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Fragen
der Freiheit
Heft
161, April 1983
Seite 3
- 21
Dieter
Suhr
Übersicht:
Vorbemerkung
1. Teil: Zur überlieferten Geldordnung
I. Der
interventionistische Charakter unserer Geldordnung
II. Das
angeblich verfassungsrechtliche Notenmonopol der Bundesbank
III.
Verfassungsrechtliche Probleme der Inflation
1. Zum Nominalwertprinzip
2. Die Besteuerung der Zinsen von Einlagen
bei Kreditinstituten
IV.
Überschneidungen von Eigentumsordnung, Arbeitsordnung und Geldordnung
1. Eigentum, Eigentumswert und Geld
2. Eigentum aus Herstellung (§ 950 BGB)
3. Überlegungen anläßlich der derzeitigen
»Hochzinspolitik«
2. Teil: Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte für eine
etwaige Rekonstruktion der Geldordnung
I.
Geldfunktionen in verfassungsrechtlicher Sicht
1. Die Freiheitsfunktion des Geldes als
eines Tauschmittels
2. Gleichheitsprobleme beim Geld als einem
Tauschmittler
3.
Die Geldeinheit als Eigentumsmaßstab bei Kaufkraftansprüchen
4. Die Teilhabefunktion des Geldes im
sozialen Rechtsstaat
II.
Geld als Regler sozialer Beziehungen
Vorbemerkung
Auf dem »währungspolitischen Symposion«, das das Walter
Eucken Institut, Freiburg, zusammen mit dem Seminar für Freiheitliche Ordnung,
Boll, vom 23. - 26. Juli 1981 in Herrsching am Ammersee veranstaltet hat, hatte
der Professor für Öffentliches Recht, Dr. Dieter Suhr, Augsburg den
Abschlußvortrag über »Die Geldordnung aus verfassungsrechtlicher Sicht«
übernommen. Dieser Vortrag stieß in der Diskussion auf Zustimmung und Kritik.
Auch als die Teilnehmer des Symposions schon auseinander gegangen waren, setzte
sich die Diskussion in Form eines lebhaften Schriftverkehrs fort. Das hatte zur
Folge, daß der Referent seinen Beitrag sehr nachhaltig teils gekürzt und
gestrafft, teils ergänzt und erweitert hat. In dem Sammelband mit den Vorträgen
der Tagung (Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheitlichen Gesellschaft,
Walter Eucken Institut, Freiburg i. Br., wirtschaftswissenschaftliche und
wirtschaftsrechtliche Untersuchungen 18) erschien daher eine Fassung des
Referates, die nur noch in großen Zügen dem ursprünglichen Vortrag entspricht.
Diese ursprüngliche Fassung stellt eine Station auf dem Wege dar, der
Geldordnung aus verfassungsrechtlicher Sicht beizukommen. Der Herausgeber der
»Fragen der Freiheit« möchte diese Station dokumentieren. Um Verwechslungen zu
vermeiden, wurde der Titel ein wenig geändert. Im übrigen liegt dem Abdruck die
Tonbandaufzeichnung des Vortrages zugrunde. Einige Exkurse, die den übrigen
Tagungsbeiträgen und der Diskussion galten, sowie die Erläuterungen der vor Ort
projizierten Graphiken wurden herausgenommen. Nur an zwei oder drei Stellen hat
der Referent seine Überlegungen noch ein wenig schärfer oder anschaulicher
gefaßt als bisher, sei es durch geringfügige Veränderungen im Text, sei es
durch kleine Ergänzungen. Auf den Abdruck eines wissenschaftlichen Apparates
konnte verzichtet werden, weil die überarbeitete Fassung, die in dem Sammelband
des Symposions abgedruckt wurde, verhältnismäßig ausführliche Nachweise
enthält.
Mein Thema zielt nicht auf Geldpolitik, sondern auf Geldordnung. Die ganze Tragweite dieses Unterschiedes wurde mir erst während der Arbeit an diesem Vortrag bewußt: Wann immer ich mich bemühte, währungspolitischen Maßnahmen und Spielräumen der Bundesbank und anderer Akteure nachzugehen, tauchten wegen der geldordnungspolitischen und geldordnungsrechtlichen Ausrichtung des Themas hinter meinen Fragen weitere Fragen auf, hinter den Problemen der ersten Ebene weitere Probleme einer zweiten, tieferen Ebene. Das Thema lenkte den Blick mit lästiger Beharrlichkeit immer wieder von der Auseinandersetzung mit dem, was mir eher Symptome zu sein schienen, auf die Stellen hin, wo durch geldordnungspolitische Vorentscheidungen womöglich über vorrangige Ursachen und Strukturen entschieden wird. So mußten die verfassungsrechtlichen Überlegungen zu währungspolitischen Tagesproblemen mehr und mehr Platz machen, weil die geldordnungspolitischen Fragen vom Thema her Vorrang verdienten. Wenn nämlich die normativ-verfassungsrechtliche Analysen mit ihrer Stoßrichtung nicht auch bis zu den grundlegenden geldordnungsrechtlichen Entscheidungen vordringen, bleiben die Grundlagen ungeklärt: diejenigen Grundlagen, auf die letztlich dann auch alle andere Beurteilung und alle andere Begrenzung von Währungspolitik aus verfassungsrechtlicher Sicht rückbezogen werden müssen.
Im übrigen gilt von der Währungsordnung ähnliches
wie von der Wirtschaftsordnung: Das Grundgesetz enthält weder eine explizit
ausformulierte Wirtschaftsverfassung noch eine durchkonstruierte
Währungsverfassung. So wie die Wirtschaftsordnung aber nicht völlig abgelöst
ist vom Grundgesetz, sondern Vorgaben erhält von den Grundrechten und von
anderen Verfassungsprinzipien her, so und nur so kann man auch an die
Geldordnung herangehen als etwas, das von der Verfassung her nicht genau
vorgezeichnet, sondern allenfalls rahmenartig vorstrukturiert ist.
So wie sich der
Gegenstand meines Vortrages mir unter der Hand ausgebreitet hat von einer
ersten Fragenebene zu einer zweiten, so gliedere ich auch meinen Vortrag: In
einem ersten Teil sollen Aspekte und Probleme der vorgegebenen Geldordnung behandelt werden, bevor in einem zweiten Teil
Überlegungen dazu angestellt werden, welche Vorgaben das Grundgesetz für eine
etwaige Rekonstruktion der Währungsordnung liefert.
1.
