Seminar für freiheitliche Ordnung
Fragen der Freiheit
Heft 234, Juni 1995
Bad Boll
ISSN 0015-928 X
Seite 19 – 38
Läßt sich der Geldumlauf durch eine dosierte Inflation
sichern?
Kritische
Gedanken zum Vorschlag einer »Zwischenlösung« (*)
Helmut Creutz
„Mit der Inflation kann man keine Kompromisse
schließen ‑ wenn man ihr den kleinen Finger reicht, ergreift sie die
ganze Hand ‑ und wenn man mit ihr flirtet, so wird man schließlich von
ihr geheiratet.“
Otmar Emminger, 1979
Die von Silvio Gesell ausgegangene
Geldreformbewegung ist vor rund 100 Jahren mit einem Forderungsbündel
angetreten, das damals nur verständnisloses Kopfschütteln auslöste. Zu diesen
Forderungen gehörten die Entkoppelung von Geld und Gold, das Verbot der
privaten Notenemission, die Freigabe der Wechselkurse, die Steuerung der
Geldmenge sowie der Abbau der Zölle und sogar der Grenzen zwischen den Ländern.
Die sicherlich entscheidendste Forderung aber war die nach einer
Kaufkraftstabilisierung des Geldes und einer Senkung der Zinsen mittels
„rostender Banknoten“.
Blickt man heute auf diesen
Zielkatalog zurück, kann man feststellen, daß die meisten Forderungen entweder
erfüllt oder in ihrer Erfüllung begriffen sind: Die Golddeckung bzw. ‑bindung
ist praktisch kein Thema mehr, ebensowenig die Geldemission durch Privatbanken.
Die festgeschriebenen Wechselkurse mußten dem Druck der Märkte weichen. Zölle
und Grenzen sind zunehmend im Abbau, zumindest innerhalb der großen
Industrieregionen. Die Forderung nach Steuerung der Geldmenge wurde von fast
allen Notenbanken aufgegriffen. Die Gefährlichkeit auch geringer
Inflationsraten wurde immer klarer erkannt und die Kaufkraftstabilität des
Geldes zum wichtigsten Ziel fast aller Notenbanken erhoben. Was noch fehlt, ist
die Erkenntnis, daß diese Kaufkraftstabilität nur erreicht werden kann, wenn
man nicht nur die Menge des Geldes,
sondern auch seinen Umlauf in den
Griff bekommt.
Aufgrund ihrer bisherigen
Erfolge wäre es für die Geldreformbewegung naheliegend, sich nun mit ganzer
Kraft für die Einführung einer Geldumlaufsicherung als letzten entscheidenden
Schritt zur Stabilisierung unserer Währungen einzusetzen. Stattdessen wird
jetzt in ihren Reihen ein Modell zur Diskussion gestellt, das das genaue
Gegenteil von Kaufkraftstabilität beinhaltet, nämlich eine ständige Inflation
auf gleichbleibender Höhe. Es ist schwer einsehbar, warum ausgerechnet die
Vorbereiter der bisherigen Reformen hinter den inzwischen von der offiziellen
Währungspolitik erreichten Erkenntnisstand zurückfallen sollten.
Mit der hier kritisierten
dosierten Inflation wäre es zwar möglich, den Geldumlauf zu verstetigen und die
realen Zinsen unter Druck zu setzen wenn sie denn wirklich mit der nötigen
Exaktheit dosierbar wäre. Und eine gleichbleibend hohe Inflation wäre auch besser
als eine ständig schwankende, so wie ein gleichbleibend hohes Fieber besser ist
als ein schwankendes. Aber so wie jedes Dauerfieber, auch ein gleichbleibend
hohes, den biologischen Organismus zerstört, so zerrüttet eine Dauerinflation
Wirtschaft und Gesellschaft.
Was war
und ist das Ziel der Umlaufsicherung?
Daß Geld einer Umlaufsicherung
bedarf, ist unumstritten. Die Mittel, die heute für diesen Umlauf sorgen, sind
Zins und Inflation. Da deren Höhe jedoch ständig schwankt, ist auch der von
ihnen ausgehende Umlaufsicherungseffekt ein schwankender: Bei sinkenden Zins‑
und Inflationssätzen ‑ so wünschenswert sie für die Wirtschaft sind ‑
läßt ihre Wirkung nach. In der bestehenden Geldordnung ist es also nahehegend,
die Stabilisierung des Geldkreislaufs durch gleichbleibend hohe Zins- bzw.
Inflationssätze gewährleisten zu wollen. Da jedoch hohe Zins‑ und
Inflationsraten mit negativen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden
sind, ist dieser Lösungsweg nicht nur fragwürdig, sondern letztlich destruktiv.
Als konstruktiv könnte dagegen eine Umlaufsicherung bezeichnet werden, die
nicht nur die Steuerung der Geldmenge ermöglicht, sondern durch eine wirksame
Kontrolle des Geldumlaufs auch eine Überwindung der Inflationen wie der ständig
im positiven Bereich verbleibenden Zinsen erreicht.
Genau dieses Ziel wurde von Gesell mit seinem »rostenden Geld« wie später von Keynes
mit seinen »carrying costs« (Gelddurchhaltekosten)
und bislang auch von der Mehrzahl der heutigen Geldreformer angestrebt. Daß im
Gegensatz dazu nun eine gleichbleibend hohe Inflation als Umlaufsicherung ins
Gespräch gebracht wird, resultiert vor allem aus der Annahme, diese als
„zweitbester Weg“ bezeichnete Lösung sei politisch leichter durchsetzbar.
Vereinzelt wird sogar eine gleichbleibend hohe Dauerinflation als Ideallösung
angesehen, da ihre Wirkung dem von Gesell
geforderten »rostenden Geld« entspräche.
Dabei wird offensichtlich vergessen, daß sich dieser zugegebenermaßen auf den
ersten Blick verwirrende Begriff vom rostenden Geld nur auf die außerhalb des
Kreislaufs gehaltenen Geldbestände bezieht, während die Stabilität der Währung
und die Kaufkraft der Ersparnisse gerade erhalten und keinesfalls inflationär
verwässert werden soll.
Außerdem wird verdrängt, daß
selbst Notenbanker Inflationen inzwischen als Betrug und stabiles Geld als die
Grundlage stabiler Gesellschaften bezeichnen: »Demokratie setzt, wenn sie funktionsfähig bleiben soll, eine stabile
Währung voraus. Nur bei stabilem Preisniveau lassen sich nämlich die
Verteilungsprobleme in der Wirtschaft sinnvoll lösen und die Staatsausgaben in
vernünftigem Rahmen halten.« So der frühere Schweizerische
Notenbankpräsident Fritz Leutwiler in
seiner Abschiedsrede vor der Vollversammlung der Nationalbank am 27. April
1984, die in den von der Bundesbank herausgegebenen »Auszügen aus Presseartikeln« wiedergegeben wurde.
