich der Ziele Dauerkonjunktur und
Vollbeschäftigung dafür eintritt, durch eine Abgabe auf Liquidität
(Kassenhaltung) zu einer kostenneutralen Umlaufsicherung des Geldes zu kommen,
wird immer wieder mit zwei Gegenargumenten konfrontiert:
1. Bei Einführung einer
Liquiditätsabgabe komme es zu einer unkontrollierten Beschleunigung der
Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und damit zu einer Inflation.
2. Die Einführung der
Umlaufsicherung durch Liquiditätsabgaben sei unnötig, weil wir ja heute schon
die Inflation haben und diese denselben Effekt ausübe.
Insbesondere zu Punkt 2 war es
nicht einfach darzulegen, weshalb Liquiditätsabgabe und Inflation wesentlich
verschieden zu beurteilen sind. Nun überraschen einige Anhänger der
kostenneutralen Umlaufsicherung mit dem Vorschlag, man solle zu diesem Zweck
für eine gleichbleibend hohe Inflation plädieren. Das zwingt die Gegner der
Inflation zur Entwicklung von Argumenten, so daß die Chance einer Klärung der
Frage besteht, wie das Inflationsgeschehen theoretisch befriedigend in die
Diskussion um die Sicherung des Geldumlaufs zu integrieren ist. Die Befürworter
einer dosierten Inflation gehen von folgenden Annahmen bzw. Argumenten aus:
1. Eine gleichbleibend hohe
Inflation hat keine Auswirkungen auf die Verteilungsgerechtigkeit.
Verschiebungen in langfristigen Verträgen können durch Indexierung in Höhe der
Inflationsrate ausgeglichen werden. In jedem Fall bedeutet Inflation keine
Umverteilung von Leistungseinkünften von der Arbeit zum Besitz. Darüber hinaus
hat eine dosierte Inflation keine schwerwiegenden Störungen im
Wirtschaftsablauf und keine Benachteiligungen von Wirtschaftsteilnehmern zur
Folge.
2. Von der Inflation geht der
gleiche dynamische Impuls der Rückführung des Geldes in den Geldkreislauf aus,
wie von anderen Methoden der Umlaufsicherung, und damit ist die Wirkung der
Inflation auf das Zinsniveau genauso zu beurteilen wie bei einer
Liquiditätsabgabe.
3. Eine gleichbleibend hohe
Inflation ist im Vergleich zur Liquiditätsabgabe leichter durchsetzbar. Sie
kann als Forderung zur Umlaufsicherung mit einer höheren Akzeptanz rechnen.
Diese Annahmen haben
verschieden hohe „Gewichtungen". So wird z.B. Annahme 3 (Durchsetzbarkeit)
erst dann relevant, wenn Annahme 1 (keine Umverteilungswirkung) richtig ist.
Zu Annahme 1: Verteilungsgerechtigkeit
Anhand der tabellarischen
Übersicht (S. 50 und 51) sollen die Auswirkungen der Inflation auf Tilgung
eines Kredites und Kostenkalkulation erläutert werden.
Wir gehen in diesem Beispiel
von einer Kreditaufnahme von 1 Mill. DM und einem Realzins von 6 % aus. Der
Kredit soll in 20 Jahren getilgt werden.
Das Beispiel soll sowohl unter
dem Aspekt der Geldwertstabilität wie der Annahme einer zu berücksichtigenden
gleichbleibenden Inflationsrate von 5 % vergleichend betrachtet werden. Wir
gehen von dem Idealfall aus, daß die Anteile in dem sich ergebenen Nominalzins
explizit aufgeteilt werden können: In Realzins und Inflationsausgleich.
Spareinlagen werden also mit einem Aufschlag von 5 % im Jahr verzinst, um den
Inflationsverlust auszugleichen. Bei 6 % Realzins entspricht dies einem
Nominalzins von 11,3 % gemäß der Formel: Realzins mal (1 plus Inflationsrate)
plus Inflationsrate = Nominalzins; hier: 0,06 x (1 + 0,05) + 0,05 = 0,113. (Ein
Nominalzins von 11,3 % bedeutet eine Realverzinsung von 6 %, falls 5 % Inflation
zu berücksichtigen sind).
