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Kapitel aus:
Hundert Einwände und Bedenken gegen Freiland - Freigeld
Zusammengestellt und beantwortet von Fritz Schwarz
III. Auflage
Genossenschaft Verlag freiwirtschaftlicher Schriften
Bern 1933
Der Zins und seine Beseitigung
Der Besitzer einer Sache, auf die alle angewiesen
sind und die in zu kleinen Mengen angeboten werden
kann, wird früher oder später in Versuchung kom-
men, für die Benutzung dieser Sache Zins zu ver-
langen. Unser Geld hat die Eigenschaft, daß man es
ohne Schaden aufbewahren kann. Daher wird es den
Warenaustausch zwischen Produzenten und Konsu-
menten erst zustande kommen lassen, wenn es beide
durch Warten mürbe gemacht und beiden eine
Vergütung abgezwackt hat: den Urzins. Durch die
Verhinderung des Tausches überträgt sich dieser
Urzins auf alle Gegenstände, die durch den Lei-
stungsaustausch entstehen müssen: Realkapital-
zins. Und da man auf diese Weise für Realkapitalien
Zins bekommen kann, wird auch kein Geldbesitzer
sein Geld ohne eine Vergütung Einem überlassen,
der damit zinstragende Realkapitalien erstellt:
Geldzins (Dividende).
Weil der Zins aus dem Dauergeld entsteht (Gold,
Silber), so ist er so alt wie dieses selbst. Er ist die
Ausbeutung der Not eines Andern, und seit Men-
schengedenken haben alle Religionsstifter und Ethi-
ker den Zins daher verdammt, (Siehe; Burri und
Schwarz, Der Zins.)
Die Beseitigung des Zinses kann aber nur erfol-
gen, indem man dem Geld seine Vorzugsstellung in-
nerhalb der Warenwelt nimmt und es zwingt,
immer umzulaufen und niemals die Produktion zum
Stocken zu bringen. Das trifft, wie wir gesehen ha-
ben, beim Freigeld zu. Es allein kann die Produk-
tion von allen Hemmungen befreien und den Zins
durch ungestörte Vermehrung des Kapitalangebotes
schließlich auf Null senken.
75. Einwand: Der Geldbesitzer ist den Waren-
besitzern nicht immer überlegen, in der Inflations-
zeit ist es z. B. gerade umgekehrt: da ist der Waren-
besitzer dem Geldbesitzer überlegen.
Antwort: Darüber sagt ein Freigeldgegner, Dr.
W. Egger vom "Bund", der Vorteil liege stets
auf Seite des Geldes, "weil man jederzeit mit dem
Gelde kaufen kann, weil es diese Monopolstellung
innerhalb der Welt der Waren einnimmt, weil man
es sofort realisieren kann, eine Ware dagegen
nicht, weil das Geld, das man auf der Bank oder
bei Privaten hat, immer sprungbereit ist zum
Kaufen".
Tatsache ist ja, daß die Inhaber von Bargeld bei
allen Leuten dafür Abnehmer finden, während In-
haber von Waren stets nur einen beschränkten
Kreis von Abnehmern finden können. Daher sind
selbst in der Inflationszeit dem Inhaber von Bar-
geld alle Möglichkeiten gegeben!
Die Stellung des Geldbesitzers wird immer
eine andere, je nachdem er als Verbraucher
(Konsument), als Kaufmann oder als Sparer da-
steht. Der Konsument zahlt tatsächlich auch Zins.
Der Kaufmann dagegen gibt sein Betriebskapital
- das Geld - nur gegen Waren her, wenn er für
den Verlust, den jedes Warenlager bringt, zum vorn-
herein gedeckt ist. Dieser Verlust wird auf etwa 3
bis 4 Prozent im Jahresdurchschnitt gerechnet. Es
ist Verlust rein durch Abgang, Lagerkosten, Moden,
Motten, Rost, Feuchtigkeit, Hitze usw. usw., nicht
Verlust etwa durch Preisveränderungen. Durch Ab-
warten überwälzt er diesen Verlust zum Teil auf den
Produzenten. Dieser muß ihm entgegenkommen,
muß dem Geld seine Ueberlegenheit zahlen, indem
er dem Kaufmann seine Waren etwas billiger über-
läßt. Auf der andern Seite des Kaufmanns aber war-
tet schon der Konsument, der seine Waren durch die
Vermittlung des Handels bezieht. Durch das Hinaus-
zögern des Kaufes durch den Kaufmann wird der
Konsument vor ein leeres Warenlager gestellt: auch
er trägt daher im höhern Kaufpreis einen Teil der
Abgabe an die Ueberlegenheit des Geldes. So ver-
zinst sich das Kaufmannskapital. Wirt-
schaftsforscher und Wirtschaftspraktiker, wie der
sozialistische Theoretiker Friedrich Engels,
der als Mitglied der Börse von Manchester gleich-
zeitig auch ein erfolgreicher Geschäftsmann war,
haben daher festgestellt: "Mit den Kaufleuten tritt
zum erstenmal eine Klasse auf, die, ohne an der
Produktion irgendwie Anteil zu nehmen, die Leitung
der Produktion im Großen und Ganzen sich erobert
und die Produzenten sich ökonomisch unterwirft,
die sich zum unumgänglichen Vermittler
zwischen je zwei Produzenten macht und
sie beide ausbeutet." (Auch der Produzent
ist Konsument!) "Mit der Kaufmannschaft aber bil-
det sich auch das Metallgeld, die geprägte Münze
(tatsächlich ist die Kaufmannschaft ohne Geld nicht
denkbar!), und mit dem Metallgeld ein neues Mittel
zur Herrschaft des Nichtproduzenten über den Pro-
duzenten und seine Produktion. Die Ware aller
Waren, die alle andern Waren in sich enthält,
das Zaubermittel, das sich nach Belie-
ben in jedes wünschenswerte und ge-
wünschte Ding verwandeln kann. Wer es
hatte, beherrschte die Welt der Produk-
tion." - "Nach dem Warenverkauf für
Geld kam der Geldvorschuß, mit diesem
der Zins und der Wucher." (4) Dieses Zeugnis
für den zinserpressenden Charakter des Geldes ist
umso wertvoller, als es von einem Sozialisten
stammt, der sonst bekanntlich die Ausbeutung in der
Produktion und nicht in der Zirkulation
und im Zirkulationsmittel zu finden glaubt. Aber
selbst Karl Marx schreibt im "Kapital" (III. Band,
I. Hälfte, S. 148): "Wir haben gesehen, daß
das Kaufmannskapital und das zinstra-
gende Kapital die ältesten Formen des
Kapitals sind", was im Gegensatz zu seiner
eigenen Theorie steht und daher umso schwerer
wiegt.