Außer der leichteren
politischen Durchsetzbarkeit wird von Befürwortern einer dosierten Inflation
auch eine weltanschaulich‑psychologische Begründung angeführt: Demnach offenbare
eine Forderung nach Kaufkraftstabilität die Haltung des »Habenwollens« und damit die mangelnde Bereitschaft zum Verzicht
und zum »Sein« (Erich Fromm). Mit der
Zustimmung zu einer dosierten Dauerinflation käme dagegen eine Bereitschaft zum
Ausdruck, Geld auch loszulassen, seine Vergänglichkeit anzuerkennen und es als
Mittel zum »Sein« ohne
Vermehrungsabsicht zu nutzen.
Auch hier wird offensichtlich
übersehen, daß gerade mit der angestrebten konstruktiven Umlaufsicherung und
der damit erreichbaren Neutralisierung dem Geld die Möglichkeit genommen werden
soll, es weiterhin mit der Absicht der Vermehrung zu nutzen. Außerdem wird mit
dem »rostenden« oder »alternden Geld« die Vergänglichkeit der
Geldzeichen bereits zum Ausdruck gebracht. Das Streben nach einer
Kaufkraftstabilität der Währung ist deshalb kein Indiz für Habenwollen, sondern
Ausdruck des Wunsches, das wirtschaftliche Sein der Menschen in Gegenwart und
Zukunft auf die Grundlage von Vertrauen und Verläßlichkeit zu stellen.
Wie
hoch müßte eine »dosierte Inflation« sein?
Eine wirksame
Geldumlaufsicherung müßte so bemessen sein, daß sie das Geld unabhängig von den
Schwankungen der Zins‑ und Inflationssätze gleichmäßg in Umlauf hält. Das
heißt, sie müßte mindestens so hoch sein wie jener Zins, bei dem die Besitzer
von Geldüberschüssen mit deren Freigabe zu zögern beginnen.
In der Theorie geht man im
allgemeinen davon aus, daß es erst bei einem auf zweieinhalb bis drei Prozent
abgesunkenen Zins zu Geldzurückhaltungen kommt. Betrachtet man jedoch die
Gegebenheiten in der Bundesrepublik, dann zeigt sich, daß diese Zurückhaltungen
bei den marktbestimmenden Kapitalmarktzinsen bereits bei sechs Prozent
einsetzen.
Selbst bei Inflationen um Null,
wie in den Jahren 1986 und 1987, wurde diese Grenze mit
Jahresdurchschnittswerten von 5,8 bzw. 5,9 Prozent nur geringfügig
unterschritten. Will man also diese heutige »magische Untergrenze« der
Kapitalmarktzinsen von sechs Prozent nach unten durchbrechen, müßte die
Umlaufsicherung mindestens bei dieser Höhe liegen, um einen ausreichenden Druck
auf die weitere Geldfreigabe auszuüben. Deshalb wird bei den nachfolgenden
Überlegungen und Berechnungen von einer dosierten Dauerinflation von sechs
Prozent ausgegangen.
Was
bedeutet eine dauernde Kürzung des Geldmaßstabes?
Man
stelle sich einmal vor, der Meter, das entscheidende Längenmaß in der
Wirtschaft, würde jedes Jahr um 6 Prozent gekürzt. Selbst wenn diese Kürzungen
an festgelegten Tagen vorgenommen würden, z.B. an jedem ersten Januar oder auf
vier Termine im Jahr verteilt, wäre die Konfusion in der Wirtschaft kaum
nachzuvollziehen: Die heute produzierten Fenster würden nicht mehr in die
gestern gemauerten Öffnungen passen. Und um Pannen zu vermeiden, müßten alle
alten Längen ständig in neue umgerechnet bzw. mit entsprechenden Vermerken
versehen werden, wie z. B. »in Längen von
1992« oder »entsprechend einem Meter
im Frühjahr 1988« usw.
Genau
diese Schwierigkeiten, Größen von gestern, heute und morgen zu vergleichen,
treten bei Inflationen auf. Selbst wenn sie Jahr für Jahr auf gleichbleibender
Höhe gehalten werden können, wäre das Marktgeschehen durch ständige
Preiserhöhungen und Umrechnungen mit der Folge ständiger Verunsicherungen
belastet. Deshalb sollte anzustrebendes Ziel jeder Geldumlaufsicherung sein und
bleiben, dem wichtigsten und meistgenutzten Maßstab in unserer Wirtschaft, dem
Geld, eine möglichst ähnliche Stabilität zu verschaffen, wie sie bei den
anderen Maßeinheiten schon lange selbstverständlich ist.
Auswirkungen von Inflationen auf die Zinshöhe
Inflationen begünstigen die
Kreditnehmer, weil diese das Geliehene mit vermindertem Wert zurückgeben
können. Dieser Vorteil der Kreditnehmer schlägt als Nachteil für die
Kreditgeber mit gleichhohen Kaufkraftverlusten ihrer Ersparnisse zu Buche. Zur
Vermeidung dieser Verluste fordern sie bei der Geldhergabe entsprechend höhere
Zinsen.
Inflationen führen also zu
einem Anstieg der Zinssätze. Dieser Anstieg ist aus der Sicht des Gläubiger‑Schuldner‑Verhältnisses
zweifellos gerechtfertigt. Berücksichtigt man jedoch, daß die Zinsbedienungen
für wirtschaftlich eingesetzte Kredite als Fremdkapitalkosten in die
Kalkulationen eingehen, dann wird deutlich, daß diese Zinserhöhungen, mit denen
die Kaufkraft der Geldvermögen gesichert wird, letztlich von den
Endverbrauchern gezahlt werden müssen. Schon dieser Tatbestand sollte
eigentlich Grund genug sein, eine Geldumlaufsicherung durch Inflation
abzulehnen. Denn mit welchem Recht werden hier die Folgen staatlichen Versagens
den Arbeitleistenden zugunsten der Geldbesitzer auferlegt?
Können die inflationsbedingten Nachteile der
Endverbraucher durch Lohnanpassungen ausgeglichen werden?
Ein
inflationsbedingt steigendes Preisniveau kann zwar vordergründig durch Lohnanhebungen
in gleicher Höhe ausgeglichen werden. Aber die Folgen der Zinsanstiege lassen
sich damit kaum auffangen. Ein Beispiel soll das verdeutlichen:
Wenn
ein Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 50 000 DM eine Neubauwohnung im
Wert von 200 000 Mark mietet, dann steckt, bei einer Realverzinsung des
Anlagekapitals von vier Prozent, in der Jahresmiete eine zu tragende Zinslast
von 8 000 Mark. Erhöht sich der Zinssatz jedoch aufgrund einer sechsprozentigen
Inflation von vier auf zehn Prozent, steigt die mit der Miete zu tragende
jährliche Zinslast von 8 000 auf 20 000 DM an, also um 12 000 Mark. Die
Anpassung seines Jahreseinkommens von 50 000 Mark an die sechsprozentige
Inflation ergibt jedoch nur eine Einkommenssteigerung von 3 000 Mark. Das heißt,
der inflationsbedingte Kostenanstieg ist allein für das Wohnen bereits viermal
so hoch wie der Lohnausgleich, den der Mieter erhält.
