Warum
soll das Geld altern?
Wie das Geld den Kreislauf der Volkswirtschaft
beeinflusst (1)
Eckhard Behrens
Das Geld ist immer dabei. Wir
gehen alle damit um. Was benutzen wir da eigentlich, wenn wir Waren kaufen oder
verkaufen, für Investitionen Kredit gewähren oder nehmen und etwas spenden oder
uns schenken lassen, um Kultur zu finanzieren? Wir meinen, das Geld zu kennen,
weil wir ständig damit umgehen ‑ aber kennen wir es wirklich?
Dient das Geld unserem
wirtschaftlichen Wollen oder beeinflußt es unser wirtschaftliches Wollen? Das
Geld ist neutral, wird gelehrt. Man
will damit sagen, daß es durch seine
Eigenschaften die Abläufe in einer arbeitsteiligen Wirtschaft, in der sich
die Menschen durch freie Vereinbarungen über ihre wirtschaftlichen Interessen
verständigen, überhaupt nicht beeinflußt; das hieße, daß der Volkswirt
geldwirtschaftliche und güterwirtschaftliche Betrachtungen nicht zu
unterscheiden braucht. Aber damit werden Ideal und Wirklichkeit verwechselt.
Unser heutiges Geld ist nicht neutral, denn
es verändert unsere natürlichen wirtschaftlichen Interessen ganz erheblich. Und
das beeinflußt unser Wollen und verändert unser Handeln.
Um dies zu verstehen und
Vorschläge zur Veränderung des Geldwesens beurteilen zu können, muß man nur lernen, den eigenen Umgang mit dem Geld zu
beobachten und aus historischen Phänomenen neu zu lernen ‑ wie z.B.
aus der galoppierenden Inflation von 1923 ‑, die man fast so gut kennt,
wie den eigenen Umgang mit dem Geld, weil sie vielfach gut beschrieben wurden.
Unser Geld ist ein Geschöpf des
nationalen ‑ künftig des europäischen Rechts und zugleich ein
wirtschaftliches Phänomen. Es hat sich sowohl
rechtlich als auch wirtschaftlich historisch entwickelt und ist am Endpunkt
seiner Entwicklung noch lange nicht angekommen. Aber das kann nur schreiben,
wer sich ein anderes Geldwesen vorstellen kann, als dasjenige, das wir heute
haben. Wir haben den „ewigen Pfennig", aber wir brauchen ein „alterndes
Geld". Warum haben Silvio Gesell und Rudolf Steiner gemeint, das Geld
solle „altern"?
Vorsicht! Darüber herrscht
großer Meinungsstreit, der hier nicht nachgezeichnet werden soll. Aus diesem
Irrgarten der Meinungen findet nur einen Ausweg, wer selber soziale Phänomene
beobachtet und selber über sie nachdenkt. Wer diesen Weg beschreitet, wird
zunehmend erkennen, welche Beobachtungen der sozialen Wirklichkeit sowohl
Gesell als auch Steiner zu ihren auffallend plastischen Formulierungen geführt
haben. Diese Zeilen wollen zu solchen Beobachtungen Anregungen geben. Für eine
systematische Einführung wäre ein Lehrbuch erforderlich. Wie interessant und
lohnend die Beschäftigung mit dem Geldwesen ist, wird aber auch hier schon klar
werden.
Ein magisches Dreieck
Hinweise auf Beobachtungs‑ und Denkübungen
Ein kurzer Blick auf die
allgemein anerkannten Funktionen des Geldes, nämlich Tauschmittel, Wertmesser und Wertaufbewahrungsmittel
zu sein, vermittelt ein deutliches Gefühl für die historische Bedingtheit
unseres heutigen Geldwesens.
Auch im Laufe dieses
Jahrhunderts wurden große Entwicklungsschritte getan, insbesondere wurde die
vollständige Lösung des nationalen
Geldes vom Golde vollzogen. Gold
dient nicht mehr als Tauschmittel oder Wertmesser; soweit es zur Aufbewahrung
wirtschaftlicher Werte benutzt wird, geschieht dies in der Regel in Form von
Barrengold. Goldmünzen werden nicht mehr als Tauschmittel gegen Waren
eingesetzt, sondern nur noch als Schatzmittel
zur Wertaufbewahrung verwendet. Ihr Wert schwankt, wie der des
Barrengoldes, also mit dem Goldpreis, der von Angebot und Nachfrage bestimmt
wird ‑ wie bei jeder anderen Ware auch.
Die Lösung des Geldes vom Golde
ist eine große gedankliche Leistung der modernen Menschheit. Früher hat man
sich die Entmaterialisierung des
Geldes gedanklich nicht vorstellen können. Heute wird es ganz aus seinen Funktionen heraus verstanden. Nur werden
diese Funktionen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit noch nicht ausreichend
wahrgenommen.
Wir lernen viel über das Geld,
wenn wir uns jede seiner Funktionen zunächst isoliert in aller Vollkommenheit
vor das geistige Auge stellen und uns danach fragen, was in der Volkswirtschaft
geschieht, wenn eine dieser Funktionen des Geldes ihren Dienst versagt. Das
sind gute Beobachtungs‑ und Denkübungen, die das Seminar für freiheitliche Ordnung e. V in einem Elementarseminar
über das Geldwesen regelmäßig anbietet (siehe das Tagungsprogramm
„Elementarseminar“).
Auf diesen Vorübungen kann als
weiterer Schritt der sozialwissenschaftlichen Arbeit die Frage aufbauen, wie
sich die Funktionen des Geldes gegenseitig in ihrer Wirksamkeit beeinflussen:
welche stützen sich und welche stören sich gegenseitig?
Wertmaßstab
Tauschmittel Wertaufbewahrung
Elementarseminar
Das Geld im Kreislauf der Volkswirtschaft
Das
Geld als vollkommenes Tauschmittel
Das
Geld als vollkommener Wertmaßstab
Das
Geld als vollkommener Wertaufbewahrer
Was wir
fürchten müssen,
‑
wenn das Geld als Tauschmittel versagt
‑
wenn das Geld als Wertmesser versagt
‑
wenn das Geld die Wertaufbewahrung versagt
Welche Konflikte gibt es
zwischen Geld als
‑ Tauschmittel und
Wertmaßstab?