76. Einwand: Das Kapital ist im Verhältnis
zum Kapitalbedarf immer begrenzt; die Bedürfnisse
wachsen immer rascher als die Produktion; die Nach-
frage nach Kapital wird also immer größer sein als
sein Angebot und es ist undenkbar, daß dies einmal
ändern könnte. Daher wird der Mangel an Kapital,
der den Zins erzeugt, nie schwinden, und damit auch
der Zins nicht!
Antwort: Wenn die Bedürfnisse für die
Höhe des Zinses maßgebend wären, dann würde der
Zinsfuß schon heute nicht 5, sondern vielleicht 100
bis 200% betragen, denn die Bedürfnisse sind
immer grenzenlos. Die Tatsache, daß der Zins
aber um 5 % herum schwankt, zeigt uns, daß der
Zins bestimmt wird nicht von Bedürfnissen,
sondern von Nachfrage und Angebot! Bedürf-
nisse sind Wünsche, Nachfrage sind Taten, Nachfrage
nach Arbeitsgelegenheiten, Leihgeld und Realkapi-
talien. Diese Nachfrage wird heute regelmäßig bin-
nen 6, 8 - 10 Jahren befriedigt! Beweis; Unsere gro-
ßen Wirtschaftskrisen, die entstehen durch ein so
großes Angebot an Sachgütern (Kapitalien), daß man
(allerdings ohne Grund) von einer "Ueberproduktion"
spricht! Diese "Ueberproduktion" ist der Beweis
dafür, daß die Nachfrage an Kapital tatsächlich ge-
deckt würde, wenn die Leute arbeiten könnten.
Wenn sie das streikende Geld einmal nicht mehr
daran hindert, so wird der Bedarf an Kapitalien bald
gedeckt sein und den Zins auf null Prozent herunter
drücken!
Kein Mensch bestreitet, daß der Zinsfuß vom
Kapitalangebot und von der Kapitalnach-
frage abhängig ist. Wer behauptet, der Zins könne
nie beseitigt werden, behauptet damit also, daß An-
gebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt sich nie
ausgleichen können. Tatsächlich aber beobachten
wir, daß in allen Ländern in guten Zeiten eine der-
artige Vermehrung der Kapitalien vor sich geht, daß
der Zinsfuß auf der ganzen Linie gedrückt wird.
Warum sinkt er aber nie unter 3 % ? - Weil dann
das Geld zurückgehalten wird und sich der weitern
Kapitalproduktion nicht mehr zur Verfügung stellt.
Weil das Geld, im Gegensatz zu andern Waren, ohne
Schaden zurückgehalten werden kann, wird es bei
einem Zinsfuß von 3 und weniger Prozent das beste
Sparmittel. Wird aber durch den Geldschwund
der weitere Geldumlauf erzwungen, so hält das
Geldangebot weiter an, ermöglicht weiteres Arbeiten
und Sparen und drückt schließlich den Zins bis auf
null. Dort ist der Ausgleich zwischen Nachfrage und
Angebot erreicht und die Nachfrage nach Kapitalien
befriedigt.
Die heutigen, regelmäßig nach 6-8 Jahren ein-
tretenden Wirtschaftskrisen sind der beste Beweis
dafür, daß der Zinsfuß nach ihrer Beseitigung auf
null gedrückt werden könnte, denn sie sind die Folge
des vermehrten zinsdrückenden Kapitalangebots.
Und ein weiterer Beweis für die Möglichkeit, ge-
nügend Kapital (d. h. Sachgüter) zu liefern, sind die
fortgesetzten Klagen der "Ueberproduktion" wegen;
ferner zeigen die Berechnungen der Technokra-
ten die riesigen Möglichkeiten, die da noch be-
stehen.
77. Einwand: Der Zins ist doch die gerechte
Entschädigung für das Risiko, das ich laufe, wenn ich
mein Geld ausleihe. Ich könnte dabei doch das Geld
einbüßen.
Antwort: Dieses Risiko ist immer vorhanden
- auch wenn das Geld nicht ausgeliehen wird,
könnte es verbrennen, gestohlen werden usw. Wenn
man den Zins durch das Risiko begründen wollte,
wäre er viel zu groß; (Dr. Christen berechnete, (5) )
daß er vierhundertmal zu groß wäre, wenn die Ver-
luste an ausgeliehenem Geld in Vergleich gezogen
werden mit den ausgeliehenen Summen). Eine "Risi-
koprämie" wird immer berechnet, wenn Geld aus-
geliehen wird; daher ist z. B. der Zins für Aktien
höher als der Zins für Hypotheken oder Staatsan-
leihen. Aber zur Erklärung des ganzen Zinses
reicht das Risiko noch lange nicht aus - 399/400 des
Zinses werden damit nicht erklärt. Und das ist doch
der größere Teil.
78. Einwand: Die Kapitalbildung wird ge-
hemmt, wenn der Anreiz des Kapitalzinses fehlt; der
Zins ist der Lohn für die Sparsamkeit.
Antwort: Man spart nicht nur, um aus arbeits-
losem Einkommen, d. h. auf Kosten anderer zu
leben, sondern man wird es dann noch tun, wenn
man später seine eigenen Ersparnisse aufzehren muß.
Der Spartrieb ist allen Lebewesen mehr oder weni-
ger eigen. (Hamster, Spechtmeise, Eichhörnchen,
Mäuse, Biene, Ameise usw.) Jede Erhöhung der
Warenpreise um 5 % macht übrigens den Zins auf
Sparheften hinfällig, hinderte aber z. B. in der
Schweiz nur die vorsichtigsten Sparer, ihre Erspar-
nisse in andern als in den sich ständig entwertenden
Sparbüchern anzulegen, trotzdem sie damit infolge
der Geldentwertung um mehr als den ganzen Zins
geprellt wurden.