Teil: Zur überlieferten Geldordnung
I Der Interventionistische Charakter unserer Geldordnung
Unsere
Geldordnung wird durch sehr viele, teils zentrale, teils weiter am Rand
liegende Rechtsnormen konstituiert. Von den Kompetenzbestimmungen und der
Einrichtung der Bundesbank im Grundgesetz reicht die Reihe der Vorschriften
über das Bundesbankgesetz, das Währungsgesetz weit hinaus in andere
Rechtsgebiete bis hin zu Anpassungsklauseln für Unterhaltsansprüche im
Familienrecht, für Betriebsrenten, für private Pensionsansprüche und für
Sozialrenten. Schaut man aber auf die entscheidenden Punkte, so wird unsere
Geldordnung gekennzeichnet durch eine währungsordnungspolitisch so gut wie gar
nicht hinterfragte vorgegebene Struktur des Geldwesens: gekennzeichnet durch
das gesetzliche und womöglich verfassungsrechtliche Notenmonopol der
Bundesbank, durch den Interventionismus dieses Hüters der Währung, durch das
Nominalwertprinzip und durch eine notorische Inflation.
Herr Brunner
meinte vorgestern, man solle in die Verfassung die Verpflichtung der
Zentralbank auf ein verstetigtes Geldmengenwachstum aufnehmen: ein Plädoyer für
die Konstitutionalisierung des monetaristischen Konzeptes. Vom
verfassungspolitischem Standpunkt aus ist jedoch stets Skepsis geboten, wenn es
um die Festschreibung irgendwelcher wissenschaftlichen Lehren geht: Die
Diskussion auf unserem Symposion ist eher geeignet gewesen, diese Skepsis zu
bestärken als zu zerstreuen. Es ist schon schwierig, etwas in die Verfassung
hineinzuschreiben, aber es ist noch schwerer, es wieder hinauszubekommen, wenn
es sich nicht bewährt. Tatsächlich wurden da escape-Klauseln diskutiert: Auf
deutsch heißt das, wir brauchen dann eine Währungs-Notstandsverfassung für den
Fall, daß sich die Konstitutionalisierung des monetaristischen Konzeptes nicht
bewährt. So lange also die Konzepte der Währungspolitik nicht mit absoluter
Sicherheit richtig sind, kann es sich als verhängnisvoll erweisen, sie in der
Verfassung festzuschreiben. Das ist, als ob man bei einem Großtanker das Ruder
auf Geradeausfahrt festlegte in dem Vertrauen darauf, daß Kurskorrekturen nicht
erforderlich werden.
II. Das angeblich verfassungsrechtliche
Notenmonopol der Bundesbank
Ist also ein
bestimmtes geldpolitisches Konzept im Grundgesetz nicht kodifiziert worden, so
fragt sich gleichwohl: Welche Stellung hat die Bundesbank nach Art. 88 GG? Wie
groß ist ihre Autonomie? - Man könnte mindestens das doppelte der Zeit, die für
diesen Vortrag zur Verfügung steht, damit zubringen, diese Probleme zu
erörtern, und doch wüßten Sie am Ende kaum mehr als dies, daß ich zu dieser
oder jener Frage diese oder jene juristische Meinung hätte. Es muß daher eine
Auswahl getroffen werden.
Mein Thema zielt auf verfassungsrechtliche Fragen nicht
des monetären Interventionismus, sondern der Geldordnung. Zu dieser Geldordnung
gehört jedenfalls das Notenmonopol der Bundesbank. Eine angeblich »herrschende
Meinung« unter den Verfassungsjuristen geht davon aus, daß der Deutschen
Bundesbank aufgrund von Art. 88 GG ein unentziehbares Notenmonopol zur
Verfügung steht. Diese Meinung wird abgeleitet aus dem Wort »Notenbank« in Art.
88 GG. Schaut man aber auf die Entstehungsgeschichte, so erweist sich, daß mit
dem Wort »Notenbank« nur die Berechtigung zur Ausgabe von Banknoten
klargestellt werden sollte. An ein unentziehbares Monopol war nicht gedacht.
Daraus ergibt sich: Es sollte eine Zentralbank eingerichtet werden, deren
Aufgabenbereich durch die Bezeichnung als »Währungs- und Notenbank« in einer
sehr offenen und lapidaren Weise umschrieben wurde.
Dieses Ergebnis
wird gestützt durch folgende Überlegung: Ein striktes Notenmonopol für die
Zentralbank, festgeschrieben durch Art. 88 GG, liefe darauf hinaus, daß eine
zentrale und ganz entscheidende Frage der materiellen Geldordnung von der
Verfassung beiläufig und nicht einmal ausdrücklich entschieden worden wäre bei
der Einrichtung der Bundesbank als eines währungspolitischen Organs. Zugleich
wäre dadurch die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in
geldordnungsrechtlicher Hinsicht nachhaltig beschnitten worden. Die Aufgaben
einer Währungs- und Notenbank fallen jedoch je nach geld- und
währungsordnungspolitischen Konzepten des Gesetzgebers unterschiedlich aus, und
dementsprechend können auch die Techniken und Handlungsspielräume einer
Zentralbank nicht a priori fixiert werden, so lange ihr nur ein
Mindestinstrumentarium und hinreichende Mitwirkungsrechte bei der jeweiligen
Geld- und Währungspolitik verbleiben. So wäre es mit Art. 88 GG durchaus
vereinbar, wenn die Bundesbank als Notenbank die Ausgabe von Noten nicht
unbedingt und ausschließlich in eigener Hand behält, sondern daran mitwirkt
oder nur diejenigen Kontrollrechte über die Notenausgabe behält, die
erforderlich sind, um die Funktionsfähigkeit und Sicherheit des
Banknotenumlaufes zu gewährleisten.
Es kommt noch
hinzu: Will der Gesetzgeber einen Problembereich wie hier den des Geldes durch
rechtliche Regelungen ordnen, so ist es in der Regel eine
freiheitsfreundlichere Lösung, in diesem Bereich Ordnungen zu konstituieren,
während Regelungen, bei denen ständig Intervention vorausgesetzt wird, der
Freiheit abträglich sind. Da sage ich Ihnen in diesem Kreise hier nichts Neues!
Bedenkt man jetzt, daß in der neueren Diskussion um die Währungsordnung die
Emission von Banknoten durch andere Banken als die Zentralbank vorgesehen wird,
so zeigt sich, daß die Interpretation des Art. 88 GG im Sinne eines
unentziehbaren Notenmonopols für die Zentralbank womöglich den Weg abschneidet,
der in Richtung auf die Konstituierung grundrechtsfreundlicherer Geldordnungen
führt. Die Interpreten des Art. 88 GG sollten daher nicht engherziger sein als
seine Verfasser.
III. Verfassungsrechtliche Probleme der Inflation
1. Zum
Nominalwertprinzip
Unsere Gerichte halten nach wie
vor das Nominalwertprinzip für eine der tragenden Grundlagen unserer Rechts-,
Wirtschafts- und Geldordnung. Dieses Prinzip, seit 1948 kodifiziert in § 3 des
Währungsgesetzes, ist auf dem besten Wege, sich von der tragenden Grundsäule
der Rechts- und Wirtschaftsordnung zu einem zersetzenden Ferment zu entwickeln,
nämlich zu einem Prinzip der Ungerechtigkeit. Die Vorteile, die das
Nominalwertprinzip mit sich bringt, können bei Inflation sehr stark zu Lasten
bestimmter Gruppen gehen, ohne daß irgendein Grund dafür bestünde, diese Last
nur ihnen aufzubürden. Es gilt jedoch auch von Anfang an zu bedenken: die
Last der Inflation trifft vielfach entgegen einem verbreiteten Vorurteil nicht
den Gläubiger, sondern diejenigen, die sich erst noch verschulden möchten. Denn
in dem Ausmaße, wie die Inflation erwartet wird, steckt in dem vereinbarten
Zins regelmäßig ein Entwertungszuschlag, der den Kredit verteuert und sich
dahin auswirken kann, daß auf die Kreditaufnahme überhaupt verzichtet wird:
Abschreckungswirkung hoher Zinsen.