‑ Tauschmittel und
Wertaufbewahrung?
‑ Wertmaßstab und
Wertaufbewahrung?
Das
magische Dreieck meistern
‑
mit inflationärem Gleichgewicht
‑
durch Altern des Geldes
Man entdeckt dann ein magisches Dreieck: in ihrer Vollkommenheit gedacht, stehen sich die
drei Funktionen des Geldes gegenseitig im
Wege und produzieren dadurch die bekannten Krisen im Kreislauf der
Volkswirtschaft. Plötzlich wird auch klar, warum wir keinen über längere Zeit
stabilen Geldwert erleben, sondern immer nur schwankende Inflationsraten. Die drei Funktionen des Geldes
vertragen sich erst, wenn wir die eine oder andere von ihnen in ihrer
Vollkommenheit gezielt einschränken. Das soll im folgenden beispielhaft gezeigt
werden.
Der Geldstrom trägt den Warenstrom (2)
Die Waren strömen vom
Produzenten über den Handel zum Konsumenten. Das Geld strömt dem Warenstrom
entgegen: vom Konsumenten über den Handel zum Produzenten. Dabei bildet das Geld einen geschlossenen Kreislauf, weil es als Einkommen aus einer
Tätigkeit im Handel oder in der Produktion, als Einkommen aus Zinsen oder
Bodenrenten oder als Einkommen aus der staatlich organisierten Umverteilung zu
den Konsumenten zurückfließt. Für unsere Betrachtung steht jetzt dieser Kreislauf
als ganzer nicht im Vordergrund. Wir wollen den Blick nur auf die Punkte der Begegnungen von Geld und Ware
lenken. Wir können an diesen Stellen des Geldkreislaufs Phänomene beobachten,
die eigentlich jeder kennt, und können bei genauerem Hinschauen wesentliche
volkswirtschaftliche Einsichten gewinnen.
Je nach dem, welcher dieser
beiden Ströme gerade stärker ist, besteht ein Geldüberhang oder ein Warenüberhang.
Man spricht dann von Verkäufermarkt oder Käufermarkt und meint damit den
jeweils mächtigeren Marktpartner.
Der Verkäufermarkt
Wenn
den Verkäufern alle Waren ‑ und sei die Qualität noch so schlecht ‑
aus der Hand gerissen werden, dann bestimmen sie, welcher Kunde Ware bekommt
und welcher auf seinem als wertloser als
die Waren angesehenen Geld sitzen bleibt. Der Verkäufer muß nicht mehr
verkaufen, sondern nur noch verteilen, ja zuteilen wie eine Behörde der
Mangelverwaltung. Ein Teil des Geldstromes, der nach Waren sucht, bleibt
erfolglos in den Taschen oder auf den Konten der Menschen.
Der Markt
sucht den Ausgleich durch Preissteigerungen ‑ durch Inflation. Wenn diese ausgleichend wirkenden Preissteigerungen
staatlich durch sogenannten Preisstop verhindert werden, dann spricht man von
„zurückgestauter Inflation". Das Geld will fließen, kann aber nicht, weil
der Warenstrom zu schwach ist. Die staatlich reglementierten Preise decken
nicht alle Kosten. Deshalb erscheinen den Produzenten und Händlern die Waren,
wenn sie überhaupt noch hergestellt werden, wertvoller als das Geld. So weit,
wie es ihnen bei dem Risiko staatlicher Strafen möglich ist, halten die Händler
und Produzenten ihre Waren zurück ‑ für gute Freunde, zur Pflege guter
Beziehungen, die man braucht, um selber an knappe Waren als Konsument oder
Weiterverarbeiter heranzukommen, für den schwarzen Markt und schließlich für
ganz gewöhnliche Tauschgeschäfte Ware gegen Ware, wie in der ökonomischen
Steinzeit. ‑ In Osteuropa war dies bis vor wenigen Jahren die allgemeine
Alltagserfahrung von Herrn und Frau Jedermann, die anstehen mußten nach Ware.
Der Käufermarkt
Auf dem Käufermarkt ist der Kunde König. Hier muß der
Verkäufer hinter seinem Ladentisch anstehen
nach Geld. Der Warenstrom staut sich in den Schaufenstern und auf den
Verkaufstischen der „Polenmärkte". Das riesige Warenangebot täuscht
Wohlstand vor ‑ auch dort, wo wie nach dem Umbruch in Osteuropa die
Produktion zusammenbricht und Arbeitslosigkeit grassiert: die Schaufenster und
Ladentische sind brechend voll. Der Geldstrom ist zu schwach, alles
aufzunehmen, was produziert wurde. Es fehlt nicht an Bedarf der Konsumenten,
aber sie halten nicht genügend Nachfrage.
Wenn sie überhaupt Geld haben, geben sie es nur zögerlich aus. Das Geld will nicht so recht fließen; der
Geldinhaber kann warten. Die Ware muß
aber zügig abgesetzt werden, weil sie altert
und ihre Lagerung meist mit Verlusten und immer mit Kosten verbunden ist.
Wenn der Geldstrom zu schwach
ist, muß die Produktion gedrosselt werden.
Der einzelne Produzent kann sich durch Qualitätssteigerung und Preissenkung
helfen, solange es ihm gelingt, durch Rationalisierung oder Lohnsenkung dafür
Spielräume zu erkämpfen. Der Wettbewerb der Produzenten und Händler
untereinander wird also schärfer, rücksichtsloser. Immer mehr von ihnen
scheiden ganz aus dem Markt aus; das heißt aber: sie und ihre bisherigen
Mitarbeiter erzielen kein Einkommen mehr, können also nichts oder nur noch das
wenige kaufen, was man sich mit der Arbeitslosen‑ oder Sozialhilfe
leisten kann.