Die
naheliegende Vermutung, daß die extreme Mieterhöhung als Folge des
inflationsbedingten Zinssatzanstiegs nur ein einmaliger Vorgang ist und diese
Mehrbelastung durch die laufenden Lohnerhöhungen nach einigen Jahren
ausgeglichen wird, trifft bei einer Dauerinflation nicht zu. Diese
nachfolgenden Lohnerhöhungen gleichen nämlich nur die ebenfalls regelmäßig
nachfolgenden allgemeinen Preisanstiege aus, die selbstverständlich auch die
Bau‑ wie Wohnungsnutzungskosten erhöhen. Jede inflationsbedingte
Zinserhöhung verstärkt also die Umverteilung von der Arbeit zum Besitz ‑
bei einer kurzzeitigen Inflation vorübergehend, bei einer Dauerinflation
permanent‑, selbst wenn mit ihr nach und nach die Realzinsen sinken
sollten.
Läßt sich die Beispielrechnung auch auf der
Makroebene nachvollziehen?
Das Bruttosozialprodukt lag
1993 in Westdeutschland bei 2.840 Mrd. DM, das verfügbare Einkommen der
Haushalte bei 1.780 Mrd. DM, der Bestand der Geldvermögen bei 5.700 und der
Schulden bei 5.200 Mrd. DM.
Addiert man die Schulden mit dem wirtschaftlich eingesetzten unverschuldeten Sachvermögen einschließlich des Bodens, dann kommt man auf ein Gesamtkapital von etwa 11.000 Mrd. DM. Das aber heißt, daß dem Sozialprodukt inzwischen eine rund viermal so hohe zu verzinsende Kapitalmasse gegenübersteht. Gemessen an den verfügbaren Einkommen, mit denen über Preise, Steuern und Gebühren das Gros aller Zinsen gezahlt werden muß, ist sie rund sechsmal so hoch. Entsprechend kann mit einer Erhöhung der Arbeitseinkommen um den Inflationssatz jeweils auch nur ein Bruchteil der inflationsbedingt gestiegenen Zinsanteile in allen Preisen ausgeglichen werden.
Selbst wenn man bei dem
gesamtwirtschaftlichen Vergleich nur die Verzinsung der Schulden in Höhe von
5.200 Mrd. DM heranzieht, schlägt deren inflationsbedingte Erhöhung um sechs
Prozent mit mehr als 300 Mrd. DM zu Buche. Die sechsprozentige Anhebung der verfügbaren
Haushaltseinkommen ergibt aber nur gut 100 Mrd. DM.
Ist der inflationsbedingte Zinskostenauftrieb nur von kürzerer oder
mittlerer Dauer ?
Den Einwänden gegen eine
Dauerinflation wird häufig entgegengehalten, daß es dabei nur im Anfang zu erhöhten
realen Zinslasten käme. Diese anfänglich höheren Belastungen würden jedoch
später durch abnehmende Zinslasten bzw. durch den Vorteil einer Tilgung mit
minderwertigerem Geld ausgeglichen.
Zur besseren Klärung dieser
Zusammenhänge werden in der Darstellung 1 die Wirkungen einer Dauerinflation an
einem Einzelbeispiel aufgezeigt. Angenommen wird ein Privathaushalt mit einem
verfügbaren Einkommen von 50 TDM und einer Verschuldung von 150 TDM, die bei
einer stabilen Währung mit vier Prozent zu verzinsen ist. Unter diesen
Voraussetzungen hat der Haushalt im Ausgangsjahr eine Zinslast von 6 TDM = 12
Prozent des Einkommens zu tragen.
In den nachfolgenden drei Jahren
wird nun in drei Stufen von zwei, vier und sechs Prozent eine dosierte
Inflation eingeführt. Als Folge davon steigen die Zinssätze von bisher vier
Prozent über sechs und acht auf zehn Prozent an, die jährlichen Belastungen von
6 TDM über 9 und 12 auf 15 TDM, also auf das zweieinhalbfache. Obwohl im
Gleichschritt mit der Inflationseinführung von Jahr zu Jahr auch die Einkommen
angehoben werden, fällt - wie aus der prozentualen Verteilungsaufschlüsselung
in der Darstellung hervorgeht ‑ das verfügbare Einkommen nach Abzug der
Zinsleistung von anfangs 88 Prozent im vierten Jahr auf 73 Prozent, also um ein
Sechstel.
Zu
welchen Problemen solche inflationsbedingten Einkommenseinbrüche in der Praxis
führen, zeigt die ihnen jeweils folgende Eskalation der Konkurse und
Zwangsversteigerungen. Doch während es hier – aufgrund des nachfolgenden
Inflationsabbaus ‑ anschließend wieder zu einer Entspannung kommt,
bleiben bei einer Dauerinflation die erhöhten Zinslasten bestehen, in unserem
Beispiel bei 15 TDM. Aufgrund der ständigen Einkommenserhöhungen gehen diese
Zinslasten zwar relativ von Jahr zu Jahr zurück. Trotzdem dauert es ‑ wie
aus der Tabelle ersichtlich ‑ rund 18 Jahre, bis sich der Zinsendienst
wieder auf die anfänglichen 12 Prozent des Einkommens abbaut. Erst dann (also
nur bei entsprechend lange laufenden Krediten!), beginnt die Zinsbelastung den
ursprünglichen Anteil zu unterschreiten. Die Frage ist nur, ob diese späte
Entlastung für die anfangs deutlich erhöhte Belastung überhaupt noch ein
Ausgleich sein kann. Denn da Kreditnehmer im allgemeinen knapp bei Kasse sind
(sonst würden sie ja kein Geld aufnehmen!), trifft sie eine anfangs höhere
Belastung wesentlich stärker als eine später verringerte ‑ sofern sie die
Zwischenzeit überhaupt überleben. Als Folge dieses Tatbestandes wird die
Aufnahme von Krediten bei Inflationen erheblich erschwert bzw. der Investor zu
zusätzlichen Verschuldungen gezwungen.
Entspricht das dargestellte Schemabeispiel der
Wirklichkeit?