Betrachten wir zunächst die
reine Gläubiger ‑ Schuldner Beziehung. Bei stabilem Geldwert und einem
Realzins von 6 % kommt es durch Einsetzen in die Tilgungsformel (nachschüssige
Bezahlung der Raten) bzw. durch Ablesen aus der Tilgungstabelle zu einer
gleichbleibenden jährlichen Rückzahlungsrate von 87180,‑ DM (Sp. 7‑10).
Bei 5 % Inflation ist nun eine
zusätzliche Verzinsung von 5 % zu berücksichtigen. In diesem Falle betrüge die
gleichbleibende Annuität (= reale Tilgung + Zins) 128065 DM im Jahr. (Sp. 11‑14).
Hier zeigt sich der wesentliche Unterschied: Bei einem bestimmten
Einkommensüberschuß, der für die Tilgung zur Verfügung steht, läßt sich bei
Geldwertstabilität eine solche Finanzierung weitaus leichter bewältigen, als
bei 5 % Inflation. Die ersten Annuitäten sind bei Inflation so hoch, daß
ständig die Gefahr der Illiquidität der Kreditnehmer gegeben ist oder die
Finanzierung ganz unterbleibt. Die regelmäßigen Einkommenserhöhungen von 5 %
bei Inflation können bei weitem die höhere Annuität nicht auffangen. Der
Vergleich der Spalten 10 und 14 zeigt den Unterschied: Während bei
Geldwertstabilität die jährlichen Annuitäten sich über die 20 Jahre gleichmäßig
verteilen (Sp. 10), ist dies bei 5 % Inflation nicht so: In den Anfangsjahren
werden real, d. h. inflationsbereinigt höhere Annuitäten gezahlt (Sp. 13 und
14). Erst im 8. Jahr liegt die inflationsbereinigte Annuität mit 87 Tsd. auf
dem Niveau der Annuität bei Geldwertstabilität und sinkt dann kontinuierlich.
Faktisch
bedeutet dies, daß in Inflationszeiten die Tilgungsdynamik eine gänzlich andere
ist, weil es zu einer erhöhten, vorgezogenen Rückzahlung kommt, der eine
verminderte Tilgung in der Endphase entspricht. Eine Umverteilungswirkung hat
diese „vorgezogene Tilgung" (Phasenverschiebung) jedoch nicht, denn in
beiden Fällen wird der Kredit nach 20 Jahren beglichen. Im Falle von 11,3 %
Nominalzins nur zügiger, so daß sogar insgesamt weniger Realzinsen bezahlt
werden.
Auf die
„Liquiditätsklemme" bei gleichbleibenden Annuitäten in Inflationszeiten
weist auch das Gutachten „Wohnungspolitik auf dem Prüfstand" (1) hin: „Die
Inflation stellt den Schuldner vor ein Liquiditätsproblem, das wegen des hohen
Aufwandes bei Wohnungsinvestitionen besonders gravierend ist" (S. 338).
„Die anfängliche Liquiditätsbelastung eines Eigentümers durch Zins, Tilgung und
Instandhaltung wäre in einer Welt ohne Inflation erheblich geringer" (S.
339). So resümiert die Expertenkommission in ihrem Gutachten: „Wichtiger
erscheint, daß der Wohneigentumserwerb für viele Haushalte nicht realisierbar
ist, weil sie von einer inflationsbedingt hohen Liquiditätsbelastung in einer
Lebensphase getroffen werden, in der sie durch Verzicht auf ein zweites
Einkommen während der Jahre der Kindererziehung und durch die Kosten, die das
Aufziehen von Kindern mit sich bringt, wenig belastbar sind" (S. 342).
So kann m.E. das Fazit gezogen
werden, daß aufgrund der hohen anfänglichen Annuitäten bei 5 % Inflation von
einer Senkung des Lebensstandards potentieller Kreditnehmer auszugehen ist.
Dieses Problem kann bereinigt
werden, wenn die Schuldsalden und die jährlich zu zahlenden Annuitäten dem
Inflationsgeschehen angepaßt werden. D.h.: Die erste Annuität wird auf der
Basis von 6 % Realzins berechnet. Der jeweilige Schuldsaldo und die Annuität
erhöhen sich dann jedes Jahr um 5 %. Im ersten Jahr wäre so eine Annuität von
91539 DM (87180 + 5 %) fällig (Sp. 15‑18), im 2. Jahr eine von 96 Tsd. DM
usw. Im Vergleich ist diese mit 5 % indexierte Annuität inflationsbereinigt,
also real identisch mit den Annuitäten ohne Inflation (Sp. 7‑10). Die Sp.