Wenn der Markt einen Ausgleich
zwischen der zu schwachen Nachfrage und dem drängenden Angebot in einer Tendenz
zu Preissenkungen sucht, werden alle Einkommensbezieher beim Geldausgeben noch zögerlicher. Sie warten, wenn sie irgend
noch warten können, mit ihrem Konsum, weil sie morgen oder übermorgen in den
Genuß gesunkener Preise kommen wollen. Auch die nur zeitlich aufgeschobene
Nachfrage läßt die Lager anschwellen und führt zu Produktionseinschränkungen
und weiter sinkenden Einkommen, weiter sinkender Nachfrage und weiter sinkenden
Preisen mit noch stärkeren Verzögerungen beim Geldausgeben derjenigen, die noch
Geld besitzen.
Sie befürchten, selbst bald
wegen der allgemeinen Schwäche der Wirtschaftskonjunktur ihr Einkommen ganz
oder teilweise einzubüßen und bilden deshalb eine „Vorsichtskasse", d.h.
sie sparen einen zusätzlichen Teil ihres Einkommens. Diese zusätzlichen Ersparnisse gehen nicht in arbeitsplatzschaffende
langfristige Investitionen, weil sie dem Kapitalmarkt nicht langfristig zur
Verfügung stehen, sondern als Notgroschen allenfalls kurzfristig verliehen
werden. Die Investoren werden auch bei reichhaltigem Kapitalangebot untätig
bleiben, solange sie keine steigende Nachfrage nach Waren erwarten.
Der Geld besitzende Kunde ist
nicht erst bei sinkenden Preisen König. Bei
stabilen Preisen herrscht immer noch ein Käufermarkt, weil die Waren unter
Angebotsdruck stehen ‑ das Geld aber nicht. König Kunde genießt seine Rolle, gleichgültig, ob er viel oder
wenig Geld in der Tasche hat. Jeder ist Konsument und jeder schätzt es, als
Kunde König zu sein, aus einem Überangebot wählen zu können und mit Servilität
vom Verkäufer bedient zu werden. Wer bedenkt denn schon, daß die Folgen dieser
„Überlegenheit unseres Geldes über die Ware" (Steiner) ein ständiges Zurückstauen des Stromes der
Waren, die Minderauslastung der Produktionskapazitäten, die hartnäckige
Arbeitslosigkeit und ständiger Gewinn- und Lohndruck sind.
Wir
alle sind verwöhnte Kunden, die nur manchmal ganz leise Skrupel plagen, wenn
wir die Unterwürfigkeit wahrnehmen, mit der uns viele Verkäufer begegnen.
Jahrhundertelanger Umgang mit dem fast immer überlegenen Geld hat beiden
Seiten, den Käufern und den Verkäufern, das Gefühl
für die wahre Gegenseitigkeit im Austausch von Geld und Ware getrübt. Erst wenn wir den Blick bewußt
auf historisch auch beobachtbare starke Schieflagen voll ausgeprägter
Inflationen und Deflationen lenken und genau vergleichen, wird uns die kleine
Ungerechtigkeit des stabilen Geldes, die sich in jeder einzelnen
Verkaufsverhandlung leise auswirkt, bewußt. Ihre weitreichende
volkswirtschaftliche Wirkung zu ermessen, ist nur dem möglich, der auch kleine
Ungerechtigkeiten sehr ernst nimmt, wenn er erkennt, daß sie sich summieren
müssen und durch nichts ausgeglichen werden.
Wo ist
die Zone des Gleichgewichts?
Der Käufermarkt ist ebenso ein
Phänomen wirtschaftlichen Ungleichgewichts wie der Verkäufermarkt. Zwischen
beiden muß es jedoch eine Zone ökonomischen Gleichgewichts ‑ einen
Übergangsbereich ‑ geben. Wir haben schon herausgearbeitet, daß nicht nur
bei sinkenden, sondern auch noch bei stabilen Preisen ein Käufermarkt besteht.
Den Übergangsbereich zwischen Käufer‑
und Verkäufermarkt müssen wir daher im
Bereich der Inflationsraten suchen. Wir finden ihn nicht schon bei ganz
leichten Preissteigerungsraten, sondern erst, wenn das Halten von Geld ebenso verlustbringend ist wie das Halten von
Waren.
Dazu müssen die Inflationsraten
mindestens drei, wenn nicht fünf, ja in Wirtschaftsordnungen mit großen
Umstrukturierungsproblemen und entsprechend großen Risiken noch mehr Prozent
betragen. Ob in unserer vollentwickelten westlichen Marktwirtschaft drei
Prozent Inflation ausreichen oder vier oder fünf Prozent Inflation erforderlich
sind, um den Käufermarkt zu überwinden, ist
wahrscheinlich nur durch einen längerfristigen Versuch der Bundesbank
herauszufinden. Ebenso müssen wir erst noch Erfahrungen
sammeln, wie breit zwischen dem Käufer‑ und Verkäufermarkt der
Übergangsbereich wahrer Gegenseitigkeit ‑ ausgedrückt in stetigen, bewußt
erlebten - Inflationsraten - wirklich ist. Ein Verkäufermarkt entsteht
vermutlich erst bei Inflationsraten über 10 %.
Vom ewigen Pfennig zum alternden Geld
Es geht auch ohne Inflation,
wenn das „Altern des Geldes" (Steiner) mit einer anderen Technik
herbeigeführt wird. Man muß nicht bei der Funktion des Wertmessers ansetzen, man kann dies auch bei der Funktion der Wertaufbewahrung tun. Unser bisheriges
Geld enthält das Versprechen, ein vollkommenes Wertaufbewahrungsmittel zu sein:
bis in alle Ewigkeit soll jedes einzelne Geldzeichen den Wert behalten, der der
Münze einst aufgeprägt oder der Banknote einmal aufgedruckt wurde. Die
Bundesbank löst längst ungültige Banknoten der ganzen Nachkriegszeit, die
rechtlich gesehen also schon lange kein Geld mehr sind, immer noch zum Nennwert
in heute gültiges Geld ein. Sie erklärt dies sogar öffentlich, ja in bezahlten
Anzeigen! Sie tut dies ohne jeden zeitlichen Vorbehalt. Das ist ein
behördliches Versprechen der Ewigkeit der ausgegebenen Geldzeichen, auf das
sich Sparer, die ihr Geld nicht den Banken anvertrauen, noch lange werden
berufen können. Dieses Versprechen, es werde nicht altern, macht unser heutiges
Geld jeder Ware haushoch überlegen.