Rechnet
man die Gesamtverschuldung als Durchschnittswert auf die verfügbaren Einkommen
der westdeutschen Haushalte bzw. Erwerbstätigen um, ergibt sich in etwa die
gleiche Relation von 1:3 wie in unserem Beispiel. Trotzdem ist dieses Beispiel
auf die Wirklichkeit nicht übertragbar, weil es von einer gleichbleibenden
Schuldenhöhe ausgeht, während in der Realität die zu bedienende Schuldenmasse
ständig größer wird, und zwar rascher als das Sozialprodukt und die verfügbaren
Einkommen. So nahmen die verfügbaren westdeutschen Haushaltseinkommen z. B. in der
Zeit von 1980 bis 1992 im Jahresdurchschnitt nominal um fünf Prozent zu, die
Verschuldungen jedoch um sieben und die Geldvermögen um 7,5 Prozent. Das heißt,
bei einer Dauerinflation bauen sich die tatsächlichen Schuldenzinsbelastungen
nicht langsam ab, sondern sie nehmen ‑ ausgehend von dem
inflationsbedingt erhöhten Niveau ‑ ständig zu. Geht man bei einer
sechsprozentigen Inflation von einem nominalen Schuldenwachstum von nur acht
Prozent aus, würde ‑ wie die zusätzliche Eintragung in der Darstellung 1
zeigt ‑ nach 18 Jahren die Verteilung zwischen Zinslast und verbleibendem
Einkommen nicht bei 12:88, sondern bei 43:57 liegen. Die mit diesem
Schuldenanstieg zunehmenden Einkommensverschiebungen können zwar – falls noch
vertretbar ‑ durch ständiges Wirtschaftswachstum und ‑ falls
möglich ‑ durch Abbau der Realzinsen gemildert werden. Doch selbst wenn
damit die Einkommensentwicklung im Gleichschritt mit den Geldvermögen und
Schulden gesteigert werden könnte, hätte die Dauerinflation, aufgrund ihres
höheren Zinsanteil‑Niveaus, eine ständig erhöhte Belastung der von Arbeit
lebenden Bevölkerung zur Folge.
Verstärkt
der Zinskostenauftrieb die Inflation?
Von dem inflationsbedingten
Zinsauftrieb geht zweifellos ein zusätzlicher Druck auf die Preisbildung aus. Dieser
Druck ist auch einer der Gründe, warum sich Inflationsentwicklungen meist
selbst verstärken. In vollem Umfang preiswirksam würden diese Zinsanstiege
jedoch nur, wenn die Notenbanken die Mehransprüche des Geldkapitals mit einer
entsprechenden Ausweitung der Geldmenge unterfüttern und die Arbeitseinkommen
auf dem alten Anteilsstand halten würden. Damit aber würde sich die Inflation
immer rascher hochschaukeln. Will man das vermeiden und die Inflation auf sechs
Prozent halten, muß also die Notenbank auf die Geldbremse treten und damit,
zugunsten der Geldbesitzer, die Rückgänge der Arbeitseinkommen hinnehmen. Diese
Einkommensrückgänge wirken sich zuerst einmal auf die Gewinne der Unternehmen
aus, vor allem auf die der hochverschuldeten. Auch wenn es den Unternehmen mit
Verzögerung gelingt, die zusätzlichen Belastungen durch Preiserhöhung,
Entlassungen oder Lohnkürzungen an die Endverbraucher weiterzugeben, sind diese
Gewinneinbrüche Hauptauslöser der jedem Inflationsanstieg folgenden Krise
(siehe dazu H. Creutz, Gefahr für den
Standort Deutschland ‑ sind die Lohnkosten zu hoch. ? in: ZfSÖ Nr.
100/1994, S. 3‑12).
»Die gegenwärtige Rezession ist... letztlich die Folge eines Konflikts um
die Einkommensverteilung, für den die Geldpolitik den Ausweg über Inflation
nicht zuließ«, bestätigte Helmut
Schlesinger am 2.6.1993 in einem Vortrag mit einem Zitat aus dem
Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute
(abgedruckt in den von der Bundesbank laufend veröffentlichten »Auszügen aus Presseartikeln«).
Inflationsbedingte Probleme bei der Abschreibung
Nicht nur im
volkswirtschaftlichen Bereich sind Inflationen problematisch, sondern auch im betriebswirtschaftlichen.
So unterliegen z. B. alle in der Wirtschaft eingesetzten Sachgüter dem
Verschleiß, weshalb zu ihrer Erneuerung bzw. Ersatzbeschaffung laufend
Rücklagen gebildet werden müssen. Diese Rücklagen werden über Abschreibungen
gebildet, verteilt auf die jeweilige Nutzungszeit der Sachanlage, die in die
Produkt‑ bzw. Dienstleistungspreise eingehen. Geht man von einer
Nutzungsdauer von 10 Jahren aus ‑ wie bei vielen Maschinen oder
Fahrzeugen der Fall ‑ dann muß für die Rücklage jedes Jahr ein Zehntel
der Anschaffungskosten über die Marktpreise erwirtschaftet werden. Handelt es
sich um ein Wohngebäude mit hundertjähriger Nutzung, liegt die Abschreibung p.
a. nur hei einem Prozent der Anschaffungskosten.
Diese einfache
Abschreibungsregelung macht jedoch bei Inflationen nicht nur ständige
komplizierte Umrechnungen erforderlich, sondern führt auch zu irrealen Größen.
Beträgt beispielsweise der ursprüngliche Anschaffungswert eines Sachgutes 1
Million DM, dann wäre bei einer Inflation von sechs Prozent nach zehn Jahren
eine Rücklage von 1,8 Millionen DM zur Wiederbeschaffung erforderlich, nach
einer 50jährigen Nutzungszeit eine Rücklage von 18 Millionen und nach 100
Jahren ‑ wie bei einem Wohngebäude ‑ sogar von 339 Millionen! Bei
einer normalen Abschreibung von einem Prozent p. a. könnte man also mit der so
geschaffenen Rücklage von einer Million noch nicht einmal das Fundament für das
Ersatzgebäude finanzieren
Will man die zur
Ersatzbeschaffung erforderlichen 339 Millionen ansammeln, müßte man einmal den
Abschreibungsbetrag von Jahr zu Jahr um die Inflationsquote erhöhen. Darüber
hinaus müßten die sich ansammelnden Rücklagen, mit denen das Sachvermögen
Schritt für Schritt wieder in Geldvermögen verwandelt wird, ständig mit einem
zusätzlichen Aufschlag von sechs Prozent verzinst werden. Diese Bedingungen
dürften selbst bei einer halbwegs gleichbleibend hohen Inflation kaum präzise
erfüll‑ und kontrollierbar sein.
Inflationsbedingte Komplikationen bei der Verkehrswertberechnung
Nicht nur bei Abschreibungen,
sondern auch bei den Berechnungen der Tages‑ bzw. Verkehrswerte der
laufend abgeschriebenen Sachgüter ergeben sich bei einer Dauerinflation
Probleme. Denn um diese Tageswerte zu ermitteln, die z. B. bei jedem Verkauf
eines langlebigen Sachgutes bekannt sein müssen, muß man den um die
Abschreibung gekürzten realen Restwert um die zwischenzeitlichen
Kaufkraftverluste hochrechnen.
Liegt der Inflationssatz unter der jährlichen Abschreibung,
sinken die nominellen Tageswerte lediglich anfangs langsamer als die realen.
Liegt der Inflationssatz dagegen über der
Abschreibung, wie bei länger nutzbaren Sachgütern der Fall, dann steigen die
Tageswerte ‑ trotz Alterung und Abnutzung ‑ über den
Anschaffungswert immer mehr hinaus. um am Ende um so steiler gegen Null zu
fallen. Denn nach der völligen Abnutzung hat auch bei der höchsten Inflation
kein Sachgut mehr einen Wert.