Wäre aber der Zins der Lohn für den Sparer, eine
Entschädigung für den Verzicht auf den sofortigen
Verbrauch, so müßte er steigen, je mehr gespart
wird. Tatsächlich aber sinkt der Zins, je mehr ge-
spart werden kann. Daher ist diese Ansicht voll-
ständig unhaltbar. Reiche Länder mit großen Erspar-
nissen haben daher auch durchschnittlich einen tie-
fern Zinsfuß als arme.
79. Einwand: Wovon sollen die alten Leute
leben, wenn es keinen Zins mehr gibt und wenn sie
ihre Ersparnisse aufgezehrt haben?
Antwort: 95 % der alten Leute besitzen heute
nichts zum Lebensunterhalt. 53,4 % haben laut der
eidg. Steuerstatistik überhaupt kein Vermögen. -
Warum? Erstens, weil das heutige Geld regelmäßig
Krisen herbeiführt, wenn der Wohlstand eine allge-
meine Erscheinung werden will. Dann müssen die
meisten Leute ihre Ersparnisse angreifen, die Ar-
beiter gezwungen durch die Arbeitslosigkeit, die
Bauern gezwungen durch den mit der Krise ver-
bundenen Preisfall. Werden durch die feste Wäh-
rung die Krisen ausgeschaltet, so fällt dieses Hinder-
nis für das Sparen weg. Außerdem werden durch das
Sinken des Zinsfußes bei gleichbleibendem Preis-
stand eine Reihe Arbeiten möglich, die bei dem heu-
tigen hohen Zinsfuße nicht ausführbar sind. Die da-
durch bewirkte Nachfrage nach Arbeitskräften bringt
die Arbeitslöhne allgemein zum Steigen. Der Bauer
findet für seine Produkte schlanken Absatz und mit
dem Steigen der Arbeitslöhne sinkt laut Freiland-
pachtvertrag der Pachtzins. Dadurch wird auch der
Bauer besser gestellt und kann große Ersparnisse
machen. Je ein Prozent Sinken des Zinsfußes bedeu-
tet eine Erhöhung des Arbeitseinkommens von 20 % .
Für die Bauern bedeutet ein Prozent Rückgang des
Zinsfußes bei festem Preisstand 48 Mill. Ersparnis
an Zins, d. h. so viel wie 2 1/2 Rp. Milchpreisaufschlag!
Für die Gesamtheit der Arbeitenden bedeutet 1 %
Zinsermäßigung bei festem Preisstand 600 Mill. Fr.
Einsparungen allein in der kleinen Schweiz!
Ist der Zins ganz beseitigt, so beziehen die Ar-
beitenden aller Stände und Berufe, was bis heute
den Zinsnehmern zugefallen ist - und das war ge-
rade soviel, wie heute die Arbeitenden als Lohn er-
halten. Jedes heutige Arbeitseinkommen
wird also ohne weiteres verdoppelt. Durch
das Sinken des Zinses können zudem viele Maschinen
in Betrieb gesetzt werden, die bei dem heutigen Zins
noch nicht rentieren würden, wodurch die Produk-
tion und damit das Arbeitseinkommen noch mehr
wächst. An Stelle der heutigen, ungenügenden Ar-
beitseinkommen treten zwei-, dreimal höhere.
Heute besteht für die alten Sparer auch die Ge-
fahr der Geldentwertung, der Inflation; unter
der festen Währung ist sie nicht zu befürchten.
Für den Uebergang vergesse man folgendes nicht:
1. geht der Zins nur in dem Maße zurück, wie die
Ersparnisse wachsen. Wer heute aus den Zinsen
lebt, kann ruhig noch 40 Jahre leben. 2. können auch
Dienstleistungen bezahlt werden, die heute ohne Ent-
schädigung verrichtet werden müssen, und 3. ist es
erst in einem krisenfreien Staate möglich, eine
Alters- und Invalidenversicherung hinlänglich zu
finanzieren.
Künftig kauft sich jeder schon mit 20 Jahren in
eine Rentenversicherung ein, die ihm für seine alten
Tage eine auskömmliche Rente sichert. Heute ist
das für die Großzahl aller Arbeitenden nicht mög-
lich. - Stirbt er, so hört die Rente auf. Seine Kin-
der werden deshalb sein Leben zu verlängern su-
chen. Unterläßt einer seine Rentenversicherung, so
muß er die Folgen tragen, wie es ja heute auch die
meisten Arbeitenden, allerdings unverschuldet, tun
müssen. In einer Gesellschaftsordnung ohne wirt-
schaftliche Krisen, in der Jedem der volle Arbeits-
ertrag zukommt, ist das auch leichter möglich als
heute. Nehmen wir nun an, heute habe einer ein
Jahreseinkommen von 5000 Fr. und spare davon 40
Jahre lang je 1000 Fr. Dann hat er nach diesen 40
Arbeitsjahren 98 000 Fr., einen Zinsfuß von 4 % zu-
grunde gelegt.
Unter den gleichen Umständen würde man in der
zinsfreien Wirtschaft mindestens 10 000 Fr. Jahres-
einkommen haben, somit jährlich 6000 Fr. und in
40 Jahren 240 000 Fr. ersparen können, von denen
man, unbehelligt durch Inflation, noch 60 Jahre le-
ben könnte, selbst ohne Rentenversicherung.
Man muß sich nur überlegen, welche Hemmung
das zinserpressende, stockende Geld für die Arbeit
des Volkes ist, um sofort erkennen zu können, daß
unter dem Freigeldsystem der Wohlstand für
alle gesichert ist.
80. Einwand: Was soll aus den Stiftungen wer-
den, wenn kein Zins mehr bezahlt wird?
Antwort: Die Zinsen der Stiftungen werden
Arbeitenden weggenommen, denn die Stiftung
an und für sich arbeitet ja nicht und die Zinsen kön-
nen nur ausgezahlt werden, weil irgendwo Arbeitern
etwas von ihrem Arbeitsertrag weggenommen wird,
z. B. Bauern, Handwerkern, Unternehmern, die für
ihre geliehenen Gelder Zinsen zahlen müssen. Die
Stiftung kann also niemals mehr geben als sie vorher
Arbeitenden weggenommen hat - nach Abzug der
Verwaltungskosten, der Sitzungsgelder usw. Die
Stiftung ist, genau betrachtet, die abscheulichste Art
der Wohltätigkeit. Daher hat sich z. B. auch Luther
sehr scharf gegen sie ausgesprochen und sagte, man
berufe sich nur auf sie, um das eigene Zinsnehmen
zu entschuldigen: "Sag ehrlich, es sei der Faulenzer,
der alte Adam, der nicht gern arbeitet und seinen
Müßiggang unter dem Deckmantel der Kirche zu
verstecken sucht . . . Du wirst Gott nicht mit zwei
widersprechenden Diensten dienen, auch nicht zwei
Herren dienen." (6) Es ist gut möglich, daß ein Bauer
den Zins an eine Stiftung liefert und ihn dann als
"Stipendium" für seinen Sohn mit Dank zurücker-
betteln muß! Diese "Wohltaten" machen nur einen
ganz geringen Bruchteil des ganzen Zinses aus.