Im Mittelalter war in
Mitteleuropa ein Geldwesen verbreitet, dessen Geldzeichen die Münzsammler als Brakteaten kennen. Sie bestanden aus
dünnem Silberblech, das nur einseitig geprägt wurde. Das volkswirtschaftlich
Wesentliche war, daß diese Münzen häufig umgeprägt wurden. Bei dieser
Gelegenheit wurde ein Schlagsatz, eine
Gebühr, erhoben. Zur dauernden Wertaufbewahrung waren diese Münzen nicht
geeignet, aber als Tausch- und Zahlungsmittel taten sie gute Dienste, weil sie
den Waren nicht überlegen waren, sondern auch einem Alterungsprozeß unterlagen.
Zur Aufbewahrung von wirtschaftlichen Werten mußte man sein Geld verleihen.
Jeder versuchte immer mit möglichst wenig Bargeld auszukommen, weil nicht
vorher bekannt war, wann der Münzherr wieder eine gebührenpflichtige Umprägung
verkünden würde. Es blieb nicht aus, daß manche Münzherren die Münzverrufung als bequeme Steuerquelle mißbrauchten.
Statt den Mißbrauch zu bekämpfen, forderten die Bürger den ewigen Pfennig und bekamen ihn dann auch. Mit dem Mißbrauch wurde
auch der volkswirtschaftliche Segen der Brakteaten, von dem unsere
Volkswirtschaftslehre bis heute kaum etwas weiß, abgeschafft.
Man kann auch die einzelnen
Banknoten altern lassen, d. h. einem leichten Wertverlust unterwerfen und damit
dem Geldstrom das gleiche Gefälle geben wie dem Warenstrom. Dafür sind
verschiedene Techniken denkbar, die allerdings alle Gesetzesänderungen, also
demokratische Mehrheiten und damit neue Einsichten in breiten
Bevölkerungsschichten erfordern. Den Weg über die Verstetigung der
Inflationsraten kann die Notenbank gehen, ohne auf die Änderung von Gesetzen
warten zu müssen. Die Bundesbank muß dazu allerdings erst noch die Vorteile
eines alternden Geldes schätzen
lernen. Sie meint immer noch, mit dem „ewigen Pfennig", also ohne
alterndes Geld Geldwertstabilität erreichen zu können. Es ist aber eine
Illusion, die Ewigkeit des einzelnen Geldzeichens als Voraussetzung einer
stabilen Währung anzusehen; in Wahrheit ist die Ewigkeit der Geldzeichen das
eigentliche Hindernis der Geldwertstabilität. Denn Geldzeichen, die vollkommene
Wertaufbewahrungsmittel zu sein scheinen, bilden keinen stetigen Geldstrom, sie
haben eine schwankende
Umlaufgeschwindigkeit und stören daher dauernd die auf Geldwertstabilität
ausgerichtete Geldmengenpolitik der Bundesbank. Nur eine stabile Umlaufgeschwindigkeit der Geldzeichen ermöglicht es der
Notenbank, mit Hilfe der Geldmengenpolitik Geldwertstabilität zu erreichen. Es
ist daher notwendig, auf geschickte Weise die Geldzeichen maßvoll altern zu
lassen.
Verschiedene Techniken der Alterung des Geldes
Eine
Form der Alterung böten Geldzeichen, die von Woche zu Woche 0,1 % an Wert
verlieren; auf ihnen wäre schon eine Tabelle
aufgedruckt, die ausweist, daß der Schein am Ausgabetag, z.B. am 1.1.1995
100,‑ DM wert ist, am 31.12.1995, also nach 52 Wochen, aber nur noch
94,80 DM Zahlwert hat. Es wäre also beim Bezahlen ein Aufgeld von DM 5,20 zu
leisten. Entsprechend würde die Tabelle Zwischenwerte ausweisen, die
wöchentlich um 0,10 DM steigen.
Für die
Geschäfte des täglichen Lebens würde man als „Kaufgeld" „junges Geld"
bevorzugen, um die Umständlichkeiten der Aufzahlungen zu vermeiden. Ersparnisse
kann man der Bank als „Leihgeld" auch in älterem Geld anvertrauen, weil
sie den bereits eingetretenen Verlust leicht berechnen kann und sowieso nur
eine Gutschrift vornimmt; und richtig alt gewordenes Geld findet als
„Schenkungsgeld" immer noch dankbare Abnehmer.
Aber es
sind noch andere Techniken denkbar, die für alle bequemer sein könnten: Schon
heute darf die Bundesbank ausgegebene Banknoten für ungültig erklären und dafür
neugestaltete ausgeben. Wenn ihr der Gesetzgeber gestatten würde, bei diesen
Gelegenheiten Umtauschgebühren (Aufgelder) zu erheben, die so zu bemessen sind,
daß die private Kassenhaltung bei den Konsumenten, Händlern, Produzenten und
Banken im Durchschnitt mit 5 % jährlich belastet wird, würde jedermann unnötige Kassenhaltung vermeiden, d.h.
er würde alle Einnahmen alsbald wieder ausgeben oder langfristig dem
Kapitalmarkt zur Verfügung stellen. Dazu kann gehören, daß die Bundesbank den
Termin des Umtausches und den zum Aufruf kommenden Geldschein durch das Los
bestimmt. Die Auslosung könnte wöchentlich z. B. im Anschluß an das
Mittwochslotto ‑ stattfinden und würde in der Regel zu dem Ergebnis
führen, daß keiner der im Umlauf befindlichen Scheine aufgerufen wird. Auch die
Umtauschgebühr könnte in der Höhe wechseln, weil ja nur eine durchschnittliche
Belastung des Kassenbestandes mit 5 % erreicht werden soll. Dann behalten alle
Scheine bis zum Tag der Auslosung ihren vollen Wert. Ein auf diese einfache
Weise der Alterung ausgesetztes Geld
bildet einen stetigen Geldstrom.