Schon bei einer Inflation von
drei Prozent steigt beispielsweise der Tageswert eines Wohngebäudes
zwischenzeitlich bis auf das zweieinhalbfache des Ausgangswertes, wie aus der
Darstellung 2 ersichtlich. Fast schon irreal sind die Anstiege des
Verkehrswertes bei einer Inflation von sechs Prozent: Nach 40 Jahren hat der
Tageswert bereits 4 Millionen erreicht, nach 80 Jahren sogar 21 Millionen. Erst
danach bricht der inflationsbedingte Preisauftrieb zusammen. Das heißt konkret:
Wer bei einer Dauerinflation von sechs Prozent ein Wohngebäude, dessen
Anschaffung eine Million DM gekostet hat, z. B. nach 80 Jahren verkauft, erhält
einen Betrag von rund 21 Millionen DM, obwohl der Realwert des Gebäudes durch
Alterung und Abnutzung auf ein Fünftel gefallen ist!
Welche Folgen haben solche inflationsbedingten Verkehrswertveränderungen?
Nominelle Preisanstiege im
Rahmen der genannten Größenordnungen führen allzuleicht zu falschen
Vorstellungen von Spekulationsgewinnen oder Reichtumsentwicklungen. Dabei
erhält der Hausverkäufer nach 80 Jahren mit den 21 Millionen in Wirklichkeit
nur den realen und sachlich gerechtfertigten Gebäude‑Restwert von 200.000
DM, der durch die Dauerinflation von sechs Prozent lediglich auf jenen
zweistelligen Millionenbetrag »aufgeblasen« wurde.
Problematisch sind vor allem
aber auch die Folgen für die Mieter eines solchen verkauften Wohngebäudes. Denn
während der Erbauer und Verkäufer bei seiner Mietberechnung im allgemeinen die
Verzinsung des von ihm aufgewandten Investitionsbetrags von einer Million
zugrundelegt, muß der Erwerber zwangsläufig von dem Betrag ausgehen, den er für
den Kauf aufgewendet hat. Dieser erreicht aber bereits nach 20 Jahren eine Höhe
von 2,5 Millionen und nach 40 Jahren von gut sechs Millionen, wie aus der
Darstellung 2 ersichtlich ist. Bedenkt man, daß die Mieten überwiegend aus der
Kapitalverzinsung bestehen, werden die sich durch den Verkauf ergebenden gravierenden
Mieterhöhungen von den Mietern allzuleicht als Willkür, Ungerechtigkeit oder
gar Ausbeutung empfunden. Dasselbe ist der Fall, wenn ihnen ihre Wohnungen
unter Zugrundelegung des Tagespreises zum Kauf angeboten werden.
Vermeiden lassen sich diese
verkaufsbedingten Kosten‑ und Mietensprünge nur, wenn alle Vermieter ‑
was sachlich richtig, aber nicht üblich und bei den Sozialwohnungen sogar
untersagt ist ‑ bei der Mietberechnung von den jeweils gültigen und von
Jahr zu Jahr steigenden Tageswerten ausgehen.
Die oft irrealen Mietdifferenzen bei vergleichbaren Wohnungen, die
daraus resultierenden Spannungen zwischen den Vertragsparteien, aber auch die
Störungen des Wohnungsmarktes können darum zum größten Teil als Folgen der
inflationsbedingten Tageswert‑ und Mietpreisverzerrungen bzw. ihrer
Anpassungsschwierigkeiten gesehen werden. Dies gilt auch für die Berechnungen
der öffentlichen Gebühren, deren Klärung inzwischen schon vor den Gerichten mit
einem großen Aufgebot von Gutachtern und Gegengutachtern betrieben wird. Der
Normalbürger verliert dabei zunehmend den Überblick und glaubt oft betrogen zu
werden, wo es gar nicht der Fall ist. Und er wird an anderen Stellen betrogen,
ohne es zu merken oder sich dagegen wehren zu können.
Andere Auswirkungen inflationsbedingter Zinserhöhungen
Wer Investitionen mit Krediten
tätigt, maß mit seinen Einnahmen auch deren Verzinsung erwirtschaften. Dies
gilt auch für die durch Inflationsanteile erhöhten Zinsen. Dies mag angesichts
der nominellen Wertsteigerungen der mit dem Kredit erworbenen Objekte
ungerechtfertigt erscheinen, doch läßt sich diese Umlage kaum vermeiden: Woraus
sonst als aus den damit verbundenen laufenden Einnahmen sollen die Investoren ‑
ob Vermieter oder Produzenten ‑ diese aufzubringenden Kosten decken?
An diese inflationsbedingten
Miet‑ und Produktpreiserhöhungen fremdfinanzierter Objekte passen sich
aber auch die Besitzer eigenfinanzierter Objekte an, obwohl hier sachlich nur
die Realverzinsung gerechtfertigt wäre. Doch ohne diese Anpassung würden sich
auf dem Markt verzerre Preisverhältnisse ergeben. Schon bei einer Inflation von
drei Prozent würden beispielsweise die Wohnungsmieten gleichwertiger fremd‑
und eigenfinanzierter Häuser um 30 bis 40 Prozent auseinanderklaffen, bei sechs
Prozent Inflation um 60 bis 80 Prozent. Außerdem würden weitere
fremdfinanzierte Investitionen und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze
unterbleiben, wenn kreditaufnehmende Investoren mit Wettbewerbern konkurrieren
müßten, die lediglich den Realzins in die Mieten bzw. in die Produktpreise
einbeziehen. Denn die fremdfinanzierten Objekte rechnen sich ja nur, wenn sie
die höheren Nominalzinsen erwirtschaften können.
Die Wirkungen von Inflationen auf die allgemeine Preisgestaltung
Selbstverständlich gibt es in
einer Marktwirtschaft keine ständig gleichbleibenden Preise für einzelne Güter
und Dienste. Ihre Schwankungen haben sogar eine entscheidende Aufgabe als
Mittel der dezentralen Selbsteuerung der Prozesse in dieser Wirtschaftsordnung.
Stabil bleiben muß jedoch das durchschnittliche Preisniveau, also die Kaufkraft
des Geldes als Preismaßstab und Rechengröße. Diese Geldkaufkraft wird jedoch
gerade durch Inflationen ‑ ob schwankend oder in gleichbleibender Höhe ‑
ausgehöhlt. Überdeckt von diesen ständigen Gesamtpreisanstiegen, verlieren die
marktbedingten Einzelpreisschwankungen in beträchtlichem Umfang ihre
Signalwirkung und damit auch ihre Regelfunktion. Andererseits lassen sich im
Schatten des allgemeinen Preisauftriebs überzogene Einzelpreisanhebungen
leichter durchsetzen und kaum kontrollieren, während ehrliche Nachzügler aus
dem Markt gedrängt werden. Daraus entstehen Fehlentscheidungen, und
Fehlinvestitionen dürften ebensowenig vermeidbar sein wie die aus allen
Inflationen resultierenden Selbstbeschleunigungsgefahren.