18 zeigt deutlich die Identität mit der Sp. 10. Auch lassen sich alle anderen
Beträge in den Sp. 15‑17 mit den Beträgen in den Spalten 7‑9
vollkommen vergleichen: Der Realwert (inflationsbereinigt) ist immer der
Gleiche und somit ist die Tilgungsdynamik aus der Sicht des Kreditnehmers auch
exakt die selbe: Im Gleichschritt mit seinem sich um 5 % erhöhenden Einkommen
erhöht sich die Annuität um 5 % und die gesamte Schuld kann in 20 Jahren
beglichen werden.
Es liegt auf der Hand, daß nur
diese indexierte Annuität in Inflationszeiten als gerecht bezeichnet werden
kann.
Nur ergibt sich hier für die
Bank ein Problem: Die erste Annuität von 91539 bedient die nach einem Jahr sich
ergebende Schuldsumme (Sp. 4) nur mit 8,2 % (genau wie im Falle ohne
Inflation), jedoch muß die Bank im Falle einer 5%igen Inflation ihre
Spareinlagen (auch die kurzfristigen) mit zusätzlichen 5 % verzinsen, so daß
sich hier eine Schere auftut: Ohne Inflation liegt die erste Annuität von 8,2 %
der nach einem Jahr sich ergebenen Schuldsumme über dem Nominalzins von 6 %
(der hier = Realzins ist); bei 5 % Inflation liegt die erste Annuität jedoch
unter dem Nominalzins von 11,3 %, den die Bank, abzüglich der Bankmarge, an die
Sparer zu zahlen hat. Erst mit den späteren, sich um 5 % erhöhenden Annuitäten
(Sp. 15) wird dies ausgeglichen. Dieses Problem kann nur eine Indexierung auch
der Sparguthaben im Zusammenhang mit einem vollkommenen Kapitalmarkt, in dem bei
Kreditnachfrage und Sparquote (Geldangebot) keine erheblichen Schwankungen zu
verzeichnen sind, lösen. Dies ist in der Praxis aber nicht die Regel.
Problematischer wirkt sich
Inflation dort aus, wo Investitionen in produktives Sachkapital getätigt werden.
Das folgende Beispiel ist eine
zugegebenermaßen abstrahierte Modellrechnung, die so nicht ohne weiteres auf
die ökonomische Realität übertragbar ist, denn ein Unternehmen hat
Kalkulationsfreiheit, muß sich den Konkurrenzverhältnissen anpassen oder kann
Umsatzschwankungen durch Rücklagen bzw. Zwischenkredite ausgleichen. Auch
spielt die Eigenkapitaldecke eine große Rolle, weil auf Eigenkapitalverzinsung
bei Liquiditätsengpässen kurzfristig verzichtet werden kann.
Im Unternehmensbeispiel
(Spalten 19‑23) werden der Investition von 1 Mill. DM in produktivem
Sachkapital jährlich 400 Tsd. DM laufende Kosten (ohne Zins und Tilgung bzw.
Abschreibung) zugeordnet. In den 400 Tsd. DM sollen die Mindest‑Gewinnerwartung
(= Unternehmerlohn) und eventuelle Rücklagen für Risiken enthalten sein. Sie
erhöhen sich mit der Inflation um jährlich 5 % (Sp. 19).