Inflation geht also durchaus nicht immer zu
Lasten der Gläubiger. Wenn man sagt: »Hohe Zinsen bremsen die Konjunktur«, so
heißt das ja nichts anderes, als daß hohe Zinsen die Freiheit derer
einschränken, die sich mit Hilfe von Krediten wirtschaftlich in
konjunkturfreundlicher Weise verhalten möchten. Soweit freilich die Gläubiger
von Geldforderungen von einer Inflation überrascht werden, die sie nicht
erwartet haben, oder soweit sie sonst keine Möglichkeit haben, im Zins einen
Wertsicherungszuschlag auszuhandeln, trifft sie die Inflation hart. Sie müssen
die Entwertung ihrer Forderung hinnehmen und zugleich zusehen, wie der
Schuldner im gleichen Ausmaß einen entsprechenden Vorteil bei sich verbucht.
Solche Vermögensverschiebungen sind evident ungerecht. Sie wären
verfassungswidrig, wenn der Staat sie willentlich durch Einzelakt vornähme.
Denn Geldforderungen sind als »subjektive vermögenswerte Rechte« Eigentum im
Sinne des Grundgesetzes, und die grundlose Entziehung von Eigentumswert beim
einen und seine Übertragung auf den anderen wäre verfassungswidrig. Sie
verstieße auch als eine willkürliche Bevorzugung des einen und Benachteiligung
des anderen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. So lange aber der
Staat für solcherlei Eingriffe und Vermögensverschiebungen nicht definitiv und
allein verantwortlich gemacht werden kann, weil die Inflation eine Art schicksalhaftes
Geschehen ist, bietet weder Art. 14 noch Art. 3 GG eine Versicherung gegen das
Schicksal.
Wenn jedoch der Staat einerseits der
Inflation nicht Herr wird, andererseits aber durch das Verbot von
Wertsicherungsklauseln dem Bürger verwehrt, sich gegen das Schicksal
abzusichern, setzt die Verantwortlichkeit des Staates ein: Weniger für die
Inflation, wohl aber für das Verbot, sich gegen ihre Folgen abzusichern. Die
Folgen, die der § 3 des Währungsgesetzes für Gläubiger, Schuldner und für ihr
Verhältnis untereinander hat, müssen also im Hinblick auf die Art. 14 und 3 GG
gerechtfertigt werden. Dabei sind die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des
währungsrechtlichen Prinzips „Mark-ist-gleich-Mark“ gegen die Nachteile
abzuwägen, die es für die geschützten Grundrechte mit sich bringt. Diese
Abwägung der Vor- und Nachteile wird von einem bestimmten Grade der Inflation
an nicht mehr zugunsten von § 3 Währungsgesetz ausfallen können. Der Punkt, von
dem an das Nominalwertprinzip verfassungsrechtlich untragbar wird, wird zum
Beispiel umso eher erreicht, je höher die Inflationsrate ist, je sozial
empfindlicher der Verlust auf den Gläubiger durchschlägt und je langfristiger
die Forderungen sind, die ihren realen Wert zu Lasten der Gläubiger und
zugunsten der Schuldner einbüßen. Kurz: Es hängt von der individuellen, ja
konkreten Forderung ab, ob die Auswirkungen des § 3 Währungsgesetz noch tragbar
sind oder unzumutbar werden. Die Korrekturen werden dann also mehr oder weniger
punktweise einsetzen. Das hat zur Folge, daß die Benutzung der Geldeinheit als
Schuldmaßstab, als Maßstab für den Transfer von Kaufkraft aus der Gegenwart in
die Zukunft, einmal hier und einmal dort außer Kraft gesetzt wird: Eine
Abkoppelung der Währungseinheit als Schuldmaßstab von der Währungseinheit als
Tauschmittel und zugleich eine Zersplitterung dieses Maßstabes.
Wenn man bedenkt,
daß das Bundesverfassungsgericht das Nominalwertprinzip im Bereiche der
Besteuerung der Einlagen bei Kreditinstituten gerade noch abgesegnet hat zu
Zeiten, als die Inflation schwächer war als heute, kann man vermuten, daß das
Bundesverfassungsgericht bei einschlägigen Entscheidungen sehr viel strenger
verfahren dürfte als die übrigen Gerichte. Wo immer freilich davon ausgegangen
werden kann, daß im Zins schon eine versteckte Wertsicherung steckt, kann der
Gläubiger einer Geldforderung sich nicht darauf berufen, er gehöre zu den
Inflationsgeschädigten.
2. Die Besteuerung der Zinsen aus Einlagen bei
Kreditinstituten nach dem Nominalwert
Die Zinsen für Einlagen bei
Kreditinstituten unterliegen in Höhe des Nominalwertes der Einkommensteuer. So kann
es inflationsbedingt dazu kommen, daß die Steuer, die vom Nominalzins berechnet
wird, den Realzins übersteigt, wenn man, in erster Annäherung, unter »Realzins«
versteht, was vom Nominalzins verbleibt, wenn man den Wertschwund bei der
Hauptforderung abzieht. Weder der Bundesfinanzhof noch das
Bundesverfassungsgericht haben es bislang für verfassungswidrig erachtet, wenn
bei der Besteuerung dieser Zinseinkommen vom Nominalzins ausgegangen wird. Die
Begründung, die insbesondere vom Bundesverfassungsgericht dafür angeführt wird,
hält freilich einer genaueren Prüfung nicht ohne weiteres stand. Das hat die
Diskussion inzwischen erwiesen. Zu bedenken bleibt jedoch, daß der Betrag, um
den sich die Hauptforderung im Veranlagungszeitraum entwertet, selbst zunächst
eine nur fiktive Größe ist, die erst später zu Buche schlägt, wenn die
Hauptforderung realisiert wird. Insofern ist auch der sogenannte »Realzins«,
der dem »Nominalzins« als die scheinbar reale Größe gegenübergestellt wird,
eine durchaus fiktive Größe. Es läßt sich daher durchaus rechtfertigen, daß die
Einkommensteuer beim Nominalzins ansetzt, wenn und soweit der »reale« Verlust
wenigstens in dem Jahre zu Buche schlägt, in dem die entwertete Valuta
zurückgezahlt wird. Damit ist freilich das verfassungsrechtliche Problem nur
verschoben und tritt am Ende der Laufzeit der Geldforderung umso schärfer
zutage. Im übrigen hängt die Beurteilung dieser Fragen davon ab, wie sehr die bei
den verschiedenen Einkaufsarten unterschiedlichen Feinheiten des Steuerrechts
in die verfassungsrechtliche Beurteilung miteinbezogen werden. Nur so
viel kann hier wiederum festgehalten werden: Man kann vermuten, dass das
Bundesverfassungsgericht bei zunehmender Inflation Korrekturen des Prinzips
»Mark-ist-gleich-Mark« im Steuerrecht verlangen wird.