Ein Käufermarkt kann auch bei
Geldwertstabilität nicht entstehen, wenn die Geldzeichen im Durchschnitt ebenso stark altern, wie die Waren im
Durchschnitt altern. 5 % jährliche Gebühren auf die Geldzeichen, also auf die
Kassenhaltung sind für jeden viel erträglicher als die
Kalkulationserschwerungen durch 5 % verstetigte Inflation. Wer im Jahresverlauf
durchschnittlich DM 1.000,‑ bar bei sich trägt ‑ die meisten von
uns Normalverbrauchern kommen wohl mit deutlich weniger aus ‑, müßte mit
jährlich DM 50,‑ Gebühren rechnen. Wer zahlte die nicht gern als Preis
für dauernde Stabilität des Geldwertes?
Das Strömungsverhalten von Geld und Ware
Die Inflations‑ oder die
Alterungsrate des Geldes entscheidet darüber, ob der Geldstrom den Warenstrom
nur teilweise oder restlos aufnimmt. Wir haben gesehen, daß im Verkäufermarkt alle überhaupt
angebotenen Waren vom Geldstrom unverzüglich aufgesogen werden, nur im Käufermarkt stauen sich die Waren und
stockt die Produktion, weil der Geldstrom zurückgehalten wird. Gelingt es, den Geldstrom zu verstetigen, dann kann sich
der Warenstrom bis zur Grenze der Vollbeschäftigung entfalten. Das ökonomische
Gleichgewicht zwischen Geldstrom und Warenstrom zeigt sich in ihrem stetigen
Fließen mit gleichen Stromgrößen. Sie strömen mit gleicher Kraft aufeinander
zu. Auf keiner Seite des Ladentisches muß jemand anstehen ‑ weder für
Ware noch für Geld. Käufer und Verkäufer treten dann einander gleich mächtig
oder besser gesagt: gleich machtlos gegenüber. Es herrscht weder ein Käufer‑
noch ein Verkäufer‑, sondern ein wirklich ausgeglichener Markt der
Gegenseitigkeit (Brüderlichkeit zwischen Käufer und Verkäufer) mit
Beschäftigung für alle, die eine für andere nützliche Leistung erbringen können
und wollen. Der hohe Anspruch, der in dem Begriff Soziale Marktwirtschaft liegt, wird nur erfüllt, wenn auf die
Überlegenheit des Geldes über die Ware verzichtet und dadurch die Tauschgerechtigkeit zwischen Geld und Ware dauerhaft
hergestellt wird.
Strom und Gegenstrom müssen
einander in Volumen und Geschwindigkeit genau entsprechen. Die Notenbank muß
die Geldmenge nach dem Produktionspotential, d. h. nach dem möglichen
Produktionsvolumen der Volkswirtschaft bemessen, damit alle Produktionsfaktoren
voll ausgelastet produzieren können, ohne daß es zu Absatzstockungen kommt.
Darum bemüht sie sich auch. Das Mengengleichgewicht
für sich allein ist aber nicht ausreichend, weil es auf das Strömungsverhalten von Geld und Ware
ankommt.
Aus Einsicht opfern
Wir
haben beobachtet, daß im Verkäufermarkt Ware und im Käufermarkt Geld
tendenziell zurückgehalten wird, also nicht gleichmäßig genug strömt. Wenn wir
stetige Vollbeschäftigung der Wirtschaft wollen, müssen wir geduldig und
vorurteilsfrei die Übergangszone zwischen Käufer‑ und Verkäufermarkt
suchen. Und wenn wir sie gefunden haben, müssen wir der Notenbank den richtigen
Kurs weisen. Sie wird abwarten, ob wir uns als
Konsumenten bereiterklären, auf die Überlegenheit des von ihr ausgegebenen
Geldes über die Ware zu verzichten, damit wir als Unternehmer und Mitarbeiter die Chancen dauerhafter
Vollbeschäftigung nutzen können. Nur die Verbreitung besserer Einsicht kann die
Bereitschaft in unseren Mitbürgern begründen, die verführerische Überlegenheit
des Geldes zu opfern. Nur dieses Opfer wird den Weg in die Vollbeschäftigung
freimachen. Denn nur ein von der Notenbank planvoll
verstetigter Geldstrom trägt einen stetigen Warenstrom.
Geldkapital und Sachkapital
Über den Zusammenhang von Sparen und Investieren
Seit John Maynard Keynes 1936
sein berühmtes Buch „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des
Geldes" veröffentlichte, wissen wir, daß es im volkswirtschaftlichen
Prozeß große Störungen gibt, wenn die Ersparnisse nicht investiert werden. Die
Ersparnisse aus dem laufenden Einkommen treten nicht als Nachfrage nach
Konsumgütern auf. Durch das Sparen wird daher der volkswirtschaftliche
Kreislauf von der Warenproduktion über die Einkommensbildung zur Warennachfrage
unterbrochen, es sei denn die Ersparnisse werden sofort wieder investiert in
Sachkapital, also in Häuser und Maschinen. Dann wird die ausfallende
Konsumgüternachfrage ersetzt durch eine Investitionsgüternachfrage. Das
Sparvolumen und die Investitionsgüternachfrage müssen also einander
entsprechen; dann werden entsprechend einer Zunahme der Ersparnisse anstelle
von Konsumgütern eben Investitionsgüter produziert; der volkswirtschaftliche
Kreislauf bleibt erhalten. Der entscheidende volkswirtschaftliche Lehrsatz
lautet:
Wenn das Sparvolumen
in vollem Umfang zeitnah in Sachkapital umgewandelt,
also zur Investition
wird,
wenn
also S = I, dann
beeinträchtigt das Sparen nicht die Vollbeschäftigung.
Die Sparer investieren in der
Regel nicht selbst. Voraussetzung der Investition ist daher, daß sie das
gesparte Geld ausleihen an investitionswillige Unternehmer. Dies ist ihnen in
der Regel zu riskant; sie geben ihr Gespartes, ihr Geldkapital, lieber einer
Bank. Auch dieses ist ein Leihvorgang, denn
die Bank ist verpflichtet, das empfangene Kapital zum vereinbarten Termin an
den Sparer zurückzuzahlen. Voraussetzung der Investition der Ersparnisse in
Sachkapital ist demnach ein weiterer Leihvorgang, nämlich eine Ausleihung der
Bank an einen Unternehmer. Daran wird es nicht fehlen, denn die Banken können
ihre Kosten einschließlich ihrer Zinszahlungen an die Sparer nur decken, wenn
sie durch die Kreditgewährung an Unternehmer Zinsen verdienen können. Sie leben
von der Zinsspanne zwischen den Einlagenzinsen,
die die Sparer von ihnen erhalten und den Kreditzinsen, die sie von den
Investoren erhalten. Normalerweise werden auf beiden Seiten umso höhere Zinsen
gezahlt, je länger die Laufzeiten der von den Sparern und den Banken gewährten
Kredite sind.