Noch am 15. Juni 1994 hat der
ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Helmut Schlesinger, in einer Rede in Frankfurt auf diese negativen
Folgen von Inflation hingewiesen: »Der
marktwirtschaftliche Prozeß ist durch den Preismechanismus gesteuert. Gelingt
es nicht, den Geldwert annähernd stabil zu halten, kommt es notwendigerweise zu
Fehlsteuerung der gesamtwirtschaftlichen Ressourcen.« (wiedergegeben in Nr.
45/94 der »Auszüge aus Presseartikeln«)
Soziale und ökologische Auswirkungen von Inflationen
Mit problematischen sozialen
Folgen sind Inflationen auf zweifache Weise verbunden. Einmal durch das
Anschwellen der Zinsströme von der Arbeit zum Besitz. Zum anderen durch die den
Inflationen folgenden Konjunktureinbrüche. Diese Doppelwirkung erklärt auch die
deutlichen Reaktionen von Notenbankern gegenüber Inflationen in bezug auf ihre
sozialen Folgen. So sagte Fritz Leutwiler
in der bereits zitierten Rede vom 27. April 1984: »Auf keine andere Weise als durch Inflation können in so kurzer Zeit so
wenige so reich und so viele so arm gemacht werden.« Und auf einen noch
kürzeren Nenner brachte der amtierende Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, diese Zusammenhänge: „Inflation geht immer gegen die Schwachen.“ (»Stuttgarter
Nachrichten« vom 8. Oktober 1994)
Ausgleichen kann man diese
inflationsbedingten Verluste für die sozial Schwächeren nur durch ein
entsprechend höheres Wirtschaftswachstum. Da aber die Gesamtverschuldung
inzwischen doppelt so hoch ist wie das Sozialprodukt, wäre für diesen Ausgleich
bei einem inflationsbedingten Zinssatzanstieg von sechs Prozentpunkten ein
Anstieg des Sozialprodukts von 12 Prozent erforderlich! Das heißt, die
Wirtschaftsleistung müßte um sechs Prozent real gesteigert werden, um die Lücke
zu schließen! Noch lauter als heute schon wird bei einer Dauerinflation also
der Ruf nach Wachstum werden. Mehr Wachstum aber bedeutet mehr
Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung, also vermehrte ökologische
Belastungen.
Die Folgen für Konjunktur und Beschäftigung
Ob man den Inflationsanteil im
Nominalzins als Ausgleich für den Bestandsverlust des Gläubigers oder als
vorgezogene Tilgung des Kredits definiert: Inflationen bedeuten für alle Kreditnehmer
erhöhte Zinsaufwendungen und damit für die gesamte Volkswirtschaft zu
erwirtschaftende höhere Lasten. Von diesen höheren Lasten ist vor allem der
Unternehmenssektor betroffen, dessen Anteil an der volkswirtschaftlichen
Gesamtverschuldung bei knapp 70 Prozent liegt. Bezogen auf die
konjunkturentscheidenden Produktionsunternehmen liegen diese Schulden je
westdeutschen Arbeitsplatz im Durchschnitt inzwischen bei rund 110.000 DM. Eine
sechsprozentige Inflation bedeutet also je Arbeitsplatz eine Mehrbelastung von
6.600 DM p. a. Mit diesen Mehrkosten müssen die Unternehmen irgendwie fertig
werden, wenn sie überleben wollen. Doch ganz gleich, wie sie auf solche
erhöhten Schuldenlasten reagieren ‑ letztlich ist das immer nur auf eine
Weise möglich, die für die Gesamtwirtschaft von Nachteil ist:
a) durch eine Weitergabe der höheren Lasten
über die Preise an die Endverbraucher, was bei diesen zu Kaufkraftverlusten und
Nachfragerückgängen führt;
b) durch Einsparung von Lohnkosten über
Entlassungen von Arbeitskräften und/oder Lohnsenkungen, was die Krise ebenfalls
verschärft;
c) durch Investitionsrückstellungen, wodurch
die Arbeitslosigkeit und damit die konjunkturellen und sozialen Schwierigkeiten
zunehmen;
d) durch Aufnahme weiterer Kredite, was zu noch
größeren Zinsbelastungen und zusätzlichem Auftrieb der Realzinsen führt;
e) durch verzögerte Begleichung aller
Rechnungen, was nicht nur Dritte schädigt, sondern zusätzlich den Geldumlauf
mit deflationären Folgen verlangsamt;
f) durch Steigerung der Wirtschaftsleistung,
was eine beschleunigte Zunahme der Umweltprobleme zur Folge hat;
g) durch Betriebsschließungen oder Konkurse,
wodurch die Lasten ebenfalls auf andere überwälzt werden, die Arbeitslosigkeit
zusätzlich ansteigt und fast immer wertvolles Volksvermögen vernichtet wird.
Die davon jeweils direkt oder indirekt
Betroffenen dürften kaum mit dem Hinweis zu trösten sein, daß diese inflationsbedingten
Zinsanstiege zum gerechten Ausgleich zwischen Geldgeber und Kreditnehmer
erforderlich sind. Noch weniger werden
sie verstehen, wenn ihnen diese zusätzlichen Belastungen als vorgezogene
Tilgungen vom Einkommen abgezogen wer den,
vor allem dann, wenn sie selbst gar keine Kredite aufgenommen haben.
Kann eine Indexierung aller vertraglich festgelegten
Preise die Probleme lösen?
Die
vorgenannten Probleme der Preisverzerrungen und die sich daraus ergebenden
sozialen Spannungen sollen nach den Vorstellungen der Inflationsbefürworter
durch eine indexierte Anpassung aller vertraglich festge legten Preise ausgeglichen werden. Dies gilt vor allem für Löhne,
Versicherungsbeträge, Mieten, Steuern, Gebühren usw. Alle diese in Geldwerten ausgedrückten Verträge müßten also
mit Indexklauseln versehen werden.
Abgesehen davon, daß solche indexierten Anpassungen ‑ wie dargelegt bei den Löhnen nur einen begrenzten Ausgleich erbringen, dürfte eine lückenlose und gerechte Anpassung all dieser Posten kaum durchführbar und kontrollierbar sein. Und da sich das Preisniveau bei Inflationen ständig erhöht, würden alle diejenigen, deren Einkommen erst im nachhinein ange hoben werden (wie bisher bei den Löhnen), hinter den Preisen herhinken.
Außerdem sind solche
Indexierungen bislang in der Bundesrepublik nicht gestattet und werden von den
dafür zuständigen Zentralbanken im allgemeinen nur bei Zehnjahresverträgen
zugelassen.
Dieses bundesdeutsche
Indexierungsverbot dürfte einmal aus psychologischen Gründen erfolgt sein. Es
sollte erst gar nicht der Eindruck entstehen, bei uns wären Kaufkraftverluste
möglich, gegen die man sich durch Verträge absichern müsse. Zum anderen dürften
die Erfahrungen abgeschreckt haben, die man bereits in den 50er und 60er Jahren
in anderen Ländern mit solchen Indexierungen gemacht hatte und die meist eine
Selbstbeschleunigung der Inflation zur Folge hatten.