IV. Überschneidungen von Eigentumsordnung,
Arbeitsordnung und Geldordnung
1.
Eigentum, Eigentumswert und Geld
Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist wenigstens jedes vermögenwerte subjektive Recht des Privatrechts. Die meisten Eigentumsgegenstände in diesem Sinne lassen sich »zu Geld machen«. So erscheint Geld aus der Sicht des Eigentümers und des Inhabers von Geldscheinen zumindest auch als liquide gemachtes Eigentum, und Eigentum erscheint als in Geld transformierbar. Wegen dieses engen Zusammenhanges, der genauer zu klären wäre, erscheint Geldpolitik und Geldordnungspolitik in der Regel zugleich als Eigentums- und Eigentumsordnungspolitik. Und umgekehrt wirkt sich Eigentumspolitik und Eigentumsordnungspolitik auf die Geldordnung aus. Wer geldordnungspolitische Überlegungen anstellen will, muß also die Eigentumsordnung mit in den Blick einbeziehen. Dann zeigt sich, daß in der Tat geldordnungspolitische Vorentscheidungen auf dem Gebiet der Eigentumsordnung fallen, und zwar Vorentscheidungen von solchen Auswirkungen, daß es hinterher schwer fällt, sie mit den Mitteln des monetären Interventionismus zu korrigieren oder ihnen gegenzusteuern. Das klingt auf den ersten Blick nicht überzeugend, dürfte aber klar werden, wenn es jetzt am Beispiel des § 950 des BGB vorgeführt wird.
2.
Eigentum aus Herstellung (§ 950 BGB)
Lassen Sie mich
meine Überlegungen zu diesem Punkt nicht juristisch, sondern mit vertrauten währungspolitischen
Gesichtspunkten beginnen: Die Inflation, heißt es, könne sowohl von der
Nachfrageseite als auch von der Angebotsseite her ausgelöst und angeheizt
werden. Die Akzente werden unterschiedlich gesetzt, aber am Ende könnten wir
uns doch wohl darauf einigen, daß eine Währung auch von der Angebotsseite her,
insbesondere aufgrund des Kostenfaktors »Arbeit«, mit inflationierenden
Ursachen versorgt werden kann, jedenfalls dann, wenn zum Beispiel zur
Vermeidung von Arbeitslosigkeit hohe Lohnabschlüsse geldmengenpolitisch durch
die Zentralbank alimentiert werden. Das aber bedeutet, daß ein ganz
wesentliches Stück unserer Geldordnung durch diejenigen Regeln konstituiert
wird, nach denen über Löhne und Gehälter entschieden wird.
Die Löhne und
Gehälter passen sich nicht automatisch einer Veränderung der Produktivität an,
sondern werden von Jahr zu Jahr neu ausgehandelt und auf absolute Beträge
festgelegt. Dabei besteht die Möglichkeit und die Gefahr, daß mehr an Lohn
verteilt wird, als ohne Erhöhung der Preise erwirtschaftet werden kann. So wird
die regulative Macht des Marktes durch die kollektive Verhandlungsmacht der
Tarifvertragsparteien ersetzt. Die Frage ist, ob sich diese regulative Macht
des Marktes nicht mit der kollektiven Verhandlungsmacht der Tarifvertragsparteien
in einer Weise verbinden läßt, die währungspolitisch weniger brisant ist.
Geht man den
Regeln des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, des Unternehmens- und
Gesellschaftsrechts, die der Bestimmung von Löhnen und Gehältern zugrunde
liegen, auf den bürgerlich-rechtlichen Grund, so zeigt sich: Rechtstechnische
Voraussetzung dafür, daß sich die Gewerkschaften mit höheren Forderungen für
ihre Mitglieder immer wieder zu Worte melden müssen, ist eine Vorschrift des
Bürgerlichen Gesetzbuches, an die in diesem Zusammenhang niemand zu denken
pflegt: Nämlich der § 950 BGB einschließlich der Art und Weise, in der er
ausgelegt wird. Dieser Paragraph bestimmt, daß bei der Herstellung von
Produkten derjenige Eigentum erwirbt, der das Produkt »herstellt«. Wer den
Wortlaut des § 950 BGB liest und noch nicht die zivilrechtliche Dogmatik dazu
verinnerlicht hat, könnte auf folgende Idee kommen: Wird ein Arbeitsprodukt
nicht von einem einzelnen, sondern von mehreren gemeinschaftlich in einem Unternehmen
»hergestellt«, zum Beispiel indem der eine Kapital, der andere Management und
ein Dritter Arbeit in das gemeinsame Unternehmen miteinbringt, so wächst ihnen
das Eigentum am Arbeitsprodukt gemeinschaftlich zu, und ihre Quoten bestimmen
sich nach ihrem Anteil an der Wertschöpfung. Da diese Quoten nicht von
vornherein festliegen und nicht ohne weiteres festgestellt werden können,
müßten sie womöglich von Zeit zu Zeit durch Verhandlungen zwischen den
Beteiligten festgelegt werden. Das hätte zur Folge, daß immer nur verteilt
werden kann, was im Unternehmen an Werten produziert und an Ertrag
erwirtschaftet wird.
So wird freilich
§ 950 BGB nicht ausgelegt. Nach ganz
»herrschender Meinung« erwirbt gerade nicht derjenige Eigentum an dem Produkt,
der es herstellt, sondern, wer es im
Unternehmen herstellen läßt: Der
Eigentümer des Unternehmens, indirekt also der Kapitaleigner. Die
zivilrechtliche Dogmatik zu § 950 BGB sorgt also dafür, daß das Eigentum aus
Arbeit in der Hand des »Nichtarbeiters« entsteht. Deshalb wird es erforderlich,
daß die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften von Zeit zu Zeit versuchen, ihren
Anteil, der nicht quotenmäßig fixiert ist, in der Form bezifferter Löhne
auszuhandeln und gegebenenfalls zu erkämpfen. Erst dadurch entsteht auch die Möglichkeit
und die Versuchung, anläßlich der Lohnvereinbarungen mehr zu verteilen, als
ohne Preiserhöhungen zu verteilen ist.