81. Einwand: Wie sollen die Sparkassen und
Banken bestehen können, wenn es keinen Zins mehr
gibt?
Antwort: Die Banken und vor allem die Spar-
kassen leben nicht aus den Zinseinnahmen, sondern
aus dem Unterschied zwischen dem Zins, den sie den
Einlegern bezahlen müssen und dem, welchen sie
vom Darlehensnehmer erhalten, sowie vor allem
auch aus den Provisionen. Für die Banken ist
es daher gleichgültig, ob sie die Differenz zwischen
4 und 5 % , zwischen 1 und 2 % oder zwischen 0 und
1 % behalten können. Die Banken leben nicht vom
Zins, sondern vom Geldumlauf, und da dieser ein
geregelter wird, da die Zusammenbrüche durch den
festen, gesicherten Preisstand weit seltener sind als
heute, so ist die Lage der Banken, soweit sie von
ihrer Arbeit - dem Darlehensgeschäft - leben, weit
besser als heute (weniger Gefahren und mehr Um-
satz!), während allerdings die Spekulations-
banken in der Freiwirtschaft keine Verdienstmög-
lichkeiten mehr haben werden. Leider beherrschen
diese letzteren und ihr Geist heute das Bankgewerbe
weitgehend und sie haben die Banken zu einem, für
die Großzahl von ihnen vollkommen sinnlosen, ja sie
geradezu schädigenden Gegensatz zur Freiwirt-
schaftsbewegung gebracht. - In Norderney und
Wörgl haben sich die Banken und die Sparkassen
(auch die Raiffeisenkassen) sofort bereit erklärt, das
dortige Freigeld anzunehmen. Sie erblickten darin
eine willkommene Vermehrung ihres Umsatzes und
damit ihres Arbeitsverdienstes. Das durchgeführte
Geldsystem allerdings schaltet die Geldspekulation
der Großbanken aus.
82. Einwand: Ohne Zinsen werden die Ver-
sicherungsprämien unerschwinglich; die Versicherung
ohne Zins ist überhaupt undenkbar.
Antwort: Die Versicherung ist eine Zwangs-
sparkasse. So wie man in dem Sparbuch auch mehr
einzahlen muß, wenn einem kein Zins gutgeschrieben
wird, um im Alter genügend erspart zu haben, so
muß tatsächlich auch ein Versicherter mehr Prämien
zahlen, sobald die Versicherungsgesellschaft für die
anvertrauten Gelder keinen Zins mehr erhält.
Die Frage ist nur, ob der Wegfall des Zinses nicht
eine Vermehrung der Spareinlagen möglich macht,
die über den Verlust hinausgehen, den der Wegfall
des Zinses mit sich bringt.
Eine kurze Ueberlegung zeigt uns, daß der Weg-
fall des Zinses das Arbeitseinkommen jedes Einzel-
nen erhöht und die Arbeitsmöglichkeiten riesig
vergrößert. So erleichtert die zinslos gewordene
Volkswirtschaft das Sparen ganz außerordentlich
- sie erleichtert auch das Aufbringen der Versiche-
rungsprämien, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Fallen die Dividenden der Versicherungs-
gesellschaften weg, die z. B. vor der eidgenössi-
schen Unfallversicherung jährlich 80 Millionen
Franken betragen haben sollen und von den Ver-
sicherten aufgebracht werden mußten. (Für die
staatlichen Versicherungen muß der Staat die
Deckungskapitalien verzinsen, weil er sie doch in
der Regel entlehnt hat.)
2. Nach dem Wegfall des Zinses verdoppelt
sich bei gleichbleibender Produktion je-
des Arbeitseinkommen. Da aber jedes Sinken
des Zinsfußes bei gleichbleibendem Preisstand eine
erhöhte Produktion bringt, so vervielfacht
sich das Einkommen aller Arbeitenden. So können
höhere Prämien mit Leichtigkeit bezahlt werden.
3. Unter der Freigeldwährung ist eine Versiche-
rung auch wirklich eine Sicherung. Heute, unter
der schwankenden Währung, ruht leider die Beto-
nung nur allzustark auf der ominösen Vorsilbe Ver.
Man glaubt sich gesichert und hat sich versichert!
4. Schon heute sollte sich niemand auf Franken,
Dollar usw. versichern, sondern auf Kaufkraft
(Index). Eine Versicherungsgesellschaft, die diese
Versicherungsart annähme, würde sofort das Ver-
sicherungsgeschäft an sich reißen.
Wieviel beträgt nun die Erhöhung der Prämien
bei Annahme des Zinswegfalls?
Eine Leibrente von jährlich je Fr. 1000 kostet
netto, wenn die Rentenzahlung beginnen soll im Alter
von 60 Jahren (nach der Schweiz. Volkstafel 1901
bis 1910, Männer) bei einem Zinsfuß von
4 % 9 843 Fr. (100)
3 % 10 530 Fr. (106)
2 % 11 312 Fr. (115)
1 % 12 205 Fr. (124)
0 % 13 230 Fr. (136)
Der Wegfall des Zinses hat somit die Kosten der
Leibrente um 36 % erhöht.
Für einen 30 jährigen Mann beträgt die reine
Jahresprämie einer Versicherung auf Le-
benszeit bei einem Zinsfuß von
4 % Fr. 110.- (100)
2 % Fr. 219.- (129)
1 % Fr. 252.- (149)
0 % Fr. 291.60 (171)
Die Prämie erhöht sich also bei einem Zurück-
gehen des Zinses von 4 % auf 0 % um 71 % .
Technisch ist also die Versicherung ohne Zins
nicht bloß nicht denkbar, sondern in den Versiche-
rungstabellen sogar schon vorgesehen und ausgerech-
net!
