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FOCUS Nr. 25 vom 17. Juni 1996, Seite 179 bis 182
Eine ausfuehrliche Liste mit Adressen zu Tauschringen in
Deutschland gehoert zu dem Artikel mit dazu. Unser Scanner
hat das aber leider nicht geschafft... Sorry! Bitte Original
selbst beschaffen!
Wirtschaft anders: Immer mehr Bundesbürger betreiben Handel ohne Geld und bringen die Politik in Verlegenheit
Deutschlands Geldverächter haben einen weiteren Etappensieg errungen: In Halle akzeptiert das Neue Theater neben der D-Mark jetzt auch "döMak" als Zahlungsmittel, die Verrechnungseinheit des lokalen Tauschrings um Pfarrer Helmut Becker.
Mit der "döMak" werden Dienste abgerechnet und bewertet: Babysitten gegen Brotbacken, Renovieren gegen Tapezieren. Geht der Tausch nicht ganz auf, schreiben Becker & Co. "döMak" einem Konto des Tauschpartners gut. Selbst in drei Bars fließt Bier gegen 'döMak'.
In Wittenberg will gleich die ganze Stadtverwaltung einem Tauschring beitreten: Hundesteuern, Eintrittskarten fürs Schwimmbad oder Gebühren fürs Standesamt und Kindergärten sollen Bürger zumindest teilweise durch Arbeitsstunden oder Güter abtauschen oder in "Talern", der Recheneinheit des Tauschrings, bezahlen können. Vergangenen Donnerstag hat Sozialreferent Engelbert Pennekamp die Vereinbarling festgezurrt: "Wir machen das."
Im Trend. "Der Tauschhandel wird wiederbelebt", titelte die englische "Times" vor drei Jahren. Mittlerweile gibt es auf der Insel in über 300 Städten Organisationen für den Handel ohne Geld. Jetzt schwappt die Welle auch nach Deutschland. Seit 1992 schossen 77 neue Tauschringe aus dem Boden, die meisten im vorigen Jahr. Dazu kommen unzählige Planungsgruppen, die Neugründungen vorbereiten.
"Nicht nur Privathaushalte, sondern auch Freiberufler und Firmen entdecken die Vorteile von lokalen Tauschnetzwerken", berichtet der Frankfurter Untemehmensberater Hugo Godschalk. Ärzte, Rechtsanwälte und Werbeagenturen stehen heute in Mitgliederlisten der Tauscher. Im Talente-Tauschring Oberteuringen haben sich gleich drei Ärzte und Heilkundler engagiert, und in Gera bietet der Jurist Dieter Berthmann Computerkurse zum Steuerrecht an. Was er dafür haben will? "Kommt darauf an, was Sie bieten - das ist Verhandlungssache."
Wett-Tauschen. Vom Erfolg überrascht wurde Bert Krämer in seinen ersten zwölf Monaten beim Kölner Tauschring Talentskulptur (über 200 Mitglieder): Der Bio-Bauer hat mit über 5500 Talenten (1 Talent = 1 Mark) unter den Gewerbebetrieben den größten Umsatz durch Feldarbeit und getauschtes Gemüse erzielt.
Auf den Plätzen folgen "Paulas Second-Hand-Laden" und das "Cafe Köln" von Jochen Gehring. Auch Solartechnikbetriebe, Druckereien, Elektronikgeschäfte und Lebensmittelläden akzeptieren quer durch die Republik die als "Monopoly-Geld" bespöttelten Phantasiewährungen wie "Würzis", "Heller Isartaler", "Mäxe" oder "Peanuts". Helmut Becker: "Jeder kann beim Tausch mitmachen - das ist das ganze Geheimnis des Erfolgs."
Motivforschung. Mit Tauschorganisationen aus Notzeiten der beiden Weltkriege hat das heutige Phänomen wenig gemein. Organisatoren haben Schuhkartons gegen PCs gewechselt, auf ihnen konkurrieren mittlerweile drei verschiedene Tauschprogramme, die extra für den deutschsprachigen Markt entwickelt wurden.
Nächstes Jahr soll eine Homepage im Internet auch überregional Anbieter und Nachfrager miteinander venetzen - als Ergänzung zu den "Marktzeitungen", die in Tauschorganisationen schon heute das Angebot veröffentlichen. Vielen erschließt das Barratieren heute zudem neue Konsumwelten. Ina Lange vom Tauschwatt in Bremen: "Ich putze gern Fenster. Dafür gehe ich dann zur Kosmetik. Das würde ich mir für Geld niemals leisten."
Warum Leute neben der Geldwirtschaft ein zweites Wirtschaftsleben führen, hat eine erste Umfrage unter Tauschringen ermittelt. Ergebnis: Wirtschaftliche Aspekte spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Initiatoren wollten "sich für ein lebendigeres Gemeinwesen einsetzen" oder die "Nachbarschaftshilfe stärken". Holger Schramm aus dem brandenburgischen Finsterwalde: "Das Arbeitsamt und die Stadtverwaltung haben die Idee zu einem Tauschring mit angeschoben. Wir wollen die verlorengegangene Nachbarschaftshilfe wieder neu aufgreifen."
Andere Ziele verfolgt die Kasseler Zeitbörse. Mit Verrechnungseinheiten a la "Talente" oder "Mäxe" haben die Puristen nichts im Sinn. Zeitbörsianer Kaus Reichenbach: "Auf die DM-Wirtschaft haben wir keinen Bock. Daher gilt bei uns Zeit gegen Zeit. Egal, welche Qualifikation jemand hat."
Andere Organisatoren sehen sich dagegen immer wieder gefordert, "Preise" für Waren und Dienste festzulegen.
"Mitglieder, die Gesprächstherapien anbieten, wollen für eine Stunde 120 ,Talente' abrechnen, Fensterputzen soll nur 15 Talente "wert sein", erklärt Babette Asprion von Talentskulptur Köln das immer wiederkehrende Problem.
Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zum Damoklesschwert, das noch immer über allen Tauscheinrichtungen schwebt: die Finanzämter. Fast alle Organisationen verlangen deshalb von ihren Mitgliedem die schriftliche Erklärung, sich selbst um etwaige Steuem zu kümmem. Helmut Becker vom Tauschring Halle: "Finanzen und Steuern ängstigen jeden." Dazu will Christian Krüger, Geldverächter aus Hannover, "eine politische Lobby aufbauen".
Die Steuerfrage. Tatsächlich weiß bislang niemand, wie getauschte Güter und Dienstleistungen zu versteuern sind. Schließlich haben sich Finanzbehörden die Stolpersteine für eine mögliche Besteuerung selbst gelegt. Denn heute gelten etliche Tauschformen nicht als "Einkommen" oder "Gewinn" und sind deshalb frei vom Obolus an den Staat. Seniorengenossenschaften etwa, bei denen man erbrachte Dienstleistungen gegen Plätze in Wohnheimen tauschen kann. Oder Kompensationsgeschäfte für Gewinnspiele in Radio und TV (z. B. ein zur Verfügung gestelltes Auto als Gewinn gegen Sendezeit).
Mangels Masse war das Umsatzvolumen der Tauschkreise auch gar nicht interessant. Das ist jetzt anders. Finanzminister Theo Waigel hat alle Bundesländer um Stellungnahmen gebeten, wie sie künftig mit Tauschorganisationen umzugehen gedenken. Frühestens im nächsten Jahr soll es eine bundesweite Regelung geben. Ein Beispiel könnte er sich an Neuseeland nehmen: Dort sind alle tauschenden Privatleute steuerbefreit.
MATTHIAS KOWALSKI / KATHRIN POHL