Das heißt, bei der Einführung
einer dosierten Inflation müßten nicht nur die gegebenen Vorbehalte gegen
Inflationen überwunden werden, sondern auch die gegen Indexierungen. Anstelle
einer ständigen indexierten Anpassung aller vertragsgebundenen Preise an eine
bewußt eingeführte Dauerinflation sollte darum lieber eine am Preisindex
orientierte Feinsteuerung der Geldmengenentwicklung an die Marktpreise
angestrebt werden, so wie es bislang das Ziel der Geldreformbewegung war und
wie es in jüngster Zeit im Umfeld einiger Notenbanken bereits diskutiert wird.
Könnte
man auch die Geldguthaben und Schulden indexieren?
Bekanntlich wehren sich die
Geldvermögensbesitzer gegen die inflationäre Entwertung ihrer Vermögen heute
durch eine Erhöhung ihrer Zinsansprüche. Ein anderer Weg zur Kaufkrafterhaltung
wäre, auch die Bestände der Geldvermögen und Schulden in die Indexierung
einzubeziehen. Das heißt, die Bankguthaben und Bankkredite und alle anderen
geldbezogenen Verträge müßten, ähnlich wie die Löhne, regelmäßig um die
jährliche Inflationsrate angehoben werden. Doch eine solche terminlich
festgelegte und allen bekannte Anpassung würde den eigentlichen Sinn der
dosierten Inflation, nämlich das Geld stetig und in gleichmäßiger Menge in
Umlauf zu halten, unterlaufen. Denn zur Vermeidung von Verlusten brauchte
jedermann nur seine zurückgehaltenen Geldbestände, die durch die Inflation an
Kaufkraft verloren haben, rechtzeitig vor dem Anpassungstermin wieder auf ein
Bankkonto einzuzahlen. Nach der Anpassung kann dann jeder wieder seine
aufgewerteten Geldbestände erneut dem Kreislauf entziehen.
Solche terminierten Anpassungen
der Geldguthaben‑ und Schuldenbestände hätten also einen ähnlich
fragwürdigen Effekt wie vorher angekündigte oder zu festen Terminen
stattfindende Bargeldverrufungen oder Falschparkerkontrollen.
Ist
eine gleichbleibend hohe Dauerinflation politisch eher durchsetzbar als
Geldhaltekosten?
Möglicherweise hätte das Modell
einer Dauerinflation auf gleichbleibender Höhe in den 50er und 60er Jahren eine
Chance gehabt. Denn in diesen Jahrzehnten waren die meisten
Wirtschaftswissenschaftler, Wirtschaftspolitiker und Notenbanker noch von den
positiven Wirkungen einer ständigen begrenzten Inflation als Stimulans für das
Wirtschaftsgeschehen überzeugt. Helmut
Schmidt hat bekanntlich noch Anfang der 70er Jahre die Auffassung
vertreten, daß fünf Prozent Inflation besser sei als fünf Prozent
Arbeitslosigkeit. Inzwischen aber hat uns die Realität gelehrt, daß leichte
Inflationen anfangs zwar die Konjunktur stimulieren, nach wenigen Jahren
jedoch, aufgrund der erhöhten Zinsbelastungen, genau jene Arbeitslosigkeit zur
Folge haben, die man durch sie zu vermeiden hoffte.
Aufgrund dieser Erfahrungen dürfte
man heute mit der Propagierung einer dosierten Dauerinflation bei den
Verantwortlichen der Notenbanken kaum noch auf Gegenliebe stoßen. Vielmehr
setzt sich auch dort in zunehmendem Maße die klare und uneingeschränkte
Forderung nach Kaufkraftstabilität durch. So heißt es in den Maastrichter
Verträgen in Artikel 105: »Das vorrangige
Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) ist es, die
Preisstabilität zu gewährleisten.« Damit ist die Festlegung auf
Kaufkraftstabilität viel eindeutiger formuliert als beispielsweise im
Bundesbankgesetz aus den 50er Jahren, in dem nur von der »Stabilität der Währung« die Rede ist. Doch trotz dieser offenen
Formulierung räumt bekanntlich auch die Bundesbank der Kaufkraftstabilität seit
Jahren Priorität ein. Daran ändert auch nichts, daß sie in den jährlichen
Ankündigungen ihres Geldmengenziels immer noch eine »unvermeidbare« oder »normative
Inflationsrate« von zwei Prozent einkalkuliert. Dieser Widerspruch dürfte
seine Ursache darin haben, daß die Notenbank die Geldmenge heute eben nicht
präziser in den Griff bekommt und mit ihrer übermäßigen Geldvermehrung
vermeiden will, in den deflationären Bereich abzurutschen.
Abgesehen davon, daß es bislang
noch nie gelungen ist, dieses Zwei‑Prozent‑Ziel über einige Jahre zu
erreichen, wäre es sicherlich ein Irrtum anzunehmen, die Verantwortlichen der
Bundesbank wären für eine gleichbleibend hohe Inflation von zwei oder gar fünf
oder sechs Prozent zu gewinnen. So hat Otmar
Issing, Mitglied des Direktoriums und Chefvolkswirt der Bundesbank, am 6.
3. 1992 bei einem Vortrag in Innsbruck ausgeführt: »Bei der Interpretation des Zieles >Preisstabilität< wird von
Anfang an darauf zu achten sein, daß damit grundsätzlich eine Inflationsrate
von Null, also absolute Preisstabilität gemeint ist . . . Würde
>Preisstabilität< als eine Preissteigerungsrate von z. B. 2 % verstanden,
so könnte diese Marke als eine Art Untergrenze interpretiert werden, mit der
selbst die Notenbank rechnet. Es dürfte schwierig sein, der Öffentlichkeit eine
Inflationsrate in dieser Höhe als langfristiges Durchschnittsziel zu
präsentieren.« Das vor allem in Deutschland, möchte man hinzufügen, wo die
Bürger auf genügend leidvolle Erfahrungen mit Inflationen zurückblicken können.
Der sinnvollere Lösungsansatz
Auch Helmut Schlesinger, der vorherige Präsident der Bundesbank, ist in
einer Rede vom 15. Juni 1994 ausführlich auf die zunehmenden Bemühungen in
aller Welt eingegangen, das Übel Inflation endlich in den Griff zu bekommen: „Die
Notenbank von Neuseeland hat sich
praktisch verpflichtet, die Veränderung des Preisniveaus im Jahr zwischen 0 und
2 % zu halten; Kanada strebt längerfristig 1 bis 3 % an und die unabhängig
gewordene Banque de France setzt ebenfalls auf eine nur geringe Anhebung des
Preisniveaus über einen mittelfristigen Zeitraum von nicht mehr als zwei
Prozent p. a. . . . Die entscheidende Frage ist freilich, wie erreicht man
dieses Ziel?“ (»Auszüge aus Presseartikeln« Nr. 45/94)
Diese Aussage zeigt einen
Trend, den die Geldreformbewegung eigentlich nur aufzugreifen und zu verstärken
braucht, statt ihn im Gegensatz zu ihren eigenen Zielen aus taktischen Gründen
umzukehren. Vor allem die Frage Schlesingers,
wie sich das Ziel geringer Inflationsraten erreichen läßt (an eine wirklich
stabile Währung wagt noch niemand zu denken!) öffnet langsam die Türen für
konstruktive Vorschläge zur Sicherung des Geldumlaufs. Und zwar für Vorschläge,
die über eine Verstetigung desselben und eine damit mögliche marktgerechte
Geldmengensteuerung nicht nur zur langfristigen Senkung des Zinsniveaus
beitragen könnten, sondern auch zur Überwindung der störenden und letztlich
zerstörerischen Inflation.