Wenn und soweit
es richtig ist, daß die Währung auch inflationiert wird über den Kostenfaktor
»Arbeit«, spielt dabei also § 950 BGB in seiner gängigen Auslegung eine
zentrale Rolle. Über die Geldordnung nachzudenken und sich mit
Inflationsursachen auseinanderzusetzen, - das heißt also auch: über § 950 BGB
nachzudenken. Dabei zeigt sich, daß die herrschende Interpretation des § 950 BGB
zwar den überlieferten wirtschaftlichen Fakten entspricht, mit dem Wortlaut
aber schlecht verträglich ist Und seit das Grundgesetz in Kraft getreten ist,
kommt noch etwas hinzu: Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger
Rechtsprechung immer wieder ausgesprochen, daß Art. 14 GG jenes Eigentum am
stärksten schützt, das aus eigener Arbeit und Leistung herstammt, während
persönlichkeitsferneres Eigentum geringeren Schutz zum Beispiel gegenüber
sozialer Inpflichtnahme bietet. Wenn aber das Eigentum »aus Arbeit und eigener
Leistung« besonderen Schutz verdient, ist schwer verständlich, warum dieses aus
Arbeit entstehende Eigentum im Augenblick seiner Entstehung gewissermaßen
zivilrechtstechnisch zugunsten des Kapitaleigners „enteignet« wird, mit der
Folge, daß der dadurch entstehende Schaden erst durch den Lohnanspruch wieder
ausgeglichen wird. Es ließen sich also auch verfassungsrechtliche
Gesichtspunkte dafür anführen, den § 950 in einer Weise auszulegen, die sich
währungspolitisch als womöglich zweckmäßig erweisen könnte.
3.
Überlegungen anläßlich der derzeitigen »Hochzinspolitik«
Währungspolitik
ist zu einem guten Teil Zinspolitik. Gestern haben wir zwar gehört, daß das
Wort „Hochzinspolitik« falsch sei, aber die Inflation und die mit ihr
verbundenen währungspolitischen Probleme nicht zuletzt mit dem Devisenmarkt
können, wie die Praxis zeigt, extrem hohe Zinsen mit sich bringen. Solche
Zinsen wirken abschreckend auf alle, die für ihre geschäftliche oder
unternehmerische Tätigkeit auf Kredit angewiesen sind. Ihre Handlungsfreiheit
wird durch hohe Zinsen drastisch eingeschränkt. So läßt sich am Beispiel von
inflationsbedingten »Hochzinsen« die Wirkung, die von Zinsen auch sonst
ausgeht, auf Freiheit und Gleichheit der Wirtschaftsteilnehmer besonders deutlich
studieren. Hat man aber erst einmal angefangen, darüber nachzudenken, ob es
gerechtfertigt ist, daß der Schuldner an den Gläubiger besonders hohe Zinsen
zahlen muß, dann drängt sich sogleich die andere, uralte, weitergehende Frage
auf: Welche Gründe, welche Legitimationen stecken überhaupt hinter dem Zins? –
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch und halten Sie mich nicht für so naiv und
dumm, daß ich an die Abschaffung der Zinsen oder gar an ein Zinsverbot denken
würde! Es geht mir an dieser Stelle nur darum, bewußt zu machen, daß Zinsen die
wirtschaftliche Handlungsfreiheit dessen einschränken, der auf Kredit
angewiesen ist, und zwar umso stärker, je höher die Zinsen sind. Da das Verbot
von Wertsicherungsklauseln für die Hauptforderung zur Folge hat, daß die
Wertsicherung in die Zinsen verlagert wird, zeitigt § 3 Währungsgesetz zum
Beispiel auch noch auf diesem Wege für Kreditsuchende umso höhere Freiheitsbeschränkungen, je höher die Zinsen
inflationsbedingt werden.
2.
Teil: Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte für eine etwaige Rekonstruktion der
Geldordnung
I. Geldfunktionen in verfassungsrechtlicher Sicht
Es gibt ein sehr modernes und ein älteres
geldtechnisches Konzept, die beide für sich in Anspruch nehmen, daß bei ihrer
Einführung der Zins der Tendenz nach dem Wert 0 zustrebt: Das
Schwundgeldkonzept des Außenseiters Silvio Gesell und das Konzept von Wolfram
Engels. Man kann zwar sowohl bei Gesell als auch bei Engels seine Zweifel
daran haben, ob und inwiefern die Liquiditätsprämie wirklich der Tendenz nach
verschwindet, gleichwohl: Was wir und was vor allem die Ökonomen selbst bislang
als mehr oder weniger naturgesetzliches Geschehen aufgefaßt haben, kann jetzt
offenbar unter diesem oder jenem Konzept einer Rekonstruktion der Geldordnung
als variabel gedacht werden, und damit setzt unsere Verantwortung für die
Geldordnung ein, die wir uns leisten. Geldtheorie und Geldlehre sind in die
Vorhand gegangen; vom Grundgesetz her stellt sich also die Frage, in welcher
verfassungspolitischen Richtung im Falle eines Falles die Geldordnung
rekonstruiert werden sollte. Um
verfassungsrechtliche Ansatzpunkte für die Beurteilung der Geldordnung zu
gewinnen, muß man sich die Funktionen des Geldes und seine Wirkungen im
Hinblick zum Beispiel auf Freiheit, Gleichheit und soziale Rechtsstaatlichkeit
vor Augen führen.
1. Die
Freiheitsfunktion des Geldes als eines Tauschmittels
Die Funktion des
Geldes als eines Tauschmittels kann in die verfassungsrechtliche Einsicht
übersetzt werden, daß das Geld ein wesentliches, ja ein so gut wie
unentbehrliches Medium der ökonomischen Vertragsfreiheit ist. Gäbe es kein
Geld, - es müßte um seiner Funktion für die Vertragsfreiheit willen heute
erfunden und sofort eingeführt werden! Denn wenn der Staat es in
der Hand hat, die ökonomische Vertragsfreiheit derart zu erleichtern, wie es
durch das Geld geschieht, dann muß er es tun, weil er sonst die Freiheit
unnötig beschränkte.
2.
Gleichheitsprobleme beim Geld als einem Tauschmittler
Das Geld macht
aus einem beschwerlichen Tausch „Ware gegen Ware« wenigstens zwei bequeme
Tauschvorgänge »Ware gegen Geld« und »Geld gegen Ware«. Man kann sich
vorstellen, daß in einer Wirtschaft ohne ein Tauschmittel „Geld« Makler tätig
würden, die sich darauf spezialisierten, Tauschpartner zusammenzuführen und
Tauschketten ausfindig zu machen, so wie heute Ehevermittler Ehepartner
zusammenführen. Das Geld macht solche Makler überflüssig. Aber so wie die
Makler nur tätig würden, wenn ihnen Maklerlohn gezahlt würde, so können sich
die Teilnehmer am Wirtschaftsleben heute Liquidität, die sie zum Abschluß von
Verträgen vorübergehend brauchen, nur verschaffen, wenn sie an das Geld als an
ihren „monetären Makler“ einen Maklerlohn zahlen: den Zins. Und so wie die
Makler durch die Höhe ihrer Maklerforderungen bremsend auf den Abschluß von
Verträgen Einfluß nehmen können, so hat es heute der Kreditgeber in der Hand,
den Abschluß von Verträgen, seien es eigene, seien es Verträge unter Dritten,
zu bremsen. Hier zeigt sich die Abhängigkeit dessen, der kein Geld hat, von
dem, der Geld hat (zum Beispiel dessen, der Familienschmuck besitzt, von dem
anderen, der den gleichen »Wert« in Form liquider Zahlungsmittel zur Verfügung
hat).