Der Kredit von 1 Mill. DM soll
in 20 Jahren getilgt werden. Die Investition von 1 Mill. in Sachkapital soll
linear mit 5 % gemäß der Wertminderung abgeschrieben werden. Sp. 5 und 6 zeigen
dabei den aktuellen Wert des Sachkapitals ohne (Sp. 5) und mit 5 % Inflation
(Sp. 6). Bei der Preiskalkulation des Unternehmens ist nun entscheidend,
welchen Betrag es als Annuität in die Kalkulation einfließen läßt. Im Falle
ohne Inflation sind dies 87180 DM, wobei das Unternehmen einen Umsatz von rund
487 Tsd. anvisieren muß. Bei 5 % Inflation und angenommenen gleichbleibenden
Annuitäten sind es 128 Tsd. (Sp. 11), die das Unternehmen in seine Preiskalkulation
aufnehmen muß, wenn es nicht in Liquiditätsengpässe kommen will. Da sich die
laufenden Kosten um 5 % p. a. erhöhen (von 400 Tsd. auf 420 Tsd. im 1. Jahr)
(Sp. 19) ergibt sich ein im Preis kalkulierter Umsatz von 548 Tsd., der im
ersten Jahr erreicht werden muß. Der Umsatz erhöht sich um 5 % p.a., weil in
der Modellrechnung 5 % Inflation zugrunde gelegt sind (Sp. 21). In Sp. 20 sind
die Gesamtkosten des Unternehmens aufgeführt: Da die laufenden Kosten (ohne
Zins- und Tilgungsleistungen bzw. Abschreibungskosten) des Unternehmens sich um
jeweils 5 % erhöhen, die Annuitäten jedoch mit 128 Tsd. gleich bleiben, wachsen
die gesamten laufenden Kosten nicht so stark wie der Umsatz. Die Sp. 22 gibt
die Differenz an (Sp. 21 minus Sp. 20). Da der Unternehmensgewinn in dieser
Modellrechnung in den laufenden Kosten enthalten sein sollte, beträgt diese
Differenz den zusätzlichen Inflationsgewinn des Sachkapitalbesitzers, der vom
Endverbraucher getragen wird.
Die Modellannahme, in der der
Unternehmer die anfänglich sehr hohen Annuitäten an die Bank in seine
Kalkulation einfließen lassen und damit an den Endverbraucher weitergeben kann,
hat zur Folge, daß eine Umverteilungswirkung von Arbeitseinkommen zu
Kapitaleinkommen gegeben ist. Denn die Kostenkalkulation des Unternehmens
erforderte auch bei 11,3 % Realzins ohne Inflation wieder 548 Tsd. Umsatz. Der
Preis bliebe dann auf gleichem Niveau, wie auch alle laufenden Kosten. Der
Unterschied ist nur der, daß bei 11,3 % Realzins der Kapitalgeber der alleinige
Umverteilungsgewinner durch den Zins ist, bei 5 % Inflation profitiert der
Sachkapitalbesitzer mit. Denn in dieser Modellrechnung leistet der
Endverbraucher die hohen vorzeitigen Tilgungsleistungen gemäß Sp. 13 und 14,
profitiert aber nicht von den nominellen „Werterhöhungen" des eingesetzten
Sachkapitals aufgrund der Inflationssituation (Sp. 6). Dieses verbleibt im
Eigentum des Unternehmers, während im Beispiel der direkten Gläubiger‑Schuldner
Beziehung die Sachwerte auch im Eigentum derjenigen bleiben, die diese - auch
bei anfänglichen erhöhten Annuitäten – bezahlen.
Für den Endverbraucher wirkt sich daher bei dieser Modellrechnung ein hoher Nominalzins genauso aus, wie ein gleich hoher Realzins. Die inflationsbedingten Einkommenserhöhungen decken nur die Preiserhöhungen ab; die Grundbelastung der Preise aufgrund des Zinses ist gleich.
Bei 5 % Inflation muß daher,
soll es keine Umverteilungswirkung von Arbeitseinkommen zu (Sach‑)kapitaleinkommen
geben, die Modellrechnung modifiziert werden, d. h.: die Kostenkalkulation
gemäß Sp. 23 muß zum Tragen kommen. Diese Summe setzt sich zusammen aus Sp. 19
und Sp. 15. Der hierbei kalkulierte Umsatz setzt einkalkulierte
inflationsangepaßte Annuitäten (und damit auch inflationsangepaßte
Abschreibungen) voraus. Läßt die Bank die indexierten Annuitäten (Sp. 15) zu,
was aber einen vollkommenen Kapitalmarkt voraussetzt, so ist diese Kalkulation
kein Problem. Falls nicht, ‑ und dies ist die heute gängige Praxis der
Banken, wenn auch mit niedrigerem Inflationsniveau ‑ sieht sich der
Unternehmer den Kosten gemäß Sp. 20 gegenüber, erreicht aber nur Umsätze gemäß
Sp. 23. Erst im 8. Jahr nach der Investition beträgt der nominelle Wert des
Umsatzes 720 Tsd. und ist damit höher als die laufenden Kosten von 719 Tsd. Die
Differenz der Jahre davor muß der Unternehmer aus dem Eigenkapital zu schießen
oder von der Bank neu kreditieren lassen mit dem Hinweis, dass sein Sachkapital
nominal ja kaum an Wert verloren hat (Sp. 6) und in den späteren Jahren (ab dem
8. Jahr) die Annuitäten wegen der 5%igen Umsatzsteigerung pro Jahr weitaus
leichter beglichen werden können. Auch ist denkbar, daß ein Unternehmer gleich
einen Kredit von 1,2 Mill. aufnimmt - damit auch höhere Annuitäten in Kauf
nimmt ‑ und 200 Tsd. als liquide Reserve hält, um die Differenz
auszugleichen.