Einer Senkung des Zinsfußes entspricht die He-
bung des Volkseinkommens aus Arbeit - deren
Folge ja die Zinssenkung ist! - und die Hebung des
Volkseinkommens ermöglicht auch die Erhöhung der
Prämiensätze bei der Versicherung. Diese Er-
höhung bleibt weit hinter der Erhöhung
des Arbeitseinkommens zurück.
83. Einwand: Ohne Zins wird niemand mehr
sparen wollen.
Antwort: Man vergißt, daß Sparen und
Geldhamstern zweierlei ist. Sparen heißt:
arbeiten und Spargüter (Kapitalien) ansammeln. -·
Geld hamstern aber heißt: die Nachfrage nach
Arbeitsleistungen zurückhalten und dadurch
Anderen das Arbeiten unmöglich machen.
Volkswirtschaftlich betrachtet ist Geldhamstern
Arbeitskraft brachlegen: "Wer Geld einsperrt,
sperrt Arbeiter aus." Dann sind die Arbeitslosen ge-
zwungen, frühere Ersparnisse anzugreifen oder durch
den Bezug von Arbeitslosenunterstützungen aus der
Arbeit Anderer zu leben.
Wenn allgemein gespart werden soll, so muß man
das Geld immer weitergeben, entweder kaufend,
oder durch Gewährung von Darlehen, oder indem
man es in eine Sparkasse trägt.
Wie kann man denn sparen ? Genau so
wie heute: Man legt sein überflüssiges Geld in die
Sparkasse, erhält dafür allerdings keinen Zins, da-
gegen die Gewähr, daß man damit immer durch-
schnittlich gleichviel kaufen kann. Nur das bare
Geld ist dem Schwund unterworfen, die
Eintragungen in die Kassenbüchlein,
Schuldbriefe usw. bleiben unverändert.
Wer behauptet, daß unter dem Freigeld nicht
mehr gespart werde, müßte folgerichtigerweise auch
behaupten, daß heute niemand Häuser, Werkstätten,
Maschinen usw. spart, weil sie ja dem gleichen
Schwund ausgesetzt sind, wie es das Freigeld ist.
Der Spartrieb ist dem Menschen, wie allen Lebe-
wesen, angeboren. Heute schädigt er infolge unserer
verkehrten Geldwirtschaft die Menschheit, indem
der Hamsterer die Krisen verursacht. Der Sparer
kann heute aber auch durch die Geldentwertung um
seine Ersparnisse betrogen werden, oder durch den
Preisabbau, wenn er Sachgüter besitzt. Erst unter
der Freigeldwährung spart man ohne Schaden für
sich und Andere und erst dann wird das Sparen eine
wirkliche, gern und ohne Schaden für andere geübte
Tugend.
84. Einwand: Wenn aber alle Leute arbeiten,
so entsteht eine Ueberproduktion.
Antwort: Eine wirkliche Ueberproduktion
hatte man bis dahin noch nie. Sie wäre da, wenn der
Zins unter 0 % sinken würde. Wir kennen nur die
scheinbare Ueberproduktion; sie entsteht da-
durch, daß sich der Geldbesitzer zu Zeiten weigert,
sein Geld gegen Waren herzugeben. Dann hat man
auf der Warenseite den Eindruck, es seien zu viele
Waren da und man beginnt, sie zu vernichten. Dies
geschieht aber nur, um den Preis zu halten. In Wirk-
lichkeit ist bloß zu wenig Geld da, die Nachfrage ist
zu klein. Vermehrt man den Geldumlauf, so schwin-
det auch augenblicklich diese sogenannte Ueber-
produktion. Ueberproduktion, so lange noch irgend-
wo Zins bezahlt wird, ist nur scheinbar und nichts
anderes als eine Folge des stockenden Geldumlaufes.
Die wirkliche Ueberproduktion äußert sich in
einem Sinken des Zinses (bei gleichbleibendem
Preisstand) unter null Prozent - eine Erscheinung,
die allgemeinen Wohlstand voraussetzt.
Das Sinken des Zinsfußes bei gleichbleibendem
Preisstand hat im Gegenteil zur Folge, daß nun die
breiten Volksmassen kaufkräftiger werden, mehr
kaufen können oder weniger arbeiten müssen.
85. Einwand: Die Kapitalflucht setzt ein, so-
bald der Zins zu sinken beginnt.
Antwort: Die Kapitalflucht ist unter dem Frei-
geld keine unerwünschte Erscheinung. Sie verbreitet
die Freiwirtschaft rascher im Ausland als irgend
eine andere Werbetätigkeit. Wenn ein Volk Kapital
in einem fremden Land anlegen kann, ohne selber
dadurch irgendwie geschädigt zu werden, so wird
das Beispiel dieses Volkes von den andern Völkern
sofort nachgeahmt, d. h. die feste Währung, als
die Ursache des Kapitalreichtums, wird eingeführt.
Heute jedoch bedeutet Kapitalflucht sinkende
Preise, Arbeitslosigkeit und Krise, weil mit dem Ka-
pital heute das Tauschmittel Gold verquickt ist,
dieses mit dem Kapital nach dem Ausland abwan-
dert und dadurch die inländische Volks-
wirtschaft lahmlegt.
Unter der Freiwirtschaft kann mit dem Kapital
kein Tauschmittel abwandern, die Preise bleiben auf
der gleichen Höhe und die Produktion nimmt ihren
ungestörten Fortgang. So erleidet die Velkswirtschaft
keinen Schaden, und die Kapitalabwanderung bringt
dem Lande nur den Vorteil von Zinseinnahmen aus
dem Auslande. Dieses wird sich dann selbstverständ-
lich nach den Ursachen des neuen Wohlstandes um-
sehen und das Beispiel des Freiwirtschaftsstaates
wird anders wirken als das eines Sozialstaates wie
etwa Rußland gewirkt hat!
Uebrigens braucht ein Freiwirtschaftsstaat keine
Angst um eigene Kapitalien zu haben, da sie nirgends
so geschützt sind wie in einem Staat ohne Krisen
und ohne Geldentwertung, also in der Freiwirtschaft.
Die Kapitalflucht verursacht endlich ein andau-
ernd großes Angebot von Schweizergeld gegen aus-
ländisches und drückt dadurch auf seinen Kurs, was
die Ausfuhr erleichtert und unsere Industrie außer-
ordentlich belebt.
