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Inhalt Heft 234


 

 

 

 

Seminar für freiheitliche Ordnung
Fragen der Freiheit
Heft 234, Juni 1995
Bad Boll
ISSN 0015-928 X
Seite 48 - 58

Klaus Marienfeld

 

Die dosierte Inflation ‑ kein taugliches Instrument zur kostenneutralen Umlaufsicherung des Geldes

 

 

Wer zur Erreichung von entscheidenden Impulsen hinsichtlich der Ziele Dauerkonjunktur und Vollbeschäftigung dafür eintritt, durch eine Abgabe auf Liquidität (Kassenhaltung) zu einer kostenneutralen Umlaufsicherung des Geldes zu kommen, wird immer wieder mit zwei Gegenargumenten konfrontiert:

 

1. Bei Einführung einer Liquiditätsabgabe komme es zu einer unkontrollierten Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und damit zu einer Inflation.

 

2. Die Einführung der Umlaufsicherung durch Liquiditätsabgaben sei unnötig, weil wir ja heute schon die Inflation haben und diese denselben Effekt ausübe.

 

Insbesondere zu Punkt 2 war es nicht einfach darzulegen, weshalb Liquiditätsabgabe und Inflation wesentlich verschieden zu beurteilen sind. Nun überraschen einige Anhänger der kostenneutralen Umlaufsicherung mit dem Vorschlag, man solle zu diesem Zweck für eine gleichbleibend hohe Inflation plädieren. Das zwingt die Gegner der Inflation zur Entwicklung von Argumenten, so daß die Chance einer Klärung der Frage besteht, wie das Inflationsgeschehen theoretisch befriedigend in die Diskussion um die Sicherung des Geldumlaufs zu integrieren ist. Die Befürworter einer dosierten Inflation gehen von folgenden Annahmen bzw. Argumenten aus:

 

1. Eine gleichbleibend hohe Inflation hat keine Auswirkungen auf die Verteilungsgerechtigkeit. Verschiebungen in langfristigen Verträgen können durch Indexierung in Höhe der Inflationsrate ausgeglichen werden. In jedem Fall bedeutet Inflation keine Umverteilung von Leistungseinkünften von der Arbeit zum Besitz. Darüber hinaus hat eine dosierte Inflation keine schwerwiegenden Störungen im Wirtschaftsablauf und keine Benachteiligungen von Wirtschaftsteilnehmern zur Folge.

 

2. Von der Inflation geht der gleiche dynamische Impuls der Rückführung des Geldes in den Geldkreislauf aus, wie von anderen Methoden der Umlaufsicherung, und damit ist die Wirkung der Inflation auf das Zinsniveau genauso zu beurteilen wie bei einer Liquiditätsabgabe.

 

3. Eine gleichbleibend hohe Inflation ist im Vergleich zur Liquiditätsabgabe leichter durchsetzbar. Sie kann als Forderung zur Umlaufsicherung mit einer höheren Akzeptanz rechnen.

 

Diese Annahmen haben verschieden hohe „Gewichtungen". So wird z.B. Annahme 3 (Durchsetzbarkeit) erst dann relevant, wenn Annahme 1 (keine Umverteilungswirkung) richtig ist.

 

 

 

 

Zu Annahme 1: Verteilungsgerechtigkeit

 

Anhand der tabellarischen Übersicht (S. 50 und 51) sollen die Auswirkungen der Inflation auf Tilgung eines Kredites und Kostenkalkulation erläutert werden.

 

Wir gehen in diesem Beispiel von einer Kreditaufnahme von 1 Mill. DM und einem Realzins von 6 % aus. Der Kredit soll in 20 Jahren getilgt werden.

 

Das Beispiel soll sowohl unter dem Aspekt der Geldwertstabilität wie der Annahme einer zu berücksichtigenden gleichbleibenden Inflationsrate von 5 % vergleichend betrachtet werden. Wir gehen von dem Idealfall aus, daß die Anteile in dem sich ergebenen Nominalzins explizit aufgeteilt werden können: In Realzins und Inflationsausgleich. Spareinlagen werden also mit einem Aufschlag von 5 % im Jahr verzinst, um den Inflationsverlust auszugleichen. Bei 6 % Realzins entspricht dies einem Nominalzins von 11,3 % gemäß der Formel: Realzins mal (1 plus Inflationsrate) plus Inflationsrate = Nominalzins; hier: 0,06 x (1 + 0,05) + 0,05 = 0,113. (Ein Nominalzins von 11,3 % bedeutet eine Realverzinsung von 6 %, falls 5 % Inflation zu berücksichtigen sind).