Es ist
sicher davon auszugehen, daß eine Bank einem Unternehmen, welches mit
voraussichtlichen Umsätzen gemäß Sp. 23 aufwarten kann, nicht so leicht einen
Kredit gewährt, wie einem Unternehmen, das die Preiskalkulation gemäß Sp. 21
auf dem Markt durchsetzen kann.
So wird
die Tendenz in der Praxis immer sein, daß bei gleichbleibenden Annuitäten sich
eine „Kalkulationsdisziplin" gemäß Sp. 23 nicht halten lassen wird. Die
Kalkulation gemäß Sp. 21 mag zu hoch gegriffen sein. Die Unternehmer haben
kalkulatorische Freiheit und müssen sich auch am Markt durchsetzen.
So wird
in der Realität die Grundkalkulation des Umsatzes bei einer Annuität von 128
Tsd. im ersten Jahr irgendwo zwischen 512 Tsd. DM und 548 Tsd. DM liegen. Den
Einwand, daß ein Unternehmer ja seine Preise nicht regelmäßig um 5 % zu erhöhen
braucht (Sp. 21), weil dem keine entsprechenden Kostensteigerungen (Sp. 20)
gegenüberstehen, kann man nicht gelten lassen, weil dann eine 5%ige Inflation
nicht gegeben wäre, die aber Ausgangspunkt der Betrachtung ist.
Fazit:
1. Das
Konzept der dosierten Inflation als Umlaufsicherung des Geldes macht indexierte
Annuitäten gemäß Sp. 15 wie auch indexierte Abschreibungen unbedingt
erforderlich, wenn es nicht durch die Liquiditätsverschiebungen zu Problemen
(eventuell sogar Umverteilungswirkungen) kommen soll. Nicht nur die übliche
Praxis, auch steuerrechtliche Hindernisse stehen dieser Kalkulation allerdings
im Wege.
2.
Gleichbleibende Annuitäten wie auch gleichbleibende Abschreibungsraten bedeuten
in Inflationszeiten, daß diese sich für den Endverbraucher wie ein erhöhter
Realzins auswirken, wenn auch vermutlich nicht in voller Höhe der
Inflationsrate. Dies gilt auch für nominal gleichbleibende Beträge, die als
Rücklagen zur Wiederbeschaffung abgeschriebener Sachwerte in die Kalkulation
aufgenommen werden.
Es ist ausgesprochen schwierig,
in der Praxis eventuelle Umverteilungen aufgrund von Inflation empirisch zu
ermitteln. Sicher ist m.E. jedoch, daß, will man die Zinsbelastung in dem vom
Endverbraucher bezahlten Preis herausfinden, man nicht ohne weiteres von dem
sich am Kapitalmarkt ergebenden Nominalzins die Inflationsrate herausrechnen
kann. Dies würde eine „Bagatellisierung" der Zinsbelastung des
Endverbrauchers bedeuten: Zumindest ein Teil des im Nominalzins enthaltenen
Inflationsausgleiches für den Sparer wirkt sich für den Endverbraucher wie ein
Realzins aus.
Doch auch wenn sich die
Indexierungen durchsetzen ließen, so bleibt als Argument gegen das Konzept der
dosierten Inflation die Problematik der Messung der Inflationsrate bestehen.