86. Einwand: Der Zins verteilt sich in kleine
Kanäle und kommt so schließlich mehr oder weniger
allen zugute.
Antwort: Wenn der Zins im Jahr 1913 gleich-
mäßig verteilt worden wäre, so hätte damals jeder
in der Schweiz 500 Franken jährlich an Zinsen er-
halten müssen. Heute würden jedem Schweizer unter
den neuen Geldverhältnissen 750 Franken Zins
jährlich zukommen. Berechnungen des eidgenös-
sischen Finanzdepartementes anläßlich der Kriegs-
steuer haben jedoch ergeben, daß 48 % der Steuer-
zahler keinen Zins beziehen, während 3 % der
Steuerzahler 53% der schweizerischen
Zinseinnahmen beziehen können. Für
Deutschland berechnete Helfferich im Jahre 1913,
daß sich die Verhältnisse in Deutschland in den vor-
hergehenden zwei Jahrzehnten zugunsten der gro-
ßen und zuungunsten der kleinen Zinsbezüger ver-
schoben hätten.
Aus der Statistik von Bundesrat Musy über die
Wirkung der Vermögensabgabe ging hervor, daß
nur 0,6 % der Steuerzahler über 80000
Franken Vermögen besaßen. Daraus ergibt
sich, daß die 4000 Millionen Franken Zinsen, die von
den schweizerischen Arbeitenden aller Stände und
Berufe aufgebracht werden müssen, nur einem ganz
geringen Bruchteil des Schweizervolkes zufließen.
Es gibt neben den 53,4% vermögenslosen
Schweizern, die folglich keinen Zins beziehen, 3,1 %,
die zusammen die Hälfte des schweizerischen
Zinseinkommens von etwa 3000 Mill. Fr. erhalten
- das sind etwa 12 500 Fr. Zins jährlich auf den
Kopf dieser 3,1 % !
87. Einwand: Das Geld der Schweiz beträgt
ungefähr eine Milliarde, das gesamte Nationalver-
mögen aber ungefähr 40 Milliarden. Was nützt die
Beseitigung des Geldzinses, wenn der Zins für die
übrigen 39 Milliarden noch bezahlt werden muß?
(Einwand dreier Professoren der Volkswirtschafts-
lehre!)
Antwort: So lange Häuser, Fabriken, Werk-
stätten, Maschinen, Verkehrseinrichtungen usw. Zins
einbringen, so lange wird niemand sein Geld zinsfrei
ausleihen, sondern es in solche Anlagen stecken.
Und da dies unter der festen Währung und dem
Freigeld fortwährend ohne Gefahr geschehen kann,
aber auch geschehen muß, des Schwundgeldes we-
gen, so wird eine Vermehrung dieser Realkapitalien
und die schließliche Sättigung des Realkapitalmark-
tes auf den Zins drücken. Erst in dem Maße wie
dieser sinkt, wird auch der Geldzins zurückgehen.
Dieses Zurückgehen des Geldzinses belebt seiner-
seits wieder die Produktion an Realkapitalien in-
folge des Schwundsatzes, der das Geld immer neu
in den Umlauf und in Realkapitalanlagen zwingt. Das
Geld wird durch den Schwund zum Motor für die
ganze Volkswirtschaft und beseitigt damit nicht bloß
den Geld-, sondern auch den ganzen Realkapi-
talzins der übrigen 39 Milliarden.
88. Einwand: Der Zins ist nicht die ganze Aus-
beutung; der Unternehmergewinn ist auch Ausbeu-
tung und bleibt doch bestehen; es können nicht alle
Kapitalien vermehrt werden, weil dies, z. B. bei
Eisenbahnen, nicht angezeigt oder auch nicht mög-
lich ist; das beste wäre doch die Ueberführung des
Privateigentums an Produktionsmitteln in Allgemein-
besitz.
Antwort: Wir Freiwirtschafter unterscheiden
Arbeitseinkommen und arbeitsloses Ein-
kommen. Arbeitseinkommen ist das Einkommen aus
einer Tätigkeit; arbeitsloses Einkommen ist Einkom-
men aus Besitz ohne eigene Arbeit: Grundrente,
Geld- und Realkapitalzins. Im Unternehmerge-
winn sind heute in der Regel beide Einkommens-
arten vertreten, weil die wechselnden Konjunkturen
den Unternehmer zum Spekulanten machen. Durch
Wegfall des arbeitslosen Einkommens werden die
Unternehmergewinne auf den Arbeitsverdienst zu-
rückgeführt. Das Freigeld ermöglicht auch den Ar-
beitern (durch Genossenschaften) den freien Wett-
bewerb mit den Unternehmern.
Der Zins einer Unternehmung, die einzigartig ist
und einzig bleiben muß, kann nicht gedrückt wer-
den. Man kann sie nur durch Uebernahme in den
Besitz der Allgemeinheit dem Mißbrauch durch Ein-
zelne entziehen, wie z. B. Kohlen, Petrol usw. Sie
fallen unter den Begriff "Freiland".
Bei den Bahnen ist diese Maßnahme heute
schon nicht mehr nötig, weil Auto und die Fort-
schritte des Motorbaues die Bahnen so stark kon-
kurrenzieren, daß vermutlich deren Abzahlung nie
mehr erfolgen wird und die darin angelegten Kapi-
talien zum Teil verloren sind. Was heute als Zinsen
verbucht wird, sollten die Geldgeber der S.B.B. als
Abschreibungen an ihren Guthaben buchen! Es ist
klar, daß jedes neue Verkehrsmittel ähnlich auf die
Zinsabträglichkeit (Rendite) der bisherigen wirkt,
z. B. Flugzeuge!
Karl Marx, Prof. Dr. von Mühlenfels (St. Gallen)
und Dr. E. Kellenberger (Bern) glauben, der Zins
entstehe in der Produktion; sie schlagen daher zur
Beseitigung der Zinswirtschaft die Planwirtschaft
und die Verstaatlichung der Produktionsmittel vor.