Der Hang zur Liquidität und die Zinsstruktur
Trotzdem fröhnen die Sparer
gerne ihrem „Hang zur Liquidität" (Keynes), d. h. sie zögern, ihre
Ersparnisse langfristig auszuleihen. Sie bevorzugen kurzfristige Anlagen, die
ihnen jederzeitige oder bald wiederkehrende Möglichkeiten der Disposition über
ihr Vermögen offenhalten. Bei guter Konjunktur wird der Hang zur Liquidität
durch verhältnismäßig hohe Zinsen für
langfristige Ausleihungen überwunden. Nach einiger Zeit guter Einkommens‑
und Wohlstandsentwicklung drückt ein ständig steigendes Sparvolumen aber ganz
erheblich auf die Höhe der langfristigen Zinsen, wenn die Notenbank nicht schon
vorher aus Sorge vor „Überhitzung" der Konjunktur die kurzfristigen Zinsen
in die Höhe treibt und damit die langfristige Kapitalanlage für Sparer und Banken relativ unattraktiv macht.
Wenn man danach fragt, was die
Sparer veranlaßt, ihre Ersparnisse so langfristig, wie sie sie wirklich
entbehren können, auszuleihen, dann kommen zwei Dinge in den Blick:
1. Die Aussicht auf höheren Gewinn durch höhere Zinsen.
2. Die Sorge vor Verlusten durch zu erwartende
Inflationsraten.
In der modernen
Volkswirtschaftslehre beachtet man immer stärker die Veränderungen der sog. Zinsstruktur, d.h. des Abstandes
zwischen den kurz- und den langfristigen Zinsen. Normalerweise sind die
langfristigen Zinsen höher als die kurzfristigen Zinsen. Es gibt aber auch
immer wieder Zeiten, in denen sich die kurzfristigen Zinsen den langfristigen
nähern oder gar deutlich über das Niveau der langfristigen Zinsen
hinaussteigen. Wenn die Bundesbank eine solche„ inverse " Zinsstruktur längere Zeit aufrechterhält,
unterbleibt die langfristige Wiederanlage der Ersparnisse; sie werden auf
Terminkonten gehalten. Die Sparer und die Banken können dem Hang zur Liquidität
fröhnen und tun dies auch in hohem Maße.
Wenn sich das Kapital den
langfristigen Investitionen nicht mehr zur Verfügung stellt, gewissermaßen in
den Investitionsstreik tritt, dann
bricht die Nachfrage nach Investitionsgütern deutlich ein; es kommt zu
Entlassungen in der Investitonsgüterindustrie; die verringerten Einkommen der
Arbeitnehmer spiegeln sich in einer zurückgehenden Konsumnachfrage; die private Nachfrage sinkt insgesamt und
infolgedessen schrumpft auch das gesamte Angebot und die Zahl der Arbeitsplätze
immer weiter. Ein solcher kumulativer
Prozeß ist wirtschaftspolitisch nur schwer aufzuhalten.
Keynes empfahl, bei
zurückgehender privater Nachfrage
nach Konsum- und Investitionsgütern die Staatsnachfrage
auszudehnen, um den volkswirtschaflichen Kreislauf in Gang zu halten. Von
diesem Mittel kann der Staat aber nicht mehr Gebrauch machen, seit er sich bis
über die Halskrause verschuldet hat. Die Therapie von Keynes ist also heute
unbrauchbar; seine Diagnose der Ursachen der Konjunkturkrisen bleibt richtig.
Die
Motive der Sparer
Die Notenbanken sollten darauf
verzichten, inverse Zinsstrukturen herbeizuführen, und auf Mittel und Wege
sinnen, die Sparer zu veranlassen, ihren Hang
zur Liquidität zu überwinden, d.h. ihre Ersparnisse so langfristig, wie sie
sie nur irgend entbehren können, anzulegen. Eine Politik verstetigter Inflationsraten ist dafür ein sehr geeignetes
Mittel, weil die kurzfristigen Zinsen von den Inflationsraten voll aufgefressen
werden; nur noch die langfristigen Zinsen bieten die Chance einer vollen
Kompensation der Inflationsraten. Die Ersparnisbildung wird nicht darunter
leiden, daß die Inflationsraten die Zinsen ganz oder teilweise aufzehren, weil
die Sparmotive der breiten Masse sich
nicht darauf beschränken, Zinsgewinne zu erzielen. Die Ersparnisbildung ist für
jeden Einzelnen und für jede Familie zur Absicherung von Lebensrisiken und zur
Ansparung großer Anschaffungen völlig unverzichtbar.
Das Sparmotiv, hohe Zinsgewinne
zu erzielen, ist nur relevant für die ganz großen Vermögen, deren weiteres
Wachstum aber verteilungspolitisch ganz
unerwünscht ist. Es ist auch überflüssig, wenn es in einer vollbeschäftigten
Wirtschaft möglich ist, daß die breiten Volksschichten soviel sparen können,
wie sie sparen möchten. Zur Deckung des Kapitalbedarfs der Wirtschaft sind wir
dann nicht mehr darauf angewiesen, daß sich die
großen Vermögen durch Zinseszinseffekte vermehren. In einer
vollbeschäftigten Volkswirtschaft wird von den breiten Massen ausreichend
Kapital gebildet; und ein reichliches Kapitalangebot wird das Zinsniveau
insgesamt nach unten drücken, so daß viele Investitionen finanzierbar werden,
die bei einem hohen Zinsniveau unrentabel erscheinen. Dies gilt bekanntlich in
besonderem Maße für den sehr zinsempfindlichen Wohnungsbau.
