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"Geld soll aus Knochenscheiben gemacht sein, da es dann einem Verfallsprozeß unterliegt und im Falle der Hortung so unerträglich zu stinken beginnt, daß es sehr bald weitergegeben wird." Diese Weisheit des Diogenes griff der Hallesche Pfarrer Helmut Becker auf. Er konnte das evangelische Jugendbildungszentrum "Villa Jühling" aus Geldknappheit nicht mit Deutscher Mark finanzieren und erfand und propagierte als Ersatz die Dölauer (1) Mitarbeiterkredite (kurz döMak) zunächst als hausinternes Verrechnungssystem.
Inzwischen hat sich die döMak zu einem stadtweiten alternativen Zahlungsmittel entwickelt. Einige Szenekneipen schenken gegen döMak Bier aus. In Kleinanzeigen und einer Mailbox werden die verschiedensten Leistungen gegen döMak angeboten, deren Spektrum vom Babysitting über die Reparatur von Computern bis hin zur Ausleihe eines Smokings reicht. Sogar das städtische "neue theater" bietet Restkarten gegen döMak an. Getauscht und verrechnet wird grundsätzlich alles, auf was sich zwei Tauschpartner einlassen.
Der Anfang des Tauschringes im Jahr 1992 war bescheiden. In einem "Sparbuch" wurden Arbeitsleistungen gut geschrieben. Zunächst fünf döMak für eine Stunde Gartenarbeit oder Gästebetreuung, die später für die Miete des Kleinbusses (20 döMak pro Stunde) oder die Übernachtung in einem der Gästezimmer der "Villa Jühling" (15 döMak) wieder ausgegeben werden konnten. Je mehr Mitglieder dem Tauschring angehörten, um so vielfältiger wurden die angebotenen Leistungen und das System für den einzelnen interessant. Die 50 Mitglieder setzten in den ersten drei Jahren immerhin 50.000 döMak um. Im Ausstieg aus dem regulären Geldkreislauf sieht der Initiator Helmut Becker große Vorteile, denn "über die döMak können Geschäfte abgewickelt werden, die sonst nicht zustande kämen, weil kein Geld da ist". Die Mitgliedsbedingungen des Tauschringes gehen davon aus, daß eine döMak eine Deutsche Mark repräsentiert.
Reizvoll ist der Tauschring vor allem für Schüler, Studenten und Arbeitslose, die mittels döMak ihr finanzielles Budget z. B. über die Mitarbeit in Vereinen verbessern können, aber auch für Kleinunternehmen und kommunale Einrichtungen, die trotz finanzieller Engpässe Leistungen annehmen oder anbieten wollen. Gerade die Verbindung von privatem und institutionellem Tausch werde die Breite der Akzeptanz und der Nutzung der döMak in Halle vergrößern, sagt der Initiator.
Ein DöMakler erhält pro Monat einen "Kontoauszug" mit seinem persönlichen Saldo, der auch als "Liquiditätskarte", quasi als Tauschberechtigungsausweis gilt. Das Konto kann bis zu 200 döMak überzogen werden. Die dö-Zentrale, die wie eine Bank die Konten führt, nimmt Gut- und Lastschriften vor, wenn sie auf einem Scheck von den jeweils Beteiligten durch ihre Unterschrift autorisiert wurden.
Die "döMak-Zone" ist eine "zinsfreie Zone". Die Guthaben verlieren zu jedem Monatsende einen Prozent ihres Wertes. Damit soll das Horten verhindert und ein schneller Umsatz der Guthaben garantiert werden.