 

Betrachten wir zunächst die reine Gläubiger ‑ Schuldner Beziehung. Bei stabilem Geldwert und einem Realzins von 6 % kommt es durch Einsetzen in die Tilgungsformel (nachschüssige Bezahlung der Raten) bzw. durch Ablesen aus der Tilgungstabelle zu einer gleichbleibenden jährlichen Rückzahlungsrate von 87180,‑ DM (Sp. 7‑10).

 

Bei 5 % Inflation ist nun eine zusätzliche Verzinsung von 5 % zu berücksichtigen. In diesem Falle betrüge die gleichbleibende Annuität (= reale Tilgung + Zins) 128065 DM im Jahr. (Sp. 11‑14). Hier zeigt sich der wesentliche Unterschied: Bei einem bestimmten Einkommensüberschuß, der für die Tilgung zur Verfügung steht, läßt sich bei Geldwertstabilität eine solche Finanzierung weitaus leichter bewältigen, als bei 5 % Inflation. Die ersten Annuitäten sind bei Inflation so hoch, daß ständig die Gefahr der Illiquidität der Kreditnehmer gegeben ist oder die Finanzierung ganz unterbleibt. Die regelmäßigen Einkommenserhöhungen von 5 % bei Inflation können bei weitem die höhere Annuität nicht auffangen. Der Vergleich der Spalten 10 und 14 zeigt den Unterschied: Während bei Geldwertstabilität die jährlichen Annuitäten sich über die 20 Jahre gleichmäßig verteilen (Sp. 10), ist dies bei 5 % Inflation nicht so: In den Anfangsjahren werden real, d. h. inflationsbereinigt höhere Annuitäten gezahlt (Sp. 13 und 14). Erst im 8. Jahr liegt die inflationsbereinigte Annuität mit 87 Tsd. auf dem Niveau der Annuität bei Geldwertstabilität und sinkt dann kontinuierlich.

 

 

 

Tabelle Seite 50 - 51 (1 MB)

 

 

 

Faktisch bedeutet dies, daß in Inflationszeiten die Tilgungsdynamik eine gänzlich andere ist, weil es zu einer erhöhten, vorgezogenen Rückzahlung kommt, der eine verminderte Tilgung in der Endphase entspricht. Eine Umverteilungswirkung hat diese „vorgezogene Tilgung" (Phasenverschiebung) jedoch nicht, denn in beiden Fällen wird der Kredit nach 20 Jahren beglichen. Im Falle von 11,3 % Nominalzins nur zügiger, so daß sogar insgesamt weniger Realzinsen bezahlt werden.

 

Auf die „Liquiditätsklemme" bei gleichbleibenden Annuitäten in Inflationszeiten weist auch das Gutachten „Wohnungspolitik auf dem Prüfstand" (1) hin: „Die Inflation stellt den Schuldner vor ein Liquiditätsproblem, das wegen des hohen Aufwandes bei Wohnungsinvestitionen besonders gravierend ist" (S. 338). „Die anfängliche Liquiditätsbelastung eines Eigentümers durch Zins, Tilgung und Instandhaltung wäre in einer Welt ohne Inflation erheblich geringer" (S. 339). So resümiert die Expertenkommission in ihrem Gutachten: „Wichtiger erscheint, daß der Wohneigentumserwerb für viele Haushalte nicht realisierbar ist, weil sie von einer inflationsbedingt hohen Liquiditätsbelastung in einer Lebensphase getroffen werden, in der sie durch Verzicht auf ein zweites Einkommen während der Jahre der Kindererziehung und durch die Kosten, die das Aufziehen von Kindern mit sich bringt, wenig belastbar sind" (S. 342).

 

So kann m.E. das Fazit gezogen werden, daß aufgrund der hohen anfänglichen Annuitäten bei 5 % Inflation von einer Senkung des Lebensstandards potentieller Kreditnehmer auszugehen ist.