Die Ausbeutung wäre höchst erträglich, wenn
sie den Arbeitenden nur bei der Produktion, an sei-
ner Arbeitsstätte treffen würde. Staatssekretär
Müller (soz.) berechnete den Abzug für die Divi-
dende (Verzinsung) auf 25 M. im Monat. Arbeiter bei
Tobler A.-G. in Bern verlieren für die Dividenden
etwa 60-70 Rp. täglich. Speisen sie im sozialisti-
schen Volkshaus, so mußten sie dort für die Zinsen
im gleichen Jahr beinahe ebensoviel täglich bezah-
len. Weder Häuser, noch Verkehrswege, noch Bo-
den oder Schulhäuser sind "Produktionsmittel" -
aber alle erfordern Zins. In jeder Zahlung ist
ein Teil Zins enthalten.
Kein Stand ist so ausgebeutet wie der der Heim-
arbeiterinnen - und gerade sie besitzen die Pro-
duktionsmittel als Eigentum: Nähmaschinen, Stick-
und Strickmaschinen!
Wenn der Zins mit den Produktionsmitteln ver-
bunden wäre, dann müßten mit deren Vermehrung
auch die Zinseinnahmen steigen. Warum wehren sich
die Inhaber der Produktionsmittel aber gegen diese
Vermehrung? Einfach, weil sie den Zinsertrag drük-
ken würde. Der Zins entsteht also nicht in der
Produktion und durch die Produktionsmittel, son-
dern er entsteht nur bei einem verhältnismäßigen
Mangel an Produktionsmitteln und Realkapitalien
überhaupt und kann beseitigt werden durch ihre
Vermehrung, wie sie das Freigeld ermöglicht.
Wer die Beseitigung der Ausbeutung will, muß da-
her das Freigeld verlangen!
89. Einwand: Auch wenn das arbeitslose Ein-
kommen abgeschafft ist, bleibt doch das Lohnver-
hältnis und damit die Arbeiterklasse bestehen; die
Unternehmer werden sich weigern, die höhern Löhne
zu zahlen.
Antwort: Es ist nicht ganz gleichgültig, ob
unser Lohn den ganzen oder nur den halben
Arbeitsertrag ausmacht, ob die Arbeitslosigkeit für
immer beseitigt ist oder nicht und ob Freiland mit
der Kinderrente eingeführt ist oder nicht!
Der Bezug von Lohn ist nichts anderes als der
Bezug von Arbeitsertrag, und eine Zuteilung von sol-
chem muß unter allen Umständen erfolgen - auch
im Sozialstaat! Und es ist viel besser, wenn sich der
Arbeitende seinen Lohn selber erstreiten kann, als
daß er ihm von oben herab durch Bonzen zugeteilt
wird. Erhalten alle gleichviel, so laufen die Tüchtig-
sten davon, erhalten die Tüchtigeren mehr, so haben
wir nicht mehr Kommunismus!
Unter Freiland-Freigeld verhandeln Arbeiter und
Unternehmer und auch die Geldgeber auf gleichem
Fuß - der eine ist so gut Arbeiter wie der andere.
Keiner hat jetzt mehr ein Geld in der Hand, das er
ohne Schaden zurückhalten und womit er seinen
Vertragspartner in Nachteil setzen kann. Es werden
auch viel mehr Arbeiten als heute durch Maschinen
ausgeführt, weil durch das Verschwinden des Zinses
die elektrische Kraft etwa um die Hälfte billiger
wird. Wer durch die Maschinen eine Konkurrenz der
Arbeit befürchtet, vergißt, daß unter der Freigeld-
währung das Geld für den Umsatz der erhöhten Pro-
duktion nie fehlt, im Gegensatz zu heute, wo eine
Vermehrung der Maschinen bald eine scheinbare
Ueberproduktion infolge Geldmangel, damit Krise
und Arbeitslosigkeit zur Folge hat.
Daß bei der Verdoppelung aller Löhne die täg-
liche Arbeitszeit herabgesetzt werden kann, wo-
durch auch manche Arbeit erträglicher wird, sei nur
nebenbei bemerkt. In der zinsfreien Zeit des früh-
mittelalterlichen Freigelds (7) arbeitete man 4 Tage
in der Woche und 8 Stunden (Bergarbeiter 6 Stun-
den) täglich.
Was heute die Unternehmer instand setzt, die
Arbeiter warten zu lassen, ist ihr hamsterfähiges
Dauergeld, oder, falls sie nicht ihre eigenen Geld-
geber sind, die Weigerung der Geldbesitzer,
ihr Geld den Unternehmern zur Verfügung zu stellen.
Während das heutige Geld dem störrischen Un-
ternehmer hilft, unterstützt das Freigeld Neugrün-
dungen und ermöglicht z. B. auch den Arbeitern die
Bildung von Produktivgenossenschaften.
Uebrigens steht dem Arbeiter noch der Ausweg
auf Freiland offen, der bei den niedrigen Frach-
ten und Fahrpreisen, welche das Freigeld ermög-
licht, und unter dem Pachtsystem viel leichter
gangbar ist als heute.
90. Einwand: Der Schwundsatz von 5 % ist
auch ein Zins, nur in anderer Form. Der Geldneh-
mer verliert ihn auf jeden Fall. Ob er dem Geldgeber
für je 100 Fr. 5 Fr. Zins zahlt oder ob er 5 Fr.
Schwund am Geld hat, ist für ihn doch gleichgültig.
Verlust bleibt Verlust.
Zins und Schwundsatz des Geldes sind zwei
ganz verschiedene Dinge.
Zins ist Vergütung für Darlehen in Geld und in
Sachgütern, Schwundsatz ist Strafe für den Geld-
hamster.
Zins ist ein Abzug am Einkommen des Arbeiten-
den. Er wird bezogen durch einen Abzug am Lohn
oder durch einen Aufschlag auf den Preis - in der
Regel durch eine Verteilung zwischen beiden - und
fällt dem Inhaber des Zinstragenden zu. Schwund-
satz ist allerdings auch ein Abzug am Arbeitsertrag,
der aber dem Volke zufällt, indem der Verkaufs-
erlös der Schwundmarken dem Staate als "Hamster-
steuer" oder Benutzungsgebühr für das Geld zufällt.
Der Zins wird von den Inhabern des Volks-
vermögens bezogen und beläuft sich in der
Schweiz auf zirka 3000 Millionen Franken jährlich.
Der Schwundsatz dagegen wird - siehe oben -
vom Staat eingenommen, beträgt aber jährlich
kaum etwa 30 Millionen Franken, also rund 100mal
weniger als der Zins.