Die Forderung nach der Schrumpfung des Wertes formulierte bereits 1916 der deutsch-argentinische Kaufmann und Wirtschaftstheoretiker Silvio Gesell (1863 - 1930). Er beschrieb das Zinssystem als ungerecht, weil die Besitzer des wertspeichernden und unverderblichen Geldes gegenüber Arbeitern und Besitzern von verderblichen Waren durch leistungslosen Gewinn einen Vorteil hätten. Für seine Idee von der "natürlichen Wirtschaftsordnung" schlug er "rostende Banknoten" vor.(2)
Es muß hinterfragt werden, ob die döMak als Geld oder Zweitwährung bezeichnet werden kann, auch wenn die Definition des Finanzwissenschaftlers Günter Schmölder ("Geld ist alles, was gilt") es als naheliegend erscheinen läßt. Diese Aussage trifft jedoch erst zu, wenn von Hand zu Hand umlaufende Zeichen existieren, die einen eigenen Wert verkörpern und ihn speichern. Die döMak erleichtert die Bewertung der Leistung, und sie ermöglicht nicht nur den unmittelbaren, sondern auch den zeitversetzten und mittelbaren Tausch. Doch ist die döMak kein Wertmaßstab. Diesen bildet die Deutsche Mark. Die döMak-Scheine sind Schecks im klassischen Sinn und damit numismatische Zeichen.(3) "Wir müssen das Monopol der Bundesbank brechen und das Münzprägerecht der Städte wieder einführen. Kommunale Währungen würden die regionale Wirtschaft enorm fördern. Das wären AB-Maßnahmen im positivsten Sinne", ist die feste Überzeugung Beckers. Tatsächlich wertet das Tauschen die menschliche Arbeit auf. Ein Erwerbsloser beispielsweise hat wenig Geld, aber viel Zeit und kann Fähigkeiten haben, die anderen nützen. Da Geld bei dieser Nachbarschaftshilfe keine Rolle spielt, können sich die Tauschpartner mehr leisten.
Daß Beckers Idee zumindest zeitweilig umsetzbar ist, belegen verschiedene historische Tauschringe.(4) Schon zwischen 1830 und 1850 gab es geldlose Tauschkreisläufe in England und Frankreich. Diese Versuche hatten vor allem sozialreformerische Ziele (Proudhon, Owen). Die österreichische Gemeinde Wörgl war 1932 hoch verschuldet und hatte kaum Steuereinnahmen. Als das "Experiment von Wörgl"' gingen "Arbeitsbestätigungsscheine" in die Numismatik und die Wirtschaftsgeschichte ein, die vom Wohlfahrtsausschuß der Gemeinde als "Nothilfe-Programm" herausgegeben wurden und auf österreichische Schillinge lauteten. Mit diesen Gutscheinen beschäftigte die Gemeinde einige ihrer Erwerbslosen und finanzierte den Bau einer Brücke, die Kanalisation eines Viertels und die Renovierung des Rathauses. Die örtlichen Geschäfte akzeptierten dieses "Geld", denn sie konnten damit ihre Steuern begleichen. Die österreichische Nationalbank beendete das Experiment mittels Verbot, als sich über 170 Gemeinden für das Modell interessierten.
In Deutschland erreichte die Wära-Tauschgesellschaft (1929 - 1931) eine gewisse Bedeutung. Durch die Notgeldverordnung vom 30. Oktober 1931 fand sie ein schnelles Ende. Die Wära-Tauschbons, im Wert der Reichsmark herausgegeben, liefen wie in Wörgl durch eine am Monatsende erhobene, einer Abwertung gleichzusetzende Gebühr, schnell um. Im niederbayerischen Schwanenkirchen wurde mittels eines Wära-Kredits ein Kohlebergwerk wiedereröffnet, das wegen Unrentabilität geschlossen worden war. 60 Bergleute erhielten Arbeit und 90 Prozent ihres Lohnes in Wära-Tauschgeld. Nach anfänglichem Zögern akzeptierten die örtlichen Geschäftsleute diese Verrechnungsscheine.
Die von 1931 bis 1934 existierenden "Barter-Ringe", Ausgleichskassen, Arbeitsgemeinschaften oder Verrechnungsgesellschaften genannt, wurden durch das Kreditwesengesetz von 1934 aufgehoben. Sie funktionierten wegen der Einschränkungen der Notgeldverordnung von 1931 bargeldlos. Größeren Umfang erlangte der Ring in Oberschlesien (1932). Gleichzeitig existierten in den USA von 1931 bis 1938 etwa 600 Selbsthilfenetze mit einer halben Million angeschlossener Familien.