 

Dieses Problem kann bereinigt werden, wenn die Schuldsalden und die jährlich zu zahlenden Annuitäten dem Inflationsgeschehen angepaßt werden. D.h.: Die erste Annuität wird auf der Basis von 6 % Realzins berechnet. Der jeweilige Schuldsaldo und die Annuität erhöhen sich dann jedes Jahr um 5 %. Im ersten Jahr wäre so eine Annuität von 91539 DM (87180 + 5 %) fällig (Sp. 15‑18), im 2. Jahr eine von 96 Tsd. DM usw. Im Vergleich ist diese mit 5 % indexierte Annuität inflationsbereinigt, also real identisch mit den Annuitäten ohne Inflation (Sp. 7‑10). Die Sp. 18 zeigt deutlich die Identität mit der Sp. 10. Auch lassen sich alle anderen Beträge in den Sp. 15‑17 mit den Beträgen in den Spalten 7‑9 vollkommen vergleichen: Der Realwert (inflationsbereinigt) ist immer der Gleiche und somit ist die Tilgungsdynamik aus der Sicht des Kreditnehmers auch exakt die selbe: Im Gleichschritt mit seinem sich um 5 % erhöhenden Einkommen erhöht sich die Annuität um 5 % und die gesamte Schuld kann in 20 Jahren beglichen werden.

 

Es liegt auf der Hand, daß nur diese indexierte Annuität in Inflationszeiten als gerecht bezeichnet werden kann.

 

Nur ergibt sich hier für die Bank ein Problem: Die erste Annuität von 91539 bedient die nach einem Jahr sich ergebende Schuldsumme (Sp. 4) nur mit 8,2 % (genau wie im Falle ohne Inflation), jedoch muß die Bank im Falle einer 5%igen Inflation ihre Spareinlagen (auch die kurzfristigen) mit zusätzlichen 5 % verzinsen, so daß sich hier eine Schere auftut: Ohne Inflation liegt die erste Annuität von 8,2 % der nach einem Jahr sich ergebenen Schuldsumme über dem Nominalzins von 6 % (der hier = Realzins ist); bei 5 % Inflation liegt die erste Annuität jedoch unter dem Nominalzins von 11,3 %, den die Bank, abzüglich der Bankmarge, an die Sparer zu zahlen hat. Erst mit den späteren, sich um 5 % erhöhenden Annuitäten (Sp. 15) wird dies ausgeglichen. Dieses Problem kann nur eine Indexierung auch der Sparguthaben im Zusammenhang mit einem vollkommenen Kapitalmarkt, in dem bei Kreditnachfrage und Sparquote (Geldangebot) keine erheblichen Schwankungen zu verzeichnen sind, lösen. Dies ist in der Praxis aber nicht die Regel.

 

Problematischer wirkt sich Inflation dort aus, wo Investitionen in produktives Sachkapital getätigt werden.

 

Das folgende Beispiel ist eine zugegebenermaßen abstrahierte Modellrechnung, die so nicht ohne weiteres auf die ökonomische Realität übertragbar ist, denn ein Unternehmen hat Kalkulationsfreiheit, muß sich den Konkurrenzverhältnissen anpassen oder kann Umsatzschwankungen durch Rücklagen bzw. Zwischenkredite ausgleichen. Auch spielt die Eigenkapitaldecke eine große Rolle, weil auf Eigenkapitalverzinsung bei Liquiditätsengpässen kurzfristig verzichtet werden kann.

 

Im Unternehmensbeispiel (Spalten 19‑23) werden der Investition von 1 Mill. DM in produktivem Sachkapital jährlich 400 Tsd. DM laufende Kosten (ohne Zins und Tilgung bzw. Abschreibung) zugeordnet. In den 400 Tsd. DM sollen die Mindest‑Gewinnerwartung (= Unternehmerlohn) und eventuelle Rücklagen für Risiken enthalten sein. Sie erhöhen sich mit der Inflation um jährlich 5 % (Sp. 19).