Der Zins wird durch die Armen bezahlt und
durch die Reichen einkassiert. Es gibt Schweizer,
die 3000 Fr. täglich an Zinsen einnehmen (Rocke-
feller 178 000 Fr. täglich). Der Schwundsatz ist eine
Gebühr für die Inhaber von Geld, der Arme wird
deshalb recht wenig zu zahlen haben, der Reiche
mehr.
Der Zins stellt sich vor jede Arbeit und gestattet
sie nur, wenn der Zinstribut bezahlt wird - der
Schwundsatz veranlaßt den Geldinhaber, das Geld
der Oeffentlichkeit zurückzugeben, sei es als Ge-
genwert eines Warenkaufes, sei es als (zinsfreien)
Kredit, als Spareinlage in eine Bank.
Der Zins lockt das Geld in den Verkehr, der
Schwundsatz zwingt es, wie das Standgeld für die
Güterwagen deren Benützer zwingt, sie der Bahn-
verwaltung rasch wieder zur Benützung zurückzu-
geben. Wollte die Bahnverwaltung ihren Kunden
gegenüber ebenso nachlässig sein wie der heutige
Staat gegenüber dem Geldhamster, so müßte sie das
Standgeld fahren lassen und dagegen eine Ver-
gütung zahlen, wenn man ihr die Güterwagen wie-
der zurückgäbe!
Der Zins ist die Folge der Ueberlegenheit des
Geldes über die Waren. Der Schwundsatz nimmt
dem Gelde diese Ueberlegenheit und damit auch die
Möglichkeit, sich zurückzuhalten und Zins zu er-
zwingen.
Die leichte Hamsterbarkeit des Geldes veranlaßt
das Geld zum Streiken, zum Gehamstertwerden, der
Schwundsatz dagegen wirkt wie ein Motor auf die
Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und zugleich wie
ein Schwungrad.
Der Zins ist von allen Religionen geächtet wor-
den, weil er die Ausbeutung der Notlage des Näch-
sten bedeutet. Der Schwundsatz ist eine 100mal ge-
ringere Entschädigung an die Allgemeinheit für
ein gut verwaltetes, wirklich zweckmäßiges und gut-
arbeitendes Tauschmittel und gleichzeitig eine Strafe
für Geldhamster.
Der Zins entsteht deshalb, weil das Geld nicht
nur Tauschmittel ist, sondern auch als Hamster-
gut (Schatzmittel, "Wertaufbewahrungsmittel") miß-
braucht werden kann. Der Schwundsatz ist deshalb
nötig, um das Geld aus dieser widerspruchsvollen
Stellung herauszubringen und es zum reinen
Tauschmittel zu machen.
Der Zins ist die Folge eines statischen Geldes
und einer statischen Währungsverwaltung. Das
Schwundgeld ist ein dynamisches Geld und wird
nach dynamischen Grundsätzen verwaltet, wie das
sein muß, da auch die Wirtschaft als Ganzes ein
dynamisches System ist.
91. Einwand: Freigeld beseitigt die Ungleich-
heiten der Vermögen nicht.
Antwort: Die Ungleichheit der Vermögen ist
kein Unglück, wenn die Vermögen durch Arbeit
verdient werden müssen. Die heutigen großen Ver-
mögen werden durch die Erbteilung aufgeteilt;
eine Vermögensabgabe kann stattfinden, wenn
es im Interesse der Volkswirtschaft liegt, d. h. dann,
wenn die Abzahlung der Staatsschulden ohne Infla-
tion unmöglich wäre. Die Kinderrente ermög-
licht allen Leuten die Schulung der Kinder und
gleicht auch damit die Einkommen aus, indem das
Angebot auf Stellen mit höheren Einkommen ver-
hältnismäßig stark wachsen wird - wodurch die
höchsten Einkommen wieder gedrückt werden. Auf
alle Fälle entspricht im zinsfreien Staat in wenigen
Jahrzehnten jedes Vermögen der persönlichen Ar-
beitsleistung der Familie und wird nicht ver-
fälscht durch den unverdienten Zinszuwachs, der für
andere ein unverdienter Abzug am Arbeitsertrag ist.
92. Einwand: Wäre es nicht einfacher, den
Zins zu verbieten oder ihn auf 3 % zu beschränken?
Antwort: Im Gegenteil! Ein Zinsverbot oder
Beschränkungen gesetzlicher Art wären das sicherste
Mittel, um den Zins zu verewigen. Das Geld
würde beim Sparer liegen bleiben wie es in der
Türkei und bei uns im späten Mittelalter infolge der
Zinsverbote liegen blieb. Den Zins kann man nicht
verbieten, sondern nur verunmöglichen
durch fortgesetzte Vermehrung des Kapital-
angebotes, durch ungehinderte Arbeit also.
Ein Zinsverbot würde uns in mittelalterliche oder
türkische Zustände hineinführen.
Das gleiche gilt von den gesetzlichen Zinsfußbe-
schränkungen. 1 % arbeitsloses Einkommen nimmt
den Arbeitenden in der Schweiz 10 % ihres Arbeits-
ertrages weg, 3 % würden ihnen fast 2/5 wegnehmen,
heute etwa 1,800 Mill. Fr. jährlich!
Auch 3 % Zins würden noch viel Arbeiten ver-
hindern, die bei 2 und 1 % mit Leichtigkeit in An-
griff genommen werden könnten; auch 3 % sind noch
ein Hindernis für die Produktion und dadurch wieder
eine Schädigung aller Arbeitenden.
3 % sind - wenn man bei 5 % 3000 Mill. Fr. als
arbeitsloses Einkommen verliert - noch immer
1800 Mill. Fr. Zinsbelastung oder 450 Fr. auf jeden
Einwohner, 3 % sind noch immer Ausbeutung und
Hemmung für alle Arbeiten, die nicht diese 3 %
abwerfen können.
(4) Friedrich Engels: Vom Ursprung der Familie, des Pri-
vateigentums und des Staates. - Dietz, Berlin.
(5) Die Ethik des Zinses, Bern 1918 (vergriffen).
(6) Burri und Schwarz, Der Zins, Bern 1932.
(7) Siehe darüber in Fr. Schwarz: Vorwärts zur festen
Währung und zur zinsbefreiten Wirtschaft.
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Dieser Text wurde im Februar 1998 ins Netz gebracht von Wolfgang Roehrig. Weiterverbreitung ausdrücklich erwünscht.