Diese Ideen aufgreifend, wurde im Jahr 1983 das LET-System (Local Employment and Trade System) zunächst in Vancouver (Kanada), später in den USA, Australien, Neuseeland, Großbritannien und Holland gegründet. Nach der Halleschen döMak 1992 bildeten sich Tauschringe im deutschsprachigen Raum unter dem Namen "Talent-Experiment" seit 1993 in Aarau (Schweiz), seit 1994 in Magdeburg, Lenzkirch (Schwarzwald), Köln und Berlin. 1995 folgten Chemnitz, Freiburg und Kassel. Viele weitere wären hier zu nennen.
Auch in der Wirtschaft hat der Tauschhandel Tradition. Seit über 50 Jahren arbeitet die Schweizer WIR-Wirtschaftsring Genossenschaft als Tauschring für verschiedenste Firmen. Gegründet zur gegenseitigen Förderung des Mittelstandes, zirkuliert hier zwischen den beteiligten Firmen - wie bei den privaten Ringen - kein Geld. Einnahmen und Ausgaben werden über Konten abgerechnet, Kredite mit einem Zinssatz von 1,75 Prozent (maximal 20 Prozent der Gesamtsumme) angeboten. Mehr als 55.000 Firmen nutzen den WIR-Ring. Das entspricht einem Anteil von etwa 17 Prozent aller in der Schweiz niedergelassenen Firmen. Im Geschäftsjahr 1993 verrechneten die Mitglieder Transaktionen von 2,52 Mrd. Schweizer Franken. 97 Prozent des Umsatzes entfallen dabei auf die deutschsprachigen Kantone. Die Besonderheit des WIR besteht darin, daß er in der Rechtsform einer Genossenschaft als Kreditbank geführt wird und bereits seit den dreißiger Jahren über den Status eines Bankinstitutes nach Schweizer Gesetz verfügt.(6)
Am Welthandel hat nach verschiedenen Schätzungen das sogenannte "CounterTrade"-Geschäft einen Anteil von etwa 5 bis 30 Prozent. Ursache für diesen weltweiten Tauschhandel sind in erster Linie Ungleichgewichte auf den internationalen Geld- und Gütermärkten. In den sechziger Jahren entstanden in den USA die Barter-Clubs, sogenannte Trade Exchanges oder Retail Brokers, im eigentlichen Sinn Tauschringe, die nach dem gleichen, oben beschriebenen System funktionieren. In Deutschland und Österreich ist der Barter-Club-Handel erst im Entstehen. Der größte Club, Barter Clearing und Information mit Sitz in München, wurde erst 1986 gegründet und verfügt über 30 Geschäftsstellen im Bundesgebiet. 1993 zählte der Club cirka 6000 deutsche und österreichische Mitglieder, meist mittelständische Unternehmen, die etwa 120 Mill. DM über die Club-Verrechnung umsetzten. Das ist sicherlich nicht viel, aber gemessen am Umsatz von 1989, lediglich 9,5 Mio. DM, jedoch eine gewaltige Steigerung.(7) In Deutschland nimmt die Zahl der Tauschringe ständig zu. Zur Zeit existieren allein in Berlin zehn sogenannte Talentbörsen, in ganz Deutschland dürften etwa 60 Ringe aktiv arbeiten, die unter anderem den "Torfdollar" und "Hunte-Taler" erfanden oder den "Heller" wiederbelebten. Für 20 DM kann man in Berlin Mitglied im Tauschring "Kreuzberger Kreuzer" werden.