 

Der Kredit von 1 Mill. DM soll in 20 Jahren getilgt werden. Die Investition von 1 Mill. in Sachkapital soll linear mit 5 % gemäß der Wertminderung abgeschrieben werden. Sp. 5 und 6 zeigen dabei den aktuellen Wert des Sachkapitals ohne (Sp. 5) und mit 5 % Inflation (Sp. 6). Bei der Preiskalkulation des Unternehmens ist nun entscheidend, welchen Betrag es als Annuität in die Kalkulation einfließen läßt. Im Falle ohne Inflation sind dies 87180 DM, wobei das Unternehmen einen Umsatz von rund 487 Tsd. anvisieren muß. Bei 5 % Inflation und angenommenen gleichbleibenden Annuitäten sind es 128 Tsd. (Sp. 11), die das Unternehmen in seine Preiskalkulation aufnehmen muß, wenn es nicht in Liquiditätsengpässe kommen will. Da sich die laufenden Kosten um 5 % p. a. erhöhen (von 400 Tsd. auf 420 Tsd. im 1. Jahr) (Sp. 19) ergibt sich ein im Preis kalkulierter Umsatz von 548 Tsd., der im ersten Jahr erreicht werden muß. Der Umsatz erhöht sich um 5 % p.a., weil in der Modellrechnung 5 % Inflation zugrunde gelegt sind (Sp. 21). In Sp. 20 sind die Gesamtkosten des Unternehmens aufgeführt: Da die laufenden Kosten (ohne Zins- und Tilgungsleistungen bzw. Abschreibungskosten) des Unternehmens sich um jeweils 5 % erhöhen, die Annuitäten jedoch mit 128 Tsd. gleich bleiben, wachsen die gesamten laufenden Kosten nicht so stark wie der Umsatz. Die Sp. 22 gibt die Differenz an (Sp. 21 minus Sp. 20). Da der Unternehmensgewinn in dieser Modellrechnung in den laufenden Kosten enthalten sein sollte, beträgt diese Differenz den zusätzlichen Inflationsgewinn des Sachkapitalbesitzers, der vom Endverbraucher getragen wird.

 

Die Modellannahme, in der der Unternehmer die anfänglich sehr hohen Annuitäten an die Bank in seine Kalkulation einfließen lassen und damit an den Endverbraucher weitergeben kann, hat zur Folge, daß eine Umverteilungswirkung von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen gegeben ist. Denn die Kostenkalkulation des Unternehmens erforderte auch bei 11,3 % Realzins ohne Inflation wieder 548 Tsd. Umsatz. Der Preis bliebe dann auf gleichem Niveau, wie auch alle laufenden Kosten. Der Unterschied ist nur der, daß bei 11,3 % Realzins der Kapitalgeber der alleinige Umverteilungsgewinner durch den Zins ist, bei 5 % Inflation profitiert der Sachkapitalbesitzer mit. Denn in dieser Modellrechnung leistet der Endverbraucher die hohen vorzeitigen Tilgungsleistungen gemäß Sp. 13 und 14, profitiert aber nicht von den nominellen „Werterhöhungen" des eingesetzten Sachkapitals aufgrund der Inflationssituation (Sp. 6). Dieses verbleibt im Eigentum des Unternehmers, während im Beispiel der direkten Gläubiger‑Schuldner Beziehung die Sachwerte auch im Eigentum derjenigen bleiben, die diese - auch bei anfänglichen erhöhten Annuitäten – bezahlen.

 

Für den Endverbraucher wirkt sich daher bei dieser Modellrechnung ein hoher Nominalzins genauso aus, wie ein gleich hoher Realzins. Die inflationsbedingten Einkommenserhöhungen decken nur die Preiserhöhungen ab; die Grundbelastung der Preise aufgrund des Zinses ist gleich.

 