Die Überwindung des Hanges zur Liquidität
Nach der Analyse von Keynes
beruhen die Konjunkturzyklen gerade darauf, daß die Zinsen nach Jahren guter
Konjunktur infolge eines reichlichen Kapitalangebots sinken und dann für sich
allein den Hang der Sparer zur Liquidität nicht mehr überwinden können. In
dieser Lage können Inflationserwartungen besonders
wichtig werden, weil sie ebenfalls
helfen, den Hang zur Liquidität zu überwinden und dadurch die langfristigen
Ausleihungen und die Investionen in Gang zu halten. Dies gilt auch dann noch,
wenn die kurzfristigen Zinsen viel niedriger sind als die Inflationsraten, so
daß die Sparer bei ihren liquiden Mitteln bereits echte Verluste erleiden. Sie
werden schon deshalb jede entbehrliche Mark in die langfristigen Anlageformen
lenken, um wenigstens einen Verlustausgleich, also den Werterhalt für ihre
Ersparnisse zu erreichen.
Heute herrscht in der
Volkswirtschaftslehre kein Streit mehr darüber, daß Inflationserwartungen die Zinsen nach oben treiben. Man
unterscheidet allgemein zwischen Nominal‑
und Realzinsen und weiß, daß die Inflation keine Ungerechtigkeiten zur
Folge hat, wenn alle Beteiligten ihre Höhe richtig voraussehen und deshalb bei
ihren Vertragsabschlüssen berücksichtigen. Schädlich und ungerecht sind nur
unvorhersehbar schwankende Inflationsraten.
Es wird noch zu wenig gesehen, daß die vom Standpunkt der Gerechtigkeit
unproblematischen, verstetigten Inflationserwartungen auch den gefährlichen
Hang zur Liquidität begrenzen. Sie sorgen dafür, daß alle Ersparnisse so
langfristig wie möglich ausgeliehen und investiert werden. Dieser Vorteil
sollte sich herumsprechen und wirtschaftspolitisch genutzt werden.
Auch das alternde Geld überwindet den Hang der Sparer zur Liquidität. Es hindert
sie nicht am Sparen, sondern nur an der Aufbewahrung von Bargeld. Sie müssen
ihre Ersparnisse verleihen und negative Zinsen ertragen, wenn sie ihr Geld den
Banken nur kurzfristig zur Verfügung stellen. Bei langfristigen Ausleihungen
haben sie aber Aussicht, ihre Ersparnisse ungeschmälert durch negative Zinsen
und vor allem ohne jeden Inflationsverlust zurückzuerhalten. Die Zinsspanne der
Banken werden die investierenden Unternehmen in Form geringer Kreditzinsen zu
tragen haben. Im Vergleich zur Politik der verstetigten Inflationsraten hat das
alternde Geld den Vorteil, daß der Geldwert von der Bundesbank stabil gehalten
werden kann. Dies erleichtert den Sparern und den Investoren ihre langfristigen
Kalkulationen ganz wesentlich.
Kaufen ‑ Leihen ‑ Schenken
Zu den
bisher geschilderten Effekten verstetigter Inflationsraten oder alternder
Geldzeichen, nämlich der Überwindung der Überlegenheit des Geldes über die Ware
und der Überwindung des Hanges zur Liquidität, kommen noch weitere Effekte
hinzu. Beide Instrumente halten den volkswirtschaftlichen Kreislauf und damit
eine ununterbrochene Dauervollbeschäftigung und Wohlstandsvermehrung in Gang;
sie führen deshalb über kontinuierlich steigende Ersparnisse nach und nach
dazu, daß die Zinsen sinken, bis die kurzfristigen „Geldanlagen" negative
und die langfristigen „Kapitalanlagen" gerade gar keine nennenswerten
Zinsen mehr haben. Wenn das Kapital aufhört, knapp zu sein, werden nicht nur
die Zinsen als Problem der Einkommensverteilung fast bedeutungslos, sondern
dann wird auch die Macht des Kapitals über die Arbeit gebrochen. Die freie
Wirtschaft wird keine kapitalistische mehr sein. Die Zinsen werden nur noch der
Allokation des Kapitals, d. h. der Lenkung in seine sinnvollste Verwendung
dienen. Dazu bedarf es nicht eines bestimmten Zinsniveaus, sondern nur einer
normalen Zinsstruktur. Vor der Überwindung des Kapitalismus muß die Bodenfrage
gelöst werden. Der Kapitalmarkt ist ein Faß ohne Boden, wenn man Kapital im
Boden anlegen kann. Solange den Bodeneigentümern die Bodenrenten privat
verbleiben, werden Kapitalanleger Boden kaufen oder genauer gesagt: sie werden
Kapital gegen Boden tauschen, wenn die Zinsen am Kapitalmarkt sinken oder die
Bodenrenten wegen zunehmender Bodenknappheit steigen. Je niedriger die Kapitalzinsen,
umso höher die Bodenpreise, weil sie sich in erster Linie an der
Kapitalisierung der Bodenrenten orientieren. Der Fluchtweg aus dem Kapitalmarkt
kann den Sparern durch eine Wegsteuerung der Bodenrenten verleidet werden. Die
Bodenpreise werden dann auf Null sinken, weil nur noch Bodennutzer, aber nicht
mehr reine Kapitalanleger Interesse am Bodeneigentum haben werden, wenn die
Bodenrente abgeführt werden muß ‑ egal, ob sie auf dem einzelnen
Grundstück erwirtschaftet worden ist oder nicht. Kein Grundstück wird mehr
ungenutzt bleiben, und es wird kein Kapitalgut mehr sein.