Das Statistische Bundesamt erfaßt bei der Ermittlung des
Durchschnittspreisniveaus nur die wichtigen Konsumgüter (Rund 750 Güter und
Dienstleistungen sind derzeit im Warenkorb enthalten). Kommt es bei diesen zu
Preiserhöhungen aufgrund von Knappheiten (Mieten!) oder aufgrund von erhöhten
Umwelt‑ und Sicherheitsstandards oder auch durch Verbrauchssteuern, so
werden diese Preiserhöhungen inflatorisch wirksam. Quantitätstheoretisch wird
in der Realität zwar über den Minderkonsum bei unwichtigen Gütern das
Preisniveau wieder korrigiert, aber das Statistische Bundesamt erfaßt diese
Werte nicht, die sich aufgrund von Gewichtungsänderungen bei den Konsumgütern
ergeben.
Wird nun dieser gemessene
Preisniveauanstieg, der in der Regel höher sein dürfte als der „echte"
Preisniveauanstieg, als Grundlage für eine Inflationsausgleichs‑Indexierung
genommen, so ist mittelfristig von erheblichen Störungen im Wirtschaftsablauf
und auch von Verteilungsungerechtigkeiten auszugehen.
Zu Annahme 2: Sicherung der Umlaufdynamik
Ob von einer dosierten
Inflation die gleiche Dynamik zur Verstetigung des Geldumlaufs ausgeht wie von
einer Liquiditätsabgabe, ist zweifelhaft. Die Inflation ist als Kostenfaktor
nicht genügend konkret erfahrbar, schon gar nicht in einer bestimmten Prozenthöhe.
Unterschiedliche Preise werden in erster Linie unterschiedlichen Anbietern und
Qualitäten zugeordnet. Wer sich für hohe Kassenhaltung entscheidet, hat dabei
immer seine eigene bestimmte Produktauswahl im Auge, und deren Preisentwicklung
bestimmt sein Verhalten. Für eine kontinuierliche Geldumlaufsicherung ist es
aber gerade entscheidend wichtig, daß eine unnötige Geldhaltung genau 5 %
Kosten pro Geldeinheit verursacht und nicht durchschnittlich 5 % auf das
gesamte Geldvolumen. So wird denn auch folgerichtig in den Aufsätzen von E.
Behrens (2) betont, daß die Erwartung, Propagierung und Ankündigung der
Inflation eine große Rolle spielt. Aber hier würde nur eine Genauigkeit, ein
gleichmäßiges Anheben der Preise um 5 %, suggeriert, die die ökonomische
Realität nicht einhalten kann. Für die Umlaufsicherung von Bedeutung sind ja
nicht die einfachen Verbraucherhaushalte, sondern die Kassenhaltung derer, die
aus spekulativen oder aus welchen Gründen auch immer hohe liquide Kassen
halten. Insofern fragt sich auch, ob die Indices für die Lebenshaltungskosten
einfacher Verbraucherhaushalte ein geeignetes Mittel darstellen, auf hohe
zurückgehaltene liquide Gelder genügend Druck dort auszuüben, wo die Vorliebe
für Liquidität durch die Erwartung verursacht ist, schnell und jederzeit
Grundstücke und sonstige Immobilien, Rohstoffe in großem Stil usw. zu erwerben.
Hier wären sicher die Indices für Erzeugerpreise oder auch Großhandelspreise
eher wichtig.
Ob die Inflation die erwünschte Wirkung hat, den Realzins
zu senken, wäre erst noch nachzuweisen, aber auch die zinssenkende Wirkung
anderer Umlaufsicherungen kann m. E. nicht unbedingt als eine „beschlossene
Sache" gelten: In einer so schnellebigen Volkswirtschaft wie der heutigen,
mit fortschreitender Produktivität und technischen Innovationen, wird das
später investierte Kapital in der Regel immer um so viel produktiver sein, daß
mühelos ein relativ hoher Zinssatz in die Preise einkalkuliert werden kann, so
daß weiter mit einer hohen konstanten Kapitalnachfrage zu rechnen ist.