Bei 5 % Inflation muß daher, soll es keine Umverteilungswirkung von Arbeitseinkommen zu (Sach‑)kapitaleinkommen geben, die Modellrechnung modifiziert werden, d. h.: die Kostenkalkulation gemäß Sp. 23 muß zum Tragen kommen. Diese Summe setzt sich zusammen aus Sp. 19 und Sp. 15. Der hierbei kalkulierte Umsatz setzt einkalkulierte inflationsangepaßte Annuitäten (und damit auch inflationsangepaßte Abschreibungen) voraus. Läßt die Bank die indexierten Annuitäten (Sp. 15) zu, was aber einen vollkommenen Kapitalmarkt voraussetzt, so ist diese Kalkulation kein Problem. Falls nicht, ‑ und dies ist die heute gängige Praxis der Banken, wenn auch mit niedrigerem Inflationsniveau ‑ sieht sich der Unternehmer den Kosten gemäß Sp. 20 gegenüber, erreicht aber nur Umsätze gemäß Sp. 23. Erst im 8. Jahr nach der Investition beträgt der nominelle Wert des Umsatzes 720 Tsd. und ist damit höher als die laufenden Kosten von 719 Tsd. Die Differenz der Jahre davor muß der Unternehmer aus dem Eigenkapital zu schießen oder von der Bank neu kreditieren lassen mit dem Hinweis, dass sein Sachkapital nominal ja kaum an Wert verloren hat (Sp. 6) und in den späteren Jahren (ab dem 8. Jahr) die Annuitäten wegen der 5%igen Umsatzsteigerung pro Jahr weitaus leichter beglichen werden können. Auch ist denkbar, daß ein Unternehmer gleich einen Kredit von 1,2 Mill. aufnimmt - damit auch höhere Annuitäten in Kauf nimmt ‑ und 200 Tsd. als liquide Reserve hält, um die Differenz auszugleichen.

 

Es ist sicher davon auszugehen, daß eine Bank einem Unternehmen, welches mit voraussichtlichen Umsätzen gemäß Sp. 23 aufwarten kann, nicht so leicht einen Kredit gewährt, wie einem Unternehmen, das die Preiskalkulation gemäß Sp. 21 auf dem Markt durchsetzen kann.

 

So wird die Tendenz in der Praxis immer sein, daß bei gleichbleibenden Annuitäten sich eine „Kalkulationsdisziplin" gemäß Sp. 23 nicht halten lassen wird. Die Kalkulation gemäß Sp. 21 mag zu hoch gegriffen sein. Die Unternehmer haben kalkulatorische Freiheit und müssen sich auch am Markt durchsetzen.

 

So wird in der Realität die Grundkalkulation des Umsatzes bei einer Annuität von 128 Tsd. im ersten Jahr irgendwo zwischen 512 Tsd. DM und 548 Tsd. DM liegen. Den Einwand, daß ein Unternehmer ja seine Preise nicht regelmäßig um 5 % zu erhöhen braucht (Sp. 21), weil dem keine entsprechenden Kostensteigerungen (Sp. 20) gegenüberstehen, kann man nicht gelten lassen, weil dann eine 5%ige Inflation nicht gegeben wäre, die aber Ausgangspunkt der Betrachtung ist.

 

 

 

Fazit:

 

1. Das Konzept der dosierten Inflation als Umlaufsicherung des Geldes macht indexierte Annuitäten gemäß Sp. 15 wie auch indexierte Abschreibungen unbedingt erforderlich, wenn es nicht durch die Liquiditätsverschiebungen zu Problemen (eventuell sogar Umverteilungswirkungen) kommen soll. Nicht nur die übliche Praxis, auch steuerrechtliche Hindernisse stehen dieser Kalkulation allerdings im Wege.

 

2. Gleichbleibende Annuitäten wie auch gleichbleibende Abschreibungsraten bedeuten in Inflationszeiten, daß diese sich für den Endverbraucher wie ein erhöhter Realzins auswirken, wenn auch vermutlich nicht in voller Höhe der Inflationsrate. Dies gilt auch für nominal gleichbleibende Beträge, die als Rücklagen zur Wiederbeschaffung abgeschriebener Sachwerte in die Kalkulation aufgenommen werden.

 

Es ist ausgesprochen schwierig, in der Praxis eventuelle Umverteilungen aufgrund von Inflation empirisch zu ermitteln. Sicher ist m.E. jedoch, daß, will man die Zinsbelastung in dem vom Endverbraucher bezahlten Preis herausfinden, man nicht ohne weiteres von dem sich am Kapitalmarkt ergebenden Nominalzins die Inflationsrate herausrechnen kann. Dies würde eine „Bagatellisierung" der Zinsbelastung des Endverbrauchers bedeuten: Zumindest ein Teil des im Nominalzins enthaltenen Inflationsausgleiches für den Sparer wirkt sich für den Endverbraucher wie ein Realzins aus.