So kommt der
Vorteil, der mit der Einführung des allgemeinen Tauschmittels »Geld« verbunden
ist, typischerweise demjenigen verstärkt zugute, der über Geld (statt über
schwer liquidierbare Vermögenswerte) verfügt. Jeder könnte dazu seine Beispiele
aus persönlicher Erfahrung beisteuern. Also erweist sich das Geld bei genauerem
Hinsehen zwar als ein fast idealer verselbständigter und vergegenständlichter
Tauschmittler, aber als ein Mittler, der die Ausgangsbedingungen für den
Abschluß von ökonomischen Verträgen einseitig zugunsten des Inhabers von Geld
und Liquidität verschiebt. Unsere Geldordnung schafft eine Art von Liquidität,
die - ausgeglichene Marktbedingungen vorausgesetzt - den Anbieter von Geld
gegenüber dem Anbieter von Waren oder Arbeit typischerweise privilegiert.
Insofern erweisen sich die Beobachtungen, die Proudhon und Gesell angestellt
haben, letztlich wohl als zutreffend.
Wer zum Beispiel bei
ausgeglichenen Marktbedingungen die Wahl hat zwischen einem Warenbündel im
Werte von DM 100.000,- und Geldscheinen im gleichen Werte, weiß den Vorteil
intuitiv richtig einzuschätzen, den das liquide Geld im Vergleich zu den nicht
ganz so liquiden Waren hat, und dürfte daher kaum Entscheidungsschwierigkeiten
haben. Die Fachvertreter hier könnten das wahrscheinlich alle sehr viel besser
belegen als ich. Ich hatte vielmehr weiche Knie, als ich hierher kam, weil es
sich bei der These, daß das Geld im Tauschverkehr nicht neutral wirke, sondern
den Besitzer von Geld gegenüber den anderen privilegiere, zwar um eine zentrale
These meiner Überlegungen handelt, zugleich jedoch auch um ihren wundesten Punkt.
Meine Behauptungen, die ja schon in Form von Thesen vorliegen, wurden auch
sofort angezweifelt, und Herr Stützel war listig genug, mir einige
Druckschriften in die Hand zu drücken, unter anderem einen Artikel über »Wert
und Preis«. Diesen Artikel habe ich mir dann noch schnell durchgelesen. Er ist
zwar schon 7 Jahre alt, und in der ökonomischen Theorie gibt es manches, was
schnell veraltet. Aber da Herr Stützel mir den Artikel erst gestern gegeben
hat, nehme ich an, daß sein Inhalt noch hinreichend aktuell ist, um einmal
damit zu arbeiten. Stützel nämlich zeigt, wie die Differenz zwischen
Wert und Preis in weiten Bereichen des sozialen Lebens darüber entscheidet,
inwieweit einzelne Personen von anderen konkreten Personen wirtschaftlich
abhängig sind: »Diese Differenzen, abschätzbar als Geldbeträge des jeweiligen
konkreten Vertragsinteresses, messen den Grad des Angewiesenseins des einen auf
den anderen.« Der Wert einer Leistung für einen Vertragspartner ist umso
größer, je stärker seine Existenz auf dem Spiel steht, und umso geringer, je
marginaler sein Interesse an der vertraglichen Leistung ist. Schaut man nun
auf das »Entscheidungsfeld«, das sich bei einem typischen Geschäft zwischen
»Geld« und »Arbeit« ergibt, so zeigen sich folgende, das Interesse der Partner
bestimmende Faktoren: Existentielles/marginales Interesse;
Substituierbarkeit/Nichtsubstituierbarkeit; Generalisierungsgrad des
angebotenen bzw. nachgefragten Tauschobjektes. Nimmt man einmal eine Lage auf
dem Arbeitsmarkt mit 5 % unfreiwilligen Arbeitslosen an, so ist evident, daß
der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber leichter substituierbar ist als der
Arbeitgeber für den Arbeitnehmer. Also ist das konkrete Vertragsinteresse des
Arbeitnehmers relativ groß. Hinzu kommt, daß es für den Arbeitnehmer eher um
ein existentielles, beim Arbeitgeber eher um den Gewinn, also um ein marginales
Interesse geht. Schließlich bietet der Arbeitgeber »Geld«, das von jedermann
gefragt wird, weil es ein generalisiertes Tauschmedium ist, während der
Arbeitnehmer nur seine konkrete, wenig generalisierte Arbeitsleistung bietet.
Kurz: jeder der drei genannten Faktoren wirkt sich zum Nachteil des
Arbeitnehmers in dem Sinne aus, daß sein Interesse am Vertrag steigt.
Geht man nun zu
einem anderen Entscheidungsfeld über, bei dem Vollbeschäftigung unterstellt
wird, so verändern sich die Faktoren »existentielles/marginales Interesse« und
»Generalisierungsgrad des Tauschobjektes« kaum, wohl aber die
»Substituierbarkeit«. Unser Arbeitnehmer ist also weniger auf den bestimmten Arbeitgeber
angewiesen als in unserer ersten Alternative, aber er ist nach wie vor
existentiell betroffen und verfügt nicht über das generalisierte Tauschmedium,
sondern nur über seine konkrete, individuelle Arbeit. Selbst bei
Vollbeschäftigung ist sein Vertragsinteresse daher relativ groß, auch wenn er
sich den Arbeitgeber nunmehr fast nach Belieben aussuchen kann.
Um die
Asymmetrie, die in der Vertragssituation steckt, noch besser zu
veranschaulichen, empfiehlt sich eine zwar sehr hypothetische, gleichwohl
anregende Überlegung: Unter welchen Bedingungen wären die Chancen gleich?: Man
braucht nur demjenigen, der Arbeit sucht, so viel Geld zu geben, wie der
Arbeitgeber hat, und außerdem zu unterstellen, der bisherige Arbeitgeber suche
dringend genau eine Arbeit, für die der bisherige Arbeitnehmer zu zahlen bereit
ist. Dann sind die Faktoren symmetrisch verteilt und ausgeglichen. An diesen
hypothetischen Aufwand, den man treiben muß, um Symmetrie herzustellen, läßt
sich ablesen, wie wenig sie tatsächlich vorhanden ist.
Fragt man nun
danach, ob sich die Asymmetrie und Differenz auch quantifizieren läßt, die
soeben diagnostiziert worden ist, so lautet die Antwort: Ja! Der Vorteil, den
geldliche Liquidität am Markt bietet, ist, in Geld gemessen, so groß, wie der
Zins hoch ist, der dafür bezahlt wird.