Diese
Steuerreform muß kommen, weil ohne sie der Boden bei sinkenden Kapitalzinsen
wirtschaftlich unverkäuflich wird; die Ertragswerte, d.h. die Kapitalwerte
aller Grundstücke gehen gegen Unendlich, wenn die Kapitalzinsen gegen Null
gehen. Der Boden ist dann das einzige rententragende
Gut und wird dann nur noch vererbt. Durch die Überwindung des Kapitalismus
fiele die Gesellschaft zurück in den Feudalismus. Der zunehmende Immobilismus
des Bodenmarktes wäre mit den Flexibilitätsbedürfnissen einer modernen
arbeitsteiligen Weltwirtschaft völlig unvereinbar. Der sanfte Tod des Rentners, den Keynes für möglich gehalten hat, weil
er die Möglichkeit allmählich sinkender Kapitalzinsen ins Auge faßte, muß also
durch eine schrittweise Reform der
Bodenbesteuerung rechtzeitig vorher auch für den Bodenrentner eingeleitet
werden. Mit dem Verschwinden der Kapital‑ und Bodenrenten wird die private Einkommens‑ und
Vermögensverteilung viel gleichmäßiger werden.
Schenkungsgeld und die Zukunft der Arbeit
Wenn sich das Kapital nicht
mehr im Boden „stauen" (Steiner) kann, wird der Kapitalmarkt kein Faß ohne
Boden mehr sein. Als Wirkung der Trennung
des Kapitalmarktes vom Bodenmarkt werden bei ständig zunehmenden
Ersparnissen die Zinsen rascher sinken, als wir uns dies aufgrund unserer
bisherigen Wirtschaftserfahrung vorstellen können. Der entstehende Kapitalüberfluß wird das Kapitalmarktfaß
zum Überlaufen bringen und weiterströmen
als Schenkungsgeld. Denn wer zur Abdeckung seiner persönlichen
Lebensrisiken und der seiner Familie genug gespart hat, wird dann entweder sein
Einkommen verringern, indem er weniger arbeitet, oder den nicht konsumierten
Teil des Einkommens verschenken. Nicht nur der Konsum des Einzelnen wird von
ihm selbst irgendwann durch feste Gewohnheiten begrenzt, auch sein Sparen, wenn
es keinen Zinseszins mehr bringt. Dies wird wirklich erst der Fall sein, wenn
der Kapitalbedarf der Wirtschaft gedeckt ist; solange er noch nicht gedeckt
ist, saugen positive Zinsen alle Einkommensüberschüsse in die Kapitalsphäre.
„Schenkungsgeld" kann es
also erst in großem Maße geben, wenn der Kapitalbedarf der Wirtschaft gedeckt
ist, was sich am Absinken der langfristigen Zinsen auf den Bereich von Null
Prozent für sichere langfristige Kapitalanlagen ablesen lassen wird. Ökonomisch
gilt:
Die Begrenzung des Konsums ist Voraussetzung des Sparens;
die Begrenzung des Sparens ist Voraussetzung des Schenkens.
Die freiheitliche Finanzierung der Kultur durch persönliche Schenkungen vieler Bürger wird sich erst entfalten,
wenn die kapitalistische Zinswirtschaft überwunden sein wird durch verstetigte
Inflationsraten oder irgendeine Form des Alterns des Geldes. Mit steigendem
Spendenvolumen werden immer mehr Menschen eine Beschäftigung in Einrichtungen
des Kulturlebens und der Fürsorge für andere finden. Die Wirtschaft braucht
dann nicht mehr zu wachsen, um Vollbeschäftigung zu gewährleisten, weil sich
außerhalb der Wirtschaft neue Berufsfelder so stark entwickeln werden, wie dies
ein steigender Strom von Schenkungen zuläßt. Diese Prozesse einzuleiten, ist es
höchste Zeit!
Der wirtschaftlich‑technische
Produktivitätsfortschritt wird auch künftig immer mehr Menschen von
wirtschaftlicher Tätigkeit freistellen für kulturelle und soziale Tätigkeiten.
Heute landen die Freigestellten in der Arbeitslosigkeit,
weil der an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten gelangte Staat
sie in den Feldern berechtigterweise unbegrenzten Bedarfs ‑ in den
Schulen und Universitäten, in den freien Künsten und sozialen Diensten ‑
nicht mehr durch die Bereitstellung zusätzlicher Arbeitsplätze aufnehmen kann.
Diese Bereiche werden nur noch unabhängig vom staatlichen Subventionstropf
wachsen können. Die Ströme der Einkommensbildung und ‑verwendung der
Privaten müssen gründlich verändert werden, wenn die ständig wohlstandsmehrende
Kraft unserer modernen Wirtschaftsweise nicht in unerträgliche soziale
Sackgassen führen soll. Zum volkswirtschaftlichen Kreislauf gehören das Kaufen,
das Leihen und das Schenken. Alle
drei Formen der Einkommens‑ und Geldverwendung gehören für die
Kreislaufbetrachtung zusammen.
Der Weg aus den Sackgassen
unserer Geld‑ und Bodenordnung in eine positive wirtschaftliche Zukunft
ist noch weit. Der ewige Pfennig hindert die
störungsfreie Entfaltung der Güterwirtschaft auf den Konsum‑ und den
Investitionsmärkten. Nur ein alterndes
Geld ist güterwirtschaftlich neutral und beendet die unheilvolle
Zinseszinsspirale durch Überleitung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte in die
Kulturfinanzierung. ‑ Viele Denkgewohnheiten müssen geopfert werden. Aber
die Erkenntnisse, die die Volkswirtschaftslehre im Laufe dieses Jahrhunderts
nach, aber unabhängig von Silvio Gesells und Rudolf Steiners Hinweisen errungen
hat, erleichtern sehr das Verständnis dessen, worauf sie hinweisen wollten. Es
lohnt sich beides gleichzeitig zu studieren. Aber der beste Lehrmeister ist das
immer wiederholte, vorurteilsfreie Beobachten der wirtschaftlichen Phänomene
und ruhiges eigenes Nachdenken.
(1) Dies ist eine überarbeitete
und ergänzte Fassung des Aufsatzes „Warum soll das Geld altern?", der im
Juni 1994 in der Zeitschrift „info 3" erschienen ist.
(2) Dem aufmerksamen Leser dieser Zeitschrift wird
nicht entgehen, daß dieses Kapitel bereits vor drei Jahren im Heft 216 als
selbständiger Aufsatz gleichen Titels erschienen ist. Der Text wurde nochmals
überarbeitet und in den größeren Zusammenhang dieses Aufsatzes eingebaut. - Der
Verfasser.