 

Doch auch wenn sich die Indexierungen durchsetzen ließen, so bleibt als Argument gegen das Konzept der dosierten Inflation die Problematik der Messung der Inflationsrate bestehen. Das Statistische Bundesamt erfaßt bei der Ermittlung des Durchschnittspreisniveaus nur die wichtigen Konsumgüter (Rund 750 Güter und Dienstleistungen sind derzeit im Warenkorb enthalten). Kommt es bei diesen zu Preiserhöhungen aufgrund von Knappheiten (Mieten!) oder aufgrund von erhöhten Umwelt‑ und Sicherheitsstandards oder auch durch Verbrauchssteuern, so werden diese Preiserhöhungen inflatorisch wirksam. Quantitätstheoretisch wird in der Realität zwar über den Minderkonsum bei unwichtigen Gütern das Preisniveau wieder korrigiert, aber das Statistische Bundesamt erfaßt diese Werte nicht, die sich aufgrund von Gewichtungsänderungen bei den Konsumgütern ergeben.

 

Wird nun dieser gemessene Preisniveauanstieg, der in der Regel höher sein dürfte als der „echte" Preisniveauanstieg, als Grundlage für eine Inflationsausgleichs‑Indexierung genommen, so ist mittelfristig von erheblichen Störungen im Wirtschaftsablauf und auch von Verteilungsungerechtigkeiten auszugehen.

 

 

 

 

Zu Annahme 2: Sicherung der Umlaufdynamik

 

Ob von einer dosierten Inflation die gleiche Dynamik zur Verstetigung des Geldumlaufs ausgeht wie von einer Liquiditätsabgabe, ist zweifelhaft. Die Inflation ist als Kostenfaktor nicht genügend konkret erfahrbar, schon gar nicht in einer bestimmten Prozenthöhe. Unterschiedliche Preise werden in erster Linie unterschiedlichen Anbietern und Qualitäten zugeordnet. Wer sich für hohe Kassenhaltung entscheidet, hat dabei immer seine eigene bestimmte Produktauswahl im Auge, und deren Preisentwicklung bestimmt sein Verhalten. Für eine kontinuierliche Geldumlaufsicherung ist es aber gerade entscheidend wichtig, daß eine unnötige Geldhaltung genau 5 % Kosten pro Geldeinheit verursacht und nicht durchschnittlich 5 % auf das gesamte Geldvolumen. So wird denn auch folgerichtig in den Aufsätzen von E. Behrens (2) betont, daß die Erwartung, Propagierung und Ankündigung der Inflation eine große Rolle spielt. Aber hier würde nur eine Genauigkeit, ein gleichmäßiges Anheben der Preise um 5 %, suggeriert, die die ökonomische Realität nicht einhalten kann. Für die Umlaufsicherung von Bedeutung sind ja nicht die einfachen Verbraucherhaushalte, sondern die Kassenhaltung derer, die aus spekulativen oder aus welchen Gründen auch immer hohe liquide Kassen halten. Insofern fragt sich auch, ob die Indices für die Lebenshaltungskosten einfacher Verbraucherhaushalte ein geeignetes Mittel darstellen, auf hohe zurückgehaltene liquide Gelder genügend Druck dort auszuüben, wo die Vorliebe für Liquidität durch die Erwartung verursacht ist, schnell und jederzeit Grundstücke und sonstige Immobilien, Rohstoffe in großem Stil usw. zu erwerben. Hier wären sicher die Indices für Erzeugerpreise oder auch Großhandelspreise eher wichtig.

 

Ob die Inflation die erwünschte Wirkung hat, den Realzins zu senken, wäre erst noch nachzuweisen, aber auch die zinssenkende Wirkung anderer Umlaufsicherungen kann m. E. nicht unbedingt als eine „beschlossene Sache" gelten: In einer so schnellebigen Volkswirtschaft wie der heutigen, mit fortschreitender Produktivität und technischen Innovationen, wird das später investierte Kapital in der Regel immer um so viel produktiver sein, daß mühelos ein relativ hoher Zinssatz in die Preise einkalkuliert werden kann, so daß weiter mit einer hohen konstanten Kapitalnachfrage zu rechnen ist.