Während das "Geld" der "Bunten Republik Neustadt" in Dresden mehr eine Karikatur mit Anspielung auf die echten deutschen Banknoten war, das die widersprüchliche Ideenwelt der Veranstalter widerspiegelt(8), ist das 1993 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg initiierte "Knochengeld"(9) klassisches Notgeld. Es konnte gegen Deutsche Mark erworben werden und fand große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. 24 Geschäfte und mehrere Kneipen akzeptierten die "Knochen". 54 namhafte Künstler entwarfen je einen Schein, der in 100 Exemplaren vervielfältigt und signiert wurde. Die Entwertung folgte nach 6 Wochen. Drei Viertel aller Scheine verblieben in Sammlerhand. Der Reinerlös wurde unter den beteiligten Künstlern aufgeteilt. Andere Kunstprojekte, wie "Hefe und Knete" oder "Saubere Kohle" in Köln, machten zumindest auf das Phänomen Geld aufmerksam.
Der gegenwärtige Erfolg der Tauschringe und die Notgeld-Aktionen werfen ein bezeichnendes Licht auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland. Doch wäre eine solche Betrachtung allein zu kurz gegriffen. In der Geldgeschichte hatte der Tausch- und noch mehr der lokale Handel bis in unser Jahrhundert eine große Bedeutung. Heute spielt die geldlose Nachbarschaftshilfe für den einzelnen, zumindestens in den Städten, kaum noch eine Rolle. Der Verlust der regionalen Versorgungsstrukturen bedeutet vielfach auch den Verlust von kultureller Identität und von traditionellen Wirtschaftsstrukturen.
Die auf den lokalen Markt ausgerichteten Tauschringe wollen bei erfolgreicher Verbreitung ein regionales Regulativ zum grenzenlosen Welthandel sein. Ob sie wirklich auf lange Sicht Erfolg haben werden, darf bezweifelt werden. Zuviel ist in ihrem System Utopie. Auch wenn die moderne Computertechnik schnellste Verrechnung ermöglicht, bleiben diese Systeme dennoch statisch, vom Idealismus oder den Liquiditätsproblemen der Tauschpartner abhängig. Trittbrettfahrer, die über ihr Verrechnungskonto kostenlose Leistungen beziehen wollen, werden vom System der Ringe regelrecht angelockt.
Für den Geldscheinsammler dagegen sind die neuen numismatischen Zeichen, wie die Talent-Gutscheine, sicherlich eine gute Nachricht. Geldtheoretiker werden an den Tauschringen ihre Freude haben und das Nachdenken über das Phänomen "Geld" wird nicht nur den Numismatikern Vergnügen bereiten.
2) Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 1916. Lauf bei Nürnberg 1949.
3) Vgl. Heinz Fengler: Numismatik und Wertpapiere. Eine geldgeschichtliche Studie zur Entwicklung der deutschen Wertpapiere. Hrsg. von den Staatlichen Museen zu Berlin, Kleine Schriften des Münzkabinetts Berlin, Heft 6, 1978, S. 28 ff. (Über den Scheck und andere bargeldlose Verrechnungen).
4) Werner Onken: Ein vergessenes Kapitel der Wirtschaftsgeschichte. Schwanenkirchen, Wörgl und andere Freigeldexperimente. In: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 58/59, Mai 1983. Und: Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld. In: Silvio Gesell -"Marx" der Anarchisten? Hrsg. von Maus Schmitt, o.0. 1989.
5) Fritz Schwarz: Das Experiment Wörgl. Bern 1952.
6) Helmut Creutz: Alternative Geldsysteme - Auswege aus der fehlerhaften Geldordnung? In: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 101, Juli 1994. Vgl. auch Hugo Godschalk: Pilotprojekte zur neutralen Liquidität, WIR-Wirtschaftsring-Genossenschaft. In: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr.68, 1986.
7) Christian Schneider: Das Modell Barter Club. In: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 101, 1994; und Hugo Godschalk: Die geldlose Wirtschaft. Vom Tempeltausch zum Barter-Club, Berlin 1986.
8) Rainer Grund: Eine originelle Geldscheinserie der "Bunten Republik Neustadt" zu Dresden. In: Der Geldscheinsammler, Heft 1, 1992.
9) Wolfgang Steguweit: Berlin; "Scheingeld zu 20 Knochen". In: Numismatisches Nachrichtenblatt 43, 1994, S. 20 f.