Selbstverständlich steht auch
hier ‑ nicht anders als bei der dosierten Dauerinflation ‑ zuerst
einmal die Aufgabe an, die Notwendigkeit eines verstetigten und von Zins und
Inflation unabhängigen Geldumlaufs verständlich zu machen. Wird dies erst
einmal im Grundsatz verstanden, wird man wahrscheinlich für direkt auf den
Geldumlauf wirkende Geldhaltekosten mehr Verständnis finden als für eine
indirekte Lösung über eine ständige Inflation. Denn während diese
Dauerinflation Veränderungen des Preisniveaus, ständige komplizierte
Korrekturen im gesamten Wirtschaftsgeschehen und zusätzlich noch eine
Indexierung sämtlicher vertragsgebundener Preise erforderlich macht, belastet
erstere nur das relativ geringe Nachfragepotential. Mit dieser konstruktiveren
Lösung würde sich außerdem jene Tauschgerechtigkeit zwischen Geld und
menschlicher Arbeit auf den Märkten einstellen, die schon Proudhon im Auge hatte. Und mit einer solchen Wirtschaftsordnung,
in der die Gegenseitigkeit zur »Formel
der Gerechtigkeit« wird, würde wiederum die Grundlage für einen dauerhaften
sozialen und damit auch politischen Frieden geschaffen, von dem schon Abraham Lincoln gesagt hat, daß er erst
zu erreichen wäre, wenn die Arbeitleistenden den vollen Lohn aus ihrer Arbeit
erhalten.
Die für eine
Geldumlaufsicherung mit Hilfe von Geldhaltekosten erforderliche Möglichkeit des
Rückrufs von Geldscheinen und ihre Ungültigkeitserklärung ist bekanntlich im
Bundesbankgesetz § 13, Absatz 2, schon vorgesehen: »Die Deutsche Bundesbank kann Noten zur Einziehung aufrufen.
Aufgerufene Noten werden nach Ablauf der beim Aufruf bestimmten Umtauschfrist
ungültig.« Hier ist allenfalls eine Ergänzung dahingehend erforderlich, daß
die Kosten des Umtauschverfahrens den Haltern der eingezogenen Noten auferlegt
werden können.
Zusammenfassung
Man kann es drehen und wenden
wie man will: Eine Umlaufsicherung durch eine ständige Inflation ist eine
fragwürdige Angelegenheit, selbst wenn sie ‑ was noch ganz ungewiß ist ‑
in der Praxis auf einer gleichbleibenden Höhe gehalten werden könnte. Denn mit
einer solchen Dauerinflation wäre allenfalls eine Absenkung der Realzinsen zu
erreichen, jedoch niemals die gleichfalls anzustrebende Preisstabilität.
Deshalb kann diese Inflationslösung, mit der man gewissermaßen den Bock zum
Gärtner macht, kaum als „zweitbeste“, sondern allenfalls als „halbe Lösung“
bezeichnet werden. Das macht auch die abschließende Gegenüberstellung der
beiden Lösungsmöglichkeiten in Kurzform noch einmal deutlich:
- Geldhaltekosten
beziehen sich nur auf die relativ geringen Nachfragemittel. Dosierte
Dauerinflationen wirken sich verändernd auch auf die vielmals größeren
Geldvermögen und alle anderen Vertragsverhältnisse und Marktvorgänge aus.
- Geldhaltekosten in Höhe von
sechs Prozent belasten die Wirtschaftsteilnehmer ‑ wenn man die
Sichtguthaben mit einbezieht ‑ p. a. mit etwa 40 Mrd. DM.
Eine dosierte Dauerinflation in
gleicher Höhe bewirkt ‑ da auf alle Geldvermögen und Schulden bezogen ‑
eine etwa achtmal höhere Belastung.
- Geldhaltekosten fließen vor
allem aus den Kassen der großen Geldbenutzer in die des Staates und kommen der
Allgemeinheit zu. Die vielmals höheren Kosten einer dosierten Inflation müssen
von der Allgemeinheit zugunsten des Bestandserhalts der Geldvermögen getragen
werden.
- Geldhaltekosten lassen sich
auf relativ einfache und überschaubare Weise dosieren und werden in einer
festen Größe eingezogen.
Eine dauernde Inflation
erfordert dagegen fortwährend einen ungeheuren Arbeits‑ und
Umstellungsaufwand, dessen Umfang und Kosten kaum überschau‑ und
kontrollierbar ist.
- Geldhaltekosten treiben
überschüssiges Geld in die Banken und vergrößern das Kreditangebot.
Dosierte Dauerinflationen
treiben das Geld in Konsum und Fehlinvestitionen und gefährden auf Dauer jede
Konjunktur.
- Geldhaltekosten drücken die
gesamten Realzinsen nach und nach gegen Null bzw. bis auf die Risiko‑ und
Bankgebühren.
Dosierte Dauerinflationen
treiben die Zinsen hoch und erhalten zumindest einen dauernden nominellen Zins.
- Geldhaltekosten ermöglichen
eine Stabilisierung der Geldkaufkraft und damit des Preisniveaus.
Dosierte Inflationen bewirken
ständige Preisveränderungen und Irritationen im Gefüge der gesamten
Geldbeziehungen und ‑verrechnungen.
- Geldhaltekosten machen das
Geld neutral und nehmen ihm seine bisherige Fähigkeit, wirtschaftliche Prozesse
entgegen den menschlichen Bedürfnissen zu beeinflussen.
Dosierte Inflationen lassen dem
Geld seine strukturelle Macht und Möglichkeit, Produktion und Konsum sowohl
qualitativ als auch quantitativ an bedarfswidrigen Zinsinteressen auszurichten
und damit fehlzusteuern.
- Geldhaltekosten machen eine
Wirtschaft ohne Wachstumszwang und soziale Spannungen möglich.
Dosierte Dauerinflationen
zwingen dazu, über ständiges Wachstum den sozialen Frieden halbwegs aufrecht zu
erhalten, mit entsprechenden ökologischen Folgen.
Auch wenn es sicher möglich
ist, einen Teil der hier aufgelisteten Negativerscheinungen durch komplizierte
Berechnungen, Eingriffe und Kontrollen zu minimieren: die letztlich
destruktiven Folgen, die mit jeder Instabilität der Kaufkraft verbunden sind,
dürften kaum aus der Welt zu schaffen sein.
(*) Wir danken dem Autor und
der Zeitschrift für Sozialökonomie, in deren 104. Folge dieser Beitrag
erschienen ist, für die Nachdruckerlaubnis.