 

 

 

 

Zu Annahme3: Durchsetzbarkeit

 

Das Vorhandensein von Instrumenten und Gremien ist kein Indiz für leichtere Durchsetzbarkeit. Daß die Bundesbank, die heute Geldwertstabilität ansteuert, dann „nur" eben 5 % Inflation anzusteuern brauchte, verwechselt Machbarkeit mit Durchsetzbarkeit. Die Bundesbank müßte die Akzeptanz der Bevölkerung gewinnen und gleichzeitig Vorkehrungen zur Einführung von Indexklauseln treffen bzw. dafür werben, um die ganzen unerwünschten Nebenwirkungen der Inflation auszugleichen. Das wäre aber eine Umkehrung der Überzeugungen der Verantwortlichen um 180 Grad, wo doch erst vor kurzem in einer ARD‑Reportage des hessischen Rundfunks: „Die Macht am Main" (Anfang 1995) Bundesbankpräsident Tietmeyer betont hat, daß die „wirklichen Verlierer bei Inflation immer die Ärmsten sind" und „stabiles Geld wichtig für soziale Gerechtigkeit ist". Und was die Akzeptanz in der Bevölkerung angeht, lese ich gerade in „Psychologie heute" vom Mai 1995, S. 19, daß die Deutschen sich nach „schwerer Erkrankung" am meisten vor einem „Anstieg der Lebenshaltungskosten" fürchten, noch vor „Pflegefall", „Verkehrsunfall", „Verlust des Arbeitsplatzes" oder„ Umweltzerstörung". Die Ankündigung einer bewußt herbeigeführten Inflation würde einen Sturmlauf auslösen, insbesondere der Gewerkschaften. Ankündigungen über zusätzlich zu schaffende Indexierungen würden kaum Beruhigung auslösen, weil jeder befürchten muß, daß gerade seine Lohnerhöhungen nicht genügend mitziehen, bzw. seine speziellen Kosten (Mieten!) überdurchschnittlich steigen. Insbesondere Gewerkschaften würden im Dauerstreß stehen, müßten sie doch immer davon ausgehen, daß, wie es H. Creutz (3) richtig bemerkt, ungerechtfertigte Preissteigerungen im „Windschatten" der Inflation vorgenommen werden.

 

Einer dosierten Inflation gegenüber anderen Methoden der Umlaufsicherung in der aktuellen Diskussion die Präferenz zu geben, ist umso weniger nachzuvollziehen, als die technische Entwicklung der bargeldlosen Bezahlung durch Kreditkarten und Chips, bei der langfristig die Abschaffung des Bargeldes (zumindest der großen Scheine) möglich ist, dem Konzept der Liquiditätsabgabe ganz neue Möglichkeiten eröffnet: Eine Umlaufsicherung, die nur noch die liquiden Mittel auf den Girokonten im Auge zu haben bräuchte, ließe sich sehr viel leichter realisieren.

 

Der Vorschlag einer dosierten Inflation transportiert auch nicht den Grundgedanken von Silvio Gesell. Der Vorteil der Orginalität der Idee durch Liquiditätsabgabe eine kostenneutrale Umlaufsicherung zu erreichen ‑ geht unnötig verloren.

 

Ein Eintreten für dosierte Inflation verwirrt und spaltet ohne Notwendigkeit eine sowieso schon schwache Bewegung und erschwert die Durchsetzung des Grundgedankens: Heißt doch ein „Bestseller" unserer Bewegung (von M. Kennedy): „Geld ohne Zinsen und Inflation".

 

Auch unter Berücksichtigung der „Europäisierung" der Währungen wirkt der Vorschlag einer dosierten Inflation eher destruktiv: Er wird den anderen europäischen Partnern nicht vermittelbar sein.

 

Zum Schluß ein Zitat von Victor Hugo: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist". Frei interpretiert: Es ist besser, an der Liquiditätsabgabe, dem genialen Grundgedanken Silvio Gesells, festzuhalten und abzuwarten, als sich mit dem Vorschlag der dosierten Inflation den gerade herrschenden Denk‑ und Vorstellungswelten anzupassen.

 

 

 

 

 

 

(1) Expertenkommission Wohnungspolitik, Gutachten: Wohnungspolitik auf dem Prüfstand, Bonn 1994

(2) Behrens, E.: „Geldmenge im Stop‑and‑go‑Umlauf ` in „Fragen der Freiheit" Heft 212, 1991.

(3) Creutz, H.: „Läßt sich der Geldumlauf durch eine dosierte Inflation sichern?" in diesem Heft.