Zu Annahme3: Durchsetzbarkeit
Das Vorhandensein von Instrumenten und Gremien ist kein
Indiz für leichtere Durchsetzbarkeit. Daß die Bundesbank, die heute
Geldwertstabilität ansteuert, dann „nur" eben 5 % Inflation anzusteuern
brauchte, verwechselt Machbarkeit mit Durchsetzbarkeit. Die Bundesbank müßte
die Akzeptanz der Bevölkerung gewinnen und gleichzeitig Vorkehrungen zur
Einführung von Indexklauseln treffen bzw. dafür werben, um die ganzen
unerwünschten Nebenwirkungen der Inflation auszugleichen. Das wäre aber eine
Umkehrung der Überzeugungen der Verantwortlichen um 180 Grad, wo doch erst vor
kurzem in einer ARD‑Reportage des hessischen Rundfunks: „Die Macht am
Main" (Anfang 1995) Bundesbankpräsident Tietmeyer betont hat, daß die
„wirklichen Verlierer bei Inflation immer die Ärmsten sind" und „stabiles
Geld wichtig für soziale Gerechtigkeit ist". Und was die Akzeptanz in der
Bevölkerung angeht, lese ich gerade in „Psychologie heute" vom Mai 1995,
S. 19, daß die Deutschen sich nach „schwerer Erkrankung" am meisten vor
einem „Anstieg der Lebenshaltungskosten" fürchten, noch vor
„Pflegefall", „Verkehrsunfall", „Verlust des Arbeitsplatzes"
oder„ Umweltzerstörung". Die Ankündigung einer bewußt herbeigeführten Inflation
würde einen Sturmlauf auslösen, insbesondere der Gewerkschaften. Ankündigungen
über zusätzlich zu schaffende Indexierungen würden kaum Beruhigung auslösen,
weil jeder befürchten muß, daß gerade seine Lohnerhöhungen nicht genügend
mitziehen, bzw. seine speziellen Kosten (Mieten!) überdurchschnittlich steigen.
Insbesondere Gewerkschaften würden im Dauerstreß stehen, müßten sie doch immer
davon ausgehen, daß, wie es H. Creutz (3) richtig bemerkt, ungerechtfertigte
Preissteigerungen im „Windschatten" der Inflation vorgenommen werden.
Einer dosierten Inflation
gegenüber anderen Methoden der Umlaufsicherung in der aktuellen Diskussion die
Präferenz zu geben, ist umso weniger nachzuvollziehen, als die technische
Entwicklung der bargeldlosen Bezahlung durch Kreditkarten und Chips, bei der langfristig
die Abschaffung des Bargeldes (zumindest der großen Scheine) möglich ist, dem
Konzept der Liquiditätsabgabe ganz neue Möglichkeiten eröffnet: Eine
Umlaufsicherung, die nur noch die liquiden Mittel auf den Girokonten im Auge zu
haben bräuchte, ließe sich sehr viel leichter realisieren.
Der Vorschlag einer dosierten
Inflation transportiert auch nicht den Grundgedanken von Silvio Gesell. Der
Vorteil der Orginalität der Idee durch Liquiditätsabgabe eine kostenneutrale
Umlaufsicherung zu erreichen ‑ geht unnötig verloren.
Ein Eintreten für dosierte
Inflation verwirrt und spaltet ohne Notwendigkeit eine sowieso schon schwache
Bewegung und erschwert die Durchsetzung des Grundgedankens: Heißt doch ein
„Bestseller" unserer Bewegung (von M. Kennedy): „Geld ohne Zinsen und
Inflation".
Auch unter Berücksichtigung der
„Europäisierung" der Währungen wirkt der Vorschlag einer dosierten
Inflation eher destruktiv: Er wird den anderen europäischen Partnern nicht
vermittelbar sein.
Zum Schluß ein Zitat von Victor
Hugo: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen
ist". Frei interpretiert: Es ist besser, an der Liquiditätsabgabe, dem
genialen Grundgedanken Silvio Gesells, festzuhalten und abzuwarten, als sich
mit dem Vorschlag der dosierten Inflation den gerade herrschenden Denk‑
und Vorstellungswelten anzupassen.
(1) Expertenkommission
Wohnungspolitik, Gutachten: Wohnungspolitik auf dem Prüfstand, Bonn 1994
(2) Behrens, E.: „Geldmenge im
Stop‑and‑go‑Umlauf ` in „Fragen der Freiheit" Heft 212,
1991.
(3) Creutz, H.: „Läßt
sich der Geldumlauf durch eine dosierte Inflation sichern?" in diesem
Heft.