Nach Stützel kann
man die Abhängigkeit der Marktteilnehmer von anderen Marktteilnehmern messen
als Differenz zwischen »Preis« und »Wert«. Da der »Preis« des »Geldes« um den
Zins höher liegt als der Kaufkraftwert für den betroffenen Marktteilnehmer, -
da also der Preis des Geldes stets höher liegt als sein Wert, herrscht am Markt
eine generelle Abhängigkeit der Nichtliquiden von den Liquiden: Geld wirkt im
Zirkulationsprozeß nicht »neutral«!
Zusammenfassend
ergibt sich also: Die Funktion des Geldes für die Vertragsfreiheit steht außer
Zweifel. Aber gerade dann, wenn es als Tauschmittel seine Funktion als
Freiheitsmedium erfüllt, schafft es von seiner Konstruktion her ungleiche
Ausgangsbedingungen. Damit ist auch der Gleichheitssatz des Art. 3 GG berührt.
Die Geldordnung in ihrer derzeitigen Struktur bringt die Waage der
Vertragsgerechtigkeit bei der Verwendung des Geldes als eines Tauschmittels aus
dem Gleichgewicht. Vielleicht wird das am Beispiel deutlich: Im wirtschaftlichen
Spiel hat der, der Geld hat, den Joker in der Hand. Geld ist der Joker im
Wirtschaftsspiel; er vertritt jede andere Ware. Wer sein Spiel mit Jokern
beginnt, ist im Vorteil.
Wir haben
freilich die überlieferte Geldordnung so weit verinnerlicht, daß wir sie nicht
in Zweifel ziehen. Wir haben uns abgewöhnt, solche Fragen zu stellen, wie ich
sie eben zu stellen versucht habe. Sie aber fragen mich nun wahrscheinlich, wie
denn die Geldordnung aussehen solle. Um diese Frage zu beantworten, sitzen hier
die Geldexperten. Ich bin nur ein Verfassungsjurist, der versuchen kann, mit
Hilfe grundgesetzlicher Maßstäbe Bedenken gegen bestimmte Strukturen der
überlieferten Geldordnung geltend zu machen. Meine Funktion kann einstweilen
nur sein, die Experten des Geldes zu der Frage anzuregen, ob die behauptete
Asymmetrie und die damit verbundene Abhängigkeit tatsächlich vorhanden ist, und
wenn ja, ob sie sich durch Rekonstruktion der Geldordnung beseitigen läßt.
3. Die
Geldeinheit als Eigentumsmaßstab bei Kaufkraftansprüchen
Die Stabilität des Geldes macht uns vor allem deshalb
zu schaffen, weil die Geldeinheit als Maßstab für Kaufkraftschulden die
Funktion hat, Kaufkraft über die Zeitstrecken hinweg zu transferieren: Wer sein
Tauschmittel »Geld« auf einem Sparbuch für 5 Jahre „festlegt«, möchte seine
gegenwärtige Kaufkraft in die Zukunft verschieben und dabei sicher sein, daß
die Abbildungstreue der Geldeinheit als
eines Kaufkraftmaßstabes gewahrt bleibt Von »Spargeld« darf freilich nur in
einem sehr ungenauen Sinne die Rede sein: Es handelt sich nicht um » Geld«,
sondern um ein Rechtsverhältnis, aus dem sich die Pflicht ergibt, nach Ablauf
von 5 Jahren Kaufkraft in der Form von Geld erst wieder zur Verfügung zu
stellen.
Das Problem nun,
das uns mit der Inflation ins Haus geliefert wird, ist: Die Entwertung des
Tauschmittels schlägt durch auf den Maßstab,
mit dem der Transfer von Kaufkraft über Zeitstrecken hinweg gemessen
wird. Während Inflation beim Tauschmittel als solchem relativ unschädlich wäre,
ja sich vielleicht sogar als nützlich erweisen könnte, ist die Verformung des
Kaufkraftmaßstabes, der über Zeitstrecken hinweg stabil bleiben soll,
widersinnig. Oben, im Zusammenhang mit der Diskussion um den Grundsatz »
Mark-ist-gleich-Mark« hatte sich bereits gezeigt, daß die Geldeinheit als
Schuldmaßstab insoweit allmählich außer Kraft gesetzt wird, wie
Kaufkraftschulden mit Hilfe von anderen Maßstäben als denen der bloßen
Geldeinheit gemessen werden. Auch hier also lautet die Frage wieder: Läßt sich
eine Geldordnung konzipieren, in der die Inflation des Tauschmittels nicht auf
den Kaufkraftmaßstab durchschlägt? Oder anders ausgedrückt: Läßt sich eine
Geldordnung konstruieren, bei der die Einheit für Kaufkraftschulden stabil
bleibt, auch wenn sich das Geld als Tauschmittel entwertet?
4. Die
Teilhabefunktion des Geldes im sozialen Rechtsstaat
Bislang erschien
die überlieferte Geldordnung hier im Licht der Maßstäbe grundrechtlicher Freiheit und Gleichheit. Das ist die
Perspektive des rechtsstaatlichen Grundrechtsschutzes.
Geld aber vermittelt auch die Teilhabe
an den Leistungen der Volkswirtschaft. Denn den Geldströmen fließen
entgegen die Ströme der Waren und Dienstleistungen, und daher kann man an den
Geldströmen der Volkswirtschaft, an ihren Verzweigungen und Verästelungen,
ablesen, wer in welchem Ausmaß an welchen Leistungen der Volkswirtschaft teil
hat.
»Teilhabe« ist
eine Modewort. Es kommt aus der Diskussion um den Sozialstaat: »Teilhabe an
Leistungen des Staates«. Der Bürger hat aber nicht nur teil an den Leistungen
des Gemeinwesens, wenn er staatliche Leistungen
empfängt, sondern auch insoweit, wie er in den volkswirtschaftlichen Kreislauf
von Geld, Waren und Dienstleistungen im übrigen miteinbezogen ist. Daher ist die Geldordnung zugleich eine
Teilhabeordnung, und Geldordnungspolitik ist zugleich Teilhabeordnungspolitik.
Hier, bei den Teilhabeströmen, zeigt sich das Geld aus der Sicht des sozialen Rechtsstaates. Diese
sozialstaatliche Seite des Geldes ist untrennbar verbunden mit seiner
rechtsstaatlich-grundrechtlichen Seite, die zunächst ins Gesichtsfeld getreten
war.
In Zeiten der
Rezession haben wir ein kritisches Bewußtsein gegenüber dem extensiven
Wohlfahrtsstaat entwickelt: Wir sind sensibel dafür geworden, wenn der
Wohlfahrtsstaat Bürgern, die nichts leisten, obwohl sie leistungsfähig sind,
Wohltaten erweist. Ergeben sich aber nicht auch kraft der Geldordnung
Möglichkeiten für Mitglieder des Gemeinwesens, an den Leistungen der
Volkswirtschaft teilzuhaben, ohne selbst etwas dazu beizutragen? Die Geldordnung
in ihrer derzeitigen Form bietet die Chance, sich in die Geldströme der
Volkswirtschaft derart einzukaufen, daß in der Form von Zinsen Rinnsale oder
Arme des Geldstromes ohne zusätzliche
Leistung auf den Betroffenen zuströmen. Hier zeigt sich das
verfassungsrechtliche Eigentum, nämlich das Eigentum
an rentierlichen Geldforderungen, in der Gestalt eines reinen Teilhabeanspruchs, während man doch bisher geglaubt hat,
Eigentum sei ein Abwehrrecht. Die Geldordnung belehrt uns eines Besseren:
Eigentum kann auch ein Titel auf Teilhabe sein, auf Teilhabe an den
ökonomischen Leistungen des Gemeinwesens, - und zwar nicht in dem einfachen
Sinne, daß man für das Geld, das man sich »sauer verdient« hat, nun einen
Anspruch auf Teilhabe an den Leistungen hat, die man mit erarbeitet hat, -
sondern in dem anderen Sinne des »Einkaufens« in die Geldströme der
Volkswirtschaft.
Wer sich sein
Geld durch persönliche Leistung und Arbeit verdient, tut sich schwer, wenn er
sein Einkommen verdoppeln will. Es zu verzehnfachen, ist schon meist so gut wie
unmöglich. Dadurch aber, daß man Eigentum und geldliche Liquidität kumulieren
kann, ist es durchaus möglich, in Form von Zinsen das 10fache oder 100fache
dessen, was durch persönliche Leistung verdient werden kann, aus den volkswirtschaftlichen
Geldströmen auf sich abzuzweigen.
Dieser Befund
widerspricht dem Art. 14 GG insofern, als unsere Verfassung dasjenige Eigentum
bevorzugt schützt, das aus eigener Arbeit und Leistung stammt. Zwar mag das
Kapital, das sich »rentiert«, durchaus aus eigener Leistung stammen und deshalb
bevorzugten Schutz genießen. Zinsen jedoch sind das Entgelt dafür, daß man auf entbehrliche Liquidität verzichtet, also
auf marginales Dispositionsvermögen (nicht auf den Kaufkraftwert des Geldes
selbst, denn der soll ja am Ende der Darlehenslaufzeit zurückgegeben werden).
Dieser Verzicht ist um so marginaler, je größer das Vermögen ist, - und die
Chance, auf dem nämlichen Wege das eigene Vermögen ohne »Arbeit und Leistung« zu vergrößern, wächst entsprechend: eine
eigenartige Widersinnigkeit von »Eigentumsbildungs-Politik«, die in die
Geldordnung hineinkonstruiert ist. Die Geldordnung »hinterfüttert« die
Eigentumsordnung mit Teilhabechancen und Teilhabeströmen, die mit
Entscheidungen der Verfassung schwer verträglich sind. Was oben an Bedenken im
Zusammenhang mit dem beengenden Einfluß von Zinsen auf die Freiheit der Bürger angedeutet wurde, kann daher hier in sozialstaatliche Bedenken übersetzt
werden: Die Möglichkeit, sich im großen Stil in die Geldströme der
Volkswirtschaft »einzukaufen« derart, daß ein womöglich mit Zinseszinsen
wachsender Strom leistungsloser Teilhabe entsteht, ist im sozialen Rechtsstaat
untragbar, sobald Alternativen denkbar und realisierbar erscheinen, die sich
nicht negativ auf das Marktgeschehen auswirken, also weder die
Lenkungsfunktionen der Liquiditätsprämie außer Kraft setzen noch die
Freiheitsfunktion des Geldes überhaupt. Wenn irgendwo, dann entscheidet sich
nämlich auf dem Felde der Geldordnungspolitik im großen Stil, ob und in welchem
Umfang die Mängel, die in die Geldordnung hineinkonstruiert sind, mit
verwaltungs- und wohlfahrtsstaatlichen Mitteln wieder ausgeglichen werden
müssen. Von der Geldordnung also dürfte es zu einem guten Teil abhängen, ob und
in welchem Umfange unser Gemeinwesen ein freiheitlicher sozialer Rechtsstaat
ist und bleiben wird, oder ob er sich zu einem beengenden wohlfahrtsstaatlichen
Gebilde entwickelt, in dem die Pathologie der Geldordnung durch eine
korrespondierende Pathologie »sozialstaatlicher« Transferströme ausgeglichen
werden muß.
II. Geld als Regler sozialer Beziehungen
Wolfram Engels hat
jüngst festgestellt: Geld ist kein privates Gut; denn als privates Gut wäre es
gekennzeichnet durch Exklusivität seiner Funktionen und seines Genusses. Geld
ist auch kein öffentliches Gut wie Straßen und Wege. Die Nutzung öffentlicher
Güter wäre allgemein. Geld ist vielmehr ein zwischenmenschliches Gut: Im
Verkehr entfaltet es seine Wirkung; und die Bedingung dafür, daß es dem einen
nützt, ist, daß es auch dem anderen nützt.
Als
zwischenmenschliches Gut steht das Geld für eine soziale Beziehung: Es ist der
Mittler, der mir dazu verhilft, andere, mit dem, was sie bieten, für mich
einzuspannen. Insofern ist das Geld ein ökonomisches und rechtstechnisches Mittel
für alle diejenigen ökonomischen Freiheiten, die man nicht im Alleingang
ausüben kann, zu deren Wahrnehmung man vielmehr anderer Menschen bedarf.
Das Geld ist
jedoch nicht nur ein generalisiertes Medium ökonomischer Freiheit, sondern
zugleich ein generalisiertes Medium der ökonomischen Abhängigkeit der Menschen
voneinander. Das bekommt man zu spüren, wenn es einem einmal an Geld fehlt.
Ohne Geld keine Teilhabe an den geldwerten Leistungen der Volkswirtschaft.
Projiziert man jetzt diese sozialstaatliche Einsicht in die Abhängigkeit der Menschen voneinander
zurück auf die grundrechtlich-rechtsstaatliche Ebene unserer Betrachtungen, bei
der das Geld als Medium der Freiheit erschien,
so zeigt sich, daß die durch das Geld vermittelte Freiheit eine Teilhabe-Freiheit
ist: Grundrechtliche Freiheit in der Daseinsform von Teilhabe! Die
Grundrechtsdogmatiker, die sich noch nicht damit abgefunden haben, daß unsere
Freiheit meist keine Freiheit »ohne andere« ist, sondern eine Freiheit »durch
andere«, werden mit dieser Erkenntnis ihre Probleme haben. Im Hinblick auf die
Geldordnung gilt es hier noch festzuhalten: Durch sie wird in großem Stile
darüber entschieden, ob die Bedingungen fair sind, unter denen die Menschen
ökonomisch frei sind, indem sie ökonomisch aneinander teil haben, - die
Bedingungen, die dafür sorgen, daß sich ihre ökonomische Abhängigkeit voneinander in ihre ökonomische Freiheit durcheinander verwandelt.